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Arbeitsberichte der Forschungsgruppe „Verbreitung und Wirkung technischer
und infrastruktureller Innovationen“
Nr. 1
Stefan Arni
Sozialwissenschaftliches Projektraster für den Umweltbereich.
Eine Anwendung ausgewählter Theorien um-weltrelevanten Verhaltens und Handelns
Seminararbeit im Rahmen der Veranstaltung: Theorien umweltverantwortlichen Verhaltens und Handelns Dr. Susanne Bruppacher (Betreuung) / Prof. Ruth Kaufmann-Hayoz Wintersemester 2002/03
Stefan Arni Juraweg 33 3110 Münsingen [email protected] 98-103-732
April 2003
Interfakultäre Koordinationsstelle für Allgemeine Ökologie (IKAÖ) Universität Bern
Die Arbeitsberichte der Forschungsgruppe Innovation erschei-nen in unregelmässiger Folge. © Das Copyright liegt bei den AutorInnen. Stand April 2003
Inhalt 1 Einleitung 1
2 Übersicht über den Ablauf des Projekts 3
3 Konzept und Rahmenbedingungen des Projekts 4 3.1 Geographische Reichweite 4
– Vorteile von Projekten auf „kleiner“ Ebene 4 – Vorteile von Projekten auf „grosser“ Ebene 4
3.2 Forschungsökonomie 5 4 Erklärungen zum Projektraster 7
4.1 Legende 7 4.2 Auswahl / Modifikation der Module 7 4.3 Erklärung zentraler Begriffe 8 4.4 Theoretische Ansätze 10
– Zielgruppen nach dem Lebensstilkonzept von Reusswig (1999) 10 – Typen von Verhalten und Verhaltensveränderungen nach Bruppacher (2002) 11 – Schätzung der Auswirkungen von Verhalten nach Gatersleben et al. (2002)
(Grundlage für die Methodologie) 12 – Die ipsative Theorie des Handelns 13
5 Phase 1: Erhebungen 14 5.1 Modul I: Problemdefinition und Operationalisierung 14
– Definition des relevanten impact-Bereichs bzw. der Bereiche 14 – Operationalisierung des impact und Definition von Teilprojekten 15 – Definition der relevanten Verhaltensweisen 17 – Zuerst Modul II oder Modul III? 20
5.2 Modul II: schriftliche Befragung 21 – Definition der Grundgesamtheit 22 – Fragebogenkonstruktion 22 – Auswertung 23 – Auswahl der Zielgruppen für Modul III 25
5.3 Modul III: Protokollierung und Interview 26 – Protokollierung 26 – Interview / Nachbefragung 27 – Auswahl der Zielgruppen und Verhaltensweisen für Phase 2 28
6 Phase 2: Massnahmenpaket 30 6.1 Modul IV: Investitionsorientierte Interventionsmassnahmen 31 6.2 Modul V: Gewohnheitsorientierte Interventionsmassnahmen 32 6.3 Modul VI: Lifestyleorientierte Interventionsmassnahmen 32
7 Phase 3: Evaluation 33 7.1 Modul VII: Nachbefragung 33 7.2 Modul VIII: Evaluation 33
– Zeitpunkt der Evaluation 34 – Methode 34
8 Diskussion 35
Literatur 38
Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
1 Einleitung Es mangelt nicht an Theorien und Modellen, die sich mit dem ökologischen Verhalten und
Handeln beschäftigen. Während man aber auf der einen Seite weiter nach Determinanten
Ausschau hält, um umweltrelevantes Verhalten zuverlässig vorauszusagen, oder die Ent-
scheidungsprozesse abzubilden versucht, die einer Handlung zugrunde liegen, müssen wir
auf der anderen Seite eine Synthese finden, durch die das Wissen auch in die Praxis ein-
fliessen kann. Sind die von der Wissenschaft bereitgestellten Theorien zu komplex und zahl-
reich – was in den Sozialwissenschaften durchaus üblich ist – können sie in Projekten nicht
ohne grossen Aufwand verarbeitet werden.
In dieser Arbeit entwerfe ich deshalb eine möglichst praxisnahe1 Anleitung für ein Untersu-
chungs- und Interventionsdesign, das die Komplexität insofern reduziert, als ich mich im we-
sentlichen auf wenige ausgewählte Theorien beschränke, die einander ergänzen, und ihre
Implikationen in einzelne Schritte innerhalb eines Projekts übersetze. Ein solches Projektras-
ter soll aber nun nicht nur theoretisch fundiert sein, sondern auch einen pragmatischen
Standpunkt einbeziehen. Dies bedeutet: Da das Budget, die personellen Ressourcen und
das Know-how bei jedem Projekt beschränkt verfügbar sind, muss das Raster für die Pla-
nung auch dann noch funktionieren, wenn wir aus diesen Gründen Kompromisse eingehen
müssen und einzelne Teile nicht oder vielleicht weniger umfassend durchführen können2 .
Das Ziel der Intervention ist es, bestimmte problematische Auswirkungen von menschlichem
Verhalten auf die Umwelt in einem bestimmten Umfeld zu senken. Das Projektraster besteht
aus verschiedenen Phasen, Modulen und Schritten, ist aber kein fixfertiges Projekt. Es ent-
hält v.a. die sozialwissenschaftlich-ökologischen Aspekte, die Projektierung (Finanzierung,
Arbeitsteilung etc.) und die konkrete Gestaltung des Projekts gehören hingegen zu den übli-
chen Aufgaben der Projektgruppe und werden hier nicht erläutert. Das Gewicht liegt klar bei
der Phase 1, den Voruntersuchungen und der Interventionsplanung. Sie dienen dazu, die
Massnahmen gezielt und damit effizient einzusetzen (bestmögliche Wirkung mit minimalem
Ressourceneinsatz). Die anderen beiden Phasen, die Umsetzung der Massnahmen und die
Evaluation, sind als Ausblick am Schluss angedeutet, damit das Konzept als Ganzes sicht-
bar wird.
1 „Praxisnah“ soll hier nicht heissen, dass ich eine sozialwissenschaftliche Fachsprache umgehe oder die Theorie besonders vereinfacht darstelle. Damit würden die theoretische Bezüge von der prakti-schen Handlungsanleitung stärker entkoppelt, was hier nicht die Absicht war. 2 Bspw. können wir nicht davon ausgehen, dass man in jedem Projekt einen Sozialwissenschaftler einbeziehen kann.
1
Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
Das beschriebene Vorgehen ist ein Maximaldesign, das sich den Möglichkeiten der Projekt-
gruppe anpassen lässt: Die Schritte und Module können allenfalls weggelassen oder durch
etwas weniger fundierte Entscheidungen ersetzt werden (z.B. ohne vorgängige Untersu-
chung oder einfach gestützt auf frühere Untersuchungen, die in einem anderen Umfeld statt-
gefunden haben). Die Erfolgschancen sollten auch so immer noch grösser sein als wenn
man die Massnahmen ganz ohne sozialwissenschaftliche Planung einführt.
2
Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
2 Übersicht über den Ablauf des Projekts
Phase 1 Erhebungen
Ziel Die relevanten Verhaltensweisen und Zielgruppen identifizieren.
Ansatz Schätzung der Auswirkungen von Verhalten nach Gatersleben et al. (2002)
Zielgruppen nach dem Lebensstilkonzept von Reusswig (1999)
Modul I Problemdefinition und Operationalisierung
Modul II Schriftliche Befragung
Modul III Protokollierung und Interview
Phase 2 Massnahmenpaket
Ziel Mit begrenzten Mitteln eine optimale Verringerung von Auswirkungen auf die
Umwelt erreichen (impact).
Ansatz Typen von Verhalten und Verhaltensveränderungen nach Bruppacher (2002)
Modul IV Investitionsorientierte Interventionsmassnahmen
Modul V Gewohnheitsorientierte Interventionsmassnahmen
Modul VI Lifestyleorientierte Interventionsmassnahmen
Phase 3 Evaluation
Ziel Verhältnis von Aufwand und Ertrag beurteilen.
Modul VII Nachbefragung
Modul VIII Evaluation
3
Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
3 Konzept und Rahmenbedingungen des Projekts 3.1 Geographische Reichweite
Auf welcher Ebene sollen wir unser Projekt ansiedeln? Im Quartier, in der Gemeinde, Regi-
on, im ganzen Land? Sowohl kleine wie auch grosse Projekte haben ihre Vorteile, die es
gegeneinander abzuwägen gilt. Eine Kombination aus Grossprojekt und kleinen Teilprojek-
ten bringt unter Umständen die optimale Lösung:
Vorteile von Projekten auf „kleiner“ Ebene
Das Projekt kann auf lokaler Ebene sozial besser eingebettet werden: Die Projektverantwort-
lichen kennen die Geschichte des Kollektivs (z.B. eines Quartiers) vielleicht schon und sind
deshalb mit spezifischen Einstellungen und Codes3 der Bevölkerung vertraut, die es in der
Massnahmenplanung zu berücksichtigen gilt. Die Untersuchung als Ganzes kann man aus-
serdem als Prozess begreifen, den das Kollektiv durchmacht, und der in ökologischer Hin-
sicht, aber auch in sozialer Hinsicht seine Wirkung zeigen kann: Das Kollektiv ist einfacher
an der ganzen Entwicklung zu beteiligen, gleichzeitig lässt sich bestehendes soziales Kapital
nutzen. Einige Arbeiten könnten sogar auf der Basis von Ehrenamtlichkeit ausgeführt wer-
den. Die Akzeptanz der Massnahmen dürfte grösser sein und die Adoption von Innovationen
schneller vor sich gehen, wenn nicht gerade bestehende Rivalitäten sich kontraproduktiv
auswirken, so z.B. wenn einige Leute gerade deshalb die Mitarbeit verweigern, weil be-
stimmte andere Leute an der Umsetzung des Projekts beteiligt sind oder bereits eine Neue-
rung adoptiert haben.
Diese sozialen Vorteile sind nicht zu unterschätzen und können bspw. wettmachen, wenn die
Befragungen methodisch nicht ganz korrekt durchgeführt werden.
Vorteile von Projekten auf „grosser“ Ebene
Die Vorteile liegen hier in der Effizienz, denn der Aufwand, eine Untersuchung zu planen, ist
bei einer grösseren Reichweite nicht sehr viel grösser, als wenn man sie „nur“ im Kleinen
durchführt. Da man gleichzeitig von einem grösseren Gesamtbudget ausgehen kann – mit
der Ausdehnung des Projekts nimmt auch die Anzahl potentieller Geldgeber zu –, bleiben so
entweder mehr Ressourcen für die Umsetzung der Massnahmen, oder die Projektleitung
kann professioneller arbeiten (z.B. Besetzung durch Fachleute). Die Reichweite steht natür-
lich auch für die Bedeutung eines Projekts und macht es leichter, mit Universität und kanto-
nalen / nationalen Behörden zusammen zu arbeiten.
3 „durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht vorgegebene Weise der Verwendung von Sprache“ (Duden, Deutsches Universalwörterbuch. Bibliographisches Institut Mannheim, Wien, Zürich, 1983. Stichwort: „Kode“).
4
Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
Angesichts dieser Aspekte wäre bspw. ein Zusammenschluss von mehreren Gemeinden
sinnvoll: Einerseits lohnt sich so der Aufwand für die Untersuchungen eher, andererseits
besteht auch die Vergleichsmöglichkeit zwischen Gemeinden, wo Massnahmen eingeführt
wurden, und Gemeinden, wo nur Befragungen stattgefunden haben (Experimental- und Kon-
trollbedingungen, vgl. Kap. 7.1 Modul VII: Nachbefragung). Die Interventionen könnten dann
dagegen auf Gemeinde- oder sogar Quartierebene eingeführt werden.
