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Arch. Math., Vol. 38, 97--101 ( 1 9 8 2 ) 0003-889X/82/3802-0005 $ 01.50 + 0.20/0 1982 Birkh~user Verlag, Basel Sph~irische Kurven mit beschr~inkter Selbstschnittzahl Yon Wrf.'~'ET,lVI Y~INGENBER@ Martin Barner zmn 60. Geburtstag gewidmet 1. Bekanntlich ist der Vierscheitelsatz aquivalent zu dem Satz, daB eine doppel- punktfreie geschlossene Kurve auf der Sphare S 2 mindestens vier SteUen mit sta- tionarer Schmiegebene besitzt. Wir verdanken M. Barner [1] einen besonders schSnen Beweis dieses Sachverhalts, so wie eine Verallgemeinerung auf Kurven in hSher- dimensionalen Raumen. In der vorliegenden Note wollen wir nieht einzelne gesehlossene Kurven auf S 2 untersuchen, sondern ganze Familien soleher Kurven. Fiir solche Kurven laBt sich der Begriff der SelbstschnittzaM definieren, vgl. [4]. Fiir Kurven mit nur trans- versalen Doppelpunkten ist diese der Absolutwert der Summe der orientierten SchnittzaMen yore Werte W-I, wobei noch die Punktierung der Sphare beriick- siehtigt werden muB, insofern, als dab das Maximum f'tir alle mSglichen Punktierungen genommen werden muB. Fiir allgemeine Kurven verwendet man die Selbstschnitt- zah] approximierender Kurven obiger Art. Bezeiehne mit Am ~ Ares 2 den Raum der Kurven der Selbstschnittzahl ~ m-- 1. Wit vermuten, dab Am retrahierbar ist in den (2m + 2)-dimensionalen Komplex, der dureh den AbschluB der instabilen Mannigfaltigkeit WuBmS 2 der kritisehen 1VIannigfaltigkeit Bm S 2 der m-fach durchlaufenen GroBkreise erklart ist. Eine explizite Besehreibung yon Wu BInS 2 und ihres Abschlusses ist- jedenfaUs f'ur m > 1 -- nieht bekannt und offenbar auch sehwierig herzustellen. In dieser Note wollen wir fiber eine gemeinsame Untersuchung mit L. IV[.Falcitelli und A. M. Pastore berichten, welche zu einer zu WuBmS n gleiehwertigen Mannigfaltigkeit W'BInS z fiihrt, deren Elemente m sieh beriihrenden Kreise sind. W~BmS2 ist geometrisch tibersiehtlich und seine Struktur l~Bt sieh explizit beschreiben, einsehlieBlich ihres Abschlusses. Ftir Einzelheiten verweisen wir auf die in Vorbereitung befindliche Arbeit [2]. 2. Wit erinnern an einige Definitionen und Begriffe aus der Theorie des Raumes der geschlossenen Kurven, vgl. [3], [4]. Archiv der Mathematik 38 7

Sphärische Kurven mit beschränkter Selbstschnittzahl

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Page 1: Sphärische Kurven mit beschränkter Selbstschnittzahl

Arch. Math., Vol. 38, 97--101 ( 1 9 8 2 ) 0003-889X/82/3802-0005 $ 01.50 + 0.20/0 �9 1982 Birkh~user Verlag, Basel

Sph~irische Kurven mit beschr~inkter Selbstschnittzahl

Y o n

Wrf.'~'ET,lVI Y~INGENBER@

Martin Barner zmn 60. Geburtstag gewidmet

1. Bekanntlich ist der Vierscheitelsatz aquivalent zu dem Satz, daB eine doppel- punktfreie geschlossene Kurve auf der Sphare S 2 mindestens vier SteUen mit sta- tionarer Schmiegebene besitzt. Wir verdanken M. Barner [1] einen besonders schSnen Beweis dieses Sachverhalts, so wie eine Verallgemeinerung auf Kurven in hSher- dimensionalen Raumen.

In der vorliegenden Note wollen wir nieht einzelne gesehlossene Kurven auf S 2 untersuchen, sondern ganze Familien soleher Kurven. Fiir solche Kurven laBt sich der Begriff der SelbstschnittzaM definieren, vgl. [4]. Fiir Kurven mit nur trans- versalen Doppelpunkten ist diese der Absolutwert der Summe der orientierten SchnittzaMen yore Werte W-I, wobei noch die Punktierung der Sphare beriick- siehtigt werden muB, insofern, als dab das Maximum f'tir alle mSglichen Punktierungen genommen werden muB. Fiir allgemeine Kurven verwendet man die Selbstschnitt- zah] approximierender Kurven obiger Art.

