Sozialpsychiatrischer - · PDF fileImpressum Herausgeber: Stadt Dortmund, Gesundheitsamt V.i.S.d.P.: Dr. Annette Düsterhaus Redaktion: Dr. Thomas Lenders, Johanna Kuster, Ralf Bispinck,

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  • 2014

    Vermllung

    Wohnungsverwahrlosung

    und pathologisches Horten

    SozialpsychiatrischerDienst

    Wenn Wohnungenunbewohnbar werden

  • ImpressumHerausgeber: Stadt Dortmund, GesundheitsamtV.i.S.d.P.: Dr. Annette DsterhausRedaktion: Dr. Thomas Lenders, Johanna Kuster, Ralf Bispinck, Dr. Ulrike UllrichGestaltung, Satz und Produktion: Dortmund-Agentur 05/2014

  • Inhalt

    I. Einleitung

    II. Untersuchung von 186 Fllen des Sozialpsychiatrischen Dienstes Dortmund 2008 bis 2012 4

    1. Diagnosen 5

    2. Zugang/Meldung 6

    3. Geschlecht 7

    4. Alter 8

    5. Lebenssituation 8

    6. Bildung, Beruf, Einkommen 9

    7. Durchgefhrte Interventionen 11

    8. Vorherige Einbindung in das Hilfesystem 13

    9. Vorbekannt im SpD 13

    10. Hufigkeit von Wiederholungsvermllungen 14

    11. Hilfeannahmeverhalten 15

    12. Outcome 16

    III. Auswertung 18

    1. Suchtkrankheiten 18

    2. Psychosen 18

    3. Depressionen 19

    4. Pathologisches Horten/Messie-Syndrom 19

    IV. Zusammenfassung 21

    Dortmunder Vorschlag zum praktischen Vorgehen bei

    unbewohnbar gewordenen Wohnungen 22

    V. Anhang Alle erhobenen Daten 24

  • Wenn Wohnungen unbewohnbar werden

    I. Einleitung

    Mitarbeiter von Sozial- und Gesundheitsmtern stoen in ihrer Arbeit immer wieder auf desolate Wohnverhltnisse, die durch Verwahrlosung, Vermllung oder hortendes Verhalten entstanden sind. Die subjektiv empfundene Zunahme dieser Flle steht in Zusammenhang mit gesell-schaftlichen Vernderungen der letzten Jahrzehnte:

    1. Zunahme der Ein-Personen-Haushalte (Ein-Personen-haushalte in der Stadt Dortmund 1968: 68.501; 1987: 105.962; 2011: 139.647) und Zunahme der Wohnflche pro Person (1987: 33,88 qm; 2011: 40,55 qm).

    2. Juristische und konomische Mglichkeit der Tren-nung von Ehen und Familien mit daraus resultieren-den kleineren Haushalten.

    3. Zunahme individueller Freiheit und Abnahme sozialer Kontrolle. Die Unverletzlichkeit der Wohnung hat in der BRD Verfassungsrang.

    4. Materielle berflutung durch Druckerzeugnisse, kos-tenlose Mitnahmeangebote, Postwurfsendungen und Sonderangebote.

    5. Nach Auflsung der Grokrankenhuser und Enthos-pitalisierung wohnen auch chronisch psychisch Kranke in der Gemeinde und dort wie die Gesamtwohnbevl-kerung oft in Ein-Personen-Haushalten.