3.2 Forschungsökonomie
Wollen wir die beschränkten Mittel optimal einsetzen, müssen wir uns überlegen, wie viel
Geld wir in welche Aktivitäten investieren. Was damit gemeint ist, sollen die folgenden hypo-
thetischen Darstellungen zeigen:
hoch
0 Gesamtes investiertes Budget
Wirkung des Projekts
niedrig 0% 100% Anteil der Phase 1
(Erhebungen) am Budget
Abb. 1 Hypothetische Zusammenhänge zur Forschungsökonomie eines Projekts im Hinblick auf den Erfolg
(Linke Grafik) Damit das Projekt, das wir in einem bestimmten geographischen Gebiet an-
siedeln, dort eine breitere Wirkung entfalten kann, muss es schon eine bestimmte Grösse
haben. Andererseits gelangt man irgendwann an den Punkt, wo das Wirkungspotential aus-
geschöpft ist und nur noch mit relativ grossem Aufwand weitere Personen zu einer Verhal-
tensänderung oder Adoption bewogen werden. In diesem Fall fällt der Mitteleinsatz effizien-
ter aus, wenn wir entweder ein grösseres geographisches Gebiet abdecken oder den inhalt-
lichen Bereich des Projekts ausdehnen.4
4 Folgende Prämissen und Folgerungen liegen der linken Grafik zugrunde: Eine Zunahme der finanziellen Mittel hilft, das Projekt (1) entweder über eine längere Zeit aufrechtzu-erhalten, oder (2) mit einer höheren Intensität umzusetzen (z.B. eine Plakatkampagne zeitlich auszu-dehnen oder mehr Plakate in einer Stadt aufzuhängen). (1) Nicht alle Leute adoptieren eine Neuerung gleich schnell. Die Anzahl Adoptierer über den Zeitver-
lauf betrachtet (Diffusionskurve) lässt sich durch eine Normalverteilung ungefähr abbilden: Zu Be-ginn wenden sich nur wenige „Innovatoren“ der Neuerung zu, mit der Zeit dann immer mehr Leute, bevor die Kurve wieder absinkt und am Schluss noch einige wenige „Nachzügler“ folgen (vgl. Kot-
5
Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
(Rechte Grafik) Bei einem vorgegebenen Budget können wir die Effizienz steigern, wenn wir
einen Teil davon in Forschungsaktivitäten investieren, um dann die Massnahmen besser
ausrichten zu können (linker Bereich der Grafik). Allerdings lohnt es sich irgendwann nicht
mehr, noch mehr oder noch genauere Forschungsresultate zu generieren, weil die Erkennt-
nisse sich vielleicht gar nicht so differenziert in Massnahmen umsetzen lassen (rechter Be-
reich der Grafik; vgl. auch Hunecke 2001: 13). Dieser Budgetanteil würde dann einen grös-
seren Nutzen bringen, wenn wir ihn für die nachhaltige Einführung der Massnahmen ver-
wenden. Die Phasen 1 und 2 müssen also beide ihr optimales Gewicht erhalten.
Die kritischen Punkte lassen sich in der Praxis natürlich nicht im Voraus berechnen. Den-
noch kann es sich lohnen, wenn man sich dieser Zusammenhänge bei der Planung bewusst
ist. Zwischenevaluationen nach einzelnen Modulen können ausserdem Anzeichen liefern,
wie der Mitteleinsatz im weiteren Verlauf des Projekts am besten aussieht.
ler / Bliemel 1999: 557). Die kumulierte Form einer solchen Normalverteilung ergibt dabei eine S-Kurve wie oben dargestellt. Eine derartige Diffusionsstruktur ergibt sich aber nicht nur, weil ver-schiedene Leute verschieden innovationsfreudig sind, sondern auch, weil die Verbreitung von In-formationen über Kontakte (und somit das Wissen über ein Projekt) ebenfalls einer solchen Kurve folgt: Zu Beginn ist die Chance, dass Individuen z.B. von einer Nachricht erreicht werden, noch re-lativ klein. Je mehr Leute davon wissen, desto höher wird auch die Kontaktwahrscheinlichkeit und somit das Tempo der Ausbreitung. Mit der Zeit kennen aber bereits die meisten Leute die Nach-richt, so dass die Chance wieder kleiner wird, dass man noch Leute erreicht, die nichts davon wussten. Dieser Effekt der Eigendiffusion verstärkt dabei die gezielten, flächendeckenden Kom-munikationsmassnahmen wie das Verteilen von Informationsbroschüren.
(2) Die gleiche Logik dürfte gelten, wenn das Projekt nicht über eine längere Zeit ausgedehnt, dafür aber intensiver umgesetzt wird: Bei einigen Leuten wird es ausreichen, wenn wir nur wenig Geld in eine Informationskampagne stecken, damit sie eine Neuerung adoptieren, bei anderen braucht es aufwändigere Überzeugungsarbeit. Deshalb können wir analog zur Diffusionskurve über den zeit-lichen Verlauf auch hier von einer Diffusionskurve ausgehen, die ungefähr die Form einer Normal-verteilung hat.
In unserem Fall ist der Erfolg zwar nur aus der intent-orientierten Perspektive gleichzusetzen mit der Anzahl Adoptierern. Messen wir hingegen bei der Wirkung des Projekts die erreichte Differenz des impact, fallen selbstverständlich nicht alle Leute gleich stark ins Gewicht. Dennoch dürfte die Form der Kurve prinzipiell so erhalten bleiben.
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Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
4 Erklärungen zum Projektraster 4.1 Legende
Blauer Rahmen: Erläuterungen über den Zweck eines Moduls oder eines Schritts bzw.
ein zentraler Bezug zur Theorie
Weisser Lauftext: Erklärungen zum Vorgehen, Forschungsfragen
Grüner Rahmen: Hypothetisches Beispielprojekt „Mobilität“
Anhand dieses Projekts sollen die Schritte verdeutlicht werden. Darge-
stellt ist jeweils der Output eines Schrittes oder Moduls, nicht die Über-
legungen, die dazu geführt haben. Die Ausgangslage wird folgender-
massen angenommen: Eine Agglomerationsgemeinde mit hohem
Pendleranteil will mit gezielten Massnahmen die Belastung der Umwelt
durch den Verkehr nachhaltig senken. Neben dem Pendlerverkehr sol-
len auch der Freizeit- und Urlaubsverkehr überprüft werden – unab-
hängig davon, ob die Gemeinde die Auswirkungen selber zu spüren
bekommt (Stau in der Stosszeit, Autoabgase, Lärm) oder nicht (Fern-
reisen, Urlaubsverkehr).
4.2 Auswahl / Modifikation der Module
Die meisten Module können modifiziert, wenn nicht sogar weggelassen werden, sofern die
Rahmenbedingungen des Projekts dies verlangen oder sinnvoll erscheinen lassen. Die (For-
schungs-) Fragen zu Beginn eines Moduls zeigen in diesem Fall, welche Entscheidungen die
Projektgruppe trotzdem treffen sollte. Unter Umständen können die relevanten Informationen
auf eine weniger aufwändige Art beschafft werden, man stützt sich auf Daten von anderen
Studien, oder die Projektgruppe verlässt sich auf ihr Wissen. Der Entscheid zum Weglassen
oder Modifizieren sollte dabei mit Vorteilen zu rechtfertigen sein, wie sie in Kap. 3 beschrie-
ben werden.
7
Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
4.3 Erklärung zentraler Begriffe
impact Die Auswirkungen, die menschliches Verhalten auf die Umwelt hat. Im
konkreten Fall kann damit z.B. der Ressourcenverbrauch, der CO2-
Ausstoss, die Lärmbelastung, der Energieverbrauch, die Verschmut-
zung von Lebensräumen o.a. gemeint sein. Der impact ist v.a. dann
relevant, wenn es um die Identifizierung von Problemfeldern oder die
Evaluation von Veränderungen geht.
intent Die Absicht, eine bestimmte umweltrelevante Handlung auszuführen.
Der intent sind die Bemühungen einer Person, die Auswirkungen auf
die Umwelt zu verändern. Wie konsequent die Person im Alltag dann
handelt und wie gross die Auswirkungen (also der impact) tatsächlich
sind, wird damit nicht erfasst. Der intent kommt bspw. in Befragungen
zum Ausdruck und ist v.a. dann relevant, wenn es um die nachhaltige
Implementierung von Massnahmen geht, damit neben den objektiven
Voraussetzungen auch die längerfristige Bereitschaft zu umweltscho-
nendem Handeln gegeben ist (vgl. zu den Perspektiven von impact
und intent bspw. Stern 2000: 408).
Verhalten In der Psychologie ursprünglich „jede physische Aktivität eines leben-
den Organismus, die (im Ggs. zu psychischen Abläufen) grundsätzlich
von anderen Beobachtern (d.h. „objektiv“) feststellbar ist“, heute aber
auch Erlebnisprozesse (Denken, Wollen usw.) (Dorsch et al.
1991: 727). Verhalten muss nicht unbedingt bewusst ablaufen.
Mit Verhalten kann immer auch ein Nicht-Verhalten gemeint sein, und
in unserem Kontext kann auch der Besitz von Gütern ein Verhalten
sein.
Handeln In den meisten Definitionen wird Handeln als ein Spezialfall von Ver-
halten begriffen, der sich durch die Absicht und die Ausrichtung auf ein
Ziel auszeichnet (vgl. bspw. ebd.: 270 oder Burkart 2002: 23). Perso-
nen handeln demnach bewusst. Mit Handeln kann immer auch ein
Nicht-Handeln gemeint sein.
Operationalisierung Die Übersetzung eines theoretischen Begriffes in messbare Einheiten
Output Die fassbare Leistung eines bestimmten Systems (z.B. eines Indust-
riebetriebs, eines Staates, dieses Projektrasters, einer Arbeitsgruppe)
in Form eines Endergebnisses (z.B. Güter, Daten, Informationen). Ge-
gensatz zum Input, der in das System hineingegeben und schliesslich
zum Output verarbeitet wird.
8
Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
4.4 Theoretische Ansätze
An dieser Stelle soll ein Überblick über die für das Projektraster zentralen theoretischen Bei-
träge gegeben werden. Die entscheidenden Elemente sind dann aber auch an den entspre-
chenden Stellen kurz erläutert.
Zielgruppen nach dem Lebensstilkonzept von Reusswig (1999)
Das soziologische Lebensstilkonzept versucht, Ungleichheiten innerhalb der modernen Ge-
sellschaft zu beschreiben, nachdem klassische Modelle, die auf Kriterien wie Einkommen
oder Berufsstatus setzen, dazu immer weniger taugen:
„Lebensstile sind gruppenspezifische Formen der alltäglichen Lebensführung, -deutung, und -symbolisierung von Individuen im Rahmen von ökonomischer, politischer und kultureller Kontex-te. In ihnen sind die objektive Dimension sozialer Lagen mit der subjektiven Dimension von Men-talitäten und Wertvorstellungen verknüpft“ (Reusswig 1999: 53).
Jeder Lebensstil weist seine eigenen Verhaltensmuster und damit auch seine eigenen
Chancen und Hindernisse für Verhaltensänderungen auf. Einige Ressourcen und Restriktio-
nen erkennen die Akteure selber als solche, andere sind allerdings nur von aussen auszu-
machen und den Akteuren nicht oder noch nicht bewusst. Im Hinblick auf eine nachhaltige
Umweltentwicklung müssen wir deshalb nach solchen Lebensstilen differenzieren, um die
spezifischen Hindernisse zu beseitigen und die spezifischen Chancen jeder Zielgruppe zu
nutzen (ebd.: 60-61).
Reusswig stützt sich auf eine Unterscheidung von neun Lebensstilen. Der Vorteil an diesem
Konzept liegt darin, dass es Merkmale der sozialen Lage (Einkommen, Bildung etc.) mit
Merkmalen der subjektiven Lebenswelt (Wertvorstellungen, Freizeitgewohnheiten, Lebens-
ziele) kombiniert und nicht nur auf einen dieser Bereiche ausgerichtet ist wie andere Theo-
rien (ebd.: 56). Die verschiedenen Milieus charakterisiert Reusswig nun im Hinblick auf rele-
vante Merkmale, Barrieren für ökologisches Verhalten, mögliche Überwindungsstrategien
sowie den Anteil an der Gesamtbevölkerung, die ein Milieu ausmacht (ebd.: 61-65).
10
Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
Als Beispiele seien hier vier Milieus in einer Übersicht dargestellt5:
Milieu / Lebensstil
Sozialer Status Einstellungen und Verhalten
Werte
Konservativ-gehoben
• hohes Einkommen • fühlt sich als Elite • Qualität/Distinktion
• Tradition
Kleinbürgerlich • hohes/mittleres Einkommen
• eher geringere Bildung
• strukturkonservativ • Materialismus • Eigenheim/Vereine
• Leistung • Sparsamkeit • Ordnung/Sauberkeit
Aufstiegs-orientiert
• hohes/mittleres Einkommen
• Mainstream des modernen Konsumismus
• Orientierung an Trendsettern
• Erfolg/Leistung • Lebensgenuss
Hedonistisch • höhere Bildung • breite Spanne im
Sozialstatus
• Spontankonsum • Genussorientierung • Kreativität
• postmaterialistische Wertorientierungen
Tabelle 1 Charakteristika von vier ausgewählten Milieus nach Reusswig (1999: 56-57 und 61-64)
Typen von Verhalten und Verhaltensveränderungen nach Bruppacher (2002)
Im Rahmen einer qualitativen Studie kategorisiert Bruppacher (2002) die thematisierten Ver-
haltensweisen. Dabei stehen der Prozess, wie Personen sich Verhaltensweisen aneignen,
sowie die Vorbedingungen im Vordergrund, die für den Prozess von Veränderungen ent-
scheidend sind. Die einzelnen Typen zeichnen sich durch verschiedene Hindernisse und
Chancen im Hinblick auf Verhaltensänderungen aus (vgl. ebd.: 9-12):
Investment: Investitionen erfordern nur ein einmaliges Handeln, dafür aber eine
grosse Anstrengung (zeitlicher und finanzieller Aufwand, Aneignen von
Know-how, Informationen über Produkte etc.). Die ökologischen Konse-
quenzen sind der Person bei Investitionen meist bewusst. Für das eige-
ne Leben bzw. den Lebensstil hat eine Investition kaum Konsequenzen.
