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25 Donnerstag, 25. Oktober 2018 | Nr. 247 STUTTGARTER ZEITUNG STUTTGART Wie kann der Verkehr zukünftig in der Stadt fließen? Welchen Antrieb hat das Auto der Zukunft? Wie entwickelt sich die Autoindustrie? Ist der Stau der Zukunft vielleicht in der Luft? Das sind einige der Fragen, über die Experten auf dem StZ-Stadtkongress debattiert haben. Stadt der Zukunft I st die autofreie Stadt die bessere Stadt? Diese Frage beantwortete Prof. Dr. Steffen de Rudder, Vertretungsprofes- sor an der Bauhaus-Universität Weimar, mit einem klaren Nein. Trotzdem muss sich einiges ändern. Herr de Rudder, bedeutet Ihre Antwort, dass in Bezug auf Autos, alles so bleiben soll, wie es jetzt ist? Nein, natürlich nicht. Es geht um die Frage, wie wir ein System, das ganz und gar auf Autoverkehr aufbaut, ändern können. Tat- sache ist, dass es erst wenige Autos gab und dann immer mehr. Und es werden jetzt im- mer noch mehr. Die Zulassungszahlen stei- gen jedes Jahr. Das heißt, irgendwann ist einfach die Stadt voll – und dieser Punkt ist jetzt erreicht. Und wir werden jetzt darü- ber nachdenken müssen, wie wir die Mobi- lität und den Platz in der Stadt neu organi- sieren. Und diese Überlegungen führen dazu, dass wir mehr an- dere Verkehrsmittel brauchen und weniger Autoverkehr. Haben Sie eine ideale Lösung, wie das ausse- hen sollte? Nein, ich habe keine ideale Lösung, weil wir ja nicht wissen, was es noch für Verkehrsmit- tel geben wird. Das ist eine Entwicklung, die über Jahrzehnte geht. Es gibt schon viele Mo- delle, einige davon werden aber wahr- scheinlich wieder verschwinden. Ein Bei- spiel hierfür sind autonom fahrende Busse, die man sich per App nach Hause holt, die in Echtzeit Fahrzeiten verschiedener Mit- fahrer koordinieren. Diese Busse gibt es erst jetzt. Das ist ein Ergebnis der Digitali- sierung. Und das ist ein Prozess, der gerade das ganze Leben verändert. Und wie sich das entwickelt, können wir noch nicht vor- hersagen. Ich habe aber ein Ideal und das sieht so aus, dass es in Zukunft mehr Fuß- gänger, Fahrrad- und öffentlichen Verkehr geben wird, und dass das alles Spaß macht. In Stuttgart sind die Züge aber oft vollge- stopft. Das ist für viele Pendler Alltag und nicht angenehm. Das sind die Ziele – zu Fuß gehen, Fahrradfahren und den öffentlichen Nahverkehr angenehm gestalten. Und wer muss jetzt aktiv werden, um die Ent- wicklungen voranzutreiben? Alle müssen aktiv werden. Es ist nicht die böse Politik oder die böse Autolobby oder irgendeine Partei. Es müssen alle aktiv werden und ganz besonders jeder, der sich in der Stadt bewegt. Denn wir sind die, die Verantwortung tragen, wir sind der Ver- kehr, wir sind der Stau. Es sind unsere Ent- scheidungen, welches Verkehrsmittel wir wählen. Wir haben jetzt andere Bedingun- gen, dadurch dass es mehr Menschen gibt auf der Welt. Alles wird voller, und alles wird dichter. Immer mehr Menschen auf der Welt produzieren immer mehr CO 2 . Wir erleben das als Touristen – überall, wo wir hinkommen, sind schon andere da. Wir verhalten uns aber eigentlich nicht gemäß dieser Erkenntnis. Das heißt, die Politik muss sich bewegen, die Stadtplanung, die Verkehrsplanung, Verkehrsbetriebe, Woh- nungsbauunternehmen müssen sich bewe- gen, aber auch wir. Das Gespräch führte Lena