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In terview MS und Schwangerschaft: Die Bedeutung von proaktiver Beratung. MS und Schwangerschaft 2019 INTERVIEW MIT DR. GIROLAMA ALESSANDRA MARFIA Erfahren Sie mehr in dieser Ausgabe im Interview mit Dr. Girolama Alessandra Marfia. EDITORIAL Von einer MS sind zumeist Frauen im gebärfähigen Alter betroffen. Demnach ist es nicht verwunder- lich, dass auch das Thema Schwan- gerschaft für diese Patientinnen eine große Rolle spielt. Sie erhof- fen sich eine proaktive Beratung ihrer Neurologen vor, während und nach der Schwangerschaft. Mit dieser Artikelserie greifen wir das Thema Kinderwunsch und Schwan- gerschaft auf. MS-Experten aus der ganzen Welt nehmen zum praktischen Management von Schwangerschaf- ten und schwangerschaftsbezogenen Themen für MS-Patientinnen Stellung. In dieser Ausgabe hebt Dr. Girola- ma Alessandra Marfia aus Italien die Bedeutung proaktiver Beratung von MS-Patientinnen rund um die Schwan- gerschaft und auch die Bedeutsamkeit von interdisziplinärer Zusammenarbeit hervor. Dr. Zoran Hasanbasic Head Medical Affairs Neurology, Immunology, Ophthalmology Prof. Dr. Markus Schürks Senior Medical Advisor Neurologie, Bayer Vital GmbH Als PODCAST auf www.ms-gateway.de/fachkreise

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InterviewMS und Schwangerschaft:Die Bedeutung von proaktiver Beratung.

MS und Schwangerschaft2019

INTERVIEW MIT DR. GIROLAMA ALESSANDRA MARFIA

Erfahren Sie mehr in dieser Ausgabe im Interview mit Dr. Girolama Alessandra Marfi a.

EDITORIAL

Von einer MS sind zumeist Frauen im gebärfähigen Alter betroffen. Demnach ist es nicht verwunder-lich, dass auch das Thema Schwan-gerschaft für diese Patientinnen eine große Rolle spielt. Sie erhof-fen sich eine proaktive Beratung ihrer Neurologen vor, während und nach der Schwangerschaft.

Mit dieser Artikelserie greifen wir das Thema Kinderwunsch und Schwan-gerschaft auf. MS-Experten aus der ganzen Welt nehmen zum praktischen Management von Schwangerschaf-ten und schwangerschaftsbezogenen Themen für MS-Patientinnen Stellung. In dieser Ausgabe hebt Dr. Girola-ma Alessandra Marfi a aus Italien die Bedeutung proaktiver Beratung von MS-Patientinnen rund um die Schwan-gerschaft und auch die Bedeutsamkeit von interdisziplinärer Zusammenarbeit hervor.

Dr. Zoran HasanbasicHead Medical Affairs Neurology, Immunology, Ophthalmology

Prof. Dr. Markus SchürksSenior Medical Advisor Neurologie, Bayer Vital GmbH

Als PODCAST auf

www.ms-gateway.de/fachkreise

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MS und Schwangerschaft:

Die Bedeutung von proaktiver Beratung.

Interview mit Dr. Girolama Alessandra Marfia

Frau Dr. Marfia, in Ihrer Klinik gibt es ein Ange-bot für das Sie zuständig sind, in dem Sie Frauen mit MS zu allen Aspekten bezüglich MS und Schwangerschaften beraten. Würden Sie uns bitte etwas mehr darüber erzählen, wie dieses Programm strukturiert ist und in welcher Weise andere Fachbereiche daran beteiligt sind? Hat sich die Einrichtung des Programms Ihrer Meinung nach als sinnvoll erwiesen?

Von MS sind dreimal mehr Frauen als Männer be-troffen, vorwiegend solche im Alter von 20 bis 45 Jahren. Daher sind Schwangerschaften ein wichti-ges Thema für Frauen mit MS. Die Einstellung zum Thema Schwangerschaft und MS hat sich in den letzten 50 Jahren erheblich gewandelt. Da es keine Hinweise gibt, dass sich eine Schwangerschaft un-günstig auf die MS oder die MS ungünstig auf eine Schwangerschaft auswirken würde, raten die Ärzte Frauen mit MS heute nicht mehr von einer Schwan-gerschaft/von einem Babywunsch ab.

