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HERBERT QUANDT-STIFTUNG CLAUSS PETER SAJAK / ANN-KATHRIN MUTH Interkulturelle und interreligiöse Kompetenzen in der Schule fördern Standards für das trialogische Lernen TRIALOG DER KULTUREN

Standards für das trialogische lernen

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H e r b e r t Q u a n d t - S t i f t u n g

C l auSS Pe ter Sa jak /

ann - k ath rin Muth

Interkulturelle undinterreligiöse Kompetenzenin der Schule fördern

Standards für das trialogische lernen

t r i a l o g d e r k u l t u r e n

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C l auSS Pe ter Sa jak /

ann - k ath rin Muth

Interkulturelle undinterreligiöse Kompetenzenin der Schule fördern

Standards für das trialogische lernen

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Vorwort der Herbert Quandt-Stiftung:

Ein Plädoyer für trialogische Bildungsstandards in allen Schulen!

Clauß Peter Sajak/Ann-Kathrin Muth

1. Trialogisches Lernen ermöglicht Kompetenzentwicklung

2. Schule orientiert sich an Kompetenzen und Standards

3. Standards für das trialogische Lernen

Kompetenzbereich 1: Die Relevanz erkennen

Kompetenzbereich 2: Den Dialog fördern

Kompetenzbereich 3: Den Anderen anerkennen

Kompetenzbereich 4: Die eigene Identität weiterentwickeln

Kompetenzbereich 5: Über die Schule hinaus wirken

4. Im Wettbewerb erhobene Standards für das trialogische Lernen

5. Fazit: Der Trialog der Kulturen muss in die Schule

Weiterführende Literatur

Die Autoren

Leitbild der Herbert Quandt-Stiftung

Impressum

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inhalt

i M P r e S S u M

HerausgeberHerbert Quandt-StiftungAm Pilgerrain 15D-61352 Bad Homburg v. d. HöheTel: +49 (0) 6172 404-500Fax: +49 (0) 6172 404-545info@herbert-quandt-stiftung.dewww.herbert-quandt-stiftung.de

RedaktionRoman Weigand

Gestaltung und SatzStählingdesign, Darmstadt

FotografieSusanne Albrecht

©Herbert Quandt-Stiftung, 2011

ISBN 978-3-937831-19-0

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Noch immer wird unterschätzt, wie stark sich Deutschland in den letzten

Jahrzehnten verändert hat. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes lebten

2009 16,0 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland;

das sind 19,6 % der Bevölkerung. Damit sind allerdings nicht allein Ausländer

gemeint, sondern auch Deutsche mit einer Zuwanderungsgeschichte – etwa aus

Russland oder Rumänien – sowie eingebürgerte Migranten. Rund vier Millionen

Menschen sind Muslime, über 1,3 Millionen Menschen gehören den orthodoxen

Kirchen an. Die Zahl der Juden ist dank der „russischen Kontingentflüchtlinge“

auch auf über 100.000 Gläubige gewachsen.

Die zukünftige Leistungselite Deutschlands (und nicht nur die Unterschicht, wie

oft beklagt wird) wird in einem erheblichen Maße eine Zuwanderungsgeschichte

besitzen. Diese Entwicklung spiegelt sich nirgendwo deutlicher als in den Schulen

der Bundesrepublik wider – besonders in den Großstädten. Grund genug, dass

Schülerinnen und Schüler interreligiöse und interkulturelle Kompetenzen so

früh wie möglich in ihrem Leben entwickeln müssen. Dies geschieht am besten

fächerübergreifend, mit einem soliden theoretischen Wissen und konkreten

praktischen Anknüpfungspunkten.

Genau hier versucht die Herbert Quandt-Stiftung mit ihrem „Trialog der

Kulturen“-Schulenwettbewerb einzusetzen, der den Fokus auf das gemeinsame

Erbe von Judentum, Christentum und Islam legt.

Seit 2005 haben sich mehr als 25.000 Schülerinnen und Schüler aus rund 100

Schulen in Hessen, Berlin, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Thüringen,

Brandenburg und dem Saarland in jeweils einjährigen Projekten intensiv mit

Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen den drei monotheistischen

Kulturtraditionen beschäftigt. Dabei wird nicht einer diffus vereinnahmenden

„Superreligion“ das Wort geredet, sondern klar zwischen der Anerkennung des

Anderen und der Suche nach dem Eigenen sowie den gemeinsamen Wurzeln

unterschieden.

Die Schulen untersuchten religiöse Traditionen und ihre kulturellen Aus-

prägungen, setzten sich mit theologischen Denkmodellen und ihren sozialen

Ausprägungen, mit Kulturkonflikten und Kulturbegegnungen, schulischer

Wirklichkeit und Potentialen des Zusammenlebens auseinander. Die Projekte

Genau zehn Jahre ist es her, dass die Veröffentlichung der PISA-Studie einen

regelrechten Schock in der deutschen Bildungslandschaft bewirkte. Die Bundes-

republik hatte in den 1970er und 1980er Jahren nicht an internationalen

Vergleichsstudien teilgenommen und stellte 2001 mit Entsetzen fest, dass das

Leistungsniveau der deutschen Schülerinnen und Schüler international nur für

einen Mittelplatz reichte.

Eine der bildungspolitischen Konsequenzen dieses Ergebnisses war die komplette

Umstellung bei der Steuerung des Wissenserwerbs in der Schule von Lehrplänen auf

Bildungsstandards und Kompetenzen. Entscheidend wird zukünftig nicht mehr

sein, was die Schule lehren soll (Input-Orientierung), sondern was Schülerinnen

und Schüler am Ende eines Schuljahrs gelernt haben (Output-Orientierung). Diese

Kompetenzen sind evaluierbar, so dass sich der erhoffte, positive Lernprozess der

deutschen Schülerinnen und Schüler messen lassen kann.

Für Fächer wie Religion und Ethik haben die beiden großen christlichen Kirchen –

und seit einiger Zeit auch jüdische und islamische Gelehrte bzw. Organisationen –

entsprechende Standards definiert. Was in der Diskussion bisher jedoch fehlt, sind

dezidiert interreligiöse und interkulturelle Bildungsstandards. Dieser Mangel hat

viel damit zu tun, dass es kein eigenes Schulfach zu diesem Themenspektrum gibt.

Zudem fehlt der interreligiösen und interkulturellen Pädagogik in den Schulen und

Kultusbehörden noch immer die Anerkennung, die ihnen in einer pluralistischen

Gesellschaft zukommen muss.

Vorwort

Ein Plädoyer für trialogische Bildungsstandards in allen Schulen!

V o rW o r t

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entfalteten eine enorme kreative Kraft, zogen ganze Schulen, Schülerinnen und

Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, Eltern, das Umfeld und mitunter gar die lokalen

Gemeinden in ihren Bann.