Hummel. Interview Überfüllte Züge sind für viele Pendler Alltag – das muss sich ändern. Öffentlicher Verkehr muss Spaß machen PROFESSOR UND ARCHITEKT Person Steffen de Rudder ist Architekt und lehrt seit 2013 Städtebau und Entwerfen an der Bauhaus-Universität Weimar. Er war Gastpro- fessor für Stadt- und Architekturgeschichte an der Hochschule Anhalt in Dessau; hat in Ams- terdam, Erfurt und Berlin gearbeitet. Er forscht zur Geschichte der autogerechten Stadt sowie zu den Themen Städtebau und neue Mobilität. Best Practice Sein Vortrag steht zwar unter der Frage „Ist die autofreie Stadt die bessere Stadt?“. Tatsächlich ist er aber der Meinung, dass die Existenz von Autos keine gute oder schlechte Stadt ausmacht. Eine Stadt könne mit und ohne Autos gut sein. „Wir sind das, wir sind der Verkehr, wir sind der Stau.“ Steffen de Rudder, Architekt Foto: Lg/Piechowski Stadt, Bahn, Bus M ünster, Karlsruhe und Freiburg sind laut einer bundesweiten Umfrage im Moment die drei fahrradfreundlichsten Städte in Deutsch- land. Dass Stuttgart in dieser Rangliste ein- mal auch ganz weit oben auftaucht, gilt als eher unwahrscheinlich. Wäre es doch schon ein großer Fortschritt, wenn es hier irgendwann ein gesundes Mobilitätsmitei- nander zwischen Autofahrern, Radfahrern, Fußgängern sowie Bus- und Bahnnutzern geben würde. Dieses Ziel haben wiederum praktisch alle deutschen Städte, zumal man sich vielerorts verpflichtet fühlt, den nicht motorisierten Individualverkehr auf einen Wert von 80 Prozent zu erhöhen. Das ist der Ausgangspunkt einer Veran- staltung im Rahmen des StZ-Fachkongres- ses „Stadt der Zukunft – Zukunft der Stadt“ am Dienstag in der Sparda-Welt am Haupt- bahnhof. Wie ergebnisoffen die von StZ- Lokalchef Holger Gayer moderierte Podiumsdiskussion geführt wird, zeigt sich schon am Motto „Neue Autos braucht das Land! Braucht das Land neue Autos?“. Aus dem Titel leiten sich zwei Debattenstränge ab. Zum einen geht es darum, welchen An- trieb das Auto der Zukunft hat. Auf der an- deren Seite wird der Frage nachgegangen, wie der Verkehr gemanagt werden muss. Jedenfalls nicht wie in Stuttgart, meint der hier geborene und seit 30 Jahren in den Niederlanden lebende Stadtplaner Michael Trinkner von der in Rotterdam ansässigen Firma KCAP Architects & Planners: „Nach Stuttgart kommen, das ist wie eine Reise in die 60er Jahre“, schildert Trinkner seine Eindrücke und stellt Deutschland insge- samt kein gutes Zeugnis aus. „Die Infra- struktur ist schockierend.“ Michael Trinkner erzählt, dass auch der König in den Niederlanden häufig mit dem Fahrrad zur Arbeit komme. „Es ist das schnellste Verkehrsmittel auf der städti- schen Fünfkilometerdistanz, mit E-An- trieb sind es zehn Kilometer“, sagt Trink- ner und fordert, dass man dieser Erkennt- nis planerisch Rechnung tragen müsse. Thomas Kiel weiß auch, wie. Der Ver- kehrsexperte des Deutschen Städtetags denkt daran, dreispurige Straßen zweispu- rig zu machen und die freie Fläche den Fahrradfahrern zu überlassen. „Es wird über den Raum in der Stadt neu verhandelt werden“, prognostiziert in diesem Zusam- menhang auch Stadtplaner Trinkner. Dass Autos in der Stadt aber weiterhin eine Daseinsberechtigung haben, darauf hebt Irene Feige ab. Die Leiterin des zur BMW-Gruppe gehörenden Instituts für Mobilitätsforschung erinnert an das