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Stand und Aufgaben der allgemeinen Physiologic und Patho- logie des sympathischen Systems1). Von M. Lewandowsky. Mit 1 Textfigur. (Einyegangen am 15. Dezember 1912.) Wenn ich, nachdem vor kurzem auf der Gesellschaft Deutscher Nervenarzte in Hamburg zwei Referate fiber das sympathisehe System gehalten worden sind2), zum Thema eines gr51~eren Berichts wiederum das sympathische System gewahlt habe, so gesehieht das, weft in Ham- burg wesentlieh nur zwei Teile aus dem ganzen Gebiet eine DarsteUung gefunden haben, n~mlich die Anatomie und die Pharmakologie. Die Lehre von den F unktionen des sympathischen Nervensystems ist dabei recht schlecht weggekommen. Ich werde reich daher hier auf die Darstellung der Physiologic und Pathologie des sympathischen Systems besehranken, und zwar der allgemeinen Gesetze dieses Gebietes, indem ieh reich des Hinweises auf die Funktionen einzelner Organe nur in Beispielen bediene. Als sympathisches System bezeiehnen wir hier zunachst die Gesamt- heit der glatten Muskeln und der Driisen und das Herz. Zu den Driisen gehSren, wie jetzt feststeht, aueh die Blutdriisen. Sowohl die Schilddriise, wie die 5Tebenniere, wie wahrscheinlich alle anderen Driisen mit innerer Sekretion besitzen Nerven, deren ZugehSrigkeit zum sym- pathischen System festgestellt ist, und durch deren Erregung sehr grofle Allgemeinwirkungen verursacht werden kSnnen. So ist es kein Zweifel, da$ die Glykosurie der Piqfire nur durch sympathische Nerven- wirkungen wesentlich auf Nebenniere und Leber verursaeht wird, und auch auf die Wi~rmeregulierung, die wir zentral durch den W/~rmestich beeinflussen k5nnen, ist das sympathisehe System wenigstens yon modifizierendem EinflulL Sogar auf die Blutbildung seheint es ein- zuwirken. Eine andere Definition des sympathischen Systems als die gegebene anatomische ist nicht m5glich. Es ist insbesondere unzulassig, das 1) Nach einem Vortrag in der Berliner Gesellsch. f. Psychiatrie u. Nerven- krankh., Dezember 1912. 2) Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilkunde 1912. Z. f. d. g. Neur. u. Psych. O. XIV. 19

Stand und aufgaben der allgemeinen physiologie und pathologie des sympathischen systems

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Stand und Aufgaben der allgemeinen Physiologic und Patho- logie des sympathischen Systems1).

Von M. L e w a n d o w s k y .

Mit 1 Textfigur.

(Einyegangen am 15. Dezember 1912.)

Wenn ich, nachdem vor kurzem auf der Gesellschaft Deutscher Nervenarzte in Hamburg zwei Referate fiber das sympathisehe System gehalten worden sind2), zum Thema eines gr51~eren Berichts wiederum das sympathische System gewahlt habe, so gesehieht das, weft in Ham- burg wesentlieh nur zwei Teile aus dem ganzen Gebiet eine DarsteUung gefunden haben, n~mlich die Anatomie und die Pharmakologie. Die Lehre von den F u n k t i o n e n des sympathischen Nervensystems i s t

dabei recht schlecht weggekommen. Ich werde reich daher hier auf die Darstellung der Physiologic und Pathologie des sympathischen Systems besehranken, und zwar der allgemeinen Gesetze dieses Gebietes, indem ieh reich des Hinweises auf die Funktionen einzelner Organe nur in Beispielen bediene.

Als sympathisches System bezeiehnen wir hier zunachst die Gesamt- heit der g l a t t e n M u s k e l n und der Dri isen und das Herz. Zu d e n

Driisen gehSren, wie jetzt feststeht, aueh die Blutdriisen. Sowohl die Schilddriise, wie die 5Tebenniere, wie wahrscheinlich alle anderen Driisen mit innerer Sekretion besitzen Nerven, deren ZugehSrigkeit zum sym- pathischen System festgestellt ist, und durch deren Erregung sehr grofle Allgemeinwirkungen verursacht werden kSnnen. So ist es kein Zweifel, da$ die Glykosurie der Piqfire nur durch sympathische Nerven- wirkungen wesentlich auf Nebenniere und Leber verursaeht wird, und auch auf die Wi~rmeregulierung, die wir zentral durch den W/~rmestich beeinflussen k5nnen, ist das sympathisehe System wenigstens yon modifizierendem EinflulL Sogar auf die Blutbildung seheint es ein- zuwirken.

Eine andere Definition des sympathischen Systems als die g e g e b e n e

anatomische ist nicht m5glich. Es ist insbesondere unzulassig, das

1) Nach einem Vortrag in der Berliner Gesellsch. f. Psychiatrie u. Nerven- krankh., Dezember 1912.

2) Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilkunde 1912. Z. f. d. g. Neur. u. Psych. O. XIV. 19

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sympathische System als das unwillkiirliche dem cerebrospinalen als dem willkiirlichen, gegenfiberzustellen. Noch vor kurzem hat L. R. Mii l le r jeden Willkiireinflul3 auf das sympathische System geleugnet. Indessen sind nicht alle Leistungen des sog. cerebrospinalen Nervensystems willkiirlich, wie z. B. die Atmung, und lange nicht alle Leistungen des sympathischen Systems sind unwillkiirlich. Als Bei- spiele dafiir nenne ich die willkiirliehe Blasenentleerung und die Kon- traktion des Akkomodationsmuskels, sowie die Verengerung der Pu- pille bei dem Vorgange der Akkomodation. Die Akkomodation und die Verengerung der Pupille ist vollst~ndig analog der Kontraktion der quergestreiften Interni. Ich wi l l weder die Interni kontrahieren, noch will ich den Akkomodationsmuskel kontrahieren, noch die Pupille verengern, sondern ich will etwas in der N~he sehen, und dabei kontra- hiert sich der Akkomodationsmuskel und verengert sich willkiirlich oder unwillkiirlich - - wie man will - - die Pupille, abet ebenso will- kiirlich oder unwillkfirlich kontrahieren sich die quergestreiften, cerebro- spinal innervierten Interni. 1) Im allgemeinen sind natiirlich die quer- gestreiften Muskeln unmittelbarer zu innervieren als die glatten, dem sympathischen System angehSrigen. Fiir die Pathologie ist abet auch noch das gar nicht unwichtig zu wissen, dab es eine Anzahl yon Personen gibt, die imstande sind, einzelne Leistungen im Bereiche des sym- pathischen System, die im allgemeinen der Willkiir entzogen sind, mit BewuBtsein hervorzubringen. So ist erst im vorigen Jahr wieder ein Mann gezeigt worden, der imstande ist, seine Pupillen verschiedeu welt zu machen usw.2). Es ist das darum wichtig, gleichgfiltig dutch welche prlm~ren psychischen Vorg~nge diese Leistungen zustande kommen, weft bei der Hysterie eine Reihe yon Vorg~ngen im sym- pathischen System beobachtet sind, welche auf Grund der durch- schnittlichen Beherrschung desselben als psyehogen nicht recht zu deuten sind, es aber sicher ist, daB, was schon willkiirlich oder wenigstens bewui~t oder selbst unter dem Einflul3 yon Affekten zu leisten ist , durch die tIysterie ganz gewiB geleistet werden kann. Da-

1) Bei den VSgeln ist der M. ciliaris bekanntlich quergestreift, und hat mit dem sympathischen System niehts zu tun. Aueh d~s ist ein Beweis, d~i~ eine pr inzipie l le Verschiedenheit zwisehen der Innervation glatter (sym- pathischer) und quergestreifter Muskulatur nicht besteht.

3) Besonders sorgf~ltig ist yon Maxwell (Amer. Journ. of Physiol. T, 369; 1902) ein Student untersucht worden, der seine Arrectores pilorum willkiirlieh innervieren konnte. In diesem Falle ging die Innervation ganz sieher nicht iiber den Umweg allgemeiner Vorstellungen (des Schauderns od. dgl.), war vielmehr nur auf dem Wege des direkten Willensimpulses genau wie die Innervatioa der quergestreiften KSrpermuskulatur zu erreiehen. Zur Sieherheit wurde aueh dureh Biopsie noch das Fehlen yon quergestreiften Elementen in den Arrectores fest~ gestell~.

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mit ist nicht etwa gesagt, daB die Leistungen der Hysterie etwa als bewuBt oder willkfirlich aufzufassen sind.

