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Paul GredlerOxenbauer | 0549384 Soziale Innovation als nächster Schritt der endogenen Regionalentwicklung? Herausforderungen und Steuerungsmöglichkeiten in schrumpfenden Regionen Seminararbeit im Rahmen des Konzeptmoduls Demographischer Wandel und Regionalentwicklung. Leitung: A. Dillinger und A. Hamedinger Sommersemester 2014

Soziale(Innovation(-(als(nächster(Schritt( der ... · Teil eher Richtung Dienstleistungen gehen und weniger an wissenschaftliches Arbeiten. Was im ÖROK 2011 allerdings nicht erwähnt

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P a u l   G r e d l e r -­‐ O x e n b a u e r   |   0 5 4 9 3 8 4  

Soziale  Innovation  -­‐  als  nächster  Schritt  der  endogenen  Regionalentwicklung?  Herausforderungen  und  Steuerungsmöglichkeiten  in  schrumpfenden  Regionen  

Seminararbeit  im  Rahmen  des  Konzeptmoduls  Demographischer  Wandel  und  Regionalentwicklung.  Leitung:  A.  Dillinger  und  A.  Hamedinger    

Sommersemester   2014  

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Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort ..................................................................................................................... 3  

2. Hintergrund ............................................................................................................... 4  2.1. Demographischer Wandel in den Regionen .................................................................. 4  2.2. Schrumpfungsprozesse ................................................................................................. 6  

3. Endogene Regionalentwicklung in Österreich .......................................................... 9  3.1. Regionalentwicklung bis 1995 ....................................................................................... 9  3.2. Regionalentwicklung nach dem EU-Beitritt Österreichs .............................................. 11  3.3. Von LEADER+ über LEADER 2007-2013 bis LEADER 2020 ..................................... 13  

4. Soziale Innovation im Kontext der Regionalentwicklung ........................................ 16  4.1. Die wissenschaftliche Perspektive .............................................................................. 16  4.2. Soziale Innovation aus politscher Sicht ....................................................................... 18  4.3. Soziale Innovation und (Regional-) Planung ............................................................... 19  

5. Ein Beispiel aus der Region Wagram ..................................................................... 20  5.1. Stetteldorf pendelt anders ........................................................................................... 20  5.2. Demographische Ausgangssituation in Stetteldorf am Wagram ................................. 22  5.3. Soziale Innovation SPA ............................................................................................... 26  5.4. Institutionalisierung? .................................................................................................... 26  

6. Fazit – Soziale Innovation als nächster Schritt der endogenen

Regionalentwicklung? ................................................................................................ 28  

7. Quellen- und Literaturverzeichnis ........................................................................... 30  7.1. Abbildungsverzeichnis ................................................................................................. 30  7.2. Literaturangaben ......................................................................................................... 30  7.3. Sonstige Quellen ......................................................................................................... 31  

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1. Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen des Konzeptmoduls Demographischer Wandel und Regionalentwicklung im Sommersemester 2014. Sie setzt sich mit dem Konzept der sozialen Innovation im Kontext der Regionalentwicklung vor dem Hintergrund der durch den demographischen Wandel erwachsenen Herausforderungen im ländlichen Raum auseinander. Ziel der Arbeit ist es, einen Überblick über demographische Entwicklungen und den daraus entstehenden Handlungsbedarf von planerischer Seite her zu geben und die Chancen des Konzepts sozialer Innovation im Rahmen der endogenen Regionalentwicklung zu beleuchten. Im ersten Kapitel wird zunächst ein Überblick über die demographische Entwicklung des ländlichen Raumes in Österreich gegeben und eine Typologie der Prozesse erstellt. In weiterer Folge wird im Besonderen auf die Situation in schrumpfenden Regionen eingegangen, in denen sich die Auswirkungen des demographischen Wandels besonders im alltäglichen Leben der Bevölkerung bemerkbar machen. Darauf aufbauend wird das Österreichische Raumordnungskonzept 2011 auf Ansätze im Umgang mit den Auswirkungen des demographischen Wandels untersucht und die Frage diskutiert, warum die österreichische politisch-administrative Landschaft so große Schwierigkeiten mit dem Begriff „Schrumpfung“ hat. Kapitel 3 widmet sich der Geschichte der endogenen Regionalentwicklung in Österreich. Die Anfänge der eigenständigen Regionalentwicklung mit der Sonderaktion des Bundeskanzleramts, die Entstehung der Regionalmanagements sowie die Entwicklung des LEADER-Programms mit Hauptaugenmerk auf die österreichische Perspektive nach dem EU-Beitritt 1995, werden allesamt mit dem Fokus auf Bottom-Up und innovationsbegünstigende Ansätze in der sich stetig verändernden Strategie betrachtet. Kapitel 4 widmet sich dem Konzept der sozialen Innovation im Kontext der Regionalentwicklung. Hierbei folgt eine differenzierte Betrachtung aus Sicht der politisch-administrativen Perspektive, insbesondere der Europäischen Union, einer wissenschaftlichen Sichtweise sowie einer praktisch-planerischen Betrachtungsweise des Konzepts. In Kapitel 5 wird ein praktisches Beispiel aus der Region Wagram vorgestellt. Das als Bottom-Up Initiative entstandene Projekt zur Verbesserung der lokalen Mobilität wurde inzwischen von planerischer-politischer Seite als good-practice Beispiel aufgegriffen. Nach der Vorstellung des Projekts SPA-MOBIL erfolgt eine Diskussion der demographischen Rahmenbedingungen und Entwicklungen in der Gemeinde. Anschließend wird die Initiative im Kontext der sozialen Innovation diskutiert. Abschließend wird die Art und Weise der Institutionalisierung des Konzepts kritisch betrachtet. In Kapitel 6 wird schließlich der Bogen von Regionalentwicklung zu sozialer Innovation gespannt und die Möglichkeiten der Anwendbarkeit des Konzepts im Kontext der Regional- bzw. LEADER-Managements diskutiert, sowie ein abschließendes Resümee gezogen.

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2. Hintergrund 2.1. Demographischer Wandel in den Regionen Die Auswirkungen des demographischen Wandels sind in den Regionen Österreichs sehr unterschiedlich. Während die urbanen Zentren, allen voran Wien – sowohl aktuell als auch in den Prognosen – große Wanderungsgewinne aufweisen,1 fallen die Entwicklungen in den ländlichen Regionen durchaus differenzierter aus. FASSMANN2 unterscheidet drei Kategorien des ländlichen Raumes in Österreich. Er unterscheidet zwischen drei Raumtypen: Der stabile ländliche Raum, geprägt durch Landwirtschaft und nicht im Einzugsbereich größerer Städte, macht einen Großteil der ländlichen Gebiete aus. Das Bevölkerungswachstum ist hier positiv, Zu- und Abwanderung halten sich die Waage. Zentrale Orte sowie gute Erreichbarkeit garantieren hier in der Regel eine funktionierende regional-ökonomische Entwicklung. Ausdünnung und flächenhafte Abwanderung ist hier kein Thema. Die Internationalisierung der Wirtschaft und die Höherqualifizierung und Tertiärisierung der Wirtschaft wirken sich hier besonders aus. Der Wandel in der Agrarwirtschaft hängt eng mit der Zukunft dieser Gebiete zusammen, Herausforderungen sind hier vor allem Konkurrenzfähigkeit kleinerer landwirtschaftlicher Betriebe, aber auch die Erhaltung von Pflege- und Bildungsinfrastruktur vor dem Hintergrund einer alternden Bevölkerung im Übergang zu einer Bildungsgesellschaft. Den zweiten Typ bilden die Intensivtourismusgebiete. Hier profitieren die Regionen von der Wertschöpfung durch den (Winter-)Tourismus. Diese Regionen sind durch Bevölkerungszuwachs geprägt, hier gilt es, die Naturlandschaft zu nutzen, ohne diese durch Eingriffe in ihrer ökologischen Funktion und Attraktivität zu beeinträchtigen. Insbesondere Wintersportgebiete in tieferen Lagen sind durch die Folgen des Klimawandels betroffen. Die dritte Kategorie, der schrumpfende ländliche Raum, umfasst jene Regionen Österreichs die von Abwanderung und negativer Geburtenbilanz betroffen sind. Diese Regionen weisen keine Voraussetzungen für konkurrenzfähige Landwirtschaft auf. Sie sind zu weit von städtischen Agglomerationen entfernt und besitzen auch selbst keine Zentren, die strukturstark genug wären um das Rückgrat einer regionalen Ökonomie bilden zu können. Herausforderung in diesen Regionen ist die Erhaltung der Grundversorgung sowie der Rückbau von Infrastruktur. Diese, oft als periphere Regionen umschriebenen Schrumpfungsgebiete, befinden sich vor allem im nördlichen Niederösterreich (Waldviertel), der Obersteiermark (Mur-Mürz Furche) aber auch im Inneralpinen Raum der Süd- und Ostalpen sowie entlang des ehemaligen Eisernen Vorhangs. Die folgenden Karten verdeutlichen diese Entwicklung anhand von Bevölkerungsentwicklung und Förderungsgebieten:

1 STATISTIK AUSTRIA - Bevölkerungsprognose 2013.

2 Faßmann, Heinz (2010) - ÖREK 2011 Orientierungspapier 3. Fassung

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Abbildung 1– Bevölkerungsentwicklung auf Gemeindebasis 2003-2013

(Quelle – ÖROK-Atlas)

Abbildung 2– Regionalförderungsgebiete 2014-2020

(Quelle – ÖROK-Atlas)

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2.2. Schrumpfungsprozesse Abbildung 1 und 2 verdeutlichen, dass jene Regionen die von Bevölkerungsrückgang betroffen sind, auch jene sind, in denen es Handlungsbedarf von Seiten der Regionalentwicklung gibt. Zu beachten ist jedoch, dass Bevölkerungsentwicklungen auch innerhalb von Gemeinden ambivalent verlaufen können, sprich es besonders innerhalb größerer Gemeinden parallel zu Wachstums- und Schrumpfungsprozessen kommen kann, die sich auf kleinerer Maßstabsebene nicht widerspiegeln. Von Schrumpfungsprozessen betroffene Regionen spüren die Auswirkungen des demographischen Wandels im Besonderen. WEBER und HÖFERL3 konstatiert für Gebiete, die aus raumplanerischer Sicht schrumpfen, eine negative Entwicklung im Bezug auf:

• Arbeitsplätze • Bevölkerungszahl • junger Bevölkerungsanteil • Investitionskraft privater und öffentlicher Haushalte • Gebäudeausnutzungen • Wirtschaftskraft • Gemeinschaftsleben • politischem Einfluss • optimistischer Grundstimmung.