Grundbedürfnis, mobil zu sein, dabei aber die Auswirkungen auf den Mitmenschen so gering wie möglich zu halten. Man könne nicht davon ausgehen, dass die Menschen auf das Fahrrad umstiegen, solange sie sich aufgrund von fehlenden Radwegen nicht hinreichend geschützt fühlten. Womit sich die Diskussion in Richtung Perspektive des Autos bewegt. Allerdings sagt niemand auf dem Podium Fahrzeugen mit Verbren- nungsmotoren eine große Zu- kunft voraus. „In der Stadt werden sich kleine Fahrzeuge mit Batterie durchsetzen, für schwere Fahrzeuge, die lange Strecken zurücklegen, kommen der Brennstoffzelle und Wasser- stoff eine wichtige Rolle zu“, mutmaßt Det- lef Stolten. Der Direktor des Instituts für Energie- und Klimaforschung Jülich ver- weist auf das europäische Ziel, bis 2050 die Treibhausgasemissionen um 80 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zu reduzie- ren. „Das Auto ist ein wichtiger Bestandteil der Energiewende“, so Detlef Stolten, der neben der Abgasvermeidung weitere Vor- teile der alternativen Antriebsformen he- raushebt. So könnten auf Brennstoffzellen eine 300 000-Kilometer-Garantie gegeben werden, während Elektroautos viel weni- ger Wartung benötigten. In diesem Zusammenhang erinnert Mo- bilitätsforscherin Irene Feige daran, dass auch einige E-Fragen noch nicht zufrieden- stellend beantwortet seien, zum Beispiel bei der Batterieproduktion in Bezug auf die Problemmetalle Kobalt und Lithium mit der oft unsauberen Gewinnung. Wie der städtische Verkehr von morgen aussehen wird, da sind sich alle Gesprächs- teilnehmer einig, das lässt sich nicht prognostizieren. Die Zu- kunft sehe immer anders aus, meint Stadtplaner Michael Trinkner. Und Irene Feige sagt: „Die Mobilität ist ein re- gulierter Markt, der sich über Subvention und Besteuerung lenken lässt. Die Hersteller wissen aber nicht, wohin es geht, diese Planungsunsicher- heit ist ein Problem.“ Das sehe man allein schon daran, dass die USA offenbar weiter auf Verbrennungsmotoren setzen, wäh- rend in Asien ein anderer Weg eingeschla- gen werde. Und dazwischen die deutschen Hersteller, die auch nicht wissen, ob die Städte irgendwann privatautofrei sein wer- den oder voller selbstfahrender Wagen. Zum Abschluss fasst Michael Trinkner zusammen, worum es bei diesem Thema immer gehen soll: „um die Verbesserung der Lebensqualität“. Mobilitätskonzepte Experten diskutieren die Frage, wohin sich der Verkehr in den Ballungsräumen entwickelt. Von Peter Stolterfoht „Die Infrastruktur in Deutschland ist schockierend. Stuttgart erinnert an die 60er Jahre.“ Michael Trinkner, Stadtplaner Fliegen wir 2030 über verstopfte Innenstädte hinweg? I m Idealfall gibt es in einer Podiumsdis- kussion gegenteilige Meinungen. Das bewirkt Reibung, unterschiedliche Positionen, die kontrovers diskutiert wer- den. Aus dieser Perspektive betrachtet ist die Diskussionsrunde „Wie sieht die Mobi- lität der Zukunft aus“, die am Mittwochvor- mittag beim StZ-Kongress Stadt der Zu- kunft von StZ-Autor Christian Milankovic moderiert wird, ein voller Erfolg. Ebenfalls nicht enttäuscht werden die- jenigen, die Antworten auf die Fragen der Zukunft der Mobilität erwar- ten – auch wenn die unter- schiedlich ausfallen. Zumindest eine Prognose zur Verkehrszukunft wird in dieser Runde nicht angezwei- felt: „Die Automobilindustrie