DaB auf nicht direkt willkfirlichem Wege, vielmehr als Teilerschei- nung anderer psychischer Gebilde, wie yon VorsteUungen, Gcffihlen, Affekten das sympathische System in mannigfacher Weise beeinfluBt wird, ist ja ganz sicher, und es folgt aus all diesen Vorg~ngen, dab das sympathische System in sehr intimer Beziehung zum Gehirn stehen muB. Auch die bekannten Pawlowschen Versuche, welcher die Speichel- sekretion in Form des bedingten Reflexes zum Indicator eines be- liebigen psychischen Vorganges macht, weisen in dieser Richtung. Wiederum muB ich eine Angabe yon L. R. Mfi l le r berichtigen, der behauptet hat, ~s g~be keine Z e n t r e n in d e r H i r n r i n d e fiir das sympathisehe System. Dabei ist es seit H i t z i g bekannt, dab die Pupille durch lokalisierte Reizung der Hirnrinde erweitert werden kannl). Es ist darfiber auBerordentlieh viel gesehrieben worden. Es sind ferner Zentren fiir die Blaseninnervation, ffir den Mastdarm, ffir Drfisen und ffir vasomotorisehe Vorgi~nge auf der Hirnrinde festgestellt worden, und wenn aueh die Angaben fiber eine Anzahl von sympathischen Funktionen im einzelnen nieht genau stimmen mSgen, so ist es doeh sicher, dab es ffir einzelne sympathische Funktionen Zentren auf der ttirnrinde gibt in g e n a u d e m g le i e h e n S i n n e , wie wir das Wort Zentrum auch ffir die K S r p e r m u s k u l a t u r brauchenU). Es ist mir beim besten Willen unverstEndlich, was sich L. R. Mi i l l e r bei folgendem Satze denkt: ,,Der Umstand, dab sich bei der Faradisation einer Stelle der Hirnrinde die Pupille weitet, oder dab die Speieheldriisen sezernieren usw., ist kein Beweis fiir das Vorhanden- sein eines R i n d e n z e n t r u m s fiir das betreffende Organ." Da die Stellen ffir die Pupillenbeeinflussung doch lokalisiert~ sind, so kSnnte L. R. Mii l le r mit dem gleichen Recht iiberhaupt das Bestehen von Zentren - - aueh solcher fiir die quergestreifte Muskulatur - - leugnen. Das liefe aber auf den alteu abe~" wohl l~ngst als gegenstands!os er- kannten Streit um die Bedeutung des Wortes Z e n t r u m hinaus. Merk- wiirdigerweise iibrigens ist gerade ffir das Herz, soweit mir bekannt, eine Stelle, oder eine Beeinflussung dutch Reizung der Rinde noch nicht gefunden.

Von anderen Teilen des Gehirns liegen schon seit langer Zeit Mit- teilungen besonders fiber die Beziehung der T h a l a m u s g e g e n d

1) Man finder die Stellen der Beeinflussung beim Affen von C. und O. Vogt genau angegeben und abgebildet (Journ. f. Psych. u. Neur. 8. 1907). DaB es nur Eui]erst selten getingt, eine Pupillenverhnderung ohne Augenbewegungen dureh elektrisehe Reizung zu erreiehen, ist fiir die prinzipielle Frage ohne Belang.

~) Vgl. z.B. noeh v. Pfungen , lJber den Einflul] des cortiealen Darm- zentrums auf den Diinndarm usw. des Hundes. Archiv f. d. ges. Physiol. 114, 386. 1912.

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zu einer groBen Reihe yon Organen des sympathischen Systems vor; und vor einiger Zeit sind von K r e i d l und K a r p l u s im Hypothalamus und am Infundibulum Punkte gefunden worden, die eine Reihe dec Organe des sympathisehen Systems in Erregung versetzen und die nach ihren Versuchen in die Sympathicusbahn zwischen Rinde und Rfieken- mark eingesehaltet sindl).

Selbstverst~nd]ieh miissen B a h n e n v o m G r o B h i r n z u m R tic k e n - m a r k verlaufen, welehe die eerebralen Impulse den niederen Zentren und dann der Peripherie zufiihren. Die Ausffihrungen L. R. M f i l le rs , welcher das Gegenteil behauptet, sind vSllig unverstgndlich. An- siehten wie die folgenden~) stehen mit dem, was wit heute fiber das Nervensystem lehren, so in Widerspruch, daB sie sich meines Erachtens jeder Diskussion entziehen: ,,eine Deutung nur dann mSglich, wenn man annimmt, dab dureh die betreffende Stimmung die ganze Bio- elektrizit~t im Gehirn und im Rfickenmark (sc. ohne distinkte Bahnen, Ref.) beeinfluBt wird und dab die Ganglienzellgruppen der versehie- denen Organe aueh versehieden auf die Stimmungen reagieren." ,,So wiirden durch die Wehmut besonders die Ganglienzellgruppen der- jenigen Fasern, welehe dureh den N. petrosus superfieialis maj. zum Gangl. sphenopalat, und yon dort zu der Tr~nendrfise ziehen, an- gesprochen werden usw." Wenn also eine Mutter den Tod ihres YAndes sieht, so wirkt dieser Vorgang ,,bioelektriseh" auf die Ursprungszellen des N. petrosus superfieialis maj. !

K l i n i s e h haben die Beziehungen des Gehirns und seiner Bahnen zum sympathischen System bei den o r g a n i s c h e n Gehirnerkrankungen noch keine geniigende Berfieksiehtigung erfahren. Es gibt ja einige An- gaben fiber PupillenstSrungen bei Hemiplegiea), fiber vasomotorisehe StSrungen dabei usw. Aber es ist keine Rede davon, dab diese Dinge aueh nur einigermaBen mit modernen Ansprfichen geniigender Exakt- heir untersucht w~ren.

Am meisten klinisches Interesse hat noah die Mios is bei Herden der Medulla oblongata und die The r mo as y m me t r i e ebendabei (Ba- b i n s k i ) gefunden. Aber aueh darfiber sind wir noeh sehr ungenau unterriehtet. Wir wissen z. B. nieht einmal, ob es sich in dem Pupfllen- zentrum der Medulla oblongata wirklich um ein Zentrum handelt (Centrum ciliospinale superius Budge), oder ob die Miosis nur darauf beruht, dab Bahnen vom GroBhirn bzw. Hypothalamus zum Sym- pathicusursprung im Riickenmark dureh die Medulla oblongata ver-

1) Karplus u. Kreidl , Ein Sympathieuszentrum im Zwischenhirn. Arehiv f. d. ges. Physiol. 135, 401. 1910.

3) L. R. Miiller, Allgemeine Bemerkungen zur Physiologie des sympathisehen Nervensystems. Deutsche reed. Woehensehr. 1911, S. 583.

a) Die letzte von Kl ippel et Weft, Sere. m6d. 1912.

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laufen und bei einer Verletzung hier unterbrochen werden. Das letztere erseheint wahrscheinlicher.

Soviel fiber die h5heren Zentren und Bahnen des sympathisehen Systems. Uber die peripheren Bahnen des sympathisehen Systems, die also den Kernen, Wurzeln und den Nerven der quergestreiften KSrper- muskulatur entsprechen, sind wir sehr viel besser orientiert als fiber die zentralen Wege. Ieh komme darauf sogleieh zuriiek.

Vorher aber noch einige Worte fiber die S e n s i b i l i t s des sym- p a t h i s c h e n Sys tems . Hier sind zweierlei Dinge zu unterseheiden, einerseits die Tatfrage nach der Sens ib i l i t~ t des s y m p a t h i s c h i n n e r v i e r t e n P r o t o p l a s m a s und zweitens die Frage nach dem Wege der Sensibilits Was das erste betrifft, so ist ja der Streit um die Sensibilits des Darms besonders bekannt. L e n n a n d e r hatte be- hauptet, dab die Darmwand selbst ganz unempfindlieh, vielmehr nur das Peritoneum parietale sensibel w~re. Diese Ansehauung kann heute dureh eine grSgere Reihe klinischer und experimenteller Arbeiten 1) als widerlegt gelten. Ich bin geneigt, ungef~hr in demselben Sinne, wie das frtiher N o t h n a g e l ffir den Darm ausgeffihrt hat, der Sensibflits der glatten Muskulatur aller Organe und auch der Muskulatur des Herzens und der Gefs eine ganz auBerordentlieh groge Bedeutung ffir die Mil~empfindungen bei Erkrankungen zuzumessen2). Eine grol]e Menge yon Sensationen der inneren Organe und der Gefs werden dutch diese Sensibilits zum Bewugtsein gebracht und beeinflussen, was noeh wichtiger ist, unter der Schwelle des Bewugtseins oder re- flektoriseh wiederum die Tiitigkeit dieser Organe. In pathologiseher ttinsieht dfirfte das merkwiirdige Ineinanderspielen und die weehsel- seitige Versts von Beschwerden einerseits und der Funktions- st.Srungen andererseits (z. B. am Herzen) in diesen durch die Sensibfli- t~t ausgelSsten Vorg~ngen seine Begrfindung finden.

Die Wege der Sens ib i l i t~ t sind nun die gleichen wie die der KSrpersensibilit~t, d. h. die hinteren Wurzeln a) und die Hirnnerven. Diese Tatsache hat insofern Bedeutung erlangt, als man bei der Tabes versucht hat, durch Durehsehneidung dieser Wege die Sensibilit~t der inneren Organe aufzuheben. O. Foe r s t e r , hat v o n d e r Annahme ausgehend, dab alle Erseheinungen der Magenkrisen durch Erregungs- vorg~nge in der sensibeln Bahn ausgel6st wfirden, bekanntlich dio

1) Vgl. A. Neumann, Centralbl. f. Physiol. 1910, 1911, fcrner A. F. Hertz, Sensibility of the alimentary canal. London 1911.

2) Vgl. Die Funktionen des zentra]en Nervensystems. Jena 1907, S. 105. a) Bis zu den hinteren Wurzeln benutzen die Fasern zum Tell den Weg der

sympathischen zentrifugalen Bahnen, ebenso wie die sensiblen Nerven der KSrper. oberfl~che mit den motorisehen cerebrospinalen Nerven_ gemischt ver|aufen.