Vor diesem Hintergrund wurde im Mai 2016 an meiner Klinik, dem MS-Zentrum am Universitätskli-nikum Tor Vergata in Rom, ein Projekt zum Thema Schwangerschaften bei Frauen mit MS ins Leben gerufen. Ich bin davon überzeugt, dass man heute spezielle Strukturen benötigt, um Frauen umfassend

und gut zu allen Aspekten einer Schwangerschaft zu beraten, da eine solche umfassende Beratung Zeit in Anspruch nimmt.

Die Versorgung von Patienten mit multipler Skle-rose ist inzwischen so komplex, dass sie fast aus-schließlich in Spezialeinrichtungen erfolgt. Deshalb kam mir der Gedanke, dass es sinnvoll sein könnte, Frauen mit Kinderwunsch eine ebenso hochwertige integrierte und interdisziplinäre Versorgung anzu-bieten.

Man geht heute davon aus, dass Schwangerschaften bei Frauen mit MS kein Risiko darstellen. Trotzdem ist der Zeitraum um die Schwangerschaft herum in den meisten Fällen herausfordernd, da einige Aspekte zu beachten sind, vor allem der bisherige Krankheits-verlauf bei der Mutter, ihre jährliche Schubrate, das Ausmaß ihrer Beeinträchtigungen und die Basisthe-rapeutika, die sie anwendet. Eine proaktive Bera-tung ist auch deshalb zu befürworten, weil sie den Frauen Ängste und Sorgen nimmt: Frauen mit MS möchten wissen, was sie vor, während und nach der Schwangerschaft zu erwarten haben. Sie haben viele drängende Fragen zum Verlauf und Ausgang von Schwangerschaften, zur Gesundheit des Kindes und zur Wahrscheinlichkeit, mit der sie ihre Erkrankung an ihr Kind übertragen.

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Die Ärzte werden heute darin bestärkt, ihre Patien-tinnen bei jeder Gelegenheit und über die gesamte Phase der Familienplanung zu beraten. Dazu müssen sie angemessen ausgebildet werden und ihr Wissen ständig auf dem neuesten Stand halten. Da so viele Arzneimittel auf dem Markt erhältlich sind, von de-nen nicht alle mit einer Schwangerschaft kompatibel sind, wird die Familienplanung immer wichtiger.Um auf all diese Aspekte eingehen zu können und diese Versorgungslücke zu schließen, haben wir unsere Spezialabteilung zu Schwangerschaften bei MS geschaffen.

Wir haben eine Spezialambulanz für Familienpla-nung eingerichtet, in der wir Frauen beraten, die eine Schwangerschaft planen oder bereits schwan-ger sind. Auch Frauen, die bereits entbunden haben, können sich bis zum Ende des ersten Lebensjahres ihres Kindes an uns wenden. Die Beratung findet alle 2 Wochen nachmittags statt, um auch Paaren den Besuch zu ermöglichen. Dabei ist die Dauer des Beratungsgesprächs nicht begrenzt, damit alle Aspekte der Schwangerschaft berücksichtigt und mit der Frau und ihrem Partner besprochen werden können. Wir arbeiten eng mit Gynäkologen zusammen, die eine bestimmte Zeit für unsere MS-Patientinnen reservieren. Außerdem arbeiten wir als Team, das gemeinsame Ziele hat, und besprechen besonders komplexe Fälle in interdisziplinären Meetings. Zu-sätzlich gibt es eine Verbindung zu Experten auf dem Gebiet der Infertilität. Weitere, dem Netzwerk angehörende Fachbereiche, sind die Anästhesio-logie, Neonatologie, Psychologie und Immunologie. Wir fördern den ständigen Austausch zwischen interdisziplinären Teams. Außerdem arbeiten wir aktiv mit MS-Patientenorganisationen und Selbst-

hilfegruppen zusammen, um Projekte im Bereich der Sozialfürsorge anzuschieben. Ein weiteres wichtiges Ziel unserer Initiative ist die Förderung eines Aufklä-rungs- und Schulungsprogramms für Patientinnen und Neurologen, aber auch für andere wichtige Berufsgruppen wie Psychologen, Hebammen und Physiotherapeuten, die in der etwas heiklen Zeit nach der Entbindung wichtige Unterstützung bieten können. Bislang haben wir in unserem Programm mehr als achtzig Frauen begleitet.