Ausnahmen bilden dabei grössere Investitionen (z.B. der Kauf eines Au-
tos), die einen grossen Aufwand erfordern oder für den Lebensstil einer
Person bedeutend sind (vgl. dritter Verhaltenstyp).
Routine / usage: Routinehandlungen zeichnen sich durch häufige Wiederholungen aus,
wobei die ökologischen Konsequenzen bei der Ausführung nicht reflek-
tiert werden. Verhaltensänderungen verlangen einen vorübergehend
grösseren Aufwand (Bekämpfen der alten Gewohnheit und Etablieren
einer neuen), die Konsequenzen für das eigene Leben sind insgesamt
aber auch hier gering. 5 Es handelt sich um jene, die in Kap. 5.2, Schritt „Auswertung“, im Beispielprojekt (S. 24, Abb. 4) er-wähnt werden.
11
Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
Lifestyle: Die Handlungen dieses Typs gehören zum Lebensstil der Person, d.h.
sie stehen in Zusammenhang mit wichtigen Zielen und der Identität der
Person. Sie werden häufig ausgeführt, während die Konsequenzen für
die Umwelt wenig bewusst sind. Eine Verhaltensänderung erfordert
grosse Anstrengung und einschneidende Konsequenzen für den Le-
bensstil.
(Vgl. Tabelle ebd.: 8)
Schätzung der Auswirkungen von Verhalten nach Gatersleben et al. (2002) (Grundlage für die Methodologie)
Gatersleben et al. (2002) diskutieren verschiedene Masse zur Erhebung des umweltrelevan-
ten Verhaltens. Herkömmliche Masse basieren auf dem selbstberichteten Verhalten der be-
fragten Personen. Wer dabei viele umweltbewusste Handlungen aufzählen oder bei vielen
der erfragten Verhaltensweisen positiv antworten kann, erhält einen hohen Wert des Um-
weltverhaltens. Dabei wird ausgeblendet, wie stark die einzelnen Verhaltensweisen ins Ge-
wicht fallen, wie gross die Auswirkungen (also der impact) tatsächlich sind. Oft stimmen
nämlich Umweltbewusstsein und impact nur schwach überein. Erhebungen nach einem Zäh-
lerstand (meter reading, z.B. bei Wasser, Strom etc.) bilden dagegen den tatsächlichen im-
pact objektiv ab, lassen aber wiederum keine Beziehung zwischen dem Verhalten und den
Auswirkungen zu (Welches Verhalten führt zu welchem impact?). Gatersleben et al. führen
dann eine Mischform dieser Methoden ein: Man erfragt die Verhaltensweisen, gewichtet sie
aber mit Durchschnittswerten des Energieverbrauchs, die ein bestimmtes Verhalten verur-
sacht bzw. ein bestimmtes Produkt zur Herstellung benötigt. Auf diese Weise lassen sich die
Nachteile der anderen Methoden weitgehend ausschalten (zu den Vorteilen der Methode vgl.
ebd.: 353-356).
12
Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
Die ipsative Theorie des Handelns6
Die ipsative Handlungstheorie bringt zum Ausdruck, dass ein Entscheidungsprozess immer
schon auf einer Vorselektion beruht: Eine Person zieht nämlich bereits vor der Entscheidung
nur einen Teil aller theoretisch möglichen Handlungsalternativen in Betracht, nämlich jene,
die für sie selber in ihrer aktuellen Situation in Frage kommen. Alle diese Alternativen bilden
für die Person den ipsativen Möglichkeitsraum. Der objektive oder reale Möglichkeitsraum
umfasst im Gegensatz dazu alle Alternativen, die innerhalb des sozialen und technologi-
schen Umfelds zur Erreichung eines Ziels denkbar sind. Der ipsative Möglichkeitsraum muss
sich dabei nicht unbedingt mit dem objektiven Möglichkeitsraum decken. So ist es bspw.
möglich, dass eine Person A zu wenig über die Möglichkeiten von Recycling oder Abfalltren-
nung in ihrer Gemeinde informiert ist und somit existierende Alternativen gar nicht wahr-
nimmt. Dagegen macht sich eine andere Person B vielleicht sehr wohl Gedanken zur Abfall-
trennung, allerdings sind in ihrer Gemeinde die objektiven Möglichkeiten in Form von Sam-
melstellen nicht gegeben.
Ob eine Alternative im ipsativen Möglichkeitsraum existiert, hängt von den Hindernissen ab,
die einer Wahl der Alternative im Wege stehen (z.B. zu kleines Haushaltsbudget, Nicht-
Wissen, technische Realisierbarkeit, Bequemlichkeit) bzw. vom Wissen der Person über die-
se Hindernisse. So werden Hindernisse vielleicht aufgrund von unvollständigem Wissen
über- oder unterschätzt. Ausserdem wird der ipsative Möglichkeitsraum oft strategisch ver-
kleinert oder vergrössert, z.B. wenn man verhindern will, ein Ziel zu verfehlen: Traut sich
eine Person nicht zu, ihren Abfall über längere Zeit konsequent zu trennen, taxiert sie diese
Alternative mit Verweis auf entsprechende Hindernisse als „unmöglich“ und entfernt sie da-
mit aus dem ipsativen Möglichkeitsraum (vgl. Bruppacher 2001: 55-57).
Für ein Projekt im Umweltbereich haben diese Erkenntnisse nun folgende Konsequenz: Eine
Handlungsalternative muss nicht nur objektiv verfügbar sein, um adoptiert zu werden, son-
dern auch in den ipsativen Möglichkeitsraum der Person eintreten, d.h. die Person muss
selber die Handlung als eine in ihrer Situation mögliche Alternative wahrnehmen. In einigen
Fällen kann es genügen, ein Nicht-Wissen oder Nicht-Erinnern zu beheben und eine Tatsa-
che ins Bewusstsein zu rufen. In anderen Fällen gilt es dagegen, gleichzeitig objektive Re-
striktionen zu beheben oder andere Hindernisse abzuschwächen.
6 Die ipsative Handlungstheorie wurde von Klaus Foppa und Bruno S. Frey entwickelt. Für die Anwen-dung im Umweltbereich vgl. Tanner (1998), für einen weiteren Überblick über die Theorie im Hinblick auf den Umweltbereich vgl. Bruppacher (2001: 55-57).
13
Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
5 Phase 1: Erhebungen 5.1 Modul I: Problemdefinition und Operationalisierung
Leitfragen:
• Welche Art(en) von Umweltbelastung wollen wir durch das Projekt senken und wie mes-
sen wir sie (Quantifizierung)?
• Welche Typen von Verhaltensweisen führen zu diesem impact und wie stark fallen sie ins
Gewicht (Gewichtung der Verhaltensweisen mit dem impact)?
Je nachdem wie gross der Spielraum der Projektgruppe bei der Definition ihrer Aufgabe ist,
sind die folgenden Schritte bereits vorgegeben oder müssen eben in diesem Modul geklärt
bzw. konkretisiert werden. Für alle Schritte des Moduls können sowohl eigene Erhebungen
oder Recherchen, aber auch die Beurteilungen von Experten wichtige Informationen als Ent-
scheidungsgrundlage liefern:
Definition des relevanten impact-Bereichs bzw. der Bereiche
Eine Gefahr bei umweltbezogenen Projekten besteht darin, dass man v.a. Themenbereiche
bearbeitet, die wir sofort mit umweltbewusstem Handeln in Verbindung bringen (z.B. Abfall-
trennung), und dabei andere Bereiche vernachlässigt, die für das Thema Umweltschutz we-
niger typisch sind, vielleicht aber weit gewichtigere Auswirkungen auf die Umwelt haben (z.B.
die Wohnungssituation; vgl. dazu Gatersleben et al. 2002: 350-351 und Diekmann / Jann
2000: 65-66). Andererseits kommen diese Auswirkungen natürlich in verschiedensten Aus-
prägungen vor und können so nicht quantitativ miteinander verglichen werden (z.B. Lärmbe-
lastung und CO2-Ausstoss). Ausserdem ist der Themenbereich, den eine Projektgruppe be-
arbeiten soll, meist schon auf bestimmte subjektiv relevante Aspekte eingegrenzt7. Dennoch
lohnt es sich, innerhalb dieser Grenzen hier ein möglichst breites Spektrum zu erhalten, um
dann im Verlauf der ersten Projektphase die relevantesten Bereiche herausfiltern zu können.
7 Da die Problemdefinition immer auch ein politischer Prozess ist, kommen die „subjektiv“ und lokal relevanten Probleme wegen der direkten Betroffenheit eher in ein Projekt als die „objektiv“ und global relevanten Probleme (z.B. wiederum CO2-Ausstoss vs. Verstopfung der Ortseinfahrt). Eine Chance liegt aber darin, beide Arten von Problemen im gleichen Projekt anzugehen.
14
Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
Aufgrund von statistischen Daten oder naturwissenschaftlichen Untersuchungen bezüglich
Umweltbelastungen8 lassen sich Bereiche mit vordringlichem Handlungsbedarf identifizieren.
An dieser Stelle sind im Entscheidungsprozess durchaus nicht nur quantitative Kriterien,
sondern gerade auch qualitative und subjektive Kriterien relevant. Welche Umweltbelastun-
gen wie stark gewichtet werden, ist letztlich eine politische Frage, die entweder vom Auftrag-
geber (z.B. der Gemeinde), allfälligen Geldgebern, von der Projektgruppe selber oder durch
ein partizipatives Verfahren beantwortet wird (vielleicht aufgrund von früheren Befragungen
und Interviews). Eine allzu enge Problemdefinition ist aber aus forschungsökonomischer
Sicht nicht sinnvoll, sonst ist die Zielgruppe und das Zielverhalten der Intervention vielleicht
aufs Ganze gesehen zu klein. Ein breites Blickfeld sichert ausserdem, dass nicht nur Verhal-
tensweisen mit ökologischem Image bearbeitet werden, sondern man vielleicht auch auf im-
pact-starke Bereiche mit tiefem ökologischem Image stösst.
Zielbereich: Das Projekt senkt in der Gemeinde die Umweltbelastungen durch den Ver-kehr, und zwar insbesondere den Ausstoss an Stickoxiden und die Überlastung der Orts-
durchfahrt im Feierabendverkehr.
Operationalisierung des impact und Definition von Teilprojekten
Die Umweltbelastungen müssen wir als nächstes in Zahlen ausdrücken können, um sie auf
einen gleichen Nenner zu bringen. Nur so lassen sich in einem späteren Modul die verschie-
denen Verhaltensweisen und Zielgruppen bezüglich des impact gegeneinander abwägen.
Die Berechnung des impact erfolgt dabei prinzipiell nach folgendem Muster:
= ∑ ( x ) impact Anzahl eines Gutes oder Häufigkeit eines Verhaltens
Ø impact (Schätzwert)
Abb. 2 Formel für die Berechnung des impact nach Gatersleben et al. (2002)
Beispiele für Operationalisierungen des impact sind: durchschnittlicher Energieverbrauch
(vgl. Gatersleben et al. 2002: 340-341), Erdöläquivalent, CO2-Ausstoss, Energie oder Kosten
für Herstellung und Entsorgung, oder auch Anzahl Ortsdurchfahrten pro Tag.
8 z.B. Daten zur Entwicklung des Wasserverbrauchs, Verkehrszählungen, Studie zu den Belastungen der Böden durch die Industrie, Einschätzung durch Experten, Vorbefragung in Form von Interviews (z.B. wie sie in Kap. 5.3 beschrieben sind).
15
Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
Es ist nicht unbedingt nötig, dass jede befragte Person diese impact-Zahlen für ihr Verhalten
direkt angeben kann oder dass man sie aufgrund eines Zählerstandes eruieren kann. Die
Zahlen müssen aber mindestens in allgemeiner Form verfügbar sein, d.h. wir müssen bspw.
wissen, wie viel CO2 ein Lastwagen auf einer bestimmten Strecke im Schnitt ausstösst, wo-
bei man die Zahlen für das Alter, die Marke und das Gewicht des Lastwagens noch differen-
zieren kann9.
Alle impact-Bereiche, die wir gemäss Problemdefinition miteinander vergleichen wollen,
müssen mit der gleichen Variable quantifizierbar sein. So lässt z.B. die Variable Benzin-
verbrauch einen Vergleich von Auto und Motorrad bezüglich der Umweltbelastung beim
Gebrauch zu. Will man dagegen den impact beim Verbrauch nicht auf eine bestimmte Res-
source (Benzin) beschränken und auch die Werte für die Produktion und den Unterhalt des
Fahrzeugs einbeziehen, ist eine Variable Energieverbrauch geeigneter (vgl. Gatersleben et
al. 2002: 340). Damit können wir die beiden Fahrzeuge auch mit dem Fahrrad oder dem
Elektromobil vergleichen. Die Durchschnittswerte, die wir hier verwenden, entsprechen im
konkreten Fall nicht genau der Realität, sind aber geeignet, als Schätzwerte verschiedene
Verhaltensweisen im Hinblick auf ihre Auswirkungen zu gewichten.
