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Spirit 01/02 2013

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Ken Wilber und die integrale Bewegung

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DAS MAGAZIN FÜRS WESENTLICHESchweiz 16,80 sfr, übrige EU-Länder 9,40 € 01–02/2013 29. Jg. B 6128

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Seine »Theorievon allem« und die integraleBewegung

Page 2: Spirit 01/02 2013

4 Januar-Februar 1-2/2013 · www.connection.de

JANUAR-FEBRUAR 1-2/2013

S. 44 – 47

Nicht alle Moslems werfen Bomben.Manche lachen, tanzen, spielenKabarett, choreografieren Bühnen -stücke und lehren Körperkunst. WolfSchneider sprach mit einem vonihnen, aber nicht mit »irgendeinemScheich«, sondern mit Sheikh IngoTaleb-Rashid aus einer irakischenSufi-Linie, die bis auf den Prophetenzurückgeht

Ein echter Christ als Papst

S. 48-52

Wie konnte es angehen, dass mit JohannesXXIII. »ein echter Christ« es schaffte, in derkatholischen Hierarchie bis an die Spitze zu

gelangen? »Ein Systemfehler«,schlussfolgert der Theologe und SoziologeAlfred Kirchmayr scharfsinnig und attestiertdem Initiator des »Zweiten Vatikanischen

Konzils« Humor

Ken Wilber und die Integrale Bewegung

Der große Held der spirituellenAvantgarde ist Ken Wilber. Wegeneiner Stoffwechselerkrankung seit

Jahren stark eingeschränkt, scheint erden Höhepunkt seines kreativen

Schaffens hinter sich zu haben. Erhinterlässt uns die erste ernst zu

nehmende »Theorie von allem« derPostmoderne – endlich ein System,

das Wissenschaft und Mystikintegriert – und eine Bewegung, die inseine Fußstapfen tritt, weiterforscht

und seine Thesen anwendet

S. 16 – 42

Ein bayerischer Sufi

„Was ihr in Wirklichkeit sucht,das liegt in euch selbst.“Rumi

Meditation, Weisheitslehre und

Zikhr in der Sufi-Tradition,

mit der Ärztin und Sufi-Lehrerin

Dr. Anja Habiba Engelsing.

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Page 3: Spirit 01/02 2013

www.connection.de · Januar-Februar 1-2/2013 5

3 Editorial

6 Weisheit: Ken Wilber über das Zeugesein

7 Hier und Jetzt: Die Kurzmeldungen

12 »Ich bin ein Handwerker«. Der Karikaturist Gerhard Mester über seine Arbeit

Schwerpunkt: Ken Wilber und die Integrale Bewegung

16 »Eine Theorie von allem«. Wolf Schneider über Ken Wilbers Genie, Größenwahn und intellektuelle Schärfe

20 Ken Wilbers integrale Theorie und Praxis. Eine Einführung von Michael Habecker und Katharina Ceming

24 Spirituelle Krankheiten. Torsten Brügge nennt Fallen, Sackgassen und Irrwege, die einem auf dem spirituellen Weg begegnen können

30 »Ich bin die Wolken«. Der Denker Ken Wilber verweist auf das Undenkbare

31 No-Mind versus Integral-Mind. Torsten Brügge über die Vorzüge und Gefahren des Integralen Modells

32 Das Integrale Modell. Torsten Brügges Schaukarte nach Ken Wilber (IV)

33 Hat die Integrale Bewegung einen Schatten? Maxim Korman sprach mit Frank Visser, einem enttäuschten Wilber-Fan

38 Integral? Johannes Heinrichs untersucht den Denkansatz von Ken Wilber aus der Sicht des deutschen philosophischen Idealismus

54 Blick in das große Mysterium. Der bayerische Sufi Ingo Taleb-Rashid im Gespräch mit Wolf Schneider

48 Johannes XXIII. – ein Papst mit Humor. Alfred Kirchmayr über den »vatikanischen Systemfehler« des Konzilspapstes

54 Karl. Gabriele Palm über einen Naturfreund und Wurzeltyp auf der Reise zu sich selbst

60 WerWasWo

61 Wo sind die wahrhaft Liebenden? Ein Briefwechsel zwischen ReinO Kropfgans und Ursula Huber über den Geschlechterkampf und seine Auflösung

64 Promotion: Inspirationen in Weimar. Barbara Strohschein berichtet von den »Weimarer Visionen 2012«

66 Filme: Auf DVD gibt es die Polit-Komödie Das Schwein von Gaza von Sylvain Estibal, im Kino den Dokumentarfilm Das Lied des Lebens von Irene Langemann

68 Bücher: über Erleuchtung, die Zukunft unseres Planeten, Quantenheilung, Meditation, Jiddu Krishnamurti und andere/s…

72 Leserbriefe: über die Großen und die Kleinen, Religion und Wissenschaft und warum einer das Connection-Heft »von hinten« (bei den Leserbriefen) beginnt

78 Marktplatz

80 Veranstaltungskalender und Inserentenverzeichnis

82 Vorschau/Impressum

, Zeitschrift für Lebenskunst, Weisheit, Humor und ein integrales Verständnis des menschlichen Lebens. Erscheint alle zwei Monate mit einem starken Schwerpunkt. Gegründet1985, ist Connection Spirit die älteste transkonfessionelle spirituelle Zeitschrift auf deutsch.Fachmagazine über Tantra und Schamanismus aus demselben Verlag ergänzen sie.