In den USA steigen die Schwangerschaftsraten bei Frauen mit MS1. Einer neueren Studie aus Italien2 zufolge wünschen sich jüngere Frauen mit leichterer MS eher ein Kind als Patientinnen mit schwererem Krankheitsverlauf. Welche Beobachtungen machen Sie in Ihren Beratungs-sprechstunden?

Auch wenn es aus der Vergangenheit Berichte über eine höhere Rate von Kinderlosigkeit bei MS gibt, wissen wir aus neueren veröffentlichten Daten, dass es in den Vereinigten Staaten und nicht nur dort einen allgemeinen Trend gibt, demzufolge Frauen mit MS heute häufiger schwanger werden als früher. Während die Schwangerschaftsrate bei gesunden Frauen abgenommen hat, ist sie bei Frauen mit MS in den letzten Jahrzehnten ständig angestiegen.

Diese Daten spiegeln vermutlich wider, dass wir heute viel mehr über die gegenseitige Beeinflussung von Schwangerschaften und MS wissen. Außerdem haben sich die Gesundheit und das Wohlbefinden der Frauen verbessert und wir sehen heute Dank der Einführung innovativer Therapien geringere körper-liche Beeinträchtigungen. Beide Aspekte haben zur Folge, dass die Frauen eher über eine Schwanger-schaft nachdenken. In weniger als drei Jahren haben wir bei unseren fast 2.000 MS-Patienten mehr als 80 Schwangerschaften begleitet. Dabei war der mediane EDSS-Score bei unseren Patienten tatsäch-lich recht niedrig. Etwa 75 % der Patientinnen, die schwanger wurden, hatten einen EDSS-Score von unter 2,0.

Bei Patientinnen mit schwereren Beeinträchtigun-gen ist es noch wichtiger ein vollständiges Bild ihres Gesundheitszustands zu erhalten, das nicht auf den neurologischen Status begrenzt ist. Psychologische und kognitive Störungen müssen untersucht und in

einem interdisziplinären Rahmen sorgsam beurteilt werden. In solchen Fällen ist bei der Beratung hin-sichtlich einer Schwangerschaft zu berücksichtigen, ob es in der Familie ein Netzwerk gibt, das die Mut-ter wirkungsvoll unterstützen kann.

Schwangerschaften gelingen nicht immer von heute auf morgen. Wie lange dauert es Ihrer Erfahrung nach durchschnittlich vom Schwan-gerschaftswunsch bis zur Bestätigung einer Schwangerschaft? Konnten Sie Faktoren identi-fizieren, die diese Dauer beeinflussen?

Insgesamt scheint die Fruchtbarkeit bei Frauen mit MS nicht wesentlich beeinträchtigt zu sein. Aller-dings können sexuelle Beschwerden manchmal die Fähigkeit zur Empfängnis beeinträchtigen. Da in westlichen Ländern 10 bis 20 % aller Paare von In-fertilität betroffen sind, ist davon auszugehen, dass die Dauer bis zum Eintreten einer Empfängnis bei Frauen mit MS ebenso schwer vorherzusagen ist wie bei gesunden Frauen. Zu den großen Herausforderungen in der Zeit vor der Schwangerschaft gehört es zu vermeiden, dass die Auswaschphase zwischen dem Absetzen wichti-ger Arzneimittel und dem Moment der Empfängnis zu lang wird. Hier geht es darum, das Schubrisiko bis zum Zeitpunkt der Konzeption möglichst gering zu halten.