Ist es nicht möglich, eine einheitliche Operationalisierung zu finden, deren Zahlen auch mit
verhältnismässigem Aufwand verfügbar sind, können wir Teilprojekte bilden, wobei jedes
Teilprojekt eine andere, aber in sich einheitliche Operationalisierung des impact hat. Es lohnt
sich hier, alle Teilbereiche weiter zu verfolgen, die den abgesteckten Projektzielen entspre-
chen, da zumindest in der Phase der Erhebungen der Mehraufwand für Teilprojekte noch
vertretbar ist und eine Selektion am Schluss dieser Phase dafür fundierter ausfällt. Man wird
dann die wahrgenommene Relevanz von bestimmten Bereichen der Umweltproblematik bei
der Bevölkerung besser kennen und abschätzen können, wo Veränderungen akzeptiert wür-
den oder den Leuten sogar dringlich erscheinen. Evtl. macht es auch Sinn, aus allen Teilpro-
jekten die impact-stärksten Verhaltensweisen und Zielgruppen auszuwählen, v.a. wenn es
Synergien zwischen den verschiedenen Massnahmen gibt.
Falls objektive Zahlen auf Mesoebene verfügbar sind (z.B. Abwassermenge oder Strom-
verbrauch einer Gemeinde etc.), lassen sich die hochgerechneten Resultate der Erhebungen
mit diesen Zahlen vergleichen. Wir sehen dann, welcher Anteil am gesamten impact durch
die Untersuchung abgebildet wird (vgl. ebd)10.
9 Datenbanken mit solchen Zahlen könnten beim Bund oder der Universität angelegt werden, damit Projektgruppen mit geringem Rechercheaufwand darauf zurückgreifen können. 10 z.B. wenn wir den durchschnittlichen Verbrauch von Energie pro Person oder Haushalt (Zahl unse-rer Untersuchung) mit der Einwohnerzahl bzw. der Anzahl Haushalte der Gemeinde multiplizieren und das Resultat dann mit dem gesamten Energieverbrauch der Gemeinde vergleichen.
16
Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
Relevante Umweltbelastungen (ausgewählte impact-Variablen):
Teilprojekt 1: Ausstoss von Stickoxid
impact-Werte: Menge pro km für verschiedene Fahrzeugmarken und -modelle
(Zahlen über Hersteller erhältlich, können mit den gefahrenen km multipliziert
werden, um den impact einer Handlung zu errechnen.)
Teilprojekt 2: Anzahl Ortsdurchfahrten an Werktagen zwischen 16.00 und 18.00 Uhr
impact-Werte: Häufigkeit der Benützung der Ortsdurchfahrt mit einem Fahr-
zeug (Zahlen resultieren bei der Befragung direkt aus den Antworten).
Teilprojekt 3: Energieverbrauch
impact-Werte: Energieverbrauch in kWh für Produktion, Verbrauch und Unter-
halt für verschiedene Fahrzeugmarken und -modelle (Zahlen über Hersteller
erhältlich; der impact von Produktion und Unterhalt wird gewertet, wenn eine
Person ein solches Fahrzeug besitzt, der impact des Verbrauchs mit den ge-
fahrenen km multipliziert. Der Energieverbrauch für die Produktion kann auf-
grund des Energieverbrauchs von Produktionsbetrieben dividiert durch den
Output des Betriebes geschätzt werden.)
Definition der relevanten Verhaltensweisen
Einerseits tragen nicht alle relevanten Verhaltensweisen gleich stark zu einem impact bei,
andererseits führen Leute eine Tätigkeit unter verschiedensten Rahmenbedingungen und mit
verschiedensten Zielen aus. So hat z.B. die Tätigkeit „Autofahren“ in den beiden folgenden
Situationen völlig unterschiedliche Hintergründe:
– Eine Person fährt täglich mit dem Auto zur Arbeit, weil sie auf dem Land wohnt und ihre
Arbeit in der Stadt zu einer Zeit beginnen muss, zu der noch keine Busse fahren.
– Eine Familie, die in der Stadt wohnt, fährt mit dem Auto 2x pro Jahr in den Urlaub, da sie
sich die Bahn nicht leisten kann und ausserdem das ganze Gepäck besser verstauen
kann.
In diesem Schritt sollen deshalb alle verschiedenen impact-relevanten Verhaltensweisen
identifiziert und grob nach ihrem Zweck differenziert werden.
17
Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
Wir erstellen nun eine Liste mit Typen von Verhaltensweisen, die zum definierten impact
führen, und zwar nach folgenden Kriterien:
• Verhaltensweisen, die wir zu einem Typus zusammenfassen, haben einen ungefähr
gleich hohen impact, so dass man für jeden Typus einen impact-Schätzwert verwenden
kann (z.B. Benützung des Automobils, evtl. noch gewichtet nach Merkmalen wie Alter
oder Marke, die einen wesentlichen Einfluss auf den impact haben).
• Solche Typen lassen sich weiter unterteilen nach dem Zweck von Handlungen, da je
nach Zweck die Rahmenbedingungen, die Häufigkeit und die Motivation für eine Hand-
lung verschieden sein können und im Hinblick auf Interventionsmöglichkeiten eine ent-
scheidende Rolle spielen (z.B. Benützung des Automobils für den Arbeitsweg, den Ur-
laub oder für die Freizeit). Die objektiven Restriktionen für eine Verhaltensänderung (z.B.
Kosten für Anschaffung eines Neuwagens, Verbindungen des öffentlichen Verkehrs) oder
die Bedeutung, die Personen mit einer Handlung verbinden (z.B. Gewohnheit, Prestige),
verlangen unter Umständen unterschiedliche Massnahmen.
• Potentielle Substitute (Handlungen mit gleichem Zweck) können wir ebenfalls als Ty-
pen aufnehmen, auch wenn sie keinen impact aufweisen (z.B. Benützung des Fahrrades,
wenn der impact mit „Ausstoss von Stickoxiden“ definiert ist). Im Hinblick auf Verhaltens-
änderungen sind wir auch daran interessiert, die Bestimmungsfaktoren dieser Verhal-
tensweisen zu kennen. Sie müssen allerdings weniger differenziert werden (so spielt die
Marke des Fahrrades natürlich keine Rolle, der impact ist immer 0).
Damit sind auf unserer Liste alle im objektiven Möglichkeitsraum11 vorhandenen Verhaltens-
alternativen enthalten, die zu einem bestimmten Ziel führen. Mindestens eine davon wird
bezüglich des impacts als problematisch angesehen, die anderen sind potentielle Substitute.
Wie stark die Differenzierung ist, entscheidet sich wiederum nach dem Aufwand. Für kleinere
Projekte empfiehlt sich ein gröberes Raster als für grössere.
11 vgl. Tanner (1998) und Kap. 4.4, „Die ipsative Theorie des Handelns“
18
Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
Verhaltensweisen für Teilprojekt 3 impact „Energieverbrauch“
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5* 5 5 70** 0 20 3 30 30
Abb. 3 Differenzierung von Verhaltensweisen, die zu einem bestimmten impact führen und der Anteil, der pro Einheit (z.B. pro km) im Schnitt anfällt.12
Um verschiedene Verhaltensweisen vergleichen zu können, müssen wir einen einheitlichen Zeitraum wählen, auf den sich die Zahlen beziehen, und zwar so, dass sich alle Verhaltensweisen spätestens nach diesem Zeitraum zyklisch wiederholen.13 * Sind die Zahlen verbrauchsabhängig, so erfragen wir die gefahrenen Strecken, berechnen daraus
die Anzahl km und multiplizieren sie mit der impact-Zahl (hier: 5). Wollen wir die impact-Unterschiede von älteren und neueren Modellen vergleichen, brauchen wir mehrere impact-Zahlen für die gleiche Handlung (Höhe je nach Verbrauch des Modells).
** Bezieht sich das Verhalten auf den Besitz, d.h. wollen wir den impact erfassen, der durch Herstel-lung, Unterhalt und Entsorgung anfällt, müssen wir neben dem Modell auch die Nutzungsdauer be-rücksichtigen. Dies ist nicht ganz einfach, da die Nutzungsdauer des aktuellen Modells ja nicht be-kannt ist, d.h. man weiss noch nicht, wann die Person es zum nächsten Mal ersetzen wird. Man könnte aber bspw. die Nutzungsdauer des letzten Autos erfragen oder die Anzahl aller bis jetzt be-sessenen Autos und den gesamten Zeitraum („Seit wann oder in welchen Zeiträumen haben Sie ein Auto besessen? Wie viele verschiedene Autos haben sie in dieser Zeit besessen?“), um einen Schätzwert zu erhalten. Auf diese Weise können wir den impact der Variable „Besitz“ auf den glei-chen Zeitraum umrechnen, auf den sich die verbrauchsbezogenen Variablen beziehen. Falls wir davon ausgehen, dass die Nutzungsdauer von Person zu Person nur wenig variiert oder weniger ins Gewicht fällt (bspw. bei kleineren Haushaltgeräten), können wir auch eine einheitliche Zahl für den Besitz eines solchen Objekts vergeben.
12 Zahlen und Auswahl der Verhaltensweisen sind beliebig gewählt. 13 z.B. ein Jahr, wenn wir Variablen mit dem Zweck „Urlaub“ auf der Liste haben, da die meisten Leute 1-2 mal pro Jahr in den Urlaub fahren; beim „Arbeitsweg“ hingegen genügt eine Woche, evtl. ein Mo-nat, wobei es dort auch zu aufwändig wäre, grössere Zeiträume zu erfragen. Die Zahlen müssten hier dann auf ein Jahr hochgerechnet werden, damit sie mit den „Urlaubszahlen“ vergleichbar sind.
19
Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
Zuerst Modul II oder Modul III?
Im vorliegenden Projektraster folgt nun zuerst in Modul II eine quantitative Erhebung vor ei-
ner vorwiegend qualitativen in Modul III, obwohl in der methodologischen Diskussion die
Reihenfolge von qualitativer und quantitativer Erhebung meist gerade umgekehrt vorge-
schlagen wird14. Tatsächlich kann es unter Umständen auch hier Sinn machen, die beiden
Module umzukehren, also zuerst Modul III durchzuführen. Deshalb sollen hier einleitend bei-
de Möglichkeiten bezüglich ihrer Vor- und Nachteile vorgestellt werden15:
Zuerst Modul II, dann Modul III
Der Hauptvorteil liegt hier in der Forschungsökonomie: Mit Modul II identifizieren wir die Ziel-
gruppen und Verhaltensweisen, die den grössten impact und somit die höchste Relevanz
aufweisen. Damit können wir uns in Modul III auf bestimmte Zielgruppen und Verhaltensbe-
reiche beschränken, so dass wir weniger und kürzere Interviews durchführen können.
Dem hier beschriebenen Vorgehen liegen aber folgende, unter Umständen problematische
Prämissen zugrunde:
• Mit den standardisierten Fragen des Fragebogens erfassen wir die relevanten Merkmale,
in denen sich verschiedene Zielgruppen unterscheiden, und eines dieser Merkmale ist der
impact. Tatsächlich wissen wir aber erst nach der Befragung, ob die Variablen für eine
Clusterbildung geeignet sind. So sind wir vielleicht gar nicht in der Lage, nach Modul II
Zielgruppen zu benennen, oder müssen feststellen, dass wir zwar Zielgruppen finden, die-
se aber sehr heterogen bezüglich des impact sind und der impact damit gar kein spezifi-
sches Merkmal bestimmter Gruppen abbildet. In diesem Fall würde eine Auswahl weniger
Zielgruppen für den weiteren Projektverlauf schwer fallen.
• Eine Zielgruppe, die wir aufgrund von mehr oder weniger objektiven Merkmalen (z.B. Aus-
bildung, Verhalten, Einkommen etc.) identifiziert haben, ist auch im Hinblick auf subjektive
Hindernisse für Verhaltensänderungen homogen. Diese Annahme machen wir implizit,
wenn wir im Sinne der Forschungsökonomie in Modul III nur einzelne Vertreter der identifi-
zierten Zielgruppen befragen, um deren spezifische Hindernisse zu untersuchen. Auch
diese Annahme kann aber falsch sein.
Je grösser aber unser Vorwissen über allfällige Zielgruppen ist (z.B. aus früheren Untersu-
chungen oder aus der Theorie), desto eher können wir vielleicht vermeiden, dass sich die
Nachteile dieser beiden Annahmen ungünstig auf die Forschungsresultate auswirken.
14 Quantitativ bedeutet eine Erhebungsart, deren Ziel es ist, absolute Zahlen und Anteile von Merkma-len zu erfassen. Auch statistische Korrelationen (z.B. „je höher die Ausbildung, desto höher das Ein-kommen“) gehören zum quantitativen Bereich. Qualitativ sind dagegen Methoden, die Charakterisie-rungen und Typisierungen zum Ziel haben. Sie lassen ein differenzierteres Bild von Prozessen zu, die hinter Merkmalen stehen, allerdings wissen wir so noch nichts über die Verteilung innerhalb der Be-völkerung (zum Unterschied von quantitativen und qualitativen Methoden vgl. z.B. Diekmann 2001). 15 Zum Verständnis dieses Abschnitts vgl. auch die Abschnitte 5.2 und 5.3.
