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1/2015 I 7,80 Euro I B 9797 Das Magazin aus dem Deutschen Museum 475020150 Vergnügliches Lernen Oskar von Miller plante mit dem Deutschen Museum auch einen Ort der Unterhaltung Geheimnisvolle Verzerrungen Anamorphosen eignen sich zur Erklärung physikalischer Phänomene Willkommen im Anthropozän Wissenschaftler denken über ein neues Erdzeitalter nach. Diskutieren Sie mit! Das Magazin aus dem Deutschen Museum 4750201501 Spiel, Spaß und Technik Gespielt wird nicht nur im Kinderzimmer. Auch das Deutsche Museum lädt seit seiner Gründung zum spielerischen Erkunden von Technik ein.

Spiel, Spaß und Technik - deutsches-museum.de · Inhalt 5 SPIEL, SPASS UND TECHNIK 6 Vergnügliches Lernen Spielerische Experimente gehören dazu | Von Annette Noschka-Roos 12 Vom

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1/2015 I 7,80 Euro I B 9797 Das Magazin aus dem Deutschen Museum 475020150

Vergnügliches Lernen Oskar von Miller plante mit dem Deutschen Museum auch einen Ort der Unterhaltung

Geheimnisvolle Verzerrungen Anamorphosen eignen sich zur Erklärung physikalischer Phänomene

Willkommen im Anthropozän Wissenschaftler denken über ein neues Erdzeitalter nach. Diskutieren Sie mit!

Das Magazin aus dem Deutschen Museum 4750201501

Spiel, Spaß und TechnikGespielt wird nicht nur im Kinderzimmer. Auch das Deutsche Museumlädt seit seiner Gründung zum spielerischen Erkunden von Technik ein.

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Editorial 3

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Liebe Leserin,

lieber Leser,

einen neuen Gegenstand wird ein Kind zunächst einmal

genau untersuchen. Anschließend – das haben Psychologen

beobachtet – lässt es den Gegenstand eine Weile liegen, um

später auszuprobieren, was es damit anfangen kann. Kinder

entdecken die Welt spielerisch, ohne an einen möglichen

Nutzen ihrer Aktivitäten zu denken. Sie tauchen mit allen

Sinnen in die Welt ihres Spiels ein. Es ist dieser wunderbare

Zustand des »Flow«, der ein gutes Spiel ausmacht. Ein Ge-

fühl, das Wissenschaftler ebenso wie Künstler kennen: völlig

eins zu werden mit dem jeweiligen Thema, sich stunden-, ja

tage- und monatelang mit einer Frage, einem Phänomen zu

beschäftigen – ohne den Druck, rasch ein nützliches Ergebnis

abliefern zu müssen. Zugegeben, in der Welt der Erwachse-

nen gibt es diese Gelegenheiten viel zu selten. Und auch an

den Schulen wird dem Aspekt des spielerischen Lernens lei-

der viel zu wenig Platz eingeräumt.

Umso wichtiger sind Institutionen wie das Deutsche Mu-

seum. Schon Oskar von Miller hat gewusst, dass Menschen

spielend lernen und verstehen. Er wollte mit seinem Museum

die Neugier für Wissenschaft und Technik wecken, und die-

sem Anliegen fühlen wir uns bis heute verbunden.

Seinen kindlichen Spiel- und Entdeckungstrieb hat sich

ein großer Gönner unseres Hauses bis heute bewahrt. Artur

Fischer, der Ende des Jahres 2015 seinen 95. Geburtstag fei-

erte. Generationen von Kindern haben mit Fischers Technik-

baukasten Flugzeuge, Kräne und ganze Industrieanlagen zu-

sammengebaut. Kein Wunder, dass Artur Fischer dem Deut-

schen Museum in ganz besonderer Weise zugetan ist: Er trägt

das »Spiel-Gen« in sich, das jeden kreativen Forscher und Er-

finder ausmacht. Und es ist genau dieses Gen, das wir mit

unseren Ausstellungen anregen und fördern wollen. Begin-

nend mit dem Kinderreich, das den Großen übrigens ge-

nauso viel Spaß macht wie den Kleinen, über die vielen

Mitmachstationen in allen Ausstellungen bis hin zu aktuellen

Sonderausstellungen, in denen das spielerische Entdecken

und das sinnliche Erleben mit zum Konzept gehören.

In diesem Sinn wünsche ich Ihnen

zahlreiche erfüllende Spielerlebnisse und

ein gutes neues Jahr!

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Kultur & Technik 1/20154

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Das Deutsche Museum Verkehrszentrum erzählt ineiner Ausstellung die Geschichte der Transsib.

48

Anamorphosen sind nur auseinem bestimmten Blick-winkel oder mit Hilfe eines Spiegels erkennbar.

22

Playmobilfiguren spiegelnveränderte Rollenbilder.

18

Die spielerische Erkundungwissenschaftlicher Phänomene gehörte von Anfang an zum Konzept desDeutschen Museums.

6

Mit technischen Baukästentrainieren Kinder Fertigkeiten,die sie später im Beruf brauchen können.

12

Im Berliner Computerspiele-museum können Besuchernach Herzenslust daddeln.

30

Funkgeräte zum Experimen-tieren und Selberbauen.

34

Eine Sonderausstellung imDeutschen Museum lädt einins »Anthropozän«.

42

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Inhalt 5

SPIEL, SPASS UND TECHNIK

6 Vergnügliches Lernen Spielerische Experimente gehören dazu | Von Annette Noschka-Roos

12 Vom Probieren zum Studieren Die Geschichte Technischen Spielzeugs | Von Stefan Poser

18 Playmobile Spielkultur Die Wechselwirkung von Gesellschaft, Kultur und Spielzeug | Von Sacha Szabo 22 Geheimnisvolle Verzerrungen Warum werden Bilder schief gemalt? | Von Julia Bloemer

26 Das sieht gut aus! Das Mathematische Kabinett im Deutschen Museum | Von Beatrix Dargel

28 Spiel dich schlau Das SchlauSpielhaus in Bonn | Von Andrea Niehaus

30 Die Welt des Homo ludens digitalis Das Computerspielemuseum in Berlin | Von Ron R. Boisson

34 Durch Spiel zum Wissen Experimentiersysteme aus der Funktechnik | Von Christoph Heiner

MAGAZIN

42 Willkommen im Anthropozän Sonderausstellung im Deutschen Museum | Sabrina Landes

48 Mit der Bahn von Moskau nach Wladiwostok Sonderausstellung im Deutschen Museum Verkehrszentrum | Von Lothar Deeg

54 Keine italienischen Stunden für Batumi Astronomische Großuhren | Von Klaus Wagner

STANDARD

3 Editorial

38 MikroMakro Die Seiten für junge Leser

59 Deutsches Museum intern 64 Schlusspunkt

66 Vorschau, Impressum

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Kultur & Technik 1/20156

Vergnügliches LernenOskar von Miller plante mit dem Deutschen Museum auch einen Ort des Lernens und der Unterhaltung – spielerische Experimente zählten dazu. Von Annette Noschka-Roos

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Spiel, Spaß und Technik 7

Selbst aktiv sein, sehen und begreifen, spielen und stau-

nen, diesem ganzheitlichen Bildungsgedanken hat sich

das Deutsche Museum von Beginn an verschrieben. In allen

Ausstellungen waren Vorführungen und damit soziale Erleb-

nisse eingeplant oder sinnlich-konkrete Erfahrungen in Form

von Dioramen und Inszenierungen, man denke vor allem an

das von vielen Museumsgästen gern erinnerte Bergwerk.

Oskar von Miller wünschte sich das Deutsche Museum als

eine Mischung aus Oktoberfest und Volksbildungsstätte, wie

er es in einem Brief an Wilhelm Conrad Röntgen einmal for-

mulierte, und wohl auch aus diesem Grund enthält der me-

thodische Ansatz des Museums nach dem klassischen

Bildungsprinzip der Unterhaltung und Belehrung viele spie-

lerische Elemente. War es das Teufelsrad, mit dem die Besu-

cher der »Wiesn« die Zentrifugalkraft am eigenen Leib

erfahren, oder der noch heute an der Schaubude zu lesende

Schichtl-Spruch des »Betreuten Staunens«, was Miller zu die-

sem Vergleich führte?

Spielerische Elemente aus der Gründungszeit lassen sich

nach wie vor im Deutschen Museum entdecken: an zahlrei-

chen technischen Versuchen, an denen Übersetzungsvarian-

ten von Getrieben erprobt werden, oder an Experimenten

zum Drehimpuls, zum Magnetismus und zu vielen anderen

naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten. Solche, wie wir

es heute nennen, interaktiven Stationen bilden einen weiteren

zentralen Bestandteil in den Ausstellungen. Sie laden Besu-

cher in gewisser Weise zum Spiel ein: Phänomene zu erzeu-

gen oder gar selbst generieren zu können, dann erklärt zu

bekommen, welche Gesetze jeweils zugrunde liegen, sie

nochmals zu erzeugen, zu staunen und nachzuvollziehen,

darin liegt die Gemeinsamkeit mit dem Spiel.

Was ist Spiel?

Spiel ist ein komplexer Begriff und kann Verschiedenes,

manchmal sogar Gegensätzliches beinhalten: Das Spiel als

»game« folgt Regeln, die das Spiel als »play« kreativ umgeht.

Spiel begegnet uns in den Formen des Ballspiels bis zum Rol-

lenspiel und in denen der Teilnahme vom Zuschauen bis hin

zum Mitmachen. Spiel ist Konzentration und Selbstverges-

senheit, Anstrengung und Entspannung, Strategie und Zufall,

Integration und Innovation, Vergnügen und Katharsis. Es

kennt Gewinner und Verlierer oder nur Glückliche nach

einer erfolgreichen gemeinsamen Performance. Dieses nur

beispielhaft aufgezählte Spektrum an Inhalten und Formen

erklärt, weshalb dazu in der Philosophie, der Biologie, der

Pädagogischen Psychologie oder Kultursoziologie gleichfalls

unterschiedliche Theorien vorliegen.

Spiel wird in jüngster Zeit mit der Spielwissenschaft in

einer eigenen Disziplin erforscht, oder in interdisziplinären

Ansätzen wie beispielsweise zwischen Technik und Philoso-

phie. Spiel ist sogar Gegenstand von Ausstellungstheorien,

die die Interpretationsspielräume der Objekte analysieren,

und von Theorien des Besuchserlebnisses, die mit »flow«

oder »learning for fun« das Spielerische und Eigenschöpfe-

rische der Erfahrungsprozesse eines Museumsbesuchs be-

schreiben.

So betrachtet, begegnet man dem Thema »Spiel« im

Deutschen Museum in vielfältiger Weise: Nicht nur die er-

wähnten Demonstrationen, auch Schaudarstellungen mit

Experimenten, Sonderausstellungen mit Spielautomaten

oder wie jüngst mit digitalen Spielen zählen dazu. In der fol-

genden Auswahl wird der Fokus darauf gerichtet, wie Spiel

als Sammlungsobjekt in der Geschichte des Museums in den

Ausstellungen Eingang findet und wie es als methodischer

Zugang in der Vermittlung von Naturwissenschaft und Tech-

nik weiterentwickelt wurde.

Spiel – als Sammungsobjekt

Wann wurde das Thema »Spiel« Gegenstand von Ausstellun-

gen im Museum? Im Fokus der Nachkriegszeit stand zu-

nächst der Wiederaufbau des Deutschen Museums. Der

strukturelle gesellschaftliche Wandel in den 1960er/1970er

Jahren und die daraus resultierenden Anforderungen an das

Bildungssystem führten dazu, dass dem Deutschen Museum,

als der zentralen Institution für die Vermittlung von Natur-

wissenschaft und Technik, eine neue Rolle zukam. In den Jah-

resberichten des Deutschen Museums wird dies als eine neue,

dritte Epoche umschrieben, für die als Motiv zwei eng zu-

sammenhängende geschichtliche Ereignisse stehen.

Ähnlich wie der gegenwärtig diskutierte »PISA-Schock«

drängten der »Sputnik-Schock« (1958) und vor allem die von

dem Pädagogen Georg Picht diagnostizierte Bildungskatas-

trophe (1964) zu einer Verbesserung des Bildungssystems,

mit der die Bildung als ein Recht für alle eingelöst werdenAbb

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Spielen und Experimentieren:Das 1925 neu eröffnete Deutsche Museum demonstrierte eindrucksvoll an zahlreichen interaktivenStationen Gesetze aus Naturwissenschaft und Technik, wie hier den Drehimpulserhaltungssatz.

Prof. Dr. AnnetteNoschka-Roosist Leiterin der Hauptabtei-lung Bildung des DeutschenMuseums und Professorin ander TU München School ofEducation, Fachgebiet Museumspädagogik.

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Kultur & Technik 1/20158

sollte. In den neu entwickelten Lehrplänen wurde zudem den

technik- und naturwissenschaftlichen Fächern ein stärkeres

Gewicht verliehen. Insbesondere wurde das Ziel verfolgt,

dringend notwendige Qualifikationen für die Produktions-

anforderungen des Wirtschaftswunderlandes stärker zu be-

rücksichtigen. Der Ausbau des mathematisch-naturwissen-

schaftlichen Zweigs an den Gymnasien war eine Konsequenz,

aber beispielsweise auch die Umstrukturierung des eher mu-

sischen Unterrichtsfachs Werken in Technisches Werken oder

Arbeit-Wirtschaft-Technik.

Die Bildungsreformanforderungen führten ebenso in den

Museumsverbänden zu Debatten um die Frage, wie Museen

sich öffnen müssen, um den gesellschaftlichen Anspruch auf

Bildung für alle einlösen zu können. Viele Museen und Kom-

munen richteten in dieser Zeit erste museumspädagogische

Stellen oder Zentren ein. Im Deutschen Museum spiegeln

sich diese veränderten Anforderungen in der neuen Organi-

sationsstruktur mit dem 1971 gegründeten Referat Bildung

und Öffentlichkeit wider. Mit der Entwicklung didaktischer

Erschließungsmaterialien für den Besuch des Deutschen Mu-

seums, dem steten Ausbau an Fortbildungskursen für Lehrer

des Fachs Technisches Werken und für Lehrer von naturwis-

senschaftlich-technischen Fächern an Grund- und Haupt-

schulen legte die Abteilung den Grundstein für das 1976

gegründete Kerschensteiner Kolleg.

In diesem Klima des bildungspolitischen Um- und Auf-

bruchs bedeutete die 1972 eröffnete Sonderausstellung

»Technik macht Spaß – Technik im Spiel« eine wichtige

Zäsur. Über diese »Sonderschau des Deutschen Museums zur

Technischen Bildung in Zusammenarbeit mit den Fischer-

werken« wird im Jahresbericht (1973, S. 21) die starke Reso-

nanz der Ausstellung hervorgehoben: »Schon an der Eröff-

nung nahmen über 80 Journalisten neben Vertretern vieler

Kultusministerien und Ehrengästen teil; die Presse berichtete

ausführlich, das Bayerische Kultusministerium wies alle

Schulen auf sie hin und erklärte ihren Besuch als Pflichtver-

anstaltung.« Wie überaus erfolgreich die mehrmals verlän-

gerte Ausstellung gewesen sein muss, lässt sich auch daran

ablesen, dass sie anschließend in vielen Städten wie Berlin,

Brüssel, Haifa oder Wien zu sehen war.

Der weit über das Deutsche Museum hinausstrahlende

Erfolg galt vor allem dem neuartigen Baukastensystem von

Fischertechnik, den der damals bereits berühmte Erfinder

Artur Fischer, heute einer der größten Patentinhaber, auf den

Markt brachte. Spiel- und Lehrzeug zugleich, löste der neue

Baukasten nahezu passgenau das zentrale Problem für das

neue Fach Technisches Werken, technische Konstruktionen

nachbauen und »begreifen« zu können: Kraftübertragungen

durch Getriebe, Wellen und Hebel, Richtungsänderungen

bei Drehbewegungen, Gesetze von Hebel sowie loser und fes-

ter Rolle, statische Gesetzmäßigkeiten, Grundlagen des tech-

nischen Zeichnens, Schaltungen und Steuerungen waren nur

einige der Möglichkeiten des neuartigen Konstruktionssys-

tems, die spielerisch nachgebaut und demonstriert werden

konnten.

Die in fünf Räumen gegliederte Ausstellung zu den The-

men Transportieren, Bewegen und Lenken, Übersetzen, An-

treiben, Steuern und Regeln stellte technische Objekte aus

dem Alltag, wie die Wasch- oder Nähmaschine, den Motor

usw., gebauten Modellen gegenüber, um »exemplarisch na-

Spiel und Museum: Die Sonderausstellung von1984 präsentierte erstmalsgemeinsam Objekte aus denverschiedenen Sammlungs-bereichen des Deutschen Museums wie Physik, Verkehr, Fototechnik.

Spiel und Technik: Plakatmotiv zur erfolg-reichsten Wanderausstellung in der Geschichte des Deutschen Museums – mit Fischertechnik lassen sichKonstruktionen und Funktio-nen spielerisch nachbauen,begreifen sowie kreativ eigene technische Werke entwickeln.

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UNTER DER DUSCHEhatte er die besten Ideen.Mehr als 1100 Erfindungenhat Artur Fischer bisherzum Patent angemeldet.Am 31. Dezember feiertDeutschlands erfolgreichs-ter Erfinder und Tüftler seinen 95. Geburtstag.1949 meldete er sein erstes Patent an: ein Blitz-lichtgerät. 1958 erfand Fischer den Spreizdübel.Seit 1964 eroberten Fischertechnik-Baukästendie Kinderzimmer. DemDeutschen Museum istArtur Fischer seit Jahr-zehnten als Kuratoriums-mitglied und großzügigerFörderer eng verbunden.

Spiel, Spaß und Technik 9

turwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten und ingenieur-

wissenschaftliche Prinzipien mit Hilfe des Fischertechnik-

Konstruktionssystems zu erklären« (vgl. Ausstellungskatalog,

S. 3). Kurse und Begleitmaterialien für Lehrer ergänzten die

impulsgebende und grenzüberschreitende Wanderausstel-

lung zum akut zu lösenden Thema der technischen Bildung.

Die fließenden Grenzen zwischen »Spielen – Bauen – Ex-

perimentieren« präsentierte eine weitere im Dezember 1984

eröffnete Sonderausstellung, die augenscheinlich den engen

Zusammenhang von Spiel – Technik – Naturwissenschaft de-

monstrierte: Erstmals wurden dafür Objekte aus den ver-

schiedenen Sammlungen des Deutschen Museums

zusammen gezeigt: Modellbahnen, Bau- und Experimentier-

kästen, Anamorphosen (vgl. Bloemer, Seite 22), die Laterna

magica und vieles mehr. Dies waren Lehr- wie Spielmittel,

die die technische Welt im Kleinen spiegeln, um im spieleri-

schen Umgang die große Welt nachzuvollziehen und zu ver-

stehen oder sie durch Experimente erfahrbar zu machen und

zu begreifen.

Eine in den Werkstätten erstellte Sandkastenburg – als

»Objekt« befremdlich, aber sinnfällig für das Bauen als ele-

mentare Tätigkeit von Kindern – verwies bereits auf die

nächste Sonderausstellung »Bauklötze staunen«. Auch diese

belegte, wie im Vorwort des Ausstellungskatalogs ausgeführt

wird, die nahe Verwandtschaft zwischen Großtechnik und

Technischem Spielzeug. Erstmals wurde die bis dahin uner-

forschte Geschichte der Baukästen dokumentiert, für die das

Museum eine eigene Sammlung aufbaute. In dieser heute nur

noch rudimentär vorhandenen Sonderausstellung wird auch

der Erfinder des Baukastensystems Friedrich Fröbel (1782–

1852) gezeigt. Dem Pädagogen der Aufklärung und Gründer

des Kindergartens war es in bahnbrechender Form gelungen,

das Spiel der Kinder, ihre Fantasie und Kreativität produktiv

aufzugreifen. Für die beliebten Bauspiele der Kinder entwi-

ckelte er die erste Baukastenserie, um sowohl anschaulich-

konkretes, mathematisches als auch ästhetisches Denken

spielerisch zu fördern.

Der kurze Blick in die Geschichte der Pädagogik führt er-

neut auf das Deutsche Museum und das Spiel zurück. Erst

in der Reformpädagogik wurde das Spiel als Form der Welt-

erschließung und -aneignung wieder systematisch durch-

dacht und begründet. Georg Kerschensteiner als einer ihrer

wichtigsten Vertreter wehrte und verwahrte sich gegen die

»Buchschule«, wie er es nannte, die nur abstrakt und nicht

sinnlich-konkret in die Welt des Wissens führen würde. Vor

diesem Hintergrund erklärt sich, warum er ein idealer Bera-

ter zur Planung der Ausstellungen war, um die eingangs er-

wähnte Bildungsaufgabe Oskar von Millers für das Deutsche

Museum zu unterstützen.

Spiel – als Methode

Auf den zentralen reformpädagogischen Prinzipien der An-

schauung und Selbsttätigkeit fußt nicht zuletzt die besondere

Bedeutung, die das Deutsche Museum den Vorführungen,

den Dioramen oder den spielerisch eigenständig zu bedie-

nenden Versuchen und Experimenten, den sogenannten in-

teraktiven Stationen, beimisst. Verfolgt man die Frage, wie

diese insbesondere spielerische Methode ausgebaut und wei-

terentwickelt wurde, zeigen sich wiederum viele Parallelen

zur gesellschaftlichen Entwicklung auf.

Das 1999 eröffnete und noch heute für Besucher attraktive

Mathematische Kabinett, das aus vielen interaktiven Statio-

nen besteht, spiegelt in gewisser Form im Kleinen den da-

maligen Gründungsboom der Science-Center wider. Diese

laden mit interaktiven Stationen zum Spielen, Begreifen, Ver-

stehen von Naturwissenschaft und Technik ein und verzich-

ten dabei auf die Präsentation historisch erläuternder

Objekte oder auf aktuelle gesellschaftliche Bezüge. Parallel

zur Neueröffnung zahlreicher Science-Center in Deutschland

begann die Debatte über das »Public Understanding of Sci-

ence« und starteten vielfältige Initiativen des neu gegründe-

ten Stifterverbands Wissenschaft im Dialog (WiD) mit dem

Ziel, den Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit

in Theorie und Praxis zu fördern. Zu dem noch heute aktu-

ellen Thema richtete das Deutsche Museum bereits verschie-

dene Symposien und Workshops aus.

Unter den zahlreichen unterschiedlich begründeten Ini-

tiativen finden sich auch solche, die eine Förderung der na-

turwissenschaftlich-technischen Bildung im Elementarbe-

reich anstreben, wie etwa die 2006 gegründete, inzwischen

bundesweit tätige Stiftung Haus der kleinen Forscher. Die

Motive einer frühkindlichen Förderung liegen auch dem

2003 gegründeten Kinderreich zugrunde und korrespondier-

ten zu dieser Zeit mit zahlreichen Neugründungen von Kin-Abb

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Spielen und Kombinieren:Staunende Besucher im Mathematischen Kabinett –welche Mathematik steckt inden Knoten und Zöpfen?

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dermuseen. Die neu entdeckte Bedeutung der frühkindlichen

Bildung kam hier zum Tragen: Das Wissen, dass Kinder be-

reits im Vorschulalter über Kompetenzen verfügen, die in der

Erziehung bis dato wenig Beachtung fanden, führte in der

Frühpädagogik zu neuen Konzepten und Modellen.

Wieder schwingen – ähnlich wie in den 1970er Jahren –

bildungsökonomische Motive mit, mit dem Ziel, eine zen-

trale gesellschaftlich relevante Aufgabe für die technologie-

basierte Zukunft zu lösen und den Nachwuchs für

naturwissenschaftlich-technische Berufe zu sichern. Doch

ebenso – erinnert sei an den bereits erwähnten Stifterverband

WiD – zählen partizipative Argumente: Stärker als in den

1970er Jahren trat nun hervor, dass die inzwischen hoch-

komplex technologisch entwickelte und global stark ver-

netzte Gesellschaft die Folgen ihres Handelns insgesamt

stärker in den Fokus nehmen muss durch eine konstruktiv-

kritisch engagierte Öffentlichkeit.

Das Deutsche Museum entwickelte mit dem Kinderreich

ein Format, das unter kinderspezifischen Fragestellungen ge-

zielt an Objekten oder Stationen in die Welt der Naturwis-

senschaft und Technik einführen und zum spielerischen und

entdeckenden Lernen (Handlungsorientierung) einladen

soll: Die kindliche Faszination für das Licht, der motorische

Bewegungsdrang oder die Begeisterung für das Wasser und

das Bauen bilden dabei den Ausgangspunkt für die Entwick-

lung der Ausstellung: Sei es die Flaschenrolle oder die Archi-

medes-Schraube, physikalische Gesetze sollen elementar

erlebt werden. Darüber hinaus ist es das Ziel des Kinder-

reichs, das Deutsche Museum insgesamt für Kinder an inter-

aktiven und für sie attraktiven Stationen zu erschließen, das

Lernen zwischen Eltern und Kindern zu fördern sowie ein

gemeinsames Erlebnis zu schaffen. Aus diesem Grund wer-

den Eltern-Kind-Materialien angeboten, die Familien erlau-

ben, ihre »Bunten Touren« individuell und je nach eigenem

Interesse und Kenntnisstand selbst festzulegen: ein variables

Konzept mit anregendem Methodenwechsel zwischen For-

schen, Vergleichen, Entdecken, Rätsel lösen, Malen, in andere

Rollen schlüpfen, Geschichten lauschen, dem Bewegungs-

drang nachgehen und anderen Aktivitäten.

In weiteren Ausstellungen und Sonderausstellungen des

Deutschen Museums konnte insbesondere seit der Jahrtau-

sendwende die Vielfalt der Zugänge mit den neuen Informa-

tionstechnologien ausgebaut und differenziert werden.

Häufig sind Medien in Ausstellungen – insbesondere PC-In-

formationssysteme – in ihrer Funktion als ein die Ausstellung

ergänzendes, die Ausstellung erläuterndes Medium zu finden.

In der Tat ist das Vermittlungspotenzial der neuen Medien

verführerisch, gestattet es doch die Verknüpfung von Anima-

tion, Video, Bild, Text und anderen Informationsträgern

sowie die emotionale wie atmosphärische, spielerische wie

vertiefende, personenbezogene wie narrative Information.

Diese neuen Möglichkeiten werden in den Ausstellungen des

Deutschen Museums je nach Konzept unterschiedlich ein-

gesetzt: Sie reichen von Rätsel- oder Zuordnungsspielen bis

zu Positionsspielen, um das Interesse oder die Offenheit für

aktuelle, gesellschaftlich relevante Themen zu wecken. Ein

Beispiel ist die Installation der »Talking Heads« im 2009 er-

öffneten Zentrum Neue Technologien, mit der Besucher in

einem szenischen Arrangement zur Auseinandersetzung

über das Für und Wider von Gentests angeregt werden. Ähn-

lich war in der Sonderausstellung »Klima. Das Experiment

mit unserem Planeten Erde« (2003) der Besucher zu einem

Entscheidungsspiel eingeladen, um die Konsequenzen pri-

vater, politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen für die

klimagefährdende CO2-Emission nachvollziehen zu können.

Spielen und Probieren: Wie gelingt es, das Wassermit Schöpfrad und Archime-des-Schraube nach oben zutransportieren? Im Kinder-reich erleben die Kleinen Gesetze aus der Physik undMechanik.

Spielen und Positionieren:Pro oder contra Gentest? Die Frage ist nicht so leichteindeutig zu beantworten,wie Besucher des ZentrumsNeue Technologien an derStation »Talking Heads« anhand verschiedener Beispiele erfahren.

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Spiel, Spaß und Technik 11

Spiel als Simulation, Spiel als Utopie, Spiel als Rätsel – alle

Varianten sind in den Ausstellungen zu finden. Sie sind

ebenso zentraler methodischer Bestandteil der Hauptabtei-

lung Bildung, deren Aufgabe es ist, durch zahlreiche Formate

die Ausstellungen zielgruppenorientiert zu erschließen, sei es

für Jugendliche, Erwachsene, Schüler oder Familien. Sie ar-

beitet dabei mit Methoden, die in der aktuellen Museums-

diskussion ebenso thematisiert werden wie im Stifterverband

WiD oder in den zahlreichen MINT-Initiativen, die mit au-

ßerschulischen Aktivitäten das Interesse für Mathematik, In-

formationswissenschaft, Naturwissenschaft und Technik

fördern: Lernen als eine individuelle Aneignungsform zu be-

trachten, die nicht nur curricular lehrend gefördert, sondern

durch vielfältige Zugänge angeregt werden kann. Auf nur ei-

nige Spiel- und Aneignungsformen soll abschließend bei-

spielgebend hingewiesen werden. Gemeinsam ist ihnen, dass

sie zum interessegeleiteten, eigenständigen Erschließen eines

Themas einladen und in der spielerischen Umsetzung zu

ganz unterschiedlichen Ergebnissen führen.