    Auch das Auftreten neuer psychischer Strungsbilder spielt eine Rolle. Das 1966 erstmals beschriebene und 1975 so benannte Diogenes-Syndrom beschreibt vorwie-gend ltere Patienten mit ausgeprgter Selbstvernachls-sigung, huslicher Vermllung, sozialem Rckzug und vehementer Ablehnung aller Hilfen. Die Erfahrungen in den Sozialpsychiatrischen Diensten Hamburgs und Berlins in den 70er Jahren veranlassten den deutschen Sozial- psychiater Peter Dettmering zur Beschreibung eines bis-her unbekannten Krankheitsbildes, das er Vermllungs-syndrom nannte. Er beschrieb Menschen aller Altersgrup-pen, die sozial isoliert in Wohnungen lebten, die durch gehortete Gegenstnde und/oder nicht entsorgten Mll bervoll und dadurch nicht mehr funktionsfhig waren. Charakteristischerweise diene das Horten als Entlastung von seelischen Problemen und bei Verlust der Sammel-gegenstnde komme es hufig zu Panikreaktionen. Die Selbsthilfebewegung der Betroffenen bezeichnet sich selbst als Messies (vom englischen Wort Mess = Unord-nung). Der erste, weltweites Aufsehen erregende Fall wa-ren die Brder Homer und Langley Collyer, die 1947 von der Polizei in ihrem New Yorker Haus tot aufgefunden wurden, umgeben von 180 Tonnen gesammelter Dinge.Schtzungen der Selbsthilfe gehen von 300.000 Betrof-fenen in der BRD aus, fr Dortmund wren das ca. 2.200 Betroffene. 2013 fand dieses neue, erst seit einigen Jahrzehnten exis-tierende Krankheitsbild Eingang in das offizielle

    psychiatrische Klassifikationssystem (DSM 5) der Ame-rican Psychiatric Association: Hoarding Disorder, zu Deutsch pathologisches Horten.

    Parallel zu der immer strker geschtzten Privatheit des Wohnens ist ein zunehmendes Interesse von Medien und ffentlichkeit zu verzeichnen. Dies reicht von voyeuristi-schen, effektheischerischen Darstellungen in Dokusoaps ber eine wachsende Selbsthilfeliteratur bis hin zu einer tiefgehenden belletristischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Ursachen. Im Folgenden stellen wir die Ergebnisse einer rckblickenden 5-Jahres-Untersuchung im Sozialpsychiatrischen Dienst Dortmund (SpD) vor und entwickeln einen alltagstauglichen Vor-schlag zum pragmatischen Vorgehen bei unbewohnbar gewordenen Wohnungen.

    II. Untersuchung von 186 Fllen des Sozialpsychiatrischen Dienstes Dortmund 2008 bis 2012

    Der Sozialpsychiatrische Dienst Dortmund arbeitet in drei Fachabteilungen: fr psychisch Kranke, fr alko-hol- und medikamentenabhngige Menschen sowie fr Drogenkranke. Die Sozialarbeiter aller drei Fachberei-che sahen die Akten der letzten fnf Jahre durch und identifizierten 186 Flle mit katastrophalen Wohnsitua-tionen. Darunter wurde verstanden, dass entweder die Wohnung durch die Menge nicht entsorgter Abflle oder gesammelter Gegenstnde nicht mehr in vollem Umfang nutzbar war, die Wohnung gar nicht mehr betreten wer-den konnte, die Wohnung eine Gefahr fr die Bewohner oder Dritte darstellte (statische berlastung, Brandge-fahr, etc.) oder die Wohnung eine erhebliche Beeintrch-tigung fr die Umgebung verursachte (Schdlingsbefall, Geruchsbelstigung, etc). Es erfolgte eine retrospektive Aktenanalyse und Datenerhebung: Erfasst wurden sozi-odemographische Daten, Zugangsweg zum Sozialpsychi-atrischen Dienst, vorherige Einbindung ins psychosoziale Hilfesystem, psychiatrische Diagnose, durchgefhrte Manahmen der sozialpsychiatrischen Arbeit, Hilfean-nahmeverhalten und Outcome. Die Ergebnisse werden nach den vier hufigsten Diagnosen differenziert darge-stellt.

    Im Folgenden stellen wir die wichtigsten Ergebnisse visualisiert vor und kommentieren sie kurz. Wenn sich in den vier Hauptdiagnosen (Suchtkrankheiten, Psychosen, Depressionen, pathologisches Horten/Messie-Syndrom) aufschlussreiche Unterschiede zeigten, werden diese ebenfalls dargestellt.Im Anhang sind die gesamten Ergebnisse unserer Erhe-bung tabellarisch dokumentiert.