Bezeiehne mit Am ~ Ares 2 den Raum der Kurven der Selbstschnittzahl ~ m - - 1. Wit vermuten, dab Am retrahierbar ist in den (2m + 2)-dimensionalen Komplex, der dureh den AbschluB der instabilen Mannigfaltigkeit W u B m S 2 der kritisehen 1VIannigfaltigkeit Bm S 2 der m-fach durchlaufenen GroBkreise erklart ist.

Eine explizite Besehreibung yon Wu BInS 2 und ihres Abschlusses i s t - jedenfaUs f'ur m > 1 -- nieht bekannt und offenbar auch sehwierig herzustellen. In dieser Note wollen wir fiber eine gemeinsame Untersuchung mit L. IV[. Falcitelli und A. M. Pastore berichten, welche zu einer zu WuBmS n gleiehwertigen Mannigfaltigkeit W ' B I n S z fiihrt, deren Elemente m sieh beriihrenden Kreise sind. W~BmS2 ist geometrisch tibersiehtlich und seine Struktur l~Bt sieh explizit beschreiben, einsehlieBlich ihres Abschlusses. Ftir Einzelheiten verweisen wir auf die in Vorbereitung befindliche Arbeit [2].

2. Wit erinnern an einige Definitionen und Begriffe aus der Theorie des Raumes der geschlossenen Kurven, vgl. [3], [4].

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98 W. KLINGENBERG ARCH. MATH.

MAt A S 2 oder kurz A bezeichnen wir die Hilbert-Mannigfaltigkeit der geschlos- senen H1-Kurve auf S 2. Der Parameterbereieh der geschlossenen Kurve sei stets der Kreis S = [0, 1]/(0, 1}. Die Menge der glatten Kurven ist dicht in A. Auf A haben wir die differenzierbare Funktion

E: A S 2 - - > R ; c~->�89 (t), "c(t)>dt

sowie eine riemannsche Metrik. Ffir jedes reelle z ~ 0 bezeiehne A z S 2 oder kurz A ~ den Teil {E ~ z} c A.

Die kritisehen Punkte yon E zerfallen in nicht-entartete kritische Untermannig- faltigkeiten: Zum einen haben wit den Raum A~ S 2 der konstanten Kurven (cp: S-->$2; cp(t) ----p}. Zum anderen haben wir f'fir jedes m = 1, 2 , . . . den Raum

~m S 2. der m-fach durchlaufenen Grol3kreise. E l Bm S 2 = 2 xc2 m 2 ---- (kurz) ~m. Offenbar sind die BInS 2 alle zueinander isomorph. B1S 2, der Raum der einfach

durchlaufenen GroBkreise, kann identifiziert werden mit dem Raum T1 S 2 der Tan- gentialvektoren der L~nge 1 an S 2 und daher aueh mit dem reellen 3-dimensionalen projektiven Raum.

3. Ffir die folgenden Betraehtungen vgl. [4].

Wir betraehten in A = A S 2 die Teilmenge .4 der Immersionen c: S -> S 2 mit der Eigenschaft, dab durch einen Punkt p e S 2 hSchstens zwei Kurvenbogen laufen

und diese sich transversal sehneiden. F i i r c e A definieren wir die Selbstschnitt- zahl v(c) als den Absolutwert der Summe der Sehnitte, gezahlt mi t + 1 oder - -1 , je nach ihrer Orientierung. Die Zahlen + 1 hs ab yon der gewahlten Punktie- rung yon S 2 in Cc. Wir w~hlen die Punktierung so, dab v(c) maximal wird. Der Wert v (c) = r ist zugelassen.

Wir setzen fiir jedes endliche n, { c e A ; v(c) ~ n - - 1} = A n . Mit -~In = A n S 2

bezeiehnen ~ den Absehlu9 in A der Menge An. Definiere Ao durch 0. Dann erhalten wir ffir A die Ffltrierung Ao c A~c A2 c - " . Falls c ~ A n , aber c ~ A n - l , so habe c die Selbstsehnittzahl v(c) ---- n - - 1.

Die Punktkurven gehSren zu A1.

4. In der Morsetheorie der riemannschen :~r A S 2 mit dem Funk- tional E ist das negative Bfindel v~ : N ~ --~ BInS 2 erkl~rt als das Bfindel der nega- riven Eigenr~ume yon /)2E(c), c m e BInS 2. Die Faser fiber c m e B m S 2 wird auf- gespannt yon den Vektorfeldern

~(t) ---- A( t ) cos 2 g p t + ~(t) sin 2 g p t ,

0 ~ p ~ m - - 1. Hier sind A (t), B (t) parallele Vektorfelder l~ngs c (t) mit A (t) _t_ c (t), B(t) _J_ ~(t), vgl. [3].