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20 Januar-Februar 1-2/2013 · www.connection.de

KEN WILBER UND DIE INTEGRALE BEWEGUNG

Vor etwa 40 Jahren begann ein jun-ger Amerikaner die Arbeit an einemBuch, welches das erste Buch in ei-

ner Reihe erfolgreicher Veröffentlichungenwerden sollte. Der Name des Buches, das sichimmer neuer Auflagen erfreut, lautet DasSpektrum des Bewusstseins, und sein Autorist Ken Wilber. Inzwischen gibt es circa 20 Bücher dieses Au-tors und viele Online-Veröffentlichungen,zudem ist mittlerweile eine internationaleintegrale Szene und Bewegung entstanden,deren Zusammensetzung, Vielschichtigkeitund Aktivitäten längst nicht mehr über-schaubar sind. Ein Herzstück der Arbeit Wilbers ist dieErstellung einer »integralen Theorie« undPraxis, der wir uns in diesem Beitrag widmenmöchten.

MICHAEL HABECKER UNDKATHARINA CEMING

Im Jahr 2013 wird sich Connection Spirit verstärkt mit der IntegralenBewegung befassen, die auf den Forschungen von Ken Wilber basiert.In dieser Ausgabe machen Katharina Ceming und Michael Habeckerden Anfang mit einer Einführung in Wilbers Theorie und Praxis. Einpassendes Schaubild zu Wilbers Grundmodell der vier Quadranten

findet ihr auf den Seiten 32/33 in diesem Heft

Ken Wilbersintegrale Theorie

und PraxisEine Einführung

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KEN WILBER UND DIE INTEGRALE BEWEGUNG

AQAL

Ken Wilber unterscheidet in seiner integra-len Theorie und Praxis fünf Elemente, die ermit AQAL (all quadrants, all levels) abkürzt:»alle Quadranten, alle Entwicklungsebe-nen, alle Entwicklungslinien, alle Zustände,alle Typen«. Dies sind fünf Wirklichkeitska-tegorien des Wissens und Seins, die nach Wil-ber das Mindeste sind, was benötigt wird,um Wirklichkeit verstehen zu können. Stel-len wir sie nacheinander vor, ohne dabei zuvergessen, dass diese fünf Hintergrund-strukturen in jedem Augenblick unseres Le-bens miteinander zusammenwirken. Beginnen wir mit den Quadranten (Abb. 1). Aus der einfachen Unterscheidung von in-nerlich/äußerlich und individuell/kollektivergeben sich vier »Quadranten«, die laut Wil-ber von Anfang an eine Grundstruktur vonManifestation darstellen: Wo ein Innen ist,da ist auch ein Außen (und umgekehrt), undwo etwas Individuelles ist, da gibt es auchetwas Kollektiv-Gemeinschaftliches (undumgekehrt). Diese Quadranten sind sowohldie Grundperspektiven, mit denen Menschenund alle Lebewesen Welt wahrnehmen, undsie sind gleichzeitig vier Grundperspektiven,mit denen auf »alles« geschaut wird. Auf einen Menschen angewendet, ergebensich daraus vier Menschenbilder (Abb. 2).Welches ist richtig? Im Kontext der Inte-gralen Theorie sind alle richtig, wenn auchnur teilweise, und es geht darum, sie mitein-ander zu verbinden. Folgerichtig lassen sich danach auch – nachWilber – alle Erkenntnisweisen der Mensch-heit zuordnen und als gleichberechtigt be-trachten, als unterschiedliche Erkenntnis-wege zu einer Wirklichkeit. Damit werdenAbsolutismen wie Subjektivismus (»meinBewusstsein bestimmt die Welt«), Objekti-vismus und Atomismus (»nur Materie istwirklich real«), extremer Konstruktivismus(»alles Wissen ist relativ, weil kulturell kon-struiert«) und Systemismus (»alles ist Sy-stem«) vermieden (Abb. 3).

Integraler Philosoph

Von vielen Zuschreibungen ist das Etikettdes Philosophen für Wilber sicher das häu-figste. Als solcher macht er das, was alle Phi-losophen und Philosophinnen zu allen Zei-ten getan haben: Sie sind bemüht, sich selbstund ihren Mitmenschen die Welt, in der sieleben, zu erklären. Wilber ist da keine Aus-nahme, und seine integrale Theorie ist dasModell seiner Weltbeschreibung. Was heu-tigen und zukünftigen Philosophen dabei zu-gute kommt, ist eine Verfügbarkeit von Wis-sen per Mausklick, das zu früheren Zeitenundenkbar war. Jetzt geht es, so könnte mansalopp formulieren, nur noch darum, diesesWissen zu ordnen und Muster, Strukturenund Zusammenhänge darin zu erkennen.Und darin hat es Wilber zur Meisterschaftgebracht. Stellen wir uns ein Spiel vor, des-sen Regeln wir nicht kennen, wie z.B. dasSpiel des american football.Wir schauen zu,sehen, wie sich die Spieler bewegen, undden noch sehen wir nur einen bunten Ab-lauf von Ereignissen. Wir bemerken Tau-sende von Einzelheiten, verstehen das Spieljedoch nicht und kommen vielleicht auch garnicht auf die Idee, dass darin ein tieferer Sinn(oder eine Ordnung) verborgen liegt. Viel-leicht wundern wir uns über bestimmte wie-derkehrende Ereignisse, Regelmäßigkeitenund eine Art geheimnisvoller Regie undfragen uns, ob nicht doch mehr dahintersteckt als nur ein bunter Reigen von Ereig-nissen. Dieses Wundern und die Suche nachden verborgenen Regeln und Mustern nichtnur eines Spiels, sondern der Manifestationinsgesamt mit all ihren Aspekten, ist das, wasWilbers Arbeit ausmacht.