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hinteren Wurzeln, welehe sensible Fasern des Magens fiihren, durch- schnitten. Das Wesentliche bei dieser Operation ist - - was nieht immer betont wird--, dab er die Wurzeln durchschnitt, weil dann die zentral- gelegenen Nervenfasern zum Riiekenmark degenerieren und eine Wir- kung oder Perzeption der zum Zentralorgan geleiteten Erregungen aus- geschlossen ist. Wenn E xne r nun vorgesehlagen hat, in den F~llen, in denen die Foers tersche Operation nichts geniitzt hat, auch die zweite Sensibilit~tsleitung des Magens, die Vagi, zu durchschneiden, so ist das ffir die Sens ib i l i t~ t etwas ganz anderes. Oenn die sensiblen Vagusfasern bleiben mit ihrem trophisehen Zentrum, dem Ganglion jugulare und dieses mit der Medulla oblongata, ja verbunden. Sic degenerieren nicht, und die gleichen Erregungen kSnnen sich in ihnen abspielen wie vorher. Indessen kann bei der Exnerschen Operation auch noch die dabei unvermeidliche Durchschneidung der m o t o r is c h e n Vagusfasern fiir den Magen wirksam sein.

Sehr viel Interesse haben dann die Headschen Versuche erregt, aus der ~ ' b e r e m p f i n d l i c h k e i t der H a u t au f die E r k r a n k u n g g e w i s s e r Organe zu schliei~en. Die Headschen Untersuchungen beruhen auf dem Prinzip der I r r a d i a t i o n . Es ist ganz das gleiche, welches uns dcr Sehmerz nicht nur in dem betroffenen Zahn, sondern auch in den Nachbarz~hnen empfinden l~Bt, ja welches es aueh macht, daB der Sct~merz sogar vom Oberkiefer auf den Unterkiefer projiziert wird usw. Bei den Headschen Zonen ist das primer empfindliche das innere Organ, die irradiierte Hyperalgesie trifft die Haut. Es ist sehr interessant, dab sich dann die Hyperalgesie meist segmental angeordnet zeigt, als ein Zeichen, dab die Irradiation meist im l~iickenmark, wohl im Grau dcr HinterhSrner, erfo]gt. Wenig beachtet ist noch die yon Head an'gegebene Tatsache, dab bei Erkrankungen bestimmter Organe auch gewisse Territorien des Kopfes iiberempfindlieh werden. Es kann das sehr wohl daher kommen, dab die sensiblen Bahnen gewisser Or- gane, insbesondere wohl die dureh den Vagus geleiteten, in besonderer Nachbarsehaft einzelner Trigeminusabschnitte in der Medulla oblongata enden und die Errcgung dann auf diese iiberspringt. Es l~Bt sich iibri- gens nicht leugnen, da$ durch Irradiation eine Anzahl von Tatsachen dem Verst~ndnis niiher geriickt werden, die gerade im Bereiche des sym- pathisehen Systems eine gewisse Rolle spielen, nKmlich die Re f l ex - ne urosen. Wenn n~mlich ein Einflul~ vom Uterus auf den Trigeminus mSglich ist, so mull man auch annehmen, dab ein EinfluB vom Trige- minus auf den Uterus mSglich sei unter riiekw~rtigcr Benutzung der gleichen Irradiationsstelle. Man mu$ so viel zugeben, dab eine anato- miseh-physiologiseh-pathologische Basis gedacht werden kann z. B. fiir die Behauptung, dab Reizzust~nde in der Nase ein Asthma und viel- leieht auch sogar einmal uterine StSrungen unterhalten k6nnen. Dabeisoll

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tier Unfug, der gerade auf diesem Gebiete durch die Verkennung rein psy- chiseher Zusammenh~nge getrieben wird, gewil~ nicht besehSnigt werden.

Die Irradiation und die Headsehen Zonen sind auch noch yon einem anderen Gesiehtspunkt aus interessant. Sie geben uns eine Er- kl~rung ffir eine groSe Menge t h e r a p e u t i s c h e r Mal~nahmen, die wir fast gedankenlos anwenden. Wir machen heilte Umschl~ge auf den Bauch bei Gallensteinkoliken, wit machen heil~e Handb~der bei Herzattacken. Die Wirkung beruht wahrseheinlich auf einer Irradiation, zun~chst auf die sensible Vertretung der inneren Organe im Riicken- mark und yon da aus auf die Organe selbst. Es soll natfirlich die Ein- wirkung aUgemeiner sensibler Reflexreize nicht etwa geleugnet werden; aber vielleicht wirken die sensibeln Reize gerade yon den He adsehen Zonen, deren anatomiseher Zusammenhang mit dem erl~'ankten Organ ein besonders inniger ist, aueh besonders energiseh, vielleicht manchmal aueh qualitativ besonders.

Diese I r r a d i a t i o n yon der Oberft~ehe auf tiefer gelegene Teile scheint auch bei der Entstehung maneher Schmerzen eine Rolle zu spielen. Insbesondere sind die Kopfschmerzen bei Erkrankungen der Kufteren Kopforgane wohl auf eine Irradiation auf die die Meningen versorgenden Wurzelgebiete des Trigeminus zu beziehen, analog mSg- heherweise auch die Pleuralsehmerzen bei Erkrankungen der ~uBeren Brustwand zu erkl~ren, usw.

Wit sind nun so weft, auf den m o t o r i s e h e n t e t z t e n Teil des s y m p a t h i s o h e n S y s t e m s einzugehen, der also dem peripheren ,,Neuron" des quergestreiften Muskels entsprieht, tiler ist die eine ffir die L o k a l i s a t i o n pathologiseher StSrungen so wiehtige, von Gas kell und L a n g l e y genau untersuehte Grundtatsaehe festzuhalten, da~ nieht in allen Riiekenmarkswurzeln und nieht in allen Hirnnerven sympathisehe Fasern verlaufen, sondern dalt solehe nur aus vier Ab- sehnitten des I-Iirnstamms und Rfiekenmarks ihren Ursprung nehmen: 1. aus dem Mittelhirn mit dem Oculomotorius verlaufend, 2. aus der Medulla oblongata mit dem Glossopharyngeovagus, 3. aus dem Dorso- lumbalmark und 4. aus dem Sakralmark. Ieh will weder fiber den genaueren Ursprung dieser Fasern in den einzelnen Kernen und im Seitenhorn des Rfiekenmarks, noeh aueh fiber ihren anatomisohen Vet- lauf, sei es in besonderen Nerven (z. B. dem N. hypogastrious), sei es in gemisohten Nerven und Wurzeln, spreohen. Gerade darfiber hat L. 1~. Mfiller ausfiihrlieh beriehtet. Ieh fibergehe ferner die histologiseh sehr wiehtigen Studien R a m 6 n y Caj als fiber die Struktur der sym- pathisehen Ganglien, welehe yon L. R. M filler bestatigt und weiter- gefiihrt worden sind. Ffir die F u n k t i o n der sympathisehen Gangtien haben diese Studien zun~ehst keine unmittelbare Bedeutung.

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Nur an die Tatsache, da0 solche Ganglien fiberhaupt existieren, eine Tatsache, die ja seit jeher aufgefallen ist, ist anzukniipfen.

Wenn wir nach der F u n k t i o n der s y m p a t h i s c h e n G a n g l i o n fragen, so ist diese allerdings auch yon physiologischer Seite noch nicht vSllig gesichert. Unwiderlegt ist die Angabe yon L a n g le y, dal] zwischen Cerebrospinalachse und sympathischem Erfolgsorgan immer ein und immer nu r ein Ganglion eingeschaltet sei, dal~ also der Weg, flit den fiir die KSrpermuskulatur ein Neuron geniigt, hier immer aus zwei Neuronen zusammengesetzt ist, einem pracellularen und einem post- eelluls L a n g l e y ermittelte dies e Tatsache durch die Aufkl~rung und Verwendung der yon H i r s c h m a n n entdeckten spezifischen Wirkung des Nicotins auf die sympathischen Ganglion. Naeh La ngle y also kommt es zwar hgufig vor, dal~ Nervenfasern, ohne mit der grauen Substanz des Ganglion in Beziehung zu treten, ein Ganglion durch- setzen, aber dann werden sie eben in einem a n d e r e n Ganglion unter- brochen. Zu den Ganglion daft man wohl auch die mehr fl~ehenfSrmig angeordneten Geflechte des tterzens und speziell des Magendarmtraetus rechnen. Wenigstens haben wit, soweit mir bekannt, ffir den Vagus keine anderen sympathisehen Ganglien als im Herz die Herzganglien und tterzgeflechte, im Darm den lYIei~nerschen und Auerbachsehen Plexus. Es scheint mir, da[~ siehere Beweise fiir ein besonderes ,,Enteric- System" im Sinne L angle y s, der es als fiinften Toil seines autono men Systems auffiihrt, nicht erbracht sind.

Welehen S inn h a t n u n diese E i n s c h a l t u n g yon g r a u e r S u b s t a n z ? Hier ist noeh sehr vieles unklar. Man kSnnte daran denken, dal~ die durch den Nicotinversuch naehgewiesene Unterbreehung durch die Ganglien eine Bedeutung hatte in der Weise, dal~ im Ganglion die Erregung Modifikationen erfs da[~ etwa im Ganglion aufgespeieherte Energie entladen wiirde. In einem Fall, in welehem ich diese Hypothese gepriift habe, hat sich unter den gewahltcn Be- dingungen davon nichts nachweisen lassenl). Ich halte die Frage abet dadurch noch nieht fiir alle Fiille entschieden. Man hat den Ganglion ferner die AuslSsung eines Tonus zuschreiben wollen. Das hat sich in allen exakten Versuchen als falsch erwiesen [P. Sehultz2)]. Auf ein geradezu enfgegengesetztes Faktum komme ieh noeh zurSek. Auch die Annahme, dal~ es sich um Reflexzentren handele, dal~ also sensible Impulse bier ohne Beriihrung der Cerebrospinalaehse in motorische umgesetzt werden kSnnten, hat sich nieht besti~tigt. Speziell sind die Versuche yon L. R. l~Iiille r sowohl 'dutch meine mit P. S c h u 1 t z unter-

1) Der Kontraktionsverlauf eines glatten Muskels vom Warmbliiter bei Reizung seines Nerven. Arehiv f..Anat, u. Physiol., physiol. Abt. 1899, S. 352.

