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Spezialisierte histopathologische Zweitbegutachtung fortgeschrittener Ovarialkarzinome

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Page 1: Spezialisierte histopathologische Zweitbegutachtung fortgeschrittener Ovarialkarzinome

Pathologe 2014 · 35:355–360DOI 10.1007/s00292-014-1911-5Online publiziert: 8. Juli 2014© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

S. Kommoss1 · J. Pfisterer2 · A. du Bois3 · D. Schmidt4 · F. Kommoss4

1 Department für Frauengesundheit, Universitätsklinikum Tübingen2 Zentrum für Gynäkologische Onkologie, Kiel3  Klinik für Gynäkologische Onkologie, Kliniken Essen-Mitte, 

Evang. Huyssens-Stiftung/Knappschaft GmbH, Essen4 synlab MVZ Pathologie Mannheim GmbH, Mannheim

Spezialisierte histopatho- logische Zweitbegutachtung fortgeschrittener OvarialkarzinomeErfahrungen an Kollektiven aus  prospektiv randomisierten Phase-III-Studien

Hintergrund

Ovarialkarzinome haben trotz in den zurückliegenden Jahrzehnten gemachter therapeutischer Fortschritte eine ungüns-tige Prognose. Die Fünfjahresüberlebens-rate beträgt aktuell 43,2% (alle Tumorsta-dien [1]). Im Unterschied hierzu ist die Prognose bei den Borderlinetumoren des Ovars in den allermeisten Fällen ausge-zeichnet. Zehnjahresüberlebensraten von 95% bei Patientinnen mit Borderlinetu-moren des Ovars wurden beschrieben [2, 3]. Die histopathologische Abgrenzung zu den invasiven Ovarialkarzinomen kann problematisch sein. Eine Studie konnte zeigen, dass unter 477 in den Jahren 1980–1982 beschriebenen Ovarialkarzinomen nach einer spezialisierten Zweitbegutach-tung 15% der Fälle als Borderlinetumoren zu klassifizieren waren [4]. Vergleichba-re Ergebnisse zeigte eine Untersuchung in England, bei der nach erneuter Begutach-tung durch spezialisierte Gynäkopatho-logen in 42% (27/64) aller Fälle Border-linetumoren des Ovars fälschlicherwei-se als Karzinom eingestuft waren [5]. Lei-tao [6] hat in einer ähnlichen Analyse da-rüber hinaus nachgewiesen, dass im Ver-gleich zu 25,6% aller Patientinnen mit be-

stätigter Karzinomdiagnose nur 4,5% der Patientinnen mit von Karzinom zu Boderlinetumor korrigierter Diagnose an ihrer Krankheit starben.

Diese Ergebnisse lassen vermuten, dass in den zurückliegenden Jahren einige Pa-tientinnen mit (klinisch meist benigne verlaufenden) ovariellen Borderlinetumo-ren fälschlicherweise als Patientinnen mit einem Karzinomleiden eingestuft wur-den. Eine bei Borderlinetumoren nicht notwendige belastende Chemotherapie hätte diesen Patientinnen bei korrekt ge-stellter Diagnose erspart werden können.

Ein weiteres diagnostisches Problem-feld ergibt sich bei Ovarmetastasen geni-taler und extragenitaler Karzinome, die als primäre Ovarialkarzinome fehlgedeutet werden können [7, 8]. Am häufigsten kommt dies bei metastasierenden Kar-zinomen des Gastrointestinaltrakts vor. Wird bei der Beurteilung eines malignen Ovarialtumors das Vorliegen einer me-tastatischen Tumorerkrankung anderer Herkunft nicht erkannt, kann dies zur ungewollten Vorenthaltung eines fallspe-zifisch besseren Therapiekonzepts führen.

Schließlich können nichtepitheliale Ovarialtumoren (z. B. Keimstrang-,

Keimzelltumoren) als Ovarialkarzinome fehlinterpretiert werden [9].

Histopathologische Fehleinschätzun-gen im Vorfeld klinischer Studien bei Ovarialkarzinomen führen schließlich zur ungewollten Verletzung von Einschluss-kriterien. Da Tumorbiologie, Ansprechen auf Chemotherapeutika und damit ver-bunden auch die Prognose der insgesamt differenzialdiagnostisch relevanten Läsio-nen sehr unterschiedlich sind, wird somit die wissenschaftliche Evidenz der betref-fenden klinischen Studien vermindert.