Differenzierung, Integrationund das Spiel des Lebens

Dabei hat er nicht bei Null angefangen, son-dern in einer jahrzehntelangen Fleißarbeitdas zusammengetragen, was andere aus den

unterschiedlichsten Erkenntnisdisziplinendazu bereits geleistet haben, um dann zuschauen, wie alle diese Welt- oder Seinser-klärungsmodelle, derer Wilber habhaft wer-den konnte, zusammenhängen (falls sie esüberhaupt tun). In einer enormen Differen-zierungsleistung hat er in einer »integralen«Synthese Zusammenhänge entdeckt, die sound in dieser Zusammenschau bisher nochvon niemandem beschrieben wurden. Wozusoll das gut sein, könnte man fragen? »Esmacht einfach mehr Spaß, an einem Spiel teil-zunehmen, dessen Regeln man kennt«, könn-te die Antwort lauten. Und das gilt für alleSpiele, unabhängig davon, ob das Spiel nun»american football«, »zwischen mensch licheBe ziehung«, »Spiritualität«, »Weltwirtschafts-system«, »Politik«, »Konflikt«, »Sinn des Le-bens«, »Ökologie« oder anders heißt. So ge-sehen ist Wilbers Arbeit ein Projekt der Freu-de, der Freude am Dasein und an der be-

wussten Beteiligung am »Spiel des Lebens«. Dabei geht es, um ein verbreitetes Missver-ständnis im Zusammenhang mit der ArbeitWilbers anzusprechen, nicht darum, »alles«zu wissen. Wie sollte das gehen? Ich weiß janoch nicht einmal genau, was hinter meinemRücken oder in meinem Bewusstsein vor sichgeht, geschweige denn, was überall in derWelt oder sogar im Universum geschieht. Er-kenne ich jedoch mehr und mehr die Grund-strukturen, Muster und »Spiel«regeln, nachdenen die Phänomene (und Ereignisse) mei-nes (und des) Lebens ablaufen, dann vertieftsich mein Verständnis darüber, und es er-weitern sich meine gestalterischen Freihei-ten und, damit verbunden, auch meine Be-wusstheit und Verantwortung. Dies ist dasZiel aller Wissenschaft und Erkenntnis. Esnimmt dem Leben nichts von seiner Viel-falt, Buntheit, Freiheit und seinem Myste -rium, doch es erhellt den Bereich, den wirverstehen können, und verhilft uns dazu, un-ser Leben und unsere Welt schöner, verant-wortlicher, solidarischer und auch nachhal-tiger zu gestalten.

Unendlich viel Wissen ist

heute per Mausklick

verfügbar. Jetzt geht

es darum, dieses Wissen

zu ordnen

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Individuell

Kollektiv

subjektiv objektiv

inter-objektiv

inter-subjektiv

Individuell

Kollektiv

Der Mensch istein bewusstesund empfinden-

des Wesen

Der Mensch istein biologischesVerhaltens objekt

Der Mensch istTeil von Systemen(Umwelt, Ökologie,Wirtschaft, Politik

Der Mensch istein soziales

Beziehungswesen

Inne

rlich

Inne

rlich

Äußerlich

Äußerlich

Abb. 1: Die vier Quadranten als Perspektiven von und auf Wirklichkeit

Abb. 2: Vier Menschenbilder

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22 Januar-Februar 1-2/2013 · www.connection.de

KEN WILBER UND DIE INTEGRALE BEWEGUNG

Die »vier Quadranten« sind sehr verbreitet.Gibt man »quadrants« in Google ein, er-scheint dort unter »Bilder« eine Vielzahl vonQuadrantendarstellungen. Menschen be-trachten ihr Leben und ihre Arbeit durchdiese Perspektiven und erleben dadurchviel fältige Bereicherungen. Ein sehr direkter Zugang ist das Hinein -spüren in Fragestellungen wie: • Wie geht es mir mit mir selbst? (Wie gehtes mir damit, ein empfindendes Wesen zusein?)

• Wie geht es mir mit anderen? (Wie gehtes mir damit, ein Mensch-in-Beziehungenzu sein?)

• Wie geht es mir mit meinem Körper undmeinem Verhalten?

• Wie geht es mir damit, Teil von Systemenzu sein (Lebens- und Arbeitssituation,Wirtschaft, Politik usw.)?

Entwicklung

Die Bedeutung des Themas Entwicklung,vor allem der Bewusstseinsentwicklung,wurde durch Wilbers Arbeit einer breite-ren Öffent lichkeit zugänglich. Viele Men-schen kennen mittlerweile die »Farben« vonEntwicklungsmodellen wie Spiral Dyna-mics, was zum Teil zu sehr oberflächlichenund auch unverantwortlichen Zuordnungenführt. So werden z.B. Menschen, die die Be-deutung von Familie betonen, schnell als»blau« charakterisiert, da blau im Modellvon Spiral Dynamics die Farbe ist, die fürtraditionelle Werte steht.Bei aller Kritik eines allzu leichtfertigenUmgangs mit dem Thema bleibt doch dieBedeutung festzuhalten, welche die Einbe-ziehung des Entwicklungsaspektes für alleThemen des Wissens und Seins hat. Wir sindsich entwickelnde Wesen in einem sich ent-wickelnden Universum, und das gilt es(auch) zu verstehen und zu berücksichtigen. Die Verbindung von Quadranten/Perspek-tiven und Entwicklung führt zu Darstellun-gen wie Abb. 4, aus der ersichtlich ist, dasses

a. nicht nur eine Entwicklung gibt, sondernwir uns

b. in unterschiedlichen Kompetenzen (undIntelligenzen) entwickeln (wie Identität,Kognition, Verhalten, Ethik usw.), und dassauch das Phänomen Entwicklung indivi-duell/kollektiv und innerlich/äußerlich zuunterscheiden ist. Alle vier Aspekte, alseine

c. weitere Erkenntnis, beeinflussen sichwechselseitig und entwickeln sich mitein-ander in einer »Tetra-Evolution«.