wird sich in den kommenden zehn Jahren für immer verändern“, sagt Susanne Hahn, die das Lab 1886 bei Daimler verantwortet – eine Innovationsabteilung, die unter ande- rem Car2go und Moovel entwickelt hat. In vielen anderen Punkten herrscht dagegen Uneinigkeit. Die promovierte Soziologin Kerstin Ullrich von der MoD Holding ist sich sicher: „In den verdichteten Kernstäd- ten hat der Individualverkehr keine Chance. Wenn wir den Klimawandel ernst nehmen, müssen wir uns verabschieden vom Auto, das nur von einer Person genutzt wird.“ Benedikt Lahme von der Firma Door2Door sieht nur in einem Ansatz die Lösung für die Probleme der heutigen Mo- bilität: „Wenn der ÖPNV so ausgebaut ist, dass er den Ansprüchen der Bürger genügt, steigen die Leute vom Auto um.“ Seine The- se: Mobilität ist eine Gewohnheitsfrage. Die zu verändern dauere lange. Vielleicht müsse man dabei auch provozieren und eine höchst unbeliebte Maßnahme anwen- den: „Vielleicht braucht es auch Verbote, vielleicht müssen wir Innenstädte radikal schließen.“ Die Daimler-Mitarbeiterin Susanne Hahn widerspricht an dieser Stelle natürlich ve- hement: „Jeder soll selbst ent- scheiden, mit welchem Fort- bewegungsmittel er von A nach B kommen will“, so Hahn und referiert über den Segen des autonomen Fahrens: „In Zukunft können Sie beim Fahren schla- fen, entspannen oder arbeiten.“ Daraufhin meldet sich Jens Schade, der an der TU Dresden eine Professur für Verkehrspsy- chologie innehat, mit einem Einwand zu Wort: „Was wird aus dem Fußgänger, der die autonom fahrenden Autos kreuzen will?“ Bei allem Willen zur Veränderung erin- nern dann Kerstin Ullrich und Susanne Hahn gleichermaßen an die Folgen für die Wirtschaft: „Baden-Württemberg darf kein Bei dieser Aussicht geht Kerstin Ullrich sprichwörtlich in die Luft: „Ich halte das für eine Bankrotterklärung. Damit entziehen wir uns der Verantwortung, dass man Mo- bilität und Stadtentwicklung gemeinsam denken muss“, und Benedikt Lahme er- gänzt: „Der Himmel über Stuttgart voller Volocopter – wollen wir das? Dann sitzen wir 2040 bei diesem Kongress hier und sprechen über den verstopften Luftraum.“ Wenn dabei wieder eine solch kontroverse Diskussion herauskommt, spricht zumin- dest aus dieser Perspektive nichts dagegen. Diskussion Fahrverbote, Flugobjekte oder autonomes Fahren: Wie sieht die Zukunft der Mobilität aus? Von Ingmar Volkmann Schimpft auf die Politik: Kerstin Ullrich Will hoch hinaus: Susanne Hahn Setzt auf den ÖPNV: Benedikt Lahme Nachdenklich: Jens Schade Fotos: Lg/Piechowski zweites Ruhrgebiet werden. Die Politik ver- pennt die Möglichkeit, den Strukturwandel zu gestalten“, sagt Ullrich, und Hahn er- gänzt: „In Baden-Württemberg haben wir heute 440 000 Arbeitsplätze, die direkt oder indirekt von der Autoindustrie abhän- gen.“ Die Leiterin des Lab 1886 fordert da- her ein Umdenken. „Wenn wir emissions- freie Mobilität wollen, müssen wir in die Luft!“ Hahn ist sich sicher: „2030 fliegen wir von A nach B. Mit dem Flugtaxi brau- chen Sie dann 15 Minuten vom Flughafen bis zum Mercedes-Benz-Museum.“ Flugtaxis: Zukunft der Mobilität oder Verlagerung eines Problems? Über Mobilitätsinnovationen (im Bild ein Echtzeit-Hinweissystem) reden Thomas Kiel, Michael Trinkner, Holger Gayer, Irene Feige und Detlef Stolten (v. l.). Fotos: Here, Lichtgut/Piechowski