Es war unser Ziel, diese Annahmen und damit die Sinnhaftigkeit einer spezialisierten histopathologischen Zweit-begutachtung bei Ovarialkarzinomen sys-tematisch am Kollektiv einer Chemothe-rapiestudie zu hinterfragen.

Erste eigene Erfahrungen zum Thema

Gemäß eigener unveröffentlichter retro-spektiver Analysen an einem Patientin-nenkollektiv aus einer klinischen Phase-III-Studie wurde die Diagnose bei 301/319 (94,4%) fortgeschrittenen Ovarialkarzi-nomen einer abgeschlossenen Chemothe-rapiestudie nach zentraler histologischer

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Schwerpunkt: Ovarpathologie

SchwerpunktherausgeberD. Schmidt, Mannheim

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Retypisierung durch 2 der Autoren (FK, DS) gemäß den WHO-Kriterien [9] be-stätigt, bei 18/319 (5,6%) der Patientinnen wurde in den Schnitten, die für die retro-spektive Studie zur Verfügung standen, al-lerdings „nur“ Borderlinetumoren (BOT) diagnostiziert; von diesen 18 Patientin-nen verstarben „nur“ 2 (11,1%) an ihrem Tumorleiden, im Vergleich zu 197/301 (65,4%) der Patientinnen mit referenzpa-thologisch bestätigter Karzinomdiagnose.

Systematische Untersuchung

Basierend auf den zuvor genannten Beobachtungen und den bislang in der Literatur vorliegenden jeweils retrospek-tiv generierten Daten wurde gemeinsam mit der AGO-Studiengruppe (Arbeitsge-meinschaft Gynäkologische Onkologie) folgende Hypothese formuliert:

Fünf Prozent der Primärdiagnosen „Ova-rialkarzinom“ sind in klinischen Studien nicht zutreffend. Bei den jeweiligen Fällen handelt es sich nicht um Ovarialkarzinome, sondern um Borderlinetumoren, Metasta-sen oder nichtepitheliale Tumoren.

Zur Überprüfung der Hypothese wurde von der AGO-Studiengruppe die Studie „HIstologische STandardisierte Zweitbegutachtung in einem Studienkol-lektiv fortgeschrittener Ovarialkarzinome, AGO-OVAR 11t-HISTO“ initiiert. Im Fol-genden sollen das Projekt vorgestellt und die zwischenzeitlich vorliegenden Ergeb-nisse und Erfahrungen diskutiert werden [10].

Studiendesign

Die Studie „AGO-OVAR11t-HISTO“ wurde als translationales Subprojekt zur AGO-OVAR11-Studie konzipiert. In dieser Studie (internationaler Studienti-tel „ICON7“) wurde die Bedeutung von Bevacicumab in Kombination mit einer Paclitaxel-Carboplatin-Chemotherapie sowie danach als Erhaltungstherapie bei zuvor operiertem Ovarialkarzinom unter-sucht [11]. Die Teilnahme an der Zweitbe-gutachtungsstudie war freiwillig und kei-ne Vorrausetzung für eine Behandlung im Rahmen der klinischen Hauptstudie. Eventuell auftretende diagnostische Dis-krepanzen wurden lediglich dem erst-begutachtenden Pathologischen Institut mitgeteilt und hatten keinen unmittel-baren Einfluss auf die Behandlung der Patientin. Die Patientinnen wurden vom jeweiligen klinischen Studienzentrum über die Teilnahme an der Zweitbegut-achtungsstudie aufgeklärt, die Rekrutie-rung erfolgte nur nach entsprechender Einverständniserklärung der Patientin.

Methoden

Die Registrierung der Patientinnen wurde mithilfe einer eigens für dieses Projekt entwickelten Internetplattform vorgenommen.

Die Kontaktaufnahme zur erstbegut-achtenden Pathologie erfolgte persön-lich durch einen der Autoren (SK). Es erging die Bitte um anonymisierte Über-sendung sämtlicher Schnitte und Paraf-finblöcke des betreffenden Falls zur Zweitbegutachtung im Referenzzentrum

für Gynäkopathologie, Institut für Patho-logie, A2/2, in Mannheim.