2) Archiv f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt. 1898, S. 123.

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nommenen Versuche mit Durchschneidung der Blasennervenl), wie aueh durch die Versuche yon R o u s s y und Ross i 2) mit Entfernung des Riickenmarks als widerlegt zu betrachten. Fiir die reflektorische T~tigkeit der Blase kommt danach nur das Riickenmark in Frage. Ob etwa im Darm, wo wir die Ganglien ja nicht isolieren kSnnen, ge- wisse Reflexe dureh ihre Zellen ablaufen, ist ja experimentell kaum zu entseheiden. Die Annahme wird mehrfach gemaeht. So diskutiert L a n g l e y a) die MSgliehkeit postganglion~rer Axonreflexe, deren Me= chanismus den im n~chsten Absatz zu erw~hnenden pr~ganglioni~ren analog w~re, als physiologisch-anatomischen Substrats soleher Vor- g~nge. Eine andere MSgliehkeit w~re die Existenz b e s o n d e r e r sen- sibler Fasern zu den Ganglienzellen der Gefleehte; aueh das wird von einer Reihe yon Autoren angenommen. Die Tatsache, dab im M u s k e l selbst eine Leitung stattfinden kann (Herz, Darm), setzt der experi- mentellen Priifung gerade hier aber ganz auBerordentliehe Schwierig- keiten entgegen. Wenn die Ganglien bzw. das Zellgeflecht eine solche selbst~ndige Funktion wirklieh h~tten, so w~re der Sinn ihrer Ein- schaltung in die Leitung yon der Cerebrospinalachse ja ohne weiteres klar. Denn es w~re ja sehr unzweekm~$ig und mill]re zu StSrungen Veranlassung geben, wenn die beiden Apparate, der eerebrospinale und der ganglion~re, ganz unabh~ngig voneinander funktionieren wiirden.

Eine sehr merkwiirdige Tatsache, die aber wahrscheinlich ohne Be- deutung im natiirlichen Ablauf der Funktionen ist, sind die L a n g l e y- schen pr~ganglion~ren A x o n re f le x e, Pseudoreflexe, die dadurch ver- mittelt werden solien, dal~ bei kiinstlicher zentripetaler Reizung eines motorischen Nerven die Erregung yon einer Faser auf die anderen bzw. auf Kollateralen iiberspringt. Diese Reflexe sind infolgedessen nicht mehr auszulSsen, wenn die pr~cellul~ren Fasern zum Ganglion degene- riert sind. Sollten sie im Lauf des natiirlichen Geschehens in Betracht kommen, so w~re dazu die sehr unwahrscheinliche Voraussetzung er- forderlich, dab die motorischen Fasern zugleich als sensible dienten.

In den r h y t h m i s c h t ~ t i g e n O r g a n e n haben die Ganglien viel- leicht die F u n k t i o n , d iese r h y t h m i s c h e T ~ t i g k e i t automatisch zur AuslSsung zu bringen. Diese Frage ist ja vor allem fiir die Funktion des Herzens diskutiert worden. Die Meinunge n stehen einander schroff gegeniiber. Es ist einerseits nicht zu leugnen, da~ das Herz des Hiihn- chens, noch ehe es sichtbare Ganglienzellen enth~ilt, rhythmisch

1) Uber Durchsehneidung der Blasennerven. Centralbl. f. Physiol. 1903, Heft 16.

2) Troubles de la miction et de la d6f6cation cons6cutifs aux 16sions exp6ri- mentales etc. Arch. de m4d. exp6rim. 2, 199. 1910.

3) Ergebnisse d. Physiol. 2, 818. 190"2.

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schli~gt, andererseits gibt es wirbellose Tiere (Limulus), bei denen die Herznerven und Herzganglien au~erhalb des Herzmuskels liegen, also leicht entfernbar sind, und bei denen Car l son mit Sicherheit nach- gewiesen hat, dab die Herzbewegungen nach Durchtrennung der be- treffenden Nerven, bzw. Abschneidung der Ganglien, stillestehen. Es ist das um so bemerkenswerter, als Car lson bei den Embryonen der- selben Tierart diese Abh~ngigkeit vom Nervensystem noch nicht fest- stellen konnte. So ware es sehr mSglich, daI] auch beim Menschen im postembryonalen Leben die R e i z e r z e u g u n g ffir das tIerz auf die Ganglien fibergeht, und Nicola i 1) kommt in seiner zusammen- fassenden Besprechung der myogenen und nourogenen Theorien zu diesem Resultat. Ebenso scheinen die Versuche yon Magnus 2) am Darm dafiir zu sprechen, dai~ die rhythmische Reizerzeugung an die Nervenzellenplexus gebunden ist. Die Reizleitung ist yon der l~eiz- erzeugung abet durchaus zu trennen und kann wahrscheinlich sowohl im Herzen in weitem Umfange dutch die Muskulatur bzw. besonde re Muskulatur geleistet werden - - wenngleich sich auch an der Reizleitung sieherlich nervSse Strukturen beteiligen.

Wenn wirklich einzelne sympathische Ganglien und Nervenzellen- plexus die Funktion rythmischer Reizerzeugung haben, so wfirde es wiederum (vgl. S. 289) zweckm~l]ig erscheinen, daI~ die Impulse yon der Cerebrospinalachse fiber diese Ganglien, und nicht der Muskulatur direkt zugeleitet wfirden. Wir wfirden dann in den Ganglien einen Apparat erkennen, durch den das ordentliche Zusammenarbeiten der Peripherie und der Cerebrospinalachse gesichert wird.

Sehen wir von den noch ziemlich unklaren Besbnderheiten, welche dutch die Existenz der sympathischen Ganglien geschaffen werden, ab, so ist zuni~chst noch eine Tatsache hervorzuheben, die im sympathischen Iqervensystem im Unterschied vom cerebrospinalen eine nicht kleine Rolle spielt, d. i. die MSgl ichke i t der sog. a k t i v e n H e m m u n g . Der quergestreifte Muskel folgt durchaus der Erregung im Vorderhorn. :Nur dessen :Erregung kann gehemmt werden, dann erschlafft der Muskel, welt eben die ihm zufliel]ende Erregung geringer wird. Dagegen gibt es im Bereiche des sympathischen Systems F~lle, we der Muskel dadurch, da~ zu ihm ffihrende periphere Nervenbahnen in E r r e g u n g versetzt werden, erschlafft; diesen Vorgang nennt man eben aktive Hemmung. Am ~ltesten ist ihre Kenntnis beim Herzen (Vagus), dann beim Magendarmkanal (Splanchnicus). Aber auch bei nicht rhythmisch arbeitenden Organen ist solche aktive Hemmung nachgewiesen, ins- besondere an der Blase durch den N. hypogastricus (E l lie t t); auch dal~ an den Gefiil]en solche aktive Hemmungen eine gro~e Rolle spielen,

1) Archiv f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt. 1910. 2) Die Bewegungen des Verdauungskanals. Ergebnisse d. Physiol. 7, 27. 1908.

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unterliegt kaum einem Zweifel. Nebenbei existiert beim sympathisehen System nun aueh wie beim eerebrospinalen eine zentrale Hemmung. Also der Detrusor vesicae kann erstens dadurch zur Ersehlaffung gebraeht werden, dait durch einen Impuls im peripheren Nerven der Muskel akt iv erschlafft, zweitens dadurch, da~ ihm die Innervat ion seitens des den Detrusor erregenden Zentrums einfach entzogen wird. Das ergibt eine au~erordentliche Komplikat ion, u n d e s ist noch gar nicht festge- stellt, bei welchen physiologischen Vorgi~ngen und inwieweit der eine oder der andere Meehanismus in Frage kommt.

Von besonderem Interesse auch fiir die Pathologie seheint mir nun welter die besondere R011e zu sein, welche im Unterschied vom cerebrospinalen System im Bereiche des sympathischen Systems die P e r i p h e r i e spielt. Wenn wir einen quergestreiften Muskel durch Durchschneidung seines motorischen Nerven von den ihn innervierenden Nervenzellen abschneiden, so ist er erstens vSllig gel~hmt, und zweitens degeneriert er ziemlieh vollst~ndig. Die Selbst~ndigkeit der Peripherie im sympathischen System zeigt sich schon morphologich dadureh, da~ der Muskel unter diesen Umst~nden nicht degeneriert, sondern funktions- f~hig bleibt, und zwar aueh in den F~llen, wo man ihn nicht nur vom cere- brospinalen Nervensystem abgetrennt hat, sondern auch von seinen sym- pathischen Ganglien. Die funktionelle Selbst~ndigkeit der sympathischen Organe im intakten und normalen KSrper diirfte eine sehr versehiedene sein. W~hrend z. B. das Herz die Quellen seiner T~tigkeit auch in der Norm schon sicherlich in sich selbst tr~gt und v o n d e r Cerebrospinalachse aus nur beeinfluBt wird, stehen andere Organe, wie z. B. die Pupille, solange an ihren Verbindungen mit der Cerebrospinalachse noch nichts ge~ndert ist, und solange keine pathologischen Faktoren, Gifte od. dgl., einge- wirkt haben, ganz oder vorwiegend unter der funktionellen Herrsehaft der Cerebrospinalachse. In der :Norm kommt die Selbstii, ndigkeit der Peripherie bei den letztgenannten Organen nur wenig zum Ausdruck. Aber auch bei diesen Organen wird das anders, wenn durch Nerven- durchschneidung diese Organe yon der Cerebrospinalachse ]osgelSst werdenl). Eine Reihe von Tatsaehen, welche die Bedeutung der Iso-

1) Es ist das eine Tatsache, die ja im Prinzip lange bekannt ist, aber hi~ufig iibersehen wird. So behaupten F r e u n d und S t r a B m a n n (Zur Kenntnis des ner- vSsen Mechanismus tier W~rmeregulation. Archiv f. Pharmakol. u. experim. Pathol. 69, 12. 1912), dab Kaninchen nach Durehschneidung im Cervicalteil des Riicken- marks poikilotherm werden. Diese Angabe stimmt indessen nicht iiberein mit den Ergebnissen yon Goltz und Ewald am riickenmarksverkfirzten Hund. Goltz und Ewa |d fanden, dab sich bei diesen Hunden die W~rmeregulation nach einiger Zeit wiederherstellt.. Hr. :Freund, den ich auf diesen Widerspruch aufmerksam machte, ist, wie er mir freundlichst brieflich mitteilte, der Meinung, dal3 die Gol tz- Ewaldsehen Hunde im Brustm~rk, nicht oberhalb desselben operiert waren, d. h. also, dal~ sympathische Wurzeln erhalten waren. Ich habe aus der Gol tz- Ewaldsehen Arbeit nicht diesen Eindruck gewonnen.

