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Gynäkologe 2012 · 45:527–532DOI 10.1007/s00129-011-2935-zOnline publiziert: 29. Juni 2012© Springer-Verlag 2012
B. RamsauerKlinik für Geburtsmedizin, Vivantes Klinikum Neukölln, Berlin
Spätabort und extreme FrühgeburtMechanische Eingriffe zur Prävention
Leitthema
Die Grenze der Überlebensfähigkeit kleinster Frühgeborener liegt durch den medizinischen Fortschritt in der Neonatologie und der Geburtsmedi-zin heute unter 24+0 SSW. Im weite-ren Behandlungsverlauf sind Morbi-dität und Mortalität dieser Kinder je-doch so hoch, dass eine Entbindung zu diesem Zeitpunkt nicht das Ziel unserer Bemühungen in der Schwan-gerschaftsversorgung sein kann (s. . Tab. 1, [10]). An der Frühgebore-nenrate von derzeit etwa 7,1% der Lebendgeburten in Europa und 9% der Lebendgeburten in Deutschland hat sich in den letzten Jahren wenig geändert [2]; sie zeigt sogar eher eine steigende Tendenz. Hinter diesen fast konstanten Zahlen liegt jedoch ein komplexes Geschehen. So haben prä-ventive Maßnahmen zur Vermeidung von Frühgeburten inzwischen Erfolge gebracht.
Definitionsgemäß handelt es sich bei Ge-burten vor 28+0 SSW um extreme Frühge-burten, zwischen 28+0 SSW und 31+6 SSW spricht man von sehr frühen Frühgebur-ten, bei 32+0 SSW–36+6 SSW von mä-ßigen. Bei einer Geburt unter 22+0 SSW handelt es sich in aller Regel um einen Spät abort. Ein gesundes Überleben von Frühgeborenen unter 23+0 SSW ist auch mit besten neonatologischen Intensivmaß-nahmen nur in Ausnahmefällen möglich.
Somit bleibt es weiter unsere Aufgabe, die Rate frühgeborener Kinder von der-zeit etwa 9%, in Deutschland zu verrin-gern. Ein besonderes Augenmerk liegt da-bei auf den Kindern unter 32+0 SSW bzw.
<1500 g, die etwa 1,2% der Lebendgebore-nen ausmachen [11].
Zu betrachten ist dabei zunächst die Vermeidung von Spätaborten und extre-men Frühgeburten durch mechanische Eingriffe, aber auch die präventive Scho-nung physiologischer anatomischer Ver-schlussmechanismen der Zervix, um eine Insuffizienz des mechanischen Verschluss- und Halteapparats für die Schwangerschaft gar nicht erst entstehen zu lassen.
Beeinflussung der Frühgeburt durch Ursachensuche
Bei der Ursachenanalyse ist eine Unter-scheidung in fetale und maternale sowie in vermeidbare und nicht vermeidbare bzw. iatrogene Gründe als grobes Raster sinnvoll. Unter einer spontanen Frühge-burt sind die Fälle zu verstehen, bei denen durch vorzeitige Wehentätigkeit, einen vorzeitigen Blasensprung oder eine vagi-nale Blutung eine vorzeitige Entbindung unumgänglich ist. Davon abzugrenzen sind iatrogene Frühgeburten, bei denen eine Pathologie des Feten oder eine Er-krankung der Mutter eine vorzeitige Ent-bindung notwendig machen.
Durch mechanische Intervention kön-nen vorzeitige Wehentätigkeit und ein vor-zeitiger Blasensprung (bedingt durch auf-steigende Infektionen, Zervixverschluss-störungen oder Anlagestörungen des Ute-rus) verhindert werden. Auf die dadurch beeinflussbaren Zusammenhänge und die operativen Möglichkeiten soll im Weite-ren eingegangen werden. Zur Übersicht sind in . Tab. 2 maternale, in . Tab. 3 fetale Hauptursachen für eine Frühgeburt zusammengestellt.
Ursachen für Frühgeburten
Vorzeitige Wehen oder vorzeitiger Blasensprung
Bei 80% der Frühgeburten ist eine vor-zeitige Wehentätigkeit und/oder ein vor-zeitiger Blasensprung ursächlich [7]. Die Auslöser vorzeitiger Wehentätigkeit wie auch die Ursache eines vorzeitigen Bla-sensprungs sind nicht mit einer einzigen Ätiologie zu erklären.