Stadt der Zukunft · Donnerstag, 25. Oktober 2018 | Nr. 247 25 STUTTGARTER ZEITUNG STUTTGART Wie kann der Verkehr zukn ftig in der Stadt flieûen? Welchen Antrieb hat das Auto der

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Page 1: Stadt der Zukunft · Donnerstag, 25. Oktober 2018 | Nr. 247 25 STUTTGARTER ZEITUNG STUTTGART Wie kann der Verkehr zukn ftig in der Stadt flieûen? Welchen Antrieb hat das Auto der

25Donnerstag, 25. Oktober 2018 | Nr. 247STUTTGARTER ZEITUNG STUTTGART

Wie kann der Verkehr zukünftig in der Stadt fließen? Welchen Antrieb hat das Auto der Zukunft? Wie entwickelt sich die Autoindustrie?Ist der Stau der Zukunft vielleicht in der Luft? Das sind einige der Fragen, über die Experten auf dem StZ­Stadtkongress debattiert haben.

Stadt der Zukunft

Ist die autofreie Stadt die bessere Stadt?Diese Frage beantwortete Prof. Dr.Steffen de Rudder, Vertretungsprofes­

sor an der Bauhaus­Universität Weimar, mit einem klaren Nein. Trotzdem musssich einiges ändern.

Herr de Rudder, bedeutet Ihre Antwort, dassin Bezug auf Autos, alles so bleiben soll, wiees jetzt ist?Nein, natürlich nicht. Es geht um die Frage,wie wir ein System, das ganz und gar aufAutoverkehr aufbaut, ändern können. Tat­sache ist, dass es erst wenige Autos gab unddann immer mehr. Und es werden jetzt im­mer noch mehr. Die Zulassungszahlen stei­gen jedes Jahr. Das heißt, irgendwann isteinfach die Stadt voll – und dieser Punkt istjetzt erreicht. Und wir werden jetzt darü­ber nachdenken müssen, wie wir die Mobi­lität und den Platz inder Stadt neu organi­sieren. Und dieseÜberlegungen führendazu, dass wir mehr an­dere Verkehrsmittelbrauchen und wenigerAutoverkehr.

Haben Sie eine idealeLösung, wie das ausse­hen sollte?Nein, ich habe keineideale Lösung, weil wirja nicht wissen, was esnoch für Verkehrsmit­tel geben wird. Das isteine Entwicklung, dieüber Jahrzehnte geht.Es gibt schon viele Mo­delle, einige davon werden aber wahr­scheinlich wieder verschwinden. Ein Bei­spiel hierfür sind autonom fahrende Busse,die man sich per App nach Hause holt, diein Echtzeit Fahrzeiten verschiedener Mit­fahrer koordinieren. Diese Busse gibt es erst jetzt. Das ist ein Ergebnis der Digitali­sierung. Und das ist ein Prozess, der geradedas ganze Leben verändert. Und wie sichdas entwickelt, können wir noch nicht vor­hersagen. Ich habe aber ein Ideal und dassieht so aus, dass es in Zukunft mehr Fuß­gänger, Fahrrad­ und öffentlichen Verkehrgeben wird, und dass das alles Spaß macht.In Stuttgart sind die Züge aber oft vollge­stopft. Das ist für viele Pendler Alltag undnicht angenehm. Das sind die Ziele – zu Fußgehen, Fahrradfahren und den öffentlichenNahverkehr angenehm gestalten.

Und wer muss jetzt aktiv werden, um die Ent­wicklungen voranzutreiben?Alle müssen aktiv werden. Es ist nicht die böse Politik oder die böse Autolobby oder irgendeine Partei. Es müssen alle aktivwerden und ganz besonders jeder, der sichin der Stadt bewegt. Denn wir sind die, dieVerantwortung tragen, wir sind der Ver­kehr, wir sind der Stau. Es sind unsere Ent­scheidungen, welches Verkehrsmittel wirwählen. Wir haben jetzt andere Bedingun­gen, dadurch dass es mehr Menschen gibt auf der Welt. Alles wird voller, und alles wird dichter. Immer mehr Menschen auf der Welt produzieren immer mehr CO2.Wir erleben das als Touristen – überall, wo wir hinkommen, sind schon andere da. Wirverhalten uns aber eigentlich nicht gemäßdieser Erkenntnis. Das heißt, die Politikmuss sich bewegen, die Stadtplanung, dieVerkehrsplanung, Verkehrsbetriebe, Woh­nungsbauunternehmen müssen sich bewe­gen, aber auch wir.