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lierung der Peripherie fiir deren Funktion beweisen, hat sehon G o l t z in seinen bekannten, z. T. mit E w a l d unternommenen Versuchen ge- funden. Nur war G o l t z immer der Meinung, dab durch die Operation ein Shock ausgefibt wiirde, von dam sich dig niederen Zentren bzw. die Peripherie zu erholen h~tten. Im Unterschied yon G o l t z glaube ieh, dal] die Erregbarkeit der Peripherie wenigstens in vielen F~llen in der Norm gar nicht besteht, sondern sich - - gewissermaBen als ein p a t h o l o g i s e h e s Faktum - - erst entwickelt, wenn die zentralen Bahnen durchsehnitten sind. Das Merkwfirdige ist dies, dab diese Erregbarkeit ganz abnorm hohe Grade erreichen kann. Ieh habe das zuerst vor sehon 12 Jahren an den Augenmuskeln naeh Durehschneidung des Sympathicus gefundenl); es ist das voa A n d e r s o n ~) denn aueh fiir andere Nervenwege des sympathischen Systems best~tigt worden, und yon E ll i o t t ist eine verst~rkte oder wenigstens verl~ngerte Wirkung auch an den Nervenwegen gefunden worden, die aktive Hemmungen (vgl. oben) leiten. Es scheint sieh also um ein ganz allgemeines Gesetz zu handeln.

Wenn man das Verhalten eines glatten Muskels auf einen bestimmten Reiz vor und nach der Denervierung kurvenm~Big darstellen will, so kann das etwa in der folgenden Weise gesehehen:

Fig. 1.

Die gebrochene Linie bezeichnet die Norm, die ausgezogene dan denervierten Muskel. De r normale Muskel pflegt schon in der Ruhe einen Tonus zu haben, der beim denervierten fehlt oder geringer ist, daher wird dcr Ruhepunkt bei Fehlen aller Reize bei dam denervierten Muskel tiefer angenommen, bei steigendem Reiz aber sehneiden sieh die Kurven3).

Welehe Reize man nimmt, scheint gleichgfiltig zu sein; ieh hat te das Verhalten zuerst beim CO2-Reiz gefunden. Dann ist as ffir das Adrenalin best~tigt worden (Mel tze r ) , und wahrseheinlich gilt es fiir

i) Ber. d. Berl. Akad. d. Wissensch. 1900, Nr. 52. e) Journ. of Physiol. 30, 290. 1903. ~) Wahrscheinlich gilt ~hnliches auch fiir die Drfisen. Ich babe schon in

meiner ersten Mitteilung darauf hingewiesen, dal3 sich die C1. Bernardsche paralytische Speichelsekretion durch einen analogen Mechanismus erkl~ren ]~il~t.

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alle Reize eincr gewissen Intensit~t. Dabei ist nur eins zu betonen, dab es sich n i c h t um den F o r t f a l l von H e m m u n g e n handelt, sondern um eine uns zunEchst weiter nicht faBbare Ver~nderung der Eigenschaften des Protoplasmas. Ich habe diese schon frfiher der M u n k- schen Isolierungsver~nderung im zentralen Nervensystem verglichen; nur dab sie sich eben nicht an Nerven-, sondern an Muskel- oder Drfisen- substanz geltend machen wfirde. Loewi hat das bei seinen Versuchen fiber die Wirkung des Adrenalins auf die Fupille nach Pankreas- exstirpation 1) vSllig fibersehen, seine Ausffihrungen fiber vom Pankreas ausgehende ttemmungen sind hinf~llig.

Sehr interessant ist die Beobachtung yon Shima2), dab nach Ein- griffen in eine GroBhirnhemisphEre beim Tier auch eine Steigerung der Erregbarkeit der gcgenseitigen Pupille (geprfift durch lokale AdrenMin- instillation) eintritt. Das k6nnte darauf hindeuten, dab schon dutch die Ausschaltung des GroBhirneinflusses die Erregbarkeit der Peripherie eine Steigerung erfEhrt, eine vielleicht auch beim Menschen unter pathologischen Verh~ltnissen, und nicht nut an der Pupille, zu beach- tende MSglichkeit.

Die Steigerung der peripheren Erregbarkeit ist am ausgesprochensten nach Entfernung der zugehSrigen Ganglien, also Durchschneidung der postcellul~ren Fasern, aber auch nach Durchschneidung der pr~cellu- l~ren Fasern kommt jedenfalls eine eigene periphere Erregbarkeit zu- stande, die manchmal sogar fibernormale Grade insbesondere bei An- wendung s t a r k e r Reize erreicht. Die Tatsache, dab die Isolierungsver- Enderungen dutch Erhaltung des Ganglion gemildert werden, ist jeden- falls ein weiterer Beitrag zu der schon besprochenen funktionellen Bedeutung dieser Gebilde. Freilich ist es schwer, aus dieser Tatsache auf eine normale physiologische Funktion zu schlieBen. Noch einmM sei betont, dab eine Hemmung, die vom Ganglion etwa der Peripherie zuginge, ffir diese Erscheinung nicht verantwortlich gemacht werden kann.

Ffir die Pathologie scheint mir nun die M6glichkeit dieser peripheren Ubererregbarkeit recht beachtenswert. Sie erld~rt z. B. die Tatsache, dab bei einer Sympathicusverletzung die Haut der verletzten Seite durchaus nicht immer wErmer ist als die der gesunden, sondern manch- real ki~lter. Auch Goltz und Ewald berichten, dab die Haut ihres Tieres mit verkiirztem Rfickenmark manchmal k~lter, manchmal w~rmer war als in der Norm, ohne die Ursache dieser Erscheinung zu kennen. Ich habe in einem Fall yon Sympathicusverletzung, den

1) Arehiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 1908. ~) Pfliigers Archiv 1~6, 269. 1909. Auf die yon Shima fiber den

Meehanismus des in Rede stehenden PhEnomens gegebenen Hypothesen gehe ich nicht ein. Auch Shima spricht, m. E. mit Unrecht, yon ttemmungen.

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ich - - es war ein Oesophaguscarcinom - - leider nur zweimal gesehen babe, die Differenz mit aller Sicherheit beobachten kSnnen, und zwar war bei K~lteapplikation die Hau t der verletzten SeRe k~lter, bei W~rme und schon bei gew5hnlicher Temperatur erheblich h5her als die der gesunden.

Ich halte es aber auch ffir sehr mSglich, daB eine groBe Anzahl der Reizzustiinde, die wir bei den Organneurosen und den vasomotorischen Neurosen beobachten, nicht auf zentralen, sondern auf peripheren Vorg~ngen beruhen odor wenigstens in ei.ner erh5hten Ansprechbarkeit der Peripherie ihre Ursache haben. So k a n n z. B. be ide r R a y n a u d - schen Krankhei t mit ihren Anf~llen, so kann auch beim Pyloro- spasmus, beim MagensaftfluB eine solche ~bererregbarkei t der Mus- kuiatur bzw. der Drfisen durchaus eine Rolle spielen. Was die vaso- motorischen Neurosen betrifft, so scheinen mir die Versuche yon S i m o n s l ) , welche dieser selbst, ebenso auch C a s s i r e r 2 ) , gegen meine Auffassung verwertet, jedenfalls nicht gegen, sondern eher flit dieso zu sprechen. Si mo ns stellte ni~mlich im Gegensatz zu C u r s ch m a n n a) lest, dab die G e f ~ B r e f l e x e bei den vasomotorisch4rophischen Neu- rosen n i e m a l s d a u e r n d f e h l e n , sondern nu r manchmal, und zwar unter Umst~nden auch nut einseitig, nicht zu erzielen sind. Er schlieBt auf eine Dissoziation im Bereiche der niederen Zentren. Fiir solche vo rii b e r ge h e n d e n funktionellen Dissoziationen gerade im Bereiche der n i e d e r e n Zentren haben wit nun auf dem Gebiete der Nerven- pathologie eigentlich kein Analogon. Solche entsprechen viel eher ent- weder den Gehirnzentren oder der Peripherie. Jedenfalls kann nach den Versuchen yon S i m o n s die~e Dissoziation mindestens genau so gut in der Peripherie wie im Zentralorgan vor sich gehen, und ich verstehe seine abweichende Ansicht nicht. Es w~re nun ffeilich sehr erwiinscht, die Bedingungen zu kennen, unter denen die Reflexe bei den vaso- motorisch-trophischen Neurosen eintreten oder ausbleiben. Es wiirde vielleicht angebracht sein, diese Reflexc unter willkfirlich ge~nderten peripherischen Bedingungen zu untersuchen, z. B. nachzusehen, ob nicht bei K~lteanwendung auf die Peripherie die Reflexe verschwinden, bei langer Adaptat ion an hShere Temperaturen wiederkommen. Denn ein direktes Mittel, zu beurteilen, ob die Gef~Be insbesondere der tieferen Teile kontrahiert und reaktionsfi~hig sind odor nicht, haben wit bisher nicht; und wir wissen im einzelnen Versuch fast hie, unter welchen Be- dingungen wit ihn beginnen. Gegen cine zentrale Ursache spezieU

1) Plethysmographische Untersuchungen der Gef/~Breflexe bei Nervenkranken. Archiv f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., Suppl. 1910, S. 429.

