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Radiologe 2012 · 52:424–429 DOI 10.1007/s00117-011-2295-7 Online publiziert: 18. Mai 2012 © Springer-Verlag 2012 U. Yilmaz Klinik für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar Spinale  Gefäßmalformationen Leitthema: Vaskuläre Erkrankungen des Rückenmarks Spinale Gefäßmalformationen sind eine heterogene Gruppe seltener Er- krankungen, deren klinische Präsen- tationen vom asymptomatischen Zu- fallsbefund bis zur progredienten Te- traparese reichen. Die Fehlbildun- gen der Gefäßarchitektur können da- bei durch Instabilitäten zu Blutungen oder durch die Ausbildung arteriove- nöser Shunts zu venösen Stauungen, Durchblutungsstörungen und raum- fordernden Effekten führen. Die ra- diologische Diagnostik arteriovenö- ser(AV)-Malformationen erfordert in der Regel ein MRT zur Bestimmung von Art und Ausmaß einer Myelon- schädigung und eine digitale Sub- traktionsangiographie (DSA) zur ge- nauen Darstellung und Typisierung der Gefäßmalformation. Definition Spinale Gefäßmalformationen werden unterteilt in AV-Malformationen, Kaver- nome und kapilläre Teleangiektasien. Die häufigste spinale AV-Malformation ist die spinale durale AV-Fistel, bei der ein Kurz- schluss zwischen einer primär duraver- sorgenden Arterie und Vene besteht. Sie wird in einem eigenen Artikel dieses Hefts beschrieben. Intradurale arteriovenöse Malformationen Im Gegensatz zu duralen AV-Fisteln be- steht bei intraduralen AV-Malformatio- nen (. Abb. 1) eine pathologische Ver- bindung zwischen Arterien und Venen, die primär das Rückenmark (und nicht die Dura) versorgen. Weiter wird unter- teilt in fistulöse und glomeruläre AV-Mal- formationen. Bei fistulösen AV-Malfor- mationen besteht der Shunt in einer direk- ten Verbindung zwischen Arterien und Venen. Je nach Ausprägung des Shuntvo- lumens und somit auch der venösen Ek- tasie wird zwischen Mikro- und Makro- fisteln unterschieden. Der unmittelbare Übergang wird als Fistelpunkt bezeichnet. Dagegen ist den zuführenden Arterien (Feeder) und drainierenden Venen beim glomerulären Typ ein meist intramedul- läres Gefäßnetzwerk, der so genannte Ni- dus zwischengeschaltet. Aufgrund hämo- dynamischer Effekte können AV-Malfor- mationen im zeitlichen Verlauf deutlichen Veränderungen wie zunehmenden venö- sen Ektasien oder der Ausbildung zusätz- licher arterieller Feeder unterworfen sein. Abb. 1 8 Spinale arteriovenöse Malformation. a In den T2-gewichteten sagittalen Sequenzen zeigt sich eine gemischt hypo-/ hyperintense Struktur im zervikalen Halsmark, die zu einer Auftreibung des Myelons geführt hat. Die hypointensen Areale entsprechen „flow voids“. Dabei handelt es sich um eine AVM. b, c, d In den DSA-Aufnahmen zeigt sich die AVM versorgt über rückenmarkzuführende Äste aus der A. vertebralis. DSA digitale Subtraktionsangiographie, AVM arteriovenöse Malformation 424 | Der Radiologe 5 · 2012

Spinale Gefäßmalformationen; Spinal vascular malformations;

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Page 1: Spinale Gefäßmalformationen; Spinal vascular malformations;

Radiologe 2012 · 52:424–429DOI 10.1007/s00117-011-2295-7Online publiziert: 18. Mai 2012© Springer-Verlag 2012

U. YilmazKlinik für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie,

Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar

Spinale Gefäßmalformationen

Leitthema: Vaskuläre Erkrankungen des Rückenmarks

Spinale Gefäßmalformationen sind eine heterogene Gruppe seltener Er-krankungen, deren klinische Präsen-tationen vom asymptomatischen Zu-fallsbefund bis zur progredienten Te-traparese reichen. Die Fehlbildun-gen der Gefäßarchitektur können da-bei durch Instabilitäten zu Blutungen oder durch die Ausbildung arteriove-nöser Shunts zu venösen Stauungen, Durchblutungsstörungen und raum-fordernden Effekten führen. Die ra-diologische Diagnostik arteriovenö-ser(AV)-Malformationen erfordert in der Regel ein MRT zur Bestimmung von Art und Ausmaß einer Myelon-schädigung und eine digitale Sub-traktionsangiographie (DSA) zur ge-nauen Darstellung und Typisierung der Gefäßmalformation.