Sämtliche Tumoren wurden gemäß der zum Zeitpunkt der Begutachtung gültigen WHO-Klassifikation von 2 der Autoren (FK, DS) befundet [9]. Immun-histochemische Zusatzuntersuchungen wurden in wenigen Fällen durchgeführt, sofern sie von den Zweitbegutachtern für notwendig erachtet wurden. Hierbei ka-men insbesondere Marker zum Einsatz, mit denen typischerweise eine Abgren-zung primärer Ovarialkarzinome (posi-tiv für CK7, WT1, CA-125, ER, PR) von nichtepithelialen Ovarialtumoren oder Metastasen (ggf. positiv für CK20, Inhi-bin-alpha, Calretinin, TFF1) möglich ist. Gemäß den in der internationalen Fach-literatur anerkannten Richtlinien werden diagnostische Diskrepanzen als „klinisch relevant“ („major discrepancy“) einge-stuft, wenn sich aus der Zweitbegutach-tung eine Konsequenz für die Behandlung der Patientin ergibt (Beispiel: Ovarial-karzinom vs. Borderlinetumor oder Me-tastase eines Kolonkarzinoms [12]). Tra-ten im Rahmen der Zweitbegutachtung lediglich Abweichungen in Bezug auf den histologischen Karzinomtyp auf, wurden diese als „klinisch nicht relevant“ („minor discrepancy“) eingestuft (Beispiel: seröser vs. endometrioider Typ).

Nach erfolgter Zweitbegutachtung war das weitere Vorgehen unmittelbar von deren Ergebnis abhängig (. Abb. 1). Stimmten Erstdiagnose und Zweitbe-gutachtung überein, wurden sämtliche Schnitte an in die erstbefundende Patho-logie zurückgeschickt, ebenso die nicht in der Tumorbank der AGO-Studiengruppe archivierten Paraffinblöcke. Traten klinisch relevante diagnostische Diskre-panzen auf, erfolgte zunächst die Kontaktaufnahme mit dem jeweiligen erstbegutachtenden Institut. Konnte hier-bei ein diagnostischer Konsens herbeige-führt werden, wurde dieser als studienin-terne Diagnose verwendet. Im Falle einer bleibenden Diskrepanz wurden die Präpa-rate 2 weiteren, international anerkannten Gynäkopathologen vorgelegt (Prof. Dr. J. Diebold, Luzern; Prof. Dr. S. Hauptmann, Düren). Das mehrheitliche Urteil des Expertenpanels wurde dann als Studien-diagnose gewertet.

Zweitbegutachtungidentisch mit erster

Diagnose

Zweitbegutachtung nicht identisch mit

erster Diagnose

nein

Diskussion des Fallesim wissenschaftlichen

Review-Board, mehrheitlicheFestlegung der Diagnose

DIAGNOSEENDGÜLTIG

jaDiskussion zwischen Referenzzentrum

und erstbegutachtender PathologieKonsensus ?

Abb. 1 9 Ablauf der histopathologischen Zweitbegutachtung im  Verlauf der AGO-OVAR-11t-HISTO-Stu-die. (Aus [16])

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Schwerpunkt: Ovarpathologie

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Ergebnisse und Fallbeispiele