Diese Entwicklung kommt einer Negativspirale gleich und ist ein sich selbst verstärkender Prozess. Hinzu kommt eine vor allem in Österreich verbreitete Tabuisierung des Themas Schrumpfung. Der Begriff ist stark negativ konnotiert und wird, vor allem auf den höheren politischen Ebenen, nicht verwendet. So findet sich der Begriff Schrumpfung auch im Österreichischen Raumentwicklungskonzept (ÖREK) 2011 nicht, auch wenn die Problematik deutlich thematisiert wird, wie folgende Ausschnitte verdeutlichen:

Das Handlungsfeld „Sicherung der lokalen und regionalen Daseinsvorsorge“ beinhaltet die Suche nach Strategien und Instrumenten einer kostenbewussten und nutzerorientierten Anpassung an veränderte Nachfragestrukturen und Mobilitätsmöglichkeiten. Ein sozial verträglicher Umbau wird in manchen Fällen unvermeidbar sein, dennoch soll für alle Bevölkerungsgruppen ein möglichst gleichberechtigter Zugang zu Versorgungsangeboten, zum Bildungswesen, zu kulturellen Angeboten sowie zur sozialen und technischen Infrastruktur in allen Teilräumen Österreichs das Ziel bleiben.4

3 Weber, Gerlind u. Höferl, Karl-Michael (2009) S. 122 4 ÖREK 2011, 2.2 - S.51 (Hervorhebungen ergänzt)

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Dieser Auszug verdeutlicht, dass es Handlungsbedarf im Bezug auf oben genannte unausgelastete Infrastrukturbereiche gibt. Häufig sind die Kosten durch die geringe Nachfrage und Nutzung nur schwer zu rechtfertigen. Da aber eine Daseinsvorsorge für alle Teilräume Österreichs das Ziel ist, wird man in schrumpfenden Regionen neue Konzepte und Ideen entwickeln müssen, um diese ohne Kostenexplosion gewährleisten zu können. Die verdeutlicht auch folgender Absatz:

Die Weiterentwicklung und Stärkung des regionalen Innovationsmanagements sowie die Etablierung der Zusammenarbeit mit den verschiedenen Institutionen der Regionalentwicklung (Aufgabenteilung, Verhältnis zu Verwaltung und Unternehmen) erscheinen als wesentliche Aufgaben. Dazu kommen als weitere Aufgaben die Verknüpfung mit den Impulszentren und den Institutionen der schulischen Bildung, die Kooperation von betrieblicher, universitärer sowie außeruniversitärer Forschung und die KMUs bei Vernetzungsmaßnahmen und Informationsbeschaffung zu unterstützen.5

Ein Bewusstsein für die Nutzung von vorhandenen Potentialen scheint sich also bereits etabliert zu haben. Das Netzwerken der Regionalmanagements mit Bildungseinrichtungen ist vorhanden, wie auch die rahmengebende Lehrveranstaltung gezeigt hat. Diplomarbeitsbörsen etwa scheinen hier eine gute Möglichkeit der Kooperation, auch wenn die Vorstellungen der Regionen hier zum Teil eher Richtung Dienstleistungen gehen und weniger an wissenschaftliches Arbeiten. Was im ÖROK 2011 allerdings nicht erwähnt wird ist das endogene Innovationspotential der lokalen Bevölkerung, gerade in Problemregionen. Menschen in betroffenen Regionen überlegen sich von sich aus wie sie ihren Alltag unter erschwerten Bedingungen besser gestalten können. Diese soziale Innovation ist Gegenstand der vorliegenden Arbeit, denn die Vermutung liegt nahe, dass hier wertvolle Beiträge zum Umgang mit den Auswirkungen des demographischen Wandels gefunden werden, denn niemand weiß genau, wie ein geordneter Rückzug aus Fläche und Raum ablaufen soll und wie er sozial verträglich gestaltet und bezahlt werden kann.6 Dass Schrumpfung eine Herausforderung ist auf die man in Österreich noch keine Antwort gefunden hat, mag einerseits daran liegen, dass eine Steuerung der Schrumpfung [ist] wesentlich komplizierter und politisch schwieriger zu bewerkstelligen, als eine Steuerung des Wachstums7, anderseits aber auch am Festhalten an herkömmlichen strategischen Ansätzen, wie folgende Passage aus dem ÖREK 2011 verdeutlicht:

5 ÖREK 2011, 1.3.2 - S.41f (Hervorhebungen ergänzt) 6 Doehler-Behzadi, Marta et al S. 75 7 Müller, Bernhard (2003) S.36

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Sorge bereitet dabei nicht der ländliche Raum insgesamt, sondern nur jener, der durch Abwanderung der jungen Bevölkerung, durch ein eingeschränktes Spektrum an Erwerbsmöglichkeiten, große Distanzen zu den Einrichtungen der Daseinsvorsorge und durch das „Zurückbleiben“ von SeniorInnen gekennzeichnet ist. Dazu kommen ein geringeres Einkommen und das Fehlen von qualifizierten Tätigkeiten im Bereich des sekundären und tertiären Sektors. Strategische Maßnahmen zur Bekämpfung der Ursachen dieser Entwicklung sind notwendig und werden als relevanter Aufgabenbereich herausgestellt. Strategische Maßnahmen zur Entwicklung ökonomisch wettbewerbsfähiger ländlicher Regionen sollen die Vielfalt, Eigenständigkeit und Leistungsfähigkeit zum Ziel haben. Eine neue Partnerschaft zwischen Land und Stadt ist notwendig, die dem einen Teil nicht die Selbstständigkeit abspricht. Die Wirtschaft soll so entwickelt werden, dass der Bevölkerung eine Chance eingeräumt wird, Erwerbsmöglichkeiten zu finden, die ohne große Pendeldistanz erreicht werden können. Die ländlichen Räume sollen dabei weder verlängerte Werkbänke noch urbanisierte und funktionell angegliederte Bestandteile der Agglomerationen sein. Die Erreichbarkeit muss verbessert werden und die endogenen Erwerbsmöglichkeiten im Tourismus, in der Land- und Forstwirtschaft, im produzierenden Gewerbe, aber auch im Dienstleistungssektor sind zu verbessern. Eine moderne IKT-Struktur und neue Organisationsformen von Arbeit können die Erwerbsmöglichkeiten entscheidend verbessern. Wirkungsziele: Ausarbeitung von strategischen Maßnahmen zur Entwicklung ökonomisch wettbewerbsfähiger ländlicher Regionen; Umsetzung anhand von Pilotprojekten8.

In diesem Absatz wird deutlich, dass die Probleme in Schrumpfungsregionen zwar erkannt werden, diese aber weder beim Namen genannt werden, noch als tatsächliche Entwicklung anerkannt werden, deren Auswirkungen gezielter Aufmerksamkeit bedürften, nicht zuletzt da der Prozess wie erwähnt ein sich selbst verstärkender ist. Der vorgeschlagene Weg ist also eine Ursachenbekämpfung die für manche Regionen seit längerem nicht funktioniert. Die verordnete Kur für die Symptome der Schrumpfung ist Wachstum. Hier wird das Festhalten der österreichischen Politik (denn die ÖROK ist ein politisches Gremium!) an dem Wachstumsansatz deutlich, ein Umstand den auch WEBER und HÖFERL beklagen, denn in einer auf sozio-ökonomisches Wachstum getrimmten Gesellschaft wird Schrumpfung als Gestalt gewordener Misserfolg interpretiert, den (sic!) es unter allen Umständen entgegenzuarbeiten gilt. 9 Um den Umgang und die Ansätze mit negativen Entwicklungen in den Regionen besser verstehen zu können, muss die Entstehung der Regionalentwicklung in Österreich näher betrachtet werden.

8 ÖREK 2011, 4.3.1 - S.87f (Hervorhebungen ergänzt) 9 Weber, Gerlind u. Höferl, Karl-Michael (2009) S. 121

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3. Endogene Regionalentwicklung in Österreich

3.1. Regionalentwicklung bis 1995 Regionalentwicklung ist spätestens seit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union ein stark europäisch geprägtes Feld. Den Wunsch die Entwicklung in den Regionen zu steuern beziehungsweise zu stimulieren, gibt es aber schon länger. Im Folgenden soll – SCHEER10 folgend – ein Abriss über die Entstehung der endogenen Regionalentwicklung in Österreich gegeben werden. Die Anfänge der eigenständigen Regionalentwicklung gehen in die 1970er Jahre zurück und fußen auf der Überlegung, dass es durch die fehlende regionale Differenzierung in den Fördermodalitäten zum Aufbau lokaler Disparitäten gekommen war, die es nunmehr auszugleichen galt. Die Landwirtschaft – als traditioneller Haupterwerbsbereich – steckte durch den technologischen Fortschritt und die Mechanisierung in der Kriese. Mit dem Ende des Wirtschaftswachstums hatten auch periphere Industriebetriebe durch erschwerte Wettbewerbsbedingungen mit Problemen zu kämpfen und von der Umstellung auf den aufkommenden Wintertourismus konnten hauptsächlich die Bergregionen im Westen Österreichs profitieren. In den strukturschwachen Regionen kam es in Folge dieser Entwicklungen zu einer Abwanderung der jungen, besser gebildeten Bevölkerung und einem Zurückbleiben der Älteren, was zu einer zunehmenden Überalterung führte. Die Ursprünge der endogenen Regionalentwicklung liegen bei dem Zusammenschluss mehrerer Bauern zur Österreichischen Bauernvereinigung. Darauf folgend entstand 1978 der Bergland Aktionsfond, der es zum Ziel hatte Projekte und Vorhaben zu unterstützen, die zur Verbesserung der regionalen Wertschöpfung in Berggebieten beitrugen. Förderungswürdige Projekte zeichneten sich unter anderem durch die Nutzung regionaler Ressourcen und Potentiale, die Nutzung alternativer Energieformen, Einsatz von sparsamen und umweltfreundlichen Technologien, einer Qualitätsorientierung der Produkte sowie die gemeinschaftliche Produktion und Vermarktung dieser und nicht zuletzt eine demokratische Entscheidungsstruktur im gesamten Prozess aus. In weiterer Folge startete das Bundeskanzleramt die Sonderaktion zur Stärkung entwicklungsschwacher ländlicher Räume und Berggebiete Österreichs mit einem (für damals beachtlichen) Fördervolumen von 1,45 Millionen Euro. Die Förderungen konnten hierbei maximal 50% der Projektkosten betragen, die zuständige einreichstelle das Bundeskanzleramt, damals unter Kanzler Bruno Kreisky. Über Förderwürdigkeit entschied eine Kommission aus Vertreten mehrerer Ministerien sowie des Berglandaktionsfonds. Hierbei waren drei Kriterien ausschlaggebend:

10 vgl. Scheer, Günther et al. (1987)

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• Projektschwerpunkt: (Einkauf, Urproduktion, Weiterverarbeitung, Fremdenverkehr, Vermarktung, Informations- und Beratungstätigkeit, Öffentlichkeitsarbeit und Qualifizierungstätigkeit)

• Projektcharakter: (Leistungsfähigkeit, Qualität, ökologische Verträglichkeit, Verbesserung der sozialen Beziehung zwischen Konsument und Produzent, Nutzung regionaler Produktions- und Leistungsgrundlagen, energiesparende und ökologisch verträgliche und humane Arbeitsbedingungen schaffende Technik sowie Erhalt regional wichtiger wirtschaftlicher Versorgungseinrichtungen

• Projektauswirkungen: Erhöhung der regionalen Wertschöpfung, Erhöhung der Einkommen und Arbeitsqualität sowie die Schaffung neuer Arbeitsplätze

Eine gewisse Kontinuität zu den Förderkriterien des Berglandaktionsfond lässt sich feststellen. Interessant ist, dass sich bereits damals geförderte Gebiete wie etwa alpine Regionen in Osttirol und Kärnten aber auch zahlreiche Gemeinden entlang der Mur-Mürz-Furche zum Großteil auch in der aktuellen Förderperiode wiederfinden (vgl. Abbildung 2). ProjektträgerInnen waren kooperative Organisationsformen wie Vereine oder Genossenschaften oder Gesellschaften bürgerlichen Rechts bzw. Personengesellschaften nach dem Handelsrecht. Erste geförderte Projekte kamen aus den Bereichen der Landwirtschaft, der Holzverarbeitung und des Fremdenverkehrs, wobei die Projekte allesamt eher lokalen Charakter mit geringer regionaler Reichweite hatten. Die Sonderaktion wurde zunächst bis 1984 verlängert und mit größeren finanziellen Mitteln ausgestattet. Die Fördermodalitäten blieben weitgehend gleich, aus den Erfahrungen der ersten Sonderaktion wurde aber geschlossen, dass finanzielle Unterstützung alleine unzureichend sei und es daher zu einer Intensivierung der Betreuungs- und Beratungstätigkeit kommen sollte. Als Konsequenz daraus wurden 1981 die ersten Regionalbetreuer eingesetzt. Durch das Mitwirken dieser Vorläufer der heutigen Regionalmanager konnten qualifiziertere Projektvorschläge gemacht werden und ein bedeutender Beitrag zur Stimulation der Eigeninitiative in den Regionen geleistet werden. 1983 wurde die Österreichische Arbeitsgemeinschaft für eigenständige Regionalentwicklung gegründet, deren Ziel eine umfassende Information und Beratung von Gemeinden, Projektträgern, Entwicklungsverbänden und Unternehmen in benachteiligten Regionen Österreichs ist. Die ÖAR ist nach wie vor tätig, auch wenn der ursprünglich gemeinnützige Verein nun als private GmbH organisiert ist. 11 Die Förderaktion des Bundeskanzleramts wurde 1984 auf unbestimmte Zeit verlängert und 1986 in Förderaktion für eigenständige Regionalentwicklung (FER) umbenannt. Bis 1990 war die ÖAR Einreichstelle für Förderungen im Rahmen der FER und fungierte als Schnittstelle zwischen Bundeskanzleramt und den Regionen. Die Grundzüge des Förderprogramms 11 vgl. ÖRA – Regionalberatungs GmbH – www.oear.at

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änderten sich, abgesehen von der zunehmenden Bedeutung der Regionalbetreuung, nur unwesentlich.12 In der ersten Hälfte der 1990er Jahren verschob sich der Fokus des FER auf Unternehmensberatung, es gab eine Fördermöglichkeit von Einzelunternehmen. Es kam kaum noch zu Investitionsförderungen und die Unterstützung von Projekten in der Landwirtschaft nahm massiv ab. Des Weiteren waren die Beratungsleistungen für Regionen und ProjektträgerInnen nicht mehr kostenlos. Die Zielsetzung des FER war dem Zeitgeist entsprechend nunmehr die verstärkte Unterstützung innovativer Wirtschaftsprojekte in Form endogener Neugründungen und betrieblicher Kooperation in Problemregionen.13 Ab 1994 verschob sich der Schwerpunkt aufgrund des bevorstehenden EU-Beitritts Österreichs erneut, auf die Vorbereitung Regionen auf die EU-Regionalpolitik. Beratungsleistungen wurden gefördert die den Aufbau regionaler Kooperationsstrukturen, die Erstellung umsetzungsorientierter kleinregionaler Entwicklungskonzepte sowie die Entwicklung regionalwirtschaftlicher bedeutsamer Projekte beinhalteten.

3.2. Regionalentwicklung nach dem EU-Beitritt Österreichs Die Regionalmanagements bzw. deren Urformen als Nachfolge der Regionalberater befanden sich zum Teil bereits im Aufbau, als Österreich 1995 der EU beitritt. Die Regionalmanagements sind je nach Bundesländern unterschiedlich strukturiert und organisiert: Während es im Burgenland, in Oberösterreich, Niederösterreich und Kärnten jeweils Dachverbände gibt, die Personalhoheit besitzen, liegt diese in Salzburg, der Steiermark und Vorarlberg bei den Regionalvereinen, da diese Bundesländer keine eigenen Regionalmanagement Landesorganisationen haben. In Tirol gibt es mit der Servicestelle Tirol eine Mischform aus den beiden Modellen. Die Regionalmanagements haben unterschiedlich große Gebiete die sie betreuen, so gibt es etwa in Niederösterreich fünf Regionalverbände, während das gesamte Burgenland als ein einziger Verband organisiert ist. Bei aller Diversität ist allen Regionalmanagements die Zielsetzung gemein, nämlich eines Netzwerkens, des Ermöglichen von Projekten in der Region, das Stellen von professioneller aber gleichzeitig regionsnahen Dienstleistungen, sowie das Einholen und Sichern der Unterstützung durch die Landespolitik zum Schaffen stabiler Rahmenbedingungen.14 Das LEADER-Programm (frz. Liaison entre actions de développement de l'économie rurale, dt. Verbindung zwischen Aktionen zur Entwicklung der ländlichen Wirtschaft) befand sich nach dem EU-Beitritt Österreichs bereits in der zweiten Periode (LEADER II). LEADER-Regionen sind das zweite große Standbein der Regionalentwicklung in Österreich, die wie eingangs erwähnt, stark durch die 12 vgl. Gerharter, G. u. Gruber, M. (2001) 13 vgl. ÖROK – 6. Raumordnungsbericht (1990) 14 vgl. Becker, Karl (2010)

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europäische Regionalpolitik geprägt ist. DILLINGER 15 folgend, soll im nun ein Überblick über die Entstehung und Weiterentwicklung des LEADER-Programms in Österreich geboten werden. Das ursprüngliche LEADER Programm ging – wenn auch nicht mit einer kompletten Neuerfindung der gemeinsamen Agrarpolitik und der Regionalpolitik der Union – mit neuem Schwung in der Kohäsionspolitik (unter Anderem die Schaffung des EFRE – des Europäischen Fonds für Regionalentwicklung) und der regionalen Ausgleichspolitik einher. Durch ehrgeizige Zielformulierung zur Beschreitung neuer Wege im ländlichen Raum, soll das LEADER Programm, als eine Art Versuchsballon ausloten, welchen aktiven Beitrag örtliche Initiativen zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftslage in strukturschwachen Gebieten leisten können. Im Rahmen von LEADER konnten erstmals Gemeinschaftsinitiativen im Rahmen einer Partnerschaft aus Mitgliedsstaaten und Kommission gefördert werden, die aus einem Pool an Vorschlägen der Mitgliedsstaaten ausgewählt wurden. Zielsetzungen des LEADER I Programms waren folgende:16

• Einrichtung örtlicher Aktionsgruppen für die Erstellung eigenständiger örtlicher Konzepte

• Neuartige Lösungen mit exemplarischem Wert für alle ländlichen Gebiete • Einrichtung zuständiger (Verwaltungs-)Stellen zur finanziellen Abwicklung

und zur Koordination der örtlichen Aktionsgruppen • Auswahl der örtlichen Gruppen nach Kriterien • Schaffung eines Entwicklungsgruppennetzes mit Einsatz neuer

Technologien zum Erfahrungs- und Informationsaustausch • Erarbeitung örtlicher Umsetzungsprogramme (‚businessplan‘)

Der hier bereits erkennbare Fokus auf lokale Bottom-Up Initiativen und Mustergültigkeit wird in der zweiten LEADER Periode 1994-1999 noch verstärkt. Das Inkrafttreten des Vertrages von Maastricht führt zu einer tieferen Integration von LEADER in das europäische Fördersystem, die Fördergelder kommen aus den Töpfen des ESF (Europäischer Sozialfonds), EFRE und EAGLF (Europäischer Ausrichtungs- und Garantiefonds für Landwirtschaft). Die Qualitätskriterien werden – gemäß des Subsidiaritätsprinzips – von der europäischen Kommission festgelegt: sie definiert Rahmenbedingungen für die Programme ohne sich aber direkt in die Auswahl dieser einzumischen, welche bei den Mitgliedsstaaten verbleibt. Diese Qualitätskriterien sind wie eingangs erwähnt, vor allem Innovationswert und Mustergültigkeit bzw. Übertragbarkeit. Förderungen sollen sich nicht auf wenige Leuchtturmprojekte beschränken, sondern einen möglichst großen Nutzen durch Wiederholbarkeit in anderen Regionen generieren.