So setzte der Wettbewerb Maßstäbe. Die Herbert Quandt-Stiftung war davon

überzeugt, dass diese Schulprojekte implizit und explizit Bildungsstandards

hervorbringen. Die Stiftung beauftragte deshalb Clauß Peter Sajak, Mitglied

der unabhängigen Jury des Trialog-Schulenwettbewerbs und – als Professor für

Religionspädagogik an der Universität Münster – ein ausgewiesener Experte

für interreligiöse Didaktik und religiöse Kompetenzentwicklung, sowie seine

Wissenschaftliche Mitarbeiterin Ann-Kathrin Muth mit der Ausarbeitung

dieser Studie. Darin formulieren die Wissenschaftler erstmals trialogische

Bildungsstandards, die sie in die aktuelle Debatte einbringen.1

Das Autorenteam unterbreitet der bildungspolitischen Öffentlichkeit gemeinsam

mit der Herbert Quandt-Stiftung einen Vorschlag, wie interkulturelle und

interreligiöse Bildungsstandards in den Schulen fächerübergreifend verankert

werden können. Dabei gehen wir einen anderen Weg als die bisher von Ministerien

und Expertengremien erarbeiteten Bildungsstandard-Kataloge. Die von uns

vorgeschlagenen Bildungsstandards sind aus der Praxis von sechs Jahren Trialog-

Schulenwettbewerb gewonnen und haben den Test in der schulischen Wirklichkeit

bereits hinter sich.

Wir sind überzeugt, dass sich aus den innovativen und pädagogisch reflektierten

Projektergebnissen solide und übertragbare Kompetenzprofile entwickeln lassen,

die in allen Bundesländern zur Anwendung kommen sollen – sowohl auf der

Ebene von allgemeinen Bildungsstandards als auch im Rahmen der eigenständigen

Profilentwicklung einzelner Schulen.

Die vorliegende Studie führt zunächst in die wissenschaftliche Diskussion zur

Begegnung der Kulturen und im Anschluss in die Debatte um Bildungsstandards

ein. Am Beispiel der Ergebnisse von zehn „Trialog der Kulturen“-Projektschulen

entwickeln Sajak/Muth fünf Kompetenzbereiche des trialogischen Lernens:

1) Die Relevanz erkennen

2) Den Dialog fördern

3) Den Anderen anerkennen

4) Die eigene Identität weiterentwickeln

5) Über die Schule hinaus wirken

Diese Kompetenzbereiche sind ganz bewusst allgemein gefasst. Sie müssen

in einem weiteren Schritt in den Bundesländern und „vor Ort“ schulform- und

jahrgangsspezifisch in die pädagogische Arbeit eingefügt werden. Sie geben

ein stabiles Gerüst für den schulischen Trialog und sie zeigen, wie anhand von

erfolgreichen Beispielen des Trialog-Schulenwettbewerbs diese Kompetenzen in

Schulprojekten und Schulalltag realisiert werden können.

Das bildungspolitische Engagement der Herbert Quandt-Stiftung begann

1999 mit einer Lehrplan-Studie. Drei Jahre lang untersuchte eine Gruppe

von Theologen und Religionswissenschaftlern der University of Birmingham

um Jørgen Nielsen, Markus Vinzent und Lisa Kaul-Seidman Curricula und

Unterrichtspraxis in acht europäischen Ländern in Hinblick auf ihr Potential,

Wissen über die drei abrahamischen Religionen zu vermitteln.2 Dabei stand nicht

nur die Frage im Zentrum, ob entsprechende Inhalte ausreichend berücksichtigt,

sondern auch, wie sie vermittelt werden. Auf Grundlage der Ergebnisse

entwickelten die Wissenschaftler Empfehlungen für eine bessere schulische

Praxis: Schülerinnen und Schüler sollten einen Grundstock an Sachwissen über

die abrahamischen Religionen erlangen; außerdem sollten interreligiöse Ele-

mente in die Lehrerausbildung und die schulischen Curricula aufgenommen

werden, was eine Überarbeitung von Lehrbüchern und die Entwicklung neuer

Unterrichtsmaterialien einschloss.

2 Jørgen Nielsen/Markus Vinzent/Lisa Kaul-Seidmann: Europäische Identität und kultureller Plura-lismus: Judentum, Christentum und Islam in europäischen Lehrplänen. Empfehlungen für die Praxis, Bad Homburg v. d. Höhe 2003.

1 Beide haben im Klett/Kallmeyer-Verlag auch die erste Dokumentation und wissenschaftliche Analyse des Wettbewerbs vorgelegt: Clauß-Peter Sajak unter Mitarbeit von Ann-Kathrin-Muth und Angelika Pantel, Trialogisch lernen – Bausteine für interkulturelle und interreligiöse Projektarbeit, Seelze 2010.

V o rW o r tC h r I S t o f E I C h E r t / r o l a n d l ö f f l E r

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Die Herbert Quandt-Stiftung hat diese Empfehlung mit der Implementierung

des „Trialog der Kulturen“-Schulenwettbewerbs, durch Konferenzen und

flankierende Publikationen aufgegriffen. Heute – nach viele Jahren praktischer

Wettbewerbsarbeit – möchte sie an diesen Anfangsimpuls anknüpfen und

einen Beitrag zur gegenwärtigen Diskussion um Bildungsstandards leisten. Wir

sind davon überzeugt, dass der „Trialog der Kulturen“-Schulenwettbewerb im

Transformationsprozess von der Lehrplan- hin zur Kompetenzorientierung

profunde Ergebnisse liefert, die in die Schulwirklichkeit, aber auch in die Aus-

und Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern, einfließen können.

Letztlich geht es darum, Schülerinnen und Schüler auf die Zukunft einer ethnisch,

religiös und kulturell vielfältigen Gesellschaft vorzubereiten. Die Entwicklung

entsprechender Kompetenzen verhindert Konflikte und stärkt das Zusammenleben

in Deutschland

Dr. Christof Eichert, Vorstand der Herbert Quandt-Stiftung

Dr. Roland Löffler, Leiter des Themenfeldes „Trialog der Kulturen“ der

Herbert Quandt-Stiftung

Der „Trialog der Kulturen“-Schulenwettbewerb wird seit 2005 alljährlich von

der Herbert Quandt-Stiftung in Bad Homburg ausgerichtet. Die Stiftung will

in den Schulen einen „Trialog“ – also ein „Dreigespräch“ – zwischen den drei

abrahamischen Religionen und Kulturtraditionen anregen, um so Schülerinnen

und Schüler auf das große kulturelle Erbe von Judentum, Christentum und Islam

aufmerksam zu machen und zugleich für einen respektvollen und wertschät-

zenden Umgang mit Menschen anderer Kulturen und Religionen anzuregen.

In der Rückschau auf fünf Runden des Trialog-Schulenwettbewerbs zeigt sich

deutlich, dass in den geförderten Schulen durch die engagierte und kreative Ausei-

nandersetzung mit Fragestellungen und Problemen des „Trialogs der Kulturen“

eine ganze Reihe von elementaren Kompetenzen im Bereich interreligiösen und

interkulturellen Lernens erworben werden konnte. Wirft man einen Blick auf

die religiösen Kompetenzen, wie sie im Rahmen der zur Zeit aktuellen religions-

didaktischen Modelle der jüdischen, christlichen und muslimischen Forschung

formuliert werden, so erkennt man rasch, dass vieles, was in den normativen

Papieren zum Religions- und Ethikunterricht eingefordert wird, im Rahmen

dieser schulischen Projektarbeit in äußerst gelungener Weise realisiert worden

ist. Natürlich bleiben Differenzen, weil die Beiträge der Wettbewerbsschulen

niemals das Ganze der religionspädagogischen Bildungsziele abdecken können,

zumal sich der Wettbewerb nicht ausschließlich religionspädagogisch, sondern

auch kulturgeschichtlich und gesellschaftspolitisch definiert: Es geht ja um das

kulturelle Erbe der drei abrahamischen Religionen in Europa. Der Wettbewerb

kann und will aber auch nicht den Religions- oder Ethikunterricht ersetzen.