Die AGO-OVAR11-Studie rekrutierte insgesamt 533 Patientinnen, von denen 454 ihr Einverständnis zur Teilnahme an der Zweitbegutachtungsstudie AGO-OVAR11t-HISTO gaben. Im Rahmen der Erstbegutachtung waren insgesamt 104 Pathologische Institute beteiligt (23 Pra-xen, 58 Prosekturen und 23 Universitäts-pathologien). Alle erstbegutachtenden Pathologischen Institute stellten in sämt-lichen Fällen Schnitt- und Blockma-terial zur Verfügung, im Durchschnitt wurden hierbei pro Fall 40 Schnittprä-parate (Range 2–120) übersandt. Die zur Rekrutierung in die Chemotherapiestu-die führenden Originaldiagnosen sind ebenso wie die Befunde nach spezialisier-ter Zweitbegutachtung in . Tab. 1 auf-geführt. Insgesamt betrachtet wurde die Originaldiagnose in 65% aller Fälle sowohl bzgl. Dignität als auch histologi-schem Tumortyp eindeutig bestätigt. Es zeigte sich allerdings in Bezug auf die ein-zelnen histologischen Typen eine deutli-che Spannbreite der Übereinstimmung von 22,6% (endometrioides Ovarialkarzi-nom) bis 88,2% (klarzelliges Ovarialkar-zinom). Unter den 159 Fällen, bei denen sich eine Abweichung zwischen Original-diagnose und Zweitbegutachtung ergab, handelte es sich in 128 Fällen (28,2%) um therapeutisch nicht relevante Diskrepanzen. In 31 Fällen (6,8%) wurde eine therapeutisch relevante Diskrepanz zur Originaldiagnose festgestellt. Hierbei handelte es sich um 15 seröse Borderline-tumoren, 13 Metastasen verschiedener Primärtumoren und 3 Karzino sarkome (maligner Müller-Mischtumor, . Tab. 2). In 8/31 Fällen erfolgte bei ausbleiben-der Konsensfindung zwischen Erst- und Zweitbegutachter die Hinzuziehung der oben genannten weiteren Gynäkopatho-logen, hierbei kam es jeweils zu einer einstimmigen Bestätigung der zuvor er-folgten Zweitbegutachtung. Der Anteil klinisch relevanter Diskrepanzen belief sich in pathologischen Praxen auf 5,0% (3/60), in Prosekturen auf 5,9% (13/221) und in Universitätspathologien auf 8,7% (15/173).

Zusammenfassung · Abstract

Pathologe 2014 · 35:355–360   DOI 10.1007/s00292-014-1911-5© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

S. Kommoss · J. Pfisterer · A. du Bois · D. Schmidt · F. KommossSpezialisierte histopathologische Zweitbegutachtung fortgeschrittener Ovarialkarzinome. Erfahrungen an Kollektiven aus prospektiv randomisierten Phase-III-Studien

ZusammenfassungHintergrund.  Aus retrospektiven Analysen  ist bekannt, dass eine signifikante Anzahl ovarieller Borderlinetumoren, Ovarmetasta-sen und nichtepithelialer Tumoren als Ova-rialkarzinome fehldiagnostiziert wurden.  Hieraus können unnötige Morbidität, nicht optimale Therapie und verminderte wissen-schaftliche Evidenz von Studien resultieren. Ziel unserer Arbeit war es, Häufigkeit und kli-nische Bedeutung diagnostischer Diskrepan-zen zu untersuchen.Methodik.  Die histologischen Präparate von Patientinnen mit Ovarialkarzinomen aus Pha-se-III-Chemotherapiestudien der AGO-Studi-engruppe (Arbeitsgemeinschaft Gynäkolo-gische Onkologie) wurden von mindestens 2 spezialisierten Pathologen zweitbegutachtet. Diagnostische Diskrepanzen wurden als „kli-nisch relevant“ („major“) oder „klinisch nicht relevant“ („minor“) eingestuft.Ergebnisse.  454/533 Patientinnen aus der AGO-OVAR11-(ICON-7)-Studie gaben ihr Ein-verständnis zur Zweitbegutachtung. Erstdia-gnose und Zweitbegutachtung stimmten  in 295/454 (65%) Fällen vollständig überein. In 

128 Fällen (28,2%) wurde eine Minor-, in 31 Fällen (6,8%) eine Majordiskrepanz festge-stellt.Diskussion.  Die Annahme einer signifikan-ten Anzahl therapeutisch relevanter diagnos-tischer Diskrepanzen in Chemotherapiestu-dien bei Ovarialkarzinomen wurde bestätigt. Eine spezialisierte Zweitbegutachtung ist so-mit wünschenswert. Es ist zu erwarten, dass hierdurch unnötige Morbidität vermieden und therapeutische Konzepte verbessert wer-den können. Schließlich wird eine Qualitäts-steigerung wissenschaftlicher Studien mög-lich. Ein Konzept zur zeitnahen Zweitbegut-achtung noch vor Randomisierung in The-rapiestudien wurde in einer weiteren Studie  zwischenzeitlich erfolgreich erprobt und könnte zukünftig auch Basis für eine moder-ne vernetzte Konsiliarpathologie sein.