15 Dillinger, Andreas (2014), S.21ff 16 Kom EG 1991 in: Dillininger 2014, S. 21

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DILLIINGER unterstreicht auch die Bedeutung der Vertiefung und Weiterentwicklung der LEADER Philosophie im Rahmen von LEADER II gegenüber LEADER I17:

• Gebietsbezogener Ansatz • 'Bottom-Up' Ansatz • Gemeinschaftlicher Ansatz • Innovativer Ansatz • Sektorenübergreifender Ansatz • Netzwerk

Kritisiert wurden im Rahmen der Evaluierung von LEADER II vor allem die kurze Programmlaufzeit, die hohen bürokratischen Hürden und die Konkurrenz durch andere Förderinitiativen, die zu einer zum Teil ineffizienten Umsetzung der Projekte führte. Die Stärken des Programms liegen in der Bewusstseinsbildung für Kooperation und dem Brückenschlag zwischen einem Top-Down Programm und den Bedürfnissen der lokalen Bevölkerung. Die Ziele der Mustergültigkeit und Innovation konnten nur bedingt erreicht werden. Positiv ist jedoch, dass Innovation als Antwort auf neue Probleme in ländlichen Gebieten interpretiert wurde und Menschen und Organisationen in der Region durch Aktivierung lokaler Potentiale und Empowerment ihre Lebensumstände selbst aktiv verbessern.18

3.3. Von LEADER+ über LEADER 2007-2013 bis LEADER 2020 Rückblickend betrachtet ist die LEADER+ Periode stark durch den Umbau in der Europäischen Union und durch die Erweiterung und die Ratifizierung des Vertrages von Maastricht geprägt. Eine Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik und der Strukturpolitik im Rahmen der Agenda 2000 sind die Folge. Für das LEADER Programm bedeutet dies vor allem eine Eingliederung in die GAP, die gemeinsame Agrarpolitik und eine Herauslösung aus der Regionalpolitik, was DILLINGER durchaus kritisch sieht:

Ruft man sich den (...) Hintergrund von LEADER ins Gedächtnis – ein Programm, das den schwächsten Regionen in Europa helfen soll sehr spezielle Maßnahmen zu entwickeln – kann man die nunmehrige ‚agrarische Schlagseite‘ von LEADER auch kritisch sehen. Der Regionalpolitik kommt mit diesem Wechsel von LEADER ein probates Mittel zum Ausgleich struktureller regionaler Unterschiede abhanden. Eine Weiterentwicklung des Programmes aus einer regionalpolitischen Perspektive ist demnach nicht zu erwarten.19

17 ÖIR 2003b, S. 252–253 in Dillinger (2014), S. 26 18 Dillinger, Andreas (2014) S. 27 19 Dillinger, Andreas (2014) S. 29

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Der Programmfokus bindet die strategische Ebene stärker ein. Es sollen neuartige und hochwertig integrierte Strategien für eine nachhaltige Entwicklung des ländlichen Raums entwickelt und erprobt werden. Ergebnis sind die Erstellung sogenannter LES – Lokaler Entwicklungsstrategien. Die Europäische Kommission setzt die Mindestanforderungen für die LES wie folgt fest20:

• Einsatz neuen Know-Hows • Verbesserung der Lebensqualität • Aufwertung lokaler Erzeugnisse • Valorisierung des natürlichen und kulturellen Erbes • Chancengleichheit für Jugend und Frauen • Zuschnitt der Strategie auf sozioökonomische Rahmenbedingungen vor Ort • Pilotcharakter • Neuartige Methoden, mit denen Humanressourcen sowie natürliche und/oder

finanzielle Ressourcen • kombiniert werden • Querverbindungen zwischen bisher getrennten Wirtschaftssektoren • Neuartige Formen der Organisation und Beteiligung der lokalen Bevölkerung

Der Laborcharakter von LEADER bleibt damit auch in der dritten Programmperiode von 2000 bis 2006 bestehen. Eine weitere Neuerung ist die Eingliederung von lokalen AkteurInnen in den Entscheidungsprozess über Projekte, die im Rahmen lokaler Aktionsgruppen gefällt werden sollen. Diese sollen aus zumindest 50% nicht-politischen VertreterInnen wie Verbänden, Wirtschafts- und Sozialpartnern bestehen. Der kleinräumliche Ansatz von LEADER wird in der Evaluation als konstante Stärke hervorgehoben, der es ermöglicht Potentiale auszuschöpfen, die in Form größerer oder traditionellerer Organisationen nicht erreicht werden hätten können. Die LEADER Periode 2007-2013 ist durch weitgreifende Veränderungen in der Europäischen Union gekennzeichnet. Die Erweiterung um die neuen Mitgliedsstaaten im Süden und Osten, die Umsetzung des Vertrages von Lissabon, der das Grundprinzip der territoriale Kooperation erstmals als Ziel der EU nennt, seien hier nur als größte Veränderungen der Rahmenbedingungen für das LEADER Programm genannt. LEADER wird in das Hauptprogramm „Ländliche Entwicklung“ eingegliedert und erfährt eine umfassende Verbreiterung der Anwendbarkeit des Ansatzes. Dabei werden die LEADER-Grundprinzipien – ganze im Sinne der des Bottom-Up Gedankens – auf das Programm übertragen: Aufbau lokaler Aktionsgruppen und Maßnahmen – einschließlich Partnerschaftskapazität, Durchführung lokaler Strategien, Zusammenarbeit, Vernetzung und Erwerb von Fertigkeiten. 21 Eine 20 vgl. Kom EG 2000, 14.2 in: Dillinger, Andreas (2014) S. 31 21 vgl. Kom EU 2004b, 50. und Rat EU 2005, 50. In Dillinger, Andreas (2014) S. 33

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Evaluation der Programmperiode liegt noch nicht vor, ein kritischer Bericht des Europäischen Rechnungshofes, der die Implementierung des LEADER Ansatzes durch die Lokalen Aktionsgruppen bemängelt, da diese auf eine Art und Wiese geschehe, die den Mehrwert des Ansatzes mindere. Die Lokalen Aktionsgruppen seien außerdem nicht in der Lage einen Beitrag zur notwendigen Fairness, Transparenz und Effizienz in der Abwicklung zu leisten. Der Rechnungshof kommt zu dem Schluss, dass insbesondere die programmkonforme Umsetzung des Bottom-Up Prinzips unter Einbeziehung einer breiten regionalen Öffentlichkeit in den LEADER Regionen bedarf einer ‚Nachjustierung‘ und verstärkten Anstrengungen auf europäischer und nationaler Ebene.22 DILLINGER sieht für die kommende LEADER-Periode bis 2020 – neben der Einführung einer Ex-Ante Evaluation – zwei relevante Neuerungen: Zum einen soll eine Mittelübertragung zwischen den beiden Säulen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) ermöglicht werden. Dies ist insofern bedenklich, da es aufgrund der schwierigen Implementierung des Bottom-Up Ansatzes in den Mitgliedsstaaten (siehe oben), zu einem Abschöpfen der Mittel aus der zweiten Säule (Ländliche Entwicklung) zu Gunsten der ohnehin finanziell besser ausgestatten ersten Säule (Marktordnung) komme. Da das Budget für die kommende LEADER-Periode generell noch nicht feststeht und die Zeichen auf eine Verknappung der Mittel hindeuten, ist diese Entwicklung aus Sicht der LEADER-Initiativen als negativ zu beurteilen. Zum anderen soll der LEADER-Ansatz als CLLD – community-led local development, (dt. – Lokale Entwicklung unter Federführung der Bevölkerung) weiterentwickelt werden. Diese Entwicklung ist begrüßenswert, da so DILLINGER:

... die Praxis – wie die Ex-Post Evaluierung der letzten LEADER Förderperiode gezeigt hat (...) – eine Stärkung der regionalen Beteiligung notwendig macht. Nur mit der Einbeziehung einer möglichst großen Zahl regionaler Akteurinnen und Akteure und Ausstattung entsprechender finanziellen Mitteln kann es gelingen, alle ‚Hebel zur Aktivierung des endogenen Potentials‘ in Bewegung zu setzen.23

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in Österreich mit dem LEADER-Netzwerk und den Regionalmanagements Institutionen vorhanden sind, die durch ihre niederschwellige, lokal und regional vernetzte Arbeitsweise eine theoretische Voraussetzung für die Aktivierung lokaler Potentiale haben. Die Praxis zeigt, dass die Einbindung lokaler AkteurInnen bis dato noch nicht zu einem zufriedenstellenden Grad erreicht werden konnte. Gleichzeitig finden sich die LEADER-Regionen in der kommenden Periode mit einem höheren Legitimationszwang und knapperen

22 ECA (2010) in Dillinger, Andreas (2014), S. 35f 23 Dillinger, Andreas (2014), S. 37

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finanziellen Mitteln konfrontiert. In diesem Zusammenhang ist das Konzept sozialer Innovation von Interesse, bei dem es – ähnlich der LEADER-Philosophie – weniger um große Geldmittel, als um Ideen und Konzepte und lokale Lösungen für lokale Probleme geht.

4. Soziale Innovation im Kontext der Regionalentwicklung Kapitel 3 zeigt die Entwicklung der endogenen Regionalentwicklung die trotz zahlreicher und tiefgreifender Änderungen ihren Grundprinzipien der lokalen und niederschwelligen Arbeitsweise treu geblieben ist, da die Notwendigkeit dieser in der aktuell anlaufenden Förderperiode sogar noch weiter betont wird. Im Folgenden soll das Konzept sozialer Innovation im Kontext der Regionalentwicklung diskutiert werden und eine Annäherung aus verschiedenen Blickwinkeln gegeben werden.