Definition

Spinale Gefäßmalformationen werden unterteilt in AV-Malformationen, Kaver-nome und kapilläre Teleangiektasien. Die häufigste spinale AV-Malformation ist die spinale durale AV-Fistel, bei der ein Kurz-schluss zwischen einer primär duraver-sorgenden Arterie und Vene besteht. Sie wird in einem eigenen Artikel dieses Hefts beschrieben.

Intradurale arteriovenöse Malformationen

Im Gegensatz zu duralen AV-Fisteln be-steht bei intraduralen AV-Malformatio-nen (. Abb. 1) eine pathologische Ver-bindung zwischen Arterien und Venen, die primär das Rückenmark (und nicht

die Dura) versorgen. Weiter wird unter-teilt in fistulöse und glomeruläre AV-Mal-formationen. Bei fistulösen AV-Malfor-mationen besteht der Shunt in einer direk-ten Verbindung zwischen Arterien und Venen. Je nach Ausprägung des Shuntvo-lumens und somit auch der venösen Ek-tasie wird zwischen Mikro- und Makro-fisteln unterschieden. Der unmittelbare Übergang wird als Fistelpunkt bezeichnet. Dagegen ist den zuführenden Arterien (Feeder) und drainierenden Venen beim glomerulären Typ ein meist intramedul-läres Gefäßnetzwerk, der so genannte Ni-dus zwischengeschaltet. Aufgrund hämo-dynamischer Effekte können AV-Malfor-mationen im zeitlichen Verlauf deutlichen Veränderungen wie zunehmenden venö-sen Ektasien oder der Ausbildung zusätz-licher arterieller Feeder unterworfen sein.

Abb. 1 8 Spinale arteriovenöse Malformation. a In den T2-gewichteten sagittalen Sequenzen zeigt sich eine gemischt hypo-/hyperintense Struktur im zervikalen Halsmark, die zu einer Auftreibung des Myelons geführt hat. Die hypointensen Areale entsprechen „flow voids“. Dabei handelt es sich um eine AVM. b, c, d In den DSA-Aufnahmen zeigt sich die AVM versorgt über rückenmarkzuführende Äste aus der A. vertebralis. DSA digitale Subtraktionsangiographie, AVM arteriovenöse Malformation

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Die Symptomatik ist unspezifisch und kann sich z. B. in Parästhesien, Schwächen oder Schmerzen äußern. Sie kann durch Blutungen, venöse Stauung, Durchblu-tungsstörungen oder raumfordernde Wir-kungen verursacht werden und daher so-wohl akut, als auch langsam progredient auftreten oder sogar fluktuieren.

Spinale AV-Malformationen können im Rahmen verschiedener Syndrome wie der hereditären hämorrhagischen Telean-giektasie (Morbus Osler) oder dem spina-len arteriovenösen metameren Syndrom

(SAMS, früher Cobb-Syndrom) auftreten. Gerade im Kindesalter sollte bei einer spi-nalen AV-Malformation daher an einen syndromalen Zusammenhang gedacht werden.

Bildgebung

MagnetresonanztomographieHinweisend auf eine AV-Malformation kann im MRT eine intramedulläre Sig-nalsteigerung auf T2-gewichteten Bil-dern mit begleitender Schwellung im Sin-

ne eines Myelonödems sein. Nach Kont-rastmittelapplikation kann sich im Rah-men einer Schrankenstörung ein unre-gelmäßiges Enhancement zeigen. Patho-logisch dilatierte Gefäße heben sich durch „flow voids“ in T2-gewichteten Sequen-zen und Kontrastmittel(KM)-Aufnahme nach KM-Applikation in T1-gewichteten Sequenzen vom Liquor- bzw. Myelonsig-nal ab. Ohne MR-Angiographie (MRA) liegt die Sensitivität des MRT für patho-logisch erweiterte spinale Gefäße jedoch lediglich bei 51% [1]. Dagegen können mit

Abb. 2 9 Spinales Kavernom. Umschriebenes flaues Enhancement in der T1-gewichteten Se-quenz nach Kontrastmittelapplikation (a) und Signalminderung in der T2*-gewichteten Se-quenz (b)

Abb. 3 8 Kavernomblutung im Mesenzephalon. In der sagittalen T2-Wichtung (a) Darstellung als runde Raumforderung mit heterogenem Signalverhalten und hypo- bis hyperintensen Anteilen. Ausgeprägte Signalminderung in der T2*-gewichteten Sequenz (b). In der axialen Fluid-attenuated-inversion-recovery(FLAIR)-Sequenz (c) zeigen sich ein deutliches Perifokalödem aufgrund der akuten Blutung sowie periventrikuläre Signalsteigerungen bei Liquoraufstau

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Hilfe der MRA zumindest große arterielle Feeder identifiziert werden [2, 3].