SchlüsselwörterDiagnostische Diskrepanzen · Borderlinetumor · Metastase · Chemotherapiestudien · Konsiliarpathologie

Specialized histopathological second opinion of advanced ovarian cancer. Experiences with collectives from prospective randomized phase III studies

AbstractBackground.  Retrospective studies have shown that a significant number of ovarian borderline tumors, ovarian metastases, and nonepithelial tumors were erroneously diag-nosed as ovarian carcinomas. This may lead to unnecessary morbidity, suboptimal thera-peutic modalities, and unintended bias in clinical trials. The aim of this study was to in-vestigate the frequency and clinical signifi-cance of such diagnostic discrepancies.Material and methods.  Original histologi-cal slides from patients with ovarian carcino-mas included in phase III chemotherapy trials of the Working Group on Gynecological On-cology (AGO) were reviewed by at least two specialized pathologists. Diagnostic discrep-ancies were classified as being either clini-cally relevant (major) or clinically not rele-vant (minor).Results.  A total of 454 out of 533 patients from the AGO OVAR11 (ICON7) trial gave con-sent to the second opinion on the pathology  results. All of the 104 institutes of pathology  responsible for the original diagnoses con-tributed to the study. The first diagnosis and 

the second opinion pathology review were identical in 295 out of 454 (65%) cases. In 128 cases (28.2%) a minor discrepancy was found and 31 cases (6.8%) were shown to have a major discrepancy.Conclusion.  The assumption of a signifi-cant number or erroneous diagnoses in che-motherapy trials of ovarian carcinomas was confirmed. A pathology review seems there-fore desirable and may help to reduce unnec-essary morbidity and optimize therapeutic strategies. Moreover, improvement of quali-ty in therapy trials may become possible. In another study a new concept allowing a rap-id pathology review before randomization of patients has now been successfully test-ed and it may well have potential to form the basis for modern networking consultation pathology.

KeywordsDiagnostic discrepancies · Borderline tumor · Metastasis · Chemotherapy trial · Consultation pathology

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Fallbeispiel 1: seröser BorderlinetumorZur Zweitbegutachtung übersandt wurden sämtliche zu diesem Fall im erst-begutachtenden Institut vorliegenden Schnitte. Feingeweblich zeigte sich durch-gehend ein zystisch und papillär struktu-riertes Tumorgewebe mit ramifizierten fibrösen Stromapapillen, welche von einem serösen Epithel mit leichtgradigen Atypien und geringer Mitoseaktivität überkleidet werden. Eine Mikroinvasion oder eine karzinomatös destruierende Stromainfiltration lagen nicht vor (. Abb. 2). Erstdiagnose: hochdifferen-ziertes seröses Ovarialkarzinom, Zweit-begutachtung: seröser Borderlinetumor;

nach Diskussion des Falls mit dem erst-befundenden Kollegen stimmte dieser der referenzpathologischen Diagnose zu.

Fallbeispiel 2: Ovarmetastase eines KolonkarzinomsZur Zweitbegutachtung übersandt wur-den sämtliche zu diesem Fall im erstbegut-achtenden Institut vorliegenden Schnitte. Feingeweblich erkennbar waren in einem fibrösen Stroma Drüsen mit Auskleidung durch ein teils nekrotisches schleimbil-dendes Epithel mit ausgeprägten Atypien. Die vom Zweitbegutachter angefertigte Immunhistochemie ergab CK7−/CK20+ (. Abb. 3). Erstdiagnose: muzinöses Ova-rialkarzinom vom intestinalen Typ, Zweit-

begutachtung: Ovarmetastase, sehr wahr-scheinlich bei kolorektalem Adenokarzi-nom. Nach Diskussion des Falls mit dem erstbefundenden Kollegen stimmt dieser der referenzpathologischen Diagnose zu. Wenige Monate später wurde die betrof-fene Patientin wegen eines stenosierenden Kolonkarzinoms operiert.