Beispielhaft gelingt dies mit einem Projekt, das zusammen

mit europäischen Partnern und der TUM School of Educa-

tion realisiert wurde: Schülerinnen und Schüler simulieren

Bürgerdebatten, indem sie sich beispielsweise intensiv und

problemorientiert mit dem Thema Energieversorgung aus-

einandersetzen. In einem weiteren Projekt, der »Schreibwerk-

statt Zukunftstechnologien«, beschäftigen sich Jugendliche

in anderer Form kreativ mit Themen aus Naturwissenschaft

und Technik – sie schreiben Science-Fiction.

Recherchieren und Spielen oder auch fantasievolles Um-

setzen des (angeleitet) eigenständig erforschten Themas ist

kennzeichnend für diese Projekte; das gilt ebenso für das in

Kooperation mit der Stiftung Zuhören des Bayerischen

Rundfunks entstandene Projekt: Schülerinnen und Schüler

von Hauptschulklassen suchen im Deutschen Museum für

sie attraktive Objekte aus und entwickeln dazu mit hörfunk-

professioneller Unterstützung eigene, nur wenige Minuten

laufende Hörstücke.

Solche Projekte ergänzen die Schulklassenprogramme des

Museums in idealer Weise, die ebenso den Schwerpunkt dar-

auf legen, das Museum als einen besonderen Ort des Lernens

und Erlebens erfahren zu lassen; die Freizeitprogramme

haben sich parallel dazu zu einem weiteren wichtigen Bau-

stein entwickelt. Sie werden mit dem langjährigen lokalen

kulturpädagogischen Partner Kultur&Spielraum durchge-

führt, variieren je nach Thema des Wissenschaftsjahres und

haben stets das Spiel, die spielerische Aneignung im metho-

dischen Zentrum. Vor dem Hintergrund der wachsenden Be-

deutung außerschulischer Lernorte, die in zahlreichen

Programmen des Bundesministeriums für Bildung und For-

schung ihren Ausdruck findet, vor dem Hintergrund, dass

insbesondere Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft

die Aufgabe zukommt, als Brücke von der Forschung zur Bil-

dung zu fungieren, ist dieser Aufgabenbereich gewachsen.

Arbeitete die einstige Abteilung Bildung mit einem stark

schulorientierten Schwerpunkt, der in den 1970er Jahren ty-

pisch war für viele museumspädagogische Programme, so

wird dieser in der heutigen Hauptabteilung Bildung durch

Freizeit und Spiel ergänzt, was wiederum neueren museums-

pädagogischen Überlegungen folgt.

Die Bildungsprogramme für die neuen Ausstellungen

werden weiterhin die einst innovativen und heute in vielen

Museen angewandten Prinzipien des Schauens, Wahrneh-

mens, der Selbsttätigkeit und des Spiels berücksichtigen. Un-

endliche Varianten, die von der verstehenden Anwendung bis

zur eigenen schöpferischen Leistung reichen, das haben Tech-

nik und Spiel gemeinsam, und es wird eine stets neue Auf-

gabe bleiben, die Gemeinsamkeit freizulegen, um auch in

dieser Form eine Brücke zwischen Wissenschaft und Öffent-

lichkeit zu bauen. ❘❙❚Abb

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Spielen und Simulieren: Welcher Energiemix ist für»unseren« Landkreis am besten? Schülerinnen undSchüler debattieren und entscheiden mit gut recher-chierten Argumenten.

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Kultur & Technik 1/201512

Vom Probieren zum Studieren

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Spiel, Spaß und Technik 13

Das Spiel mit Spielzeug ist seit der Industrialisierung zu-

nehmend durch Technik geprägt. Technik ermöglichte

neue Spielformen und bot reizvolle, moderne Themen für

die Neugestaltung bekannter Spieleinhalte. Folglich kommt

der Technik entscheidende Bedeutung für die Modernisie-

rung von Spielen zu. Die spezielle Darstellung von Dingen

und Sachverhalten für Spiele bedeutet gegenüber ihren Vor-

bildern eine Vereinfachung; hierin ähneln Spiele Simulatio-

nen, zu denen der Übergang in einigen Bereichen fließend

ist. Da eine vereinfachte Darstellung eine wichtige Voraus-

setzung für Lernprozesse ist, können technisierte Spiele die

Aneignung von Wissen über Technik und das Erlernen des

Umgangs mit ihr ermöglichen. Aus Perspektive des histori-

schen Betrachters ist Spielzeug ein Vermittlungsmedium, das

ein Bild gesellschaftlicher Vorstellungen und Strukturen sei-

ner Entstehungszeit gibt. Diese Eigenschaft macht histori-

sches Spielzeug für die Geschichtswissenschaften und für die

museale Präsentation interessant. Schon Ende des 19. Jahr-

hunderts begann beispielsweise das Germanische National-

museum Nürnberg Spielzeug – insbesondere historische

Puppenstuben – zu sammeln, die den Museumsbesuchern

nun einen Eindruck des bürgerlichen Wohnens vermitteln

sollten. Entsprechend verweist ein Autor um 1900 auf die zu-

künftige historische Bedeutung eines besonders aufwendigen

Modellbahnzugs: »Dieser Nordexpresszug … [wird] noch in

späteren Zeiten ein richtiges plastisches Miniaturbild des

Standes unserer heutigen Eisenbahnausstattung geben«.

Die verkleinerte Darstellung von etwas, sei es ein Lebewe-

sen oder ein Artefakt, ist charakteristisch für das meiste Spiel-

zeug. Vorbilder waren jeweils besonders prägnante Rol-

lenbilder und Artefakte. Als im Zuge der Industrialisierung

Technik vermehrt wahrgenommen wurde und langsam das

tägliche Umfeld zu prägen begann, erlangte Technik auch zu-

nehmende Bedeutung als Vorbild für Spielsachen. Entschei-

dend sowohl für die Darstellung von technischen Artefakten

und Systemen als auch für ihre Popularisierung sind aurati-

sche Wirkung und Bekanntheitsgrad: Sie erleichtern es, einen

Bezug zu den betreffenden Dingen aufzubauen. Entspre-

chend werden Verkehrsmittel besonders häufig als Vorbild

für Spielzeug genutzt. Die Bandbreite dieser Spielsachen ist

groß; sie reicht von Brettspielen mit zeitgenössisch modernen

Sujets und vergleichsweise einfachen Modellen bis zu hoch-

komplexen Anlagen, von Alltagstechnik bis zu Spitzentech-

nologien.

Die Anfänge

Spielsachen technischen Inhalts wurden bereits im ausgehen-

den 18. Jahrhundert angeboten. Zu dieser Zeit findet sich die

Bezeichnung Maschine in Verbindung mit Spielzeug. Sie

deckte ein breites Feld von Maschinen und Geräten ab. So

lautet beispielsweise der Titel des Nürnberger Versandkata-

logs von Johann Conrad Gütle 1788: Museum mathemati-

cum, physicum, chemicum et curiosum atque experimentale,

oder Erläuterndes Verzeichniß von älteren und neueren mathe-

matischen, physikalischen, chemischen und belustigenden Ma-

schinen, welche … für billige Preiße auf Verlangen ver-

sendet werden. Schon in Gütles Titel werden zwei damalige

Anforderungen an Spielzeug deutlich: Es sollte kurios wie be-

lustigend sein und zum Teil Experimente ermöglichen. Güt-

les Kollege, der Spielwaren- und Lehrmittelhändler Georg

Hieronymus Bestelmeier, bezog sich ausdrücklich auf »Tech-

nologie« und bot Maschinenmodelle an, die protoindus-

trielle Technik thematisieren. Seine Sammlung hydraulischer

und hydrostatischer Maschinen im Kleinen enthielt beispiels-

weise Wasserräder, eine Saugpumpe und ein Paternoster-

werk, aber auch Wasserwaagen. Das Angebot zielte auf eine

»lehrreiche und angenehme« Unterhaltung. Damit positio-

niert sich Bestelmeier in ähnlicher Weise zwischen Spiel und

Wissensvermittlung wie zeitgenössische Schausteller, die »er-

getzende Physik« präsentierten und dabei – so der Text eines

Zeugnisses – »Beweise [ihrer] seltenen Fähigkeiten und an-

genehmen Vorträge« lieferten.Abb

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Mit der Industrialisierung zog eine wachsende Zahl technischer Spielsachen in dieHaushalte ein. Die Adressaten waren zunächst Kinder – aber bald entdecktenauch Erwachsene ihren Spieltrieb. Von Stefan Poser

Zu einem Klassiker ent-wickelten sich die Anker-Steinbaukästen ab 1900. Aus den roten, gelben undblauen Steinen fertigtenkleine und große Architektenund Baumeister kunstvolleGebäude.

Im schicken Tretauto lernenschon die Kleinsten die elementaren Spielregeln des Autofahrens.

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Kultur & Technik 1/201514

Der Begriff »Technisches Spielzeug«

Ungeachtet des zahlreichen Angebots entwickelte sich der

Sammelbegriff »Technisches Spielzeug« erst um 1900. Da-

runter boten Hersteller zunächst zahlreiche Artefakte an,

deren Bandbreite von Spielzeugküchenherden und -nähma-

schinen über optisches Spielzeug und Baukästen bis hin zu

Miniaturdampfmaschinen und Eisenbahnmodellen reichte.

Kaum ein Bereich der Technik blieb ausgespart – sogar Spiel-

zeug-Telegrafenlinien und kleine Röntgengeräte waren lie-

ferbar. Mit der wachsenden Bedeutung der geschlechtsspe-

zifischen Erziehung und in Anpassung an sich etablierende

Technikvorstellungen wurden aus diesem Bereich in den

nächsten Jahren technische Spielwaren im engeren Sinne he-

rausgelöst, die primär an Jungen adressiert wurden.

Der Kunsthistoriker Paul Hildebrandt, der mit seinem

Buch Das Spielzeug im Leben des Kindes 1904 eine erste

deutschsprachige Übersicht über Spielsachen veröffentlichte,

fasst Technisches Spielzeug in einem Kapitel zu »Maschinen-

Spielzeug und mechanische[n] Kunstwerke[n]« zusammen;

im Einzelnen betrachtet er das Eisenbahnspiel, Schiffs- und

Wasserspiele, außerdem das Spiel mit verkleinerten indus-

triellen und landwirtschaftlichen Maschinen sowie mit »me-

chanischen Kunstwerken«. Letztere haben eine Sonder-

stellung: Während die ersten Unterkapitel die Darstellung

von Technik thematisieren, beschreibt der Autor hier Puppen

mit mechanischen Einbauten, die in der Tradition von figür-

lichen Automaten stehen; Technik wird also genutzt, aber

nicht dargestellt. Werkzeugkästen für Kinder sowie Spiel-

utensilien der Holz- und Metallbearbeitung, die technische

Artefakte im Original oder in miniaturisierter Ausführung

zu Spielzwecken im Umgang mit Technik bieten, verortet

Hildebrandt als »Gewerbliche und Berufsspiele« und stellt

Spielsachen zur Imitation einzelner beruflicher Tätigkeiten

vor. Damit nutzt und präzisiert Hildebrandt die bereits in

Spielzeugkatalogen vorhandene Kategorisierung des Techni-

schen Spielzeugs im Kontext einer wissenschaftlich-systema-

tischen Herangehensweise. Die Bezugnahme auf Technik in

einem Brockhaus-Artikel über Spielzeug von 1934 macht

deutlich, dass Technik als Thema von Kinderspielzeug nun

in der zeitgenössischen Öffentlichkeit angekommen war: »In

seiner einfachsten Form ist es [das Spielzeug] zeitlos, und nur

bes. ausgeprägte Erscheinungen seiner Entstehungszeit, wie

die Ritter des Mittelalters, die Eisenbahn oder andere techn.

Erzeugnisse der Neuzeit, wurden in seinen Darstellungskreis

aufgenommen.«

Aus heutiger Warte umfasst der Sammelbegriff »Techni-

sches Spielzeug« Spielsachen, die technische Artefakte und

Sachsysteme in Abbildung oder Modell darstellten, ebenso

wie solche, bei denen Technik zum Spiel genutzt wird. Damit

zählen zum Technischen Spielzeug sowohl figürliche Auto-

maten, deren Chargieren zwischen Künstlichem und Natür-

lichem durch versteckte technische Einbauten ermöglicht

wird, als auch Brettspiele, für die Technik als Sujet genutzt

ist. Wenn die Darstellung und Nutzung von Technik gleich-

zeitig gegeben ist, so ist das Spiel mit diesen Gegenständen

technisches Handeln. Dies gilt für Miniaturdampfmaschinen

ebenso wie für selbst gefertigtes Werkzeug oder Computer-

spiele, die Technik zum Spielinhalt haben.

Ausgangspunkt von Lernprozessen

Technisches Spielzeug scheint zwar – gemessen am Angebot

und Absatz – über viele Jahrzehnte zunehmend an Bedeu-

tung gewonnen zu haben, stand aber offensichtlich nicht in

dem Maße im Fokus der zeitgenössischen Diskussion wie die

industrielle Massenproduktion. Stein des Anstoßes und

damit Diskursgegenstand für Zeitgenossen war die Vielzahl

industriell hergestellter Spielwaren. Bereits Mitte des 19. Jahr-

hunderts entstand in der Tradition Friedrich Fröbels eine pä-

dagogische und kunsterzieherische Reformbewegung, die in

Ablehnung der industriellen (Massen-)Fabrikation einfaches

Spielzeug für Kinder forderte. Ihre Argumente waren ästhe-

tischer und pädagogischer Natur: Schlichtes, formschönes

und zahlenmäßig begrenztes Spielzeug fördere das Empfin-

den für Schönheit und rege die Fantasie an, wogegen allzu

detailgetreue Nachbauten sie beschränkten. Diese Argumen-

Experimentierkästen undBausätze regen zum kreativen Spiel an und trainieren nebenbei berufliche Fertigkeiten.

Kosmos und Märklin erkann-ten schon früh die pädagogi-sche Bedeutung TechnischenSpielzeugs.

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Spiel, Spaß und Technik 15

tation lässt sich bis in die jüngere Vergangenheit nachweisen,

als das Thema im Rahmen der Auseinandersetzung mit

Video- und Computerspielen an Bedeutung verlor. Techni-

sche Spielsachen sind in der Mehrzahl Produkte der Massen-

fabrikation. Sie zählten deshalb zur Gruppe des Spielzeugs,

das diesen Überlegungen nach die Fantasie einengt, entwi-

ckelten sich aber dennoch gleichsam im Windschatten des

Diskurses und erlangten große kommerzielle Bedeutung.

Befürworter Technischen Spielzeugs argumentierten mit

dessen Bedeutung für das Verständnis technischer Zusam-

menhänge und das spätere berufliche Vorankommen. Ent-

sprechend stellten Firmen werbewirksam Verbindungen

ihrer Produkte zur Berufswelt her. »Von Stabil zum Inge-

nieur« war über Jahrzehnte der Werbeslogan eines Herstellers

von Metallbaukästen. Die Nürnberger Spielwarenfabrik Bing

brachte 1912 unter dem Titel Der kleine Eisenbahn-Ingenieur

ein Vorlagenheft für den Bau von Modelleisenbahnen heraus.

Und der Hersteller von Anker-Steinbaukästen schrieb früh-

zeitig Wettbewerbe zum Bau besonders origineller Gebäude

aus. Als Preisrichter verpflichtete die Firma bekannte Archi-

tekten – darunter Walter Gropius.

Selbst während der Hochindustrialisierung waren unter

den Befürwortern von Technischem Spielzeug nur wenige

Pädagogen. Zu ihnen zählte Max Enderlin, der sich bereits

1907 für Technischen Unterricht an Schulen einsetzte. Er sah

in Technischem Spielzeug eine Möglichkeit für Kinder, sich

mit mechanischen Problemen auseinanderzusetzen und so

durch Spielzeug technische Bildung vermittelt zu bekom-

men. Dazu empfahl er insbesondere Baukästen, weil sie Mög-

lichkeiten zu Erkenntnissen über technische Funktions-

weisen mit einer Gestaltung kombinierten, die Freiraum für

fantasievolles, kreatives Bauen lasse.

Paul Hildebrandt versprach sich von Technischem Spiel-

zeug Impulse für die Technikentwicklung und formulierte

ein Plädoyer für die Erziehung zur Technikakzeptanz, wenn

nicht gar Technikbegeisterung: »Fuer unsern Fortschritt und

fuer unsere gesamte Entwickelung wäre es von größtem Vor-

teile, wenn die Freude und das Interesse der [...] Kinder an

den kleinen Modellen unserer großartigen Erfindungen so

zunehmen wuerde, daß ein Geschlecht heranwachsen wuerde,

das schon im Kinderspiel die Begeisterung eingesogen hätte

für die Verwertung, Verbesserung und Vervollkommnung

unserer technischen Errungenschaften«. Hier wird einerseits

eine zeittypische Technikbegeisterung deutlich, die es nach

Vorstellung des Autors zu vermitteln galt, andererseits eine

grundlegende Aufgabe von Technik für Spielzwecke: Sie soll

jenseits des Lernens Emotionen wecken.

Durch Technik hervorgerufene Emotionen können sich

sowohl auf das Verhältnis der Spielenden zum technischen

Spielgegenstand beziehen als auch auf Gefühle, die von Tech-

nik oder dem Umgang mit ihr ausgelöst werden: ein Flow-

Erlebnis beim spielerischen Umgang mit Technik, ein Ge-

schwindigkeitsrausch oder das Gefühl der Angstlust: Bei

Technischem Spielzeug beziehen sich die vermittelten Emo-

tionen in erster Linie auf eine positive Sichtweise des Spiel-

gegenstands und folglich seines Originals. Auch Zufrieden-

heit über gelöste Aufgaben ist denkbar – so bei der erfolgrei-

chen Inbetriebnahme einer Spielzeugdampfmaschine oder

beim Fertigstellen einer Konstruktions- oder Bastelaufgabe.

In diesem Zusammenhang können auch Flow-Erlebnisse

auftreten. Ein Geschwindigkeitsrausch wäre etwa bei Modell-

autorennen denkbar, am deutlichsten treten Geschwindig-

keitsrausch und Angstlust jedoch bei geschwindigkeits-

orientierten Sportarten und auf der Achterbahn hervor. Für

spielerisches Lernen unter Nutzung Technischen Spielzeugs

bedeuten diese Emotionen, dass eine positive Gestimmtheit

der Spielenden entsteht, die ihre Aufnahmebereitschaft für

Neues fördert.

Welche spielerischen Lernmöglichkeiten Technisches

Spielzeug bot und bietet, wie sich also Lerninhalte im Laufe

der Zeit veränderten, sei im Folgenden anhand des Beispiels

von Modelleisenbahnen verdeutlicht, weil ihre große Band-

breite von Spielmöglichkeiten zahlreiche Einzelspiele ab-

deckt.

Fallbeispiel Modelleisenbahn

Modelleisenbahnen bieten ein Beispiel eines Utensils zum Si-

mulationsspiel, das im Laufe der Zeit immer wieder an neue

technische Entwicklungen und neue Formen des Spiels an-

gepasst wurde. So blieb es über mehr als 150 Jahre attraktiv,

war in der Nachkriegszeit das beliebteste Spielzeug von Jun-

gen (sowie deren Vätern) und büßte diese Position erst im

ausgehenden 20. Jahrhundert zugunsten von Computerspie-

len ein. Modellbahnen vereinen als Miniaturwelten nicht nurAbb

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1950 entwickelte der Gießereiunternehmer Richard Sieper die MarkeSiku: Autos, Traktoren,Schiffe und viele andereFahrzeuge als Bausatz ausPlastik. Bis heute fertigt dasUnternehmen erfolgreichSpielzeugmodelle.

Die französische Firma Joustra stellte ab 1932 Blechspielzeug her.

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Kultur & Technik 1/201516

Artefakte und technische Sachsysteme zu Spielzwecken, son-

dern ermöglichen auf verschiedenen Ebenen spielerisches

technisches Handeln und spielerisches Lernen. Aufgrund

ihrer Komplexität bieten sie eine Vielzahl von jeweils zeitty-

pischen Spielmöglichkeiten, die sich sowohl aus dem Fah-

renlassen der Bahnen als auch aus der Basteltätigkeit zum

Auf- und Ausbau von Modellbahnanlagen ergeben.

Die ersten Modell-Dampflokomotiven entstanden als Ex-

perimental- und Versuchsmodelle noch vor dem Bau größe-

rer Lokomotiven, die zum Transport von Personen oder

Gütern geeignet waren. So baute Richard Trevithick drei Mo-

delllokomotiven, bevor er seine erste große Lokomotive

konstruierte; sein ältestes Modell geht wohl auf das Jahr 1796

zurück. Zudem wurden frühe Modelle ähnlich wie Gebäude-

und Schiffsmodelle als Anschauungsobjekte zur Auftragsver-

gabe genutzt beziehungsweise gefertigt.

Erste Spielzeugeisenbahnen, die lediglich einen Eindruck

der Gestalt von Lokomotiven und Wagen vermitteln sollten,

entstanden fast gleichzeitig mit den ersten Eisenbahnen. Ent-

sprechend stammen nicht nur die ersten großen Bahnen,

sondern auch die ersten Spielzeugeisenbahnen aus England.

Beispielsweise erwarb Johann Wolfgang von Goethe 1829 ein

frühes Pappmodell eines Zuges mit einer Rocket als Ma-

schine, einem Tender und einem kutschenähnlichen Wagen

aus England; das Modell war nicht primär als Spielzeug ge-

dacht, sondern als Anschauungsobjekt einer hypermodernen

Technik. In England lässt sich der Bau von fahrfähigen Mo-

delllokomotiven zu Spielzwecken seit etwa 1840 nachweisen;

in den 1860er Jahren entwickelte sich auch der Eisenbahn-

modellbau von Laien und die ersten Bausätze mit vorgefer-

tigten Bauteilen wurden vertrieben. Sie markieren die

Anfänge des Modellbahnbastelns.

Frühe Lokomotiven und Züge waren sogenannte Boden-

läufer, die ohne ein rahmendes technisches Sachsystem aus-

kamen; mit der Einführung von Schienen wandelte sich die

Modelleisenbahn zum System, das im Laufe der Zeit entspre-

chend ausgebaut wurde. Erste Schienen zu Modelleisenbah-

nen wurden in England angeboten; um 1887 hatte auch das

Nürnberger Unternehmen Jean Schoenner Schienen im Pro-

gramm. Vorreiter für den Systemcharakter der Modellbahn

war Märklin: Die Firma brachte 1891 ein komplettes Eisen-

bahnsystem mit Schienen und Zubehör auf den Markt. Be-

sondere Bedeutung kam den Weichen zu, die es ermöglich-

ten, komplexe Gleisanlagen zu erstellen. Auch Signale und

Läutwerke, ganze Gebäude aus Blech und ein Tunnel wurden

angeboten. Schienen und Bahnzubehör ließen die Eisenbahn

zu einem Systemspielzeug von zunehmender Komplexität

werden.

Von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung von

Modellbahnen war der Trend zu immer kleineren Modellen.

Inzwischen werden Bahnen mit nur drei Millimeter Spur-

weite gefertigt. Während die großen Modelleisenbahnen aus

Platzgründen üblicherweise auf dem Fußboden fuhren und

nach kurzer Zeit wieder abgebaut werden mussten, ermög-

lichte die Miniaturisierung Bahnanlagen auf Platten, die

ohne Demontage verstaubar waren. Frühe Anlagen dieses

Typs entstanden in den 1920er Jahren. Sie waren die techni-

sche Grundlage der großen Verbreitung von Modellbahnen

in der Nachkriegszeit. Auf den Platten konnten komplexe

Gleisanlagen mit ebenso komplexen Regelungssystemen ent-

stehen, die durch mehrere Stromkreise, getrennt schaltbare

Streckenabschnitte sowie elektrisch gesteuerte Signale und

Weichen gekennzeichnet waren.

Diese Anlagen waren elektrotechnisch so anspruchsvoll,

dass Modellbahnzeitschriften neben Streckenplänen auch

Verdrahtungspläne der Elektrik abdruckten. Gleichzeitig er-

möglichten die Platten eine Ausgestaltung der Eisenbahnan-

lage durch den Bau ganzer Modellbahnlandschaften. Einen

nächsten Schritt der Steigerung der technischen Komplexität

von Modellbahnen bedeutet die Digitalisierung der Modell-

bahnsteuerung, die in den 1980er Jahren begann. Sie erfor-

derte ein gänzlich anderes Regelungssystem und vergrößerte

die Spielvarianten noch einmal. Zur Umstellung auf Digital-

steuerung wurden sogar Seminare angeboten, in denen sich

Modelleisenbahnfans das notwendige technische Wissen an-

eignen konnten.

Miniaturdampflokomotiven »lebten« vom Mythos der

Technischen Moderne, der durch den (fast) gezähmten

Dampf und die künstliche Bewegung verkörpert wurde. Pri-

mär darauf – den Dampf und die Bewegung – bezog sich zu-

nächst das Spiel und die Möglichkeit technischen Lernens.

Es erforderte technische Kenntnisse über Dampfmaschinen

und das Erlernen des Umgangs mit Technik. Die apparative

Ausstattung der kleinen Lokomotiven mit Wasserstandsglä-

Eisenbahn im Spielzimmer:Großmutter und Enkel spielen mit einer HO-Modell-anlage der 1970er Jahre.

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Spiel, Spaß und Technik 17

sern zur Kontrolle des Kesselwasserstands, Manometern und

Sicherheitsventilen verdeutlicht, dass deren Handhabung

weder einfach noch ungefährlich war. Denselben Eindruck

vermitteln die detaillierten zeitgenössischen Ratschläge zum

Betrieb der Lokomotiven, die zudem Empfehlungen zur Ver-

meidung von Zimmerbränden enthalten. Die Kenntnisse

über Dampfmaschinen und den Umgang mit Dampftech-

nologie, die für das Spiel erworben werden mussten, bezogen

sich für den Nutzerkreis der kleinen Eisenbahnen primär auf

das technische Allgemeinverständnis. Denn in Anbetracht

der Verbreitung dieses teuren Spielzeugs, das primär in Haus-

halten des Bürgertums zu finden war, dürfte das erworbene

Wissen nur selten berufsnah gewesen sein.

Die kleinen elektrischen Modellbahnanlagen der Nach-

kriegszeit waren in zahlreichen Haushalten vertreten; gegen-

über den großen Modellen hatten sich die Spielmög-

lichkeiten verschoben: nun nahm das Basteln wesentlich

mehr Zeit ein und dominierte das Spiel unter Umständen

sogar. Die Bandbreite der Basteltätigkeiten war erheblich.

Hierfür benötigten Modelleisenbahner verschiedene hand-

werklich-technische Kenntnisse, zudem solche über optische

Gesetzmäßigkeiten zur Gestaltung ihrer künstlichen Land-

schaft und zur Einbettung der Bahntrassen. Hinzu kam Wis-

sen über die Originale sowie über Eisenbahnbetriebsabläufe

und über Bewuchs und Bebauung von Natur- und Stadt-

landschaften. Damit bot das Modelleisenbahnspiel Anlass zur

Aneignung von handwerklichen Fähigkeiten und umfassen-

den Kenntnissen, die sogar über das eisenbahn- und modell-

eisenbahnspezifische technische Wissen hinausgehen.

Gerade Modelleisenbahnen bieten ein Beispiel dafür, dass

die Faszination dieses Spiels – oder Hobbys, wie Modellbahn-

freunde betonen – zu einem Zeitaufwand führen kann, der

über den einer beruflichen Beschäftigung mit einem Thema

hinausgeht, und mit einer Durchdringungstiefe der Materie

verbunden ist, die nur für Spiel und Freizeit realisierbar ist.

Wie weit die Eisenbahnfaszination tragen kann, sei am Bei-

spiel eines Schweizer Ingenieurs erläutert, der in den 1930er

Jahren eine eigene Gartenbahn errichtete, die er vollständig

selbst berechnete, plante und baute. Die größte technische

Herausforderung des Projekts, das er über fast zwanzig Jahre

fortführte, war vielleicht die Untertunnelung seines Gartens,

die in bergmännischer Bauweise erfolgte. Er selbst sah seine

Tätigkeit nicht etwa als Spiel, sondern als »harte Arbeit«. Die

Bahn solle, so schreibt er in einer Zeitschrift 1945, »durch

Vorführung der Fahrzeuge sowie erläuternde Erklärungen

auch dem unwissendsten Laien das technisch Großartige und

dynamisch Überwältigende des Eisenbahnwesens näher-

bring[en]«. Damit wird abermals – nun ein halbes Jahrhun-

dert später – auf die spezifische Funktion von spielerisch

genutzter Technik verwiesen, Emotionen zu wecken.