Für eine adäquate Beratung ist es daher sehr wich-tig, dass große Datenbanken zur Verfügung stehen, die zuverlässige Informationen über den Einfluss verfügbarer Arzneimittel auf die Fertilität und auf den Schwangerschaftsverlauf/das Schwangerschafts-ergebnis bei den Müttern und Kindern im Fall einer Exposition während der Schwangerschaft liefern. Wir empfehlen unseren Patientinnen üblicherweise, sich vor einer Schwangerschaft von dem Gynäko-logen und, falls erforderlich, dem Immunologen aus unserem Team beraten zu lassen. Dabei werden neben den neurologischen Aspekten viele weitere Faktoren berücksichtigt, wie die Behandlung von autoimmunen Begleiterkrankungen, insbesondere im Hinblick auf die Schilddrüsenfunktion, und eine Folsäure- und Vitamin-D-Supplementierung.

Idealerweise treten Schwangerschaften bei Frau-en mit MS geplant ein. Sehen Sie auch nicht ge-plante Schwangerschaften? Wenn ja, wie viele?

Bis zu 50 % der Schwangerschaften bei Frauen mit MS sind nicht geplant. Vor diesem Hintergrund sollten alle Frauen mit MS im gebärfähigen Alter auch in Bezug auf ihre Familienplanung prospektiv beraten werden.

Der Neurologe sollte bereits beim ersten Gespräch, in dem er der Patientin ihre MS-Diagnose mitteilt, eine Beratung zur proaktiven Familienplanung empfehlen. Dabei ist auch auf Möglichkeiten der Empfängnisverhütung einzugehen. Die Beratung zur effektiven Empfängnisverhütung ist essentiell, um den Eintritt einer Schwangerschaft optimal planen zu können und ungeplante Schwangerschaften zu vermeiden. Gemeinsam mit dem Gynäkologen sollte

der Neurologe der Patientin helfen, die für sie ge-eignete Empfängnisverhütungsmethode zu wählen. Bei Frauen mit MS, die potentiell teratogene Arznei-mittel anwenden, sind hochwirksame Methoden mit langer Wirkdauer (z. B. Intrauterinpessare, Implanta-te) möglicherweise die beste Option.

Das Thema Kinderwunsch sollte bei jedem weite-ren klinischen Termin proaktiv abgefragt werden, insbesondere wenn eine Umstellung der Behand-lung erforderlich ist. Mit unserem Projekt möchten wir die Beratung verbessern und den Prozentsatz von geplanten Schwangerschaften erhöhen. Dies ist eine der Variablen, die wir erheben und aus-werten.

Frauen mit MS möchten wissen, was sie vor, während und nach der Schwangerschaft zu

erwarten haben.

Der Neurologe sollte bereits beim ersten Gespräch, in dem er

der Patientin ihre MS-Diagnose mitteilt, eine Beratung zur pro-aktiven Familienpla-

nung empfehlen.

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DR. GIROLAMA ALESSANDRA MARFIA

Dr. Girolama Alessandra Marfia ist Assistenzprofessorin für Neurologie in der Klinik für Neurologie, System Medizin Institut der Universität von Rom „Tor Vergata“, Italien und sie ist Leiterin der Multiple Sklerose Abteilung der Tor Vergata Universitätsklinik in Rom, Italien.

Ihr wissenschaftliches Interesse und Ihre Forschung widmet sie der komplexen Beziehung zwischen klinischen, radiologischen, neurophysiologischen und CSF Biomarkern für Neuroinflammation und Neurodegeneration der Multiplen Sklerose. Sie ist die verantwortliche Forscherin von vielen nationalen und internationalen Phase II, III und IV Studien mit neuen therapeutischen Ansätzen für Multiple Sklerose nach GCP (Good Clinical Practice). Dr. Marfias Forschungsinteressen richten sich außerdem auch auf akute und chronische entzündliche Neuropathie und neuropathischen Schmerz. Einen besonderen Fokus legt Dr. Marfia auf die Multiple Sklerose und Schwangerschaft. Im Mai 2016 startete sie in ihrem MS-Zentrum an der Tor Vergata Universitätsklinik in Rom die MS-Schwangerschaftsabteilung, ein spezielles Projekt, was sich auf Schwangerschaften von Frauen mit MS fokussiert. Dr. Marfia ist die Autorin von ungefähr 80 peer-reviewed Forschungsarbeiten, die in internationalen Journals für Neurowissenschaften und Neurologie veröffentlicht wurden.