Spinale DSA und endovaskuläre EmbolisationDie genaue Klassifizierung von AV-Mal-formationen und die Therapieplanung er-fordern die selektive spinale digitale Sub-traktionsangiographie (DSA). Diese hat sich u. a. durch die Verwendung neuer Kathetermaterialien und nichtionischer KM zu einer sicheren Methode mit gerin-gem Risiko für neurologische oder syste-mische Komplikationen entwickelt, wie kürzlich in einer retrospektiven Analyse von 302 spinalen Angiographien gezeigt wurde [1]. In der diagnostischen DSA werden der Typ der AV-Malformation be-stimmt und arterielle Feeder sowie Kolla-teralen identifiziert.

Die primäre Behandlungsstrategie spi-naler AV-Malformationen ist die endovas-kuläre Embolisation mit Hilfe von Flüssi-gembolisaten, Coils oder Partikeln [4]. Die Therapieplanung erfordert dabei eine genaue Analyse der Gefäßarchitektur mit Bestimmung des therapeutischen Zielbe-reichs, der okkludiert werden soll. Dieser liegt bei fistulösen AV-Malformationen im Fistelpunkt selbst. Eine proximalere arterielle Embolisation kann über Kol-lateralen zu rezidivierenden Shunts füh-ren und eine distalere venöse Embolisati-on durch die konsekutive Druckerhöhung im proximalen venösen Anteil Blutungen

verursachen. Um dies zu vermeiden, wer-den das distalste arterielle und das proxi-malste venöse Segment mit dem dazwi-schen liegenden Fistelpunkt embolisiert. Neben Kalibersprüngen beim Übergang in das venöse Segment können dabei ve-nöse Aneurysmata oder Ektasien bei der Lokalisierung des Fistelpunkts helfen [5]. Besonders hilfreich sind dabei Rekonst-ruktionen einer dreidimensionalen Ro-tationsangiographie [6]. Bei glomerulä-ren AV-Malformationen ist der Nidus der Zielbereich für eine endovaskuläre Embo-lisation. Dabei können, je nachdem ob die klinische Symptomatik durch eine akute Blutung oder eine venöse Stauung verur-sacht wird, verschiedene Strategien ver-folgt werden. So können bei Blutungen als Blutungsquellen häufig Aussackungen des Nidus in der spinalen DSA lokalisiert und gezielt embolisiert werden. Bei venö-ser Stauung dagegen wird versucht, das Shuntvolumen soweit wie möglich zu re-duzieren. Dabei kann auch eine Teilembo-lisation zu einer Besserung der klinischen Symptomatik führen [5].

Kavernome

Kavernome sind dünnwandige mit En-dothel ausgekleidete Hohlräume. Spinale Kavernome sind weit seltener als zerebrale und machen ca. 5% aller Kavernome aus. Die klinische Symptomatik wird durch akute oder rezidivierende Blutungen,

einen u. U. zunehmenden raumfordern-den Effekt oder toxische Blutabbaupro-dukte verursacht [5]. Einer im Jahr 2010 von Gross et al. [7] publizierten Metaana-lyse von 27 Publikationen zufolge bestan-den die klinische Beschwerden bei symp-tomatischen Kavernomen in 65% der Fäl-le in Gefühlsstörungen, in 63% in Paresen, in 27% in Schmerzen und in 11% in Bla-sen- oder Mastdarmstörungen. Die Sym-ptomatik äußerte sich dabei in akuten, re-zidivierenden oder langsam progredien-ten Verläufen. Die Lokalisation lag am häufigsten im thorakalen, gefolgt vom zervikalen Myelon. Eine positive Fami-lienanamnese für Kavernome zeigte sich in 9% der Fälle. In 27% der Fälle ließen sich beim Vorliegen spinaler Kavernome

Zusammenfassung · Abstract

Radiologe 2012 · 52:424–429DOI 10.1007/s00117-011-2295-7© Springer-Verlag 2012

U. Yilmaz

Spinale Gefäßmalformationen

ZusammenfassungSpinale Gefäßmalformationen sind eine Gruppe seltener Erkrankungen mit unter-schiedlichen klinischen Präsentationen, die vom asymptomatischen Zufallsbefund bis zur progredienten Tetraparese reichen. Dieser Ar-tikel gibt einen Überblick über radiologische Befunde sowie klinische und therapeutische Aspekte von spinalen arteriovenösen Malfor-mationen, Kavernomen und kapillären Tele-angiektasien.