2) Die Rolle des vegetativen Systems in der Path01ogie der vasomotorisch- trophischen Neurosen. Med. Klinik 1912, Nr. 47.

3) Untersuchungen fiber das funktionelle Verhalten der GefgBe bei vaso- motorischen und trophischen Neurosen. Mfinch. med. Wochenschr. 1907.

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der vasomotorisehen Neurosen spricht iibrigens auch die Verteilung der StSrungen, welehe im allgemeinen doch durehaus nieht segmen- tal ist, sondern sieh einfach an die Extremit~tenenden h~lt.

Ausdriieklich mSchte ich betonen, dab es mir sehr fernliegt, etwa die Reizzust~nde in der Peripherie, die ich bei den vasomotorischen Neurosen annehme, etwa in i h r e r E n t s t e h u n g zu meinen oben- erw~hnten Versuchen mit der Erregbarkeitssteigerung nach Durch- schneidung der zufiihrenden sympathischen Fasern in Beziehung zu bringen. Die sympathischen Fasern sind ja offenbar bei den vasomo- torisch-trophischen Neurosen erhalten und die Erregbarkeitssteigerung muB andere Ursaehen haben als die Denervierung. Wir kennen ja einen Teil der Ursachen, z. B. die oft wiederholte Einwirkung von K~lte und N~sse bei den vasomotorischen Neurosen. Bei anderen Or- ganen kommen andere Ursaehen in Betracht. Die Experimente habe ich nur angezogen zum Beweise, daft eine Erh6hung der Erregbarkeit eben p e r i p h e r bedingt sein k a n n , und klinisehe Beweise gegen die Annahme kenne ich bisher nichtZ): Wenn erst einmal die Erregbarkeit in der Peripherie gesteigert ist, so kann sie wahrscheinlieh auf mannig- fache Weise, solange die sympathisehen Nervenbahnen erhalten sind, aueh von diesen (z. B. reflektoriseh) ins Spiel gesetzt werden.

Von allen diesen Problemen sprieht die Klinik heute kaum mehr, seitdem n~mlich die V a g o t o n i e und die S y m p a t h i c o t o n i e in die Welt gesetzt worden sind. Was ist das ? Zuerst einmal die N o m e n k l a t u r- f r age . Ich hatte bisher die Bezeiehnung ,,Sympathisches System" in dem alten Sinne angewandt: als die Gesamtheit aller der genanntea Organe. Ich hatte ferner erw/~hnt, da6 die sympathisehen (pr~cellu- l~ren) Fasern ihren Ursprung nehmen in vier r~umlieh voneinander getrennten Gebieten der Cerebrospinalachse. Dem ist nun hinzuzufiigen, dab L a n g l e y das, was wir als sympathisches System bezeichnet hatten, a u t o n o m es System genannt hat. Fiir ihn hat das autonome System 4 Abteilungen, die meseneephale, die bulb~re, die thorakale und die sakrale. (Dazu kommt noeh L a n g l e y s Enteric-System, das den peri- pheren Darmnetzen entspricht, das ich aber, wie schon bemerkt, S. 288 als besonderes System night fiir ganz gesichert halte.)

L a n g l e y hatte so die MSgliehkeit, den thorakalen Teil dieses seines autonomen Systems als sympathisehes System schleehthin zu be- zeiehnen, gleieh also dem dorsolumbalen Teil des autonomen Systems.

1) Cassirer fiihrt auger den Versuchen yon Simons noch an, dab es ihm aufgefallen w~re, wie die durch das t%erstreifen des Gummiringes erzeugte Kon- traktion der kleinen Gef~13e den Reiz lange iiberdauert. Warum aueh das gerado auf einem pathologisehen Verhalten nervSser Z e n t re n und nicht auf einer t~ber- erregbarkeit der Peripherie beruhen muB, ist mir nieht verst~ndlich.

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])iesen zun~chst einmal nomenklatorischen Tatbestand hat nun die Wiener Schule g~nzlich mif3verstanden. DaB ihre Nomenklatur, die, sower ich feststellen kann, zuerst yon F r o e h l i c h und L o e w i 1908 (Archly f. experim. Pathol. u. Pharmakol.) gebraucht wurde, nicht ein willkiirliches Abweichen yon der L a n g l e y s c h e n war, ergibt sich aus der noch vor kurzem erfolgten Erkl~rung F r o e h l i c h s , dab seine Nomenklatur die L a n g l e y s sell). Die Wiener sollten den Fehler lieber eingestehen und nicht aus der Not eine Tugend machen. Es geht nicht an, dab H. H. Me ye r erkl~rt, er definiere eben autonom anders als L a n g l e y . Das ginge kaum, wenn die L a n g l e y s e h e n Ar- beiten von der Namens~nderung unberiihrt blieben. Es geht aber um so weniger, als die L a n g l e y s c h e n Arbeiten durch die neue Wiener Nomenklatur unverst~ndlieh werden. Denn L a n g l e y sprieht an den versehiedensten Stellen seiner Arbeiten davon, dab das sympathische System (im engeren Sinne) autonome Fasern fiihre; diese Versehieden- heir der Nomenklatur ist geradezu verwirrend und mull daher be- seitigt werden. L a n g l e y selbst hat neuerdings den Vorschlag gemaeht, die drei anderen Systeme, unter Beibehaltung der Bezeichnung ,,auto- nom" fiir das Ganze, als parasympathisches System zu bezeiehnen, und das kann man ja tun.

Vielfaeh wird die Gesamtheit des uns besch~ftigenden Nerven- systems , , v i s c e r a l e s " genannt, also synonym dem L a n g l e y s c h e n ,,Autonom". Dagegen ist gewil3 niehts zu sagen; nur haben his- toriseh gewordene Bezeichnungen eine solche Macht, dab sie gewShn- ]ich alle Veri~nderungen iiberdauern, und so haben auch wir hier noch die alte Bezeichnung ,,sympathisches System" fiir die Gesamtheit angewandt und nennen den dorsolumbalen Teil ,,sympathisehes System im engeren Sinne". Von den drei anderen Systemen werden wir von jetzt ab als den autonomen (autonomes mesencephales, autonomes bulbgres und autonomes sakrales) oder parasympathischen sprechen~).

Die nomenklatorische )~nderung hat nun eine sehr s a c h l i c h e Folge gehabt, ngmlich die strikte Entgegensetzung des sympathischen Systems im engeren Sinne (---- dorsolumbales autonomes System), gegen die Gesamtheit der drei anderen Systeme. Es ist das der physiologische Kern dessen, was uns heute als Sympathicotonie und Vagotonie vor- getragen wird. Diese Auffassung setzt voraus: 1. die E i n h e i t l i c h - k e i t des s y m p a t h i s c h e n S y s t e m s ; 2. die E i n h e i t l i c h k e i t d e r

1) A. FrShlich, Das vegetative (sympathische und autonome) Nerven. system. Med. Klinik 7, 305. 1911. Duplik in meinem Referat diese Zeitschr. Ref. 4, 252. 1911/12.

2) Langleys Umtaufung des autonomen Systems der Wiener Schule als des parasympathischen halte ich fiir ungerechtfertigt. Die in dem Singular zum Ausdruek kommende Vereinheitliehung dieser Systeme erscheint eben unbewlesen, vgl. welter unten.

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dre i a n d e r e n S y s t e m e und 3. e inen d u r e h g ~ n g i g e n A n t a g o - n i s m u s zwischen den be iden S y s t e m e n .

Selbst wenn das aUes bewiesen w~re, w~ren die Folgerungen, die E p p i n g e r und Hel~ fiir die Vagotonie ziehen, noeh unhaltbar. Denn auf Grnnd dieser Voraussetzungen wollen E p p i n g e r und Heg ,,aus dem Heer nervSser Erkrankungen, die man bisher unter dem Sammel- namen: Neurasthenie, Hysterie, Nervosit~t zusammenfal3te, ein Krank- heitsbild herausgreifen - - die Neurose Vago ton ie -- , das wir als funktionelle, autonome Systemerkrankung auffassen, indem aUe ihre Symptome sich mit einem Reizzustand im erweiterten Vagusgebiet in Einklang bringen lassen. Diesem Krankheitsbild miiBte die vago- tonisehe Disposition als zugrunde liegend gedacht werden usw . . . . ,,1).