Praktische Erfahrungen und Beobachtungen

F  Als besonders erwähnenswert möch-ten die Autoren an dieser Stelle zu-nächst noch einmal auf die hohe Be-reitschaft der Kollegen zur Teilnahme an dieser Studie hinweisen. Die Tat-sache, dass in sämtlichen Fällen Ori-ginalpräparate (Schnitte und Blöcke!) zur Verfügung gestellt wurden, darf als Ausdruck eines großen Interes-ses an Transparenz und höchster dia-gnostischer Qualität unter den Patho-logen Deutschlands gewertet werden.

F  In den Fällen, bei denen es zu klinisch relevanten diagnostischen Diskrepan-zen kam, war die Kontaktaufnahme mit den erstbegutachtenden Kollegen stets von gegenseitigem Respekt und großem fachlichem Interesse geprägt. Die Möglichkeit, schwierige Befunde mit gynäkopathologisch versierten Kollegen zu diskutieren, wurde im Sinne einer konstruktiven fachlichen Diskussion gerne angenommen.

F  Hauptaugenmerk dieser Studie war es, die Zweitbegutachtung mit größt-möglicher Sorgfalt und ohne Zeit-druck durchzuführen. Auch war es mit den für dieses Projekt zur Verfü-gung gestellten Mitteln nicht möglich, die Zweitbegutachtung in einem Zeitrahmen durchzuführen, welcher eine Berücksichtigung der Ergebnis-se für die Therapieentscheidung sinn-voll ermöglicht hätte. Dies erklärt die mit 10,4 Monaten sehr lange mittlere Zeitspanne bis zur Fertigstellung der Zweitbegutachtung.

Schlussfolgerungen, weitere Schritte und Ausblick

In Deutschland stehen mehrere Institu-te für Pathologie und Register bereit, um die referenzpathologische Zweitbegutach-

Tab. 1  Gegenüberstellung der zur Studienteilnahme führenden Originaldiagnosen und Diagnosen nach spezialisierten Zweitbegutachtungen

  Originaldiagnose Zweitbegutachtung Übereinstimmung

n % n % n %

Serös 309 68,1 262 57,6 229/309 74,1

Endometrioid 31 6,8 14 3,1 7/31 22,6

Klarzellig 17 3,7 25 5,5 15/17 88,2

Muzinös 13 2,9 6 1,3 4/13 30,8

Gemischt 20 4,4 43 9,5 10/20 50,0

Transitionalzellig 4 0,9 6 1,3 1/4 25,0

Undifferenziert 12 2,6 14 3,1 4/12 33,3

Unklassifiziert 14 3,1 1 0,2 0/14 00,0

Peritonealkarzinom 18 4,0 33 7,3 13/18 72,2

Tubenkarzinom 16 3,5 19 4,2 12/16 75,0

Andere n.a. n.a. 31 6,8 n.a. n.a.

Gesamt 454 100 454 100 295/454 65,0

n.a. nicht angegeben.

Tab. 2  Erst- und Zweitdiagnosen in 31 Fällen mit therapeutisch relevanten Diskrepanzen

Erstbefundung Zweitbegutachtung

Borderlinetumoren, n=15

Ovarialkarzinom, serös (12/15) Seröser Borderlinetumor (15/15)

Ovarialkarzinom, gemischter Typ (2/15)

Ovarialkarzinom, unklassifiziert (1/15)

Ovarmetastasen, n=13

Ovarialkarzinom, muzinös (7/13) Adenokarzinom, Kolon (4/7)

Adenokarzinom, gastrointestinal (3/7)

Ovarialkarzinom, serös (2/13) Mesotheliom (1/2)

Adenokarzinom, Lunge (1/2)

Peritonealkarzinom (2/13) Adenokarzinom, gastrointestinal (1/2)

Adenokarzinom, Endometrium (1/2)

Ovarialkarzinom, unklassifiziert (1/13) Adenokarzinom, Magen (1/1)

Tubenkarzinom (1/13) Adenokarzinom, Magen (1/1)

Nichtepitheliale Ovarialtumoren, n=3

Ovarialkarzinom, gemischter Typ (2/3) Maligner Müller’scher Mischtumor (3/3)

Ovarialkarzinom, unklassifiziert (1/3)

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Schwerpunkt: Ovarpathologie

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tung maligner Lymphome durchzufüh-ren, welche in eine der offenen Therapie-optimierungsstudien eingebracht werden sollen. Auch bei der Durchführung von Studien an anderen Tumorentitäten (z. B. Sarkome, Mammakarzinome) ist eine re-ferenzpathologische Zweitbegutachtung inzwischen nicht selten vorgesehen. Bei klinischen Studien von Ovarialkarzino-men ist eine histopathologische Zweit-begutachtung dahingegen bislang nicht etabliert, erscheint jedoch im Lichte der hier diskutierten Ergebnisse wünschens-wert (. Infobox 1).