Das Gespräch führte Lena Hummel.

Interview Überfüllte Zügesind für viele Pendler Alltag– das muss sich ändern.

Öffentlicher Verkehr muss Spaß machen

PROFESSOR UND ARCHITEKT

Person Steffen de Rudder ist Architekt und lehrt seit 2013 Städtebau und Entwerfen an der Bauhaus­Universität Weimar. Er war Gastpro­fessor für Stadt­ und Architekturgeschichte an der Hochschule Anhalt in Dessau; hat in Ams­terdam, Erfurt und Berlin gearbeitet. Er forscht zur Geschichte der autogerechten Stadt sowie zu den Themen Städtebau und neue Mobilität.

Best Practice Sein Vortrag steht zwar unterder Frage „Ist die autofreie Stadt die bessere Stadt?“. Tatsächlich ist er aber der Meinung, dass die Existenz von Autos keine gute oder schlechte Stadt ausmacht. Eine Stadt könne mit und ohne Autos gut sein.

„Wir sind das, wir sind der Verkehr, wir sind der Stau.“Steffen de Rudder, Architekt

Foto: Lg/Piechowski

Stadt, Bahn, Bus

Münster, Karlsruhe und Freiburgsind laut einer bundesweitenUmfrage im Moment die drei

fahrradfreundlichsten Städte in Deutsch­land. Dass Stuttgart in dieser Rangliste ein­mal auch ganz weit oben auftaucht, gilt als eher unwahrscheinlich. Wäre es dochschon ein großer Fortschritt, wenn es hierirgendwann ein gesundes Mobilitätsmitei­nander zwischen Autofahrern, Radfahrern,Fußgängern sowie Bus­ und Bahnnutzerngeben würde. Dieses Ziel haben wiederumpraktisch alle deutschen Städte, zumal mansich vielerorts verpflichtet fühlt, den nichtmotorisierten Individualverkehr auf einenWert von 80 Prozent zu erhöhen.

Das ist der Ausgangspunkt einer Veran­staltung im Rahmen des StZ­Fachkongres­ses „Stadt der Zukunft – Zukunft der Stadt“am Dienstag in der Sparda­Welt am Haupt­bahnhof. Wie ergebnisoffen die von StZ­Lokalchef Holger Gayer moderiertePodiumsdiskussion geführt wird, zeigt sichschon am Motto „Neue Autos braucht dasLand! Braucht das Land neue Autos?“. Ausdem Titel leiten sich zwei Debattensträngeab. Zum einen geht es darum, welchen An­trieb das Auto der Zukunft hat. Auf der an­deren Seite wird der Frage nachgegangen,

wie der Verkehr gemanagt werden muss. Jedenfalls nicht wie in Stuttgart, meint derhier geborene und seit 30 Jahren in den Niederlanden lebende Stadtplaner MichaelTrinkner von der in Rotterdam ansässigenFirma KCAP Architects & Planners: „NachStuttgart kommen, das ist wie eine Reise indie 60er Jahre“, schildert Trinkner seineEindrücke und stellt Deutschland insge­samt kein gutes Zeugnis aus. „Die Infra­struktur ist schockierend.“

Michael Trinkner erzählt, dass auch derKönig in den Niederlanden häufig mit demFahrrad zur Arbeit komme. „Es ist das schnellste Verkehrsmittel auf der städti­schen Fünfkilometerdistanz, mit E­An­trieb sind es zehn Kilometer“, sagt Trink­ner und fordert, dass man dieser Erkennt­nis planerisch Rechnung tragen müsse.

Thomas Kiel weiß auch, wie. Der Ver­kehrsexperte des Deutschen Städtetagsdenkt daran, dreispurige Straßen zweispu­rig zu machen und die freie Fläche denFahrradfahrern zu überlassen. „Es wirdüber den Raum in der Stadt neu verhandeltwerden“, prognostiziert in diesem Zusam­menhang auch Stadtplaner Trinkner.