SchlüsselwörterArteriovenöse Malformationen · Kavernome · Kapilläre Teleangiektasien · Spinale Angiographie · Magnetresonanztomographie

Spinal vascular malformations

AbstractSpinal vascular malformations are a group of rare diseases with different clinical presenta-tions ranging from incidental asymptomatic findings to progressive tetraplegia. This arti-cle provides an overview about imaging fea-tures as well as clinical and therapeutic as-pects of spinal arteriovenous malformations, cavernomas and capillary telangiectasia.

KeywordsArteriovenous malformations · Cavernomas · Capillary telangiectasias · Spinal angiography · Magnetic resonance imaging

Abb. 4 8 Kapilläre Teleangiektasie. Flaues retikuläres Enhancement im Pons in der sagittalen T1-Wichtung nach Kontrastmittelapplikation (a). In der suszeptibilitätsgewichteten Sequenz (SWI) lassen sich hier feintubuläre Signalminderungen nachweisen (b)

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auch zerebrale Kavernome nachweisen. Aus den analysierten Daten berechneten die Autoren ein jährliches Blutungsrisiko von 2,5%.

Analysen des Langzeitoutcomes nach Resektionen symptomatischer spinaler Kavernome zeigten klinische Besserun-gen in 54–61% der Fälle, Verschlechterun-gen in 12–30% und unveränderte Sympto-matik in 16–27% der Fälle [7, 8]. Bei feh-lender, vorübergehender oder minima-ler Symptomatik wird daher bei Kaverno-men, die nicht die Oberfläche des Mye-lons erreichen, die abwartende Beobach-tung der Läsion empfohlen. Bei Kaver-nomen mit progredienter oder schwerer Symptomatik oder Kavernomen, die die Oberfläche des Myelons erreichen, wird dagegen die vollständige chirurgische Re-sektion empfohlen [7].

Bildgebung

MagnetresonanztomographieIm spinalen MRT stellen sich Kavernome in den T2-gewichteten Sequenzen in der Regel als heterogene umschriebene hypo- bis hyperintense Raumforderungen mit einem hypointensen Saum dar. Insbeson-dere bei akuten Blutungen kann zudem ein perifokales Ödem durch eine umge-bende Signalsteigerung gefunden wer-den. In T1-gewichteten Sequenzen zei-gen sich durch Blutabbauprodukte ver-schiedenen Alters eingesprenkelte Sig-nalsteigerungen, die häufig als Popcorn- oder Salz-und-Pfeffer-artig beschrieben werden. Nach KM-Applikation kann sich ein flaues Enhancement zeigen. Bezüglich der Größe und Lokalisation von Kaverno-men und dem Erreichen der Oberfläche des Myelons sind Diskrepanzen zwischen MRT- und intraoperativen Befunden be-schrieben. Insbesondere wird die Frage nach dem Erreichen der Oberfläche an-hand von T2-Bildern gelegentlich durch Suszeptibilitätsartefakte falsch-positiv be-antwortet [9]. Mit T2*-gewichteten Se-quenzen können die auch für zerebrale Kavernome typischen Signalminderun-gen nachgewiesen werden (. Abb. 2, 3).

Spinale DSADie spinale DSA bei Verdacht auf ein Ka-vernom erfolgt zum Ausschluss einer AV-Malformation, da sich Kavernome in der

DSA in der Regel nicht darstellen lassen. Selten zeigen sie ein Blushphänomen in der venösen Phase. Ein arterieller Feeder oder eine drainierende Vene zeigen sich nicht.

Kapilläre Teleangiektasien

Kapilläre Teleangiektasien des zentralen Nervensystems (ZNS) sind in der Regel Zufallsbefunde im MRT und bestehen aus einer lokalen Anhäufung dilatierter, aber mikroskopisch normal aufgebauter Kapil-laren [10]. Ihre klinische Relevanz besteht daher v. a. darin, bei ihrer Entdeckung an-dere Läsionen wie Neoplasien oder Ent-zündungen auszuschließen.