Voraussetzung hierfür ist aber, die Zweitbegutachtung zeitnah zur Erstdia-gnose und ausreichend schnell noch vor Randomisierung der Studienpatientinnen durchzuführen. Dass dies grundsätzlich

möglich ist, haben die Autoren in einem weiteren Projekt der AGO-Studiengrup-pe inzwischen bereits gezeigt. So wurden im Rahmen des Projektes „VISION-Ovar“ sämtliche zur Rekrutierung in die AGO-OVAR-17-Studie vorgesehenen Patientin-nen vor Studieneinschluss einer obliga-torischen Zweitbegutachtung zugeführt. Die hierfür erforderliche Beschleunigung der Zweitbegutachtung erreichten die Autoren durch Entwicklung einer modernen Internetplattform sowie die Etablierung eines zentralen Sekretariats und internationalen Netzwerks anerkann-ter Gynäkopathologen [13, 14].

Diese Studie wurde bei den koope-rierenden Pathologen überwiegend sehr positiv aufgenommen. In wenigen Insti-tuten begegnete man den Anfragen zur

Kooperation aber auch skeptisch, und es fand eine kritische und letztlich sehr konstruktive Diskussion statt. Diese führ-te zum einen zu Verbesserungen der stu-dieninternen Abläufe und Dokumenta-tion. Zum anderen ergab sich hieraus ein weiterer Anlass, die Problematik der Teil-nahme von Pathologen an klinischen Stu-dien mit Bereitstellung von Tumorgewebe innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Pathologie zu diskutieren und hierzu auch schriftlich Stellung zu nehmen [15]. Bei der Planung zukünftiger Projekte mit Einsatz einer spezialisierten histopatholo-gischen Zweitbegutachtung bei Ovarial-karzinomen sollten die hier vorgestellten Erfahrungen unter Berücksichtigung der Überlegungen und Empfehlungen unse-rer Fachgesellschaft genutzt werden. Hier-

Abb. 2 8 Erstdiagnose: Hochdifferenziertes seröses Ovarialkarzinom, Zweit-begutachtung: seröser Borderlinetumor des Ovars. a Zystisch-solides Tumorgewebe mit intrazystischen und an der Oberfläche gelegenen  verzweigten Papillen (HE-Färbung). b Hierarchisch verzweigte fibröse Stromapapillen werden von einem serösen Epithel mit papillären Auffal-tungen, geringen Kernatypien und einzelnen Mitosen überkleidet. Keine Stromainvasion (HE-Färbung)

Abb. 3 8 Erstdiagnose: muzinöses Ovarialkarzinom vom intestinalen Typ, Zweitbegutachtung: dringender Verdacht auf Ovarmetastasen eines  kolorektalen Adenokarzinoms. a Maligner zystischer Ovarialtumor mit von atypischem, becherzellhaltigem muzinösem Epithel ausgekleideten, un-regelmäßig geformten Drüsenstrukturen und teils ausgeprägten Tumorzell-nekrosen (HE-Färbung). b Die CK7-Immunhistochemie ist komplett negativ. c Die CK20-Immunhistochemie ist inhomogen, fokal stark positiv

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bei erscheint es unabdingbar, im Interesse klinisch sinnvoller Laufzeiten zukünftig konsequent die Möglichkeiten zentraler, digital telepathologisch mit Experten-panels vernetzter Studiensekretariate zu nutzen. Auch im Bereich der gynäkopa-thologischen Konsiliartätigkeit besteht nach Meinung der Autoren Handlungs-bedarf. Dezentral und mit herkömmli-chen Möglichkeiten arbeitende Referenz-zentren sind mit zunehmenden Fallzah-len und steigender Komplexität der Fälle konfrontiert. Hieraus können für Einsen-der und Konsiliarii gleichermaßen frust-rierend lange Bearbeitungszeiten resultie-ren. Vernetzte Sekretariate mit moderner digitaler Infrastruktur könnten auch hier zukünftig helfen, die Bearbeitung von konsiliarischem Untersuchungsmaterial im Rahmen von Netzwerken wesentlich effektiver und schneller zu bewerkstelli-gen. Die Schaffung und Alimentierung

solcher Sekretariate könnten für die Zu-kunft eine lohnenswerte Herausforderung an die Berufsgruppe der Pathologen dar-stellen.