20
Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
Zuerst Modul III, dann Modul II Mit Modul III können wir eine Typenbildung systematischer und vollständiger vornehmen und
vermeiden eine mehr oder weniger willkürliche Katalogisierung. Diese Typenbildung hilft uns
dann in Modul II, den Fragebogen fundiert zu konstruieren und die richtigen Fragen zu stel-
len. Allerdings ist eine solche Typisierung methodisch relativ anspruchsvoll, soll sie nicht
einer gefühlsmässigen und damit wiederum willkürlichen Auswertung nach dem Gefühl des
Interviewers gleichkommen. Ausserdem schiesst man vielleicht gerade hier vom Standpunkt
der Forschungsökonomie über das Ziel hinaus (vgl. Kap. 3.2). Das Problem, dass sich der
impact unter Umständen nicht als wesentliches Merkmal der identifizierten Typen heraus
stellt, kennt auch die Abfolge Modul III – Modul II. Zusätzlich besteht hier die Gefahr, dass in
Modul III schon eine Typisierung vorgenommen wird, die vom impact unabhängig ist, obwohl
vielleicht eine andere Typisierung den impact integriert hätte.
Um die erwähnten Nachteile beider Modulabfolgen wettzumachen oder falls die Untersu-
chungen keine brauchbaren Resultate liefern, wäre ebenfalls ein Design nach dem Muster
Modul III – Modul II – Modul III oder evtl. umgekehrt Modul II – Modul III – Modul II denkbar.
So können wir mit den gewonnenen Erkenntnisse aus den Interviews (Modul III) den Frage-
bogen (Modul II) verbessern und umgekehrt aufgrund der Ergebnisse des Fragebogens die
Interviews gezielter durchführen. Ob man letztlich effizient zu guten Resultaten kommt (und
ob man also die richtige Modulreihenfolge gewählt hat), kann dabei durchaus auch Glücks-
sache sein.
5.2 Modul II: schriftliche Befragung
Leitfragen:
• Welche Leute tragen durch welche Verhaltensweisen wie stark zu einem bestimmten
Problem bei?
• Welchen Anteil an der Bevölkerung machen diese Gruppen aus?
In diesem Modul wählen wir Zielgruppen, die wir weiter verfolgen wollen, aufgrund ihrer Be-
teiligung am impact aus. Jeder Zielgruppe entspricht ein bestimmtes, möglichst genaues
Profil von Merkmalen, das innerhalb der Gruppe möglichst einheitlich ist, und sich von ande-
ren Zielgruppen möglichst deutlich unterscheidet. Wir können dann immer alle weiteren Mo-
dule auch nur für einzelne Gruppen durchzuspielen, mit der Option, zu einem späteren Zeit-
punkt auf andere Gruppen einzugehen. Ausserdem können die hier gewonnenen Daten da-
zu dienen, in einem späteren Projekt die Erhebung in diesem Modul praktisch auszulassen.
21
Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
Definition der Grundgesamtheit
In der Befragung wollen wir impact-relevante Zielgruppen identifizieren und deren Anteile an
der Bevölkerung schätzen. Wir müssen deshalb definieren, auf welches geographische Ge-
biet, oder allenfalls auf welche Personen und Einheiten innerhalb des Gebietes sich die Da-
ten beziehen sollen (z.B. Einzelpersonen, Industriebetriebe, Haushalte, Erwachsene, Ju-
gendliche etc.). Oft sind allerdings nicht nur die Einwohner eines abgrenzbaren Gebietes für
einen impact verantwortlich, sondern auch andere Leute mit unbestimmter Herkunft, gerade
beim Thema Mobilität: Neben den Einwohnern der eigenen Gemeinde benützen auch Leute
auf der Durchfahrt oder Pendler von auswärts die Dorfstrasse. Diese Tatsache macht gerade
für das Modul II eine Zusammenarbeit mit Projektgruppen aus der Region sehr sinnvoll. Man
könnte allenfalls versuchen, die Leute im Moment der „impact-Verursachung“ zu befragen
und die Grundgesamtheit so zu definieren. Allerdings dürfte die Akzeptanz der Befragung in
einer solchen Situation sehr gering sein, da sich die Befragten angeklagt fühlen könnten.
Ausserdem vernachlässigen wir auf diese Weise Personen, die keinen impact verursachen,
obwohl es im Hinblick auf die Substitution der Handlung nützlich sein kann, gerade auch
deren Merkmalsprofil zu kennen.
Grundgesamtheit
Alle Einzelpersonen in 6 Gemeinden der Agglomeration (in Zusammenarbeit mit Projekt-
gruppen der anderen Gemeinden)
Fragebogenkonstruktion
Die Durchführung einer standardisierten Befragung gehört zwar zum sozialwissenschaftli-
chen Know-how, soll hier aber nicht ausführlich diskutiert werden. Eine Einführung dazu bie-
tet bspw. Diekmann (2001). Entscheidend ist hier v.a., welche Variablen erfragt werden sol-
len. Im wesentlichen sind es Fragen aus vier Variablengruppen, die uns interessieren:
• impact-relevantes Verhalten: Wie oft führt der Befragte die in Modul I differenzierten
Verhaltensweisen und Handlungen aus?
• objektive Restriktionen: Welche Voraussetzungen gelten für das Handeln einer Person
und sind nicht wesentlich beeinflussbar? (z.B. Einkommen, Anzahl Kinder, Wohnort)
• Umweltbewusstsein / Werthaltungen: Welche Grundsätze und Werte verfolgt eine
Person im Leben? Welche Einstellungen hat sie im besonderen im Umweltbereich? Wel-
che Kriterien benutzt sie, wenn ein Zielkonflikt zwischen Umwelt und persönlichen Projek-
ten besteht?
22
Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
• Demographische Variablen: Alle allgemeinen Merkmale zur Person wie Geschlecht,
Alter, Ausbildung etc. Demographische Variablen sind immer auch objektive Restriktio-
nen, sie werden aber im Fragebogen gesondert behandelt (meist am Schluss).
Zusätzlich können wir hier auch die Meinung über die Umweltproblematik erfragen, um Be-
reiche zu identifizieren, wo die Probleme als dringlich angesehen werden und wo Interventi-
onen bzw. die Arbeit der Projektgruppe überhaupt auf Akzeptanz stossen.
Das Ziel ist es, bestimmte Typen und Merkmale in ihrer Häufigkeit zu erfassen. Zur Formulie-
rung der Fragen empfiehlt es sich, auf bestehende Fragebogen früherer Untersuchungen
zurückzugreifen16, und evtl. können sogar Daten aus einem Survey die Befragung ersetzen.
Insbesondere bei Umweltbewusstsein / Werthaltungen sind die Fragen ohne Vorlage eher
schwer zu formulieren, da man hier relativ komplexe Konstrukte durch möglichst wenige
Fragen standardisiert erfasst. Allerdings sind diese Variablen in Modul II noch etwas weniger
wichtig als die anderen drei Variablengruppen. Die Werte können wir dann mit der Methode
in Modul III (Protokollierung und Interview) adäquater erfassen. Bereitet das Erstellen eines
Fragebogens Mühe, können wir ausserdem auch zuerst das Modul III durchführen, um Ideen
zur Strukturierung zu gewinnen (vgl. auch Kap. 5.1, „Zuerst Modul II oder Modul III?“).
Den Fragebogen schicken wir nun an alle Personen oder Einheiten der Grundgesamtheit
oder an eine Stichprobe daraus (per Zufall oder Quote ausgewählt).
Auswertung
Reusswig (1999: 60) weist darauf hin, dass die verschiedenen Lebensstile, die sich in der
modernen Gesellschaft herauskristallisieren, in einer ökologischen Politik differenziert wer-
den müssen. Für jeden Lebensstil gibt es nämlich spezifische Handlungshindernisse, die
man kennen muss, um abzuschätzen, „welches die spezifischen Ressourcen und Stärken
sind, an die man realistischerweise anschliessen könnte, um die Hindernisse und Blockaden
zu beseitigen“ (ebd.). Deshalb wollen wir nach den impact-relevanten Verhaltensweisen
auch die Personen und Institutionen differenzieren und ihnen gegenüber stellen.
Bei der Auswertung der Befragung sind statistische Kenntnisse nun zwingend, es sei denn,
die Grundgesamtheit sei sehr klein und überblickbar. Sie enthält grob zwei Schritte:
• Identifikation von Zielgruppen (Clusteranalyse): Eine Gruppe lässt sich im Idealfall
durch verschiedene Merkmale aller vier Variablengruppen charakterisieren, deren Aus-
prägungen innerhalb der Gruppe homogen ausfallen, sich aber gegenüber anderen
16 Auch solche Skalen aus Untersuchungen könnten von der Universität speziell für solche Projekte überarbeitet, selektiert und in praxisnaher Form bereitgestellt werden.
23
Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
Gruppen deutlich abgrenzen. Eine solche Clusterbildung ist natürlich nicht immer und nur
begrenzt möglich (z.B. wenn die Verhaltensweisen zu wenig differenziert oder allzu uni-
versell sind oder wenn die erhobenen Variablen ungeeignet sind, um die Unterschiede
zwischen verschiedenen Gruppen abzubilden). Dennoch kann man versuchen, eine An-
zahl von typischen Profilen im Hinblick auf Modul III zu erstellen.
• Repräsentation der Bevölkerung: Ein Vergleich mit vollständigen Daten innerhalb des
Gebietes (Volkszählung, Daten der Energieversorgung etc.) zeigt, welche Personen in
unserer Untersuchung über- oder unterrepräsentiert sind. Vielleicht neigen gerade Per-
sonen mit einem bestimmten Profil (z.B. höhere Bildung) eher dazu, den Fragebogen
auszufüllen, oder andere (z.B. mit tiefem Umweltbewusstsein), es nicht zu tun. Ausser-
dem können die Anteile einer Zielgruppe an der Bevölkerung so überprüft und evtl. korri-
giert werden.
Impact-relevantes Verhalten verschiedener Zielgruppen (Lebensstile)
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5 5 5 70 0 20 3 30 30
8%Konservativ-gehobenes Milieu 500 400 100 130 0 10 50 800 500
21%Kleinbürgerliches Milieu 200 350 120 80 0 15 50 600 200
25%Aufstiegsorientiertes Milieu 250 200 100 75 0 25 90 700 300
12%Hedonistisches Milieu 150 150 130 70 0 20 60 550 100
Abb. 4 Kreuztabelle der Variablen Verhaltensweisen und Lebensstilgruppen (Milieus) bezüg-lich des impact17
17 Die Zahlen sind völlig beliebig gewählt (Es sind keine Informationen aus den Verhältnissen der Zah-len ableitbar). Die Auswahl der Zielgruppen erfolgte hier nach einigen Kategorien von Reusswig (1999; vgl. Kap. 4.4), resultiert in einem Projekt aber aus der Auswertung in Modul II.
24
Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
Die Zahlen entsprechen dem durchschnittlichen impact, den ein Verhalten einer Zielgruppe
verursacht. Hervorgehoben sind jene Werte, die gewichtet mit dem Anteil der Zielgruppe an
der Bevölkerung (1. Spalte) den höchsten impact ergeben (je dunkler, desto höher der Wert).
Auswahl der Zielgruppen für Modul III
Im Modul III wollen wir Vertreter verschiedener Zielgruppen mündlich befragen, um Genaue-
res über die Hintergründe ihres Verhaltens zu erfahren. Aufgrund der quantitativen Daten,
die wir hier in Modul II gesammelt haben, entscheiden wir uns nun für die Zielgruppen, die
wir befragen wollen, und für die Verhaltensweisen, die wir thematisieren.
Ausgewählt werden in erster Priorität das „Kleinbürgerliche Milieu“ und das „Aufstiegsorien-
tierte Milieu“, in zweiter Priorität das „Konservativ-gehobene Milieu“. Die Thematisierung legt
Wert auf die Benützung von Automobil und Flugzeug, daneben erfragen wir Benützung von
Bahn und Fahrrad als Alternativen. Der Besitz von Fahrzeugen erscheint im Bezug auf den
in der entsprechenden Spalte dargestellten, indirekten18 impact nicht relevant. Als Determi-
nante für die Nutzung ist der Besitz allerdings sehr wohl relevant. Aus diesem Grund müssen
wir ihn im Hinblick auf die Nutzung des Fahrzeugs in Modul III trotzdem thematisieren (Zu
welchem Zweck besitzt man ein Auto? Welche Konsequenzen hatte die Anschaffung eines
Neuwagens im Hinblick auf Nutzung und impact? etc.).19
Die Tabelle von Abb. 4 kann uns in einer späteren Projektphase auch zeigen, wie gross das
impact-Veränderungspotential ist: Wir können bspw. ausrechnen, wie viele Autofahrten eine
Person pro Woche einsparen müsste, damit eine bestimmte impact-Reduktion eintritt. Oder
auch: Wann übersteigt die impact-Zunahme des Fahrzeugbesitzes die impact-Reduktion der
Nutzung, wenn eine Person öfter einen Neuwagen anschafft, der dafür aufgrund modernerer
Technologie einen tieferen Energieverbrauch hat?