4.1. Die wissenschaftliche Perspektive In der Wissenschaft ist das Konzept der sozialen Innovation aufgrund der Breite des Ansatzes nicht unumstritten. OOSTERLYNCK konstatiert, dass die Idee der sozialen Innovation seit mehr als zweihundert Jahren von verschiedenen Autoren, die für verschiedenstes Publikum schrieben, in verschiedenstem Kontext angewandt wird. Er führt weiter ins Feld, dass es bis vor kurzem kaum Bemühungen gab eine klare, einhellig anerkannte Definition, die auf einem breiteren theoretischen Hintergrund aufbauen kann, zu finden. Er unterstreicht den Vorteil dieser differenzierten Sichtweise, die dazu führte, dass soziale Innovation zu einem großen Wissenspool mit starker trans- und interdisziplinärer Prägung geworden ist24 In den letzten Jahren gibt es dennoch Versuche, das Konzept der sozialen Innovation in einen theoretischen Rahmen einzubetten und definitive Definitionen zu formulieren. Eingehend seinen hier einige exemplarisch angeführt:

Eine soziale Innovation ist eine von bestimmten Akteuren bzw. Akteurskonstellationen ausgehende, intentionale, zielgerichtete Neukonfiguration sozialer Praktiken in Bestimmten Handlungsfeldern bzw. sozialen Kontexten, mit dem Ziel, Probleme oder Bedürfnisse besser zu lösen bzw. zu befriedigen, als dies auf Grundlage etablierter Praktiken möglich ist.25

Diese Definition von HORWALDT und SCHWARZ unterstreichen die Bedeutung des Zusammenwirkens verschiedener AkteurInnen mit dem gezielten Wunsch nach einer Verbesserung von Umständen, die sich aufgrund gängiger Lösungsansätze nur

24 vgl. Oosterlynck, Stijn (2013) S.107 25 Horwaldt, et al. (2010) S. 89

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unzureichend oder gar nicht herbeiführen lässt. Die Autoren gehen noch weiter und sprechen von einer Dysfunktionalität etablierter Praktiken, im Zuge derer, soziale Innovationen gegenüber technischen Innovationen an Bedeutung gewinnen würden, denn:

Sie sind nicht nur notwendig sondern können auch proaktive im Hinblick auf antizipierbare Entwicklungen – wie z.B. im Zusammenhang mit demographischen Entwicklungen oder den Folgen des Klimawandels – dazu beitragen „... to modify or even transform, existing ways of life should it become nescessary so to do“ (Giddens 2009: 163) (sic!)26

Die Autoren unterstreichen weiter die Notwendigkeit sozialer Innovation in Bereichen, in denen bereits existierende öffentliche und kommerzielle Organisationen versagt haben. Soziale Innovationen seien jene Teilmengen des sozialen Wandels, die explizit an gesellschaftlich hochbewerteten Zielen ausgerichtet sind, weshalb sie als geeignetes Mittel betrachtet würden, um gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen. Gleichzeitig warnen sie aber vor einer normativen Gleichsetzung von sozialer Innovation mit Gemeinwohl, denn soziale Innovation sei nicht per se „gut“.27 MOULAERT et al. unterstreichen in ihrer Definition die gesellschaftspolitische Komponente sozialer Innovation:

Finding acceptable progressive solutions for a whole range of problems of exclusion, deprivation, alienation, lack of wellbeing and also those who contribute positively to significant human progress and development. Social Innovation means fostering inclusion and wellbeing through improving social relations and empowerment processes.28

Die hier angesprochenen Komponenten sozialer Innovation richten sich auf das Bestreben, gesellschaftlichen Missständen entgegenzuwirken. Es geht um Lösungen für Probleme im Zusammenhang mit Exklusion, Entfremdung, Mangel an Wohlbefinden, etc. Es muss allerdings nicht unbedingt ein negativer Kontext gegeben sein. Zugänge die dazu beitragen Fortschritt und Entwicklung besser zu gestalten, sind ebenfalls sozial Innovativ. Es geht immer darum Inklusion und Wohlsein zu fördern, indem soziale Beziehungen gestärkt werden und Potentiale aktiviert werden. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass aus wissenschaftlicher Sicht drei Charakteristika sozialer Innovationen besonders hervorgehoben werden: Die

26 Horwaldt, et al. (2010) S. 90 27 vgl. Horwaldt, et al. (2010) S. 91 28 Moulaert, Frank. (Ed.) (2013) S.16

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Unzufriedenheit mit bestehenden Praktiken und Institutionen, die soziale Exklusion verursachen, das Suchen nach alternativen Lösungsmöglichkeiten zur Befriedigung von (sozialen) Bedürfnissen betroffener AkteurInnen und der Fokus auf Inklusion und sozialer Teilhabe möglichst vieler (auch sozial marginalisierter) Gruppen.

4.2. Soziale Innovation aus politscher Sicht In der Politik wird soziale Innovation meist als lokale Potentiale umschrieben, die es zu wecken und zu aktivieren gilt. Anzumerken ist jedoch, dass der Begriff soziale Innovation nicht so gebraucht wird. Oft ist die politische Sicht auch durch einen ökonomischen Zugang geprägt, der Innovation vor allem in Zusammenhang mit Konkurrenzsituationen und Wettbewerb sieht. Im Grünbuch Innovation der Europäischen Kommission wird Innovation im Allgemeinen wie folgt definiert:

In Wirtschaft und Gesellschaft Neuerungen hervorbringen, adoptieren und erfolgreich nutzen. Sie bietet neuartige Problemlösungen, so daß (sic!) die Bedürfnisse von Bürgern und Gesellschaft befriedigt werden können (...) Gegenteil von Innovation „Archaismus und Routine“. Deshalb trifft Innovation auch auf so viele Hindernisse und so starken Widerstand.29

Auch hier wird die Bedeutung von Bedürfnissen hervorgehoben, Innovation entsteht also aus einer Situation heraus, die in gewisser Weise unbefriedigend für die Betroffenen ist. In dem Grünbuch geht es in erster Linie um die Umsetzung von Forschungsergebnissen und die Sorge, dass Innovationen in Europa nicht so gut verwertet würden wie in den USA oder Japan. Dennoch widmet sich ein, wenn auch kurzes, Kapitel dem Thema Innovation und Gesellschaft. Darin heißt es unter anderem:

Innovation ist nicht nur ein wirtschaftlicher Mechanismus oder ein technischer Prozeß (sic!). Sie ist vor allem ein soziales Phänomen, in dem die Kreativität von Einzelpersonen und Gesellschaften, ihre Bedürfnisse oder Wünsche zum Ausdruck kommen. Von daher sind Zweckbestimmung, Folgen und Rahmenbedingungen der Innovation eng mit dem sozialen Klima verknüpft, in dem sie entsteht. Die Geschichte, die Kultur, die Bildung, die politische und institutionelle Organisation sowie die Wirtschaftsstrukturen der Gesellschaft bestimmen letztlich die Fähigkeit dieser Gesellschaft, Neuerungen hervorzubringen und zu akzeptieren. Dies ist ein Grund mehr für die größtmögliche Beachtung des Subsidiaritätsprinzip bei den Politiken zur

29 Europäische Kommision (1995) S. 4

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Innovationsförderung.30

Hier wird ein Verständnis der sozialen Komponente von Innovation deutlich. Dieses bezieht sich zwar in erster Linie auf die Rahmenbedingungen zur Innovationskraft von Gesellschaften und weniger auf die Fähigkeit zur sozialen Innovation, dennoch wird hier ein wichtiger Punkt unterstrichen: das Milieu, in dem (soziale) Innovation entstehen kann, ist durch Individualität und gesellschaftliche Vielfalt geprägt. Im Umkehrschluss sind eine starke Reglementierung und hierarchische Strukturen nicht innovationsfördernd, weshalb an dieser Stelle auch die Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips hervorgehoben wird. In diesem Zusammenhang stellt sich, vor allem aus planerischer Sicht, die Frage nach der Institutionalisierung von sozialer Innovation.

4.3. Soziale Innovation und (Regional-) Planung Aus raumplanerischer Sicht stellt sich in erster Linie die Frage, ob und wie man soziale Innovation institutionalisieren kann und soll. Einen interessanten Beitrag liefern in diesem Zusammenhang PRADEL-MIQUEL et al. die sich mit der Beziehung von Multilevel Governance Strukturen und sozialer Innovation auseinandersetzen.

Multi-level governance has a clear influence on the strategies followed by socially creative actors promoting social innovation, an in order o survive and reach their objectives these strategies experience a tension between innovation and institutionalization. Nevertheless, institutionalization and innovation are not necessarily antagonistic.31

Sie argumentieren dabei, dass durch den Übergang hin zu einer vielschichtigeren Struktur im Governancebereich, und durch eine Öffnung des policy-making Prozesses, gegenüber nicht-staatlichen AkteurInnen, Raum für die Entstehung sozialer Innovation durch öffentliche, private und zivilgesellschaftliche Gruppen entsteht. Es entsteht dadurch eine wechselseitige Beziehung, in der soziale Innovationen Governancemechanismen verändern können, gleichzeitig aber von ihnen beeinflusst werden. Soziale Innovation bringt die Möglichkeit neuer Konzeptualisierungen und Herangehensweisen an Policy-Probleme, die über eine isolierte Sicht des Individuums hinausgeht und eine kollektive Antwort auf soziale Probleme geben kann. Umgekehrt haben Governancestrukturen durch die Festsetzung der Rahmenbedingungen, Einfluss auf die Kapazitäten unterschiedlicher AkteurInnen, soziale Innovation hervorzubringen. Diese Rahmenbedingungen hängen stark vom Grad der Zentralisierung der Entscheidungsfindung und dem 30 Europäische Kommision (1995) S. 13f 31 Pardel-Miquel et al. in: Moulaert et al. (2013) S.165

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selektiven Zugang bestimmter AkteurInnengruppen gegenüber anderen, sowie den spezifischen lokalen Verständnis von Policy-Making ab.32 EIZAGUIRRE et al. führen als Beispiel für diese lokalen oder regionalen Rahmenbedingungen die Umsetzung der EU-Policies auf Nationalstaatlicher Ebene an:

Although the impact oft he EU is filtered in every Member State according to internal policy-making traditions, there has been a common commitment towards more decentralization and opportunities to participate for non-state actors. The EU has encouraged new opportunities for civil-society actors and for decision-making at the local level and has shared definition of the rules and conditions this participation with national governments. However, in most policy fields it has not guaranteed the redistribution mechanics that would make this participations possible. 33

Für die Regionalplanung bedeutet dies, dass mit dem LEADER-Netzwerk und den Regionalmanagements eigentlich Strukturen vorhanden wären, die den Austauschprozess zwischen sozialer Innovation auf lokaler Ebene und den Governancestrukturen auf regionaler Ebene, und in weiterer Folge die Integration in höhere Ebenen begleiten und fördern könnten. Die ungelösten Fragen sind in diesem Zusammenhang wie man die Institutionen für das Konzept sozialer Innovation und das Potential das es birgt, sensibilisieren kann. Auch ist der Zeitpunkt, ab dem stärker formalisierte Rahmenbedingungen von Nöten sind, von entscheidender Bedeutung, da hier die sensible Balance zwischen Unterstützung einerseits und Wahrung der freien Entfaltungsmöglichkeiten von Ideen und Projekten andererseits gefunden werden muss. Das folgende Kapitel zeigt ein Beispiel aus der Region Wagram, bei dem die Institutionalisierung sozialer Innovation nicht optimal abgelaufen ist.