Neben den unterschiedlichen »Linien« vonEntwicklung spricht Wilber auch noch von»Ebenen« als dem gemeinsamen Nenner derunterschiedlichen Linien. Man hat bei-spielsweise herausgefunden, dass sich beialler Unterschiedlichkeit die meisten Kom-petenzen der Menschen in einer Ebenen-Fol-ge präkonventionell – konventionell – trans-konventionell entfalten. Zuerst machen wiretwas irgendwie (z. B. Sprechen als Brab-beln), dann lernen wir das Sprechen so, wiewir es gesagt bekommen, und dann könnenwireine weitergehende und über das Ge-lernte hinausgehende eigene Sprachkom-petenz entwickeln.

Typen

Typen werden nicht annähernd so oft er-wähnt wie Quadranten und Entwicklung,doch sie sind als Basiskategorie gleicher-maßen wichtig, weil Typen (oder Typolo gien)uns daran erinnern, dass Wirklichkeit nichtnur hierarchisch (oder besser holarchisch),sondern auch heterarchisch aufgebaut ist.Während wir bei echten Entwicklungsab-folgen von »mehr oder weniger komplex«oder »mehr oder weniger bewusst« sprechenkönnen, sind Typen gleichberechtigt, gleich-wertig und anders, aber nicht besser oderschlechter. Typen werden in Merkmalsaus -prägungen unterschieden, z. B: 2er Typologien wie Yin/Yang, maskulin/femi-nin, introvertiert/extrovertiert

3er Typologien wie Das Wahre/Schöne/Gute,die Dreifaltigkeit Gottes, die ayurvedi-schen Ernährungstypen vatta, pitta undkapha

4er Typologien wie die Elemente, die Him-melsrichtungen

5er Typologien wie die fünf chinesischen Ele-mente

7er Typologien wie Wochentage8er Typologie wie Myers Briggs9er Typologien wie das Enneagramm12er Typologien wie Astrologie38er Typologie wie Bachblüten

Es gibt nicht die integrale Typologie, sonderndie integrale Theorie und Praxis macht sichden teilweise schon sehr alten Erfahrungs-schatz von Typisierungen der Menschheit zu-nutze und setzt Typen je nach Aufgabenstel-lung ein. Auch Typen lassen sich durch dieQuadranten betrachten, und es gibt Typen inallen Quadraten. Die Unterscheidung vonVertikale (Entwicklung) und Horizontale(Typen) ist wesentlich für ein Weltverständ-nis und bestimmt (meist unreflektiert) wei-te Teile gesellschaftlicher Kontroversen. Wasist besser/schlechter, und was ist lediglich an-ders und alternativ? Wenn aus echten Ty-pen (wie Hautfarben) Hierarchien gemachtwerden, entstehen Rassismen und Totalita-rismen jeglicher Art, und wenn aus echtenHierar chien Typen gemacht werden, ist dasErgebnis Egalitarismus (Mitgefühl ist dannnicht besser als Mord, sondern lediglich an-ders und alternativ). Die integrale Theoriestrebt die Vermeidung von beidem an.

Zustände

Während Quadranten, Entwicklung und Ty-pen für allgemeine Kategorien stehen, erin-nert uns das fünfte AQAL-Element »Zu-stände« (engl. states) daran, dass sich in alldiesen Kategorien Inhalte befinden, die wirauch schon angesprochen haben. Zuständestehen für die Veränderlichkeit und das »al-les fließt« eines sich entwickelnden Univer-sums von Augenblick zu Augenblick, inner-lich und äußerlich, individuell und kollektiv,

Es geht bei Wilber nicht

darum, »alles« zu wissen.

Wie sollte das auch gehen?

Individuell

Kollektiv

PhänomenologiePsychologie

Strukturalismus

Physik, ChemieBiologie

NeurologieVerhaltens -forschung

System -wissenschaften

ÖkonomieÖkologie

HermeneutikKulturelle Soziologie

Inne

rlich

Äußerlich

Abb. 3: Quadranten als Erkenntnisperspektiven

Individuell

Kollektiv

Inne

rlich

Äußerlich

Abb. 4: Quadranten und Entwicklung

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www.connection.de · Januar-Februar 1-2/2013 23

KEN WILBER UND DIE INTEGRALE BEWEGUNG

in unterschiedlichen typologischen Ausprä-gungen. Wilber unterscheidet a. phänomenologische Zustände (wie Freu-de, Trauer, Langeweile usw.), physiologi-sche Zustände und systemische Zustände

b. außergewöhnliche Zustände (die als Er-gebnis bestimmter Methoden wie Medi -tation oder Extremsport eintreten und

c. die Hauptzustände des Seins mit Wachen,Träumen und traumlosen Tiefschlaf.

Diese in der Erläuterung etwas trockenenfünf AQAL-Kategorien werden in der An-wendung auf konkrete Themen, wie sie imRahmen dieser Veröffentlichungsreihe derConnection vorgesehen ist, sehr viel leben-diger werden.