Bei weitergehenden Untersuchungen im Zervikal- und Vaginalsekret sowie bei der histologischen Aufarbeitung der Pla-zenta und des Amnions finden sich in
Tab. 1 Spätfolgen einer Frühgeburt abhängig vom Geburtszeitpunkt. (Nach [10])
SSW
23+0–23+6 24+0–24+6 25+0–25+6
Lebend entlassen (%) 29 50 65
Schwere Retinopathie (%) 64 27 15
Schwere IVH, Parenchymzysten (%) 7 14 11
Keine Funktionsstörung (%) 33 61 67
Schwere Funktionsstörung (%) 33 19 13IVH Intraventrikuläre Hämorrhagie.
RedaktionK. Vetter, Berlin D. Berg, Amberg
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einer Großzahl dieser Fälle Zeichen einer bakteriellen Infektion.
Bakterielle vaginale Besiedlungen, aber auch Harnwegsinfektionen lö-sen über Prostaglandine einen intrazel-lulären Kalziumanstieg aus. Über die-sen Weg wird eine Erhöhung der Kon-traktionsbereitschaft im Myometrium erreicht (. Abb. 1). Aus diesem Grund sind auch eine asymptomatische bakte-rielle Besiedlung und jede Harnwegsin-fektion oder Bakteriurie in der Schwan-gerschaft eine Indikation für eine systemi-sche Antibiotikatherapie (. Infobox 1). Liegen schon eine symptomatische bak-terielle Vaginose , die klinischen Zeichen eines schweren Harnwegsinfekts, rezidi-vierende Harnwegsinfektionen oder so-gar eine Pyelonephritis vor, kann es trotz (aber vielfach zu spät) eingeleiteter anti-
biotischer Therapie zum vorzeitigen Bla-sensprung und/oder zum Amnioninfek-tionssyndrom (AIS) kommen. In einer solchen Situation ist dann eine vorzeitige Entbindung häufig unumgänglich, um die Infektionsübertragung auf das Kind oder eine systemische Ausbreitung auf den ge-samten maternalen Organismus zu ver-meiden.
Ursachen für bakterielle Besiedlun-gen bzw. eine bakterielle Infektion in der Schwangerschaft liegen unter anderem in den Veränderungen des Vaginalmilieus durch hormonelle Einflüsse. Der eigent-lich saure pH-Wert des Vaginalsekrets verschiebt sich in Richtung alkalischer Werte und stellt damit ein von patholo-gischen Keimen bevorzugtes Wachstums-milieu dar. Des Weiteren begünstigen va-ginale Blutungen eine Besiedlung mit un-
physiologischen Bakterien, denn diese finden in dem mit Blut durchsetzten Va-ginalsekret einen besonders guten Nähr-boden.
» Auch asymptomatische Harnwegsinfekte sind antibiotisch zu behandeln
Sind die asymptomatische bakterielle Va-ginose oder der asymptomatische Harn-wegsinfekt eine Indikation für eine anti-biotische Therapie, so ist im Umkehr-schluss eine antibiotische Therapie bei vorzeitiger Wehentätigkeit ohne Zeichen einer Infektion nicht indiziert [3]. Proble-matisch ist in diesem Zusammenhang je-doch eine zügige Diagnostik. Laborpara-meter sind gewöhnlich in wenigen Stun-den vorhanden, die mikrobiologischen Untersuchungsergebnisse liegen mit pas-sendem Antibiogramm auch bei zügiger Bearbeitung erst nach zwei bis drei Ta-gen vor. Somit sollte der direkte Nachweis durch eine mikroskopische Untersuchung des Vaginalsekrets im Rahmen der Auf-nahmeuntersuchung zum Standard gehö-ren. Der Nachweis von ClueCells deutet auf eine Besiedlung mit Gardnerella vagi-nalis hin. Eine fehlende Standortflora und der Nachweis von Leukozyten im Nativ-präparat lassen eine bakterielle Vaginose sehr wahrscheinlich erscheinen. In sol-chen Fällen ist ein Behandlungsbeginn mit einem Breitspektrumantibiotikum bis zum Vorliegen der Ergebnisse der mi-krobiologischen Untersuchung indiziert.