Bildgebung

MagnetresonanztomographieBei Betrachtung des gesamten ZNS sind kapilläre Teleangiektasien am häufigs-ten im Pons lokalisiert und haben in über 90% der Fälle eine Ausdehnung von we-niger als 10 mm [10]. In T2-gewichteten Sequenzen können sie sich als feinflecki-ge Signalsteigerungen darstellen. Im na-tiven T1-gewichteten Bild sind sie in der Regel nicht sichtbar. Nach KM-Applika-tion zeigen sie ein flaues retikuläres En-hancement. In T2*- und suszeptibilitäts-gewichteten Sequenzen zeigen sie deutli-che Signalminderungen (. Abb. 4; [11]).

Differenzialdiagnosen spinaler Gefäßmalformationen

Magnetresonanztomographisch können verschiedene neoplastische oder entzünd-liche Erkrankungen durch Signalsteige-rungen des Myelons im Rahmen eines Ödems oder durch die Darstellung dila-tierter spinaler Gefäße bei hypervaskula-risierten Tumoren Ähnlichkeiten mit spi-nalen AV-Malformationen aufweisen.

Da das heterogene klinische Bild der AV-Malformationen einen klinischen Ausschluss erschwert, muss eine AV-Mal-formation in diesen Fällen mit Hilfe einer spinalen DSA ausgeschlossen werden.

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Entzündliche Rückenmarkerkrankungen

Ausgedehnte Signalsteigerungen des Myelons in T2-gewichteten Sequenzen können im Rahmen entzündlicher Er-krankungen wie der Neurosarkoido-se oder der Myelitis transversa auftreten. Bei der Neurosarkoidose zeigt sich dane-ben ein variables durales, leptomengia-les und intramedulläres Kontrastmittel-enhancement. Die Myelitis transversa ist gekennzeichnet durch einen akuten rasch progredienten Verlauf, der bis zur Tetra-plegie führen kann. Im MRT zeigen sich eine zentromedulläre Signalsteigerung des Myelons in den T2-gewichteten Se-quenzen (. Abb. 5) und ein sehr variab-les Enhancement nach KM-Applikation. In einer Untersuchung zur Sicherheit der spinalen Angiographie wurden bei 31% der Patienten, die mit der Verdachtsdia-gnose einer Myelitis transversa behandelt und zum Ausschluss einer AV-Malforma-tion angiographiert wurden, spinale AV-Malformationen festgestellt [1].

Spinale Tumoren

Bei stark vaskularisierten spinalen Tu-moren kann im spinalen MRT die Unter-scheidung zu AV-Malformationen schwierig sein. So können beispielsweise Paragangliome (. Abb. 6), Hämangio-blastome (. Abb. 7) und stark vaskula-risierte Metastasen dilatierte Gefäße mit „flow voids“ aufweisen. Ein dabei zusätz-lich vorhandener nodulärer Anteil könn-te auch für einen Nidus gehalten werden. In der Regel gelingt eine Unterscheidung in Zusammenschau von MRT- und DSA-Untersuchungen. Bei kleineren Läsionen kann jedoch selbst dies schwierig und erst mit Hilfe von Verlaufskontrollen möglich sein.

Fazit für die Praxis

F  Spinale Gefäßmalformationen sind insgesamt seltene Erkrankungen mit unterschiedlichster klinischer Präsen-tation, die im klinischen Alltag zu dif-ferentialdiagnostischen Verunsiche-rungen führen können.

Abb. 6 8 Paragangliom. Noduläre intraspinale Raumforderungen in Höhe L2/3 und L5/S 1 mit unterschiedlichem Signalverhalten. Dilatierte und ge-schlängelte perimedulläre Gefäße am Konus mit „flow voids“ (a) und Enhan-cement nach Kontrastmittelapplikation (b). Im Konus zeigt sich darüber hin-aus eine intramedulläre Signalsteigerung in der T2-Wichtung (a)

Abb. 5 8 Myelitis transversa. Spindelförmig zentromedulläre Signalsteigerung des Myelons in der sagittalen (a) und axialen (b) T2-Wichtung

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Leitthema: Vaskuläre Erkrankungen des Rückenmarks

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F  Bei einem unklaren Myelonödem im MRT sollte eine spinale AV-Malforma-tion mit Hilfe einer DSA ausgeschlos-sen werden.

Korrespondenzadresse

Dr. U. YilmazKlinik für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie, Universitätsklinikum des Saarlandes,Kirrberger Straße 1, 66424 Homburg/[email protected]

Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Literatur

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Abb. 7 8 Hämangioblastom. Der Medulla oblongata dorsal aufsitzende noduläre Raumforderung mit starker Vaskularisie-rung und arterieller Versorgung aus dem V4-Segment der rechten A. vertebralis (a,b). Kräftiges Enhancement in der T1-Wich-tung nach Kontrastmittelgabe (c)

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