18 Impact, der durch Herstellung, Unterhalt und allenfalls Entsorgung entsteht (vgl. Gatersleben et al 2002). 19 Wir müssen uns hier bewusst sein, dass die Liste von Verhaltensweisen, die den Spalten in Abb. 4 entspricht, nicht disjunkt ist: „Besitz eines Automobils (Herstellung / Unterhalt)“ und „Automobil für den Arbeitsweg“ können in einer Situation bspw. beide gleichzeitig zutreffen. Deshalb kann nun eine Vari-able zwar selber einen tiefen impact-Wert aufweisen, jedoch für eine andere, entscheidende Verhal-tens-Variable bestimmend sein und sich so indirekt auf den impact auswirken. Wenn wir also ausge-hend vom hohen Wert bei der Variable „Automobil für den Arbeitsweg“ nach den Bestimmungsfakto-ren dieser Variable suchen, taucht dort wiederum die Variable „Besitz“ auf, die zwar als eigenständige Variable ebenfalls in der Tabelle existiert, als solche aber weniger relevant ist. Das Fazit wäre also: Wer ein Auto nur besitzt, verursacht noch keinen hohen impact. Wer aber ein Auto besitzt, benützt es auch und wird so im Hinblick auf den impact relevant. Für jemanden, der keines besitzt, stellt sich dagegen die Frage nach der Nutzung gar nicht erst.
25
Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
5.3 Modul III: Protokollierung und Interview
Leitfragen:
• Welche Beweggründe und Einschränkungen stecken hinter dem Verhalten verschiedener
Zielgruppen (Barrieren, wahrgenommene Kosten, Gratifikationen, Zielkonflikte etc.)?
• Bei welchen Zielgruppen und Verhaltensweisen liegt das grösste objektive Verände-
rungspotential und wie gross sind die Chancen, dass sie allfällige Innovationen zur Sen-
kung des impact adoptieren (intent)?
In Modul III untersuchen wir eine kleinere Teilstichprobe, wobei aber Personen, die sich zur
Verfügung stellen, einen grösseren zeitlichen Aufwand haben als noch bei der schriftlichen
Befragung. Dies kann zur Folge haben, dass Personen einiger Milieus weniger Bereitschaft
zeigen, bei der Befragung mitzumachen, und diese Zielgruppen somit in unserer Stichprobe
nicht enthalten sind. Überrepräsentiert sind möglicherweise auch eher umweltbewusste Per-
sonen. In diesem Fall könnten wir durch Anreize versuchen, trotzdem an mehr Leute heran
zu kommen (bspw. indem ihr Arbeitgeber sich am Projekt beteiligt und die Person während
der Arbeitszeit für das Interview frei stellt).
Protokollierung
In einem ersten Schritt können wir typische Vertreter von Zielgruppen bitten, ihr Verhalten
über eine bestimmte Zeit hinweg zu protokollieren, bspw. in einer vorgedruckten Tabelle
festzuhalten, welches Verkehrsmittel sie wann, von wo bis wo und zu welchem Zweck be-
nutzen (Mobilitätsprotokoll). Aufgrund solcher Protokolle sehen wir das Verhalten nicht nur
als Durchschnittszahl, sondern können auch nähere Angaben über Zeitpunkt und Zweck
machen. Diese Form der Erhebung ist zwar stark reaktiv, d.h. Personen könnten sich anders
verhalten als sonst, weil sie von dieser Untersuchung wissen, oder sozial erwünscht proto-
kollieren. Wir werten aber die Protokolle nicht isoliert aus. Sie sind v.a. die Grundlage für das
anschliessende Interview und stellen sicher, dass die Person vorgängig einige Erfahrungen
mit dem Thema und ihren eigenen Gewohnheiten sammelt, um sich dann selber Gedanken
darüber zu machen. Deshalb sollte sich der Nachteil der Reaktivität nicht allzu negativ aus-
wirken.
26
Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
Interview / Nachbefragung
Die anschliessende Nachbefragung im persönlichen Interview können wir folgendermassen
nutzen:
• Wir fragen konkret nach den Gründen für bestimmte Entscheidungen für Handlungen, die
aus dem Protokoll hervorgehen.
Fragen: Warum wurde zu diesem Zeitpunkt gerade dieses Verkehrsmittel benutzt? Wann
wird ein anderes benutzt? Wer entscheidet im Haushalt über bestimmte Handlungen?
Wer führt sie aus? Warum wurden Alternativen nicht ausgeführt (vgl. dazu auch Reuss-
wig 1999: 60)?
• Wir konfrontieren die Person mit einem relativ offenen Thema und überlassen es ihr, was
sie thematisiert und was nicht. Wir stellen so wenig Fragen wie möglich.
Fragen für die Auswertung: In welchen Teilbereichen handelt sie relativ bewusst? Was ist
ihr wichtig? Welche Bereiche kommen ihr dagegen gar nicht in den Sinn bzw. blendet sie
bewusst aus (wird v.a. deutlich, wenn wir verschiedene Interviews vergleichen)?
• Wir diskutieren mit ihr über potentielle regulative Massnahmen oder technische Lösun-
gen, über Vorteile und Probleme und über deren Akzeptanz bei „den Leuten“20. Vielleicht
entwickelt sie selber auch Vorschläge für Veränderungen. Nützlich kann es sein, wenn
wir im Gespräch die möglichen Einsparungen zu fassen versuchen. Wir können die Si-
tuation schon von Anfang an als Zusammenarbeit mit der Person und nicht als blosse
Befragung aufgleisen oder sogar mehrere Personen gleichzeitig als Focus-Gruppe an
diesen Fragen arbeiten lassen. Auf diese Weise würde bspw. gerade der ipsative Mög-
lichkeitsraum bei den Beteiligten erweitert (vgl. zum ipsativen Möglichkeitsraum Tanner
1998 und Kap. 4.4).
Fragen: Welche Kosten und Nutzen nimmt die Person wahr bei tatsächlichem oder hypo-
thetischem Verhalten (z.B. bei Alternativvarianten)? Welche Veränderungen sind über-
haupt möglich?
• Wir geben ein Feedback, wo die Person mit bereits bestehenden Möglichkeiten Geld und
Ressourcen sparen kann, d.h. mit einer Verhaltensänderung oder einer Investition neben
dem Umweltschutz noch eine andere Gratifikation erlangen kann (vgl. dazu auch Gaters-
leben et al. 2002: 355).
Dies sind verschiedene mögliche Ansatzpunkte zur Auswahl, die wir aus zeitlichen Gründen
im Normalfall sicher nicht alle im gleichen Interview verwenden können.
20 Z.B. auch wie das Projekt wahrgenommen wird und was die Leute genervt hat etc.
27
Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
Die Interviews werden – sofern die Befragten damit einverstanden sind – auf Tonband auf-
genommen, damit man immer wieder auf den genauen Wortlaut zurückgreifen kann. Bei der
Auswertung versuchen wir, Verbindungen zwischen der sozialen Lage, die wir in Modul II
bestimmt haben, und den Entscheidungsprozessen zu beschreiben, die zur Wahl von be-
stimmten Handlungsalternativen geführt haben oder anders ausgedrückt: Wir ergänzen das
statische Bild der quantitativen Erhebung mit den prozessbezogenen Informationen der qua-
litativen Befragung. Dabei stossen wir vielleicht auch auf Merkmale, die in der quantitativen
Erhebung nicht vorgekommen sind21.
Bei dieser Form der Befragung ergeben sich v.a. Probleme der sozialen Erwünschtheit22.
Allerdings tritt dieser Effekt in den Hintergrund, wenn wir nicht nur Fragen stellen, sondern
mit der Person zusammen arbeiten.
Die Auswertung nehmen im Idealfall mehrere Personen unabhängig voneinander vor, damit
man sieht, ob die Interpretation ungefähr gleich ausfällt. Die Durchführung eines offenen
Interviews kann hier ebenfalls nicht ausführlicher wiedergegeben werden. Es existiert aber
eine breite Literatur zu den Themen der qualitativen Sozialforschung und Inhaltsanalyse
(z.B. zur qualitativen Sozialforschung allgemein Flick 1995 und Mayring 1995, grundlegend
zur objektiven Hermeneutik Oevermann 2002, methodisch Wernet 2000).
Auswahl der Zielgruppen und Verhaltensweisen für Phase 2
Nachdem wir in Modul II die impact-stärksten Zielgruppen und Verhaltensweisen identifiziert
haben, versuchen wir nun im Rahmen von Modul III, die absolute Höhe des impact mit dem
Veränderungspotential zu vergleichen. Denn bei den impact-stärksten Zielgruppen oder Ver-
haltensweisen lässt sich vielleicht gar nichts oder nur wenig verändern: Nehmen wir an, eine
Personengruppe A wird als intensivste Nutzer des Autos identifiziert, die Angehörigen dieser
Gruppe können ihr Verhalten aber nicht substituieren, ohne dabei erheblich Zeit und Geld zu
verlieren oder haben ganz einfach wenig Verständnis für Umweltfragen. Daneben ist eine
andere Gruppe B zwar für einen tieferen impact verantwortlich, besitzt aber gute Substituti-
onsmöglichkeiten. Die Erfolgsaussichten sind (zumindest kurzfristig) in diesem Fall grösser,
wenn wir die Intervention auf die Gruppe B ausrichten. Allerdings: Das Problem des hohen
impact bei A bleibt, auch wenn bei der Gruppe das Veränderungspotential erst einmal gering
erscheint. Wenn andere Gruppen dann ihren impact zusätzlich senken, wird die Kluft noch
grösser. Gruppe A dürfen wir also nicht ausklammern, müssen aber zumindest einen ande- 21 Ein offenes Interview muss allerdings nicht zwingend qualitativ ausgewertet werden. Wir können bspw. auch nach zählbaren Indikatoren suchen, die helfen, unsere Leitfragen zu beantworten (z.B. erwähnte Gründe kategorisieren und nach ihrer Priorität im Gespräch gewichten, Verwendung be-stimmter Wörter zählen, Pausen / Zögern etc.). 22 Die Person berichtet über ihr Verhalten vielleicht nicht so wie es ist, sondern eher so wie es aus ökologischer Perspektive sein sollte.
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Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
ren Interventionsansatz gebrauchen. Das Veränderungspotential können wir ohnehin immer
nur im Zusammenhang mit konkreten Interventionsmöglichkeiten beurteilen23. So verlangt
die Bearbeitung von Zielgruppe A vielleicht nach einer völlig anderen Innovation, oder der
Erfolg ist einfach erst längerfristig spürbar.
Nicht nur der gegenwärtige impact und das gegenwärtige Veränderungspotential spielen
eine Rolle, wenn wir die Schwerpunkte für die Interventionen festlegen. Im Hinblick auf den
zukünftigen impact, den zukünftigen intent bei anderen Umweltfragen und die Diffusion in-
nerhalb von Teilen der Gesellschaft können wir folgende Personen oder Zielgruppen bevor-
zugen:
– Junge Personen: Ihr impact und ihr Einfluss auf kommende Generationen wird noch am
längsten wirken.
– Leute, die über Erziehung Einfluss ausüben (Eltern, Lehrer, Jugendarbeitende, etc.).
– Leute, die eine opinion leadership-Position einnehmen können bzw. als Vorbild wirken
(in formellen Positionen z.B. als Manager, Vereinsverantwortliche, Politiker, etc. oder in-
formell z.B. in peer-groups).
23 Deshalb gehen auch der Schluss von Phase 1 und der Anfang von Phase 2 fliessend ineinander über.
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Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
6 Phase 2: Massnahmenpaket Ziel des Massnahmenpakets: Die Planung und Umsetzung von gezielten Interventionsmass-
nahmen zur Senkung des impact mit möglichst effizientem Mitteleinsatz (auf bestimmte Ziel-
gruppen und Verhaltensweisen ausgerichtet).
Aufgrund der Erhebungen in Phase 1 kennen wir nun den impact (v.a. Modul II) und den
intent (v.a. Modul III) von verschiedenen Zielgruppen. Diese beiden Konstrukte müssen wir
zuerst einmal als unabhängige Dimensionen betrachten, denn die Korrelation zwischen Ein-
stellungen und Verhalten ist oft nicht besonders hoch: Einerseits verhalten sich umweltbe-
wusste Personen manchmal umweltschädlich, weil sie sich des impact nicht bewusst sind,
weil objektive Restriktionen sie dazu zwingen oder weil ein persönliches Projekt über das
Ziel der Umweltverträglichkeit gestellt wird. Andererseits verhalten sich wenig umweltbe-
wusste Personen z.T. unabsichtlich umweltverträglich, weil ihnen objektive Restriktionen
keine andere Wahl lassen (wenn ihnen z.B. das Geld für eine Fernreise fehlt). Hinsichtlich
des Interventionserfolgs müssen wir bei allen Zielgruppen beide Dimensionen vergleichen
(vgl. wiederum Stern 2000: 408).