Die aufsteigende Infektion mit einer daraus resultierenden Infektion des Am-nions, ein Übergreifen auf das Frucht-wasser und ein resultierendes Amnionin-fektionssyndrom wird gewöhnlich durch einen in Menge und Konsistenz adäqua-ten Zervixschleim verhindert.
Zervixverschlussinsuffizienz
Liegt eine aszendierende Infektion vor, so ist von Begleitpathologien auszugehen, die diese begünstig haben. Dazu gehören unter anderem eine Weitstellung des Zer-vikalkanals, Verletzungsfolgen der Zer-vix, ein veränderter Zervixschleim oder ein vollständiges Fehlen der schützen-
Tab. 2 Maternale Ursachen für eine Frühgeburt
Vaginale Infektion
Harnwegsinfektion
Amnioninfektionssyndrom
Vorzeitiger Blasensprung
Vorzeitige Wehentätigkeit
Vaginale Blutung
Zervixverschlussinsuffizienz
Trauma am Zervixverschlussapparat
Anlagestörungen des Uterus
Uterus myomatosus
Plazentationsstörung Vorzeitige Plazentalösung
Plazentainsuffizienz
Plazenta praevia
Vasa praevia
Erkrankung der Mutter Präeklampsie
Virale Infektion
Maligne Erkrankung
Autoimmunerkrankung
Kardiovaskuläre Erkrankung
Tab. 3 Fetale Ursachen für eine Frühgeburt
Höhergradige Mehrlinge
Geminigravidität Monochoriale Geminigravidität
Monoamniale Geminigravidität
Erkrankung des Feten Polyhydramnion
Fetale Fehlbildung
Rh-Inkompatibilität
Angeborene Gerinnungsstörung
Virale Infektion
Nabelschnurpathologie Nabelschnurumschlingung
Nabelschnurknoten
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Leitthema
den Zervikalschleim-Barriere [8]. Der funktionellen Insuffizienz des Zervixmu-kus bei Patientinnen mit rezidivierenden Spät aborten liegt eine Störung der physio-logischen Schleimproduktion zugrunde, deren Ursache oft nicht bekannt ist. Da-rin findet sich die Erklärung dafür, dass rezidivierende aszendierende Infektion mit resultierender Prostaglandinausschüt-tung bei Frauen mit Spätaborten oder ex-tremen Frühgeburten in der Anamnese gehäuft nachgewiesen werden. Daneben kann es bei Mehrlingsschwangerschaften und durch ein Polyhydramnion zu einer übermäßigen Druckbelastung durch das Uterusvolumen auf den Verschlussme-chanismus der Zervix kommen. Verän-derungen des Gewebes nach Traumen, wie Emmet-Rissen, multiplen Küretta-gen, Dilatationen des Zervikalkanals bzw. Konisationen, oder auch bei seltenen Bin-degewebserkrankungen, z. B. beim Mar-fan-Syndrom, können zudem ursächlich für Verschlussstörungen sein (. Tab. 4).
Prävention
Mechanische Interventionen
Drohende Frühgeburten oder späte Aborte , die ihre Ursache in einer Ver-schlussstörung der Zervix haben, können unter Umständen durch mechanische Interventionen verhindert werden. Als Möglichkeiten stehen Pessartherapien, die Cerclage und die Zervixverschlussopera-tion zur Verfügung.
PessartherapieDer Wirkmechanismus einer Pessarthe-rapie liegt in der Kompression und/oder der Verlagerung der Zervix nach sakral. Ein großer Vorteil einer Pessartherapie ist darin zu sehen, dass es sich um eine nicht operative Intervention handelt, die relativ einfach durchgeführt werden kann. Zu den gängigen Pessaren zählen das Ara-bin-Pessar, das Pessar nach Hamann und Jorde und das Stützpessar nach Hodge. In . Tab. 5 sind die Wirkmechanismen der Pessare aufgeführt.