1. trialogisches lernen ermöglicht kompetenzentwicklung

C l a u S S P e t e r S a j a k /

a n n - k at h r i n M u t h

C h r I S t o f E I C h E r t / r o l a n d l ö f f l E r

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In den vergangenen Jahren haben Bildungsstandards und kompetenzorientierte

Kerncurricula die traditionellen Lehrpläne ersetzt. Bildungsstandards sind

Vorgaben der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der

Bundesrepublik Deutschland (KMK). Mit Hilfe dieses neuen Instruments

werden Kompetenzen beschrieben, die am Ende eines Bildungsabschnitts

von Schülerinnen und Schülern beherrscht werden sollen. So heißt es in den

Bildungsstandards der KMK für das Fach Deutsch am Ende der Grundschulzeit:

Schülerinnen und Schüler können „rechtschreibwichtige Wörter normgerecht

schreiben, Rechtschreibstrategien verwenden […] Zeichensetzung beachten“ und

„Texte auf orthographische Richtigkeit überprüfen und korrigieren.“4

In der Regel wird der Unterschied zwischen Lehrplänen und Bildungsstandards

als ein Wechsel von der Input- zur Output- oder Outcome-Steuerung beschrieben.

Was ist damit gemeint? Lehrpläne geben in der Regel vor, was Lehrerinnen und

Lehrer in einem bestimmten Zeitabschnitt Schülerinnen und Schülern eines

bestimmten Schuljahres an Inhalten und Themen lehren sollen. Lehrpläne formu-

lieren also einen Input, der in den Unterricht hineingetragen wird. Bildungs-

standards dagegen sollen Outcome oder Output, also Ergebnisse von Unterricht

formulieren. Sie sind daher streng genommen Lernpläne, denn sie weisen aus, was

Schülerinnen und Schüler lernen sollen. In der Sprache der Kultusminister der

Doch ist der Wettbewerb in besonderer Weise geeignet, zu einer Kompetenzent-

wicklung von Schülerinnen und Schülern im Bereich des interreligiösen Lernens

beizutragen – und dies in einer Intensität und Ganzheitlichkeit, die der Religions-

oder Ethikunterricht im Rahmen des schulischen Stundenplans in der Regel so

nicht leisten kann.

Mit Blick auf die Debatte um die Kompetenzorientierung schulischen Lehrens

und Lernens eröffnet der Schulenwettbewerb der Herbert Quandt-Stiftung eine

wichtige zusätzliche Perspektive für die Frage, was Schülerinnen und Schüler

können sollen. Die im Rahmen der schulischen Projektarbeit präsentierten

Fähigkeiten und Fertigkeiten bieten die Chance, elementare Standards interre-

ligiösen und interkulturellen Lernens nicht etwa top down – wie normalerweise

von Ministerien, Landeskirchen oder Bistümern entwickelt –, sondern bottom

up durch die Arbeit der Schülerinnen und Schüler in der konkreten Praxis zu

erheben. Die in diesem Zusammenhang von uns beobachteten, beschriebenen

und dokumentierten Kompetenzen und Standards haben deshalb in der Debatte

um die Zukunft des interreligiösen und interkulturellen Lernens wegweisenden

Charakter und sollten entsprechend bei der künftigen Gestaltung der Curricula,

aber auch bei der Konzeption der Lehreraus- und -weiterbildung rezipiert und

integriert werden. Vom Trialog-Schulenwettbewerb lässt sich Entscheidendes

lernen.

Wir wollen in dieser Veröffentlichung die im Rahmen des Schulenwettbewerbs

erhobenen Kompetenzen beschreiben und als mögliche Standards für das inter-

religiöse und interkulturelle Lernen ausweisen. Zu diesem Zweck ist eine kurze

Einführung in den aktuellen bildungswissenschaftlichen Diskurs um basale

Kompetenzen und normative Standards schulischer Bildung hilfreich.

C l a u S S P E t E r S a j a K / a n n - K a t h r I n M u t h

2. Schule orientiert sich an kompetenzen und Standards

4 Bildungsstandards im Fach Deutsch für den Primarbereich. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 15. Oktober 2004, hg. v. Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, München 2005, 10f.

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deutschen Bundesländer: Lehrerinnen und Lehrern wird nicht mehr vorgegeben,

was sie mit den Schülerinnen und Schülern in der Schule erarbeiten sollen.

Vielmehr wird festgelegt, was Schülerinnen und Schüler am Ende der Schulzeit

können sollen.

Was genau Bildungsstandards sind, beschreibt die sogenannte Klieme-Expertise, ein

von den wichtigsten deutschen Bildungsforschern um den langjährigen Direktor

des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung, Eckhard

Klieme, für die KMK erstelltes Grundlagenpapier.5 In dieser Expertise heißt es:

„Bildungsstandards legen fest, welche Kompetenzen die Kinder und Jugendlichen

bis zu einer bestimmten Jahrgangsstufe erworben haben sollen.“ Und weiter heißt

es dort: „Bildungsstandards legen zudem fest, über welche Kompetenzen ein

Schüler/eine Schülerin verfügen muss, wenn wichtige Ziele der Schule als erreicht

gelten sollen.“6 Damit wird deutlich, dass Bildungsstandards kontrollieren wollen:

Zum einen was Schülerinnen und Schüler nach einem bestimmten Schulabschnitt

können, zum anderen aber eben auch wie Lehrerinnen und Lehrer in der Schule

gearbeitet haben sollen: Ihr Erfolg wird nun an den Fähigkeiten von Schülerinnen

und Schülern gemessen.

Wie aber sind Kompetenzen genauer zu definieren? Kompetenzen sind laut

Klieme-Expertise „die bei Individuen verfügbaren und durch sie erlernbaren

kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie

die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften

und Fähigkeiten, um Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich

und verantwortungsvoll nutzen zu können.“7 Kompetenzen beschreiben die

Problemlösefähigkeiten von Schülerinnen und Schülern. Mit der Formulierung

von Kompetenzen wird also die Fähigkeit von Schülerinnen und Schülern in

bestimmten Bereichen festgeschrieben, z. B. die Lesefähigkeit im Fach Deutsch,

die Fähigkeit des Modulierens mit Zahlen im Fach Mathematik oder eben die

Fähigkeit zur Deutung von symbolischer Sprache im Fach Religion. Bundesweit

gelten Bildungsstandards derzeit für den Primarbereich (Jahrgangsstufe 4),

2 . S C h u l e o r i e n t i e r t S i C h a n k o M P e t e n z e n u n d S ta n d a r d SC l a u S S P E t E r S a j a K / a n n - K a t h r I n M u t h

5 Vgl. Eckhard Klieme et al.: Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards. Eine Expertise, Berlin 22003.6 Ebd., 9.7 Franz Weinert: Leistungsmessungen in Schulen. Weinheim und Basel 2001, 27, zit. bei Klieme et. al.,

Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards,, 15.

konkret: für die Fächer Deutsch und Mathematik; für den Hauptschulabschluss

(Jahrgangsstufe 9) für die Fächer Deutsch, Mathematik und die erste Fremd-

sprache sowie für den mittleren Schulabschluss (Jahrgangsstufe 10) für die Fächer

Deutsch, Mathematik, die erste Fremdsprache, Biologie, Chemie und Physik. Im

Oktober 2007 hat die KMK außerdem die Entwicklung von Bildungsstandards

und Aufgaben-Pools für die gymnasiale Oberstufe in den Fächern Deutsch,

Mathematik, Englisch, Französisch, Biologie, Chemie und Physik beschlossen.