Danach können wir entscheiden, in welchem Typus von Verhaltensveränderungen nach
Bruppacher (2002) es Möglichkeiten (bestehende Alternativen oder Innovationen) gibt, die
von der Zielgruppe mit hoher Wahrscheinlichkeit adoptiert würden, weil keine objektiven Re-
striktionen sie daran hindern und die persönlichen Einstellungen damit in Einklang stehen.
Dabei ist es auch denkbar, dass ein bestimmtes Verhalten oder eine Massnahme für ver-
schiedene Zielgruppen zu unterschiedlichen Typen oder zu mehreren Typen gleichzeitig
gehört.
Ideale Massnahmen...
– ...liegen für die Zielgruppe im objektiv möglichen Bereich (finanziell erschwinglich, mit
akzeptablem Zeitaufwand).
– ...können zwar Belohnungen enthalten, dürfen aber dabei nicht zu einem Effekt der
übermässigen Rechtfertigung führen24. Ausserdem besteht bei Belohnungen generell die
Gefahr, dass die Wirkung nachlässt, wenn die Belohnung wegfällt.
– ...kompensieren Verzicht mit anderweitigen Gratifikationen, z.B. mit sozialem Kontakt bei
einem System von Mitfahrgelegenheiten.
24 Auch „Korrumpierungseffekt“: Personen, die dem Verhalten eigentlich positiv gegenüberstanden, verlieren ihre positive Einstellung, weil nun die Belohnung die ideelle Motivation verdrängt.
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Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
– ...beziehen die Leute bei der Einführung so ein, dass die Adoption zu ihrem persönlichen
Projekt wird, lassen evtl. Freiheitsgrade in der individuellen Ausgestaltung.
– ...berücksichtigen Besonderheiten von Zielgruppen, aber auch Besonderheiten in den
Adoptionsgewohnheiten (Frühe Adoptierer verhalten sich vielleicht anders als Leute, die
erst später bei einer Neuerung mitziehen)25.
Die folgenden drei Module sind hier sehr kurz gehalten, da sie im wesentlichen auf den Bei-
trag von Bruppacher (2002) zurückgreifen, den man zur Vertiefung heranziehen kann.
6.1 Modul IV: Investitionsorientierte Interventionsmassnahmen
Investitionen sind alle einmaligen, aber zeitlich und / oder finanziell relativ aufwändigen
Massnahmen (z.B. Kauf oder Einbau eines technischen Hilfsmittels oder Produkts, Kurse
etc.). Eine Wiederholung der Investition ist dann nötig, wenn das Produkt ersetzt werden
muss, die Technologie veraltet ist oder sich eine Auffrischung des Know-hows aufdrängt.
Potentielle Hindernisse:
– Die Investition ist unerschwinglich für das Budget bzw. der Betrag kann nicht auf einmal
bezahlt werden.
– Die Investition erscheint zu teuer oder zu zeitintensiv im Verhältnis zum wahrgenomme-
nen Nutzen.
Abgesehen von den Wiederholungen, die sich von Zeit zu Zeit aufdrängen (s. oben), gibt es
hier im Bezug auf die Nachhaltigkeit kaum Probleme, da der Erfolg der Investition nur zu
einem kleinen Teil durch das alltägliche Verhalten des Menschen bestimmt wird, sondern in
erster Linie unabhängig davon seine Wirkung entfaltet26. Wird bspw. das Haus besser iso-
liert, senkt sich der impact unabhängig davon, ob die Bewohner es schaffen, ein bestimmtes
Verhalten längerfristig zu ändern.
25 Vgl. Kotler / Bliemel (1999: 556-557): Personen unterscheiden sich hinsichtlich der Zeit, die vergeht, bis sie eine Neuerung adoptieren: Man spricht von den Innovatoren als kleinste und erste Gruppe, gefolgt von den Frühadoptierern, der frühen und späten Mehrheit und schliesslich den Nachzüglern. Auch die Voraussetzungen unterscheiden sich zu Beginn der Projektumsetzung von jenen im weiteren Verlauf: Eine (zumindest in diesem Umfeld) noch wenig erprobte Neuerung muss zuerst den Gege-benheiten angepasst werden, bevor dann die Ausgestaltung der Massnahme immer konkreter und standardisierter wird. So erarbeiten wir bspw. zuerst mit einigen wenigen „Innovatoren“ die Integration einer Massnahme in das soziale und technische Umfeld der Person. Wenn sich später dann immer mehr Leute beteiligen, steht die Massnahme bereits als erprobtes Gesamtprodukt zur Verfügung, so dass wir einzelne Fälle mit immer weniger Aufwand erledigen können. Die sog. „Mehrheit“ will viel-leicht im Unterschied zu Innovatoren und Frühadoptierern auch nicht so viel Zeit investieren, um die Massnahme auf ihre Verhältnisse anzupassen und dabei noch helfen, sie zu verbessern, sondern mit möglichst wenig Aufwand eine Lösung einführen, die sich bei anderen Leuten schon bewährt hat und denen sie im Adoptionsprozess nun folgen. 26 Lediglich die richtige Nutzung bspw. eines Gerätes ist entscheidend für die optimale Wirkung, oder anders ausgedrückt: Das Verhalten des Menschen ist nur so weit relevant, wie die Innovation auch den zweiten Verhaltenstyp betrifft, nämlich die Routinen, die es im Zusammenhang mit der Investition zu etablieren gilt.
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Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
6.2 Modul V: Gewohnheitsorientierte Interventionsmassnahmen
Eine Gewohnheitsänderung kann auch im Zusammenhang mit den anderen Typen auftreten
(die Handhabung eines neuen Gerätes erfordert bspw. ein Umstellen der Gewohnheiten). In
diesem Modul stehen aber jene Massnahmen im Zentrum, wo eine Gewohnheit ohne weitere
Konsequenzen verändert wird: Es fällt keine grössere Investition an, und es gibt auch keine
Einschränkungen, die sich nur schwer mit dem Lebensstil und den eigenen Werten vertra-
gen. Die Person muss sich lediglich ein unbewusstes Verhalten bewusst machen und dann
aktiv steuern. Dies ist ein mentaler Aufwand, der aber wieder wegfällt, sobald die neue Ge-
wohnheit etabliert ist.
Das potentielle Hindernis:
– Der Aufwand erscheint zu gross im Verhältnis zum wahrgenommenen Nutzen.
Sobald die Person die neue Gewohnheit wieder unbewusst ausführt, ist das Nachhaltigkeits-
prinzip nicht sehr gefährdet. Allerdings kann der ganze Prozess umgekehrt werden, wenn sie
bei anderen Personen ihre ursprünglichen Gewohnheiten beobachtet und diese vielleicht
rückblickend als angenehmer wahrnimmt.
6.3 Modul VI: Lifestyleorientierte Interventionsmassnahmen
Der Lifestyle ist der problematischste Typus im Hinblick auf die Interventionen (vgl. Bruppa-
cher 2002: 8). Je wichtiger eine Handlung für die Verwirklichung des Lebensstils ist, desto
eher wird ein Zielkonflikt zu Ungunsten des Umweltaspekts ausfallen. Massnahmen in die-
sem Bereich müssen versuchen, die neue Verhaltensweise als diesbezüglich gleichwertig zu
positionieren oder andere Gratifikationen im Zusammenhang mit dem Lifestyle zu generie-
ren.
Das potentielle Hindernis:
– Die Person will nicht auf bestimmte Handlungen verzichten, weil diese einen hohen Stel-
lenwert innerhalb ihrer persönlichen Projekte einnehmen.
Die Nachhaltigkeit ist bei lebensstilorientierten Massnahmen nur insofern gewährleistet, als
gewisse Ziele internalisiert werden und sich als Werte oder Gewohnheiten auf zukünftige
Generationen übertragen. Da aber gerade der Lebensstil mit dem Aufkommen von sozialen
Bewegungen und Trends verbunden ist und sich soziale Gruppen über ihre Abgrenzung ge-
genüber dem Rest der Gesellschaft definieren (z.B. auch beim Generationenkonflikt), ist die
Nachhaltigkeit auch dann nicht definitiv gesichert, wenn eine Zielgruppe die Verhaltensände-
rung mehr oder weniger vollständig adoptiert hat.
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Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
7 Phase 3: Evaluation 7.1 Modul VII: Nachbefragung
Für eine Nachbefragung können wir die Module II und III noch einmal wiederholen und die
Resultate mit jenen der Phase 1 vergleichen. Falls am Projekt bspw. andere Gemeinden
beteiligt sind, wo nur die Befragungen stattgefunden haben, aber keine Massnahmen einge-
führt wurden, so lässt dies zusätzlich Vergleiche analog einer Experimentalgruppe und Kon-
trollgruppe zu27. Auf diese Weise könnte man auch das Problem einer höheren Reaktivität
bei der zweiten Befragung kontrollieren, denn die erste Befragung hat die Leute vermutlich
noch zusätzlich sensibilisiert, welche Antworten im Sinne sozialer Erwünschtheit „richtig“
oder „falsch“ sind28. Dies ist natürlich v.a. aus Sicht der Forschung ein Problem, aus Sicht
des Projekts ist dieser Effekt durchaus erwünscht, sofern die erhöhte Sensibilisierung sich im
Verhalten niederschlägt (zur Auswertung von Surveydaten im Sinne von Quasiexperimenten
vgl. Winship / Morgan 199929).
7.2 Modul VIII: Evaluation
Dieses Modul präsentiert sich grundsätzlich wie bei jedem Projekt: Wurden die Ziele er-
reicht? Wie stehen die Wirkungen im Vergleich zum Aufwand? Welche Nebeneffekte des
Projekts haben sich eingestellt? Welche Prozesse wurden bei der Durchführung ausgelöst?
etc. Zwischenevaluationen in allen Phasen und Modulen helfen uns, frühzeitig Ineffizienzen
und erfolglose Strategien zu erkennen (Controllingfunktion), daneben stellt eine sorgfältige
Schlussevaluation wichtige Informationen und Erfahrungswerte für zukünftige Projekte bereit.
27 Die Experimentalbedingung oder das Treatment entspricht in unserem Fall der eingeführten Mass-nahme. Die Kontrollgruppe sollte sich bis auf die Tatsache, dass sie nicht mit der Massnahme direkt konfrontiert wurde, so wenig wie möglich von der Experimentalgruppe unterscheiden. 28 Sowohl bei der Experimental- wie auch bei der Kontrollgruppe sind wir in der ersten Befragung mit einem gewissen Mass an Reaktivität konfrontiert, bei der zweiten Befragung – als Folge der ersten – mit einer noch etwas grösseren. Insofern sind die Bedingungen bei beiden Gruppen gleich, d.h. Un-terschiede zwischen Experimental- und Kontrollgruppe nach der Projektphase 2 (Massnahmenpaket), die in der ersten Befragung noch nicht bestanden haben, sind daher auf die Interventionsphase zu-rückzuführen (wenn auch nicht zwingend auf das Projekt selber). 29 Das Problem bei Daten einer Befragung im Hinblick auf die Auswertung als Experiment mit Treat-ment- und Kontrollbedingungen liegt darin, dass die Aufteilung der Personen auf die beiden Bedin-gungen nicht zufällig erfolgt. Dieser Tatsache kann man aber bspw. mit folgender Methode begegnen (matching mittels propensity score): • Allen Elementen ihre Wahrscheinlichkeit zuordnen (propensity score), mit der sie aufgrund ihrer
Eigenschaften der Experimental- oder Kontrollgruppe zugeordnet werden (sind z.B. Frauen in der Experimentalgruppe überrepräsentiert, so erhöht die Tatsache, dass Person A eine Frau ist, die Wahrscheinlichkeit, dass sie zur Experimentalgruppe gehört).
• Randomisierung der Treatment-Gruppe (Gruppe, wo die Massnahmen eingeführt wurden) • Zu jedem Element der Treatment-Gruppe jenes Element der Kontrollgruppe auswählen, welches
das ähnlichste propensity score aufweist, wobei jedes Element nur einmal gebraucht wird. • Unterschiede zwischen den beiden Gruppen (z.B. durch Mittelwertsvergleiche) analysieren. Voraussetzung ist dabei, dass man die Variablen erfasst hat, in denen sich Experimental- und Kon-trollgruppe unterscheiden.
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Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
Zur Frage von Zeitpunkt und Methode der Evaluation argumentieren Gardner und Stern
(1996: 167-169) folgendermassen:
Zeitpunkt der Evaluation
„Lernen braucht Zeit“. Einerseits werden Menschen nicht von einem Tag zum andern ihr
Verhalten ändern können, andererseits ist auch die Arbeit der Projektgruppe von einem
Lernprozess geprägt. Oft ist viel Zeit und Aufwand nötig, damit wir die entscheidenden Hin-
dernisse identifizieren und Überwindungsstrategien entwickeln können. Erst mit zunehmen-
der Erkenntnis im Verlauf des Projekts können wir eine Idee perfektionieren. Auch wenn wir
schon Erfahrungen aus anderen Projekten mitbringen, müssen wir diese immer wieder an
neue Voraussetzungen anpassen können.