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Die instabile Mannigfaltigkeit W u B m S 2 ist definiert als die injektive Immersion in A~mM yon N~ derart, dab die Basis yon N~ mit B I n S 2 identifiziert wird und die Faser (v~)-l(c m) fiber c m in die sogenannte stark-instabile Nfannig-faltigkeit Wuu(c m) yon c m fibergeht, bestehend aus den vollen Trajektionen des Gradienten- flusses, welche ffir s --~ oo c m als Grenzwert besitzen.

Im Fall m = 1 besteht Wuu (c) aus den zum GroBkreis c parallelen Kreisen. Ffir m > 1 ist dagegen die explizite Gestalt yon Wuu (c m) nicht bekannt. Das folgende Theorem ist daher yon besonderem Interesse:

Theorem. Fiir ]edes m = 1, 2, 3, ... existiert eine zu W u B m S 2 5quivalente Unter. mannig/al t igkei t W*uBmS 2, welche aus der Menge der K u r v e n bestehend aus m sich beriihrenden Kre isen gebildet wird.

Wir geben im folgenden nut eine Beweisskizze. Ffir die Einzelheiten sei auf [2] verwiesen.

Betrachte zun/ichst den Fall m ---- 1. Ein (eigentlicher) Kreis auf S 2 ist eine Ein- bettung c: S---> S 2, mit I c(t)] ---- const so, dab das Bild in einer Ebene liegt, die einen Abstand < 1 yon 0 E R 3 besitzt. Mit A S 2 - - A o S 2 bezeichnen wir die Ge- samtheit der Kreise. Hierin ist insbesondere die Teilmenge B S 2 = B ~ S 2 der GroB- kreise enthalten.

Wir haben die Projektion

~: A S 2 - - A o s ~ --> B S ~ ,

bei der wit einem Kreis c den dazu paralleten GroBkreis zuordnen. Genauer: Wit versehieben v zun/ichst parallel so, dab tier Mittelpunkt in 0 e R S fibergeht, und dann vergrSBern wir das Bild dutch eine Homothetie zu einem GroBkreis. ~ ist often- bar ein R1-Bfindel fiber B S 2. Die Faser fiber einem GroBkreis c kann dutch tg (r ~r/2) besehrieben werden, wo r e ] -- 1, -4-1 [ die Koordinate des Mittelpunktes eines zu c paraltelen Kreises ist. Der Totalraum A S 2 - - A o s 2 yon ~ ist das Bild der instabilen Mannigfaltigkeit Wu ( B 1 S 2) : N ~- ---> A~'~ S 2.

Sei jetzt m > 1 beliebig. Wit wollen eine ,,instabfle Marmigfaltigkeit" W ~ BInS 2 defmieren, die topologiseh mit der gewShnliehen W u B m S 2 /~quivalent ist.

Die Elemente yon W ' B I n S 2 sollen Kurven der Form Cl u .-. u cm sein, wo cl , . . . , cm orientierte Kreise sind. Hier ist cl beliebig gewghlt, c2 ist so gews dab es cl orientierungstreu berfihrt, wobei wit darunter aueh die MSglichkeit verstehen, dab c2 mit cl koinzidiert, cs soll c2 berfihren usw., bis zu Cm, das cm-1 berfihren soll.

Wir maehen nun diese Kreise zu einer parameterisierten Kurve, genauer, zu einem Element aus Am, indem wir mit einem Bogen yon c~ beginnen, 1 < k < m, beim Berfihrpunkt mit ck+l auf ce+l fiberwechseln und so fort. cm wird ganz durchlaufen, dana der verbhebene Bogen yon cm-1 durehlaufen (dieser kann trivial sein) usw., his zu cl und dann zuriick zum Kreis c~, den wir auf dem verbleibenden Bogen durehlaufen. Die Durchlaufungen sollen orientierungstreu sein.

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Bei der Wahl yon cl haben wir 4 Parameter, bei der Wahl der iibrigen c2 . . . . , cm jeweils 2. Insgesamt haben wir also eine Famihe yon Kurven mit 2m + 2 Para- metern. Dies ist gerade die Dimension der instabilen Mannigfaltigkeit W~ BInS 2.