Diese befinden sich gegenwärtig noch in der Erarbeitungsphase.

Bei der Erarbeitung von länderübergreifenden Bildungsstandards wurde der

Religions- und Ethikunterricht – wie eine Reihe anderer Fächer auch – von Seiten

der KMK zunächst nicht in den Blick genommen. Dies hing sowohl mit unter-

schwelligen oder auch öffentlichen Einschätzungen im Hinblick auf die Relevanz

dieser Fächer zusammen als auch mit der Tatsache, dass der Religionsunterricht als

gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche, staatskirchenrechtlich gesprochen

als res mixta, einer besonderen Absprache bedarf. Um ihrer Regelungspflicht zu

entsprechen, hat auf katholischer Seite die für die Erziehung und Schule verant-

wortliche Kommission VII der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) im Herbst

2003 Arbeitsgruppen beauftragt, in Anlehnung an die von der KMK vorgelegten

Dokumente nun Richtlinien für Standards im Fach Katholische Religion zu

erarbeiten. Diese sollten für den Abschluss der Grundschule und für den Mittleren

Bildungsabschluss in Klasse 10 verbindlich sein. Diese Richtlinien sind von den

deutschen Bischöfen diskutiert, beschlossen und in Kraft gesetzt worden sind.8 Sie

greifen die oben skizzierten bundesweiten „schulpolitischen Entwicklungen auf

und bedenken ihre Konsequenzen für den katholischen Religionsunterricht in der

Schule“. 9

Sie „bilden eine normative Orientierung für die zukünftige Entwicklung von lände-

rübergreifenden oder länderbezogenen Bildungsstandards und Kerncurricula für

den katholischen Religionsunterricht.“10 Im Weiteren wenden sich die Richtlinien

„vor allem an die, die Bildungsstandards und Kerncurricula für den katholischen

8 Vgl. Kirchliche Richtlinien zu Bildungsstandards für den katholischen Religionsunterricht in den Jahrgangsstufen 5-10/Sekundarstufe I (Mittlerer Schulabschluss), hg. v. Sekretariat der Deutschen Bi-schofskonferenz, Bonn 2004; und Kirchliche Richtlinien zu Bildungsstandards für den katholischen Religionsunterricht in der Grundschule/Primarstufe, hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonfe-renz, Bonn 2006.

9 Kirchliche Richtlinien zu Bildungsstandards 2004, 5.10 Ebd.

1716

Religionsunterricht auf der Ebene der KMK und der Bundesländer entwickeln,

an die Schulabteilungen in den bischöflichen Ordinariaten und schließlich an die

Religionslehrerinnen und Religionslehrer, die mit der Erstellung von Schulcurricula

für den katholischen Religionsunterricht befasst sind“.11

Auf evangelischer Seite ist der Prozess hin zu Standards religiöser Bildung pluraler

und diskursiver verlaufen. Nach einem längeren Konsultationsprozess hat

schließlich 2006 eine Arbeitsgruppe des Comenius-Instituts Münster „Grundle-

gende Kompetenzen religiöser Bildung“ zusammengestellt, die „zur Entwicklung

des evangelischen Religionsunterricht[s] durch Bildungsstandards“12 dienen sollen.

Das Papier beschreibt zwölf grundlegende Kompetenzen religiöser Bildung,

zeigt aber auch zu jeder dieser Kompetenzen ein Aufgabenbeispiel. In die Arbeit

dieser Comenius-Gruppe sind auch Erkenntnisse des DFG-Forschungsprojekts

„Bildungsstandards und Qualitätssicherung im RU“ an der Humboldt-Univer-

sität Berlin eingeflossen, mit dem unter der Leitung von Dietrich Benner und Rolf

Schieder ein Instrument für die Evaluation von Bildungsstandards in Evange-

lischer Religion im Rahmen der gymnasialen Oberstufe entwickelt und getestet

wurde.13 Eine Arbeitsgruppe der Bildungskammer der Evangelischen Kirche in

Deutschland (EKD) hat das Kompetenzmodell inzwischen kritisch überarbeitet,

insbesondere bezüglich der ethisch-moralischen Perspektive erweitert und auf

insgesamt acht Kompetenzen verdichtet. Darüber versuchten die protestantischen

Experten, Standards für die Kompetenzen zu formulieren. Das Ergebnis ist

inzwischen vom Rat der EKD als „Orientierungsrahmen für Kompetenzen

und Standards für den Evangelischen Religionsunterricht der Sekundarstufe I“

veröffentlicht worden: „Darin ist die größtmögliche bildungspolitische Autorität

der evangelischen Kirchen realisiert. Alle weiteren Formen der Umsetzung in

Bildungspläne und Unterricht sind Sache der Landeskirchen.“14

2 . S C h u l e o r i e n t i e r t S i C h a n k o M P e t e n z e n u n d S ta n d a r d SC l a u S S P E t E r S a j a K / a n n - K a t h r I n M u t h

11 Ebd.12 Dietlind Fischer/Volker Elsenbast (Red.): Grundlegende Kompetenzen religiöser Bildung. Zur Ent-

wicklung des evangelischen Religionsunterrichts durch Bildungsstandards für den Abschluss der Sekundarstufe I, Münster 2006.

13 Vgl. Dietrich Benner et al.: Ein Modell domänenspezifischer religiöser Kompetenz. Erste Ergebnisse aus dem DFG-Projekt RU-BI-QUA, in: Dietrich Benner (Hg.), Bildungsstandards. Kontroversen – Beispiele – Perspektiven, Paderborn 2007, 141-156.

14 Dietlind Fischer/Andreas Feindt: Vom Kompetenzmodell zum Unterricht – Entwicklungsstrategien im Fach Evangelische Religion, Manuskript von den Verfassern zur Verfügung gestellt, Münster 2009, 5-26, hier 13f.