Dass Autos in der Stadt aber weiterhineine Daseinsberechtigung haben, darauf

hebt Irene Feige ab. Die Leiterin des zurBMW­Gruppe gehörenden Instituts fürMobilitätsforschung erinnert an dasGrundbedürfnis, mobil zu sein, dabei aberdie Auswirkungen auf den Mitmenschen sogering wie möglich zu halten. Man könnenicht davon ausgehen, dass die Menschenauf das Fahrrad umstiegen, solange sie sichaufgrund von fehlenden Radwegen nichthinreichend geschützt fühlten. Womit sichdie Diskussion in Richtung Perspektive desAutos bewegt. Allerdings sagtniemand auf dem PodiumFahrzeugen mit Verbren­nungsmotoren eine große Zu­kunft voraus.

„In der Stadt werden sichkleine Fahrzeuge mit Batterie durchsetzen, für schwereFahrzeuge, die lange Streckenzurücklegen, kommen derBrennstoffzelle und Wasser­stoff eine wichtige Rolle zu“, mutmaßt Det­lef Stolten. Der Direktor des Instituts fürEnergie­ und Klimaforschung Jülich ver­weist auf das europäische Ziel, bis 2050 dieTreibhausgasemissionen um 80 Prozentgegenüber dem Stand von 1990 zu reduzie­ren. „Das Auto ist ein wichtiger Bestandteilder Energiewende“, so Detlef Stolten, derneben der Abgasvermeidung weitere Vor­teile der alternativen Antriebsformen he­raushebt. So könnten auf Brennstoffzelleneine 300 000­Kilometer­Garantie gegeben

werden, während Elektroautos viel weni­ger Wartung benötigten.

In diesem Zusammenhang erinnert Mo­bilitätsforscherin Irene Feige daran, dassauch einige E­Fragen noch nicht zufrieden­stellend beantwortet seien, zum Beispiel bei der Batterieproduktion in Bezug auf dieProblemmetalle Kobalt und Lithium mitder oft unsauberen Gewinnung.

Wie der städtische Verkehr von morgenaussehen wird, da sind sich alle Gesprächs­

teilnehmer einig, das lässt sichnicht prognostizieren. Die Zu­kunft sehe immer anders aus,meint Stadtplaner MichaelTrinkner. Und Irene Feigesagt: „Die Mobilität ist ein re­gulierter Markt, der sich überSubvention und Besteuerunglenken lässt. Die Herstellerwissen aber nicht, wohin esgeht, diese Planungsunsicher­

heit ist ein Problem.“ Das sehe man alleinschon daran, dass die USA offenbar weiterauf Verbrennungsmotoren setzen, wäh­rend in Asien ein anderer Weg eingeschla­gen werde. Und dazwischen die deutschen Hersteller, die auch nicht wissen, ob dieStädte irgendwann privatautofrei sein wer­den oder voller selbstfahrender Wagen.

Zum Abschluss fasst Michael Trinknerzusammen, worum es bei diesem Themaimmer gehen soll: „um die Verbesserung der Lebensqualität“.

Mobilitätskonzepte Experten diskutieren die Frage, wohin sich der Verkehr in den Ballungsräumen entwickelt. Von Peter Stolterfoht

„Die Infrastruktur in Deutschland ist schockierend. Stuttgart erinnert an die 60er Jahre.“Michael Trinkner,Stadtplaner

Fliegen wir 2030 über verstopfte Innenstädte hinweg?

Im Idealfall gibt es in einer Podiumsdis­kussion gegenteilige Meinungen. Dasbewirkt Reibung, unterschiedliche

Positionen, die kontrovers diskutiert wer­den. Aus dieser Perspektive betrachtet ist die Diskussionsrunde „Wie sieht die Mobi­lität der Zukunft aus“, die am Mittwochvor­mittag beim StZ­Kongress Stadt der Zu­kunft von StZ­Autor Christian Milankovicmoderiert wird, ein voller Erfolg.

Ebenfalls nicht enttäuscht werden die­jenigen, die Antworten auf die Fragen derZukunft der Mobilität erwar­ten – auch wenn die unter­schiedlich ausfallen.