Fazit für die Praxis

F  Eine spezialisierte Zweitbegutach-tung von Ovarialkarzinomen kann helfen, therapieassoziierte Morbidität zu vermeiden, therapeutische Kon-zepte zu optimieren und die Evidenz wissenschaftlicher Studien zu  verbessern.

F  Um eine zeitnahe Zweitbegutachtung zur Prüfung von Einschlusskriterien in klinischen Studien zu ermöglichen, ist die Schaffung effektiver Infrastruk-turen mit geeigneten Expertennetz-werken notwendig.

Korrespondenzadresse

Dr. S. KommossDepartment für Frauengesundheit, Universitätsklinikum TübingenCalwerstr. 7, 72076 Tü[email protected]

Danksagung.  Die Autoren bedanken sich sehr herz-lich bei den AGO-Studienzentren, ohne deren Unter-stützung die Durchführung der Studie OVAR11t-HISTO  nicht möglich gewesen wäre. Ein besonderer Dank  ergeht auch an Herrn Prof. Dr. J. Diebold und Herrn Prof. Dr. S. Hauptmann für die Mitbegutachtung  strittiger Fälle.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt.  S. Kommoss, J. Pfisterer, A. du Bois, D. Schmidt, F. Kommoss geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. 

Alle angewandten Verfahren stehen im Einklang mit den ethischen Normen der verantwortlichen Kommis-sion für Forschung am Menschen (institutionell und national) und mit der Deklaration von Helsinki von 1975 in der revidierten Fassung von 2008.

Literatur

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  9.  Tavassoli FA, Devilee P (2003) Pathology and gene-tics of tumours of the breast and female genital or-gans. IARC Press, Lyon 10.  Kommoss S et al (2013) Specialized pathology review in patients with ovarian cancer: results from a prospective study. Int J Gynecol Cancer 23(8):1376–1382

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Infobox 1  Bedeutung der Zweitbegutachtung bei Ovarial-karzinomen

Aus klinischer Sicht könnte ein funktionie-rendes System der Zweitbegutachtung bei Ovarialkarzinomen zu einer Verbesserung der Behandlungsergebnisse führen, da die Patientinnen die für ihre Erkrankung jeweils optimale Therapie erhielten. Auch könnte die Gesamtbelastung der Patientinnen geringer werden, da z. B. Patientinnen mit Borderline-tumoren keine Chemotherapie bekämen.

Aus Sicht des klinischen Wissenschaftlers und der AGO-Studiengruppe würde eine Zweit-begutachtung zudem auch die Qualität der Aussagekraft von Therapiestudien deutlich erhöhen. Mit zunehmendem Wissen über verschiedene tumorbiologische Tumortypen und der nachfolgend steigenden Komplexität der Therapieprotokolle wird es immer wichti-ger, die „richtigen Therapien für die richtigen Tumoren den richtigen Patientinnen“ zukom-men zu lassen. Bei der hohen Selektion für spezifische Therapien werden falsch zugeord-nete Patientinnen einen viel höheren Einfluss auf die Ergebnisqualität haben, als es bei den älteren „One-size-fits-all“-Ansätzen der Fall war. Dies kann im Einzelfall nicht nur zu einer nicht optimalen Therapie führen, sondern auch zur Unterbewertung neuer Therapiean-sätze. Der Trend zu immer mehr selektierten Studienkollektiven mit nachfolgender Gene-ralisierung von Ergebnissen erfordert daher zwingend eine Steigerung der Reliabilität von pathologischer/molekularpathologischer Diagnostik.

360 |  Der Pathologe 4 · 2014

Schwerpunkt: Ovarpathologie