Auch für den Jüdischen15 und Islamischen Religionsunterricht16 sind inzwischen

Standards entwickelt worden, mit denen Kompetenzerwartungen beschrieben

sind. Allerdings liegen hier noch keine länderübergreifenden Standards wie im

Fall der beiden großen christlichen Religionsgemeinschaften vor. Zudem gibt es

in den verschiedenen Bundesländern regionale Initiativen, auch den Jüdischen

Religionsunterricht am Paradigma der Kompetenzorientierung auszurichten und

zugleich mit den verschiedenen muslimischen Verbänden über die Einrichtung

eines Islamischen Religionsunterrichts zu verhandeln. Am weitesten ist hier die

Entwicklung in Baden-Württemberg, wo die damalige Kultusministerin und

heutige Bundesbildungsministerin Annette Schavan – unabhängig von den

Beschlüssen der Kultusministerkonferenz – schon kurz nach der Jahrtausend-

wende die komplette Umstellung der Lehrpläne auf Standardkataloge für alle

Schultypen und Unterrichtsfächer anordnete. Diese Standardkataloge liegen

seit 2004 als neue Form des traditionellen „Bildungsplans Baden-Württemberg“

vor, einschließlich Standards für den Evangelischen, Katholischen und Jüdischen

Religionsunterricht (für die Klassen 2, 4, 6, 8, und 10).17 Für einen Unterricht in

Islamischer Religionslehre sind bisher Bildungsstandards für die Grundschule

(also für die Klassen 2 und 4) entwickelt worden, bei der Revision des Bildungs-

plans im Jahre 2014 sollen auch Standards für die weiterführenden Jahrgangs-

stufen hinzukommen. In verschiedenen Bundesländern, die noch keinen konfes-

sionellen Islamischen Religionsunterricht kennen, gibt es als Übergangslösung

einen staatlichen Islamkundeunterricht, so z. B. in Nordrhein-Westfalen. Der

dort verwendete Lehrplan kennt ebenfalls Fähigkeiten, Fertigkeiten, Kenntnisse,

Haltungen und Einstellungen, die von Schülerinnen und Schülern erworben und

entwickelt werden sollen.18 Der Bildungsplan Baden-Württemberg weist auch

Standards für das Ersatzfach Ethik aus, das von den Schülerinnen und Schülern

besucht wird, die nicht am konfessionellen Religionsunterricht teilnehmen. Hier

15 Vgl. die Überlegungen zum Thema „Nationale Bildungsstandards für den jüdischen Religionsunter-richt in der Primarstufe und in den beiden Sekundarstufen“ des jüdischen Religionspädagogen an der Hochschule für Jüdische Studien, David Krochmalnik unter: http://www.hfjs.eu/imperia/md/content/hfjs/nbs_jued_ru.pdf.

16 Einen Entwurf für „Bildungsstandards für islamische Religionslehre Grundschule – Klassen 2,3“ findet sich unter: http://www.islamimdialog.de/GS_IslamR_bs.pdf. Zu den „Bildungsstandards für alevitische Religionslehre (Islamische Religionslehre alevitischer Prägung) Grundschule – Klassen 2,4) vgl. http://www.bildung-staerkt-menschen.de/service/downloads/Bildungsstandards/GS/GS_aR_bp.pdf. Beide Beiträge stammen aus Baden-Württemberg.

17 Bildungsplan Baden-Württemberg 2004, abrufbar unter: www.bildung-staerkt-menschen.de.18 Der Lehrplan für das Fach Islamkunde ist zugänglich unter: http://www.learn-line.nrw.de/angebote/

svislam/download/islamkunde.pdf.

1918

finden sich zumindest verschiedene Standards für das religionskundliche und

interkulturelle Lernen in den verschiedenen Jahrgangsstufen, denn die Auseinan-

dersetzung mit Identität und Alterität wie auch mit den großen Religionssystemen

der Menschheit gehört traditionell zu den Themenfeldern des Ethikunterrichts.

Kaum realisiert in der bundesdeutschen Bildungslandschaft wurden bisher

Bildungsstandards für interreligiöses und interkulturelles Lernen. Dies ist

verständlich, da es für diese spezifische Fragestellung im deutschen Schulsystem kein

eigenes Unterrichtsfach gibt, hier vielmehr interdisziplinär und interkonfessionell

gearbeitet werden muss. Zwar wird im Evangelischen, Jüdischen und Katholischen

Religionsunterricht wie auch in Islamkunde und Ethik ein Grundwissen über

die jeweils anderen Konfessionen und Religionen vermittelt. Dies zeigt ein

Blick in die verschiedenen Lehrpläne und Standardkataloge. Doch ist dieser

Modus religiöser Bildung eher religionskundlich geprägt: Hier findet noch

kein interreligiöses Lernen im engeren Sinne statt. Stephan Leimgruber spricht

deshalb in diesem Zusammenhang von einem interreligiösen Lernen im weiteren

Sinne: Zu diesem gehören alle „Wahrnehmungen, die eine Religion und deren

Angehörige betreffen, die verarbeitet und in das eigene Bewusstsein aufgenommen

werden“.19 Interreligiöses Lernen im engeren Sinne geschieht dagegen „durch das

Gespräch in direkten Begegnungen. Im Zentrum steht der Dialog, in dem sich

beide Gesprächspartner gegenseitig respektieren und zu verstehen versuchen“.20

Er soll zur Konvivenz, also zum Miteinander in respektierter Differenz führen.

Ein solches interreligiöses Lernen im engeren Sinne findet somit da statt, wo in

besonderer Weise Schülerinnen und Schüler verschiedener Religionen in einen

Dialog gebracht werden, wie z. B. im Rahmen des Trialog-Schulenwettbewerbs

der Herbert Quandt-Stiftung. Gerade die Auswertung dieses Schulenwettbewerbs

hat gezeigt, dass ein interreligiöses Lernen im engeren Sinn gar nicht ohne ein

vorausgehendes, ausgiebiges interreligiöses Lernen im weiteren Sinne erreicht

werden kann. Beide Dimensionen des interreligiösen Lernens gehören zusammen:

Ohne die Vorbereitung der Begegnung und des Dialogs durch religionskundliche

Unterrichtssequenzen über die anderen Religionen in den konfessionellen

Lerngruppen hätte es z. B. kein gemeinsam erarbeitetes Theaterstück mit Ange -

hörigen verschiedener Religionen über die Begegnung der Religionen und auch

2 . S C h u l e o r i e n t i e r t S i C h a n k o M P e t e n z e n u n d S ta n d a r d SC l a u S S P E t E r S a j a K / a n n - K a t h r I n M u t h

19 Stephan Leimgruber: Interreligiöses Lernen, 2. überarbeitete Auflage, München 2007, 20. 20 Ebd. 21.

kein Kochbuch für die abrahamischen Religionen gegeben.21

Es bleibt die Frage, was Kriterien für ein erfolgreiches interreligiöses Lernen im

engerern Sinne sein können: Gesucht werden Standards für das interreligiöse, in

unserem Falle für das trialogische Lernen. Sicherlich gibt es in den bereits vorlie-

genden religionspädagogischen Bildungsstandard-Programmen, Bildungsplänen

und Schulgesetzen einzelner Bundesländer auch Überlegungen zum interreli-

giösen Dialog in der Schule. Eine kohärente Ausarbeitung zu diesem für unsere

Gesellschaft und unsere Schulen so brennenden Thema, das durch die sich nicht

abschwächende Integrationsdebatte auch auf absehbare Zeit kaum an Relevanz

verlieren wird, liegt bisher nicht vor. Doch gerade, weil die Vermittlung interre-

ligiöser und interkultureller Kompetenzen wichtig und schwierig ist, erscheint es

notwendig, auch für dieses Feld schulischen Lernens angemessene Standards zu

formulieren. Dieser Versuch wird auf den folgenden Seiten unternommen.