Da es sich hier lediglich um eine me-chanische Unterstützung durch die Pes-saranwendung handelt, werden die be-gleitenden infektiösen Geschehen der Zervixverschlussstörungen nicht beein-
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B. Ramsauer
Spätabort und extreme Frühgeburt. Mechanische Eingriffe zur Prävention
ZusammenfassungBetrachtet man die unterschiedlichen Ursa-chen für Spätaborte und extreme Frühge-burten, so stehen inzwischen eine Reihe von Prädiktoren und Präventionsmöglichkei-ten zur Verfügung. Die Rate der Frühgebur-ten von derzeit 9% aller Lebendgeburten in Deutschland hat sich in den letzten Jahren nicht in dem Maße reduziert, wie es die Wei-terentwicklung von medizinischen Behand-lungsoptionen vermuten ließe. Eine der Ursa-chen dafür liegt darin, dass durch eine Ver-besserung der medizinischen Möglichkei-ten sowohl in der Geburtsmedizin als auch in der neonatologischen Intensivmedizin mehr Schwangerschaften mit einem überlebenden extrem frühgeborenen Kind erfolgreich be-endet werden können, als dies noch vor eini-
gen Jahren möglich war. Neben diesem Um-stand ist es aber weiterhin so, dass anamnes-tisch rezidivierende Spätaborte und extre-me Frühgeburten mit einer prognostisch ho-hen Mortalität und Morbidität verbunden sind. Somit muss es vorrangiges Ziel sein, Ri-sikokollektive zu identifizieren, Ursachen zu erkennen und Behandlungsoptionen zu ver-bessern. Zu den mechanischen Therapien zählen eine Pessartherapie, eine Cerclage und eine Zervixverschlussoperation.
SchlüsselwörterPlazentationsstörung · Muttermund · Amnioninfektionssyndrom · Zervixverschlussoperation · Cerclage
Late miscarriages and extreme premature births. Mechanical interventions for prevention
AbstractConsidering the various causes of late miscar-riages and extreme premature births there are currently several indicators and possi-bilities of prevention. The rate of premature births of currently 9% of all live births in Ger-many has not decreased in recent years de-spite advancements in medical treatment. One reason is the improved medical treat-ment options in obstetrics and neonatal in-tensive care leading to a higher rate of sur-vival of extremely premature infants than some years ago. Nevertheless anamnestic re-current late miscarriages and extreme pre-
mature births are still related to a high risk of morbidity and mortality. Therefore, pri-or objectives should be to identify collectives with increased risk, identify causes and im-prove treatment options. Operative options are therapies with pessaries, cervical cerclage and surgical occlusion of the cervix.
KeywordsPlacental disorder · Cervix · Amniotic infection syndrome · Surgical occlusion of the cervix · Cerclage
Zusammenfassung · Abstract
flusst. Durch den eingelegten Fremdkör-per selbst bzw. mechanische Reizung wird unter Umständen eine bakterielle Besied-lung mit pathologischen Keimen sogar begünstigt.
CerclageDie Cerclage ist eine operative Intervention, die bei Zervixverschlussproblemen Anwen-dung findet. Unterschieden werden prophy-laktische, therapeutische und Notfallcer-clagen. Der Ansatz liegt in dem Ersatz der mechanischen Haltefunktion, wenn die-se durch die Zervix nicht mehr gewährleis-tet ist [9]. Vier Formen von Cerclagen sind am weitesten verbreitet. Die älteste Cerc-
lagemethode nach Shirodkar von 1955, ge-nauso wie die aus dem Jahr 1957 stammen-de bekannteste Cer clage nach McDonald und die bei Fruchtblasenprolaps anwendba-re Doppelcer clage nach Hochuli von 1987, werden von vaginal durchgeführt. Die ab-dominale Cerclage, erstmals 1965 publiziert [1], ist deutlich aufwendiger und findet nur in Ausnahmefällen ihre Anwendung, z. B. nach Trachelektomie schon präkonzeptio-nell als Lash-Cerclage. Auch bei der Cerc-lage ist wie bei der Pessartherapie keine Bar-riere für aszendierende Infektionen zu errei-chen, sondern lediglich die Rekon struktion der Zervix bei teilweise oder vollständig er-öffnetem Muttermund. Frührisiken der
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Cerclageanwendung sind lokale Infektio-nen, systemische Infektionen (Amnionin-fektion) mit resultierendem Blasensprung oder vorzeitiger Wehentätigkeit. Zu Spät- oder Folgerisiken zählen die Gefahr von Zervixläsionen, Uterusrupturen und Fis-telbildungen zervikovaginal, ureterovaginal und vesikovaginal.