1950 – gegen Ende der Spielzeugdampfmaschinenära –

stieg die Leverkusener Metallwarenfabrik Wilhelm Schröder

unter dem Markennamen Wilesco in den Produktionszweig

ein. Mit seinem zwischen 1959 bis 1965 produzierten »Atom-

kraftwerk« integrierte das Unternehmen die Darstellung der

zeitgenössisch modernsten Technik in sein Dampfmaschi-

nen-Angebot: Das Innere des »Atomkraftwerks« barg einen

über Heizdrähte erwärmten Dampfkessel, dessen Dampf

eine klassische Spielzeugdampfmaschine antrieb; der Strom

hierzu kam freilich aus der Steckdose. Zur Zeit der Einfüh-

rung des Modells war in der Bundesrepublik lediglich ein

Forschungsreaktor in Betrieb, die kommerzielle Nutzung von

Kernenergie sollte erst ab 1965 erfolgen.

Während das Atomkraftwerk von Wilesco damals ein

neues, vielversprechendes Sujet bot, das auf »die« zeitgenös-

sische Hightech-Technologie zurückgriff, stellte der ameri-

kanische Hersteller Gilbert in Zusammenarbeit mit dem

MIT ein (damals ungefährlich scheinendes) »Atomic lab« für

Jugendliche her, welches das physikalisch-technische Ver-

ständnis für Atomenergie fördern sollte. »Fun, easy, exciting«

sei es, Strahlungs- und Geschwindigkeitsmessungen an ra-

dioaktiven Präparaten durchzuführen – der Experimentier-

kasten wurde zur Attraktion der New Yorker Spiel-

warenmesse 1948. Hier fand auf dem Wege spielerischen Ler-

nens eine Annäherung an einen schwer verständlichen, neu-

artigen Prozess statt. Ähnliches ließe sich über frühe

Computerspiele und die Rolle von Computern als Hightech-

Maschinen herausarbeiten.

Spiel führt aufgrund einer mit dem Spielen verbundenen

positiven Grundstimmung und der Möglichkeit, durch Tech-

nik Emotionen zu wecken, mit erheblicher Wahrscheinlich-

keit zu einer relativ hohen Akzeptanz von neuer Technik.

Kann spielerisches Lernen dazu beitragen, moderne Technik

auch zu verstehen? ❘❙❚Abb

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Spielvergnügen im Computerzeitalter: Bei öffentlichen LAN-Partys treffen sich Hunderte zumgemeinsamen »Daddeln«. Gespielt wird in Gruppenoder einzeln gegeneinander.

Dr. Stefan Poserist Technikhistoriker an derHelmut-Schmidt-Universität,Hamburg, Herausgeber desNewsletters der UNESCO-basierten Internationalen Gesellschaft für Technik-geschichte, ICOHTEC, undstellv. Leiter des Arbeitskrei-ses Technikgeschichte beimVDI Berlin-Brandenburg.Sein Forschungsschwer-punkt ist der spielerischeUmgang mit Technik. In Vor-bereitung: Spiel mit Technikseit der Industrialisierung(Buch erscheint 2015/2016).

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Auf der Spielemesse im Februar 1974 wurden die 7,5

Zentimeter großen Plastikfiguren von Horst Brandstät-

ter zum ersten Mal vorgestellt. Anfangs noch skeptisch be-

trachtet, waren die Figuren der Firma Geobra bereits am

Ende der Messe ein Verkaufsschlager. Die drei männlichen

Urtypen: Ritter, Bauarbeiter und Indianer, blieben nicht

lange unter sich. 1976 kam die erste Playmobilfrau auf den

Markt, drei Jahre später die ersten Kinder. Anfang der acht-

ziger Jahre folgten Babys und Ende der achtziger Jahre wurde

das Sortiment grundlegend überarbeitet. Jetzt bekamen die

Figuren individuelle Gesichter. Die Familie wuchs immer

weiter, bis 2012 sogar eine schwangere Playmobilfrau »Anna«

auf den Markt kam.

Schon mit den frühen »Klicky« genannten Figuren wur-

den auch die ersten Accessoires auf den Markt gebracht:

Schaufel, Schwert und Speer. Hinzu kamen zahlreiche weitere

Kleinteile, wie etwa Kopfbedeckungen, die man zwischen den

Figuren – und das war das Neue – problemlos austauschen

konnte. Die Playmobils siedelten schon ab 1976 – wenn man

von dem Tipi aus dem Jahre 1974 absieht – in Häusern.

1974/75 wurde das erste Auto, ein Baustellenfahrzeug, aus-

geliefert. Auch wurden in den ersten Jahren die Figuren selbst

nochmals leicht überarbeitet und erhielten 1982 drehbare

Hände, was das Halten von Objekten deutlich realistischer

machte. Die reduktionische Gestaltung der Figuren wurde

Ende der achtziger Jahre aufgegeben und gleichzeitig wurden

auch deutlich mehr Themenwelten angeboten. Die Figuren

selbst konnten nun Bäuche oder Brüste haben, vor allem aber

waren die Figuren stark individualisiert. Damit veränderte

sich auch die Kompatibilität der Figuren untereinander, und

so haben sich aus den anfangs drei Archetypen aktuell etwa

650 verschiedene Figuren entwickelt. Eher als Nebenlinie sind

dabei die 1-2-3-Figuren zu sehen, die speziell für Kinder im

Kleinkindalter angelegt sind.

Freundlicher Handschmeichler

Hergestellt werden die Playmobil-Figuren in Deutschland

(Dietenhofen), Tschechien (Cheb), Spanien und Malta im

Spritzgussverfahren aus Plastikgranulat. Der Erfolg von Play-

mobil zeigt sich auch darin, dass die Playmobilpopulation

mit 3,2 Figuren pro Sekunde schneller wächst als die

Menschheit (2,6 Geburten pro Sekunde).

Heute ist das Playmobil gerade einmal vierzig Jahre alt

und hat schon alle Kontinente erobert. Dass dies in einem so

rasanten Tempo geschehen konnte, ahnte im Jahr 1971 nie-

mand, als der Mustermacher Hans Beck (1929–2009) von

Horst Brandstätter den Auftrag bekam, ein Systemspielzeug

zu entwickeln. Aber noch war die Zeit für die kleinen Figuren

nicht gekommen und die Pläne verschwanden fürs Erste wie-

der in der Versenkung. Abb

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Playmobile Spielkultur

Das Wechselspiel von Gesellschaft, Kultur und Spielzeug am Beispiel »Playmobil«. Von Sacha Szabo

Sacha Szabo, Playmobil

durchleuchtet. Wissenschaftli-

che Analysen und Diagnosen

des weltbekannten Spiel-

zeugs. Marburg 2014

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Spiel, Spaß und Technik 19

Die Firma Geobra wurde bereits Ende des 19. Jahrhun-

derts von Andreas Brandstätter gegründet. Ursprünglich

wurden Beschläge und Schlösser hergestellt. Anfang des

zwanzigsten Jahrhunderts trat der Sohn Georg Brandstätter

in die Firma ein, aus dessen Namen ergab sich auch das

Akronym »Geobra« als Firmenbezeichnung. Georg Brand-

stätter verlegte den Firmensitz an den heute noch aktuellen

Standort nach Zirndorf. Schon in den zwanziger Jahren

wurde – auch heute gesuchtes – Blechspielzeug hergestellt.

Mit dem Eintritt von Horst Brandstätter in die Firma Anfang

der fünfziger Jahre wurde das Potenzial eines damals neuen

Werkstoffs ausgenutzt: Plastik. Hula-Hoop-Reifen waren ein

erster Erfolg mit dem neuen Material. Aber auch viele andere

Plastikprodukte gehörten nach und nach zum Produktport-

folio. Plastiktraktoren, Plastikkassen für den Kaufladen, die

auch heute noch beliebte Sammlerstücke sind. Kindertele-

fone und später Haustelefone, ja sogar Wasserski und Wohn-

elemente umfasste das Sortiment. Die Ölkrise zwang die

Firma Geobra, die bis dahin noch großformatige Plastikar-

tikel herstellte, zu einem Umdenken, was dazu führte, dass

die kleinen Plastikfiguren buchstäblich wieder aus der Schub-

lade geholt wurden.

Die Größe der Figuren orientierte sich dabei an der Hand

eines Kindes und sollte auch durch die abgerundeten Ecken

Feuerwehrmann imEinsatz.

Frauen können auch Straßenbau: Die Figur an der Planiermaschine trägteindeutig weibliche Züge.

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Kultur & Technik 1/201520

ein Handschmeichler sein. Das aus heutiger Sicht fast ikono-

grafische Gesicht mit dem freundlichen Lächeln wurde aus

dem Geobra-Logo entwickelt. Das Besondere dieser Figuren

war, dass Hans Beck diese mit beweglichen Armen und Bei-

nen entwarf und so einen Hybrid zwischen unbeweglicher

Figur und beweglicher Puppe schuf. Dass die Playmobilfigu-

ren im Übrigen keine Nase haben, war der technischen

Machbarkeit geschuldet, denn in den ersten Skizzen hatten

die kleinen Figuren noch eine Knubbelnase. Ursprünglich

angedacht als Besatzfiguren für Plastikautos, wurden die

»Klickys« zum beliebten Spielobjekt. 1974 endlich betraten

dann die Figuren, letztlich auch unter dem Eindruck des

OPEC-Boykotts, die große Bühne.

Angekommen in der Moderne

Im Zentrum des Systemspielzeugs Playmobil steht die Figur,

die auch immer schon stärkere anthropomorphe Züge als die

meisten anderen Spielsachen hatte; dies macht dieses Spiel

für die Gesellschaftswissenschaften so interessant. Betrachtet

man die ersten Figuren, findet man die Typen einer schicht-

orientierten Gesellschaft – den Wehrstand: die Ritter, den

Lehrstand: die Ärzte, und den Nährstand: die Bauarbeiter.

Das Interessante dabei ist, dass alle Figuren problemlos ihre

Rollen wechseln können. Zieht man einem Bauarbeiter den

Helm ab und setzt ihm eine Krone auf, wird aus dem Arbeiter

ein König. Eine wunderbare Utopie. Anfangs war die Kultur

des Playmobil, wenn man die Produktdiversifizität ansieht,

segmentär. Das heutige Playmobil ist sehr stark ausdifferen-

ziert in Rollen und Muster und hat wesentlich eindeutigere

Botschaften als das Playmobil der Anfangsjahre. Auch ist der

Rollentausch innerhalb der Playmobilwelt nicht mehr ohne

weiteres möglich. Wenn wir so wollen, ist auch das Playmobil

in der fortgeschrittenen Moderne angekommen, mit seinem

hohen Grad an Individualisierung und Spezialisierung. Die

Playmobils durchliefen eine Entwicklung vergleichbar der

des Menschen in der postindustriellen Gesellschaft. Dabei

war die Urfigur weltoffen, ähnlich dem Homo sapiens ein

Generalist, und dies trug mit zu ihrem Erfolg bei. Vergleicht

man Playmobilfiguren mit anderen Plastikpüppchen, den

Schlümpfen oder den kleinen Plastiksoldaten von Airfix, fällt

auf, dass Playmobils »ungerichtet« sind – sie können ganz

unterschiedliche Haltungen einnehmen. Die kleinen Spiel-

zeugsoldaten von Airfix hingegen verharrten statisch in einer

Position und konnten nicht verändert werden, außer man

zerstörte sie. Daher eignen sich Playmobils auch so gut, um

Geschichten filmisch oder grafisch zu erzählen.

Wenn wir einmal von der »Weltoffenheit« der Spielfigur

ausgehen, also der Möglichkeit, in ganz unterschiedlichen

Kontexten eingesetzt zu werden, dann könnte man das Play-

mobil mit einem Konkurrenzprodukt, den Play-Bigs, verglei-

chen. Diese waren – obwohl recht ähnlich – nicht so welt-

offen, sie waren deutlich ausdifferenzierter und viel näher an

unserer täglich erfahrbaren Wirklichkeit. Auch waren die

Play-Bigs wesentlich individueller gestaltet.

Was wir nun sehen, ist verblüffend: Das scheinbar ge

sellschaftlich »unmodernere«, weil weniger spezialisierte

Produkt verdrängte das scheinbar modernere, weil es spezia-

lisierter und individualisierter war. Vielleicht ein Gleichnis,

das das Zusammentreffen des Generalisten Homo sapiens

mit dem Spezialisten Homo neanderthalensis nachbildet? Al-

lerdings ist Ende der achtziger Jahre aus dem Generalisten-

Playmobil ein Spezialisten-Playmobil geworden. Das Risiko

dieser individuellen Figuren ist vergleichbar dem von Spe-

zialisten in unserer Arbeitswelt. Sie sind nicht mehr so flexibel

einsetzbar wie die Urfiguren. Es droht ihnen das Schicksal

Dr. phil Sacha Szaboarbeitet als Publizist und Kulturmanager am Institut fürTheoriekultur Freiburg. Er istAutor zahlreicher Bücher zurKultur der Unterhaltung unddes Vergnügens.

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»Anna« ist seit 2012 schwanger.

Ein Bauarbeiter mitPresslufthammer undverwegenem Vollbart.

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»temporärer Arbeitslosigkeit«, sie müssen in der Spielkiste

bleiben, um die Bühne anderen Playmobilfiguren zu über-

lassen. Diese Ausdifferenzierungen betreffen nicht nur die

Berufsbilder, sondern die sozialen Rollen im Ganzen, wie sich

am Beispiel der Playmobilfrau illustrieren lässt. Anfangs ver-

körperte die Playmobilfrau ein sehr traditionelles Frauenbild.

Sie war Krankenschwester, kochende Squaw oder Königin.

Sie hatte also entweder unterstützende oder repräsentative

Funktionen. Eine Besonderheit ist bis heute die Häufung von

Playmobilmüttern. Dies mag damit zusammenhängen, dass

Kinder mit Playmobil ihre Lebenswelt nachspielen, in der

Mütter zunächst präsenter sind als Väter.

Aber die Playmobilfrau ist auch in traditionelle Männer-

domänen vorgedrungen, neuerdings gibt es nicht nur Poli-

zistinnen, sondern sogar Einbrecherinnen. Aus Sicht der

Gender-Studies sind die Playmobil-»Figures-Sets« spannend,

erlauben sie doch die Zusammenstellung transgender Figu-

ren – Figuren, die zugleich männliche wie weibliche Attribute

beinhalten. Die Rollenklischees sind also gleichermaßen Re-

aktion wie auch Reflex auf die Veränderungen der Geschlech-

terrollen im Kontext der Modernisierung.

Gerade Playmobil als einerseits geschlossenes System, das

andererseits eine hohe Innendifferenzierung hat, bietet die

Möglichkeit, die erlebte Wirklichkeit nochmals als Geschichte

zu verarbeiten. Dies ist eine Leistung, die für Kinder notwen-

dig ist, um Realität überhaupt begreifen zu können. Ein Au-

tounfall beispielsweise, der nur schwer in das Weltbild eines

Kindes integrierbar ist, kann nun mit den Figuren nachge-

spielt werden und damit in eine Sinnstruktur eingebettet

werden. Aber auch weniger eindrückliche Ereignisse, wie

etwa der Spaziergang mit der Mutter, können mittels der Fi-

guren nachgespielt werden.

Diese Nacherzählung des Alltags ist ein nicht zu unter-

schätzender Aspekt. Die Produktion von Sinn ist eine der

anthropologisch exklusiven Eigenschaften des Menschen.

Der Mensch ist darauf angewiesen, zwischen sich und seiner

Umwelt eine Beziehung zu konstruieren. Man könnte vor

diesem Hintergrund eine Linie zwischen den Höhlen von

Lascaux und der Playmobil-Themenwelt ziehen. Denn bei

der Nachstellung von erlebter Wirklichkeit durch Playmobil

haben wir es mit nichts anderem als mit Kulturproduktion

in Reinform zu tun. ❘❙❚Abb

ildun

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Ein Arbeiter in Sicher-heitsausrüstung mitSchubkarre, Schaufel,Hacke und Besen.

Mann oder Frau? Tierärztinoder Pirat? Mit wenigenHandgriffen verschwimmendie Grenzen zwischen Geschlechtern und Berufen.

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Möchte man sich im Deutschen Museum auf die Spur

absonderlicher Bilder begeben, so erscheint dem Be-

sucher nicht nur das Ziel, sondern auch der Weg dorthin eher

suspekt. Wir betreten die Abteilung der historischen Luftfahrt

im ersten Obergeschoss, werfen einen kurzen Blick auf die

rote Fokker und wüssten wir es nicht besser, würden wir bei-

nahe den kleinen Wegweiser mit der Aufschrift »Physik

(Optik)« übersehen. Obwohl der Pfeil nach rechts zeigt, wen-

den wir uns nach links und betreten einen unscheinbaren,

abgedunkelten Raum. Dieses Zimmer zeigt optische Instru-

mente, und neben einem Brennlinsenapparat liegt auf dem

Boden eine kreisrunde Abbildung. Sie steht auf dem Kopf

und ist völlig verzerrt und verdreht – was soll das Ganze?

Es handelt sich bei dieser Zeichnung um eine Anamor-

phose, eine mit Hilfe der Perspektive bewusst verzerrte Dar-

stellung, die nur unter einem bestimmten Blickwinkel oder

mittels eines speziellen Spiegels erkennbar ist. Hier lässt ein

Zylinderspiegel, in der Mitte positioniert, das Bild sichtbar

werden: eine Szene aus der griechischen Mythologie, in wel-

cher der Weingott Dionysos seiner Braut Ariadne einen Dia-

mantenkranz schenkt.

Kunst für den Unterricht

Diese Anamorphose mit dem Weingott entstand Ende des 18.

Jahrhunderts in Augsburg und war ein reines Unterrichtsins-

trument. Mit Hilfe der zylindrischen Oberfläche sollten die

Gesetze der Spiegelung demonstriert werden: Geraden erschei-

nen im Spiegelbild als gekrümmte Linien, Kreise als Geraden.

Neben der Spiegelung wurden auch andere naturwissenschaft-

liche Themen behandelt, indem beispielsweise die mythologi-

schen Figuren mit Sternbildern verknüpft wurden. Aber nicht

nur die Physik wurde behandelt, die Abbildungen ergänzten

Anamorphose mit Dionysosund Ariadne. Erst durch denSpiegel wird das Gemäldesichtbar: Bacchus beschenktAriadne mit dem Diamanten-kranz.

Warum werden Bilder schiefgemalt? Spielerisch undlehrreich zugleich ist es, wenn Darstellungen erst entschlüsselt werden müssen, bevor man ihren Inhalt erkennen kann. Von Julia Bloemer

GeheimnisvolleVerzerrungen

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auch den Lateinunterricht. Der weinumrankte Text sollte

übersetzt und mit der deutschen Gedichtform unter dem

Spiegel verglichen werden:

Florentem baccis / crebroque adamante coronam /

Hanc Bacchus sponsae, sponsa dedit / Superis. /

Fronte puellari nimis ambitiosa supellex / Dignior est

Divûm cingere visa comas. / Sola decet castas pudibunda

modestia; / sed nunc / Haec gemma est gemmis rarior, /

Inde, tuis.

Des Bacchus / Pracht-Geschenk, der Dia- /

manten-Krantz, / Der, Ariadne, dich vollkommne /

Braut geschmücket, / Wird, weil du Demuths-

voll den / wunderbaren Glantz / Der Götter werth

geschaetzt, nun an / den Pol gerücket. / Nichts steht den

Schoenen so, wie / Zucht und Demuth an; / Ein seltner's

Kleinod zwar als / Indus liefern kan.

Voraussetzung für die Entwicklung der Anamorphosen war

die Entwicklung der Perspektive im 15. Jahrhundert. Die äl-

teste bekannte Anamorphose stammt von Leonardo da Vinci

(1452–1519) aus dem Jahre 1485: eine wolkenähnliche

Zeichnung, die beim schrägen Betrachten von links unten als

Kinderkopf wahrgenommen werden kann. Dabei lagen da

Vinci zu diesem Zeitpunkt noch keine Konstruktionsanlei-

tungen vor, nach denen er bei seiner Zeichnung hätte vorge-

hen können. Vielmehr sind diese Skizzen der Beleg für

künstlerisches Experimentieren, das erst 1630 durch franzö-

sische Mönche systematisch und theoretisch untersucht

wurde. Besonders im 17. Jahrhundert erfreuten sich die Ana-

morphosen großer Beliebtheit, boten sie doch für Themen

mit zweideutigem Inhalt eine ideale Tarnung und konnten

als Verschlüsselungstechnik verwendet werden, um beispiels-

weise verdeckte Kritik an Würdenträgern zu üben.

Das bekannteste anamorphe Gemälde ist »Die Gesand-

ten« von Hans Holbein dem Jüngeren (1497/1498–1543) aus

dem Jahre 1533. Es ist heute in der National Gallery in Lon-

don ausgestellt. Die beiden Personen stellen die Diplomaten

Jean de Dinteville und Georges de Selves dar, die 1533 als

französische Botschafter am Hofe Heinrichs VIII. in England

weilten. Die Gegenstände auf dem Regal zwischen den bei-

den Personen stellen astronomische und mathematische

Messinstrumente sowie theologische, geografische und mu-

sikalische Attribute dar und charakterisieren die beiden Ad-

ligen somit als Repräsentanten einer hochgestellten Bil-

dungsschicht. Schwer einzuordnen ist hingegen der verzerrte

Totenschädel in der unteren Mitte des Bildes. Erst aus extre-

mer Nahsicht von links unten nach rechts oben erkennbar,

soll er nicht nur als Vergänglichkeitsmotiv den Betrachter

mahnen, sondern auch die künstlerischen Fähigkeiten Hol-

beins unterstreichen. Auch andere Künstler und Grafiker des

16. Jahrhunderts wie Cornelis Anthonisz (1505–1553) ver-

wendeten Anamorphosen zur Demonstration ihrer Fähig-

keiten und Fertigkeiten.

Im Zuge der Entwicklung perspektivischer Techniken be-

gann in der Renaissance auch die Blütezeit der Deckenmale-

rei auf gewölbten Flächen, die in der Barockzeit ihren Höhe-Abb

ildun

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Das Bildnis Die Gesandten

von Hans Holbein d. Jüngeren(1497/1498–1543) zeigteinen anamorph verzerrtenTotenschädel, der sich nuraus extremer Nahsicht vonrechts nach links erkennenlässt.

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punkt fand. Durch die Perfektionierung zentralperspektivi-

scher Darstellungen gelang den Künstlern die Illusion eines

perfekten Bildraumes. Anamorphosen kamen dabei immer

dann zum Zuge, wenn Deckenwölbungen oder Unregelmä-

ßigkeiten perspektivisch vom Betrachtungsstandpunkt aus-

geglichen werden sollten.

Das erste bedeutende theoretische Werk über kuriose Per-

spektiven schrieb der französische Paulaner Jean Francois Ni-

ceron (1613–1646). Das Buch, von dem ein großer Teil den

Anamorphosen gewidmet ist, erschien zu seinen Lebzeiten

1638 unter dem Titel La perspective curieuse. In ausführliche-

rer Fassung kam postum 1646 Thaumaturgus Opticus heraus.

Das reich illustrierte Handbuch beschäftigt sich auf ganz all-

gemeine und ausführliche Art mit Theorie und Anwendung

von Perspektive. Es beinhaltet nicht nur die erste veröffent-

lichte Referenz auf Descartes‘ Herleitung des Brechungsge-

setzes, sondern gibt auch einen Überblick des Kenntnisstands

fundamentaler geometrischer Theoreme, beruhend auf Wer-

ken von Leon Battista Alberti (1404–1472) und Albrecht

Dürer (1471–1528). Im Zusammenhang mit Erklärungen

der Malerei auf gebogenen Flächen wie Gewölben zeigt es

eine genaue Konstruktion eines verzerrten Bildes auf der In-

nenseite eines Kegels. Darüber hinaus untersuchte Niceron

die Herstellung von anamorphen Bildern, die durch Refle-

xion an flachen, zylindrischen und konischen Spiegeln ent-

stehen. Sein Lehrer und Mentor Marin Mersenne (1588–

1648) ergänzte Nicerons Werke um abschließende Beiträge

zur Optik einschließlich experimenteller Studien über die

Sehschärfe und einer kritischen Diskussion über die dama-

ligen Hypothesen der Natur des Lichts.

Mathematische Illusionen

So wie schon Niceron auf die illusionistischen Effekte der

Optik und deren Verbindung zur Natur der Magie hinwies,

verbreitete sich ab 1636 mit der Veröffentlichung der Mathe-

matischen und philosophischen Erquickstunden von Daniel

Schwenter (1585–1636) auch in Deutschland die sogenannte

Zauberliteratur. Als Professor für orientalische Sprachen und

Mathematik begründete Schwenter einen neuen Bereich der

beliebten »Magie«. Die bis dahin üblichen, auf Fingerfertig-

keit und Täuschung durch Ablenkung beruhenden, Tricks

und Kunstgriffe wurden nun um mathematische und natur-

wissenschaftliche Methoden und Experimente ergänzt. So

lag und liegt auch heute noch der Reiz von Anamorphosen

im Aufdecken verschleierter Informationen, die nicht sofort

ihre Geheimnisse preisgeben.

Um eine Anamorphose herzustellen, muss das ursprüng-

liche Bild neu gemalt oder gezeichnet werden. Dabei wird es

nach entsprechenden Gesetzmäßigkeiten verzerrt. Für Zylin-

derspiegel-Anamorphosen gibt es dafür drei Möglichkeiten:

1. Ausprobieren, 2. durch Verwendung eines Gitternetzes

oder 3. mit Hilfe eines Computerprogramms (z. B. Ana-

morph Me). Bei der ersten und einfachsten Methode schaut

der Maler in den Spiegel und zeichnet die Umrisse seines Bil-

des so, dass die Darstellung im Spiegel unverzerrt erscheint.

Dies bedarf einiger Übung und Geschicklichkeit. Die meisten

Anamorphosen werden jedoch mit Hilfe eines Rasters er-

zeugt. Dazu wird zunächst ein quadratisches Gitternetz ge-

zeichnet und dieses in ein verzerrtes Raster »übersetzt«. Bei

einer Zylinderspiegel-Anamorphose sind die neuen Raster-

zellen bogenförmig angeordnet. Anschließend wird der In-

halt jeder Zelle in die entsprechende Zelle des neuen,

verzerrten Gitters übertragen. Diese sehr zeitaufwendige Me-

thode wurde seit dem 16. Jahrhundert überwiegend verwen-

det. Da die Übertragung vom Original in die Anamorphose

mathematischen Gesetzmäßigkeiten unterliegt, lassen sich

Anamorphosen heutzutage sehr genau mit Computerpro-

Die Bilder der Anamorphose»Reiterkampf« sind so verzerrt, dass sie auf einGuckloch der Halterung hinweisen. Späht man durchdas Loch, dann zeigt sich das Motiv unverzerrt. Hierhaben wir es mit einem Gefecht von Reitern zu tun.Insgesamt verfügt das Deutsche Museum über etwa 50 Anamorphosen.

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Spiel, Spaß und Technik 25

grammen herstellen. Die ursprünglich großen Gitterzellen

sind dabei die einzelnen Pixel eines digitalen Bildes.

Auch heute finden sich noch Anamorphosen in unserer

Umgebung, z. B. sind die aufgemalten Zeichen und Auf-

schriften der Fahrbahnen auf den spitzen Winkel des Auto-

fahrers abgestimmt. Doch nicht nur der Verkehr, auch der

Sport bedient sich der Wirkung von Perspektive: So sind die

Werbeabbildungen neben den Fußballtoren auf die Kameras

eingestellt und daher nur vom Fernsehzuschauer aus erkenn-

bar. Auch solche Anamorphosen gibt es im Deutschen Mu-

seum: Das Bild mit der Inventarnummer 912 scheint, von

oben betrachtet, ausgesprochen schief. Doch legt man es in

die eigens dafür konstruierte Betrachtungshalterung, offen-

bart sich sein Inhalt, ein Reiterkampf. Das Spiel mit der Illu-

sion ist also alles andere als Fiktion, und auch wenn das

Ausstellungsschild im Deutschen Museum zur Optik in die

andere Richtung weist – ein Blick in die weinrot hinterlegte

Vitrine offenbart neue Perspektiven. ❘❙❚Abb

ildun

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Julia Bloemer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des DeutschenMuseums und arbeitet imDFG-Projekt zur Erschlie-ßung und Digitalisierung der Akademiesammlung.

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Konstruktionszeichnung füreine Zylinderspiegel-Anamor-phose (aus: Jurgis Baltrusai-tis, Anamorphoses, S. 66).