Wir erkl~ren ffir c m e BInS 2 die Famihe W*uu (c m) c W*uBmS 2 wie folgt - - es ist dies das Analogon der stark-instabilen Mannigfaltigkeit Wuu (cm):

Je zwei aufeinander folgende sieh beriihrende Kreise cz (J c~+1 bilden einen Winkel miteinander. Wir wollen diese Winkel miteinander vergleichen. Dazu rollen wir c2 l~ngs c3 unter Mitnahme yon cl ab, bis der Beriihrpunkt yon cl und c2 mit dem Beriihrpunkt yon c2 und c3 koinzidiert. Entsprechend rollen wir cs unter Mitnahme der c�92 c2 in ihren neuen Positionen l~ngs c4 ab, bis die ersten vier Kreise einen ge- meinsamen Beriihrpunk~ haben, usw., bis wir eine Kurve aus m Kreisen erhalten, die sich alle in ein und demselben Punkt berfihren. Diese m Kreise sind orientiert, so daI3 wir yon einem obersten Kreis spreehen k5nnen. Es sei nun c~ derjenige der urspriinglichen m Kreise cl . . . . . cm, weleher bei der soeben konstruierten Kurve aus m sich in demselben Punkt beriihrenden Kreise an der Stelle (m + 1)/2 (falls m ungerade) oder an der Stelle (m + 2)/2 (falls m gerade) zu liegen kommt, wobei wir yon oben durchnumerieren. Nun soll die Kurve cl w -.. w Cm zu dem m-fach durch- laufenen Grol3kreis ~(cD gehSren. Man iiberlegt sich leicht, d~l] ~(c~) wohldefiniert ist.

Es ist wichtig zu bemerken, dab die so definierte ,,Faserung" ~*: W~* Bm S 2 -> Bm S 2 vertauschbar ist mit der kanonisehen S1-Aktion auf A S 2. Bei dieser Aktion wird einem e 2mr e S z und einer Kurve c(t) die Kurve c(t + r) zugeordnet, vgl. [3]. Be- aehte, dal3 diese Aktion den Teilraum W*uBmS 2 in sich transformiert.

Be i sp ie l . Fiir m = 1 ist ~l* = ~1: WuB1S 2 -+ B1S 2 die oben besehriebene Ab- bildung cr Fiir m = 2 besteht Wu*u (c 2) aus allen Kurven der Form cl u c2 wo c2 zu c parallel ist und cl den Kreis c2 ,,yon oben" beriihrt.

Im Falle m = 3 besteht W~*~ (c 8) aus den Kurven der Form cl w c2 u c3, wobei einer der Kreise cl, c2, c3 parallel ist zu c. Und zw~r ist es der Kreis c2, falls cl und c3 auf verschiedenen Seiten yon c2 liegen. Allgemeiner ist es derjenige der drei Kreise vl, c2, c3, weleher zwisehen die beiden anderen zu liegen kommt, wenn man c3 l~ngs c2 rollen l~l~t, his der Beriihrpunkt yon c2 mit cl erreieht ist.

S c h l u l 3 b e m e r k u n g . Wir haben hier nur W*~JBmS 2 besehrieben. Indem man, aus- gehend yon den kleinsten Kreisen, diese zu Punktkreisen deformiert unter Festhalten ihres Beriihrpunktes, erh~lt man eine E-vermindernde Deformation. Der Abschlul~ in Ares 2 yon W*~BmS 2 unter diesen Deformationen ist vermutlich ein absoluter Deformationsretrakt des Raumes Ares der Kurven der Selbstschnittzahl ~ m .

Literaturverzeiehnis

[I] H. B ~ , tTber die Hindestanzahl s~tion~irer Schmiegebenen bei geschlossenen streng- konvexen Raumkurven. Abh. Hath. Sere. Univ. Hamburg 20, 196--215 (1956).

[2] L. M. FALerrxr,LI und A. H. PASTORX, I1 fibrato negativo dei cerchi di multiplicit~ m. (In preparazione).

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Vol. 38, 1982 Sph~rische Kurven 101

[3] W. KLr~GE~rSF_a~G, Lectures on Closed Geodesics. Berlin-Heidelberg-New York 1978. [4] W. KLn~Gv.~'B~RO, Closed Geodesics on Surfaces of Genus 0. Ann. Scuola Norm. Pisa, C1. Sci

(IV) 6, 19--38 (1979).

AnsehrifC des Autors:

W. Klingenberg l~Iathematisches Institut der Universit~it Bonn Wegelerstr. 10 D-5300 Bonn 1

Eingegangen am 12.3. 1981