Was sind Ihrer Ansicht nach die wichtigsten Empfehlungen für Frauen mit MS bezüglich einer Schwangerschaft?

Meiner Ansicht nach ist ein wichtiger Aspekt, dass die optimale Planung und ideale Überwachung vor der Schwangerschaft beginnt und während der Schwangerschaft und nach der Entbindung in mehreren Schritten fortgesetzt wird. Dadurch ent-steht eine, wie wir es nennen, „Patient journey“. Wir möchten betonen, dass bei der Beratung der Patientin hinsichtlich einer Schwangerschaft Art und Verlauf der Erkrankung sorgfältig beurteilt werden müssen. Es ist selbstverständlich, dass Entscheidun-gen gemeinsam mit der Patientin getroffen werden. Wenn möglich, sollte die Schwangerschaft jedoch in Phasen mit hoher Krankheitsaktivität bzw. in aggres-siven Krankheitsphasen aufgeschoben werden, da die immunmodulierende Wirkung von Schwanger-schaftshormonen, die vorwiegend im dritten Schwan-gerschaftsdrittel auftreten, gegebenenfalls nicht ausreichen könnte, um die entzündliche Krankheits-aktivität bei diesen Patientinnen zu unterdrücken.

Bei der Beurteilung des MS-Typs im Rahmen der Diagnosestellung sollten wir nicht nur die klinischen Manifestationen und die Ausprägungen im MRT be-trachten, sondern auch den Krankheitsverlauf über die Zeit und insbesondere das Ansprechen auf die vorgeschlagene Therapie. Vor diesem Hintergrund sollten Patientinnen mit kurzfristigem Babywunsch zu Beginn der Erkrankung dahingehend beraten werden, Schwangerschaftspläne um mindestens ein

Jahr aufzuschieben. Wenn möglich sollte bei diesen Patientinnen ein mit einer Empfängnis kompatibles DMT die erste Wahl sein.

Die Ärzte sollten Frauen mit MS darüber aufklären, dass eine MS nach aktuellem Kenntnisstand keine nachteiligen Auswirkungen auf eine Schwanger-schaft und die Gesundheit des Kindes hat und dass die vorliegende Evidenz keine Hinweise auf größere negative Auswirkungen einer Schwangerschaft auf den Krankheitsverlauf liefert. Eine Schwangerschaft bei MS ist heutzutage durchaus möglich. Jedoch ist es äußerst wichtig, dass die Patientin auf jedem Abschnitt dieses wichtigen Weges von ihrem behandelnden Neurologen begleitet wird.

Die vielen Behandlungsmöglichkeiten der MS ma-chen Schwangerschaftsberatungen bei MS heute sehr komplex. Können Sie die wichtigsten Aspek-te zusammenfassen, die Neurologen beachten sollten, wenn sie Patientinnen unter MS-Therapie zum Thema Schwangerschaft beraten?

Die Behandlung ist auf jedem einzelnen Abschnitt des Weges von der Empfängnis bis zur Entbindung des Kindes und darüber hinaus neu zu bewerten.Bei der Anwendung von DMTs bei Frauen mit MS, die eine Schwangerschaft planen, sind vor, während und nach der Schwangerschaft spezifische Aspekte zu berücksichtigen. Dabei sind die potentiellen Risiken im Zusammenhang mit den zur Verfügung stehenden Therapien sorgfältig gegen den potentiellen Nutzen bei der individuellen Patientin abzuwägen. Der Neu-rologe muss das durch Exposition gegenüber dem Arzneimittel in utero entstehende potentielle tera-togene Risiko für den Fötus und das durch Absetzen des Arzneimittels entstehende Schubrisiko und Risiko eines Fortschreitens von Beeinträchtigungen bei der Mutter beurteilen.