Wie geht es weiter?

Die Publikationen Wilbers, insbesondere seinintegrales Modell, haben eine enorme Ver-breitung gefunden und zu einer Vielzahl vonanwendungsorientierten Veröffentlichungengeführt, auch im deutschsprachigen Raum. Ob»Integrale Beziehungen«, »Integrale Medi-zin«, »Integrales Tantra«, »Integrale Politik«oder »Integrales Business«, unzählige Men-schen sind durch Wilbers Arbeit inspiriert undnutzen die von ihm formulierten Modelle fürihr Leben. Parallel dazu wächst, wenn auchnoch im Verborgenen, ein akademisches In-teresse daran, und hin und wieder wird Wilberauch durch den Main stream wahrgenommen. Aufgrund einer Stoffwechselerkrankungwird Wilber selbst voraussichtlich keine neu-en Bücher mehr veröffentlichen können. Esliegt jetzt, nach seinen Worten, an uns, die in-tegrale Theorie und Praxis weiter voranzu-bringen. Die Veröffentlichungsreihe in derConnection ist ein weiterer Schritt dazu.

Ist das alles?

Nehmen wir an, die von Wilber entwickelteintegrale Landkarte, oder auch ein andererVersuch von Wirklichkeitsbeschreibung, wä-re in etwa ein zeitgemäßes Instrument, Wirk-lichkeit umfassend zu beschreiben, und neh-men wir weiterhin an, es gelingt durch einekritische Diskussion und Forschung, die Land -karte und die Praxis weiterzuentwickeln undmit dem Wissensfortschritt auf dem jeweilsaktuellen Stand einer Zeit zu halten – ist dasalles, was es zu erkennen gilt, oder ist da nochetwas anderes? Bereits in seinem ersten BuchSpektrum des Bewusst seins hat Wilber, der sel-ber seit Jahrzehnten ein spirituell Praktizie-render ist, darauf hingewiesen, dass die Weltder Formen und Manifestationen lediglich ei-ne Seite einer nicht-dualen Medaille ist, de-ren andere Seite die der Leerheit oder Ab-solutheit ist, welche sich jeder Kategorisie-rung, einschließlich dieser, entzieht. Mit einem Hinweis auf dieses Unnennbareim O-Ton von Ken Wilber möchten wir die-se Einführung beschließen:

»Göttlichkeit hat ein letztes Geheimnis, wel-ches sie jedem ins Ohr flüstert, wenn derGeist ruhiger wird als Nebel bei Sonnenun-tergang: Der Gott dieser Welt wird innengefunden, und du weißt, dass er innen ge-funden wird – in jenen lautlosen stillen Au-genblicken, wenn der Geist sich beruhigt, derKörper sich in der Unendlichkeit entspanntund die Sinne sich ausdehnen, um eins mitder Welt zu werden – in jenen schimmern-den Augenblicken treten ein subtiles Leuch-ten, ein heiterer Glanz, eine brillant trans-parente Klarheit hervor, als die wahre Na-tur aller Manifestation, immer und immerwieder herausbrechend, in einem mitfüh -lenden Glanz, vor dem sich alle Vorbilderzurückziehen, eine Liebe, die so unbändig ist,dass sie sowohl Licht als auch Dunkel, Gutals auch Böse, Vergnügen und Schmerz glei-chermaßen in Bewunderung umarmt.

Das bist du!

Die Hinweise, Gott zu finden, sind einfach:Entspanne Geist und Körper; schau mit Ver-ehrung und Hingabe in das Herz; fühle dieStrahlung von Licht und Liebe, die deinenganzen Körper und deinen gesamten Geistdurchdringt, und in aller Natur und jeder Na-tion überall ist. Ein Strom von leuchtendemMitgefühl erschafft und erhält den gesamtengrobstofflichen und manifesten Bereich, einStrom mit sehr vielen Namen – der HeiligeGeist, Sambhogakaya, Saguna Brahman, Ar-wah oder die göttliche Luminosität, Keter,der subtile Körper.Es ist ein Strom, der über -all einfach der Klang deines schlagendenHerzens ist, in Einklang mit dem Pulsierender Welt. Du kannst nicht nach diesem Geist (engl. spi-rit, im Gegensatz zu mind)Ausschau halten,denn er ist es, der schaut. Du kannst diesenGeist nicht sehen, denn er ist es, der sieht.Du kannst diesen Geist nicht finden, denn erist es, der findet. Wenn du das verstehst, dann

hat der Geist verstanden, wenn du das nichtverstehst, dann ist es der Geist, der nicht ver-steht. Verstehe es oder auch nicht, gerade dasist Geist.Die erstaunliche, geheime und letzte Wahr-heit beginnt heraufzudämmern: Der erleuch -tete Geist – der reine Geist selbst – ist nichtschwer zu erlangen, sondern unmöglich zuvermeiden. Wie kannst du jemals ohne die-sen Geist gewesen sein, der gerade jetzt die-sen Satz liest?Zeige mir das Selbst, das du vor dem Urknallhattest, und ich werde dir den Geist des ge-samten Kosmos zeigen. Und dieser reine,zeitlose, formlose Geist: Das bist du!«

Quellen und Hinweisedeutschsprachig:• Zu Ken Wilber: www.integralesleben.org/il-home/

il-integrales-leben/ken-wilber/• Zu Wilbers Gesundheit: www.integralesleben.org/

il-home/il-integrales-leben/ken-wilber/ken-wilber-ueber/seine-gesundheit/

• Glossar zum Integralen:www.integralesleben.org/fileadmin/user_upload/INTEGRALES_LEBEN/Grundlagen/IF-Was_ist_integral_Glossar.pdf