E p p i n g e r und HeI~ erheben also den Anspruch, durch ihre Vago- tonie eine Neurose aus dem Sammeltopf der zentralen Neurosen zu isolieren. Dieser Anspruch ist eminent unklinisch. Sollen etwa die Ver~nderungen im visceralen Nervensystem die Erkli~rung fiir die Neu- rose abgeben ? Sie kSnnten doeh hSchstens die Begleiterscheinung der

das Wesen der Neurose ausmachenden psyehisehen Vorg~nge sein, oder sollen wir etwa alle zentralen Neurosen in Vagotonie, Sympathieotonie und ,,Dystonie" 3) aufgehen lassen ?

Da die Neurasthenie, Hysteric bzw. die Nervosit~t ja wohl zweifel- los psychischen oder wesentlich cerebralen Ur.sprungs sind, so wird es von vornherein nnwahrscheinlich sein, dal3 Sich ihre sympathischen Teilerscheinungen gerade auf das sympathisehe oder die anderen auto- nomen Nervensysteme beschr~nken. Wir wissen doch, dab die sym- pathischen Begleiterseheinungen der psychischen Vorg~nge schon ganz au~erordentlich differenziert sind, dab sieh das Splanchnicusgebiet in Vasokonstriktion befinden kann, w~hrend die anderen Gef~fle nicht kontrahiert sind, dab sich die Gef~Be des Gesichts anders verhalten, wie die der Extremit~ten, ja daI3 sieh die beiden Seiten des KSrpers nnter nervSsen cerebralen Einfliissen ganz verschieden verhalten kSnnen usw.

Was die speziell6n , , vago ton i s chen S y m p t o m e " anlangt, so muB ich aueh hier noch einmal erw~hnen, dab sieh E p p i n g e r und He B zweifellose grobe Fetfler haben zuschulden kommen lassen, indem sie quergestreifte Muskulatur, wie den Levator palpebrae und die Stimm- b~nder zum visceralen System rechnen und aueh den sensiblen Lungen- vagus in ihre Vagotonie hereinbringena).

1) Eppinger u. HeB, Die Vagotonie. Berlin 1910. 2) Der Ausdruck riihrt yon H. Cursehmann her. a) Ich habe diese Fehler sehon im Referatenteil dieser Zeitschrift $, 824. 1910

beanstandet. Mir ist nieht bekannt, dab irgendein anderer Referent oder selbst ein Nachuntersucher das zur Kenntnis genommen hi,tie. Auch E p pi n ger und H el3

Z. f . d. g. Neur. u. Psych. O. XIV. 2 0

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Als sonstige Symptome der Vagotonie nennen E p p i n ge r und He 1~: Akkomodationskrampf, Miosis, Salivation, Sehweil3ausbrfiche, vaso- motorische und zwar wesentlich konstriktorische Erfolge, Herzverlang- samung, Hypersekretion, Hyperacidit~t, die Stierhornform des Magens, Kardiospasmus und Oesophagospasmus, gesteigerte I)iinndarmperi- staltik, spastische Obstipation, Krampf der Sphineteren im Rectum, Erektionen, ProstatorrhSe, funktionelle Dysurien usw. usw.

Wenn wit yon allen diagnostischen Schwierigkeiten absehen - - man denke beispielsweise an die Diagnose der ,,spastischen" Obstipation im Unterschied yon der paralytischen - - und weiter annehmen, dab wirk- lich alle diese Symptome nur dutch Reizung der autonomen Systeme, des ,,erweiterten Vagusgebiets" im Sinne yon E p p i n ge r and H e ~ zu- stande kommen kSnnen, wenn wir alles Falsche und Zweifelhafte bei- sere lassen und fragen, wie es d e n n e igen t l i ch mi t dem A n t a - g o n i s m u s des s y m p a t h i s c h e n S y s t e m s im enge ren S inne zu den a n d e r e n a u t o n o m e n S y s t e m e n bes t e l l t is t , so hat die Physiologie sich ja seit jeher mit solchen antagonistischen Wirkungen beseh~ftigt. Die Wirkung des Accelerans und des Vagus am Herzen, die des Vagus und des Splanchnicus am Darm sind Beispiele. Diesen Antagonismus hat aueh die Klinik seit langem beriicksichtigt. Man braueht nur an die Arbeiten iib~r die Bedeutung des Vagus und des Accelerans fiir die nervSsen HerzstSrungen zu erinnern. Das Studium dieser Dinge selbst an den einzelnen Organen ist noeh lange nicht zu Ende, so liegen z. B. am Magendarmkanal die Nervenwirkungen sehr verwiekelt. Einerseits werden neben den motorisehen Wirkungen des Vagus aueh hemmende, andererseits werden vom Splanchnieus auch erregende Wirkungen behauptet. Gegen den prinzipiellen Gegensatz der beiden ,,Systeme" sprieht auch die Tatsache, dab Funktionen, welehe bei einer Tierart vom sympathisehen System geleitet werden, bei einer anderen vom parasympathisehen iibernommen werden (Lang ley , E1- l iott) . In derselben Richtung, gegen den absoluten Antagonismus, kann auch die Tatsaehe verwendet werden, dab bei einem doppelt innervierten Organ, der Blase, die Erhaltung eines der beiden (sympathischen und parasympathischen) zuffihrenden Nervenpaare geniigt, um die Funktion aufreeht zu erhalten, w~hrend sie Durchschneidung der beiden vernichtet. Niemals hat aber ein Physiologe behauptet, dab das sympathische System als Einheit den drei anderen Systemen als einer anderen Einheit gegen- iiberstehe.

Diese Behauptung aufzusteUen war den P h a r m a k o l o g e n bzw. Toxikologen vorbehalten. Der Hergang war folgender: Ich habe zuerst

haben nirgends geantwortet, ob sie die Fehler anerkennen, und ob und wie das Krankheitsbild der ,,Vagotonie" nach Beseitigung der fiberhaupt gar nicht auf das viscerale System zu beziehenden Symptome zu halten ist.

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gezeigt, Ms bis dahin nur die Adrenalinwirkung auf die Gef~Be bekannt war, dal3 das A d r e n a l i n am Auge genau wie Sympathicusreizung wirkt, durch Untersuehungen yon B o r u t t a u, P al, weitere eigene, und namcnt- lich die von L a n g l e y hat sich dann ergeben, dab das Adrenalin auf sehr viele Sympathicusendigungen wirkt. L a n g l e y selbst driickte sich aber noch durchaus vorsichtig aus: Das Adrenalin reize keinen der Ncrven der kranialen und sakralen autonomen Systeme und i n v ie le n F g l l e n (in many cases) wgren die Effekte des Adrenalins und der elektrischen Reizung des sympathischen Systems im engeren Sinne genau die gleichenZ). L a n g l e y s Schiller E l l i o t t 2) ist dann, was die muskulSsen Organe betrifft, weiter gegangen. Naeh ihm entsprieht die Wirkung des Adrenalins auf diese genau der Sympathieusreizung: wo der Sympathicus kontrahiert, da kontrahiert auch Adrenalin, wo der Sympathicus hemmt, hemmt auch Adrenalin. Aueh im Bereiche der muskulgren Organe des sympathischen Systems, speziell fiir t terz und Darm, scheint mir das noch nieht ganz erwiesen. Einige Fragezeichen stehen auch noch bei E l l i o t t . Die Physiologie der Blase ist dureh neueste Forschungen yon L a ng le yS) fiber die ~nderung der Nerven- reizung unter dem Einflul3 verschiedener Pharmaka so kompliziert worden, daI3 sich meines Erachtens fiber die physiologische Innerva- tion dieses Organs augenblicklieh kaum ein Urteil abgeben l~13t. v. L e h m a n n 4) gibt neuerdings fiber die Innervation der Sphincteren des Anus ganz entgegengesetzte Angaben, wie frfiher F r a n k l - H o c h - w a r t und F r o e h l i c h . Aber auch E l l i o t t sagt nichts fiber die Drilsen, und hier liegt eben die ganz offene B16Be der Wiener Sehule, welehe, fiber L a n g l e y weir hinausgehend, das sympathische System mit dem adrenalinreizbaren System identifiziert. Dabei ist die Iden- titgt der Wirkung mindestens fiir die Schweil3drilsen nachgewiesener- und zugestandenermal3en nicht vorhanden, vielmehr reagieren die SchweiBdrilsen auf den Antagonisten des sympathicotropen Adrenalins, das Pilocarpin. Damit gelten sie filr die Wiener Schule als , ,autonom",

�9 die Schweil3ausbrilche als Zeichen der ,,Vagotonie". Daraus folgt, daI3 das sympathische System im anatomischen Sinne als der dorsolumbale Tell des autonomen Systems etwas anderes ist als das pharmakologische ,,sympathische System", und E p pi nge r und He 1~ nehmen zur Basis

1) Journ. of Physiol. ~T, 256. 1901. 2) Journ. of Physiol. 3~, 401. 1905. 3) Journ. of Physiol. 43, 125. 1911. a) Arehiv f. d. ges. Physiol. 149, 413. 1912. Man bedenke nebenbei, dab

sieh durch jede neue, yon der alten abweiehende Feststellung aueh das angebliehe Krankheitsbild der Vagotonie verschieben muff. W~re es empirisch gewonnen, so wiirde es das natiirlieh nicht vertragen. Es ist aber eben nur eine theoretisehe Konstruktion.

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ihrer Vagotonie nicht die anatomische, sondern die pharmakologische Einheit.

Viel schlechter noch als mit der Einheit des sympathischen Systems (ira engeren Sinne) steht es noch mit der Einheit der drei anderen Systeme untereinander. Physiologischerseits hat bier iiberhaupt nie- reals jemand eine Einheit konstruiert. Was sollte wohl auch die Ver- engerung der PupiUe mit der Hemmung der Darmbewegungen oder der Harnentleerung zu tun haben. Aueh hier ist es einzig und allein wieder die P h a r m a k o l o g i e , die d~ Zusammenhgnge schaffen will, wo fiir die nervSsen Funktionen gar keine bestehen. Aber auch schon mit der pharmakologischen Definition steht es bier noch viel schlechter als bei dem sympathisehen System im eignen Sinne und dem Adrenalin 1), eine Behauptung, fiir die ich auf E p p in g e r und H e s s wie auf H. tt. M e y e r verweise2).