5. Ein Beispiel aus der Region Wagram 5.1. Stetteldorf pendelt anders In der Gemeinde Stetteldorf am Wagram im Bezirk Korneuburg haben sich BürgerInnen organisiert um die unbefriedigende Situation im öffentlichen Nahverkehr durch Eigeninitiative zu ergänzen. Zu diesem Zweck wurde im Jahr 2010 der Verein mit dem Namen Verein zur Erhaltung und Verbesserung der Mobilität in der Marktgemeinde Stetteldorf am Wagram und ihrer Katastralgemeinden – kurz SPA 32 vgl. Pardel-Miquel et al. in: Moulaert et al. (2013) S.155f 33 Eizaguirre et. al (2012) in Moulaert et al. (2013) S.158

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MOBIL gegründet und ein neunsitziger Ford Transit angeschafft. Der nicht gewinnorientierte Verein bezweckt laut den eigenen Statuten34:

• die Förderung der Mobilität von Personen, die über kein Kraftfahrzeug verfügen bzw. in ihrer Mobilität eingeschränkt sind;

• die Sicherstellung der Erreichbarkeit von Versorgungs- und Dienstleistungs-einrichtungen in der Gemeinde und damit die Erhöhung der Versorgungssicherheit;

• die Stärkung sozialer Kontakte zwischen den Bewohnern der räumlich getrennten Katastralgemeinden;

• die Ergänzung des bestehenden öffentlichen Verkehrsangebotes in Form eines zusätzlichen bedarfsorientierten Mobilitätsangebotes unter Ausschluss jeglicher gewerbsmäßiger Dienstleistung, welche von hierzu befugten Unternehmen zu erbringen ist;

• die Reduktion von Begleit- und Servicewegen und damit des Verkehrsaufkommens; die Verbesserung des Klimaschutzes;

• die Erhöhung der Verkehrssicherheit in der Gemeinde. • die Analyse des bestehenden Mobilitätsangebotes und der

Mobilitätsnachfrage In der Praxis wendet sich der Verein an Familien, deren Kinder nicht oder nicht zeitgerecht zum Schulbus kommen, oder auch abends abgeholt werden müssen, Personen, die flexibel zum Bahnhof in der Nachbargemeinde gebracht werden wollen, oder Menschen die einfach ihre täglichen Besorgungen erledigen wollen, aber keine Fahrgelegenheit haben. Oder aber auch einfach Leute die beim Heurigen auch einmal was trinken wollen 35 Voraussetzung für die Nutzung des Fahrtendienstes ist die Vereinsmitgliedschaft. Diese kostet 10 Euro pro Jahr und kann über ein Anmeldeformular beantragt werden, das per Post eingesandt oder im örtlichen Kaufhaus abgegeben werden kann. Der Verein wirbt auf seiner Webseite für die Vorteile der Mitgliedschaft: die Ersparnis des eigenen Autos, Wohlbefinden und größere Freizeit, in dem Wissen, dass die Kinder gut aufgehoben sind, die flexible Möglichkeit, Einkaufen zu gehen, den Arztbesuch vorzubereiten und die Bankgeschäfte zu erledigen, höhere Lebensqualität und die Reduktion von CO2. Das SPA-Mobil, das von ehrenamtlichen FahrerInnen betrieben wird, steht zu fixen Zeiten zwischen Montag und Freitag von 06:00 früh bis 18:00 Abends zur Verfügung, neben fixen Routen, wie etwa dem Schulweg am Morgen kann das SPA-Mobil auch für spontane Fahrten telefonisch direkt bei dem bzw. der diensthabenden FahrerIn gebucht werden. Das „Geschäftsgebiet“ das durch das SPA-Mobil abgedeckt wird, erstreckt sich über das gesamte Gemeindegebiet von Stetteldorf am Wagram, inklusive der Katastralgemeinden, sowie die Bahnhöfe Absdorf-Hippersdorf und

34 Vereinsstatuten SPA-MOBIL (2010), S.1 35 http://www.spa-mobil.stetteldorf-wagram.at/index.htm

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Gaisruck, die jeweils zwei bzw. fünf Kilometer außerhalb der Gemeinde liegen. Für SchülerInnen werden zusätzlich die Bushaltestellen Tiefenthal und Gaisruck angesteuert, um die letzten Wege bis zur Haustüre zu überbrücken. Der Verein finanziert sich über Spenden, Werbeeinnahmen auf den Werbeflächen des Kleintransporters und Mitgliedsbeiträgen. Neben dem Vereinsmitgliedsbeitrag, der Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Fahrtendienstes, sind verschiedene Möglichkeiten der Zahlung der fixen Fahrtbeiträge durch die Mitglieder möglich. Diese können jährlich oder monatlich erfolgen (320/32 Euro für Erwachsene bzw. 130/13 Euro für SchülerInnen)36. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit eines 10-Fahrten Blocks, der – im Gegensatz zu den Zeitabonnements auch auf andere Personen übertragbar ist. Die Versicherung des Fahrzeugs und der Insassen wird von der Gemeinde übernommen. In den Statuten des Vereins wird außerdem die Finanzierung über öffentliche Förderungen und Subventionen eingeräumt (vgl. dazu Kapitel 5.4). Mindestens genauso wichtig für das Funktionieren des Vereins ist das ehrenamtliche Engagement der Mitglieder des Vereines. Die Vereinsarbeit wird ebenfalls in den Statuten konkretisiert: Neben den erwähnten materiellen Mitteln werden hier neben den erwähnten materiellen Mitteln auch sogenannte ideelle Mittel zur Erreichung der Vereinsziele angeführt37:

• die Organisation innergemeindlicher Verkehrsdienste durch Fahrten zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel oder Versorgungseinrichtung;

• die Kooperation mit den bestehenden Verkehrsunternehmen; • die Qualitätssicherung und das Beschwerdemanagement; • die laufende Anpassung und Erarbeitung von Vorschlägen zur Verbesserung

des Angebotes u.a. im Zusammenhang mit dem regionalen Verkehrskonzept; • die Herausgabe eines Informationsblattes.

Laut Webseite des Vereins (www.spa-mobil.stetteldorf-wagram.at - Stand Juli 2014) hat der Verein über 130 Mitglieder und 43 fixe wöchentliche Fahrten. Das entspricht einer monatlichen Leistung von über 1.500 Kilometern.

5.2. Demographische Ausgangssituation in Stetteldorf am Wagram Die Marktgemeinde Stetteldorf am Wagram liegt eine knappe Autostunde von Wien entfernt, im Westen des Bezirks Korneuburg nördlich der Donau an den Hängen des Wagrams. Die Gemeinde besteht neben dem Hauptort Stetteldorf am Wagram außerdem aus den Katastralgemeinden Eggendorf am Wagram, Starnwörth und Inkersdorf. Circa die Hälfte der insgesamt 1.029 GemeindebürgerInnen (Stand 2014 38 ) leben im Hauptort Stetteldorf am Wagram, Eggendorf hat 313 36 vgl. http://www.spa-mobil.stetteldorf-wagram.at/seiten/preise.htm 37 Vereinsstatuten SPA-MOBIL (2010), S.2 38 vgl. Statistik Austria (2014) - http://www.statistik.at/blickgem/blick1/g31228.pdf

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EinwohnerInnen, Starnwörth 141, der kleinste Ort ist Inkersdorf mit 60 BewohnerInnen. Abbildung 3 zeigt die Entwicklung der Bevölkerung seit 1869. Die demographische Entwicklung in Stetteldorf gleicht bis vor 100 Jahren die eigener typisch landwirtschaftlich geprägten Gemeinde. Ein stätiger leichter Bevölkerungsgewinn bedingt durch eine positive Geburtenbilanz, der allerdings nicht an die Entwicklungen im Bezirk oder im Gebiet gesamt Niederösterreichs – die beide auch urbane Gebiete umfassen – heranreicht. Der erste Weltkrieg dämpft die Bevölkerungsexpansion in allen drei Vergleichsräumen, wobei sich die Verluste in der kleineren Gemeinde am deutlichsten auswirken. Auch den für Österreich typischen Babyboom während der Herrschaft des Naziregimes (Mutterkreuz, etc.), der sich sowohl auf Bezirks- als auch Landesebene abzeichnet, ist in Stetteldorf am Wagram nicht zu beobachten.

Abbildung 3 – Bevölkerungsentwicklung in Stetteldorf am Wagram im Vergleich zu Niederösterreich

und Korneuburg (Datenquelle: Statistik Austria)

Wie in vielen ländlichen Gemeinden ist auch in Stetteldorf am Wagram der Bevölkerungsrückgang im Zuge der Modernisierung der Landwirtschaft deutlich zu erkennen. Innerhalb von 30 Jahren verliert die Gemeinde fast ein Drittel der EinwohnerInnen, der EinwohnerInnentiefststand bis dato wird Anfang der 1980er Jahre erreicht. Ab den 1980er Jahren zeigen sich vor allem im Bezirk Korneuburg die Wanderungsgewinne durch Suburbanisierungsprozesse im Ballungszentrum Wien. Diese Entwicklung fällt auf Bezirksebene am deutlichsten aus, da Korneuburg unmittelbar nördlich an Wien angrenzt und damit teilweise zum sogenannten Speckgürtel zählt. Auch in Niederösterreich ist die Bevölkerungsentwicklung positiv, hier spielen Suburbanisierungstendenzen sicher ebenfalls eine Rolle, die Prozesse auf der kleinmaßstäbigeren Landesebene sind allerdings komplexer und vielschichtiger.