ZervixverschlussoperationMit dem Wissen, dass eine adäquate Zer-vixschleimproduktion eine Barriere für aszendierende Infektionen darstellt und im Fall einer Zervixverschlussproblema-tik aszendierende Infektionen damit ver-gesellschaftete Begleiterscheinungen sind, ist durch einen vollständigen operativen Verschluss des Zervikalkanals eine Op-tion für erfolgversprechende Prävention gegeben (. Infobox 1). Mit prophylak-tischer Durchführung dieser Operation, möglichst am Ende des ersten Trimenons, kann der ungenügende Verschluss auf operativem Weg ersetzt werden [11, 12, 13]. Bei erhöhter Druckbelastung oder Binde-gewebserkrankungen wird durch die ope-rative Intervention eines Zervixverschlus-ses, ggf. in Kombination mit einer Cerc-lage, eine zusätzliche Stabilisierung der Zervix erreicht.
Auch bei den Zervixverschlussopera-tionen werden primäre von sekundären unterschieden. Dabei bezieht sich der Be-griff sekundär auf eine bereits eingetre-tene signifikante Verkürzung der Zervix oder sogar Eröffnung des Muttermundes.
Die Auswertung im eigenen Kollektiv der letzten 21 Jahre mit 959 durchgeführten Operationen (678 primäre und 281 sekun-däre Operationen) führte in 857 Fällen zur Geburt. Als Erfolg wurde es gewertet, wenn die Geburt nach 34+0 SSW erfolgte . Bei den primären Operationen wurde dies, gemittelt über die Jahre, bei 88,6% der operierten Patientinnen erreicht, bzw. bei 72% nach sekundärer Operation. Be-trachtet man lediglich die Ergebnisse der letzten sieben Jahre nach Modifizierung der Operationsmethode durch B. Ram-sauer und K. Vetter mit 95% positivem Schwangerschaftsausgang nach primärer bzw. 90% nach sekundärer Intervention, so konnte dieses Ergebnis noch deutlich verbessert werden.
» Zervixverschlussoperationen stellen eine vielversprechende Prävention dar
Eine Operationsindikation für eine pro-phylaktische Zervixverschlussoperation besteht bei Patientinnen nach Spätabort oder sehr früher Frühgeburt, nach ausge-dehnter Konisation, nach rezidivierenden Hegar-Dilatationen und mit bekannten Bindegewebserkrankungen [9].
Eine operative Intervention bei Patien-tinnen, mit einer sonographisch nachge-wiesenen Zervixverkürzung unter 15 mm vor 24+0 SSW oder sogar bereits eröff-
netem Muttermund wird als sekundäre Zervixverschlussoperation durchgeführt. Auch für diese Patientinnengruppen kann durch einen mechanischen Eingriff noch eine deutlich positive Beeinflussung der Schwangerschaft erzielt werden. Im eige-nen Kollektiv konnte eine Verlängerung der Schwangerschaft bis über 34+0 SSW in 72% erreicht werden.
Um die oben beschriebenen günsti-gen Ergebnisse zu erreichen, hat sich das im Folgenden beschriebene Procedere in unserer Klinik etabliert. Von großer Be-deutung ist, dass vor Durchführung der Operation eine bakterielle Besiedlung mit pathogenen Keimen im Vaginalabstrich und im Urin ausgeschlossen wird. Es er-folgt bei etwa 10+0 SSW eine mikrobio-logische Untersuchung. Sollte eine patho-logische Keimbesiedlung nachgewiesen werden, wird diese mit einer systemischen Antibiotikagabe therapiert. Ab 12+0 SSW–14+0 SSW ist der ideale Zeitpunkt der Ope-ration. Diese wird unter stationären Bedin-gungen möglichst in Vollnarkose durchge-führt. Dabei wird unter Anlegen der Sa-
Infobox 1 Tipps für die PraxisAuch bei Nachweis einer asymptomatischen bakteriellen Besiedlung sofortige Behand-lung Zervixverschlussoperation bei:F Z. n. SpätabortF Z. n. sehr früher FrühgeburtF Z. n. ausgedehnter KonisationF Z. n. rezidivierenden Hegar-DilatationenF Zervixlänge unter 15 mm vor 24+0 SSW
Progesteron
Oxytocin
Prostaglandine
Ca 2+
in sarkoplasmatischesRetikulum
Calmodulin- Ca 2+
MLCKActin + MyosinActomyosin-P
Theophyllin
α-adrenergeAgonisten
ß-adrenergeAgonisten
AdenylatzyklasePhosphodiesterase
cAMP
Ca 2+ Einstrom in Zelle
Abb. 1 9 Wirkmechanis-men kontraktionsfördern-der Substanzen
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Leitthema
ling-Schlinge (. Abb. 2) eine stärkere Re-duktion der Durchblutung unter Verbleib einer Restzirkulation im Operationsgebiet erreicht. Dies ermöglicht eine gute Über-sicht im Operationsgebiet und ein atrau-matisches Operieren.
