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FRÜHLING I N P ALÄST INA Volksaufstände haben die arabische TEXT Joseph Dana FOTOS Adam Golfer Welt binnen eines Jahres total verändert. Aber was ist mit Palästina? Auch da protestieren junge Menschen. Gewaltlos April 2012--GQ.DE 131 OBEN UND UNTEN WER DIE MACHT HAT, ZEIGT SICH IM WESTJORDANLAND SYMBOLISCH: OBEN DIE VOM ISRAE- LISCHEN MILITäR BESCHüTZTE Jü- DISCHE SIEDLUNG, UNTEN DIE PALäS- TINENSISCHEN DEMONSTRANTEN 130 GQ.DE--April 2012

Spring in Palestine

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GQ Germany April 2012

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F R Ü H L I N G I N P A L Ä S T I N A Volksaufstände haben die arabische

TexT Joseph Dana

FoTos Adam Golfer

Welt binnen eines Jahres total verändert. Aber was ist mit Palästina? Auch da

protestieren junge Menschen. Gewaltlos

April 2012--GQ.de 131

oben und unten wer die mAcht hAt, zeigt sich im westjordAnlAnd symbolisch: oben die vom isrAe-lischen militär beschützte jü-dische siedlung, unten die pAläs-tinensischen demonstrAnten

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I vielleicht war Fadi Quran noch zu jung, um zu wissen, wie man das nennt, was er und die anderen Kinder da taten. Aber dass ziviler un-gehorsam funktionieren kann, das verstand er.

Als er von seinen Kindheitserinnerungen erzählt, steuert der heute 23-jährige seinen wagen auf den checkpoint Qalandia zu, den inoffi-ziellen grenzübergang zwischen ramallah und jerusalem. Quran darf ihn bis zum heutigen tag nicht passieren, er hat keine erlaubnis. Für viele palästinenser ist Qalandia mit seinen einschüchternden wachtürmen ein symbol dafür, wie israel ihr leben kontrolliert. und deshalb zogen im vergangenen jahr erstmals junge palästinensische Aktivisten, unter ihnen Quran, auch vor diesen grenzübergang. sie demonstrierten für ihre Freiheit, doch sie wurden gestoppt. diesmal funktionierte ziviler ungehorsam nicht. noch nicht.

FAdi QurAn und diAnA Alzeer sind vertreter einer neuen welle des palästinensischen protests, der sich in den besetzten gebieten in letzter zeit gebildet hat: jung, dynamisch, lose vernetzt, gewaltlos, un-

jeden Freitagnachmittag, stets nach dem mittagsgebet, passiert in Qaryout wie in vielen anderen dörfern des von israel seit 1967 besetz-ten westjordanlandes das gleiche: palästinenser versammeln sich, um gegen die immer weitergehende landnahme durch jüdische sied-ler zu protestieren. dann marschieren sie bis zu dem punkt, wo israe-lische soldaten ihnen den weg versperren.

mal sanft, mal schroff gewellt ist die biblische landschaft hier, sie muss einmal idyllisch gewesen sein. bevor sie zerschnitten wurde durch straßen, auf denen nur siedler fahren dürfen, und sie geteilt wurde durch die mauer, die beschönigend „israelische sperranlage“ genannt wird. die palästinensischen dörfer schmiegen sich an die hügel, auch um diese als schutz vorm harschen wind zu benutzen, der hier rund ums jahr bläst; die jüdischen siedlungen thronen mit-ten auf den hügelspitzen, wie gebaute machtdemonstrationen.

die siedlung in der nähe von Qaryout heißt shilo, und weit vor ihr stehen auch an diesem Freitagnachmittag israelische militärjeeps. diana Alzeer führt die menge heran, es sind etwa 200 leute, junge vor allem. viele sind es noch nicht, aber sie glauben, dass sich ihr protest eines tages ausweiten wird. Ausweiten muss.