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  • Wenn Wohnungen unbewohnbar werden

    Diagnostische Zuordnung (186 Klienten)

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    35

    40

    45

    F1 (41%)

    F2 (17%)

    F3 (14%)

    F63,8 (12%)

    F0 (6%)

    F60,5 (1%)

    F60 andere (6%)

    F70 (3%)

    F1 (41%) Suchtkrankheiten (Alkohol, Drogen) F2 (17%) Psychosen F3 (14%) Depressionen F63,8 (12%) path. Horten/Messie-Syndrom F0 (6%) Hirnorganische Strungen F60,5 (1%) Zwanghafte Persnlichkeitsstrung F60 andere (6%) andere Persnlichkeitsstrungen F7 (3%) Intelligenzminderung

    Es zeigt sich, dass katastrophale Wohnsituationen im Verlauf aller groen psychiatrischen Erkrankungsgruppen vorkommen. Das Fehlen der Diagnosegruppen F4 (neu-rotische Strungen) und F5 (Verhaltensaufflligkeiten mit krperlichen Faktoren) drfte auf Selektionseffekte zurckzufhren sein: Menschen mit diesen Strungen fin-den sich selten im Klientel sozialpsychiatrischer Dienste.85% der Flle entfallen auf vier Diagnosegruppen: Sucht-krankheiten, Psychosen, Depressionen und pathologi-sches Horten. Alle folgenden Ergebnisse werden deshalb auf Unterschiede zwischen diesen vier Hauptdiagnose-gruppen hin untersucht und ggfs. diagnosedifferenziert dargestellt.

    Erluterung: Die F-Nummern sind die Diagnosegruppen der International Classification of Diseases (ICD) der Krankheits-klassifikation der Weltgesundheitsorganisation.F1 steht fr die Suchtkrankheiten (Alkohol oder Drogen), F2 fr die Psychosen, F3 fr affektive Erkrankungen (hier Depressio-nen), F63.8 fr das pathologische Horten (oft Messie-Syndrom genannt). F0 umfasst organische Strungen wie Schlaganfall oder Demenz, F60.5 ist die zwanghafte Persnlichkeitsstrung whrend die Kategorie F60 andere alle brigen Persnlichkeits-strungen meint. F7 entspricht den geistigen Behinderungen.

    1. Diagnosen

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  • Wenn Wohnungen unbewohnbar werden

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    10

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    20

    25

    n=186

    2. Zugang/Meldung

    Zugangswege zum SpD Gesamtgruppe Vermieter (22%)

    Nachbar (10%)

    Angehriger (11%)

    Polizei (19%)

    Sozialamt (7%)

    Jobcenter (7%)

    Psychosoziale Einrichtungen (16%)

    selbst (8%)

    Weniger als 10% der Patienten wenden sich mit einem Hilfeersuchen selbst an den SpD, bei der groen Mehrheit werden Aufflligkeiten durch Dritte (Vermieter, Polizei,

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    n=77

    Zugangswege zum SpD Suchtkrankheiten

    Vermieter (25%) Nachbar (10%) Angehriger (5%) Polizei (22%) Sozialamt (6%) Jobcenter (6%) Psychosoziale Einrichtungen (17%) selbst (8%)

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    n=31

    Zugangswege zum SpD Psychosen

    Vermieter (13%) Nachbar (13%) Angehriger (13%) Polizei (26%) Sozialamt (10%) Jobcenter (3%) Psychosoziale Einrichtungen (13%) selbst (10%)

    Angehrige, Nachbarn, andere psychosoziale Institutio-nen) gemeldet.

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  • Wenn Wohnungen unbewohnbar werden

    Aufflligster Unterschied ist der hhere Anteil von An-gehrigen depressiver Patienten, die sich an den Sozial-psychiatrischen Dienst wenden. Wir interpretieren diesen Befund dahingehend, dass Menschen mit Depressionen noch ber mehr familire Kontakte verfgen als die

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    n=26

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    n=23

    Zugangswege zum SpD Depressionen

    Vermieter (15%) Nachbar (11%) Angehriger (30%) Polizei (8%) Sozialamt (8%) Jobcenter (8%) Psychosoziale Einrichtungen (15%) selbst (4%)

    Zugangswege zum SpD Messiegruppe