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Im Gegensatz zu anderen Ausstellungsbereichen ist das Ma-

thematische Kabinett relativ klein – dafür sind der An-

drang und die Verweildauer umso größer. Die Abteilung ist

bei vielen Besuchern sehr beliebt, und da bleibt es nicht aus,

dass ab und zu etwas ausgetauscht oder repariert werden

muss. Seit vier Jahren ist Anja Thiele die Kuratorin der Ab-

teilung. Unter dem Arm trägt sie zwei Kartons. Da hinein sol-

len die zerbrochenen Bauteile von der Spielestation »Knifflige

Zerteilung« und dann gleich weiter zum Kleben in die mu-

seumseigene Werkstatt. Die Holzteile sind normalerweise

sehr stabil gefertigt. Trotzdem geht ab und zu etwas kaputt,

meist ohne und leider manchmal auch mit Absicht.

Zwei Kinder sitzen an der betreffenden Spielestation, ganz

vertieft in ihr Spiel mit den Bauteilen. Anja Thiele ist un-

schlüssig, was sie machen soll – die Kinder aus ihrem Spiel

reißen? Nein, das möchte sie nicht. Sie entscheidet sich da-

gegen. Morgen in der Früh wird sie die Bauteile zur Repara-

tur in die Werkstatt bringen. Bis zur Öffnung des Museums

ist dann alles wieder in Ordnung.

An der Spielestation »Knifflige Zerteilung« kann aus drei-

zehn Holzbauteilen ein handlicher Würfel mit abwechseln-

den Schwarz- und Weißflächen, ein einlagiges Schachbrett

oder etwas ganz anderes entstehen. Die beiden Kinder wäh-

len die dritte Variante und teilen die vorhandenen Bauteile

erst einmal unter sich auf. Ein Junge baut auf dem Tischbe-

reich der Station, der andere nutzt aus Platzgründen die

Nachbarstation. Eine Weile schieben sie die Teile hin und her,

nehmen sie auseinander und kombinieren sie jeweils neu.

Rechts von den Kindern sitzt der Vater und beobachtet aus

dem Augenwinkel den Baufortschritt. Nach einigen Minuten

und Umgruppierungen beenden die Kinder ihre Bautätigkeit

und begutachten ein wenig skeptisch ihr Ergebnis – kein ein-

lagiges Schachbrett und ebenso wenig ein Würfel, wie die An-

leitung es vorgegeben hätte, sind entstanden. »Das sieht jetzt

zwar nicht so aus, wie es soll, sieht aber auch gut aus«, beur-

teilt einer der jungen Baumeister sein Werk. Zustimmendes

Nicken vom anderen. Die Kinder sind anscheinend mit ihren

zwei Bauwerken zufrieden.

Anja Thiele: »Man sieht ganz deutlich, dass die Leute

mit den Materialien sehr kreativ umgehen. Es gibt ein Rät-

sel – man versucht, es zu lösen. Je jünger die Kinder sind,

desto hemmungsloser bauen sie auch vollkommen andere

Gebilde, mit denen der Erfinder der Station nie gerechnet

hat.« Während der Beschäftigung mit den Spielsteinen ent-

Das sieht gut aus!Familien und Kinder entdecken neu und ganz spielerisch die Mathematik –ohne Zeit- und Notenstress. Im Mathematischen Kabinett des Deutschen Museumsfinden sie jede Menge Material zum Ausprobieren. Von Beatrix Dargel

Dipl.-Ing. (FH) Beatrix Dargel, studierte Garten- und Land-schaftsarchitektur an der FH Erfurt. Seit 2001 arbeitetsie in Munchen als Fach- undFotojournalistin fu r Garten-themen, Architektur, Technik,Modellbau, Luftfahrt undLuftbilder. Die Autorin ist begeisterte Hobbyfliegerin.

DIE

AU

TOR

IN

Die Quadrodomino-Steine

mit vier unterschiedlichen

Farben und sechs Sorten

werden auch »Wang-Täfel-

chen« genannt. Bei der

Verlegung sollen gleiche

Farben aneinandergrenzen.

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faltet sich Kreativität, obwohl sich die meisten Kinder an

die Grundregel halten, zwischen schwarzen und weißen

Teilen abzuwechseln. Dabei verhalten sich kleine und grö-

ßere Kinder an den Spielestationen ganz unterschiedlich.

Die jungen Kinder lassen sich von den Vorgaben kaum be-

eindrucken. Sie bauen alles Mögliche, was ihnen in den

Sinn kommt, während die älteren oft zurückhaltender

sind. Viele Erwachsene hingegen zögern, sich an eine Sta-

tion zu setzen und etwas anzufassen. Lieber sehen die Äl-

teren den Jüngeren zu, die einfach drauflosbauen.

Jugendliche und Erwachsene mögen wohl nicht so gerne

beobachtet werden, aus Angst, etwas falsch zu machen.

Denn je weniger Besucher im Mathematischen Kabinett

sind, umso eher trauen sich auch die Großen, einfach ein-

mal etwas auszuprobieren und für eine Weile zu vergessen,

dass sie erwachsen sind.

Anschauliche Mathematik imComputerzeitalter

Im hinteren Bereich des Mathematischen Kabinetts befinden

sich drei Computerstationen, die Anja Thiele vor drei Jahren

mit aufbaute. »Tools zur Mathevisualisierung sind ein großes

Thema, damit kann man ganz tolle Dinge berechnen. Kom-

plexe Gebilde und besondere Figuren sind eine Komponente

der modernen Mathematik.« Die Computerstationen bilden

mit den großen Flachbildschirmen an der Wand eine visuelle

Ergänzung zu den haptischen Mitmachstationen. Unter-

schiedliche Programme am Startbildschirm sind abrufbar,

links eine Auswahl verschiedener Spiele zu mathematischen

Themen: Knobeln, räumliche Figuren, Sudoku und Simula-

tionen. Das Spiel »Ausparken« wird besonders gern und häu-

fig genutzt.

An der mittleren Station geht es um geometrische The-

men mit Flächen, Figuren und Formen. Mit den dazugehö-

rigen Formeln experimentieren die Besucher und sehen, wie

sich die Form verändert. Rechts läuft ein Programm, in der

Wahrnehmung ein 3-D-Spiel, mit riesengroßen mathema-

tischen Figuren. Normalerweise gibt es mathematische Mo-

delle nur im Kleinformat und in der Vitrine zu sehen. Am

Computer läuft die Modellsimulation bis zu einer Größe von

15 Metern. Man ist »drin« oder »geht hinein« und erkundet

auf diese Weise die Objekte.

An allen drei Stationen lassen sich über einen Informati-

onsbutton mathematische Zusatzinformationen abrufen. Bei

den Kindern steht das Spielen im Vordergrund. Die älteren

Besucher lesen die Informationen eher, wenn es ruhiger ist,

hat die Kuratorin beobachtet. In dem kleinen Raum kann

man sich schlecht konzentrieren, wenn der Andrang zu groß

ist. Denn während das spielerische Ausprobieren dem

menschlichen Experimentiertrieb eher entgegenkommt, sind

Abstraktion und Berechnungen zwar typisch für die Mathe-

matik, fallen vielen Menschen jedoch eher schwer. Spielen,

neugierig bleiben oder werden, sich fragen, was verbirgt sich

dahinter? Darum geht es im Mathematischen Kabinett: um

Knobeln, Nachdenken, Verstehen und Lesen – ohne Angst

vor Fehlern – einfach das jeweilige mathematische Spiel zu

spielen und »wie nebenbei« Wissen aufzufrischen oder neu

zu erwerben. ❘❙❚

Abb

ildun

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trix

Dar

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»Das ist ein cooles Teil, sieht manihm gar nicht an!«, Kuratorin AnjaThiele zeigt einen von drei Donut-ähnlichen Ringen. Zwei der Objekte sind durchgeschnittenund lassen sich trennen, dasdritte Objekt nicht. Anja Thieleführt einen Papierstreifen entlangdes Schnittes durch den drittenRing. »Gesehen?« Die Figur fällttrotz Trennung nicht auseinander. Faszinierend! »Das muss manerst einmal erfahren!«

Beliebt ist das 3-D-Spiel mitmathematischen Gebilden.Erst das Objekt von außenund dann die inneren Struk-turen erkunden? Nicht langeüberlegen – ausprobieren!

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Seit die Bonner Zweigstelle vor fast 20 Jahren eröffnet

wurde, hat sich Museumsarbeit sehr verändert. Unser

Wissen wird immer komplexer und insbesondere unser

Schwerpunkt »Zeitgenössische Forschung und Technik« stellt

die Besucher vor Herausforderungen. Vermittlungsarbeit

nimmt einen sehr großen Raum ein. Sie muss sowohl Erklä-

rung als auch Orientierung für die verschiedenen Altersstu-

fen bieten. Zudem sind unsere Zielgruppen heute deutlich

jünger als noch bei Museumseröffnung 1995. Familien mit

kleinen Kindern erwarten neben Information auch Unter-

haltung bzw. spielerische Herangehensweisen. Erst die Mög-

lichkeit zur aktiven Teilhabe macht aus dem Museumsbesuch

das persönliche und damit nachhaltige Erlebnis.

Spiel dich schlauKann man mit der Luft Harfe spielen?Wie lernten die Bilder eigentlich lau-fen? Warum ist es einfacher, mit demStrom zu schwimmen als dagegen?Und überhaupt: Warum können Flug-zeuge fliegen, obwohl sie doch großund schwer sind? Einfache Fragen, diedas Deutsche Museum Bonn in seinemneuen Kinder- und Familienbereich,dem SchlauSpielhaus, beantwortet:durch Ausprobieren, Entdecken, Staunen und gemeinsames Erleben. Von Andrea Niehaus

DEUTSCHES MUSEUM BONN

Spaß haben nicht nur kleineKinder im neuen Schlau-Spielhaus. Hier begeben sichganze Familien auf eine gemeinsame Zeitreise vonden 1950er Jahren bis heute.

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Aus diesem Grund startete das umfangreiche und sehr er-

folgreiche Bildungsprogramm in Bonn. Die Workshops und

Aktionen zu rund 40 Themen aus Naturwissenschaft und

Technik finden in unserem Schülerlabor zur Alltagschemie –

der ExperimentierKüche – statt, aber auch an allen anderen

möglichen Orten mitten im Museum. Allerdings müssen die

Kinder und Jugendlichen sich voranmelden und damit auf

eine bestimmte Zeit festlegen. Gerade am Wochenende man-

gelte es in der Vergangenheit dennoch an dauerhaften, at-

traktiven Angeboten für einen gelungenen Familienbesuch.

Diese Lücke konnte nun geschlossen werden! In einer

konzertierten Aktion und mit viel Herzblut der Kollegen

sowie gewichtiger Unterstützung von außen (Freundes- und

Förderkreis Deutsches Museum e.V., Artur Fischer und an-

dere) haben wir das letzte »freie« Museumsplätzchen direkt

hinter unserem Schülerlabor geräumt und angefangen um-

zubauen! Seit dem Sommer 2013 können sich große und

kleine Besucher in unserem »SchlauSpielhaus« auf eine er-

lebnisorientierte Zeitreise von den 1950er Jahren bis heute

begeben. Hier können sie gemeinsam naturwissenschaftliche

Phänomene durch eigenes Ausprobieren spielerisch entde-

cken und »begreifen«.

Die Idee hinter dem Konzept: Themen der Dauerausstel-

lung aufgreifen und kindgerechte Verbindungen zu ausge-

wählten Exponaten herstellen. Mitmach-Stationen der Firma

Axel Hüttinger wie Theremin, Zoetrop (Trommelkino) und

Nano-Igel sind in einen für die letzten sechs Jahrzehnte zeit-

typischen Kontext eingebettet. In Szene gesetzt wurde die

bunte Zeitreise von Thomas Häussler, spatial design, Mün-

chen. Er hat dem SchlauSpielhaus eine freundlich-fröhliche

Atmosphäre und jedem Raum sein eigenes Flair gegeben –

keine leichte Aufgabe in dem verwinkelten Bereich.

Sechs Jahrzehnte und sechs kleine Räume, jedes eine Ein-

heit für sich, mit einem eigenen Thema. In den fünfziger Jah-

ren geht es um elektronische Musik. Pate stehen das

Heinzelmann- und Transistorradio sowie das Mixturtrauto-

nium von Oskar Sala aus unserer Sammlung. Diese Objekte

verbleiben vor Ort, sind aber mit einem Aufkleber entspre-

chend gekennzeichnet. Theremin und Laserbass fordern zum

Mitmachen auf und erklären damit Möglichkeiten der elek-

tronischen Tonerzeugung. Nach der gleichen Struktur sind

auch die anderen Räume aufgebaut. In den sechziger Jahren

geht es um optische Systeme wie das Farbfernsehen (Samm-

lung: PAL-Anlage von Telefunken, Mitmachstation: Trom-

melkino und »Magic Mirror«). Fliegen bzw. Reisen steht für

die 70er, das Thema Raumfahrt für die achtziger Jahre und

die Nanotechnologie für die 90er Jahre. Für den letzten Be-

reich, die 2000er Jahre mit dem aktuellen Thema »Total di-

gital«, wurde in Kooperation mit der Hochschule Trier,

Fachrichtung Intermedia Design, in einem studentischen

Wettbewerb ein neues, eigenes Exponat entwickelt, mit dem

Kinder durch ihre Körperbewegungen sogar selbst Roboter

kreieren und durch die digitale Welt bewegen können.

Damit ist das SchlauSpielhaus ein Mini-Science-Center

auf etwa 100 Quadratmetern – aber doch wieder ganz an-

ders. Denn zu den interaktiven Exponaten treten prägende

historische Ereignisse (sogenannte Ikonen) sowie Kinder-

spielzeug und -sendungen bis hin zu typischen Design -

elementen und vervollständigen die Zeitporträts der

ver schiedenen Dekaden. Bei jedem Besucher setzen eigene

Erinnerungen zu einem anderen Zeitpunkt ein: Großeltern

blicken zurück auf ihre Jugend mit Transistorradio und VW-

Käfer. Playmobil oder die »Sendung mit der Maus« aus den

siebziger Jahren gehören inzwischen zur Erfahrungswelt vie-

ler Eltern. Im SchlauSpielhaus können sie diese mit ihren

Kindern teilen. So kann das persönlich Erlebte in einem Dia-

log der Generationen ausgetauscht und weitergegeben wer-

den. Im SchlauSpielhaus kann man sich also nicht nur

»schlau spielen«, sondern erfährt auch ein gemeinsames Fa-

milienerlebnis. ❘❙❚Abb

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Dr. Andrea Niehausleitet seit 2001 das Deutsche Museum in Bonn.Mit ihrem Team setzt sieeinen besonderen Schwer-punkt auf Programme für Kinder und Schüler.

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Mit der bunten Tapete lassen die 70er Jahre grüßen: Flugzeug und Bernoulli-Effekt sind naturwissenschaftlich-technisch das Thema.

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Die Welt des Homo ludens digitalis

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Spiel, Spaß und Technik 31

Es ist kurz nach 17 Uhr, als ich mein Fahrrad vor dem

Computerspielemuseum in der Karl-Marx-Allee 93a

abschließe. Es ist schon dunkel und nieselt leicht und eigent-

lich wäre mir mehr nach einer Tasse heißen Tee als nach

Computerspielen, denke ich, wo ich doch ohnehin noch nie

richtig begriffen habe, was denn eigentlich so faszinierend

sein soll an der Zockerei vor der Kiste. Dass man hier tatsäch-

lich früher einmal Tee trinken konnte, erzählt mir später An-

dreas Lange, Direktor und Chefkurator des Computer-

spielemuseums. Bis 1961 hieß die Karl-Marx-Allee noch Sta-

linallee, und im Café Warschau, einem von sechs von der

Staatlichen Handelsorganisation HO eingerichteten »Natio-

nalitätencafés«, aß man polnische Spezialitäten und schwang

abends das Tanzbein, während am Nebentisch der mit dem

Nationalpreis der DDR prämierte Schriftsteller Horst Bastian

bei Kaffee und Cognac an Gewalt und Zärtlichkeit arbeitete.

Im Erdgeschoss des ehemaligen Kaffeehauses befindet sich

nach langen Jahren des Brachliegens seit 2011 das Compu-

terspielemuseum. Auf 670 Quadratmetern soll dem Besucher

»eine Zeitreise zurück in eine vergnügte Jugend und vor in

die virtuell-reale Welt der Zukunft« geboten werden, so heißt

es auf der Website. Im Eingangsbereich empfangen mich eine

lebensgroße Kunststoffskulptur von dem grün gewandeten

Link aus Zelda, ein weiteres langohriges, ebenfalls schwer be-

waffnetes Wesen, das ich nicht kenne, sowie zwei Versionen

von Lara Croft, der Heldin aus dem Action-Adventure-Game

Tomb Raider. Die Informationstheke ist gleichzeitig Ticket-

schalter, Shoptheke und Kaffeestand, das Servicepersonal ist

auffallend jung und gut gelaunt, und ich fühle mich ein

wenig wie beim Einchecken in eine Jugendherberge.

Hinter dem Foyer beginnt die Dauerausstellung. Dass sie

in drei Teile gegliedert ist, entnimmt man gleich zu Beginn

einer Überblickstafel: 1. »Der spielende Mensch (Homo lu-

dens)«, 2. »Die Erfindung und Entwicklung des digitalen

Spiels« und 3. »Die Welt des Homo ludens digitalis«. Der

langgezogene Raum erinnert mit seinen blockartigen, in

Grautönen sowie den, je nach Themengebiet, blau, gelb oder

grün gefassten, in kleine quaderförmige Schaukästen und

Texttafeln unterteilten Präsentationselementen an überdi-

mensionierte Bildpixel oder Tetris. Für einen Mittwochnach-

mittag ist das Museum gut gefüllt. Ich muss ein wenig

schmunzeln über die Überzahl männlicher Besucher unter

25 mit schluffigen Pullovern, blasser Haut und randlosen

Brillen, die meiner Vorstellung von einem exemplarischen

Computerspiele-Nerd doch sehr nahekommen.

Ich beginne gemäß der vorgegebenen Themenroute mit

dem gelben Bereich »Der spielende Mensch«, und sofort wird

klar, was Chefkurator Andreas Lange meint, wenn er sagt,

mit der Ausstellung solle den Besuchern vor allem die kultu-

relle Relevanz von Computerspielen nahegebracht werden.

»Die Fähigkeit zu spielen ist ein wesentliches Merkmal un-

serer menschlichen Natur. Im Spiel können wir eigene Wel-

ten erschaffen und Handlungsstrategien überprüfen, ohne

Konsequenzen für unser reales Leben fürchten zu müssen«,

erklärt der Text unter der Überschrift »Spielkultur«. Von der

– vielleicht doch etwas sehr programmatischen – Kopie einer

antiken griechischen Vase mit einer Darstellung der Olym-

pischen Spiele über den ersten Schachspielautomaten von

1770 und die Kinderfernsehshow »Winky Dink and You« derAbb

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Ein Besuch im Computerspielemuseum in Berlin oder wie wir wieder zu Spielkindern werden. Von Ron R. Boisson

Nicht nur der Wissbegierige –auch wer Lust hat, einfach einbisschen zu zocken, kommtim Computerspielemuseumauf seine Kosten. Geeignetist das Museum für Kinder ab 8 Jahren.

Bild unten: Lara Croft vordem Portal des Computer-spielemuseums in der Karl-Marx-Allee.

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1950er Jahre, in der man auf dem »magic window«, einem

Stück Vinylplastik, das dank Elektrostatik am Bildschirm

klebte, interaktiv Bilder malte, über den Nimrod, das aller-

erste Computerspiel, das man 1951 auf der Industrieausstel-

lung in Berlin bewundern konnte, weiter über die

Verbindung von Spiel und Kunst in der Fluxus-Bewegung

der 1960er Jahre bis hin zum Sieg des Computers über den

Menschen in der legendären Schachpartie Garri Kasparows

gegen Deep Blue 1997 oder dem Film Wargame, in dem ein

jugendlicher Computerspieler fast den dritten Weltkrieg aus-

löst, eröffnet sich dem Besucher hier ein breites Spektrum

des Spielens als Kulturgut.

Es gehe darum, die Vielfalt des Computerspielens zu zei-

gen, so Andreas Lange, ihre kulturelle Bedeutung für die Ge-

sellschaft, insbesondere jetzt, da die Folgen der digitalen

Revolution so offensichtlich unseren Alltag bestimmten und

nicht mehr zu leugnen sei, dass wir eine Realitätsebene da-

zubekommen hätten.

Die Pioniere virtueller Welten

Als Nächstes wende ich mich der langen Ausstellungswand

rechter Hand des Eingangs zu. »Wall of Hardware« sagt die

Überschrift, unter der in neongelben, beleuchteten Boxen

hinter Glas die wichtigsten Stationen der Spielmaschinen

chronologisch präsentiert werden. Los geht es mit einer Ma-

gnavox Odyssey, der ersten Heimspielkonsole, entwickelt

gegen Ende der 1960er Jahre von dem am 6. Dezember 2015

verstorbenen deutsch-amerikanischen Ingenieur Ralph

Henry Baer, dem »Vater der Computerspiele« und dem Er-

finder des Pingpong. Nolan Bushnell, der spätere Atari-

Gründer, entdeckte Pingpong 1972 bei dessen Präsentation

in Burlingame (Kalifornien) und gab danach die Heimva-

riante des Pong-Automaten in Auftrag, die 1975 realisiert

wurde. Zu sehen gibt es auch den ersten Apple- Computer

von 1977, dessen Erfinder Steven Wozniak vorher bei Atari

das Automatenspiel Breakout entwickelt hatte und der Le-

gende nach den Heimcomputer vor allem deshalb konstru-

ieren musste, um unter besten Bedingungen Breakout spielen

zu können. Auch der erste Billigcomputer, mit dessen Ent-

wicklung Clive Sinclair 1980 den Minicomputern endgültig

zum Durchbruch verhalf, der erste Macintosh und das erste

Nintendo Entertainment System fehlen nicht in der Reihe

der Spielmaschinen. Die meisten Geräte sind mir völlig un-

bekannt, nur der Nintendo Gameboy (1989) und die Play-

Station 2 wecken Kindheitserinnerungen, und das letzte

Exponat in der Reihe, die Xbox aus dem Jahr 2001, kenne ich

von meiner kleinen Schwester.

Als ich Andreas Lange später frage, warum bei 2001

Schluss sei mit der Gerätechronologie, wird deutlich, dass die

geringe Ausstellungsfläche durchaus ein Problem des Hauses

darstellt. Die kontinuierlich fortschreitende Entwicklung der

technischen Möglichkeiten und die Grenzenlosigkeit digita-

ler Spielräume und virtueller Welten auf 670 Quadratmetern

einzufangen, erfordert Mut. Gleichzeitig, so Lange, liege in

dem Platzmangel auch ein Ansporn zu regelmäßigen und

anspruchsvollen Sonderausstellungen, für die das Museum

Nachbau einer Penny Arcade,einer typischen Spielhalle der1980er Jahre.

Die »Wall of Hardware«. Inden Schaukästen wird dieGeschichte der Spielegerätevon der Odyssey (1972) biszur Xbox (2001) präsentiert.

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Spiel, Spaß und Technik 33

eine zusätzliche Fläche zur Verfügung hat. Seit der Eröffnung

vor vier Jahren wurden 20 Sonderausstellungen realisiert,

und die nächste ist bereits in Arbeit, was in Anbetracht der

privaten Finanzierung das exzeptionelle Engagement des

fünfköpfigen Kuratorenteams widerspiegelt.

Gleich hinter der »Wall of Hardware« geht es rechts in

einen liebevoll gestalteten kleinen Nachbau einer Penny Ar-

cade, jener Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre so be-

liebten Spielhallen, in denen man nach Münzeinwurf eine

Runde Space Invaders, Pac Man oder Donkey Kong zocken

konnte. Gegenüber zieht eine Wand mit der Überschrift

»Game Meilensteine« meine Aufmerksamkeit auf sich. Mit

einem Joystick kann man einzelne Kästen ansteuern, in

denen dann das Licht angeht, das angezielte Exponat sichtbar

wird und ein Bildschirm einen visuellen Eindruck vom Spiel

vermittelt, während aus einem Lautsprecher der entspre-

chende Gamesound ertönt.

Den letzten und größten Teil der Ausstellung nimmt

schließlich »Die Welt des Homo ludens digitalis« ein. Anhand

der Stationen »Sehen«, »Hören«, »Handeln«, »Erzählen«,

»Zusammenleben« und »Produzieren« werden dem Besu-

cher alle möglichen Fragen nähergebracht, die Computer-

spiele aufwerfen, seien es Fragen nach ihrer visuellen,

auditiven oder psychologischen Wirkung, Fragen nach

Markt, Produktion und Konsumenten, nach ethischen

Aspekten oder nach der Auswirkung von Computerspielen

auf die Gesellschaft. Auch heikle Themen, wie die Verwen-

dung von Computerspielen als Kriegssimulatoren oder das

Suchtpotenzial von Games wie World of Warcraft, werden

angeschnitten.

Zum Abschluss spiele ich noch eine Runde Bowling auf

der Wii und werfe einen vorsichtigen Blick auf die berühmte

Painstation aus dem Jahr 2001, bei der das Versagen beim

Pong-Spielen mit Peitschenhieben oder Stromschlägen be-

straft wird, und die mich unwillkürlich an jene großartige

Szene aus dem James-Bond-Film Never say never again er-

innert – Sean Connery gegen den Überschurken Klaus Maria

Brandauer, der Schmerz als Waffe im Spiel um Leben und

Tod –, bevor ich, ein wenig erschöpft von der Vielzahl an Ex-

ponaten und der daddeligen Geräuschkulisse und gleichzei-

tig dankbar für all die neuen Eindrücke und Denkanstöße,

das Museum verlasse.

Als ich mein Fahrrad aufsperre und mir eine Zigarette an-

zünde, wird mir klar, dass mein Blick auf Computerspiele

sich in den letzten eineinhalb Stunden verändert hat. Was

vorhin noch sinnlose und zeitraubende Zockerei war, kommt

mir plötzlich vor wie die Perfektionierung des urmenschli-

chen Bedürfnisses zu spielen. Ich denke, ich brauche jetzt

dringend eine Tasse heißen Tee. ❘❙❚Abb

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Ron R. Boisson studierte Klassische Archäo-logie, Philosophie und Kunst-geschichte in München undRom. Sein wissenschaftli-ches Interesse gilt derzeitden »Römischen Todesero-ten«. Computerspiele hielt er bis zum lehrreichen Besuch im Berliner Compu-terspielemuseum eher fürZeitverschwendung …

DER AUTOR

Bild oben: Bei der Spiele-konsole Vectrex aus demJahr 1982 ermöglicht eineBrille mit mechanischer Loch-rasterkarte die 3-D-Wahrneh-mung der Vektorgrafik aufdem Bildschirm.

Bild Mitte: Blick auf die pixelförmigen Ausstellungs-module.

Bild unten: Der Nimrod, dasallererste Computerspiel von 1951. (Auf der Berliner Industrieausstellung schlugder elektronische Rechnerden damaligen Wirtschafts-minister Ludwig Erhard – zurgrößten Belustigung von Bundeskanzler Adenauer.)

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Kultur & Technik 1/201534

Die Entdeckung der elektromagnetischen Wellen, die

durch den schottischen Mathematiker James Clerk

Maxwell theoretisch vorausgesagt worden waren, erfolgte

1886 durch den deutschen Physiker Heinrich Hertz. Einem

Zufall verdankend beobachtete Hertz bei einem seiner zahl-

reichen Versuche mit elektrischen Entladungen, dass bei einer

dicht neben seiner Versuchsanordnung liegenden Spule

kleine Funken übersprangen, die unter den gegebenen Um-

ständen nicht durch das Phänomen »Induktion« erklärbar

waren, sondern die Existenz elektromagnetischer Wellen be-

wiesen. Trotz intensiver Untersuchung dieser Erscheinung

beschränkte sich das Interesse Hertz‘ jedoch nur auf die phy-

sikalischen Erkenntnisse – der Nutzung einer drahtlosen

Übertragung über größere Entfernungen gab er indes keine

Chance.

Die Erfindung einer sogenannten Funkenstrecke zur Er-

zeugung besonders starker Funken des italienischen Wissen-

schaftlers Augusto Righi (1892) sowie um 1884 eines »Ko-

härers« zum Nachweis elektromagnetischer Wellen durch

den Franzosen Édouard Branly komplettierten neben dem

bereits von Hertz eingesetzten sogenannten Funkeninduktor

die wichtigsten Bausteine der drahtlosen Telegrafie. Unter

dieser Voraussetzung und animiert durch Righis Experi-

mente gelang es dem Italiener Guglielmo Marconi im De-

zember 1894, eine Klingel »ferngesteuert« zum Läuten zu

bringen – 1895 konnten nach Verbesserungen bereits ca. zwei

Kilometer drahtlos überbrückt werden.