Alzeer stimmt nun die parolen an, die zu sprechchören werden, und zwischendurch twittert sie von ihrem handy aus, was weiter ge-schieht: plötzlich, wie aus dem nichts, regnen die ersten ladungen tränengas auf die demonstranten nieder, abgeschossen von israe-lischen soldaten. einige protestierende werfen steine, die meisten aber laufen weg vor den tränengasschwaden, sie wollen gewalt nicht mit gewalt beantworten. der schlagabtausch zwischen den wenigen unverbesserlichen und dem militär dauert etwa eine stunde, dann ziehen sich alle demonstranten zurück. Für diesen Freitag.

die Abfolge der ereignisse wirkt wie einstudiert, wie ein ritual: Aufmarsch, straßensperre, tränengas, steine, ende. das israelische militär begründet die gewaltsame Auflösung palästinensischer de-mos damit, dass diese illegal seien, solang sie nicht vom militär ge-stattet worden seien; doch die israelis haben kaum je eine genehmi-gung erteilt. die palästinenser ihrerseits halten die besetzung an sich für illegal. die situation ist verfahren, sie ist es im Kleinen hier in Qar-yout wie im großen des nahostkonflikts: beide seiten reklamieren das recht auf ihrer seite. doch es gibt nun auch junge Aktivisten wie Alzeer, die den ewigen status quo ändern wollen, und zwar gewaltlos.

in FAdi QurAns Kindheitserinnerungen stehen panzer in der straße. es war die zeit der zweiten intifada Anfang des vergangenen jahrzehnts, die zeit der palästinensischen Anschläge auf israelis und der israelischen militärangriffe auf die palästinensergebiete im gaza-streifen und westjordanland. über ramallah, der faktischen haupt-stadt des westjordanlands, verhängte die israelische besatzungs-macht manchmal wochenlang eine Ausgangssperre. das essen wurde knapp für Qurans Familie und die anderen im viertel, es gab kein vor-beikommen an den panzern und den soldaten. die Kinder, unter ih-nen Fadi, begannen irgendwann aus wut oder bloß aus trotz damit, müll zu sammeln, ihn in pappkartons zu füllen und diese im dunkeln ans ende der straße zu stellen, in die nähe der soldaten. die wiede-rum fürchteten am nächsten tag, in den Kartons seien womöglich bomben versteckt. Also zogen sie sich zurück und schickten Kom-mandos mit spürrobotern vor. es dauerte jedes mal stunden, bis ent-warnung gegeben wurde. genug zeit für die palästinenser, sich aus dem viertel zu schleichen und nahrung zu besorgen.

m o b i l / Frühling in Palästina

An einem regnerischen, windigen Freitagnachmit-tag im Februar bildet sich im Dorf Qaryout, wenige Kilometer südlich der an-tiken stadt Nablus, eine kleine Menschenmenge. Mittendrin steht Diana Alzeer. Die 24-Jährige wohnt eigentlich in Ra-mallah und hat einen Journalistikabschluss der palästinensischen Univer-sität Birzeit. Alzeer ist aber nicht hier, um über etwas zu berichten. sie will demons-trieren, als politische Aktivistin.

Generationen Gewaltlos Ayed morrAr (links) hAt einst gegen isrAel geKämpFt und KAm dort in hAFt. heute ist er eine Art mAndelA-Figur des Friedlichen protests im westjordAn-lAnd. FAdi QurAn (mitte) lernte die wirKsAmKeit zivilen ungehorsAms schon Als Kind. und diAnA Alzeer sAgt: „gewAlt hAt uns pAlästinenser immer weiter zurücKgeworFen“

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Als die gruppe um Alzeer in nabi saleh ankommt, twittert die junge Frau zunächst die zahl der verletzten und verhafteten palästinenser, dann kommentiert sie auch auf twitter wiederum die twitter-mel-dung des israelischen militärsprechers, der die demo als „gewalttä-tige Krawalle“ bezeichnet. nun also twitter gegen twitter, und jede seite sieht sich wieder im recht.

lauthals schimpft die zierliche junge Frau darüber, was im west-jordanland politisch alles falsch laufe, sie klagt an, nicht nur die israe-lische seite. „wir palästinenser“, sagt sie, „haben oft mit gewalt pro-testiert, und abgesehen davon, dass ich gewalt ablehne: was hat sie uns gebracht? sie hat uns immer weiter zurückgeworfen.“

mit diesem satz geht dieser protest-Freitag für Alzeer zu ende. sie und die anderen jungen wollen wiederkommen. so lang und so oft, bis sich etwas ändert.

neben seiner politischen tätigkeit hat der stanford-Absolvent Quran eine windenergiefirma gegründet, mit der er nicht nur geld verdie-nen will – sie soll einen beitrag dazu leisten, palästina unabhängiger von stromlieferungen israels zu machen. und beim protest gegen die besatzungsmacht, sagt er, gehe es auch um den finanziellen preis, den israel dafür zahlen müsse, die siedlungen zu unterhalten: jede demo, die das militär auflösen müsse, koste israel geld.