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Abbildung 4 – Bevölkerungspyramide Stetteldorf am Wagram 2011 (Datenquelle: Statistik Austria)

Auch Stetteldorf am Wagram kann bis ins Jahr 2001 Wanderungsgewinne verzeichnen. Die Gemeinde profitiert von der aus regionalen Gesichtspunkten günstigen öffentlichen Verkehrsanbindung an die Franz-Josephs Bahn und die Stockerauer Bahn. Ab 2001 flacht sich die Bevölkerungskurve auf allen drei Vergleichsräumen ab. Der Bezirk Korneuburg kann zwar bis 2011 noch einmal kräftig an Bevölkerung gewinnen, doch auch hier zeichnet sich in den letzten Jahren eine Trendumkehr ab. In Stetteldorf am Wagram stagniert die Bevölkerung. Es gibt Abwanderungstendenzen, die allerdings durch eine positive Geburtenbilanz ausgeglichen werden. Dies legt die Vermutung nahe, dass es sich bei den Zuzügen in den 1980er und 1990er Jahren vor allem um junge Familien oder Paare handelte, die hier ihren Lebensmittelpunkt fanden und Familien gründeten bzw. erweiterten. Die Einwohnerzahl hat sich seit 2001 bei knapp über 1.000 Personen eingependelt. Stetteldorf am Wagram ist auf den ersten Blick keine akut von

60" 40" 20" 0" 20" 40" 60"

bis 4"5 bis 9"

10 bis 14"15 bis 19"20 bis 24"25 bis 29"30 bis 34"35 bis 39"40 bis 44 "45 bis 49 "50 bis 54"55 bis 59"60 bis 64"65 bis 69"70 bis 74"75 bis 79"80 bis 84"85 bis 89"

90 und a ̈lter "

Bevölkerungspyramide"Stetteldorf am Wagram 2011"

Männer" Frauen"

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Schrumpfungstendenzen betroffene Gemeinde, dennoch lohnt sich ein detaillierterer Blick. Abbildung 4 veranschaulicht die demographische Situation in der Gemeinde. Auch hier zeigt sich das Bild einer stagnierenden Entwicklung, dennoch gibt Petra Bekerthy, Obfrau des Vereins SPA-Mobil in einem Zeitungsinterview von 2013 zu bedenken, dass auch Stetteldorf am Wagram von Abwanderungs- und Überalterungstendenzen betroffen ist:

Die Leute werden älter, die Kinder ziehen weg, sagt die 47-Jährige. Sie wollte nicht länger zusehen, wie Pensionisten mangels Alternativen zu Hause blieben, und gründete mit Mitstreitern im September 2009 den Vorläufer des heutigen SPA-Vereins.39

In Stetteldorf am Wagram gibt es also bereits aktive Bestrebungen, den Auswirkungen des demographischen Wandels entgegenzuwirken, bevor es zu den in Kapitel 2 erläuterten Negativdynamiken kommen kann. Neben der Initiative des Vereins SPA-Mobil bemüht man sich in Stetteldorf auch aktiv um den Erhalt der Teilhabe älterer Generationen am Gemeinschaftsleben. So wurde Stetteldorf in der Vergangenheit unter anderem als seniorenfreundliche Gemeinde Niederösterreichs ausgezeichnet 40 . Bestrebungen dieser Art sind wichtige Beiträge dazu, älteren Menschen ihre Selbstständigkeit zu erhalten. Gerade in kleinen Gemeinden, in denen es keine betreuten Wohneinrichtungen für SeniorInnen gibt, sind Angebote die auf den Erhalt und Ausbau der Mobilität abzielen, ein wichtiger Beitrag zum Erhalt der sozialen Integration der Hoch- und Höchstbetagten. Dies wird insofern zunehmend wichtiger, da, selbst in ländlichen Regionen, im Zuge des Strukturwandels in den Familien traditionelle Familienverbände mit mehreren Generationen unter einem Dach nicht mehr die Norm sind. Im Gegenteil haben sich die Anteile älterer Männer und Frauen, die in Ein-Personenhaushalten leben, in den letzten Jahrzehnten erhöht41. Der Verein SPA-MOBIL spielt in diesem Zusammenhang in einer Gemeinde wie Stetteldorf, in der viele Distanzen zu Fuß kaum zu bewältigen scheinen, eine wichtige Rolle. Auch wenn Stetteldorf am Wagram, wie erwähnt, nicht aktuell von Schrumpfungstendenzen betroffen ist, zeigt Abbildung 4 doch deutlich, dass es in nicht allzu ferner Zukunft – vor allem bei anhaltenden Tendenzen junger Menschen die Gemeinde zu verlassen, zu einer empfindlichen Alterung der Bevölkerung kommen könnte. Ein aktives Bestreben seitens der Gemeinde, aber auch seitens der BewohnerInnen selbst den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Integration aller Altersgruppen ins öffentliche Leben zu fördern ist gewiss ein wichtiger Schritt um den Herausforderungen des demographischen Wandels in der Region begegnen zu können.

39 Springer, Gudrun (2013) in: Der Standard vom 14.1.2013 40 http://www.stetteldorf-wagram.at/galerie/seniorenfreundlichegemeinde2007/ 41 Kolland, Franz (2009), S. 23

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5.3. Soziale Innovation SPA Die Bestrebungen des Vereins SPA-Mobil sind aus mehreren Gesichtspunkten betrachtet, als soziale Innovation zu bezeichnen. Kapitel 4 folgende erfüllt der Verein die Kriterien aus wissenschaftlicher Sicht. Die Unzufriedenheit mit bestehenden Praktiken und Institutionen, ist im Fall von Stetteldorf durch die ungenügende Anbindung an öffentlichen Verkehr gegeben. Dies führt gerade bei in ihrer Mobilität eingeschränkten Gruppen, die entweder keinen eigenen PKW besitzen oder nicht mehr in der Lage sind selbst zu fahren, zu sozialer Exklusion, da eine uneingeschränkte Teilhabe am öffentlichen Leben auch bedingt durch die fußläufig nicht bewältigbaren Distanzen, nicht mehr möglich ist. Bei der Suche nach alternativen Lösungsmöglichkeiten zur Befriedigung von sozialen Bedürfnissen der betroffenen AkteurInnen wurde mit der Schaffung des Vereins ein neuer Weg beschritten, der auf die vorhandenen Ressourcen zurückgreift. Der Fokus liegt dabei, wie auch den Vereinsstatuten zu entnehmen ist, auf Inklusion und sozialer Teilhabe möglichst vieler Gruppen und die Selbstorganisation. Aus politscher Sicht ist auf das Zurückgreifen endogen vorhandener Potentiale, vor allem im Bereich Organisationskraft und Humankapital. Die Rahmenbedingungen, die zum Hervorbringen dieser Innovation geführt haben, sind auch auf gesellschaftliche Solidarität und zivilgesellschaftliches Engagement zurückzuführen, welches sich auch im Charakter des Vereins widerspiegelt. Vorgreifend auf Kapitel 5.4. ist im Zusammenhang mit Institutionalisierung zu sagen, dass es hier die Wechselwirkung zwischen Governance-Strukturen und sozialer Innovation gab. Das Aufgreifen der Idee durch die Niederösterreichische Landesregierung und die Erstellung des Leitfadens zur Erstellung kleinräumiger Mobilitätsangebote haben die Rahmenbedingung für das Entstehen lokaler Mobilitätsinitiativen verändert und vereinfacht. So beeinflusst die Initiative einerseits die Rahmenbedingungen, die umgekehrt die Initiative und ähnliche Projekte betreffen.

5.4. Institutionalisierung? Der Umgang mit dem erfolgreichen Modell, das die StetteldorferInnen mit dem SPA-MOBIL auf die Beine gestellt haben, ist aus Sicht der Betroffenen durchaus kritisch zu sehen. Von offizieller Seite gibt es keine Unterstützung für den Verein, sieht man von der Versicherung des Fahrzeugs und der Insassen durch die Gemeinde ab. Von Seiten des Landes Niederösterreich gibt es trotz Verhandlungen keine Zuschüsse zum Betrieb des Mobilitätsangebotes des Vereines. Verwunderlich ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass das Amt der Niederösterreichischen Landesregierung – genauer die Gruppe Raumordnung, Umwelt und Verkehr – den

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Verein und dessen Arbeit in seiner 2012 erschienen Publikation als Best-Practice Beispiel für kleinräumige Mobilitätsangebote führt. Weiter heißt es im Vorwort von Landesrat Karl Wilfinger:

Selbstverständlich übernimmt auch das Land Niederösterreich seinen Teil der Aufgabe. Wir helfen bei der Planung und Umsetzung der Projekte, wir haben ein umfassendes Versicherungspaket verhandelt und unterstützen mit einer neuen Fördermöglichkeit den Ankauf der Fahrzeuge und auch den laufenden Betrieb durch einen Zuschuss je Fahrgast.42

Die Förderung des laufenden Betriebs würde laut Broschüre immerhin mit 2€ pro transportiertem Fahrgast zu Buche schlagen. In der Beispielrechnung des Amtes, in der Einnahmen und Ausgaben einander gegenübergestellt werden, schlagen diese mit 10.000 Euro pro Jahr (bei angenommen 5.000 Beförderungsfällen) mit mehr als der Hälfte der Einnahmenseite ins Gewicht. Die Förderung ist also, zumindest laut Leitfaden, essentiell für den einigermaßen wirtschaftlichen Betrieb eines kleinräumigen Mobilitätsangebotes.43 In Stetteldorf hat man es auch ohne diese geschafft, natürlich wäre es aber mit Förderung einfacher, weshalb man sich auch aktiv um die Einreichung bemühte, die seit 1. Jänner 2013 möglich ist. Da bis dato (Juli 2014) weder auf der Website zuständigen Abteilung der Niederösterreichischen Landesregierung noch auf jener von SPA-MOBIL ein entsprechender Hinweis zu finden ist, ist davon auszugehen, dass die Einreichung nicht erfolgreich war. Es sei auch nicht ausschließlich die finanzielle Unterstützung die fehlt, Petra Bekerthy sieht auch den Bund gefordert:

"Bei der ganzen Debatte um Zivildienst und soziales Jahr denke ich mir, da sollte man die Kriterien ändern, damit wir auch die Chance auf eine solche Unterstützung hätten." Sie habe sich erkundigt, aber ihr Verein erfülle die Voraussetzungen nicht, um einen Zivildiener zu bekommen. So ist die Vereinsobfrau bei der oft nicht so einfachen Suche nach Fahrern auf viel Engagement angewiesen. Ihren Leuten müsse ein "Danke" reichen. Und einmal im Jahr ein Essen beim Heurigen.44

Der Umgang mit sozialer Innovation ist in diesem Fall sicher nicht optimal. Die Optik ist nicht nur für die Betroffenen schief. Das Land erkennt zwar einerseits die Innovationskraft des Vereins an, empfindet und empfiehlt diese auch als vorbildlich, schafft es aber anderseits nicht, diese mit entsprechenden Mitteln zu würdigen. Der

42 Willfinger, Karl (2012) in: Amt der Niederösterreichischen Landesregierung, S.7 43 vgl. Amt der Niederösterreichischen Landesregierung (2012) S. 31 44 Springer, Gudrun (2013) in: Der Standard vom 14.1.2013

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von der Landesregierung herausgegebene Leitfaden ist prinzipiell zu begrüßen. Das Aufgreifen von erfolgreichen Bottom-Up Projekten und die Unterstützung von anderen AkteurInnen beim Umsetzen der Ideen, die sich auch anderorts umsetzen lassen, ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Die Art und Weise der Umsetzung der Broschüre ist aber ärgerlich. Auf Seiten der Betroffenen entsteht der Eindruck, dass man von Seiten der verantwortlichen Organe zunächst mit den Problemen alleingelassen wird und später bleibt der Eindruck von unnahbaren und bürokratischen Strukturen, die sich ohne großes Aufsehen die Idee bis hin zu den Vereinsstatuten einverleiben45. Der Leitfaden, der neben der Niederösterreichischen Landesregierung auch andere Förderstellen nennt, verweist unter anderem auf die Möglichkeit einer EU-Förderung im Rahmen eines LEADER Projekts. Gerade der niederschwellige Ansatz der LEADER-Philosophie (vgl. Kapitel 3) wäre hier – mit dem Vorsatz der Mustergültigkeit und Innovation – ein probates Mittel um soziale Innovationen wie jene in Stetteldorf am Wagram aufzugreifen und anderenorts anzuwenden. Auch die LEADER-Budgets sind knapp, doch geht es zum einen bei vielen dieser Projekte, die auf Ehrenamtlichkeit und lokalem Engagement fußen, erstens nicht um große Geldsummen und zweitens (und wichtiger!) um das Anerkennen der Arbeit und der Ideen der Bevölkerung. Dies gilt umso mehr für jene Regionen, in denen Probleme von offizieller Seite nicht adäquat gelöst werden (können), in denen sich betroffene Menschen selbst helfen.

6. Fazit – Soziale Innovation als nächster Schritt der endogenen Regionalentwicklung? Die vorliegende Arbeit hat die Herausforderungen, die durch den demographischen Wandel in den Regionen entstehen, aufgezeigt und die Probleme, die traditionelle EntscheidungsträgerInnen und Lösungsansätze haben, diskutiert. Es bedarf zu allererst einer Anerkennung der Problematik insbesondere der Schrumpfungstendenzen, die von Verantwortlichen auch beim Namen genannt werden müssen. Eine Möglichkeit mit den Auswirkungen des demographischen Wandels umzugehen ist das Konzept sozialer Innovation. Die lange Tradition der endogenen Regionalentwicklung und die durch sie geschaffenen Strukturen und Philosophien, (insbesondere die österreichische Auslegung der LEADER-Philosophie) erscheinen geradezu prädestiniert, um diesen Ansatz aufzugreifen und zu forcieren. Dies scheint gerade in Anbetracht der Tatsache, dass von Seiten der Evaluation, eine konsequente Umsetzung der Bottom-Up Ansätze in der Regionalpolitik gefordert wird.

45 vgl. Amt der Niederösterreichischen Landesregierung (2012) S. 38ff

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Die Vorteile der niederschwelligen und netzwerkorientierten Arbeitsweise der Regional- und LEADER-Managements in Österreich liegen im Bezug auf die Integration von sozialer Innovation in den Planungsprozess auf der Hand. Eine Bewertung der Situation vor Ort kann verhindern, dass AkteurInnen sich, wie im Fall der vorgestellten Gruppe aus Stetteldorf am Wagram, alleingelassen und übergangen fühlen. Eine zeitgerechte Unterstützung von Projekten, die aus informellen Prozessen heraus entstehen, kann eine große Bereicherung für die lokale Perspektive der Regionalentwicklung darstellen. Was hierzu nötig wäre ist ein theoriegestützter Leitfaden zum Umgang mit sozialer Innovation, der betroffene AkteurInnen in der Regionalentwicklung für das Konzept sensibilisieren kann. Das wissenschaftliche und theoretische Gerüst auf dem soziale Innovation aufbaut ist momentan sehr dünn und breit, was auch zu (berechtigter) Kritik an dem Konzept führt. Soziale Innovation in der Regionalentwicklung als ein Mittel zum Zweck zu sehen, lokale AkteurInnen einzubinden und Institutionen gegenüber Ideen „von unten“ zu öffnen, könnte ein logischer nächster Schritt in endogener Regionalentwicklung sein. Dabei dürfen die inhaltlichen und konzeptionellen Schwächen des Konzeptes aber nicht außer Acht gelassen werden. Eine differenzierte und detailliertere Betrachtung, als sie im Rahmen dieser Arbeit möglich war, ist dafür jedenfalls nötig. Genauso muss man sich auch ins Bewusstsein rufen, dass die Herausforderungen des demographischen Wandels sicher nicht ausschließlich durch Bottom-Up Prozesse bewältigt werden können. Diese können wohl einen wertvollen Beitrag leisten, da sie sich durch ihre alternative Betrachtungsweise und hohe Inklusion auszeichnen. Ein Verständnis als Werkzeug, das unter Umständen auch in der Lage ist Policy-Making Prozesse zu beeinflussen, wäre allerdings aus Sicht der Regionalentwicklung ein geeignetes Mittel, um Menschen und Politik näher zusammenzubringen, was ja auch ein erklärtes langfristiges Ziel der Europäischen Union ist.

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7. Quellen- und Literaturverzeichnis

7.1. Abbildungsverzeichnis Abbildung 1– Bevölkerungsentwicklung auf Gemeindebasis 2003-2013 ________________ 5

Abbildung 2– Regionalförderungsgebiete 2014-2020 ______________________________ 5

Abbildung 3 – Bevölkerungsentwicklung in Stetteldorf am Wagram im Vergleich zu

Niederösterreich und Korneuburg (Datenquelle – Statistik Austria) eigene Darstellung ___ 23

Abbildung 4 – Bevölkerungspyramide Stetteldorf am Wagram 2011 – (Datenquelle Statistik

Austria) eigene Darstellung _________________________________________________ 24

7.2. Literaturangaben Becker, Karl (2010). Regionalmanagement Österreich - Einheit in der Vielfalt. Vorstellung der Regionalmanagementstrukturen. Vortragsunterlagen. Ohne Ort. Dillinger, Andreas (2014). Vom Pionierinstrument zur Strategie – und dann? Dissertaion. Wien. Doehler-Behzadi, Martha et al. (2005). Planloses Schrumpfen? Steuerungskonzepte für widersprüchliche Stadtentwicklungen. The Planning Review. Seite 71-75 Eizaguirre, S. et al. (2012). Multilevel-Governance and Social Cohesion: bringing back conflict in citizenship practices. In: Urban Studies, 49. Faßmann, Heinz (2010). Orientierungspapier „Bevölkerung und Gesellschaft“. ÖREK 2011, AGII ÖROK 2004: ÖROK-Prognosen 2001-2031 Teil 1: Bevölkerung und Arbeitskräfte nach Regionen und Bezirken Österreichs. Wien: Seite 40-55 Gerhardter, Gabriele u. Gruber, Markus (2001). Evaluierung der Förderungen des Bundeskanzleramtes für eigenständige Regionalentwicklung. In: Schriften zur Regionalpolitik und Raumordnung Nr. 32

Howaldt, J., & Jacobsen, H. (2010). Soziale Innovation. Auf dem Weg zu einem postindustriellen Innovationsparadigma. Wiesbaden.

Kolland, Franz (2009). Länger leben: nicht nur eine Erfolgsgeschichte. In: RAUM 74/09. ARL: 22-27

Moulaert, F. (Ed.). (2013). The International Handbook on Social Innovation: Collective Action, Social Learning and Transdisciplinary Research. Edward Elgar

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Weber, Gerlind, & Höferl, Karl-Michael (2009). Schrumpfung als Aufgabe der Raumplanung-eine Annäherung aus österreichischer Sicht. Alles Metropole, Seite 121-129.

7.3. Sonstige Quellen Amt der Niederösterreichischen Landesregierung (2012) – Kleinräumige Mobilitätsangebote. Empfehlung für die praktische Umsetzung. St. Pölten Europäische Union (1995). Grünbuch zur Innovation. Ohne Ort. Österreichische Raumordnungskonferenz (2011): Österreichisches Raumordnungskonzept 2011. Wien Österreichische Raumordnungskonferenz (1990): Sechster Raumordnungsbericht, Wien STATISTIK AUSTRIA - Bevölkerungsprognose 2013. STATISTIK AUSTRIA - http://www.statistik.at/blickgem/blick1/g31228.pdf Vereinsstatuten SPA-MOBIL (2010) Website der Gemeinde Stetteldorf am Wagram: http://www.stetteldorf-wagram.at/galerie/seniorenfreundlichegemeinde2007/

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Website des SPA-Mobil: http://www.spa-mobil.stetteldorf-wagram.at/index.htm Website des ÖAR: www.oear.at