Wahrscheinlich ist es den Ende des 19. Jahrhunderts ein-

setzenden Reformen des naturwissenschaftlichen Unterrichts

an höheren Schulen zu verdanken, dass ein Bedarf an tech-

nischem Spielzeug bzw. Experimentiersystemen entstand, die

dem Interessierten das spielerische Aneignen aktueller wis-

senschaftlicher Erkenntnisse gestatteten.

In Folge entstanden Firmen, die sich ausschließlich mit

der Herstellung von entsprechenden Apparaten und Experi-

mentierkästen befassten, außerdem nahmen typische Spiel-

warenhersteller die Produktion von Lehrmitteln auf. Damit

ist zu erklären, dass auch die Umsetzung der damals neuen

Erkenntnisse und Entdeckungen zur drahtlosen Telegrafie

des späten 19. Jahrhunderts verschiedene Firmen zur Her-

stellung von Experimentiersystemen veranlasste, deren An-

gebot im Laufe der Zeit dem aktuellen Stand der Technik

angepasst wurde.

Erste Gerätschaften

Bereits einige wenige Jahre nach Marconis bahnbrechenden

Erfolgen nahm die Nürnberger Firma Gebrüder Bing, die

als eine der größten deutschen Spielwarenhersteller der da-

maligen Zeit galt, Sende- und Empfangsapparaturen für

»Funken-Telegraphie« in ihr Programm auf: In der Special-

Preisliste über mechanische, optische und elektrische Lehrmittel

und Spielwaren, Ausgabe 1902, wurde wahrscheinlich erst-

malig eine preiswerte einfache Sende- und Empfangsstation

mit »ausführlicher, interessanter Beschreibung der Funken-

telegrapie nach Marconi« angeboten. Die 13-seitige Beschrei-

bung enthält neben einem geschichtlichen Rückblick zur

Funkentelegrafie schematische Darstellungen und Erklärun-

gen zur Wirkungsweise der Stationen sowie eine Gebrauchs-

anweisung. Sender und Empfänger ähnelten stark den

Apparaturen Marconis.

Experimentiersysteme aus den Anfängen der Funktechnik. Von Christoph Heiner

Bild 1 (links): Kohärer-empfänger der Firma Bing,Nürnberg, von 1902. Im Vordergrund: Kohärer (Glasröhrchen mit Metallpulver), links undrechts abgehende Antennen,im Hintergrund: elektrischeGlocke.

Bild 2 (rechts): Sende-Emp-fangsstation der Firma Bing,Nürnberg, mit Morseschrei-ber, ca. 1906; (links:): Sendermit Kugelfunkenstrecke nachRighi; rechts: Empfänger mitelektrischer Glocke.

Ein Kohärer besteht aus

einem Glasrohr, das teil-

weise mit Metallspänen

gefüllt ist. In die Metall-

späne ragen seitlich in

das Glasrohr zwei sich

nicht berührende Drähte,

über welche die anzuzei-

genden Radiowellen von

Antennendrähten zuge-

führt werden.

Durch Spiel zum Wissen

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Spiel, Spaß und Technik 35

Die Sendestation bestand aus einem bereits erwähnten

Funkeninduktor, der als Transformator mit hohem Überset-

zungsverhältnis die Spannung eines über einen Taster und

Unterbrecher angeschlossenen Batterieelements in Hoch-

spannungsimpulse umwandelte. Die Ausgänge dieses Geräts

waren an einer primitiven Funkenstrecke angeschlossen, die

aus gegenüberstehenden Kugeln bestand. Solange der Taster

vom Benutzer geschlossen war, sprangen Funken über die

Funkenstrecke und erzeugten Funkwellen in Form gedämpf-

ter Schwingungen, die über angeschlossene Drähte abge-

strahlt wurden. Damit war der Benutzer in der Lage, Zeichen

des aus Punkten und Strichen bestehenden Morsealphabets

durch unterschiedlich langes Betätigen des Tasters im wahrs-

ten Sinne des Wortes zu »funken«.

Die Empfangsstation bestand aus einem Batterieelement,

einem Kohärer und einer elektromechanischen Klingel,

deren Klöppel nicht nur die Glocke zu akustischen Schwin-

gungen anregte, sondern gleichzeitig auch gegen den Kohärer

schlug. Die Apparatur war so verschaltet, dass über zwei An-

tennendrähte auf den Kohärer eintreffende Funkwellen die-

sen vom nicht leitfähigen in den leitfähigen Zustand ver-

setzten und auf diese Weise ein Stromkreis geschlossen

wurde, der die Klingel betätigte. Die Länge des Klingelns si-

gnalisierte einen gesendeten Punkt oder Strich des Morseal-

phabets, gleichzeitig wurde durch das Schlagen des Klöppels

gegen den Kohärer dieser wieder in den Empfangszustand

gebracht. Mit diesen Apparaten war gemäß der genannten

Preisliste eine drahtlose Übertragung von Morsezeichen über

eine Strecke von ca. 3 – 4 Meter möglich (Bild 1).

Höheren Ansprüchen genügte eine andere Kombination

aus Sende- und Empfangsstation, die ebenfalls wohl zum ers

ten Mal 1902 von Bing angeboten wurde und in der oben ge-

nannten Preisliste aufgeführt wird. Mit dem Erwerb dieser

Einrichtung erhielt der wohlhabendere Käufer aufwendigere,

besser verarbeitete und leistungsfähigere Geräte, der Emp-

fänger wies außerdem noch ein Relais auf, mit dem die emp-

fangenen Morsezeichen über einen angeschlossenen Spiel-

zeug-Morseschreibapparat auf einem durchlaufenden Pa-

pierstreifen aufgezeichnet werden

konnten. Dieser Schreibapparat

wurde wie bei den damals u. a. bei

der Eisenbahn für Telegrafie verbreiteten

Morseschreibern ebenfalls über ein aufziehba-

res Uhrwerk angetrieben (Bild 2).

Verbesserte Experimentiermöglichkeiten

Bedingt durch den fertig montierten Aufbau dieser Appara-

turen konnten zwar grundsätzliche Versuche und Studien

z.B. zur Erzielung größter Reichweite angestellt werden, eine

beliebige Kombination und Erweiterung für weitergehende

Versuche war damit jedoch nur schwer möglich.

Daher boten etwas später auf dem Markt erschienene Her-

steller die oben erwähnten grundsätzlichen Bestandteile einer

Sende- bzw. Empfangsstation auch einzeln an. So waren bei

dem Stuttgarter Spielzeughändler Ferdinand Gross im Jahr

1912 »Zusammengestellte Kollektionen von Apparaten zur

Vorführung der drahtlosen Telegraphie« erhältlich, deren

Einzelteile vom Dresdner Lehrmittelhersteller Meiser & Mer-

tig stammten. Bedingt durch das Konzept der Einzelkompo-

nenten konnte die empfangsseitige Klingel allerdings nicht

gleichzeitig auch den Kohärer betätigen, stattdessen wurde

der Apparat mit einem einfach von Hand zu betätigenden

Klopfer versehen.

Der Experimentierende hatte damit eine höhere Flexibi-

lität bei der Ausführung seiner funktechnischen Versuche, die

darüber hinaus durch separat erhältliche Zusatzapparate wie

z. B. einem Galvanometer zur hochempfindlichen optischen

Anzeige der Morsezeichen oder aber unterschiedlichen Fun-

keninduktoren und Funkenstrecken jederzeit erweitert wer-

den konnten. Mit diesen Apparaten waren laut Verkaufs-

katalog Reichweiten bis zu 25 Meter zu erzielen (Bild 3).

Frühe Experimentiergeräte zur Funktechnik wurden nicht

nur von bekannten und großen Firmen angeboten. So gab

1909 der Leipziger Lehrer Dr. C. Richard Schulze erstmalig

einen Schülerexperimentierkasten zum Thema Elektrizität

mit der Bezeichnung »Elektron« heraus, dessen Versuchsre-Abb

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Bild 3: Versuchsanordnungzur drahtlosen Telegrafie vonMeiser & Mertig, Dresden,und Bing, Nürnberg, ca. 1910. Sendeteil: Morsetaste, Fun-keninduktor mit Batterie, Fun-kenstrecke mit Antennen.Empfangsteil: Kohärer mitAntennen, Relais mit ange-schlossener elektrischerGlocke, Grenet-Elemente(Batterien) zur Spannungs-versorgung.

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Kultur & Technik 1/201536

pertoire durch separat erhältliche Zusatzapparate beliebig er-

weitert werden konnte. Dazu gehörte unter anderem auch

eine »Endstation für drahtlose Telegraphie«, die 1911 zum

ersten Mal auf den Markt kam. Der Apparat wies laut Schulze

gegenüber allen bekannten Schulsystemen eine höhere Emp-

findlichkeit auf, da als Sender eine damals weitverbreitete so-

genannte Influenzmaschine ausreichte. Diese Maschine

erzeugte eine Hochspannung durch das Prinzip der Tren-

nung elektrischer Ladung mittels Influenz. Die hierbei ent-

stehenden kleinen Funken verwandelten diese Maschine

damit auch in eine Sendestation für Radiowellen.

Der einfache Empfänger bestand lediglich aus einem Ko-

härer, einer damit in Reihe geschalteten Glühlampe sowie

zwei fantasievoll geformten Drahtantennenstücken, die als

Empfangsantennen dienten. Außer einem Batterieelement

war der Anschluss einer elektrischen Klingel vorgesehen.

Durch die auf die Antennendrähte eintreffenden Radiowel-

len einer danebenstehenden, betriebenen Influenzmaschine

ging der Kohärer in den leitfähigen Zustand über. Der Emp-

fang wurde durch ein Aufleuchten der Glühlampe sowie ein

Klingelzeichen quittiert.

Sehr gut funktionierte dieser Empfänger offenbar nicht.

Auf fast einer Seite des insgesamt sechsseitigen Anleitungs-

heftes geht Schulze auf eine gewisse Unzuverlässigkeit des

Apparates ein und stellt die Störungsbeseitigung als »eine

ausgezeichnete und lehrreiche Übung« dar. Es ist anzuneh-

men, dass der Apparat wegen seiner begrenzten Einsatzmög-

lichkeit in einer nur kleinen, überschaubaren Stückzahl

verkauft wurde (Bild 4).

Einführung des öffentlichen Rundfunks

Mit der Ausstrahlung einer ersten offiziellen Unterhaltungs-

sendung am 29. Oktober 1923, die heute als Beginn des öf-

fentlichen Rundfunks im Deutschen Reich gilt, entwickelte

sich sprunghaft das Interesse breiter Bevölkerungsschichten

am Empfang der Radiowellen. Zahlreiche Firmen entstan-

den, die Empfangsgeräte unter Berücksichtigung geltender

(technisch einschränkender) Vorschriften produzierten bzw.

verkauften und so einen Empfang des neu entstandenen Un-

terhaltungsrundfunks ermöglichten. Dabei spielte jetzt auch

der universelle Einsatz von Elektronenröhren eine Rolle. Für

den technisch interessierten Hörer bestand die Möglichkeit,

nach bestandener Prüfung eine »Audion-Versuchserlaubnis«

zu erlangen, die es ihm gestattete, als Mitglied in einem Funk-

verein unter anderem auch Geräte zu bauen bzw. zu betrei-

ben, die zum damaligen Zeitpunkt wegen der genannten

Vorschriften sonst nicht zugelassen waren.

Radio für Bastelfreudige

Einige Firmen boten Experimentiersysteme an, die wegen

der erwähnten Vorschriften nur exportiert oder aber an In-

haber einer Audion-Versuchserlaubnis abgegeben werden

durften. Dazu zählt zum Beispiel die Münchner Firma Kra-

molin AG, die 1924 ein System aus gleichartig gestalteten

Komponenten anbot, welche als Einheits-Abstimmgerät bzw.

Einheits-Röhrengerät erhältlich waren. Diese Geräte erlaub-

ten es dem Radioliebhaber, bausteinartig fast jede erdenkliche

Radioempfangsschaltung durch Aneinanderreihung der Ge-

räte und Aufstöpselung der notwendigen Bauteile (z. B. Spu-

len, Kondensatoren oder Übertrager) zu realisieren und

damit zu experimentieren. Unter anderem konnten durch

den freien Aufbau auch aus oben genannten Gründen nicht

zugelassene Radioröhrenempfänger mit frei bedienbarer

Rückkopplung zur Steigerung der Empfangsempfindlichkeit

zusammengesetzt und deren Funktion studiert werden

(Bild 5).

Auch die noch heute existierende Stuttgarter Firma KOS-

MOS lieferte unter dem Namen Radiokosmos bereits 1923

Radioeinzelteile und fünf Radioexperimentierkästen, die

wegen der erwähnten gesetzlichen Bestimmungen anfänglich

nur an Inhaber der Audion-Versuchserlaubnis bzw. ins Aus-

land geliefert werden durften. Mit dem Inhalt dieser Kästen

ließen sich Geräte beginnend beim einfachsten Detektor-

empfänger (Kasten Nr. 1) bis zum Dreiröhrenempfänger

(Kasten Nr. 5) nach Anleitung aufbauen. Da diese Experi-

mentierkästen bzw. ihre Einzelteile äußerst selten zu finden

Bild 4 (links): Einfacher Ver-suchsaufbau, ca. 1911. Vonrechts nach links: Influenzma-schine, Kohärerempfängermit Batterie zur Spannungs-versorgung, Antennen, elek-trische Glocke.

Bild 5 (rechts): Einheitsgeräteder Firma Kramolin AG, Mün-chen, 1924. Links: Detektor-empfänger mit Steckspuleund Aufsteckdetektor, in derMitte zu Einröhrenempfängerzusammengekoppelte Geräte mit Verstärkerröhre, rechtsKopfhörer.

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Spiel, Spaß und Technik 37

sind, ist davon auszugehen, dass sich deren Absatz in Grenzen

hielt. Wahrscheinlich werden die eingeschränkten Experi-

mentiermöglichkeiten und die damalige Inflationszeit, die

ihren Höhepunkt im November 1923 erreichte, dafür ein

Grund gewesen sein.

Entwicklung und Erfolge einer Idee

Wesentlich erfolgreicher war der 1930 herausgegebene Kos-

mos-Baukasten Radio, der durch den Schweizer Lehrer Wil-

helm Fröhlich entwickelt worden war und dessen Konzept

sich bereits seit 1921 bei Baukästen zu anderen naturwissen-

schaftlichen Themen bestens bewährt hatte: Neben einer aus-

führlichen Anleitung zu mehr als 250 Versuchen aus dem

Gebiet der Radiotechnik erhielt der sorgfältig durchdachte

Baukasten zwar keine fertigen Geräte, sondern vielmehr alle

wesentlichen Bestandteile für ein kleines Laboratorium zur

Erforschung von Radiowellen. Anhand der Anleitung und

beginnend mit einfachsten grundlegenden Versuchen war

der Besitzer des Kastens in der Lage, sich schrittweise in vie-

lerlei Versuchsanordnungen Radio(fach)wissen anzueignen.

Den krönenden Abschluss dieses Lehrgangs bildete der Zu-

sammenbau eines kompletten, funktionierenden Radioge-

räts. Die dazu notwendigen Gerätschaften konnten

problemlos ohne Werkzeuge und nur durch Zusammenste-

cken der im Kasten enthaltenen Bauteile bzw. Grundele-

mente zusammengebaut werden.Seinen vielfältigen Ein-

satzmöglichkeiten bei der Einarbeitung in das Gebiet der Ra-

diotechnik und seinem günstigen Anschaffungspreis ist es zu

verdanken, dass der Kosmos-Baukasten Radio für finanziell

schlecht gestellte Schulen auch eine interessante Alternative

zu herkömmlichen, oftmals wesentlich teureren Lehrmitteln

bot und in verschiedenen Auflagen bis 1957 geliefert wurde.

Eine vereinfachte (und preiswertere) Version des Kosmos-

Baukastens Radio erschien erstmalig 193als »Radiomann«

mit einem dazugehörigen Anleitungsbuch, das in 80 Versu-

chen »von der elektrischen Batterie bis zum selbstgebauten

Fern-Empfänger« zur experimentellen Beschäftigung mit der

Radiotechnik anregte (Bild 6). Der Kasten bestand aus Pappe;

die auf dem Deckelbild abgebildete Figur setzt sich aus den

im Kasten befindlichen Bauteilen zusammen, die bereits vom

Kosmos-Baukasten Radio bekannt waren. Es ist anzuneh-

men, dass dieser Experimentierkasten nicht nur in die Hände

interessierter jüngerer experimentierender Bastler gelangte,

sondern auch dank der Möglichkeit, preiswert durch Selbst-

bau einen funktionierenden Radioempfänger zu erhalten,

weitaus größere Bevölkerungsgruppen angesprochen haben

dürfte.

Der »Radiomann« erschien in zahlreichen Auflagen bis in

die sechziger Jahre, wobei der Inhalt und die verwendeten

Materialien unter Beibehaltung des mit dem Kosmos-Bau-

kasten Radio eingeführten Grundkonzepts in technischer

Hinsicht angepasst und modernisiert wurde. Die Gestaltung

der Radiomann-Kästen wirft auch ein Licht auf die damali-

gen politischen Verhältnisse: Wurden die Leser der Anlei-

tungshefte von der ersten bis zur dritten Auflage (1934 –

1938) noch über Thomas A. Edison als Erfinder der Glüh-

lampe aufgeklärt, schrieb die vierte Auflage (1940) dem

Deutschen Heinrich Göbel diese Entdeckung zu. Waren die

Deckelbilder der Auflagen bis 1940 noch in Sütterlin be-

schriftet, erforderte das Verbot dieser Schriftart durch die Na-

tionalsozialisten 1941 eine Neugestaltung der Verpackung

unter Verwendung der Deutschen Normalschrift (Bild 6).

Die oben beschriebenen frühen Experimentiersysteme

lieferten wichtige Impulse bei der Berufswahl vergangener

Generationen und haben so nicht unerheblichen Einfluss

auf den naturwissenschaftlich-technischen Fortschritt und

die Vorreiterrolle Deutschlands bis heute auf diesen Ge-

bieten. ❘❙❚

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Bild 6 (links): Kosmos-Baukasten Radio (1930) undKosmos-Radiomann (1934)mit aufgebautem Versuchs-aufbau und Einzelteilen.

Bild 7 (rechts): Bastlerkastender Firma Daimon zum Baueines Niederfrequenzverstär-kers, 1926. Abgebildet sinddie Verstärkerröhre sowiedie verwendeten Einzelteile.

Christoph Heinerist Mitglied des Freundes-kreises des Deutschen Mu-seums und 2. Vorsitzenderder funkhistorischen Gesell-schaft GFGF e. V.

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Der Autor bedankt sich bei Herrn A. Saupe für die leihweiseÜberlassung der abgebildeten Morsetaste.

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Kultur & Technik 1/201538

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toliaDas beste Training

Fußball, Klavier oder Schach – das Spielen mit Ball, Tönen oder Figuren machtrichtig Spaß. Und ganz nebenbei trainieren wir Muskeln, Gedächtnis und logisches Denken. Selbst in der Tierwelt ist Spielen weit verbreitet. Denn werspielt, entdeckt und begreift die Welt. Von Kim Kathrin Leidig und Caroline Zörlein

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MikroMakro 39

Tierisch gut!

Etwa 15000 Stunden spielen Kinder zwischen dem ersten

und sechsten Lebensjahr. Das sind fast zwei Jahre. Wir

Menschen erspielen uns so den Zugang zur Welt – und ler-

nen dadurch. Auch Tiere, vor allem Säugetiere, trainieren ihre

Fähigkeiten: Katzen sausen und springen hinter einem Woll-

knäuel her, obwohl es keine echte Beute ist. Mit dem Spiel

bereiten sie sich auf die echte Mäusejagd vor. Delfine spielen

unter Wasser mit selbst erzeugten Luftblasen oder haben

Spaß daran, die Bugwellen großer Schiffe für Sprünge aus-

zunutzen. Und Elefanten kicken sogar mit einem Fußball.

Forscher sind sich einig, dass Spielen vor allem Lernen und

Üben bedeutet: Unbewusst trainieren junge Menschen und

Tiere ihren Körper, kräftigen Muskeln, Sehnen und Gelenke

und prägen sich Bewegungsabläufe ein, die sie in Zukunft

brauchen könnten. Und Spielen ist auch für den Umgang

miteinander wichtig: Junge Hunde, die sich gegenseitig an-

knurren, beißen und raufen, erlernen dadurch auch Regeln

im Umgang miteinander. Denn Tieren, die sich unfair ver-

halten, droht beispielsweise die Verbannung aus dem Rudel

– und das wäre für ihr Überleben in freier Wildbahn sehr

schlecht. Es hat sich also ein faires Spiel entwickelt, das den

sozialen Zusammenhalt fördert und so das Überleben der

Einzelnen und das des Rudels sichert. Aus dem spielerischen

Umgang mit Gegenständen sind sogar Werkzeuge entstan-

den: So nutzen Schimpansen beispielsweise dünne Ästchen,

um Termiten aus Erdlöchern zu fischen, oder Elefanten pflü-

cken Zweige, mit denen sie lästige Fliegen vertreiben. Und

wir Menschen? Für uns beginnt im Spiel sogar technisches

Lernen: Wenn wir als Kinder ein Baumhaus bauen, Bäche

überbrücken oder einen Flitzebogen basteln, begreifen wir,

wie belastbar Materialien sind, und probieren aus, welche

Bauweise die stabilste ist. Manchmal nutzen wir Spiele auch

einfach dazu, um uns Aufgaben zu erleichtern

oder die Langeweile zu vertreiben – bei-

spielsweise, wenn wir im Stau stehen oder

im Zug sitzen –, und lenken uns mit »Ich

sehe was, was du nicht siehst« ab.

WIE DER HANSWURST ZUM KASPERLE WURDEGuignol nennt man ihn in Frankreich, Karagöz in der Türkei – bei uns heißt derbekannte Spaßvogel aus dem Puppentheater Kasperle. Schon im Mittelaltertrieb er unter dem Namen Hanswurst seine Scherze. Berühmt-berüchtigt warer vor allem im 18. Jahrhundert im Wiener Volkstheater. Mit derb-komischenScherzen und Beschimpfungen begeisterte Hanswurst das einfache Volk undbrachte die Kaiser und Könige in Rage. Denn Hanswurst sagte frei heraus,was er dachte, und kritisierte diejenigen mit Macht und Geld. Die KaiserinMaria Theresia verbot dem Rebellen deshalb – im sogenannten Hanswurst-streit – den Mund. Im Theater wollte sie Bildung und keine Flüche hören. Aberdas Publikum liebte es zu lachen, und das Verbot wurde immer wieder durch-brochen. Der Kompromiss: Der anstößige Rüpel entwickelte sich zu einemfreundlicheren Witzbold namens Kasperle.

Immer fröhlich: Der Kasperle darf inkeinem Puppen-theater fehlen.

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Im Handumdrehen zum Erfinder

werden und dabei sein

eigener Bauherr sein –

das wünschen sich

viele Kinder. Und mit

Bausteinen, einem der

ältesten Spielzeuge der

Welt, lassen sich Ideen

und Fantasien zum Leben

erwecken: Türme, Burgen und

Brücken haben Kinder schon zu früheren

Zeiten fleißig gebaut. Allerdings konnten sie

damals noch kein fertiges Spielzeug kaufen.

Meistens haben die Eltern selbst die Bauklötzchen aus

Holz gesägt und geschnitzt. Verschiedenste Formen entstanden im Laufe

der Zeit, denn die Einzelteile sollten möglichst gut kombinierbar sein.

Mitte des 20. Jahrhunderts löste der Kunststoff den klassischen Holzbau-

stein immer mehr ab – und die Produktion von Spielzeugen nahm enorm

zu. Vor allem der dänische Erfinder Ole Kirk Christiansen setzte mit sei-

ner Marke Lego Maßstäbe: Der Name der bunten Plastiksteine leitet sich

aus dem Dänischen ab: »Leg godt« bedeutet »spiel gut«. Heute finden sie

sich fast in jedem Kinderzimmer. Denn die Bausteine mit Stecksystem

haben einen Vorteil gegenüber ihren Verwandten aus Holz: Die Noppen

an der Oberseite der Lego-Steine passen genau in die Röhren an der hoh-

len Unterseite – und sind mit einem Klick fest verbunden. Dank dieses

Tricks fallen die Mauern von Burgen und Türme nicht ungewollt zusam-

men und sind fest verbunden.

Bauwerke nach Plan

Der aktuelle Lego-Weltrekord wurde in Ungarn aufgestellt: ein 34,76

Meter hoher Turm aus 450000 einzelnen Steinen – das ist etwa so hoch

wie ein zehnstöckiges Haus. Doch Lego-Steine wachsen nicht nur in die

Höhe; auch Autos, Bagger, Schiffe und Raumstationen gibt es mittler-

weile zum Nachbauen. Aus Hunderten kleiner Teilchen und nach ge-

nauer Bauanleitung wächst eine Miniaturausgabe heran. Scharniere

und das Ineinandergreifen von Zahnrädern machen Bewegungen mög-

lich – und damit den beispielsweise fertiggestellten Kran zu einem tollen

Spielzeug. Ganz unterbewusst und spielerisch fördert das Bauen mit

den Klötzchen die Kreativität, geschickte Handbewegungen und das lo-

gische und technische Grundverständnis. Lernen und Spaß sind also

ganz nah beieinander.

Der aktuelle Lego-Weltrekord wurde in Ungarnaufgestellt: ein 34,76 Meter hoher Turm aus450000 einzelnen Steinen – das ist etwa sohoch wie ein zehnstöckiges Haus.

Mit Klötzchen zum Baumeister

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MikroMakro 41

So geht’s:

Den Trinkhalm knickst du an der Rundung zu einem »U«.

Das längere Ende schneidest du mit der Schere auf die gleiche

Länge wie das kürzere Ende. Das ist der Körper des Tauchers.

An die beiden Enden piekst du jeweils eine Reißzwecke. Das

sind die Füße des Tauchers, die gleichzeitig für etwas Gewicht

sorgen. Aufpassen, dass du dich nicht dabei stichst.

Dann kommt die erste Schwimmprobe in einem mit

Wasser gefüllten Trinkglas. Dabei ist es wichtig, dass der

Strohhalm-Taucher gerade unterhalb der Wasseroberfläche

schwebt. Falls er untergeht, musst du eine Reißzwecke ent-

fernen. Wenn der Taucher flach auf der Wasseroberfläche

liegt, musst du noch ein oder zwei Reißzwecken hinzufügen.

Anschließend wird die Plastikflasche randvoll mit Wasser ge-

füllt und der Taucher hineingetan. Die Flasche schraubst du

fest zu. Wenn du sie fest zusammendrückst, schwebt der Tau-

cher zu Boden und beim Loslassen steigt er wieder auf.

Was passiert:

Im Taucher steckt Physik. Im Strohhalm befindet sich –

neben etwas Wasser – auch Luft. Beim Zusammendrücken

der Flasche steigt der Druck auf das Wasser und dringt weiter

in die Strohhalm-Beinchen des Tauchers ein. Dadurch wird

die Luft im Taucher zusammengepresst und die Luftblase im

Strohhalm verkleinert sich. Das verringert den Auftrieb und

der Taucher sinkt zu Boden. Beim Loslassen kann sich die

Luft wieder ausdehnen, der Auftrieb nimmt zu und der Tau-

cher steigt nach oben. Mit etwas Übung kannst du ihn auch

in der Schwebe halten. Es gibt sogar kunstvoll verzierte Fla-

schentaucher aus Glas zu kaufen.

Zum Basteln:

Taucher in der FlascheWas man braucht: Knickstrohhalm, Schere, Reißzwecken,Trinkglas, Wasser, Plastikflasche

Ob Schatzjäger, Rennfahrer oder

Superheld – in Computerspie-

len schlüpfen wir in jede Rolle, tau-

chen in fremde Fantasiewelten und

messen uns mit arglistigen Gegnern.

Während die Figuren heute fast le-

bensecht wirken, sah die Spielewelt

vor 40 Jahren noch ganz anders aus:

Kaum jemand besaß einen eigenen

Computer. Die ersten Videospiele

gab es an öffentlichen Automaten,

aber jedes Spiel kostete Geld. Ein ein-

faches elektronisches Tennisspiel na-

mens »Pong« brachte 1974 die

Bildschirmspiele in die Wohnzim-

mer. An ein echtes Tennisfeld erin-

nert hier aber noch nichts, denn die

Bilder sind stark vereinfacht: Ein

rechteckiger Balken auf jeder Feld-

seite dient als Schläger – ein einfacher

Punkt ist der Ball. Doch dabei sollte

es nicht bleiben: Das erste Taschen-

videospiel, Konsolen mit austausch-

baren Spielen und Joysticks zaubern

neue Vergnügen. In den 1990er Jah-

ren gab es einen Entwicklungsboom

– und die Geburt des bis heute er-

folgreichsten Computerspiels: Super

Mario Bros. Moderne Bildschirm-

spiele bringen uns heute mittenrein

ins Geschehen und fordern sogar

richtigen Körpereinsatz: Fernbedie-

nungen, Kameras und Mikrofone

übertragen die Bewegungen der

Spieler in die virtuelle Welt, und wir

können im Team oder gegen andere

Mitspieler um den Sieg kämpfen.