und so ziehen An dem regnerischen, windigen Freitagnachmittag im Februar diana Alzeer und einige ihrer mitstreiter von Qaryout weiter zum weiler nabi saleh, dort ist eine ähnliche demo wie die vor Qaryout bereits seit stunden im gange, mit dem gleichen Ablauf.

entscheidend Für die bewegung der jungen sei, sagt Fadi Quran, „wie wir die wirtschaftlichen und sozialen nöte der ganz nor-malen palästinenser politisch beantworten“. die jungen wollen den protest nicht nur in den dörfern unterstützen, sie wollen ihn wieder in die städte tragen, nach ramallah. dort wurden bei ihren demos vergangenes jahr aber Aktivisten von zivilpolizisten der Autonomie-behörde des palästinenserpräsidenten mahmud Abbas verprügelt und verhaftet. viele palästinenser machen die behörde verantwortlich für ihre schlechte lage, für Korruption und vetternwirtschaft. doch noch wollen die jungen einem Konflikt mit den Alten aus dem weg gehen. palästinenser gegen palästinenser: das ist noch undenkbar.

abhängig von den etablierten palästinensero rganisationen Fatah und hamas, inspiriert vom Arabischen Frühling. und bislang kaum be-merkt von den medien, die weiter über die immer gleichen dinge be-richten, die Furcht vor einem neuen gewaltausbruch in der region. die jungen nennen sich „bewegung des 15. märz“, denn an diesem tag vor einem jahr starteten sie die ersten proteste, zunächst im gaza streifen, rasch auch im westjordanland, den beiden geografisch unverbundenen palästinensergebieten. unmittelbarer Auslöser war die revolte gegen das mubarak-regime im nahen ägypten.

doch ihr hauptgegner ist kein greiser diktator und unterdrücker des eigenen volks, sondern die besatzungsmacht israel, und das ei-gentliche vorbild ihres protests liegt nicht in Kairo, sondern im west-jordanland selbst. im jahr 2003, auf dem höhepunkt der zweiten in-tifada, begannen dort die bewohner eines dorfs namens budrus, sich gegen den geplanten bau der sperranlage zu wehren: die mauer hätte sie von ihrem eigenen Ackerland abgeschnitten. zwei jahre lang de-monstrierten die leute fast täglich, stets gewaltlos, bis das israelische militär überraschend einlenkte und eine beispiellose entscheidung fällte: der mauerverlauf wurde verändert, 95 prozent des Ackerlands blieben budrus erhalten. nicht gewalt, sondern geduld brachte er-folg. unter dem namen popular struggle coordination committee haben sich seither dorfbewohner aus dem westjordanland zusam-mengeschlossen, und ihr vorbild wiederum ist der Anc, der einst un-ter nelson mandela das Apartheidregime in südafrika stürzte.

Ayed morrar heißt der mann, der budrus zum sieg führte, und heu-te ist er wirklich eine Art mandela-Figur für den friedlichen protest im westjordanland. morrar war aktiv in der ersten intifada ende der 80er-jahre, deswegen saß er sieben jahre lang in israel im gefängnis. während der haft aber wandte er sich von der gewalt ab: er sagt, er habe verstanden, dass die palästinenser dringend benötigte internati-onale unterstützung nur bekämen, wenn ihr protest gewaltlos bleibe.

„nach budrus haben viele dörfer im westjordanland unsere stra-tegie der gewaltlosigkeit übernommen“, sagt morrar. „denn die wahrheit ist: vorm beginn der gewalt in der ersten intifada 1987 war unsere wirtschaftliche, soziale und politische lage besser als heute.“

das verrückte sei nun, sagt morrar, „dass wir palästinenser jahr-zehntelang den damals passiven völkern des mittleren ostens gezeigt haben, wie protest funktioniert, schon lang vor Facebook und twitter. und nun sehen wir in den ländern um uns herum, wie die menschen sich dort ihre Freiheit erkämpfen, und welchen preis sie bereit sind, dafür zu zahlen. bereit wären wir auch.“

zwei seiten An einer Absperrung in hebron im westjordAnlAnd: AuF der einen seite isrAelische soldAten, die jüdische siedler beschützen, AuF der Anderen seite junge pAlästinenser. beide streitpArteien glAuben sich im recht. wie soll dieser KonFliKt jemAls enden? junge AKtivisten wie QurAn und Alzeer Arbeiten dArAn – Am wunder

beGeGnunG im nirGendwo jeden FreitAg stehen sie sich gegenüber, wie bei einem ewigen rituAl.

und es endet meist mit tränengAs gegen steine

m o b i l / Frühling in Palästina