D Besonders wichtig ist es, eine bak-terielle Besiedlung mit pathogenen Keimen im Vaginalabstrich und im Urin präoperativ auszuschließen.
Das oberflächliche Epithel des Zervikal-kanals wird mittels eines Schleifapparats
entfernt. Zunächst wird mit zwei zirku-lären Nähten der kraniale Teil des Zer-vikalkanals verschlossen. Es folgen zwei Nahtreihen mit Einzelknopfnähten und eine anschließende fortlaufend, adaptie-renden Naht. Im Anschluss an die Ope-ration ist die Patientin voll mobilisierbar. Sie kann allen Tätigkeiten nachgehen. Es sollte lediglich eine mechanische Reizung des Operationsgebietes durch vaginale Manipulation vermieden werden. Durch die Wirkung der Prostaglandine unter der Geburt eröffnet sich der narbige Bereich gewöhnlich von allein. In seltenen Fäl-
len sind digitale Spreizungen notwendig, eine reguläre scharfe Eröffnung der Narbe wird nicht vorgenommen.
Bei einer sekundären Zervixver-schlussoperation, d. h. wenn bereits eine deutliche Verkürzung der Zervix, oder eine Eröffnung des Muttermundes mit oder ohne Fruchtblasenprolaps stattge-funden hat, wird zu dem oben beschrie-benen Vorgehen noch eine modifizierte Cerclage nach Shirodkar gelegt – mit einem sakral positionierten Knoten. Diese wird bei 38+0 SSW entfernt. In . Tab. 6 sind die Ergebnisse nach operativer Inter-vention aufgeführt.
Risikominimierung durch Vermeidung von Konisationen
Bei höhergradigen Dysplasien des Ge-bärmutterhalses ist die Konisation immer noch die wirksamste Methode zur voll-ständigen Diagnosesicherung mit Aus-dehnungsdiagnostik und einer Sanie-rung. Trotz dieser Erkenntnis muss, ins-besondere bei noch bestehendem Kinder-wunsch, diese Operation ausgesprochen sorgsam indiziert, geplant und durchge-führt werden.
» Die Konisation darf keine „Anfängeroperation“ sein
Bei sehr ausgedehnten Operationen die nicht selten aus einem zu großen Sicher-heitsbedürfnis heraus durchgeführt wer-den, wird nicht nur ein Großteil des Zer-vixhalteapparates zerstört, sondern auch das schleimproduzierende Epithel wei-testgehend entfernt. Ist allerdings nach sorgfältiger Diagnostik, einschließlich einer histologischen Klärung durch Pro-beexzision mit HPV-Typisierung, eine höhergradige Dysplasie nachgewiesen, dann ist eine operative Sanierung indi-ziert. Bei der Anwendung neuester Ope-rationstechniken kann eine Sanierung erreicht werden, ohne unnötig viel Ge-webe der Zervix zu zerstören. Dies macht klar, dass die Konisation keine „Anfän-geroperation“ sein darf. Außerdem ist eine vorrangige Aufgabe darin zu sehen, durch gezielte Aufklärung und HPV-Impfungen im geeigneten Kollektiv die
Tab. 4 Ursachen für funktionelle Zervixverschlussstörungen
Ursache Bedingt durch Kollektiv
Unzureichende Produktion funktionellen Zervixschleims
Konsistenzveränderung des Mukus
Stattgehabter Spätabort
Unzureichend Menge Anamnestisch frühe Frühgeburt
Unzureichende funktionelle Zervixlänge für Druckbelastung durch das Uterusvolumen
Stattgehabte Konisation Nach Konisation
Mehrlingsschwangerschaft Bei Polyhydramnion
Polyhydramnion Bei Makrosomie
Uterus myomatosus Bei Uterus myomatosus
Gewebeveränderungen der Zervix
Bindegewebsveränderungen Bekannte Bindegewebs-Erkrankungen
Trauma Entsprechende Anamnese
Emmet-Riss Makroskopischer Befund
Multiple Kürettagen
Aufsteigende Infektionen mit Prostaglandinaus-schüttung