• Grundlagen des Integralen: www.integralesleben.org/il-home/il-integrales-leben/grundlagen-des-integralen/

• Pointing out Instruktion »Von dir zur Unendlichkeit...«: www.integralesleben.org/il-home/il-integrales-leben/meditation/meditation-interaktiv/

• englischsprachig:Ken Wilbers Homepage: www.kenwilber.com/IntegralLife: www.integrallife.com/

In unseren folgenden Ausgaben schreiben KatharinaCeming und Michael Habecker über die Themen:Spiritualität, Lehrer/innen, Psychologie, Wirtschaft undGeld und Sexualität, jeweils aus integraler Perspektive.Auch andere Beiträge von Connection werden sich,speziell im Jahr 2013, mit dem Integralen befassen –nicht durchgehend, aber immer wieder.

Wie kannst du jemals ohne

diesen Geist gewesen sein,

der gerade jetzt diesen

Satz liest?

MICHAEL HABECKER, Autor,Seminarleiter, Musiker undPädagoge. LangjährigeBeschäf tigung mit der inte-gralen Theorie und Praxis.Co-Autor des Buches Wissen,Weisheit, Wirklichkeit.

PROF. DR. DR. KATHARINACEMING, Jg. 70, promoviertein Philosophie zu MeisterEckhart und Johann GottliebFichte und in Theologie zumVerhältnis von Menschen -rechten und Religion. 2008erhielt sie den Mystikpreisder Theophrastus Stiftung.

Sie lebt als freie Seminarleiterin und Publizistinin Augsburg. www.quelle-des-guten-lebens.de

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44 Januar-Februar 1-2/2013 · www.connection.de

SUFISMUS

Hallo Rashid, du bist in Bayern aufgewachsenals Sohn einer polnischen Mutter und eines ausdem Irak eingewanderten Vaters – was für eineinteressante Mischung! Wo ist, mit diesen sodiversen Wurzeln, heute deine kulturelle Hei-mat?Meine Mutter ist deutsch-polnischer Her-kunft, aber in Polen zur Welt gekommen undaufgewachsen. Die Familie meines Vaters hatzum Teil Wurzeln in Zentralasien. Die StadtBuchara in Usbekistan ist da ein wichtigerBezugspunkt für uns.

WOLF SCHNEIDER SPRACH MIT DEM SUFI-SHEIKH INGO TALEB-RASHID

In den christlichen Kulturen wird das Bild einesaggressiven Islam gepflegt als eine Bedrohung für den

liberalen Westen. Dieses Bild passt aber nur auf eine kleineMinderheit von Muslimen. Verkannt wird dabei, dass zum

Islam auch die Sufis gehören, ein mystischer Zweig diesergroßen Weltkultur, der auch in Deutschland durch einigeZentren vertreten ist. Eines davon ist die im Chiemgauansässige El Haddawi Schule für Tanz, Kampfkunst undKörperarbeit, die von Ingo Taleb-Rashid geleitet wird,

einem aus dem Irak stammenden Sufi-Sheikh inununterbrochener Familienlinie seit etwa 1400 Jahren

Ein bayerischer Sufi lehrt Körperkunst und liebt den Humor

Blick in das

Große MysteriumTanztheater Warrior Soul,

Theater Belacqua, Wasserburg am Inn, 2006

Page 9: Spirit 01/02 2013

www.connection.de · Januar-Februar 1-2/2013 45

SUFISMUS

nen von Göttern gibt. Ich habe ihm dann imScherz geantwortet: Wir haben nur einenGott! Doch darauf kommt es nicht an ... DasGöttliche liegt wohl jenseits dieser Katego-rien.

Bei euch hat Gott immerhin 99 Namen! Die Fa-cetten des Göttlichen, denen in der antiken grie-chischen oder heutigen indischen Götterwelt ei-gene Figuren gegeben wurden. Und: 70 Prozent,das ist immerhin schon ganz schön viel! Ich weißnicht, wie gut das alte Testament der Bibel da-bei abschneiden würde. Aber jetzt mal wiederzurück zu dir: Du leitest als Naqshbandi Sufi-Sheik die El-Haddawi-Schule im Chiemgau, dienicht nur sufische Atem- und Ekstase-Techni-ken anbietet, sondern auch Körperarbeit, Tanzund Martial Arts. Warum so viel Körper?Die 99 Namen sind ein Symbol für unend-lich weitere Eigenschaften des Göttlichen.Den Vergleich mit der griechischen und in-dischen Götterwelt finde ich sehr treffend.Nun zur Frage nach dem Körper: Ich stam-me aus der Naqshbandi-Rashidiya Sufi-Tra-dition. Diese ist eine Linie innerhalb derweit läufigen Naqshbandi-Tradition. Dietech nische Eigenart der Naqshbandi ist dieMeditation und Atemarbeit in der Stille. Da-zu kommt die spezielle Ausprägung unsererLinie, die Körperarbeit, oder etwas poeti-scher gesagt: die Körperkunst. Wir sprechenin unserer Tradition von drei Toren zur Hei-lung oder Ganzwerdung: Körper, Energieund Geist. Alle diese drei Komponenten sindmit dem Atem verbunden.Unser Körper ist das Eintrittstor, über dasjede Form von Entwicklung geschieht. Esgibt keinen Vorgang in uns, der nicht auch

Kulturell fühle ich mich in Bayern zu Hau-se. Ich bin in München zur Welt gekommenund zu einem großen Teil hier aufgewach-sen. Im Rest Deutschlands erkennt man michanhand meines Dialektes meist als Bayer.Das ist aber nur ein Teil von mir. Auch dieKultur, Spiritualität und Atmosphäre des Na-hen Ostens haben für mich eine sehr starkeheimatliche Qualität.Ich habe einen Teil meiner Kindheit in Bag-dad verbracht und als junger Erwachsenereinige Zeit im Nahen Osten. Darüber hin-aus habe ich einige Zeit in Japan und einigeZeit in Brasilien gelebt. Zwei sehr gegen -sätzliche Orte, die beide für mich ebenso dasGefühl von Heimat beinhalten. Eigentlichfühle ich mich als Weltbürger.