Deshalb dürfen wir – was die Wirkung angeht – nicht zu früh zu viel von einem Projekt erwar-
ten. So einleuchtend das klingt, ist dies nicht unbedingt selbstverständlich: Denn die privaten
und öffentlichen Institutionen, die das Projekt mittragen, möchten möglichst schnell möglichst
grosse Wirkungen feststellen, um zu zeigen, dass sich ihr Engagement gelohnt hat, und dar-
aus einen Nutzen in Form von Prestige zu ziehen. Um zu Geld und politischem Support zu
kommen, ist die Gefahr deshalb gross, dass wir unrealistische Versprechen machen, was
den Zeithorizont und die zu erwartenden Wirkungen angeht.
Methode
Das Projekt soll laufend evaluiert werden, damit wir die Planung veränderten Umständen und
neuen Erkenntnissen flexibel anpassen können. Jede Intervention ist zuerst einmal ein Expe-
riment, und wir können nicht schon zu Beginn von Phase 2 oder noch früher mit Sicherheit
sagen, welche Strategie die beste ist. Die Rahmenbedingungen verändern sich vielleicht
auch im Laufe des Projekts, und vielleicht verändern gerade wir sie mit dem Projekt.
Methodisch unterscheiden Gardner und Stern für die Evaluation zwischen dem standard
social science research und dem participatory approach: Die sozialwissenschaftliche Erhe-
bung kann in erster Linie fundierte, umfassende Informationen über die Wirkung eines Pro-
jekts bereitstellen und ist so v.a. für die Schlussevaluation und zur Dokumentation gegen-
über Aussenstehenden geeignet. Gemäss ihrer Argumentation (s. oben) macht es keinen
Sinn, diese Methode zu früh einzusetzen, weil so noch kaum Wirkungen erkennbar sind. Das
partizipative Verfahren basiert auf der Herstellung von face-to-face-Kontakt zwischen Pro-
jektgruppe und Beteiligten (bspw. auch durch eine Vertretung oder Kontaktgruppe in einem
Quartier). Der Vorteil liegt hier in der schnellen Verfügbarkeit der Informationen, weshalb es
geeignet ist für Zwischenevaluationen und für das Sammeln von Reaktionen. Diese beiden
Methoden lassen sich im vorliegenden Projektraster übrigens durchaus mit den Modulen II
(standard social science research) und III (participatory approach) vergleichen.
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Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
8 Diskussion Die vier als Grundlage für das Projektraster ausgewählten Theorien beziehen sich auf ver-
schiedene, klar gegeneinander abgrenzbare Aspekte der Problemstellung (vgl. auch Kap.
4.4 und entsprechende Passagen des Projektrasters):
• Die methodologischen Überlegungen von Gatersleben et al. (2002) helfen uns, umweltre-
levantes Verhalten und damit den Problembereich zu definieren und operationalisieren,
damit wir die Projektziele konkretisieren, Schwerpunkte festlegen und Vergleiche ziehen
können. Der Ansatz orientiert sich zuerst einmal am impact: Wir wollen wissen, welche Ak-
teure mit welchen Verhaltensweisen in welchem Masse an den tatsächlichen Auswirkun-
gen auf die Umwelt beteiligt sind. Da aber die Determinanten des impact oft objektive, nur
schwer veränderbare Rahmenbedingungen sind (z.B. das Einkommen oder die Haus-
haltsgrösse), müssen wir auch den intent in unser Modell einbeziehen: So führt bspw. das
Umweltbewusstsein zu einem tieferen impact, wenn wir es schaffen, die Hindernisse zu
beseitigen, die für die Diskrepanz zwischen impact und intent verantwortlich sind (z.B. feh-
lendes Wissen oder Zielkonflikte mit dem Lifestyle). Kennen wir nur den impact, wissen wir
nicht, wie er zustande gekommen ist. Kennen wir nur den intent, wissen wir nicht, wie stark
die Auswirkungen ins Gewicht fallen. Das Konzept der gewichteten selbstberichteten Ver-
haltensweisen wird einer solchen Verbindung von impact-Orientierung und intent-
Orientierung gerecht, indem es die Gedanken des meter reading (reiner impact) und der
herkömmlichen selbstberichteten Verhaltensweisen (reiner intent) kombiniert. Sofern zu-
verlässige Durchschnittszahlen des impact für verschiedene Verhaltensweisen ohne gros-
sen Aufwand verfügbar sind, bringt dieser Ansatz mit einfachen Mitteln eine effektive Ver-
besserung der Entscheidungsgrundlagen (vgl. auch Kap. 5.1).
• Der soziologische Lebensstilansatz von Reusswig (1999) bringt in die Praxis von Umwelt-
projekten jene Erkenntnis ein, die bspw. in der Betriebswirtschaftslehre als selbstverständ-
lich gilt: Verhaltensveränderungen erfordern je nach Zielgruppe differenzierte Massnah-
men. Nicht alle Leute sind durch die gleichen Massnahmen zu bestimmten Handlungen zu
bewegen, denn die persönlichen Rahmenbedingungen und die bisherigen Gewohnheiten
sind durchaus individuell. Auch der Sinn, den eine Person mit einer bestimmten Handlung
verbindet, kann sehr verschieden sein. Andererseits können wir doch Leute zu Gruppen
zusammenfassen, denn trotz aller Individualisierungstendenzen bestimmt immer noch die
nur beschränkt wählbare soziale Lebenslage (Beruf, Einkommen, Alter, Wohnquartier etc.)
einen wesentlichen Teil des Denken und Handelns. Dabei sitzt man immer mehr oder we-
niger freiwillig mit anderen Leuten im gleichen Boot. Ausserdem verfolgen Menschen oft
gerade die Strategie, sich nicht nur gegenüber gewissen Leuten und Gruppierungen abzu-
grenzen, sondern sich auch mit anderen zu identifizieren und sich an deren Habitus zu
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Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
orientieren. Sowohl die Annahme der kompletten Homogenität der Gesellschaft wie auch
jene der völligen Atomisierung müssen sich deshalb als falsch erweisen. Für unser Pro-
jektraster ist dieser Grundgedanke sicher wichtig. Wie detailliert und trennscharf eine sol-
che Differenzierung im Einzelfall allerdings ausfallen kann und muss, bleibt dabei offen.
Unsicher ist ebenfalls, ob eine bestimmte Kategorisierung (bspw. die Milieus, von denen
Reusswig (1999: 61-64) ausgeht) sich im Hinblick auf den impact und die Intervention als
fruchtbar erweist. Somit müssen wir gerade in dieser Beziehung immer damit rechnen, erst
in der Phase 2 zu merken, welche Strategien zum Erfolg führen und welche nicht: Viel-
leicht spricht eine Zielgruppe nicht auf unsere abgeleitete Strategie an, vielleicht ist die
Zielgruppe in der entscheidenden Hinsicht zu heterogen oder vielleicht kommen wir nicht
an die Zielgruppe heran. Das Prinzip von „Versuch und Irrtum“ bei der Differenzierung von
Zielgruppen ist deshalb kaum auszuschalten, so dass wir immer auch damit rechnen müs-
sen, im Laufe der Phase 2 des Projekts auf die Zielgruppen-Kategorisierung zurückzu-
kommen und die in Phase 1 gewonnenen Daten zu aktualisieren bzw. durch neue Inter-
views zu ergänzen (vgl. auch Kap. 5.2 und 5.3).
• Die Verhaltenstypen von Bruppacher (2002) liefern ein einfaches und daher in der Praxis
ohne weitere Anpassungen anwendbares Raster, um Verhaltensweisen im Hinblick auf ih-
re Entstehung und Hindernisse im Hinblick auf Veränderungen zu analysieren, sowie
Massnahmen zu entwickeln oder beurteilen. Verhaltensweisen beziehen sich zwar nicht
unbedingt nur auf einen Typ gleichzeitig, dennoch zeigen die Typen unterschiedliche As-
pekte von Handlungen, die für die Massnahmen mehr oder weniger ins Gewicht fallen (vgl.
auch Kap. 6).
• Im Gegensatz zu den anderen drei Ansätzen fliesst die ipsative Handlungstheorie (vgl.
Tanner 1998) v.a. als Grundgedanke in das Projektraster ein, ohne in konkrete Schritte
übersetzt zu werden. Während die Verhaltenstypen nach Bruppacher (2002) zeigen, wa-
rum eine Person eine bestimmte Handlungsalternative adoptiert und wie sie sich dieses
Verhalten aneignet, das sie mit zunehmender Routine nicht mehr hinterfragt, erklärt die
ipsative Handlungstheorie, aus welchen Handlungsalternativen eine Person überhaupt
auswählt. Übersetzt in die Praxis eines Projekts wird die Theorie zum einfachen, aber
wichtigen Prinzip, das eine Grundvoraussetzung bildet, um eine Zusammenarbeit mit Per-
sonen aufzubauen: Erst wenn eine Person eine Handlungsalternative als „für sie in Frage
kommend“ ansieht, wird sie bereit sein, Strategien zur Adoption zu entwickeln.
Obwohl ich mich damit auf eine kleine Anzahl theoretischer Ansätze beschränkte, war es
dennoch schwierig, die Theorie in ein realistisches Projektszenario mit den Annahmen von
beschränkten Ressourcen und pragmatischer Herangehensweise seitens der Projektgruppe
zu übersetzen. Die Theorien und methodologischen Implikationen lassen zwar ein möglichst
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Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
exaktes und korrektes Vorgehen ableiten, die forschungsökonomische Frage drängte sich
aber umso stärker auf, je detaillierter ich einzelne Schritte nach theoretischen Gesichtspunk-
ten zu gestalten versuchte: Rechtfertigt der Erfolg den Mehraufwand, den man sich durch die
ausführliche Planung auflädt, oder wird das Projekt nur in der Anfangsphase aufgebläht? Die
Möglichkeit, dass ein unberücksichtigter Nebeneffekt oder einfach ein Zufall (z.B. ein beson-
deres unvorhersehbares Ereignis) die Durchführung des Projekts behindert und den Erfolg
der Intervention schmälert, weil bspw. die Akzeptanz einer Massnahme unerwartet sinkt,
lässt sich auch mit ausgedehnten Forschungsaktivitäten nicht völlig ausschliessen.
Etliche Module lassen sich zwar abkürzen, doch ihre eigentliche Gestalt macht nur dann ei-
nen Sinn, wenn sie tatsächlich in einer Vielzahl von Projekten so umsetzbar sind und nicht
nur gerade bei ganz grossen und umfassenden Projekten. Denn gerade kleine Projekte
könnten eine solche Handlungsanleitung eher gebrauchen, bei grösseren ist die Verfügbar-
keit von Know-how wohl ein geringeres Problem.
Eine Chance von kleinen Projekten liegt aber auch in dieser Hinsicht in der sozialen Einbet-
tung (vgl. Kap. 3.1). Die Erhebungsmodule sind dann eher partizipative Verfahren, so dass
vielleicht keine sozialwissenschaftlich korrekten Resultate rauskommen, die Projektverant-
wortlichen aber für ihre Zwecke genügend Informationen mit überblickbarem Aufwand erhal-
ten.
Letztlich sind es nicht nur die theoretischen Hintergründe und eine korrekte Methodologie,
die der Projektgruppe zum Erfolg verhelfen. Viel bedeutender werden ihre Überzeugungs-
kraft, ihre innovativen Ideen, ihr organisatorisches Geschick sowie ihre Flexibilität sein, sich
den Gegebenheiten anzupassen. Dabei hilft ihnen die Theorie vielleicht eher als ein Wis-
sensvorrat im Hinterkopf, der nach Bedarf in kleineren Portionen abgerufen wird, und weni-
ger in Form einer vollständigen Theoriesynthese. Auf diese Weise könnte nun auch ein sol-
ches Projektraster zum Einsatz kommen: Nicht als starre Handlungsanleitung, sondern als
ein Ausbildungspapier, damit die Projektverantwortlichen punktuell auf jene Anregungen und
Theorieelemente zurückgreifen, die ihnen während der Arbeit als nützlich erscheinen.
Zu diesem Zweck könnte man nun ein solches Raster weiter den Bedürfnissen der Praxis
anpassen: Es liesse sich weiter „übersetzen“, d.h. sprachlich so formulieren, dass es auch
ganz ohne sozialwissenschaftliche Kenntnisse verständlich ist. Man müsste zudem die For-
schungsmethoden integrieren und weiter ausführen, auf die hier nur verwiesen wird, da
sonst dort auch wieder ein Verarbeitungsaufwand nötig wird. Ausserdem könnten verschie-
dene Versionen für bestimmte Themenbereiche erstellt werden, die wiederum verständlicher
wären und spezifisch auf Problemfelder eingehen könnten. Auf diese Weise würde sich das
Projektraster formell noch näher einer Gebrauchsanweisung annähern können.
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Projektraster für den Umweltbereich Stefan Arni
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