21 Vgl. Clauß Peter Sajak: „Interreligiöses Lernen – Definitionen und Debatten“, in: Ders.: Kippa, Kelch und Koran. Interreligiöses Lernen mit Zeugnissen der Weltreligionen. Ein Praxisbuch. Unter Mitar-beit von Katrin Gergen-Woll, Barbara Huber-Rudolf und Jan Woppowa, München 2010, 15.

2120

Der „Trialog der Kulturen“-Schulenwettbewerb zu europäischer Identität und

kulturellem Pluralismus der Herbert Quandt-Stiftung soll Lehrerinnen und

Lehrer wie Schülerinnen und Schüler aller Schultypen motivieren, sich mit

Gemeinsamkeiten und Unterschieden der abrahamischen Religionen auseinan-

derzusetzen, um kreative und innovative Beiträge zur interreligiösen und inter-

kulturellen Kompetenzentwicklung zu erarbeiten. Dabei stehen die jährlichen

Wettbewerbsrunden seit 2007 unter wechselnden Schwerpunktthemen. Sie

lauteten bisher:

• imSchuljahr2007/2008:„Wasglaubstdudenn?“

• imSchuljahr2008/2009:„Schalom–Frieden–Salam?!Friedens-undKonflikt-

potentiale in Judentum, Christentum und Islam“

• imSchuljahr2009/2010:„Aufwachsen–Erwachsen.KindheitundJugendin

Judentum, Christentum und Islam heute“

• imSchuljahr2010/2011:„Fremde–Heimat–globaleWelt“

• im Schuljahr 2011/2012: „Meine, deine, unsereWelt –wie gestaltenwir die

Zukunft?“

Die von der unabhängigen Jury zum Wettbewerb zugelassenen Schulen erhalten

jeweils ein Startgeld von inzwischen 3.500 Euro, mit dem sie im Laufe des Schul-

jahrs ihre Konzepte verwirklichen können: Projektwochen, Podiumsdiskus-

sionen, Gedenkveranstaltungen, Autorenlesungen, aber auch Filmproduktionen,

Theateraufführungen, Musicalinszenierungen, Interviews mit Vertretern der

3 . S ta n d a r d S f ü r d a S t r i a l o g i S C h e l e r n e n

3. Standards für das trialogische lernen

Religionen, Print-Dokumentationen oder Internetplattformen zum Wettbe-

werbsthema. Zudem haben die Schulen während des Schuljahrs Gelegenheit, sich

bei einem „Markt der Möglichkeiten“ gegenseitig kennenzulernen und den

Juroren vorzustellen. Eine erste Auswertung der verschiedenen Wettbewerbs-

runden, in der vor allem Best-Practice-Beispiele als Anregungen für die konkrete

Arbeit in Schulen gesammelt und vorgestellt werden, ist von den Autoren auch

dieser Studie unter dem Titel „Trialogisch Lernen. Bausteine für die interreligiöse

und interkulturelle Projektarbeit“ publiziert worden.22 Die darin dokumentierten

Beiträge haben in eindrucksvoller Weise gezeigt, dass Schülerinnen und Schüler

bei entsprechender Anregung und Begleitung bereit und fähig sind, in höchst

kreativer und eigenständiger Weise interreligiöse und interkulturelle Lernpro-

zesse zu gestalten und damit ihre Kompetenzen zu entfalten. Auch wenn die

Ergebnisse aller Schulenwettbewerbsrunden noch nicht endgültig wissenschaftlich

aufgearbeitet sind,23 zeigt sich doch bereits in den von Ann-Kathrin Muth ausge-

werteten Beispielen eine beeindruckende Vielfalt von Methoden, Modellen und

Projekten des interreligiösen Lernens im Trialog von Juden, Christen und

Muslimen.24

Der Heidelberger Theologe Theo Sundermeier hat vor einigen Jahren in einem

einschlägigen Beitrag zur Alteritätsdidaktik ausführlich dargelegt, dass eine

angemessene Begegnung zwischen den Schülerinnen und Schülern verschiedener

Religionen nur möglich ist, wenn das kulturell oder religiös Trennende nicht aufge-

hoben oder aufgelöst wird, sondern als Distinktivum stehen bleibt.25 Nur so wird

das Fremde zum Mitkonstituenten der Identität der Schülerinnen und Schüler.

Folglich gilt es, einen Prozess des Austauschs und des Verstehens zu initiieren,

der das Andere, Fremde und Rätselhafte stehen lässt, es aber durch Kommuni-

kation und Austausch zu erschließen versucht. Sundermeier verwendet dafür den

Leitbegriff der Konvivenz: Wahrnehmung ohne Aneignung, Anerkennung der

Differenz, Verstehen des Fremden. „Das macht das Besondere der nachbarschaft-

22 Clauß Peter Sajak (Hg.) unter Mitarbeit von Ann-Kathrin Muth und Angelika Pantel: Trialogisch Lernen. Bausteine für die interkulturelle und interreligiöse Projektarbeit, Seelze 2010.

23 Der Wettbewerb wird zurzeit in unserem Institut für Katholische Theologie und ihre Didaktik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im Rahmen eines Promotionsprojekts ausgewertet.

24 Ann-Kathrin Muth: „Methodencurriculum für das trialogische Lernen“, in: Clauß Peter Sajak (Hg.), Trialogisch lernen, a. a. O., 175-250.

25 Vgl. Theo Sundermeier: Den Fremden verstehen. Eine praktische Hermeneutik, Göttingen 1996, 133-136.

2322

lichen Konvivenz aus, dass diese Spannung von Gegebenem und Gewähltem im

Zusammenleben mit dem Fremden unausweichlich ist. Darum muss man den

Umgang mit dem Fremden üben.“26

Ziel allen interreligiösen Lernens kann folglich nur sein, fremde Religionen in

ihrer Andersartigkeit zu akzeptieren und in der Begegnung mit diesen durch

Auseinandersetzung und Austausch zu einem besseren Verständnis zu gelangen.

Dieses neue Verständnis verändert dann auch den Standpunkt und die Perspektive

der Schülerinnen und Schüler, verändert ihre Identität in dem Sinne, dass sie in

einem erweiterten Horizont ihre Unsicherheiten, Ängste und Aggressionen

ablegen und zu einem abgeklärten und reflektierten Standpunkt in Sachen Religion

gelangen. Blickt man auf die Fülle der Beiträge zum „Trialog der Kulturen“, so

zeigt sich, dass die Schulenwettbewerbsprojekte es zu einem religionsdidaktischen

Integrativum geschafft haben: Vieles, was im Fachunterricht, im Katholischen,

Evangelischen und Jüdischen Religionsunterricht, in Islamkunde, Ethik,

Ge schichte, Deutsch, Kunst und Musik eingeführt und vorbereitet worden ist,

konnte dann in jahrgangs- und klassenübergreifenden Großprojekten fruchtbar

gemacht werden. Dabei haben Schülerinnen und Schüler in beeindruckender

Weise ihre interreligiösen und interkulturellen Kompetenzen entdeckt, demon-

striert und weiterentwickelt.