Die meisten DMTs sind während einer Schwanger-schaft kontraindiziert und den meisten Frauen wird empfohlen, diese Arzneimittel vor der Empfängnis abzusetzen. Bei der Entscheidung die Behandlung abzusetzen, muss der Arzt ggf. das Risiko gegen den Nutzen abwägen. Das individuelle kombinierte Risiko muss sorgfältig auf Grundlage der Krankheitsmerk-male bei der Mutter und der vorliegenden Evidenz für das Sicherheitsprofil des Arzneimittels beurteilt werden. Arzneimittel wie Interferon-beta und Glatira-meracetat haben bereits heute eine gute Datenlage,

während für die Mehrzahl der neu auf den Markt kommenden, als Infusion oder peroral verabreichten Arzneimittel, nur wenige Schwangerschaftsdaten vorliegen. Die Wahl der bei der individuellen Patientin am besten geeignete Strategie sollte auf Grundlage der verfügbaren evidenzbasierten wissenschaftlichen Daten und der gemeinsamen klinischen Erfahrung ge-troffen werden.

Gibt es noch etwas zu diesem Thema, das Sie uns mitteilen möchten?

Die Tatsache, dass die Schwangerschaftsraten bei Frau-en mit MS in den letzten 10 Jahren angestiegen sind, ist außergewöhnlich. Sie impliziert, dass sich unser Verständnis der pathogenen Mechanismen verbes-sert hat, was zu einer erfolgreichen Behandlung bzw. Gesamtversorgung der Patienten geführt hat. Ge-meinsam ermöglichen alle diese Faktoren, dass mehr Frauen, die diese Diagnose erfahren, ihre Familienpla-nung, ihr Sozialleben und ihre Berufstätigkeit ebenso frei gestalten können wie gesunde Frauen. Ich denke, dass die weltweite Einrichtung von geeigneten und proaktiven Beratungsangeboten für die Familienpla-nung in MS-Zentren eine gute Sache wäre. Dabei ist ein interdisziplinärer Ansatz wichtig, der den Patientin-nen die Sicherheit gibt, dass eine Schwangerschaft bei adäquater individueller Betreuung möglich ist.

Eine Schwangerschaft bei MS ist heut-zutage durchaus möglich. Jedoch ist es äußerst wichtig, dass die Patientin auf jedem Abschnitt dieses wichtigen

Weges von ihrem behandelnden Neurologen begleitet wird.