Deine Verortung als Weltbürger ist mir sehrsym pathisch, und auch das Spezifische: der Be-zug zu Bayern, zum Nahen Osten, zu Japan undzu Brasilien. Und ich weiß, dass du Zen magstund praktizierst, außerdem die brasilianische Artdas Leben zu feiern sehr schätzt und ein sehrfreiheitlicher Geist bist – wie passt das damit zu-sammen, dass du Moslem bist? Was bedeutet dasfür dich?Warum soll ein Moslem nicht gerne feiern,Zen praktizieren, mit einem Bier am Chi-nesischen Turm sitzen und vieles mehr? Hierstellt sich die Frage: Was ist ein Moslem? Da-zu ein kurzer Ausflug in die arabische Spra-che: Diese ist auf Konsonanten aufgebaut.Die Vokale dazu ergeben dann verschiede-ne Bedeutungen innerhalb einer Wortfami-lie. Das Wort Moslem, auf Arabisch Muslimgeschrieben, besteht aus den KonsonantenS L M und einer Vorsilbe »Mu«. Die drei

Konsonanten kommen auch in dem Wort Sa-LaM vor, das ist das Wort für Frieden (aufHebräisch ähnlich »SHaLoM«), oder auchin iSLaM – Hingabe an den Frieden und andas Göttliche. MuSLiM is jemand, der so gutwie möglich versucht, sich dem Frieden hin-zugeben und sich zu entwickeln. Das be-deutet in erster Linie, Frieden in sich und fürsich selber zu suchen. In diesem Sinne füh-le ich mich als MuSLiM.Im Koran wird in etwa 70 Prozent der Text-stellen mit »Muslim« ein Mensch benannt,der nach Entwicklung strebt. Damit ist nichtdie Zugehörigkeit zu einer bestimmten oder»richtigen« Religion verbunden. In diesemSinne kann ich auch Buddhisten, Juden,Chris ten, oder Menschen ohne bestimmteReligion als Muslime verstehen. Ein guterFreund von mir in Japan ist Shinto-Priester.Er hat mir erklärt, dass es im Shinto Millio-

»Im Koran wird in etwa

70 Prozent der Textstellen

mit ›Muslim‹ ein Mensch

benannt, der nach

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Gassan Festival, Dewa-San-Zan, Japan, 2005

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46 Januar-Februar 1-2/2013 · www.connection.de

SUFISMUS

ein körperlicher Vorgang ist. Über Jahrtau-sende hat der Sufismus Techniken entwickelt,die uns helfen, das Potential unseres Körpersauszuschöpfen und mit diesem »Tempel«, derer ja eigentlich ist, heilsam und kreativ um-zugehen. So sind auch die Atem- und Me-ditationstechniken Körperübungen.Darüber hinaus gibt es eine große Zahl vonso genannten »magischen Schritten und hei-ligen Tänzen«, die in unserem Training geübtwerden. Diese Bewegungsformen werden wieeine Art von Medizin zur Heilungsunter-stützung bei verschiedenen körperlichen undseelischen Problemen benutzt. Sie spiegelndie Eigenschaften des Göttlichen wider undmanifestieren deren Kraftim Übenden.Schließlich nutzen wir un-ser Training und machenprofessionelles Tanzthea-ter. Mit den Aufführungenschaffen wir gemäß sufi-scher Tradition ein Werk-stück, das die Arbeit nachaußen sichtbar macht. Jedeunserer Tanztheater-Pro-duktionen ist für die Auf-führenden eine spirituelleReise und macht Aspektedieser Reise für das Publi-kum zugänglich.Noch ein Wort zu den Ek-stase-Techniken. Vielleichtist dieser Ausdruck etwasungenau. Im Sufismus spre-chen wir von verschie de -nen Bewusstseins- oderPräsenz zuständen, die imArabischen »Hal« genannt werden. Die Band-breite geht von stiller Versenkung bis zu freu-diger Erregung. Gerade mit unserer Tanz-theaterarbeit versuchen wir, die Zuschaueran diesen »Hal« teilnehmen zu lassen.