In der wissenschaftlichen Nachbereitung der Wettbewerbsbeiträge haben wir

deshalb versucht, diese Kompetenzen zu sichten und zu kategorisieren: Was genau

haben die Schülerinnen und Schüler in den verschiedenen Projekten der Wettbe-

werbsschulen gelernt und was haben sie an Kompetenz, also in der Sprache der

Bildungswissenschaft, an Problemlösefähigkeiten im Bereich der abrahamischen

Religionen und der mit ihnen verbundenen Kultursysteme hinzugewonnen?

Im Gegensatz zu den oben vorgestellten katholischen, evangelischen, jüdischen

und muslimischen Standards religiöser Bildung, die aus Theoriemodellen der

entsprechenden Religionspädagogik abgeleitet und verpflichtend gemacht worden

sind, lassen sich aus den „Trialog der Kulturen“-Schulprojekten Standards

interreligiöser und interkultureller Bildung erheben, die in der schulischen Praxis

von Schülerinnen und Schülern auch tatsächlich erreicht und erfüllt worden sind.

26 Ebd., 192.

3 . S ta n d a r d S f ü r d a S t r i a l o g i S C h e l e r n e nC l a u S S P E t E r S a j a K / a n n - K a t h r I n M u t h

Wir sind also im Vergleich zu den bisherigen Standardkatalogen den umgekehrten

Weg gegangen: Die im folgenden ausgeführten Standards für das trialogische

Lernen sind formale Beschreibungen von Kompetenzen, die Schülerinnen und

Schüler der Wettbewerbsschulen konkret, in einer für die unabhängige Jury

erkennbaren sowie überprüfbaren Weise gezeigt und ausgewiesen haben. In

diesem Sinne hat der Trialog-Schulenwettbewerb also eine Erhebung von Kompe-

tenzen aus der Empirie schulischer Praxis möglich gemacht. Hier wird eine bisher

wenig beachtete schulpädagogische Perspektive erkennbar: das Wettbewerbs-

lernen als Diagnose- und Evaluationsformat im Kontext kompetenzorientierter

Unterrichtskultur.

2524

Unsere Sammlung, Sichtung und Analyse der Beiträge aus den ersten fünf Wettbe-

werbsrunden hat zu der bereits erwähnten Zusammenstellung von Best-Practice-

Beispielen geführt. Aus diesen haben wir folgende allgemeinen Kompetenzen für

das trialogische Lernen als Standards ausgewählt:

kompetenzbereich 1: die relevanz erkennen

Kompetenz 1.1: Schülerinnen und Schüler stellen die Bedeutung der drei abraha-

mischen Religionen für die europäische Kulturgeschichte dar.

Kompetenz 1.2: Schülerinnen und Schüler nehmen Zeichen, Zeugnisse und Zeugen

der abrahamischen Religionen und Traditionen bewusst wahr.

kompetenzbereich 2: den dialog fördern

Kompetenz 2.1: Schülerinnen und Schüler zeigen die Bedeutung von Religion

als grundlegendes kulturelles, gesellschaftliches Phänomen auf.

Kompetenz 2.2: Schülerinnen und Schüler nehmen konstruktiv am Dialog teil und

leisten einen Beitrag zur zwischenmenschlichen Verständigung.

kompetenzbereich 3: den anderen anerkennen

Kompetenz 3.1: Schülerinnen und Schüler setzen sich mit Konfessionen, Religionen

und Weltanschauungen anderer Kinder und Jugendlicher ausei-

nander.

Kompetenz 3.2: Schülerinnen und Schüler begegnen Menschen anderer kultureller

und religiöser Kontexte mit Respekt, Interesse und Wertschätzung.

kompetenzbereich 4: die eigene identität weiterentwickeln

Kompetenz 4.1: Schülerinnen und Schüler setzen sich mit ihrem eigenen Glauben

und ihrer eigenen Weltanschauung auseinander.

Kompetenz 4.2: Schülerinnen und Schüler nehmen einen begründeten Standpunkt

in ihrer eigenen Konfession, Religion oder Weltanschauung ein.

kompetenzbereich 5: über die Schule hinaus wirken Kompetenz 5.1: Schülerinnen und Schüler eröffnen Perspektiven des abraha-

mischen Trialogs für Schulprofil und -gemeinschaft.

Kompetenz 5.2: Schülerinnen und Schüler entwickeln Formen der Verständigung

und der Zusammenarbeit mit außerschulischen Institutionen und

ihrem lokalen Umfeld.

Wie sich diese Standards konkret in der Praxis zeigen, soll im Folgenden an

Best-Practice-Beispielen aus den Wettbewerbsschulen gezeigt werden.27 Dabei

bitten wir zu beachten, dass die Aufzählung und Beschreibung der verschiedenen

Kompetenzen nicht als eine notwendigerweise aufeinander aufbauende Abfolge

verstanden werden soll, sondern als ein hermeneutischer Zirkel interkultureller

und interreligiöser Kompetenzerweiterung.

In ein Bild gefasst: Die fünf Kompetenzbereiche bilden ein tragendes Gerüst für

die Identitätsentwicklung der Schülerinnen und Schüler so wie die fünf Speichen

eines Rades dessen Fortkommen gewährleisten. Auch die aufgeführten Beispiele

bilden in der Regel nicht das Gesamtprojekt einer Schule ab: Sie veranschaulichen

vielmehr im Sinne eines Best-Practice-Beispiels Kompetenzen von Schülerinnen

und Schülern, die sich natürlich auch in anderen Projekten finden lassen.

kompetenzbereich 1: die relevanz erkennen

Kompetenz 1.1: Schülerinnen und Schüler stellen die Bedeutung der drei

abrahamischen Religionen für die europäische Kulturgeschichte dar.

Beispiel: Die katholische Sankt-Lioba-Schule in Bad Nauheim hat im Schuljahr

2007/2008 mit dem Projekt „Europa klingt nach Abraham!“ am Wettbewerb

teilgenommen. Sie beschäftigte sich mit drei Themenfeldern: Abraham, Klang und

Europa.

4. im Wettbewerb erhobene Standards für das trialogische lernen

27 Vgl. im Folgenden Ann-Kathrin Muth: „Methodencurriculum für das trialogische Lernen“.

2726

Der Bereich „Europa“ umfasste eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der

Geschichte der Religionen sowie mit gegenwärtigen, religiös geprägten Konflikten.

Dabei war die fachliche Ausrichtung nicht festgelegt auf Fächer wie Religion oder

Geschichte. Beachtenswerterweise ging die Initiative, unterschiedliche Zugänge

zum Thema zu finden, oftmals von den Schülerinnen und Schülern selbst aus. So

übersetzte ein Lateinkurs Quellentexte über den Untergang Konstantinopels und

leistete damit einen Beitrag zur Arbeit eines Parallelkurses im Fach Geschichte,

der sich mit der Historie des Byzantinischen Reiches befasste. Ein Englisch-

Leistungskurs der Jahrgangsstufe 12 thematisierte die Problematik von religiös

motivierten Auseinandersetzungen in Großbritannien und Irland.