Unzureichender Verschluss des Zervikalkanals
Rezidivierende bakterielle Vaginose
Weitstellung des Zervikalkanals
pH-Veränderungen des Vaginalsekrets
Wiederholte Hegar-Dilatationen
Zervixsonographie: Cut-off-Wert <15 mm, bei <24+0 SSW
Tab. 5 Wirkmechanismen der Pessare
Anheben und Verlagerung der Zervix nach sakral
Engstellen der Zervix Hamann und Jorde Arabin
Hodge
Tab. 6 Ergebnisse nach Zervixverschlussoperationen im Kollektiv Vivantes Klinikum Berlin Neukölln 1990–2011. (Nach [5, 6])
Kollektiv Anzahl Schwangerschaften Geburten Erfolg (%)
1990–2007
pZV-OP 363 325 90
sZV-OP 91 67 74
sZV-OP + Cerclage 63 54 86
Alle 517 446 86
2008–2011
pZV-OP 315 299 95
sZV-OP 42 37 90
sZV-OP + Cerclage 85 75 89
Alle 442 411 93pZV Primärer Zervixverschluss, sZV sekundärer Zervixverschluss.
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Inzidenz höhergradiger Dysplasien wei-ter zu reduzieren.
Behandlungsoptionen
Für die mechanische oder operative Inter-vention bei drohender Frühgeburt stehen Pessare in unterschiedlicher Ausführung, die verschiedenen Cerclageformen und die Zervixverschlussoperation zur Verfü-gung. Anwendung finden diese Methoden sowohl im Kollektiv mit anamnestischem Risiko wie auch bei bestehender drohen-der Frühgeburt [4]. Untersuchungen der operativen Intervention durch eine Cer-clage, unabhängig welche Methode zur Anwendung kam, verglichen mit einem exspektativen Vorgehen, hat in mehre-ren randomisierten Multicenterstudien gezeigt, dass es keine Unterschiede gibt, bezogen auf die Anzahl der Spätaborte , die Frühgeburtsrate <32+0 SSW bzw. <37+0 SSW sowie die neonatale Morbidi-tät bzw. Mortalität [4].
Fazit für die Praxis
F Die Prävention von Spätaborten und extremen Frühgeburten mit der da-raus resultierenden hohen Morbidi-tät und Mortalität muss eines unserer vorrangigen Ziele sein.
F Ein Augenmerk liegt auf der Identifi-zierung der Risikofaktoren, wie
1 Z. n. Spätabort, 1 Z. n. sehr früher Frühgeburt, 1 Z. n. ausgedehnter Konisation, 1 Z. n. rezidivierenden Hegar-Dilata-
tionen, 1 Zervixlänge <15 mm vor 24+0 SSW, 1 vaginale Infektionen, 1 vorzeitige Wehentätigkeit und
1 Zervixverschlussinsuffizienz.F Folgende präventive Möglichkeiten
stehen zu Verfügung:1 Vermeidung bzw. Behandlung von
vaginalen Infektionen1 Behandlung von Harnwegsinfek-
tionen1 Vermeidung von ausgedehnten Ko-
nisationen1 Reduzierung von Kürettagen oder
Hegar-DilatationenF mechanische Interventionen:1 Pessartherapie (eignet sich nicht zur
Prävention von Infektionen)1 Cerclage (mechanische Stabilisie-
rung bei schon geöffnetem Mutter-mund, sinnvoll in Kombination mit einer Zervixverschlussoperation)
1 Zervixverschlussoperation (so-wohl als Prävention bei etwa 13+0 SSW als auch sekundär bei schon vorhandener Zervixverän-derung bis etwa 23+6 SSW eine zu empfehlende Therapie).
Korrespondenzadresse
Dr. B. RamsauerKlinik für Geburtsmedizin, Vivantes Klinikum Neukölln, BerlinRudowerstr. 48, 12351 [email protected]
Interessenkonflikt. Die korrespondierende Autorin gibt für sich und ihre Koautoren an, dass kein Interes-senkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors (ICMJE; http://www.icmje.org) besteht.
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Abb. 2 9 Saling-Schlinge zur intraope-rativen temporären Reduktion der Durch-blutung
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Leitthema