Zumindest eine Prognosezur Verkehrszukunft wird indieser Runde nicht angezwei­felt: „Die Automobilindustrie wird sich in den kommenden zehn Jahrenfür immer verändern“, sagt Susanne Hahn,die das Lab 1886 bei Daimler verantwortet –eine Innovationsabteilung, die unter ande­rem Car2go und Moovel entwickelt hat. Invielen anderen Punkten herrscht dagegen Uneinigkeit. Die promovierte Soziologin Kerstin Ullrich von der MoD Holding ist sich sicher: „In den verdichteten Kernstäd­ten hat der Individualverkehr keine Chance.Wenn wir den Klimawandel ernst nehmen, müssen wir uns verabschieden vom Auto, das nur von einer Person genutzt wird.“

Benedikt Lahme von der FirmaDoor2Door sieht nur in einem Ansatz dieLösung für die Probleme der heutigen Mo­bilität: „Wenn der ÖPNV so ausgebaut ist, dass er den Ansprüchen der Bürger genügt,steigen die Leute vom Auto um.“ Seine The­se: Mobilität ist eine Gewohnheitsfrage. Die zu verändern dauere lange. Vielleichtmüsse man dabei auch provozieren undeine höchst unbeliebte Maßnahme anwen­den: „Vielleicht braucht es auch Verbote,vielleicht müssen wir Innenstädte radikal

schließen.“ Die Daimler­Mitarbeiterin

Susanne Hahn widersprichtan dieser Stelle natürlich ve­hement: „Jeder soll selbst ent­scheiden, mit welchem Fort­bewegungsmittel er von A

nach B kommen will“, so Hahn und referiertüber den Segen des autonomen Fahrens: „In Zukunft können Sie beim Fahren schla­fen, entspannen oder arbeiten.“ Daraufhinmeldet sich Jens Schade, der an der TU Dresden eine Professur für Verkehrspsy­chologie innehat, mit einem Einwand zu Wort: „Was wird aus dem Fußgänger, der dieautonom fahrenden Autos kreuzen will?“

Bei allem Willen zur Veränderung erin­nern dann Kerstin Ullrich und Susanne Hahn gleichermaßen an die Folgen für dieWirtschaft: „Baden­Württemberg darf kein

Bei dieser Aussicht geht Kerstin Ullrichsprichwörtlich in die Luft: „Ich halte das füreine Bankrotterklärung. Damit entziehenwir uns der Verantwortung, dass man Mo­bilität und Stadtentwicklung gemeinsamdenken muss“, und Benedikt Lahme er­gänzt: „Der Himmel über Stuttgart voller Volocopter – wollen wir das? Dann sitzenwir 2040 bei diesem Kongress hier und sprechen über den verstopften Luftraum.“Wenn dabei wieder eine solch kontroverseDiskussion herauskommt, spricht zumin­dest aus dieser Perspektive nichts dagegen.

Diskussion Fahrverbote, Flugobjekte oder autonomes Fahren: Wie sieht die Zukunft der Mobilität aus? Von Ingmar Volkmann

Schimpft auf die Politik: Kerstin Ullrich

Will hoch hinaus: Susanne Hahn

Setzt auf den ÖPNV: Benedikt Lahme

Nachdenklich: Jens Schade Fotos: Lg/Piechowski

zweites Ruhrgebiet werden. Die Politik ver­pennt die Möglichkeit, den Strukturwandelzu gestalten“, sagt Ullrich, und Hahn er­gänzt: „In Baden­Württemberg haben wirheute 440 000 Arbeitsplätze, die direkt oder indirekt von der Autoindustrie abhän­gen.“ Die Leiterin des Lab 1886 fordert da­her ein Umdenken. „Wenn wir emissions­freie Mobilität wollen, müssen wir in dieLuft!“ Hahn ist sich sicher: „2030 fliegenwir von A nach B. Mit dem Flugtaxi brau­chen Sie dann 15 Minuten vom Flughafenbis zum Mercedes­Benz­Museum.“

Flugtaxis: Zukunft der Mobilität oder Verlagerung eines Problems?

Über Mobilitätsinnovationen (im Bild ein Echtzeit­Hinweissystem) reden Thomas Kiel, Michael Trinkner, Holger Gayer, Irene Feige und Detlef Stolten (v. l.). Fotos: Here, Lichtgut/Piechowski