Der Bildschirm-Spaß ist heute nicht

aufs Wohnzimmer und den Fernse-

her begrenzt: Wofür man 1989 noch

den Gameboy braucht, ermöglichen

Smartphones und Tablets das Spie-

len unterwegs. Computerspiele ma-

chen nicht nur Spaß – mit Lern- und

Strategiespielen können wir auch

unser Gehirn trainieren.

KÜNSTLICHE STEINENeben den klassischen Holzbausteinen und den

aus Kunststoff hergestellten Legosteinen gab es

früher noch die sogenannten Ankersteine. Man

presste die unterschiedlich geformten Bauklötz-

chen aus Quarzsand, Kalk und Leinölfirnis. Erfun-

den wurden sie vor mehr als 130 Jahren von Otto

und Gustav Lilienthal, die besser bekannt sind als

die Pioniere der Luftfahrt. Weil die Ankersteine

recht schwer und sehr genau gefertigt sind und

zudem eine ebene Oberfläche haben, lassen sich

daraus auch größere Burgen und Paläste bauen –

ganz ohne Kleben. Der Unternehmer Friedrich

Adolf Richter produzierte die Ankersteine ab

1882. Er stellte Künstler, Illustratoren und Archi-

tekten ein, die Bauanleitungen für das Kinder-

spielzeug entwarfen. Die Ankersteine sind

weltweit bekannt und haben auch heute noch

treue Sammlerfreunde. In der Ausstellung »Tech-

nisches Spielzeug« im Deutschen Museum,

kannst du auch einen Anker Steinbaukasten

bewundern.

Bildschirm-SpaßEin Blick in die Geschichte

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Kultur & Technik 1/201542

Tausend Papierblumen auf silbernen Stielen stecken in

einer strahlend weißen Hügellandschaft, die mäandernd

einen schwarzen Kubus umgibt. Ein buntes Wollobjekt am

Rande dieser Installation zieht den Blick auf sich: Ein Koral-

lenriff – aus bunter Wolle? Das Museum »Kunst der

Westküste « hat diesen Ableger des berühmten »Föhr Reef«

zur Verfügung gestellt. Über 700 Begeisterte aus Deutschland

und Dänemark hatten einzelne Häkelobjekte zu dem Kunst-

werk beigetragen. Das Riff ist Teil des internationalen Kunst-

projekts »The Hyperbolic Crochet Coral Reef« der aus-

tralischen Zwillingsschwestern Christine und Margaret

Wertheim. Als Grundformen der einzelnen Korallen dienen

Modelle, die die Mathematikerin Daina Taimina in den

1990er Jahren häkelte, um ihren Studenten bestimmte Ei-

genschaften der hyperbolischen Geometrie zu verdeutlichen.

Zum Riff kombiniert, möchte die zarte Maschenkunst sen-

sibilisieren für die Folgen der zunehmenden Umweltzerstö-

rung und Klimaerwärmung. Zugleich demonstriert das

Objekt in der Sonderausstellung des Deutschen Museums

das kreative Potenzial einer globalen Gemeinschaft.

Die verspielte Kombination aus buntem Riff und blumen-

besetzter Landschaft wird von einem dunkel-stählernen Me-

dienwürfel gebrochen. Hier können sich Besucherinnen und Abb

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»Willkommen im Anthropozän«. In einer Sonderausstellung lädt das Deutsche Museum zu Reflexion und Diskussion über die Verantwortung derMenschen für die Zukunft der Erde ein. Von Sabrina Landes

Wie geht esdeiner Erde?

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Magazin Ausstellung 43A

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Tausend weiße Papier-blumen auf silbernenStielen warten darauf,gegen bunte Blutenausgetauscht zu werden.

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Besucher über die Intention der – für das Deutsche Museum

durchaus ungewöhnlichen – Ausstellung informieren. Sie

werden erfahren, dass sie im Folgenden keine Antworten er-

warten dürfen. Vielmehr sind sie eingeladen, die Schau als

Inspiration und Basis für Diskussionen zu nutzen.

»Für das Deutsche Museum ist diese Ausstellung in vie-

lerlei Hinsicht ein Experiment: Wir thematisieren einen

Begriff, der in der Wissenschaft noch kontrovers diskutiert

wird«, erläutert Dr. Nina Möllers, die die Ausstellung ku-

ratiert hat. In der Öffentlichkeit ist der Begriff »Anthropo-

zän« noch weitgehend unbekannt. Hier besteht also noh

grundsätzlicher Klärungsbedarf. Um die Phänomene des

Anthropozäns diskutieren zu können, müssen sie in ihrer

Komplexität beleuchtet werden – die Technik ist dabei nur

ein Aspekt. Kunst und Kultur gehören ebenso dazu.

»Das Anthropozän sprengt sämtliche Grenzen, es ist in-

terdisziplinär und global. Unsere Aufgabe war es, die ver-

schiedenen Fächer und Themen miteinander zu

verknüpfen, ohne dadurch den Blick auf besondere Phä-

nomene zu verstellen«, ergänzt Möllers. Sie zeigt auf eine

Wand aus Pappe, die das Entree von der Ausstellung trennt.

20 Meter lang und 3,5 Meter hoch ist dieses Objektregal. »Mit

dem gewählten Material deuten wir die Offenheit der An-

thropozänthese an und in den Regalnischen zeigen wir Mei-

lensteine auf dem Weg in das Anthropozän: Objekte der

Technikgeschichte, die den enormen Einfluss des Menschen

auf die ihn umgebende Welt überhaupt erst möglich gemacht

haben. Die Dampfmaschine beispielsweise, als Schlüsseltech-

nologie des 19. Jahrhunderts, oder Traktoren, die für eine

Mechanisierung der Landwirtschaft stehen.«

Die gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen den Techno-

logien wurden als überdimensionale Mindmap auf die Papp-

wand skizziert. Ein Durchgang gibt den Weg frei zu sechs

Themeninseln: Evolution, Ernährung, Natur, Mensch und

Maschine, Mobilität, Urbanität und Ressourcen.

Eine Serie von Hunden in einer Glasvitrine rechts hinter

dem Objektregal dominiert das Themenfeld »Evolution«.

»Hier fragen wir: Wie, warum und mit welchen Auswirkun-

gen greift der Mensch in die Evolution ein?«, erklärt die Ku-

ratorin. »Dafür steht beispielhaft die klassische Form der

Züchtung. Von der Methodik her ein sehr altes Verfahren.

Interessant ist daran nicht nur das Ergebnis neuer Rassen. Abb

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. 42

f.)

Das Riff aus Häkelkorallenerinnert an ein komplexesÖkosystem.

Sternmotoren werden vor allem in der Luftfahrt eingesetzt.

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Wir lernen auch etwas über die Spezies Mensch. Es scheint,

dass der Mensch als einziges Lebewesen Dinge nur deshalb

tut, weil er sie tun kann – ohne erst ihren besonderen Nutzen

abzuwägen.«

Was ist Natur?

Die nächste Station lädt zum gemeinsamen Mahl an einem

riesigen Tisch ein. Wer sich hier niederlässt, erfährt Wissens-

wertes zu einem umstrittenen Thema. Als Objekt aus dem

Haus erinnert die Apparatur zum Haber-Bosch-Verfahren

an die Anfänge der industrialisierten Landwirtschaft und ihre

ambivalenten Folgen: Die Möglichkeit, mit Hilfe des synthe-

tischen Ammoniaks Kunstdünger herzustellen, sichert einer-

seits die Versorgung der Weltbevölkerung mit Nahrung. Die

Kehrseite sind ausgelaugte Böden und langfristige Belastung

wertvollen Ackerbodens, des Grundwassers und der Luft. Al-

ternativen zur industriellen Lebensmittelproduktion werden

zur Diskussion gestellt: Sollten wir mehr Insekten essen?

Unser Gemüse auf Balkonen, Dächern oder in Krautgärten

selber züchten? Lösen wir mit In-vitro-Fleisch die Probleme

der Massentierhaltung? Können wir von anderen Erdregio-

nen lernen – oder sollten wir uns eher auf unsere eigenen,

regionalen Besonderheiten besinnen?

Weiter geht es zur Station »Natur«, deren Zentrum von

farbenfrohen Gemälden dominiert wird. Näher betrachtet

zeigen die prachtvollen Farbkompositionen die Wunden der

Erde aus Sicht eines Satelliten: ausgebeutete, verschmutzte,

zersiedelte Regionen, die aus der Ferne gesehen eine ganz ei-

gene Ästhetik entfalten. »Was ist Natur?«, wird hier gefragt.

Was verstehst du persönlich darunter, welche Naturvorstel-

lungen haben Menschen in anderen Regionen unserer Erde?

Wie hat sich der Begriff der »Natur« und des »Natürlichen«

im Laufe der Zeit verändert? Vom Naturbegriff zur Mensch-

Maschine-Diskussion sind es nur wenige Schritte. Zwei Ro-

boter stehen für die Frage, wo der Mensch aufhört und die

Maschine anfängt. Wird künstliche Intelligenz irgendwann

den Menschen überflügeln? Thematisiert wird auch hier die

Ambivalenz von Technik: Der Versuchsaufbau zur Kernspal-

tung aus der Sammlung Meisterwerke des Deutschen Muse-

ums steht für das Nebeneinander von friedlicher Nutzung

der Kernenergie und militärischer Bedrohung durch Kern-

waffen mit allen damit verbundenen Problemen. Abb

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Woher kommt der Fisch?Eine Hörstation zum ThemaErnährung.

Nicht nur die Böden, auch dieLuft wird durch die Industriali-sierung der Lebensmittelpro-duktion beeinflusst.

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Im Abschnitt »Mobilität« wird noch einmal deutlich, wie

die Ausstellungsmacher an das Thema herangegangen sind.

»Wir wollten das bewusst gegen den Strich bürsten. Mit der

Mobilität ist ja nicht nur der Mensch in Bewegung gekom-

men. Auch Dinge und Organismen aller Art reisen mit den

Transportmitteln, die Menschen ersonnen haben. Diese Rei-

sen von Tieren und Pflanzen zeigen wir auf der zentralen In-

stallation, die einem Sushiband ähnelt.« Nicht nur Waren

fahren und fliegen rund um den Globus: Mit ihnen bewegeen

sich große und winzig kleine Organismen, um ihrerseits neue

Erdteile zu erobern und zu besiedeln.

Das Phänomen von Megastädten und die Vernetzung ur-

baner Zentren wird auf der nächsten Plattform diskutiert.

Städte, so Nina Möllers, sind Knotenpunkte – vergleichbar

der Festplatte eines Computers. »Dinge gehen hinein und

kommen auch wieder heraus: Geld, Rohstoffe, Elektrizität

oder Wasser«, meint Möllers. »In diesen urbanen Zentren«,

so die Kuratorin, »entstehen viele Probleme, allein aufgrund

ihrer Größe und Komplexität. Zugleich bündelt sich hier

auch die notwendige Kreativität, um entstandene Probleme

zu lösen. Nina Möllers macht auf einen einzelnen Schuh auf-

merksam, gefertigt aus der Haut der Agakröte und aus Kän-

guruleder. 1935 wurden die Riesenkröten zur natürlichen

Schädlingsbekämpfung in Australien angesiedelt. Längst sind

die Agas selber zu einer Plage geworden und werden von den

Australiern zu Geldbörsen, Gürteln, Schmuck oder Schuh-

werk verarbeitet.

Eine Frage der Perspektive:Aus Satellitensicht entwickelndie Spuren, die der Mensch inder Landschaft hinterlassenhat, eine ästhetische Magie.Willkommen im Anthropozän

Unsere Verantwortung für die Zukunft der ErdeSonderausstellung, Sonderausstellungsraum, 1. OGBis 31. Januar 2016

Im Rahmen der Sonderausstellung gibt es spezielle Veranstal-tungen. Die aktuellen Termine finden Sie auf der Website desDeutschen Museums: www.deutsches-museum.de

Zur Ausstellung er-scheint neben demwissenschaftlichenKatalog auch einComic, gezeichnetvon Studierendeneiner Designklasseder Universität derKünste Berlin.

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Magazin Ausstellung 47

Die Entdeckung der Langsamkeit

Bevor wir den Ausstellungsraum wieder verlassen, macht

Nina Möllers auf ein besonderes Objekt aufmerksam, das

zwischen den Inseln »Natur« und »Mensch-Maschine« plat-

ziert wurde. Originalteile der »Uhr des langen Jetzt«, die die

Long Now Foundation dem Deutschen Museum zur

Verfügung gestellt hat. Den Gründern dieser Initiative geht

es um eine fundamentale Entschleunigung. Einmal im Jahr

soll die Uhr ticken, in hundert Jahren wird sich der Zeiger

weiterbewegen. Das Chronometer dieser Uhr wird derzeit in

einem Stollen in der texanischen Wüste gebaut. Nach ihrer

Fertigstellung soll diese Uhr ohne menschliches Zutun we-

nigstens 10000 Jahre funktionieren. »Wenn wir unsere Ver-

antwortung für die Erde ernst nehmen, müssen wir lernen,

in längeren Zeiträumen zu denken«, fasst Nina Möllers die

Botschaft der Millenniumsuhr und der Ausstellung zusam-

men. Als Akteure des Anthropozäns sollen wir uns bewusst

werden, dass wir in einer Zeit leben, in der der Mensch einen

vorher nie dagewesenen Einfluss auf die Erde hat. Die schiere

Anzahl an Menschen kombiniert mit den technischen Mög-

lichkeiten führt dazu, dass wir als erste Spezies unseren Hei-

matplaneten selber verändern. »Wenn wir mit diesem gestal-

terischen Potenzial verantwortlich umgehen wollen, dann

müssen wir darüber nachdenken, wie wir den Planeten ge-

stalten wollen.«

Im Garten des Anthropozäns

Anregungen dazu bieten die Module der Ausstellung, und

nach dem inspirierenden Rundgang ist Gelegenheit, eigene

Gedanken als Text oder Bild zu notieren. Farbiges Papier und

Stifte liegen im Eingangsbereich aus. Anschließend soll das

Papier zu einer Blüte gefaltet werden. »Die Besucherinnen

und Besucher können »ihre« bunte Blüte dann gegen eine

der weißen Blüten austauschen«, sagt Nina Möllers. Auf diese

Weise, so die Kuratorin, werden die Menschen zu Gärtnern

des Anthropozäns. Regelmäßig werden die Mitarbeiterinnen

und Mitarbeiter die Blüten »ernten«, die geernteten Blätter

zu Büchern zusammenfassen, die wieder im Eingangsbereich

ausgelegt werden. So soll im Laufe des kommenden Jahres

eine große Sammlung an Gedanken und Ideen zusammen-

kommen. ❘❙❚

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Sabrina Landeshat Germanistik undGeschichte in Munchenstudiert. Sie leitet seit mehrals zehn Jahren die Redak-tion von Kultur&Technik.

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Das Zifferblatt der Uhr deslangen Jetzt. Einmal im Jahrtickt die Uhr. Alle hundertJahre bewegt sich der Zeigervorwärts.

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Kultur & Technik 1/201548

Heute auf den Tag genau vor 150 Jahren und einem

Monat, am 16. September 1864, kam der junge Ham-

burger Seemann Gustav Ludewig Albers in Wladiwostok an.

Allerdings nicht mit der Eisenbahn – die war damals noch

im Rang von Gedankenspielen und Hirngespinsten, sondern

mit einem in Schanghai gecharterten und mit Waren bela-

denen Schiff namens Meta.

Abenteurer und Pelztierjäger, später auch Militärexpedi-

tionen, Kosaken, Steuereintreiber und Siedler waren seit 1581

vehement über den Ural vorgestoßen. Keine 60 Jahre später,

erreichten ihre ersten Kundschafter den Pazifischen Ozean.

Das treibende Moment waren dabei weder imperiale Ambi-

tionen noch Bodenschätze, sondern das »weiche Gold« – die

Pelze des Zobels, die man selbst erjagte oder von den unter-

worfenen Eingeborenen als Tributzahlungen einforderte.

Weitere 50 Jahre später, 1689, schloss Russland als erste

ausländische Macht einen Vertrag mit China: Das von den

Russen schon ansatzweise besiedelte Amurbecken fiel dabei

wieder an das militärisch überlegene China. Dies änderte sich

erst 1858. Inzwischen war China geschwächt, so dass sich

Russland die Hoheitsrechte über das Gebiet nördlich des

Amur überschreiben lassen konnte. 1860 folgte ein zweiter

Vertrag, mit dem auch das sogenannte Ussurigebiet an Russ-

land fiel. Und im gleichen Jahr wurde am Südrand dieses

neuen Territoriums an einer famosen Hafenbucht der Mili-

tärposten Wladiwostok gegründet.

Russland verfügte damit zwar über eine gewaltige Land-

masse, deren Reichtum an Bodenschätzen sich ebenfalls be-

reits ansatzweise offenbarte, doch fehlte es an einer ganz

wesentlichen Ressource: den Menschen. Lange Zeit blieb Si-

birien vorrangig ein Ort zur Verbannung von Straftätern und

als gefährlich betrachteten politischen Gefangenen. Eine in-

tensive Besiedelung fand vor der Aufhebung der Leibeigen-

schaft 1861 kaum statt – und auch danach blieben die

Siedlerströme gering: Die ein bis zwei Jahre dauernde Odys-

see mit Vieh, Kind und Kegel schreckte die russischen Bauern

Mit der Bahn von Moskau nach WladiwostokAuszüge aus einem Vortrag zur Ausstellungseröffnung »Transsib« im Verkehrszentrum des Deutschens Museums am 16. Oktober 2014. Von Lothar Deeg

Eine Dampflokomotive derTranssibirischen Eisenbahn,deren Strecke zu Beginn dersechziger Jahre nur bis Irkutsk voll elektrifiziert war.

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Magazin Ausstellung Verkehrszentrum 49

ab, obwohl sie aufgrund von Hunger, Armut und Rechtlo-

sigkeit durchaus wanderungswillig waren.

Sibirienverkehr vor der Transsib

Der Umstand, dass Gustav Albers mit seinen Waren über das

Meer nach Wladiwostok kam, ist bezeichnend für die Ver-

kehrsverhältnisse der damaligen Zeit: Durch Sibirien konnten

damals nur Personen, Geld und in geringen Quanten leichte,

aber wertvolle Waren (wie eben Pelze) transportiert werden.

Für die Nachrichtenübermittlung gab es ab 1871 zwar eine

Telegrafenleitung von Wladiwostok nach St. Petersburg, aber

als Verkehrswege weiterhin vorrangig nur die Flüsse und

Ströme, die im Winter zugefroren, im Sommer von Mücken-

schwärmen überlagert und manchmal selbst für die damals

bereits eingesetzten Raddampfer zu seicht waren. Und wäh-

rend der Phase der Eisbildung und des Eisgangs im Frühjahr

waren die Wasserwege gänzlich unbefahrbar.

Der einzige Landweg quer durch Russland war der »Große

Sibirische Trakt«, offiziell eine Poststraße mit regelmäßigen

Stationen zur Erholung und für den Pferdewechsel, faktisch

aber ein zerwühlter Feldweg, der nach ein paar Regentagen

hoffnungslos im Matsch versank. Im Winter erfolgte der Ver-

kehr schneller, aber dafür in aller Eiseskälte per Schlitten. Der

Schriftsteller Anton Tschechow beschrieb diesen Weg auf sei-

ner Reise nach Sachalin im Jahr 1890 als »scheußlichen, wie

von schwarzen Pocken blatternarbigen Erdstreifen«. Er

brauchte 82 Tage für die Anreise von Moskau auf die russi-

sche Sträflingsinsel. Und ein anderer Reisender dieser Zeit,

der deutsche Journalist Wilhelm Joest, schrieb in seinem 1881

erschienenen Buch Aus Japan nach Deutschland über Sibirien:

»Wer mir erzählt, dass er diese Reise gern zum zweiten Mal

ausführe oder gar zu seinem Vergnügen ausgeführt habe,

dem glaube ich gerade so gern wie einem Menschen, der mir

versichert, er lasse sich zum Vergnügen hin und wieder Zähne

ausziehen.«

Überlegungen zum Bahnbau

Derartige Wegeverhältnisse wurden im späten 19. Jahrhun-

dert nicht nur von Ausländern als unzumutbar und nicht

mehr zeitgemäß empfunden. Schließlich gab es dafür Ab-

hilfe: »Es gibt kein Land auf der Erde, wo Eisenbahnen nutz-

bringender und notwendiger wären als in Russland, weil sie

es ermöglichen, die großen Entfernungen durch eine höhere

Reisegeschwindigkeit zu verkürzen«, hatte schon 1835 Franz

Anton von Gerstner, der Erbauer der ersten Bahnlinie auf

russischem Boden, an den Zaren geschrieben. Russlands

Bahnnetz wuchs zwar zunächst langsamer als im sonstigen

Europa, aber die elementare Bahnstrecke von St. Petersburg

nach Moskau – immerhin 650 Kilometer lang – war auch

schon 1861 in Betrieb gegangen.

Doch auch richtige transkontinentale Eisenbahnen waren

machbar. Die Russen hatten mit einigem Interesse verfolgt,

wie in den USA 1869 die erste Bahnlinie quer durch den

Kontinent fertiggestellt wurde. Besonders beeindruckte je-

doch in Petersburg die Eröffnung der Canada Pacific Railway

1885. Hier wurde vorgeführt, wie ein neu erworbenes, auf

der anderen Seite des Kontinents gelegenes Kolonialgebiet

durch einsames und unwegsames Gelände erfolgreich per

Bahn erschlossen werden kann.

Für die russische Regierung wurde es offensichtlich, dass

zumindest eine Eisenbahnlinie nach Sibirien verlegt werden

müsse. Im Ural gab es für die industrielle Entwicklung wert-

volle Erz- und Kohlevorkommen, auch die schon recht er-

folgreiche Landwirtschaft im Westen Sibiriens benötigte eine

bessere Verbindung zu den Abnehmern ihres Getreides und

ihrer Milchprodukte. Und schließlich galt es, die Bedingun-

gen für die Übersiedlung nach Sibirien deutlich zu verbes-

sern. Unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten machte

damals in der Tat nur der Bahnbau im leistungsfähigen Wes-

ten Sibiriens und bedingt auch noch im Hinterland Wladi-

wostoks, dem sogenannten Südussurigebiet, Sinn.

Zar Alexander III. hing – trotz der finanziellen Bedenken

der zuständigen Minister – sehr an der »großen Lösung«,

der Idee einer durchgehenden Eisenbahnlinie vom Ural bis

zum Pazifik. Politiker und Militärs, die in den 1880er Jahren

immer lauter die durchgehende Bahn forderten, rannten

beim Zaren offene Türen ein. Sie konnten ihm gute Gründe

nennen, warum Russlands Herrscher ernsthaft um die Aus-

dehnung seines Machtbereichs fürchten müsse, wenn die

Bahn nicht gebaut würde. Eine schnelle und leistungsfähige

Nachschubverbindung zwischen »Mutterland« und den

fernöstlichen »Kolonien« Russlands erschien immer nötiger,

um diese im Wettlauf der diversen imperialistischen Welt-

mächte um Einflusssphären halten zu können. Auch fürch-Abb

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Züge auf einem Rangierbahn-hof an der Strecke der Trans-sibirischen Eisenbahn 1896.

Bauarbeiten an der Transsibi-rischen Eisenbahn um 1903(oben) und 1929 (unten).

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Kultur & Technik 1/201550

tete man in St. Petersburg seit dem Erwerb der Fernostge-

biete die »Gelbe Gefahr« – angesichts der dicht bevölkerten

Nachbarstaaten China, Korea und Japan und des natürli-

chen Reichtums von Russlands Ostprovinzen würden diese

nicht auf Dauer so menschenleer bleiben wie bisher.

Bestimmend wurden jedoch, ganz im Geiste der Zeit, mi-

litärstrategische Szenarien. Würden Wladiwostok oder die

russischen Gebiete am Amur angegriffen – was dem ewigen

Rivalen England, dem volkreichen Nachbarn China und zu-

nehmend auch der aufstrebenden Regionalmacht Japan zu-

getraut wurde –, bräuchte Russland viel zu lange, auch nur

bescheidene Truppenverbände auf den abgelegenen Kriegs-

schauplatz zu bringen. So wurde vorgerechnet, dass aufgrund

der neuen transkanadischen Eisenbahn schottische Soldaten

schon nach 37 Tagen im Fernen Osten eintreffen könnten,

während russische Verstärkungen zu diesem Zeitpunkt bes-

tenfalls den Amur hinunterdampfen würden. Und selbst

wenn es gelänge, genug Soldaten ins Gefecht zu werfen, wäre

es fraglich, wie diese Streitmacht versorgt werden könne,

wenn der Feind die Nachschubhäfen Wladiwostok und Ni-

kolajewsk blockieren würde.

Die am prägnantesten durch das deutsche Handelsunter-

nehmen Kunst & Albers verkörperte ausländische Dominanz

in Wirtschaft und Handel des Fernen Ostens war den Bahn-

befürwortern genauso ein Dorn im Auge wie die immer stär-

ker werdenden separatistischen Tendenzen in Sibirien. Sibi-

rische Intellektuelle verglichen ihre Heimat schon mit den

USA, die sich wie diese einmal selbst aus der kolonialen Ab-

hängigkeit befreien werde.

Schließlich versprach man sich handfeste soziale und wirt-

schaftliche Vorteile von einer transsibirischen Eisenbahn: Die

russische Besiedelung ganz Sibiriens und des Amurgebietes

würde neu in Schwung gebracht, Rohstoffvorkommen er-

schlossen, Industrien könnten angesiedelt werden, Russland

werde sogar einen erklecklichen Teil des Welthandels an sich

ziehen, wenn Güterwagen konkurrenzlos schnell und sicher

auf diesem Weg zwischen Europa und Ostasien hin- und her-

geschafft würden. Finanzminister Witte pries Moskau schon

als zukünftige wirtschaftliche Drehscheibe der Welt.

Und natürlich ging es auch ums Image: Für das industriell

unterentwickelte Russische Reich, faktisch noch ein Agrar-

staat, wäre der Prestigegewinn gewaltig, wenn aus dem Nichts

heraus in unbekannten Einöden die Idee einer die halbe Welt

umspannenden modernen Verkehrsader erfolgreich in die

Tat umgesetzt würde.

Feierlich mit dem Bau begonnen hatte man 1891 in Wla-

diwostok. Als anderer Endpunkt der Bahn war Tscheljabinsk

östlich des Urals bestimmt worden – wobei das russische

Bahnnetz die Stadt noch gar nicht erreicht hatte. Auch war

zu diesem Zeitpunkt noch zweifelhaft, ob die Bahn technisch

überhaupt realisiert werden könnte. Doch der Zar und die

Regierung hatten das Vorhaben beschlossen, weil es ihnen

für Russlands Zukunft unverzichtbar erschien.

Allerdings legte man Wert darauf, dass die Bahn nicht

mehr kostete als unbedingt nötig. Obwohl die ursprünglich

angesetzten Baukosten von 350 Millionen Rubel bis 1901

trotz aller Sparmaßnahmen auf 855 Millionen angeschwollen

waren, erhielt der russische Staat nur die schlechte Kopie

einer leistungsfähigen Bahnlinie. Der technische Standard

der Ur-Transsib entsprach dem provinzieller Nebenstrecken

in Europa. Denn das mächtige »Komitee für die Sibirische

Eisenbahn« in St. Petersburg verfolgte – entgegen vieler offi-

zieller Bekundigungen – weniger das Ziel, eine leistungsfä-

hige Entwicklungsachse als Zukunftsinvestition durch das

Land zu legen, sondern fieberte mehr dem Moment entge-

gen, endlich die strategisch wichtige Linie auf die imperiale

Landkarte zeichnen zu können.

Die Kapazität der Strecke wurde auf nur drei Zugpaare

pro Tag festgelegt, unter Kriegsbedingungen sollten sieben

Züge in jeder Richtung abgefertigt werden können. Entspre-

chend tief ließ sich das Qualitätsniveau ansetzen: Enge Kur-

Die Strecke der Transsibiri-schen Eisenbahn um 1904.