1 Houtchens MK et al., Neurology 2018; Oct 23; 91(17): e1559-e1569. 2 Lavorgna L et al. J Neurol 2019; 266(3) :707-716.

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Betaferon® 250 Mikrogramm/ml, Pulver und Lösungsmittel zur Herstellung einer Injektionslösung. Wirkstoff: Interferon beta-1b (Vor Verschreibung bitte die Fachinformation beachten.) Zusammensetzung: Arzneilich wirksamer Bestandteil:1 ml der gebrauchsfertigen Injektionslösung enthält 250 Mikrogramm (8,0 Mio. I.E.) rekombinantes Interferon beta-1b. 1 Durchstechfl asche enthält 300 Mikrogramm (9,6 Mio. I.E.) rekombinantes Interferon beta-1b. Sonstige Bestandteile: Pulver für Injektionslösung: Albumin vom Menschen, Mannitol, Lösungsmittel: Natriumchloridlösung 0,54 % G/V. Anwendungsgebiete: Betaferon® ist indiziert zur Behandlung von Patienten mit erstmaligem demyelinisierendem Ereignis mit aktivem entzündlichem Prozess, wenn dieses Ereignis schwer genug ist, um eine intravenöse Kortikosteroidtherapie zu rechtfertigen, wenn mögliche Differentialdiagnosen ausgeschlossen wurden und wenn bei diesen Patienten der Beurteilung zufolge ein hohes Risiko für das Auftreten einer klinisch gesicherten Multiplen Sklerose besteht, von Patienten mit schubweise verlaufender Multipler Sklerose, die in den letzten zwei Jahren zwei oder mehr Schübe durchgemacht haben und von Patienten mit sekundär progredient verlaufender Multipler Sklerose, die sich in einem akuten Krankheitsstadium befi nden, d. h. klinische Schübe erfahren. Gegenanzeigen: Beginn der Behandlung während der Schwangerschaft, Überempfi ndlichkeit gegen natürliches oder rekombinantes Interferon beta, Humanalbumin oder einen der sonstigen Bestandteile in der Anamnese, bestehende schwere Depressionen und/oder Suizidneigungen, dekompensierte Leberinsuffi zienz. Warnhinweise: Zytokin-Gabe bei vorbestehender monoklonaler Gammopathie in Zusammenhang mit Entwicklung eines Capillary-Leak-Syndroms mit schockähnlichen Symptomen und tödlichem Ausgang. In seltenen Fällen Pankreatitis, oft mit Hypertriglyzeridämie. Vorsicht bei vorbestehenden oder aktuellen depressiven Störungen, insbesondere Suizidneigung. Depression und Suizidneigung können bei Multipler Sklerose und Interferonbehandlung vermehrt auftreten. Depression oder Suizidneigung unmittelbar an behandelnden Arzt berichten und engmaschig beobachten und behandeln. Gegebenenfalls Abbruch der Betaferon-Behandlung. Vorsicht bei Krampfanfällen in der Anamnese, Antiepileptikabehandlung und Epilepsie, die nicht adäquat mit Antiepileptika kontrolliert ist. Das Präparat enthält Humanalbumin und birgt daher ein Risiko der Übertragung viraler Erkrankungen. Das Risiko für die Übertragung der Creutzfeld-Jacob-Krankheit (CJK) kann nicht ausgeschlossen werden. Regelmäßige Schilddrüsenfunktionstests empfohlen bei Funktionsstörung der Schilddrüse oder medizinischer Indikation. Vor Behandlungsbeginn und regelmäßig während Betaferon-Behandlung großes Blutbild mit differentiellen Leukozyten- und Thrombozytenzahlen sowie Labor einschließlich Leberwerte (z. B. AST [SGOT], ALT [SGPT] und γ-GT) auch ohne klinische Symptome. Patienten mit Anämie, Thrombozytopenie und/oder Leukopenie bedürfen möglicherweise eines intensiveren Monitorings. Selten Berichte über schwere Leberschädigung einschließlich Fälle von Leberversagen. Schwerwiegendste Fälle häufi g in Kombination mit Lebertoxizität assoziierten Substanzen oder bei gleichzeitigen Erkrankungen. Überwachung auf Anzeichen von Leberversagen. Erhöhte Transaminasenwerte engmaschig kontrollieren. Bei signifi kanter Erhöhung oder Symptomen wie Gelbsucht, Absetzen in Erwägung ziehen. Vorsicht bei schwerer Niereninsuffi zienz und engmaschige Überwachung. Fälle von nephrotischem Syndrom mit unterschiedlichen zugrundeliegenden Nephropathien, einschließlich der kollabierenden Form der fokal segmentalen Glomerulosklerose (FSGS), Minimal-Change-Glomerulonephritis (MCG), membranoproliferativen Glomerulonephritis (MPGN) und membranösen Glomerulopathie (MGN) wurden während der Behandlung mit Interferon-beta Produkten berichtet. Ereignisse wurden zu verschiedenen Zeitpunkten der Behandlung berichtet und können nach mehreren Jahren der Behandlung mit Interferon-beta auftreten. Eine regelmäßige Überprüfung auf frühe Anzeichen oder Symptome, besonders