Tanz, Theater und freudige Ekstase, das grenztfür mich an ein anderes Thema, das in den ver-gangenen Jahren für mich zu einem zentralen Le-bensinhalt geworden ist: Humor. Ich weiß, dassHumor auch für dich eine bedeutende Rolle spielt.Ich glaube, wir haben dazu einen ähnlichen Be-

zug und sind ja damit auch schon ein paar Malzusammen auf der Bühne gestanden, zum Bei-spiel im Herbst 2011 in dem durch Doris DörriesFilm »Ob’s stürmt oder schneit« berühmt gewor-denen »Marias Kino« in Bad Endorf. Der Islam ist nun weithin als humorfeindlich be-kannt, insbesondere was Darstellungen von Mo-hammed anbelangt, im Gegensatz etwa zum Bud -dhismus, der generell kaum ein Problem damithat, Witze über Buddha zu machen und ihn auchvisuell zu karikieren. Auf der anderen Seite ste-hen die Sufis mit ihren witzigen Sufi-Geschich-ten und Figuren wie Mullah Nasruddin, das istein so abgründig tiefer Humor, so paradox undur komisch, ähnlich wie Geschichten und Figurenaus dem Zen und dem Taoismus – wie stehst duals Muslim und aktiver Sufi-Sheik dazu?Für mich gehören Humor und Spiritualitätzusammen. Um dem Islam etwas die Stangezu halten, möchte ich erwähnen, dass ich den-ke, der Islam per se ist nicht humorfeindli-cher als andere Hochreligionen. In den Me-dien werden aber leider immer diejenigenwahrgenommen, die am lautesten schreien.Dazu kommt, dass sich tatsächlich in der is-lamischen Welt eine Radikalisierung voll-zieht, die aber eher kulturelle, historische undmachtpolitische Gründe hat, deren Wurzelnin der Kolonialzeit liegen.Wie du mit dem Beispiel von Mullah Nas-ruddin erwähnt hast, ist Humor im Sufismus

ein sehr integrierter Teil des menschlichenDaseins. Das gilt übrigens auch für die jü-disch-chassidische Mystik.Der Sufismus fordert den Übenden heraus,einen unüblichen Standpunkt einzunehmenund sich selber mit gesunder Distanz zu se-hen. Humor ist hier das Mittel der Wahl.Wir beide haben ja schon öfters auf der Büh-ne gezeigt, dass wir über uns selber lachenkönnen. Selbstironie scheint mir eine Grund-lage für Entwicklung zu sein. In unseremTraining in unserer Schule mache ich auch

»Unser Körper ist das

Eintrittstor, über das

jede Form von

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Page 11: Spirit 01/02 2013

www.connection.de · Januar-Februar 1-2/2013 47

SUFISMUS

immer wieder allerlei Unfug. Manchmal ver-störe ich damit die Trainierenden, aber häu-figer erfreue ich die Menschen, die mit unsüben. Mir selber tut es auch gut. Im Übrigenist Lachen erwiesenermaßen einfach gesund.

Nun noch eine Frage zu der Veranstaltung, diedu alle Jahre wieder auf der Fraueninsel imChiemsee abhältst: die »El Haddawi Winter-school«. Sie findet im kommenden Februar nunzum 13. Mal statt – und zur magischen Zahl 13passend hast du das Thema gewählt: »Mystik undAberglaube – Spirituelle Führung oder Ver-führung«. Diesmal bin ja auch ich dort dabei,als Co-Referent und Mitorganisator, und werdemich mit dir zusammen von der Zahl 13 verführenlassen, von unseren Gastdozenten Willigis Jäger,Gisela Drescher und Katja Held ebenso wie vomCharme der weiteren Teilnehmer an dieser Win-terschool – Führung und Verführung, das ist jaimmer so eine verflixte Sache: Wenn es gut aus-geht, wohin wir mit einem Wegweiser gelangen,nennen wir es Führung, andernfalls – und auch,wenn es schillert – Verführung. Und so ähnlichist es mit dem Glauben: Den Glauben der ande-ren, der mir nicht passt, nenne ich »Aberglau-be«.Mit dem Glauben ist das so eine Sache: Mirbegegnet Aberglaube häufig in der Bühnen -arbeit. Man sagt gerne, die zweite Vorstel-lung am Tag nach der Premiere wird immerbesonders schlecht, oder vor der Premiere

soll man sich nicht viel Glück wünschen undvieles mehr in der Richtung. Die Praxis bestätigt das nicht. Mit Religio-nen und Spiritualität verhält es sich wohlähnlich. Die einen glauben an die Geburt vonJesus aus der Jungfrau Maria, der Islam übri-gens auch, die anderen halten das für Aber-glauben. Die einen trinken das Wasser, indem die Füße des Meisters gebadet wordensind, die anderen finden diese Vorstellungekelig. Viele Glaubenssätze und Aberglau-benssätze sind Jahrhunderte alt. Die schöneVorstellung vom gütigen und stra fendenHimmelsvater mit langem wei ßem Bart istin Europa fast schon genetisch verankert.

Vielleicht brauchen wir alle den Mut, einenSchritt in den Raum der Erfahrung zu tun.Der Sufismus wie auch andere Wege derMys tik bieten dazu Techniken und Metho-den an.Trotzdem sind wir alle nicht gegen Aber-glauben gefeit. Was bedeutet zum BeispielErwachen oder Erleuchtung? Da sind großeFallen aufgestellt. Die kann der/die Suchen-de nur mit gesundem Menschenverstand,Übung, Humor und einer gewissen Demutumgehen. In der Winterschool versuchen wir, diese Pro-blematik zu thematisieren und sowohl Er-fahrungen als auch Glaubenssätze auszu-tauschen. Vielleicht gelingt es uns, unsere Po-sitionen zu relativieren und gemeinsam ei-nen Blick in das große Mysterium zu werfen,das da draußen und auch in uns existiert.

»Humor ist im Sufismus

ein sehr integrierter Teil

des menschlichen Daseins.

Das gilt übrigens auch

für die jüdisch-chassidische

Mystik«

INGO TALEB-RASHID, Jg. 63,ist ein aus dem Irak stam-mender Sufi-Sheikh undTanz theater-Regisseur.Connection Spirit 3/2009enthielt einen Bericht überseine Winterschool.www.elhaddawi.de

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