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ven, steile Anstiege, wenige Ausweichstellen, ein schmaler, nur

bescheiden befestigter Bahndamm, hölzerne Brücken über

alle Gewässer außer den größten Strömen, leichte, aus min-

derwertigem Stahl gefertigte Schienen, Schwellen aus grünem

Holz und eine Streckenführung, die aufwendige Kunstbauten

tunlichst vermied – so sah das Weltwunder zunächst aus.

Eine Erweiterung um eine zweite Spur war nicht vorgesehen.

Das Primat der Eile sollte sich später teuer rächen: Die Fol-

gekosten durch Zugunglücke, Reparaturen und auf weiten

Strecken auch Neutrassierungen wurden in den nächsten

Jahren exorbitant.

1903, zwölf Jahre nach Baubeginn, konnte der fahrplan-

mäßige Verkehr auf der Transsib aufgenommen werden:

Waren bis dato Passagiere und Post auch mit den schnellsten

Dampfern 40 Tage von Wladiwostok nach Europa unter-

wegs, so brachten sie nun Expresszüge innerhalb von 14

Tagen nach Moskau. Ostasien war plötzlich bedeutend näher

an Europa gerückt.

Allerdings war die Bahnlinie noch keineswegs jener stra-

tegische Machtfaktor, als den man sie ursprünglich konzi-

piert hatte: In Japan war man sich bewusst, dass die schwache

Infrastruktur und das Nadelöhr am Baikalsee (wo Fähren die

noch fehlenden Bahngleise um den See ersetzten) die Mög-

lichkeiten der Bahn für den russischen Truppen- und Nach-

schubtransport nach Fernost noch beträchtlich eingrenzten.

Die Entscheidung, im Januar 1904 den russischen Vorposten

Port Arthur anzugreifen, womit der Russisch-Japanische

Krieg begann, war damit auch eine indirekte Folge des Baus

der Transsibirischen Eisenbahn.

Die Baikal-Amur-Magistrale

In der Breschnew-Ära erfährt das Eisenbahnnetz der Sowjet-

union nochmals eine deutliche Veränderung: Parallel zur

Transsibirischen Eisenbahn, aber in einem Abstand von 150

bis 500 Kilometern, wird eine zweite Bahnlinie quer durch

Ostsibirien gebaut: die Baikal-Amur-Magistrale, kurz BAM.

Zeitgleich mit der Bahnstrecke sollten Siedlungen mit allen

Segnungen der Zivilisation entstehen und dann die gewalti-

gen Rohstoffvorkommen links und rechts erschlossen wer-

den: Kohle, Kupfer-, Titan- und Vanadiumerze, Gold, Öl,

Apatit, natürlich auch Holz. Es gebe kein Mineral und Ele-

ment, das es in der BAM-Zone nicht gibt, sagen die dortigen

Einheimischen bis heute immer wieder stolz.

Vor 40 Jahren, 1974, war Baubeginn. Im Oktober 1984,

also vor genau 30 Jahren, war diese Gleisverbindung durch

extrem schwieriges Terrain komplett. Auch wenn der Ostteil

der Strecke der Bauverwaltung des Militärs unterstellt

wurde – in jedem Fall hatte die Sowjetmacht einen zivilisier-

teren Ansatz gewählt als beim ersten Versuch, die BAM zu

bauen: In den 1930er Jahren setzte man einzig auf Zwangs-

arbeit von Lagerinsassen, das sogenannte BAMlag wurde

zum Grab von Tausenden Repressierten der Stalin-Ära.

In den 1970er Jahren kamen die jungen Leute freiwillig,

weil man ihnen guten Lohn versprach sowie nach Ablauf

ihres Arbeitseinsatzes die Erfüllung von für Sowjetbürger nur

schwer erreichbaren Wünschen wie einer eigenen Wohnung

oder der Zuteilung eines Autos. Viele zog auch die von den

Medien in den schönsten Tönen geschilderte Taiga-Roman-

tik an, der Pioniergeist und das Zusammenleben in jungenAbb

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Ein Zug der »Krugobaikals-kaya«-Eisenbahn bringt heuteals einziges VerkehrsmittelLebensmittel ins Dorf undnimmt Reisende mit. DieseStrecke gehörte bis zur Flutung des TeilstücksIrkutsk-Baikal zur Trasse derTranssibirischen Eisenbahn.

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Kollektiven – auch als Flucht aus dem streng geregelten so-

wjetischen Alltag und den beengten Wohnverhältnissen der

Durchschnittsbürger.

Die BAM war also nicht nur ein Verkehrsprojekt, sondern

auch ein Vehikel zur ideologischen Auffrischung des kom-

munistischen Elans in der erstarrenden Sowjetgesellschaft.

Für die propagandistisch entsprechend eingestimmten So-

wjetbürger wurde die Baikal-Amur-Magistrale zur Verkör-

perung des technischen Fortschritts und Ausdruck der

Überzeugung, für die Menschheit seien auch bis dato unvor-

stellbare Aufgaben lösbar – ähnlich den Apollo-Mondflügen

für die US-Amerikaner.

Als sich die zwei von West und Ost vorarbeitenden Bau-

brigaden trafen und der Schienenstrang so vollendet wurde,

war dies auch für die sowjetische Generalität ein Feiertag:

Denn die Transsib, die bislang einzige Landverbindung in

den russischen Fernen Osten, schrammt stellenweise in nur

wenigen Dutzend Kilometer Entfernung, also noch in Kano-

nenschussweite, an der chinesischen Grenze entlang. Und er-

innern wir uns: In den 1960er Jahren waren die Spannungen

zwischen der Sowjetunion und der Volksrepublik China bis

zu realen Schusswechseln und der akuten Gefahr eines

Atomkriegs angestiegen.

Mit der BAM gab es jetzt eine besser geschützte und leich-

ter zu verteidigende Parallelstrecke bedeutend weiter im Hin-

terland. Wie also schon beim Bau der Transsib hatten bei der

Baikal-Amur-Magistrale neben wirtschaftlichen und politi-

schen Gründen auch militärische Überlegungen eine äußerst

gewichtige Rolle gespielt.

Nachsowjetische Zeit

Seit 1989 ist die BAM offiziell in Betrieb. Doch die Fertigstel-

lung des teuersten Infrastrukturprojekts der Sowjetunion ge-

schah fast zeitgleich mit dem Kollaps des planwirtschaft-

lichen Systems. Mit Ausnahme der Kohlelagerstätten von

Nerjungri wurde parallel zum Bahnbau keines der reichen

Rohstoffvorkommen erschlossen – dies sollte ja erst im An-

schluss geschehen. Um die BAM wurde es düster, viele der

einst mit großen Versprechungen in die Taiga gelockten

Bahnbauer blieben ohne Perspektive, Arbeit und teils auch

ohne geeigneten Wohnraum zurück. Doch in den letzten

zehn, zwölf Jahren hat sich so manches bewegt in Ostsibirien:

Zum einen wurde die BAM wirklich fertig: 2003 nahm man

den 15 Kilometer langen Bahntunnel von Seweromuisk in Be-

trieb, womit eine abenteuerliche, vier Mal längere Umge-

hungsstrecke über die Berge stillgelegt werden konnte.

Und auch an den diversen schlummernden Lagerstätten

der BAM-Zone tut sich jetzt etwas: Auf den gewaltigen Koh-

levorkommen von Elga läuft seit 2011 die Förderung, seit

2012 ist eine über 300 Kilometer lange Anschlussstrecke dort-

hin in Betrieb – gebaut hat sie der private Bergbaukonzern

Metschel. Auch das riesige Kupfervorkommen von Udokan,

nur 30 Kilometer von der BAM-Trasse entfernt, hat inzwi-

schen mit dem Konzern Metalloinvest von Alischer Usma-

now, dem reichsten Oligarchen Russlands, einen zahlungs-

kräftigen Hausherrn. Auch dort wird die Erschließung nun

professionell und effektiv vorangetrieben.

Die Perspektiven

Gegenwärtig gibt es für die Baikalregion und den russischen

Fernen Osten ein im Dezember 2013 von der Regierung ver-

abschiedetes Entwicklungsprogramm, das bis 2018 Investi-

tionen in Höhe von etwa 700 Milliarden Rubel vorsieht. 80

Prozent davon, also etwa 11 Milliarden Euro, sollen dabei

dem Eisenbahnnetz zugutekommen, also der Transsib und

der BAM. Von neuen Strecken oder neuen militärisch moti-

vierten Jahrhundertprojekten ist dabei nicht die Rede – es

geht nur um einen Ausbau der vorhandenen Routen sowie

der Pazifikhäfen.

Neben der Rohstoffförderung in der BAM-Region hat

auch der Ausbau der Transportkapazitäten auf der alten

Transsib-Strecke Priorität. Die russische Eisenbahngesell-

schaft RZD bemüht sich in den letzten Jahren, die Transsib

für den transkontinentalen Containerverkehr zwischen

Europa und Ostasien interessanter zu machen. Mehrfach

wurden Präsentationszüge auf die Strecke geschickt, die Con-

tainer in weniger als zehn Tagen von der Pazifikküste oder

aus China nach Mitteleuropa beförderten – und damit ge-

genüber dem Seeverkehr einigen Zeitgewinn erzielten. Mit

etwas über 100000 TEU (also Standardcontainern) pro Jahr

ist der Transitverkehr aber nach wie vor im internationalen

Vergleich keine überwältigende Größe.

Die Transsib und ihre jüngere Schwester BAM werden also

auch weiterhin eine wichtige Rolle im russischen und auch

Mit der Transsib durch die Weiten der sibirischen Tundra.

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Magazin Ausstellung Verkehrszentrum 53

weltweiten Verkehrsnetz spielen. Aber: Wenn die Transsib vor

hundert Jahren in Sibirien gleichbedeutend mit der Verkehrs-

infrastruktur insgesamt war, also für den Transport von Per-

sonen als auch von Post und jeglichen Gütern ohne Alter-

native, so gibt es mittlerweile Konkurrenz.

Der Flugverkehr hat schon mit dem Beginn des Jet-Zeit-

alters vor über 50 Jahren die Reisezeit zur Durchquerung von

Sibirien von mehreren Tagen auf mehrere Stunden verrin-

gert. Seit zehn Jahren gibt es auch eine durchgehend asphal-

tierte Transsibirienstraße, die vor allem die regionale Ent-

wicklung vor Ort von der eisernen Bindung an die Bahn

emanzipiert.

In den letzten zwei, drei Jahren belebt sich auch zusehends

der Verkehr über den »Nördlichen Seeweg«, also die nur im

Sommer befahrbare Schifffahrtsroute entlang der sibirischen

Nordküste durch die Arktis. Dies hat zum einen klimatische

Gründe – der Klimawandel hält die Fahrrinne immer besser

und länger eisfrei. Sichtbar ist aber auch das Bemühen Russ-

lands, sich mit der internationalen Öffnung dieser Route eine

weitere Einnahmequelle zu erschließen.

Schließlich ist seit erst zwei Jahren die mit 4700 Kilome-

tern längste Pipeline der Welt durch Ostsibirien komplett in

Betrieb. Über die Ostsibirien-Pipeline liefert Russland sibi-

risches Öl einerseits nach China, anderseits auch über einen

Hafen nahe Wladiwostok auf den Weltmarkt.

Stellen wir uns einen Moment vor, es gäbe die bereits er-

wähnte Firma Kunst & Albers heute noch und sie wäre ab

1914 nicht nach und nach von der Staatsmacht zerstört und

aus dem Land gedrängt worden. Und nehmen wir an, sie

hätte sich in Ostsibirien ebenso intensiv entwickeln können,

wie es die Eisenbahn dann noch getan hat. Dann wäre sie

heute wohl auch im Rohstoff- und Energiegeschäft aktiv –

denn das ist jetzt die »Geschäftsgrundlage« für diese Region.

Schließlich war Kunst & Albers schon damals der erste Er-

zeuger von elektrischem Strom im Russland jenseits des

Urals. Und kurz vor dem Ersten Weltkrieg hatte das Unter-

nehmen auch Schürfrechte für zwei Kohlegruben auf Sacha-

lin erworben.

Und wer weiß, was aus dem Unternehmen der einstigen

»Kaufhauskönige von Wladiwostok« nun noch weiter wer-

den würde – denn erst vor anderthalb Monaten wurde in Si-

birien wieder ein Jahrhundertprojekt angeschoben: der Bau

der 4000 Kilometer langen Gaspipeline »Sila Sibiri – Kraft Si-

biriens«, über die ab 2018 ostsibirisches Gas nach China und

Südostasien geliefert werden soll. Die Baukosten dafür wer-

den auf über 50 Milliarden Euro geschätzt. In Zentral- und

Ostsibirien gibt es damit wieder eine Baustelle faktisch vom

Ausmaß der Transsib. Auch die strategische Bedeutung der

neuen Gas- und Ölpipelines ist mit der vergleichbar, die vor

120 Jahren der Bau der Transsibirischen Eisenbahn hatte.

Aber seien wir ehrlich: Eine unter der Erde verlegte Me-

tallröhre voller Erdgas kann nicht die Romantik einer Bahn-

fahrt durch die Taiga vermitteln, ihre Pumpstationen sind

keine nostalgischen Bahnhöfe – und Gazprom-Arbeiter

keine Schaffner, die heißen Tee aus dem Samowar ins Abteil

bringen. Bereisen und erleben kann man auch weiterhin nur

die gute alte Transsib. Die Ausstellung im Verkehrszentrum

des Deutschen Museums animiert jeden Eisenbahn-Begeis-

terten, diese grandiose Reise durch Russlands weiten Osten

einmal anzutreten – sei es in der Realität oder auch nur in

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Lothar Deegarbeitet als Journalist in St. Petersburg. Er ist Autordes Buches Kunst & Albers– Die Kaufhauskönige vonWladiwostok (2012). DenVortrag hielt er zur Eröffnungder Ausstellung »Transsib«im Verkehrszentrum desDeutschen Museums in Mün-chen am 16. Oktober 2014.

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Die Ausstellung im Deutschen MuseumVerkehrszentrum ist bis 30. August 2015 zu sehen.Führung durch die Sonder-ausstellung: jeden Sonntagum 15.00 Uhr.

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Kultur & Technik 1/201554

Astronomische Großuhren sindausgezeichnete Studienobjekte,wenn es um Uhrwerkstechnik, mittelalterliche Zeitmessung undSternenkunde geht. Von Klaus Wagner

Keine italienischen Stunden fürBatumi

Ein Ort zum Verweilen: Der Innenhof des Deutschen Museums mit Blick auf dieastronomische Uhr am Uhrenturm.

Fast modern wirkt die Prager Rathausuhr ausdem 15. Jahrhundert.Neben astronomischenSachverhalten zeigt sieböhmische Stunden an.

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Magazin Großuhren 55

Ich muss zum nächsten Termin«, sagt Max und schaut auf

seine Armbanduhr. Eilig nimmt er noch einen Schluck

Kaffee, dann streift er sein Jackett über und ist schon wieder

weg. Wer abseits der Hektik des Alltags ein bisschen Muße

für astronomische Großuhren findet, für den strahlen sie ein

Gleichmaß der Zeit aus. Eine ist am Uhrenturm im Innenhof

des Deutschen Museums installiert. Weitere sind hin und

wieder an historischen Rathäusern und in mittelalterlichen

Kirchen zu finden. An ihnen lässt sich weit mehr ablesen als

bloß die Uhrzeit. Ungebrochen ist die Anziehungskraft, die

sie auf den Betrachter ausüben. Geändert haben sich die Ein-

teilung der Tageszeit und die Technik der Uhrwerke.

Ganz Zielstrebige, die möglichst schnell in eine der vielen

Ausstellungen des Deutschen Museums gelangen wollen,

haben meist nur wenige Blicke für die astronomische Turm-

uhr übrig, die ungefähr 1932 erbaut wurde. Oder übersehen

sie vielleicht ganz. Ein schlichter Doppelreif mit römischen

Ziffern von I bis XII bildet den äußeren Kranz des Zifferblat-

tes. Darin befindet sich ein blau unterlegter Ring mit zwölf

goldenen Reliefs für die Sternzeichen und ein Zeiger, der sich

jährlich einmal dreht. Unter dem großen Zifferblatt ist eine

kleinere, runde Anzeige mit Symbolen für die Wochentage

angebracht und darüber, eingelassen in die Wand, eine dreh-

bare Kugel, die zur Hälfte vergoldet ist. Der nachtblau be-

malte Teil ist mit goldenen Sternen verziert. Einmal im

Monat rotiert sie in ihrer Fassung um sich selbst und stellt

so die verschiedenen Mondphasen dar.

Der neue Rhythmus der Stadt

An der Rückseite der Mauer mit dem Zifferblatt und ab-

seits vom Besucherbetrieb befindet sich in einer Kammer

das Antriebssystem für die Uhr. Eingebaut in einen Metall-

rahmen steht reglos das Hauptgetriebe. Von drei großen

Walzenrädern gehen Stahlseile zum Dachstuhl hoch, die

umgelenkt über Rollen mit zentnerschweren Gewichten

verknüpft sind. Ein Pendel, das den regelmäßigen Gang

dieses Werkes steuert, gibt es hier nicht. Von der Mutteruhr,

einer präzisen Wanduhr mit Sekundenpendel, erhält es in

Minutenabständen ein elektrisches Signal. Dann wird ein

Sperrhebel von einem Elektromagneten freigegeben und

die Zahnräder rotieren für kurze Zeit. Eine Zeigerleitung,

das heißt eine drehbare Welle, bringt dann das Getriebe

für den Stunden- und Minutenzeiger in Gang. Von diesem

verlaufen weitere Leitungen zu den Räderwerken für den

Sonnen- und Wochentagszeiger sowie für die Mondpha-

senkugel.

»Eine Besonderheit des Hauptgetriebes geht auf den 1798

in Bürstling am Tegernsee geborenen Uhrmacher Johann

Mannhardt zurück, der während seiner Lehrzeit im 19. Jahr-

hundert viele Turmuhren reparierte«, sagt Uhrmachermeis-

ter Thomas Rebényi, Leiter der Restaurierungswerkstatt

wissenschaftliche Instrumente und Uhren des Museums.

Durch die Zweiteilung der Lager für die Zahnräder können

diese einzeln aus dem Werk entnommen werden, ohne dass

man die komplexe Konstruktion vollständig zerlegen muss.

»Das erleichtert Reparatur- und Wartungsarbeiten ganz er-

heblich«, sagt Rebényi.

Erste mechanische Uhren mit Zahnradgetriebe, Gewich-

ten und einem Mechanismus, der deren gleichmäßigen Lauf

regelte, gab es seit Ende des 13. Jahrhunderts. Für das bäuer-

liche Landleben waren sie jedoch weniger von Bedeutung.Abb

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Die astronomische Uhr in Batumi, Georgien, wurdenach einem historischen Vor-bild gebaut.

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Kultur & Technik 1/201556

Sonnenauf- und untergang rahmten deren tägliche Arbeits-

zeit ein. Für die Stadtbewohner brachten sie jedoch buch-

stäblich eine neue Zeit mit sich, denn sie diktierten

zunehmend den Rhythmus des Lebens. Glockenschläge von

Turmuhren verkündeten weithin hörbar, welche Stunde auf

den Zifferblättern angezeigt wurde, wann es demnach Zeit

war, die Stadttore zu öffnen, Marktstände aufzubauen oder

zu Versammlungen zu gehen, und wann das Treiben in der

Stadt wieder zur Ruhe kommen sollte. Ganz allmählich er-

folgte auch die Abkehr von der temporalen Zeitmessung, bei

der die Tage und Nächte jeweils in zwölf Stunden eingeteilt

wurden, unabhängig von der Jahreszeit.

»Sehr kostspielig waren die zunächst noch einfach gehal-

tenen Turmuhren und daher auch ein Zeichen für Wohl-

stand«, sagt Manfred Schukowski aus Potsdam, emeritierter

Professor für Sozialpädagogik, Buchautor und Experte für

die astronomischen Uhren der Hansestädte. »Eine Stadt, die

etwas gelten wollte, besaß mindestens eine davon.« Ab da war

es nur noch ein kleiner Schritt bis zu ihrer üppigen Ausge-

staltung mit Malereien, verzierten Säulen, geschnitzten Ge-

simsen und mit von Räderwerken und Zeigerleitungen

angetriebenen Figuren und Glockenspielen. Nun zählte es

nicht nur, überhaupt eine Uhr zu haben, sondern vor allem

eine möglichst kunstvolle. Und so entstanden zwischen dem

14. und dem 19. Jahrhundert in Hansestädten sowie in wei-

teren urbanen Siedlungen, wie Prag, Ulm oder Straßburg,

eine Reihe von Prunkuhren, die bis heute Rathaustürme zie-

ren. Oder die Innenräume von Kirchen. »Hier waren die

Uhren ein Teil des religiösen Mobiliars und zeugen von der

Frömmigkeit der Menschen und christlicher Weltsicht«, sagt

Schukowski. So sind häufig oberhalb des Zifferblattes Dar-

stellungen von Gott, Christus, Maria mit dem Jesusknaben,

der Apostel oder Evangelisten zu sehen. Ebenso Allegorien

für die Vergänglichkeit der Zeit und des Lebens. So findet

man bei der Uhr im Straßburger Münster, deren Aufma-

chung an einen Altar erinnert, ein Karussell, auf dem die vier

Lebensalter und der Tod dargestellt sind, sowie einen sitzen-

den Engel mit einer Sanduhr in seinen Händen. Ungefähr18

Meter hoch und fast acht Meter breit ist das Gesamtkunst-

werk und mehr als zehn Räderwerke und sieben Transmis-

sionen waren hier notwendig, um die Vorstellungen der

Erbauer zu realisieren. Mancherorts zeigte man sich auch

recht kreativ, was die Finanzierung einer Uhr anbetrifft. »Ein

Ablassbrief von 1472 besagt, dass demjenigen ein vierzigtä-

giger Sündenerlass gewährt werde, der für die Fertigstellung

der Uhr in der Rostocker Marienkirche spendet«, sagt Schu-

kowski.

Vom Anfang bis zum Ende der Zeit

Populär war es, neben den Mondphasen und der Stellung der

Sonne im Jahreskreis der Sternzeichen auf den Uhren auch

die Bewegung der Planeten darzustellen. Zur Demonstration

der scheinbaren Drehbewegung des Himmels mit den Stern-

bildern wurden die Zifferblätter oft als Astrolabium gestaltet,

das aus zwei Teilen besteht und von einem Uhrwerk ange-

trieben wird. Auf einer festen Grundplatte, auf der ein fili-

granes Liniensystem aufgezeichnet ist, das dem Breitengrad

des Uhrenstandortes entspricht, ist eine drehbare Scheibe

montiert. Stellt man anhand dieser den lokal aktuell sicht-

Der Himmelsglobus von Philipp Gottfried Schaudt,auch als »Münchner Uhr« bekannt (um 1770 oder später), zeigt den Schriftzug»Phil. Gottfr. Schaudt« aufdem Äquatorialring. Zu sehen ist der Globus in der Ausstellung »Zeitmessung«im Deutschen Museum.

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Magazin Großuhren 57

baren Sternenhimmel ein, lassen sich auf verschiedenen Ska-

len das Datum, die Uhrzeit, die Länge der Temporalstunden

und die Zeitpunkte für Sonnenauf- und -untergang ablesen.

Und wo man es sich zusätzlich noch leisten konnte, wurde

auch in umfangreiche Kalendarien investiert, die weit in die

Zukunft reichten. In Rostock oder Straßburg zum Beispiel

zeigen diese unter anderem nicht nur den Namen für den

Schutzheiligen eines gegebenen Tages an, sondern berechnen

auch das Osterdatum und davon abhängig die Daten der be-

weglichen Feiertage des Kirchenjahres. »In einer minuten-

langen Rechenoperation ermittelt die Mechanik der Uhr im

Straßburger Münster in der Silvesternacht nicht nur kirchli-

che Daten, sondern auch die für Sonnen- und Mondfinster-

nisse«, sagt Jean-Pierre Rien, emeritierter Professor für

Zoologie und Koautor eines Buches über die Uhr.

Geradezu existenzielle Daten sind auf der »Münchner

Uhr« von Philipp-Gottfried Schaudt angegeben, die im

Deutschen Museum ausgestellt ist. Denn: »Auf einem der

vier Zifferblätter der barocken Tischuhr ist der von Johann

Albrecht Bengel ermittelte Zeitraum von Beginn der Schöp-

fung bis zum Ende der Welt dargestellt«, sagt Dr. Christian

Sicka, der unter anderem die Ausstellung für Zeitmessung

des Museums leitet. »Ausgehend vom Alten Testament und

der Offenbarung des Johannes berechnete der Theologe

(1687 – 1752) diesen auf 7777 7/9 Jahre.«

»Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, dass die

astronomischen Uhren, vor allem die in Kirchen, in vergan-

genen Jahrhunderten einen praktischen Nutzwert hatten, der

über die religiösen Zwecke hinausging«, sagt Schukowski. Da

im Mittelalter die Gotteshäuser auch öffentliche Begegnungs-

stätten waren, in denen Verträge ausgehandelt wurden, nutz-

ten Kaufleute die Kalender als Planungshilfe. Ärzte und Bader

werden wohl die astrologischen Anzeigen befragt haben.

Denn die Lehrmeinung besagte, dass Patienten nur dann am

Oberarm zur Ader zu lassen seien, wenn die Sonne im Stern-

zeichen der Zwillinge steht. Zeitgenössische Kupferstiche

geben die Zuordnung weiterer Körperregionen zu anderen

Sternzeichen wieder. Für den Großteil der Stadtbevölkerung,

der weder lesen noch schreiben konnte, waren die Großuh-

ren hauptsächlich Objekte, die bestaunt wurden. Aber nicht

jede Stadt verfügte über solch eine Uhr. »Wer entsprechende

Informationen benötigte, konnte spätestens ab dem 15. Jahr-Abb

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Ausschnitt aus der Rostocker Kalenderscheibe. Die Daten ermöglichen die Ermittlung des Wochentages für jedes Datum innerhalb ihres Gültigkeitszeit-raumes. Beispiel: Auf welchenWochentag fiel der Valentinstag(14. Februar) 1910? In jenem Jahr(Sonntagsbuchstabe B) warenalle Daten mit dem Buchstaben BSonntage. Der 20. Februar hatden Tagesbuchstaben B. Also warder 14. Februar 1910 ein Montag.

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Kultur & Technik 1/201558

hundert auf Kalenderblattdrucke zurückgreifen«, sagt Dr. Jo-

hannes Graf, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Uhrenmu-

seum in Furtwangen.

Verliebt in eine Turmuhr

Wunderschön sind sie, die kleinen und die großen histori-

schen Prunkuhren und es soll schon vorgekommen sein, dass

sich ein Stadtoberer unserer Tage auf einer Urlaubsreise in

eine Turmuhr verliebte und diese am liebsten mitgenommen

hätte. »Aus Batumi bekam die Firma Perrot den Auftrag, die

astronomische Uhr von Mantua in Italien zu kopieren. Aber

die Menschen in der georgischen Stadt wären sicher sehr ent-

täuscht gewesen, wenn sie voller Stolz auf die neue Turmuhr

und dann auf ihre Uhr am Handgelenk geschaut hätten«,

sagt der Uhrmachermeister Karel Kolar aus Darmstadt. Für

das Unternehmen aus Calw-Heumaden fertigte er daher eine

Studie darüber an, wie die Uhr konstruiert werden müsse,

damit sie in Batumi eine sinnvolle Zeit wiedergibt. Denn auf

dem Zifferblatt der Uhr von Mantua steht nicht die Zwölf

ganz oben, sondern die 18, weil sie italienische Stunden an-

zeigt. Bei diesen beginnt die Zählung jedoch mit dem Zeit-

punkt des Sonnenuntergangs. Ein weiteres Problem drehte

sich um die Fragestellung, ob für die Mittagszeit der vom

geografischen Längengrad abhängige Sonnenhöchststand

oder die für die Zeitzone geltende Mittagszeit angezeigt wer-

den sollte. Exakte Übereinstimmung gibt es nur auf dem Me-

ridian in der Mitte der Zone. Östlich davon eilt die Sonne der

Anzeige scheinbar voraus und westlich davon ist es genau

umgekehrt. Im Prinzip wäre es denkbar gewesen, georgische

Stunden oder die wahre Sonnenzeit anzuzeigen, der äußere

Zahlenkranz des Zifferblattes entspricht jetzt jedoch der ge-

bräuchlichen Zeitmessung. Auch die Zyklen der Sonne und

des Mondes sind den geografischen Koordinaten angepasst.