bei Patienten mit einem erhöhten Risiko von Nierenerkrankungen, wird empfohlen. Eine sofortige Behandlung des nephrotischen Syndroms ist erforderlich und ein Abbruch der Behandlung mit Betaferon sollte in Erwägung gezogen werden. Vorsicht bei vorbestehenden Herzerkrankungen wie Herzinsuffi zienz, koronarer Herzkrankheit oder Herzrhythmusstörungen. Dann insbesondere zu Beginn der Behandlung auf Verschlechterung des kardialen Zustands überwachen. Betaferon besitzt zwar keine bekannte direkte kardiotoxische Wirkung, Grippe-ähnliche Symptome, die unter Beta-Interferonen auftreten können, können sich für Patienten mit vorbestehender relevanter Herzerkrankung jedoch als belastend erweisen. Seltene Fälle von Kardiomyopathie wurden berichtet. Behandlungsabbruch bei Kardiomyopathie und Verdacht eines Zusammenhangs mit Betaferon. Berichtete Fälle von thrombotischer Mikroangiopathie (TMA), die sich als thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP) oder hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) manifestierte. Die Ereignisse wurden zu unterschiedlichen Zeitpunkten während der Behandlung gemeldet und können mehrere Wochen bis mehrere Jahre nach Beginn der Behandlung mit Interferon beta auftreten. Bei Diagnose einer TMA ist eine umgehende Behandlung erforderlich und ein sofortiges Absetzen von Betaferon wird empfohlen. Schwere Überempfi ndlichkeitsreaktionen möglich. Bei schweren Reaktionen Behandlungsabbruch und geeignete ärztliche Maßnahmen. Berichtete Nekrosen an den Injektionsstellen können ausgedehnt sein und zur Narbenbildung führen. Bei Hautläsion aus der Injektionsstelle ärztliche Konsultation vor weiterer Behandlung. Bei mehreren Läsionen Unterbrechung bis Abheilung der Läsion. Nebenwirkungen: Zu Beginn der Behandlung sind unerwünschte Wirkungen häufi g, diese klingen aber im Allgemeinen bei weiterer Behandlung ab. Die am häufi gsten beobachteten unerwünschten Wirkungen waren ein grippeähnlicher Symptomenkomplex und Reaktionen an der Injektionsstelle. Zu Beginn der Behandlung wird eine Auftitrierung der Dosis empfohlen, um die Verträglichkeit von Betaferon zu verbessern. Grippeähnliche Symptome lassen sich außerdem durch Verabreichung eines nicht-steroidalen Entzündungshemmers verringern. Die Häufi gkeit von Reaktionen an der Injektionsstelle lässt sich durch Anwendung eines Autoinjektors vermindern. Liste der unerwünschten Ereignisse: Infektion, Abszess, Lymphopenie, Anämie, Thrombozytopenie, Thrombotische Mikroangiopathie, einschließlich thrombotischer thrombozytopenischer Purpura/hämolytisch-urämisches Syndrom, Neutropenie, Leukopenie, Lymphadenopathie, Palpitationen, Kardiomyopathie, Tachykardie, Hypothyreose, Hyperthyreose, Schilddrüsenerkrankungen, Diarrhoe, Verstopfung, Übelkeit, Erbrechen, abdominelle Schmerzen, Pankreatitis, Anstieg der Glutamatpyruvat-, Glutamatoxalacetattransaminase, des Bilirubin-Spiegels und der Gammaglutamyltransferase, Hepatitis, Leberschaden (inkl. Hepatitis), Leberinsuffi zienz, anaphylaktische Reaktion, Kapillarlecksyndrom bei vorbestehender monoklonaler Gammopathie, Gewichtsverlust, Gewichtszunahme, Anstieg der Triglyzeride im Blut, Anorexie, Hypoglykämie, Arthralgie, arzneimittelinduzierter Lupus erythematodes, Hypertonie (Skelettmuskulatur), Muskelschmerzen, Myasthenie, Rückenschmerzen, Schmerzen in einer Extremität, Krampfanfälle, Kopfschmerzen, Schwindel, Schlafl osigkeit, Migräne, Parästhesie, Verwirrtheit, Suizidversuch, emotionale Instabilität, Depression, Angst, Menorrhagie, Dysmenorrhoe, Menstruationsstörungen, Metrorrhagie, Impotenz, Bronchospasmus, pulmonale arterielle Hypertonie, Infektionen der oberen Atemwege, Sinusitis, vermehrtes Husten, Dyspnoe, Urtikaria, Pruritus, Alopezie, Hautverfärbung, Hauterkrankungen, Hautausschlag, Konjunktivitis, Sehstörungen, Ohrenschmerzen, Vasodilatation, Hypertonie, Harnverhaltung, pos. Harnprotein, häufi ge Blasenentleerung, Harninkontinenz, starker Harndrang, nephrotisches Syndrom, Glomerulosklerose, Reaktionen und Nekrose an der Injektionsstelle, grippeähnliche Symptome, Fieber, Schmerzen, Thoraxschmerzen, periphere Ödeme, Asthenie, Schüttelfrost, Schwitzen, Unwohlsein. Verschreibungspfl ichtig. Bayer AG, 51368 Leverkusen, Deutschland. Version: FI/4, 06/2018.

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