DaB das Pilocarpin, das als das Hauptmittel der ,,autonomen" Reizung benutzt wird, die sympathischen SchweiBdriisen reizt, war bereits erw~hnt. Die Anspriiche der Pharmakologie, ohne Riicksicht auf Anatomie und Physiologie ihrerseits die Ausdehnung der einzelnen Systeme zu bestimmen, miissen die ganze ~-'rage verwirren und sind durchaus zuriickzuweisen. Es ist ganz unberechtigt, alle Ausnahmen auf die Beimischung yon autonomen Fasern im Zentralorgan zu be- ziehen, wie das H. H. Meyer versucht. Miige er diese Annahmen, wie die ,,autonome" Natur der Schweil~driisen und zum Tell der Uterus- innervation doch beweisen. Er will offenbar darauf hinaus, dab die den pharmakologischen Gesetzen widerstrebenden Fasern lange Strecken im Nervensystem zuriicklegen, ehe sie es verlassen. Da aber die Fasern sich nach L a n g l e y s Untersuchungen anatomisch genau so verhalten, wie alle anderen aus dem gleichen Niveau entspringenden, so liegt dafiir nicht die geringste Wahrscheinlichkeit vor. Es w~re aber nicht schwer, diese Annahme zu pr'fifen, indem man das Riickenmark im Cervical- tell durchschneidet. Kommen die Fasern wirldich aus hSheren Gehirn- teilen (dal~ es intrazentrale B a h n e n gibt, welehe aus hSheren Gehirn- teilen stammen, ist ja fiir alle Systeme selbstversti~ndlich), so miissen sie in 14 Tagen degeneriert und dementsprechend der pr~eelluli~re Teil der Bahn unerregbar geworden sein. Ehe dieser Versueh nicht mit positivem Resultat angestellt ist, entbehrt die Me yersehe Hypothese jeder tats~ehlichen Unterlage.

1) Bauer guBert neuerdings den Gedanken, dab im Sehlaf gerade die para- sympathisehen Systeme tgtig wiirden. Das ist aber nur ein Gedanke. Viele Aus- nahmen wgren anzufiihren, z.B. der Akkomodationsmuskel; aueh rechnet Bauer die Schweii]driisen sehon zu den parasympathiseh innervierten Organen.

~) H. H. Meyer, Pharmakologie des ,dseeralen 1%rvensystems, Med. Klinik 1912.

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Es b le ib t dabei , dab die Wiener E i n h e i t e n ke ine ana- t o m i s e h e n oder p h y s i o l o g i s e h e n , s o n d e r n eben p h a r m a k o - logisehe sind. Die pharmakologische einheitliehe Reaktion ist weiter zwar ein Beweis fiir eine in gewisser Richtung einheitliche Funktion, aber nicht fiir die Funktion sehlechthin, wie das H. H. Meyer zu be- haupten scheint.

Es w~re daher sehr zu begriil3en, wenn man fiir die Gesamtheit der Organe, die auf ein Pharmakon in einem bestimmten Sinne ein- heitlich reagieren, aueh Bezeichnungen w~hlen wiirde, welche den Unterschied yon den anatomischen Verh~ltnissen erkennen lassen. Ieh wiirde z. B. a d r e n o p h i l e s , p i l o e a r p i n o p h i l e s System vorschlagen; aber das mSgen die Pharmakologen bestimmen. Dann kSnnten Physio- logie und Klinik sehen, was sie mit diesen vonder Pharmakologie ge- lieferten Einheiten anfangen kSnnen. KeinesfaUs daft die Pharmakologie anatomische oder physiologische Einheiten umstoBen oder konstruieren wollen.

Fiir die Beurteilung der Folgerungen, die aus den pharmakologischen Untersuchungen gezogen werden kSnnen, ist - - ganz abgesehen yon ihrer Giiltigkeit - - noch eins sehr wiehtig, dab n~mlich gerade die bei- den Mittel, die als Tests verwandt werden, das Adrenalin und das Pilo- carpin, peripher wirken. Wir sollen also die z e n t r a l e n Neurosen ein- teilen nach der Wirkung pe r i phe r angreifender Pharmaka und sollen dabei noch 5 gerade sein lassen.

Es war ja zu erwarten, daI~ eine derart begriindete Lehre nicht stimmen konnte und ich behaupte, dab die Vagotonie als z e n t r a l e Neurose nicht existiert, sondern nur eine Konstruktion ist. Ieh habe eine Anzahl Nerv5ser auf ihre ,,vagotonischen" und ,,sympathicoto- nischen" Symptome hin analysiert und habe in buntem Wechsel ,,sympathicotone" und ,,vagotone" Symptome gesehen. Die nervSsen (psychischen) Symptome auf dem Gebiete des vegetativen Nerven- systems sind eben viel komplizierter und differenzierter, als das in den Strukturverh~ltnissen des Riickenmarks und des Hirnstamms und der Peripherie zum Ausdruck kommt. Ganz Analoges gilt ja seit jeher fiir die quergestreifte KSrpermuskulatur.

Pharmakologisehe Priifungen babe ich bei meinem Material nicht vornehmen diirfen. Aber das haben andere getan, und alle sind zu dem

wenn aueh yon den Autoren selbst z. T. recht verktausulierten - - Ergebnis gekommen, dab es mit der Vagotonie niehts ist, sondern dab sogenannte vagotone und sympathicotone Symptome durcheinander vorkommen [Petr ~n und Thorl ingl) , Baue r ~) u. a.] Den Curseh-

1) Zeitschr. f. klin. Medizin 73. 1911. 3) Deutsehes Archly f. klin. Medizin 107, 40. 1912.

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mannschen Ausdruck der Dystonie halte ich daher auch fiir iiber- fliissig.

Wenn die Anwendung der pharmakologischen Begriffe der Vagotonie und der Sympathicotonie fiir die z e n t r a l e n Neurosen von vornherein unmSglich erscheint, so kSnnte man fragen, ob mit ihnen auf dem wenig gekIKrten Gebiete der sog. , ,Organneu rosen" , die vielleicht zum Tell peripher bedingt sind, etwas zu erreichen ist. Bisher liegt dafiir kein Beweis vor. Sower ich dariiber habe Erfahrungen sammeln kSnnen, sind auch hier die Symptome keineswcgs nur ,,vagoton" oder ,,sym- pathicoton". So sah ich in einem Falle zusammen mit paroxysmaler Tachykardie (Sympathicus) anfallsweise Speiche]flu$ (Vagotonie nach E p p i n g e r ) usw. - - Selbstversti~ndlich gibt es F~llc, wo nut Funk- tionen des sympathischen oder nur solche des autonomen Systems im Sinne der Wiener Schule gestSrt sind, so ist bei paroxysmaler Tachykardie der Vagos gewiS nicht beteiligt. Das hat aber mit der einheitlichen Funktion des sympathischen Systems nichts zu tun.

Man sollte daher die spezifisch pharmakologische Betrachtungsweise yon E p p inger und He S auf diejenigen Erkrankungen b eschr/inkcn, auf welche sic past, n~mlich auf solche, bei wclchen Gifte im KSrper wirksam sind, wie dcnn H. H. Me yer die Wirkung des anaphylaktischen Shocks als eine (in seinem Sinne) autonome Vergiftung erkli~rt, oder auf solche, bei welchen Organprodukte fehlen, insbesondere auf die StSrungen der inneren Sekretion.

Man haltc sich dabei an die pharmakologische Wirkungswcise und versuche nicht, pharmakologisehc Einheiten als anatomische oder physio- ]ogische hinzustellen. ~iemanden wird es wundern, wenn etwa bei der Addisonschen Krankhcit eine Hypofunktion der vielleieht normaler- weise durch das Adrenalin in Erregung gehaltenen Organe (nieht derer des sympathischen Systems im anatomischen Sinnc) festgestellt wcrden wird. Vorl~ufig sind selbst bci den in Betracht kommenden Erkran- kungen, z.B. dem Basedow, allgemein giiltigc Resultate noch nieht erzielt worden, weil die Dinge schon hier so auSerordentlich verwickelt sind. Aber hier k a n n man wenigstens welter kommen. Die Schema- tisierung aber kann fiberall nur dazu fiihren, daS wichtige tats~ehliehe Befunde iibersehen warden.

Fiir die prim/s Erkrankungen des Nervensystems und speziell fiir die zentralen Neurosen war die pharmakolog~sche Methode yon vornherein unpassend. Spezicll die auf die Peripherie geriehteten Mittcl konnten zu gar keinen l~esultaten fiihren.

Ich glaube aber gezeigt zu haben, daS andere Probleme auf dem Gebiete der Funktionen des sympathischen Systems der geduldigen und vorurteilslosen Bearbeitung harren und Erfolge versprechen.

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Freilich wird es fiir den einzelnen immer schwerer, solche Arbeit, die in die Breite gehen muB, sclbst zu lcisten. Es ist auf das dringendste zu wiinschen, dab fiir die in Deutschland so stiefmiitterlich behandelte und an der freien Entwicklung gehinderte Neurologie selbst~ndige Organisationen geschaffen werden, welche eine solche gesammelte Arbeit vieler auf dcm besprochcnen und auf anderen Gebieten er- mSglichen.