»Die neue Uhr in Batumi ist ein Beispiel dafür, dass auch

im Turmuhrbau längst moderne Zeiten angebrochen sind«,

sagt Kolar, der ebenfalls deren Elektrifizierung und ihre

Steuerung konzipierte. Wurden früher die Anzeigen einer

mechanischen Turmuhr vom Hauptwerk aus über Zeiger-

leitungen betrieben, so ist es heutzutage jeweils ein elektri-

scher Schrittmotor, der über ein zwischengeschaltetes

Getriebe eine Anzeige bewegt. Insgesamt sind bei der Ba-

tumi-Uhr sechs identische Antriebseinheiten installiert. Ge-

steuert werden sie durch einen Zentralcomputer, der Zeitsi-

gnale von Satelliten erhält. Infolge einer Elektrifizierung ver-

schwand denn auch die Zeigerleitung zwischen den beiden

Türmen der Münchner Frauenkirche.

Zeitraubende Wartungs- und Reparaturarbeiten sind

durch die digitale Steuerung ebenfalls überflüssig geworden.

Bei astronomischen Uhren mit mechanischen Getrieben

kommt es nach gewisser Zeit vor, dass sie die Bewegungen

von Sternbildern, Mond und Sonne am Himmel nicht mehr

ausreichend genau reproduzieren und somit deutliche Ab-

weichungen sichtbar werden. Notwendig ist es dann, die

Werke zu zerlegen und einzelne Zahnräder gegeneinander

um einige Zähne zu verschieben. »Und auch die automati-

sche Umstellung von der Sommer- auf die Winterzeit ist

heute mit wenigen Zeilen Programmcode für den Computer

erledigt«, sagt der Uhrmachermeister Karel Kolar. ❘❙❚

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Dr. rer. nat. Klaus WagnerFreier Journalist für Technikund Wissenschaft, schätztan Uhren, dass sie auch eineangenehme Atmosphäre verbreiten.

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So findet man bei der Uhr imStraßburger Münster, derenAufmachung an einen Altarerinnert, ein Karussell, aufdem die vier Lebensalter undder Tod dargestellt sind

Die Uhr im Straßburger Münster erinnert an einenmonumentalen Altar. Siezeigt neben astronomischenDaten auch eine Allegorie der vier Lebensalter des Menschen.

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• Freundes- und Förderkreis Chancen schenken – eine wichtige Aufgabe

des Deutschen Museums

• Flugwerft Sonderausstellung Udet-Flugzeugbau

• Museumsinsel Digitale Projekte

Museumsinsel

Verkehrszentrum

Flugwerft Schleißheim

Deutsches Museum Bonn

Alle aktuellen Veranstaltungenfinden Sie in unserem Quartalsprogramm.

INTERN

Der Terminkalender Januar bis März 2015 liegt dieser

Ausgabe bei. Aktuelle Termine finden Sie auch unter:

www.deutsches-museum.de/information/kalender

Programm

Januar · Februar · März 2015

Museumsinsel . Verkehrszentrum . Flugwerft Schleißheim

Schu

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1,–

59-63Internes:Layout 1 10.12.14 16:11 Seite 59

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Kultur & Technik 1/201560

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FR E U N DE S- U N D FÖR DE R KR E I S Deutsches Museum e. V.

Das Deutsche Museum Bonn

leistet mit dem Projekt«Laborfüh-

rerschein Experimentierküche«

(LFE) eine geradezu exemplarische

Bildungsarbeit – und zwar dort, wo

es am nötigsten ist: bei den sozial

schwachen und bildungsfernen

Gesellschaftsschichten. Dennoch

fehlt die langfristige Finanzierung.

Dass Saadia El-Houari es einmal so

weit bringen würde, haben nur we-

nige geahnt. Sie war eine normale

Hauptschülerin mit entsprechend

dürftigen Chancen. Doch dann

machte sie den »Laborführerschein«

(LFE) am Deutschen Museum Bonn

und wusste nach den acht Nachmit-

tagsworkshops und einem Prak-

tikum beim Kunststoffhersteller

LyondellBasell, wohin die Reise geht.

Nicht nur beruflich – Saadia machte

die Pflegerinnenausbildung, holt

derzeit ihr Abitur nach und will

dann Medizin studieren –, der LFE-

Kurs stärkte ihr Selbstvertrauen, er

zeigte ihr, dass es einen Platz auf die-

ser Welt für sie gibt und dass sie dort

mit ihren Talenten etwas bewirken

kann. Seit der Einführung des LFE

hat das Deutsche Museum in Bonn

350 jungen Menschen diese Chance

geschenkt, und das positive Echo

von Lehrern, Bildungsexperten und

Politikern dem Museum im August

wieder einen Preis, den Förderpreis

der Bausparkasse Schwäbisch Hall

für das beste soziale Projekt (immer-

hin 10.000 Euro, die dringend ge-

braucht werden), eingebracht.

»Überaus innovativ« sei das Pro-

jekt hieß es in der Laudatio, und von

den Lehrern, die mit ihren Schülern

an den Workshops teilnehmen,

heißt es regelmäßig, die Schüler seien

nach der außerschulischen Berufsori-

entierung viel engagierter und hätten

plötzlich ein Ziel vor Augen. Kirsten

Bohnen, die Projektleiterin, hat über

Jahre gemeinsam mit der Leiterin

des Deutschen Museums Bonn, An-

drea Niehaus, dieses weit über die

Grenzen der Stadt hinaus bekannte

Berufsorientierungsprogramm ent-

wickelt und verfeinert. »Wir haben

gemerkt, dass ein einmaliger Besuch

im Museum zwar inspirierend für

die Schüler ist, dass wir aber für eine

nachhaltige Wirkung mehr tun

müssen.« Deshalb kombiniert der

Chancen schenken – eine wichtige Aufgabe des Deutschen Museums

Die ehemalige LaborfahrschülerinSaadia El-Houari berichtet nach-folgenden Absolventen von ihren Erfahrungen.

59-63Internes:Layout 1 11.12.14 15:27 Seite 60

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Deutsches Museum intern 61

Unterstützen Sie den Freundeskreis des Deutschen Museums!

Jahresbeitrag:4500 Euro für persönliche

Mitgliedschaften

4250 Euro für Juniormit-

gliedschaften (bis 35 Jahre)

42500 Euro für Mitgliedschaften

mittel ständischer Unternehmen

nach EU-Norm

45000 Euro für Mitglied-

schaften großer Unternehmen

Kontakt:Freundes- und Förderkreis

Deutsches Museum e. V.

Museumsinsel 1 · 80538 München

Ihre Ansprechpartnerin: Claudine Koschmieder

Tel. 089/2179-314

Fax 089/2179 -425

c.koschmieder@

deutsches-museum.de

kombiniert der LFE experimentelle

Lerneinheiten in der »Experimen-

tierküche«, dem Chemie-Schülerla-

bor des Deutsche Museums, mit

Persönlichkeitsbildung und Besu-

chen von Unternehmen. Dort lernt

jeder Schüler fünf chemienahe Aus-

bildungsberufe kennen – und macht

durch den unmittelbaren Kontakt

zur Berufswelt, zu Ausbildungslei-

tern und anderen Auszubildenden

Erfahrungen, die ihm weder Schule

noch Elternhaus bieten können.

»Wir gehen als Museum unkon-

ventionelle Wege, um bildungsferne

Gruppen zu erreichen«, sagt Andrea

Niehaus. Wie wichtig das für die Ge-

sellschaft insgesamt ist, sei aber »in

den Köpfen nicht ausreichend prä-

sent«. Selbst die Caritas, die als neuer

Projektpartner gewonnen werden

soll, war erstaunt, in welchen Sphä-

ren sich das Museum tummelt.

Denn normalerweise bringt man das

Deutsche Museum eher mit der För-

derung des akademischen Nach-

wuchses zusammen. Doch gerade

bei den sogenannten bildungsfernen

Schichten der Gesellschaft schlum-

mern viele Talente, die der Gesell-

schaft entgehen, wenn Hauptschüler

und in Zukunft auch Förderschüler

keine maßgeschneiderten Bildungs-

angebote finden, die ihnen bei der

schwierigen und oftmals so aus-

sichtslos erscheinenden Frage der

Berufswahl helfen. Das macht den

LFE zu viel mehr als einem »sozia-

len« Projekt. Er ist geradezu ein Mo-

dellprojekt, das in der deutschen

Bildungslandschaft einmalig da-

steht. Der Freundes- und Förder-

kreis Deutsches Museum fördert das

Projekt seit einigen Jahren und wird

auch im Jahr 2015 dem Museum

Bonn mit einer fünfstelligen Summe

zur Seite stehen. Da aber die Deut-

sche Telekom Stiftung, die das Pro-

jekt 8 Jahre lang federführend finan-

ziell unterstützt hat, ausgeschieden

ist, ist die langfristige Finanzierung

des LFE nicht mehr gesichert. Sie zu

finden und den Laborführerschein

auch auf das Haupthaus auf die Isa-

rinsel in München auszudehnen

hätte Oskar von Miller gefallen. Er

hatte mit seinem Deutschen Mu-

Bild rechts: Die glücklichen Absolventen des 10. Laborführerscheins.

Bild unten: Für die Berufsorientierungwichtige Kompetenzen und wie sie imLaborführerschein vermittelt werden.

seum schließlich eine Volksbil-

dungsstätte im Sinne, deren wesent-

liche Aufgabe es ist, alle Schichten

der Gesellschaft für Technik und Na-

turwissenschaften zu begeistern.

Monika Czernin

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Kultur & Technik 1/201562

Im Schatten des Ersten Weltkriegs – Der Udet-Flugzeugbau in München

Flugzeug U 11 auf dem Flugplatz in Schleißheim

Flugzeug U 12, Montage der Holzverkleidung

Blick hinter die Kulissen

Wollten Sie schon immer ein-

mal einen Blick in das Archiv

des Deutschen Museums

werfen? Sehen, welche Origi-

nalquellen dort verwahrt

sind? Die erste Fotografie in

Deutschland betrachten, eine

Nobelmedaille in die Hand

nehmen und Geheimdoku-

mente zum deutschen Atom-

programm in der NS-Zeit

entdecken? Oder erfahren,

wie die erste Fotografie im

Nanobereich entstanden ist?

Sich von historischen elektro-

nischen Musikaufnahmen

verzaubern lassen? Die

Möglichkeit dafür bietet sich

an zwei ausgewählten Termi-

nen im Februar.

Das Archiv des Deutschen

Museums ist eines der be-

deutendsten Spezialarchive

zur Geschichte der Naturwis-

senschaften und der Technik

weltweit. In den öffentlichen

Führungen stellen wir die

Arbeit im Archiv vor und

präsentieren herausragende

Originaldokumente aus den

wertvollen Beständen.

Mittwoch, 18. Februar,

18.30 – 20.00 Uhr

Donnerstag, 19. Februar,

16.30 – 18.00 Uhr

Anmeldung erforderlich unter

089 / 21 79-220 oder

[email protected]

Treffpunkt: Eingang zum

Bibliotheksgebäude des

Deutschen Museums

(gegenüber dem Haupt-

eingang zum Museum)

FLUGWE R FT SCH LE I SS H E I M Sonderausstel lung

Bis zum 23. Februar 2015 ist in

der Flugwerft Schleißheim des

Deutschen Museums eine Sonder-

ausstellung zum Udet-Flugzeugbau

zu sehen. Die Ausstellung erzählt

die Firmengeschichte anhand zahl-

reicher Fotos, Archivalien und

Modellen und beschreibt die Flug-

zeugtypen des Udet-Flugzeugbaus.

Sie verdeutlicht den langen

Schatten, den der Erste Weltkrieg

auf Deutschland geworfen hat.

Der Flugzeugbau in Deutschland litt

nach dem Ersten Weltkrieg unter ein-

schneidenden Restriktionen der Alli-

ierten. Nach den Bestimmungen des

Versailler Vertrags bestand zeitweise

ein absolutes Bauverbot. Trotz der

widrigen Umstände begann das

Uternehmen Udet-Flugzeugbau 1921

in München mit dem Bau von Sport-

flugzeugen, die bei Flugwettbewerben

vorderste Plätze belegten. Auch Was-

serflugzeuge und Verkehrsflugzeuge

wurden gebaut. Das bekannteste Mo-

dell jedoch war 1925 der Doppelde-

cker U 12 »Flamingo«. Er wurde das

Standardschulflugzeug der Deut-

schen Verkehrsfliegerschule (DVS) in

Schleißheim. Der Udet- Flugzeugbau

bestand bis 1926 und ging danach in

den Bayerischen Flugzeugwerken in

Augsburg auf.

In der Ausstellung werden maß-

gebliche Mitarbeiter der Firma vor-

gestellt, unter anderem der Namens-

geber und Testpilot Ernst Udet, der

Geldgeber Wilhelm Pohl und der

Chefkonstrukteur Hans Henry Herr-

mann. Lokalgeschichtlich interessant

sind die Örtlichkeiten, an denen die

Flugzeuge gebaut wurden. Zeitge-

schichtliche Aufnahmen und Lage-

pläne werden der heutigen Situation

gegenübergestellt. Von den vom Udet

Flugzeugbau gebauten Flugzeugen ist

kein einziges erhalten geblieben, es

existieren nur noch Bauteile davon.

So sind in der Ausstellung ein Flügel-

abschnitt des Kleinverkehrsflugzeugs

Udet U 8b und ein Motor zu sehen.

»Im Schatten des Ersten Weltkriegs –

Der Udet Flugzeugbau in München«

ist eine Sonderausstellung des Werft-

vereins und der Bayerischen Flug-

zeughistoriker.

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Deutsches Museum intern 63A

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Digitale Partnerschaft zwischen dem DeutschenMuseum und GoogleIn einer Partnerschaft mit Google macht das Deutsche Museum große Teile

seiner Ausstellungen auch online zugänglich. Ein wichtiges Exponat aus Na-

turwissenschaft und Technik, der erste kommerzielle Mikroprozessor aus

dem Jahr 1971, ist als »Gigapixel« digitalisiert und ins Netz gestellt. Gleich-

zeitig erfasst Google mit Hilfe der Street-View-Technologie Teile des Muse-

ums wie die Bibliothek und ermöglicht den Besuchern so einen virtuellen

Museumsrundgang – vom heimischen Computer oder Tablet aus.

Der erste Dieselmotor der Welt, die »Magdeburger Halbkugeln« oder der

»Faraday’sche Käfig« – diese und weitere Meilensteine der technischen Ent-

wicklung können künftig uber die Seite des Google Cultural Institute »vir-

tuell« besucht und bewundert werden. Mit dem Einsatz der Gigapixel

Technologie lassen sich die Exponate in ihrer gesamten Komplexität und in

allen Facetten betrachten. So können sich Nutzer in vormals nicht möglichen

Auflösungen heranzoomen und winzige Details entdecken, die mit dem blo-

ßen Auge sonst kaum auszumachen sind.

Mit der Street-View-Funktion kann außerdem die Bibliothek des Muse-

ums sowie der Ausblick über München vom 65 Meter hohen Turm, das

Wahrzeichen des Museums, erkundet werden. Auch die Exponate im Innen-

hof des Museums sind erfasst und mit vielen Informationen verlinkt. Insge-

samt sind weit über 300 Exponate digitalisiert worden.

»Wir sind dabei unsere einmalige Sammlung und Inhalte digital zu er-

schließen und sie somit Forschern aber auch anderen Interessierten aus aller

Welt zur Verfügung zu stellen«, sagt Prof. Dr. Wolfgang M. Heckl, Generaldi-

rektor des Deutschen Museums. »Die neue Partnerschaft bietet die Chance,

deutlich mehr Menschen flexiblen Zugang zum wertvollen Kulturgut des

Deutschen Museums aus Naturwissenschaft und Technik zu bieten. Das

Deutsche Museum stellt dadurch sicher, seinem Bildungsauftrag auch in der

digitalen Zukunft gerecht zu werden.«

Mit dem Start der neuen Partnerschaft findet eine gemeinsame Ausstellung

zu »Wearable Computing« ihr Ende. Die Ausstellung der Georgia Tech Uni-

versity, die bisher rund 50000 Besucher anzog, wird jedoch vor ihrem Ende

ebenfalls mit dem Street-View-Aufnahmegerät von Google erfasst und im

Kulturinstitut zur weiteren Besichtigung »für die Ewigkeit« bereitgestellt.

Um ein vielseitiges Museumserleb-

nis zu ermöglichen, erweitert das

Deutsche Museum das multimediale

Angebot für seine Besucher. Hierfür

hat sich das Museum die Expertise

des jungen Münchner Hightech-

Unternehmens NavVis geholt, und

präsentierte zur »Langen Nacht der

Museen« am 18. Oktober ein neues

digitales Projekt: Die beeindru-

ckende und weitläufige Abteilung

»Schifffahrt« ist erstmals vollständig

digitalisiert und in 3D erfasst. Besu-

cher aus aller Welt können die Aus-

stellung online erkunden. Bilder,

Texte und Audioinformationen ma-

chen die fotorealistische 3D-Welt zu

einem interaktiven Erlebnis.

Erstmals lässt sich auf www.deut-

sches-museum.de/ausstellungen/

entdecken/rundgang/ die Ausstel-

lung »Schifffahrt« per Internet er-

kunden. Mit dem Browser-basierten

IndoorViewer von NavVis entsteht

ein fotorealistischer Eindruck der

Innenräume. Eine Vielzahl so ge-

nannter Points of Interest ermög-

licht den Abruf einer Fülle von

Informationen zu einzelnen Expo-

naten, beinahe so, als ob man selbst

durch die Schiffshalle spazierte. So

gibt es Audio-Dateien etwa zur

Punktwolke die durch die Laservermessung bei der Kartierung der Ausstellungentsteht.

M US E U M S I N S E L Vir tuel ler Rundgang

M US E U M S I N S E L

Digitales Angebot Santa Maria, dem Schiff, mit dem

Christoph Kolumbus 1492 die

Überfahrt nach Amerika wagte, oder

zur luxuriösen Ausstattung des

Schnelldampfers Kaiser Wilhelm II

aus dem Jahr 1903.

»Unsere beliebte Schifffahrtsaus-

stellung kann mit dem virtuellen

Rundgang neu entdeckt werden. Wir

erweitern dadurch das multimediale

Angebot für unsere Besucher und

ermöglichen deutlich mehr Men-

schen den Zugang zu naturwissen-

schaftlich-technischem Wissen«,

sagt Prof. Dr. Wolfgang M. Heckl,

Generaldirektor des Deutschen Mu-

seums und Inhaber des Oskar von

Miller Lehrstuhls für Wissenschafts-

kommunikation der Technischen

Universität München. NavVis Grün-

der und Geschäftsführer Georg

Schroth: »Es ist für ein junges High-

Tech-Unternehmen wie uns eine be-

sondere Ehre, unsere neue Tech-

nologie gemeinsam mit einem der

wichtigsten Technikmuseen der Welt

erstmals der breiten Öffentlichkeit

vorzustellen. Dieses Projekt zeigt

eindrucksvoll, wie hochqualitativ

und effizient die Kartierung bzw. Di-

gitalisierung komplexer Innenräume

mit NavVis Technik möglich ist.«Google Street View, Ansicht Eingangshalle

59-63Internes:Layout 1 10.12.14 16:11 Seite 63

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Kultur & Technik 1/201564

Das X-Kartell

64-65Schlusspunkt.qxp:Layout 1 10.12.14 09:39 Seite 64

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Schlusspunkt 65

Wenn es auf Weihnachten zugeht, wir haben das alle

ja gerade erlebt, gerät die christliche wie die nicht

christliche Welt dank jahrzehntelanger und äußerst erfolg-

reicher Bemühungen der Marketing-Abteilungen ver-

schiedener Zweige der Konsumgüterindustrie in einen Aus-

nahmezustand. Das sind, konkreter, die Spielwaren-, die

Christstollen-, die Spekulatius-, die Glühwein-, die Schnitz-

kunst- und die Weihnachtsmelodienindustrie sowie eine

Reihe nicht weniger bedeutender Industrien, z.B. die Back-

oblaten-, die Lebkuchen-, die Duftkerzen-, die Räucher-

männchen-, die Bratapfel- oder die Gänsebratenindustrie.

Und noch zahlreiche mehr. Diese haben allesamt eine un-

heilige Allianz geschmiedet, die ich hier abkürzend und der

Einfachheit halber mal das X-Kartell nennen möchte. Das

X-Kartell hat es in einem ökonomischen Geniestreich son-

dergleichen fertiggebracht, den Blick von der Geburt des

Heilands und der Rettung der Welt durch nichts als die

Liebe auf die Heiligen Drei Könige und ihre jeweiligen Mit-

bringsel zu lenken und uns allen weiszumachen, dass Weih-

nachten wesentlich im Überreichen von Geschenken

bestehe. In einem Wort: Weihnachten heißt jetzt Rettung

der Weltwirtschaft durch entfesselten Konsum. Der Rest ist

nur noch folkloristisches Gedöns. Aus diesem Grund haben

Fräulein Schröder und ich einmal mehr beschlossen, uns

nichts zu schenken. »Diesmal schenken wir uns nichts«,

hatte ich Fräulein Schröder schon im September gesagt, als

die ersten Mandelstollen begannen, sich in den Supermärk-

ten zu türmen. »Also genauso wie letztes Jahr?«, hatte sie

schmunzelnd erwidert. »Genau so, aber diesmal eben wirk-

lich ohne Geschenke«, sagte ich.

Vielleicht hätten Max und Marie mir nicht die Wunsch-

zettel von Paul und Louise schicken sollen, damit ich we-

nigstens in irgendeiner Hinsicht meinen Patenonkel-

pflichten mal nachkäme. Das Problem war allerdings, dass

ich die Wünsche dieser Kinder irgendwie nicht ganz ver-

stand. Paul wünschte sich etwas von Lego. Toll, dachte ich

noch, damit habe ich auch mal gespielt. Lego –, Lego ist

pädagogisch wertvoll. Lego ist die Basis deutscher Inge-

nieurskunst. Was sich Paul aber da von Lego wünschte,

davon hatte ich, der alte Lego-Hase, noch nie gehört. Es

hieß: Star Wars Imperial Star Destroyer. In der Beschrei-

bung, die ich später zu lesen bekam, hieß es wörtlich: »Mit

diesem gigantischen Schlachtkreuzer erobert und kontrol-

liert das Imperium den Weltraum. Dass so ein mächtiges

Schiff eine unglaubliche Feuerkraft besitzt, versteht sich von

selbst.« Aha, dachte ich. Schlachtkreuzer, Imperium, Feu-

erkraft. Klingt ja nicht so pädagogisch. Louise hingegen

hatte auf ihrem Wunschzettel Folgendes: Draculaura, Fran-

kie Stein, Lagoona Blue und Clawdeene Wolf. Verstehen Sie?

Nein? Ich wiederhole das noch mal: Draculaura, Frankie

Stein, Lagoona Blue und Clawdeene Wolf. Was zum Teufel

meinte das? Die Fachkraft in einem Kaufhaus aus dem X-

Kartell, der ich Louises kryptischen Zettel hinlegte, lächel-

te nur müde. »Sie suchen nach Monster High. Die stehen

da drüben. Nicht zu übersehen.« Aha, ich suchte nach Mons-

ter High. Gut zu wissen. Wenn ich jetzt auch noch gewusst

hätte, was das ist, Monster High, wäre ich beinahe glücklich

gewesen. Was ich aber »dort drüben« schließlich zu sehen

bekam, ließ mich nicht so sehr an der kleinen Louise, son-

dern viel mehr an den erzieherischen Qualitäten ihrer El-

tern zweifeln. Gegen diese Monster-High-Nachtgestalten

aus Plastik war Barbie eine Landpomeranze aus Hintertup-

fing. Nicht die Kinder brauchten einen Patenonkel, die El-

tern brauchten eine Super Nanny. Ich verließ diesen Tempel

der Verderbnis junger Seelen in einem Zustand, als hätte

mir gleich ein ganzer Vampirschwarm das Blut aus den

Adern gesaugt und sagte später zu Fräulein Schröder: »Ich

werde alt. Nein – ich bin alt. In mir ist eine große Abscheu

gegen alles, was diese neue Zeit ausmacht. Was soll ich nur

tun?« Fräulein Schröder ließ ihr Strickzeug sinken und sah

mich über den Rand ihrer Brille prüfend an: »Was du tun

sollst? Na das, was du in solchen Fällen immer tust. Der

neuen Zeit die alte Zeit entgegenhalten. Darin bist du doch

Experte.« Ich bin mir im Nachhinein überhaupt nicht si-

cher, ob ich diesmal wirklich auf Fräulein Schröder hätte

hören sollen. Denn als ich am 1. Weihnachtstag mit Max

und Marie telefonierte und sie nach dem Heiligabend fragte

und danach, ob sich denn Paul über meine alten, gar nicht

mal so sehr verstaubten und gar nicht mal so sehr vergilbten

Legosteine in Blau und Gelb und Rot und Schwarz – im-

merhin eine ganze Persiltonne voll – gefreut habe und wie

Louise das Puppenhaus fand, das Onkel Otto damals für

meine Schwester mithilfe einer Laubsäge aus Sperrholzplat-

ten herausgesägt und innen und außen liebevoll mit Tep-

pichresten beklebt hatte, da wurde es etwas still am anderen

Ende der Leitung und ich hörte ein tiefes Seufzen. Max

sagte nach einer Pause: »Sei nicht beleidigt, aber wir haben

den Kindern gesagt, das eigentliche Paket von eurem Paten-

onkel, das ist noch unterwegs. Diese ollen Legosteine hier

und diese Bretterbude mit den ranzigen Teppichen, das ist

nur wieder einer seiner Scherze. Ihr kennt ihn doch, den

alten Spaßvogel. Marie wird übermorgen losgehen und das

besorgen, was sich die Kinder eigentlich gewünscht haben.

Wir überreichen das dann in deinem Namen, wenn du ein-

verstanden bist.« – Alter Spaßvogel. Aha. Besorgen, was sich

die Kinder eigentlich gewünscht haben. Aha. »Lass nur«,

habe ich zu Max gesagt. »Ich mach das schon.« Und das hab

ich dann auch. Aber ich hab dann wohl auch noch irgend-

wie die Namensschildchen verwechselt. Paul bedankte sich

bei mir Wochen später für die coolen Monster-High-Pup-

pen und Louise für den Zerstörer mit unglaublicher Feu-

erkraft. Fräulein Schröder aber hatte sich nicht an unsere

Vereinbarung gehalten und mir dann doch eine Schreib-

maschine vom Flohmarkt geschenkt und drei noch origi-

nalverpackte Farbbänder. Und ich habe sie auch überrascht,

und zwar mit einer gusseisernen Nähmaschine mit

Schwungrad, die ich bei Ebay ersteigern konnte. Dem

X-Kartell haben wir es also gründlich gezeigt. Und es uns. ❘❙❚

Dr. Daniel Schnorbuschgeboren 1961 in Bremen,aufgewachsen in Hamburg,Studium der Germanistischenund Theoretischen Linguistik,Literaturwissenschaft undPhilosophie in München,ebendort aus familiärenGründen und nicht mal ungern hängen geblieben,arbeitet als Lehrer, Dozentund freier Autor.

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Text: Daniel Schnorbusch

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39. Jahrgang

Das Magazin aus dem Deutschen Museum

ISSN 0344-5690ivw

Vorschau Ausgabe 2/2015 erscheint am 1. April 2015

Die Tricks der GeheimnisjägerKultur & Technik 2/2015 beschäftigt sich mit Ge schichte und

Technik der Spionage.

Die Spionage gilt als das zweitälteste Gewerbe der Welt. In

seinem Werk Die Kunst des Krieges, das 500 vor Christus ent-

stand, widmet der Chinese Sunzi der organisierten Geheim-

nisjagd bereits ein ganzes Kapitel. 1568 ließ die englische

Königin Elizabeth I. den ersten offiziellen Geheimdienst in-

stallieren. Von Machthabern angeheuerte Spione erkunden

bis heute militärische und wirtschaftliche Geheimnisse. Zim-

perlich durften die Informationsbeschaffer nie sein. Früher

arbeiteten sie mit Gift, Bestechung oder Folter – heute er-

leichtern moderne Kommunikationstechniken die Sichtung

und Sammlung der Informationen. In den Fokus des öffent-

lichen Interesses geriet das Thema spätestens mit dem Fall

des NSA-Aussteigers Edward Snowden, der die Öffentlichkeit

mit spektakulären Enthüllungen über die Methoden der

NSA schockierte. Unsere Autoren berichten über bekannte

und unbekannte Spionagefälle, technische Entwicklungen

und Kuriositäten und werfen einen Blick in die Untiefen der

Datennetze.

Auf diesem Holzstich von1845 sichten Männer desSecret Office verdächtigeKorrespondenz in einemHinterzimmer des LondonerOberpostamtes. Im Vorder-grund sieht man einenSchreiber, der mit den Transkriptionen befasst ist.

Zwei Männer in einer Abhör-zentrale überwachen Funk-sprüche mittels Kopfhörer.Einer von ihnen hält wichtigeInformationen mit Hilfe einerSchreibmaschine fest (um1935).

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