Angeregt durch eine Lehrerfortbildung zum Thema „Die Entzauberung des

Heiligen“ untersuchten Lerngruppen das Verständnis von Heiligen Schriften in

den drei Religionen. Besonders im Religionsunterricht arbeiteten die Schülerinnen

und Schüler zu verschiedenen anderen trialogischen Themen, wie z. B. zur

Gottesfrage oder zur Religionsphänomenologie. Im Fach Deutsch erfolgte ein

literarischer Zugang dank einer Unterrichtsreihe zu Anne Frank; im Fach Kunst

dagegen lag der Fokus auf der ästhetischen Perspektive durch die Erstellung

eines „Friedensbandes“. Dieses verknüpfte nicht nur Schülerinnen und Schüler,

sondern die Schule mit Religionsgemeinschaften. Die Schülerinnen und Schüler

der katholischen Schule wirkten über die Klassenzimmer hinaus, etablierten –

zum ersten Mal in der Geschichte der Schule – intensive Kontakte zur jüdischen

und zur islamischen Gemeinde ihrer Stadt, so dass sie am Ende des Projekts das

„Friedensband“ schließlich auch vor der Synagoge und der Moschee auslegten.

Die Schülerinnen und Schüler erwarben auf diese Weise umfassende Kenntnisse

über die Geschichte Europas sowie ihr stark religiös geprägtes Erbe und konnten

kompetent in den interreligiösen Trialog eintreten.

Kompetenz 1.2: Schülerinnen und Schüler nehmen Zeichen, Zeugnisse und Zeugen

der abrahamischen Religionen und Traditionen bewusst wahr.

Beispiel: Das Georg-Büchner-Gymnasium in Bad Vilbel hat das Wettbewerbsjahr

2007/2008 mit vier Schwerpunktthemen gestaltet. Eines davon bezog sich auf den

Deutschunterricht. In allen Klassen aller Jahrgangsstufen wurden Texte oder Filme

zum Trialog behandelt.

Ein Aspekt soll hier hervorgehoben werden: Das Projekt zur Bedeutung des

Jiddischen für die deutsche und englische Sprache. Den Auftakt bildete die

deutsche Filmkomödie „Alles auf Zucker“, die das heutige jüdische Alltagsleben in

Deutschland thematisiert. Die Schülerinnen und Schüler näherten sich der jüdischen

Sprachtradition an, indem sie sich in eigenen Recherchen mit der Geschichte

der Juden in Deutschland beschäftigten. Mit Hilfe von Beobachtungsbögen, die

verschiedene Aspekte behandelten („Welche geschichtlichen Zusammenhänge

werden im Film aufgezeigt?“, „Welches Bild von jüdischem Leben und Glauben in

Deutschland vermittelt der Film?“, „Welche religiösen Regeln werden erkennbar?“),

legten die Schülerinnen und Schüler den Fokus auch auf die im Film verwendeten

jiddischen Begriffe.

Es folgte eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Jiddischen. Die Jugendlichen

entdeckten den jüdischen Einfluss auf das Deutsche – etwa die Herkunft des

an Silvester oft gehörten Spruches „Guten Rutsch!“ aus dem Jiddischen „Rosh

Hashana“. Daraus entwickelten sie die Idee, weitere jiddische Ausdrücke im

Deutschen in einem selbst zu schreibenden Wörterbuch aufzulisten. Parallel dazu

fand das Projekt auch im Englischunterricht statt, da sich in dieser Sprache – bedingt

durch die starke jüdische Immigration in die USA – besonders viele Einflüsse des

Jiddischen festmachen lassen.

So entstanden mehrere Kleingruppen, die eigenständig in Bibliotheken oder im

Internet recherchierten: Sie klärten beispielsweise, was grundsätzlich unter der

Sprache „Jiddisch“ zu verstehen ist oder was der Ausdruck „Rotwelsch“ bedeutet.

Dann erstellten sie eine Liste religiös-kultureller Begriffe und deren Bedeutung,

verfassten ein Glossar jiddisch-deutscher und jiddisch-englischer Begriffe, an das

sich die Erstellung eines Wörterbuches schloss. Dabei beließen es die Schülerinnen

und Schüler nicht bei der reinen Auflistung der jiddischen Wörter in der deutschen

bzw. der englischen Sprache, sondern schrieben auch eine kurze Einleitung in die

jiddische Sprache und ihre Geschichte.

Durch die intensive Auseinandersetzung mit der jiddischen Sprache und ihren

Spuren im Deutschen und Englischen entwickelten die Schülerinnen und Schüler

eine verstärkte Wahrnehmung für jüdische Einflüsse in ihrer Lebenswelt.

C l a u S S P E t E r S a j a K / a n n - K a t h r I n M u t h 4 . i M W e t t b e W e r b e r h o b e n e S ta n d a r d S

2928

kompetenzbereich 2: den dialog fördern

Kompetenz 2.1: Schülerinnen und Schüler zeigen die Bedeutung von Religion als

grundlegendes kulturelles, gesellschaftliches Phänomen auf.

Beispiel: Die Emil-Fischer-Schule, ein Oberstufenzentrum für Ernährung

und Lebensmitteltechnik in Berlin, hat zweimal erfolgreich am Wettbewerb

teilgenommen.

Eines der Projekte beschäftigte sich mit den religiösen Speisetraditionen in

den drei abrahamischen Religionen, um so angehende Hauswirtschafterinnen

und Hauswirtschafter auf die Begegnung mit Gästen aus fremden Kulturen

vorzubereiten. Die Lehrerinnen und Lehrer bereiteten sich mit Fortbildungen auf

den Trialog-Schulenwettbewerb vor und setzten sich mit den Speisegesetzen in den

drei Religionen auseinander. Die Schülerinnen und Schüler nahmen ihrerseits an

einem Seminar mit dem Titel „Taste of heaven“ teil, bei dem sie an zwei Tagen

den Umgang mit Nahrungsmitteln in Judentum und Islam erforschten. Dabei

beschränkten sie sich nicht nur auf theoretische Hintergründe, sondern unternahmen

eine Exkursion in ein koscheres Café als außerschulischem Lernort und lernten die

jüdischen Feste, Symbole und Schriften kennen.

Auch für den Islam stand ein Experte als Ansprechpartner bereit und erläuterte den

Schülerinnen und Schülern islamische Speisevorschriften. Daraus entwickelten sie

weiterführende Fragen – etwa nach den historischen Ursprüngen und der heutigen

Praxis des Fastens. Im Fach „Hauswirtschaftliche Versorgung“ widmete sich

eine ganze Unterrichtsreihe dem Trialog. Zudem äußerten sich die Schülerinnen

und Schüler in einem Stationengespräch zum Einfluss der Religionen auf die je

unterschiedlichen Esskulturen.

In einer zweiten Phase stellten sie ihr Wissen in Form einer Collage zusammen.

Um ihre neuen Kenntnisse auch praktisch zu testen, wurde eine Auswahl von

Lebensmitteln getroffen, die als hallal/koscher bzw. haram gelten. In einem

dritten Schritt verständigten sich die Schülerinnen und Schüler über geeignete

Rezepte für ein Buffet der Begegnungen der drei Religionen und fassten es – dank

interdisziplinärer Zusammenarbeit – im EDV-Unterricht als Heft zusammen.

Es entstand ein trialogisches Kochbuch, das entsprechend der Speisevorschriften

Rezepte für Gläubige der drei Religionen enthielt.

So erarbeiteten sich die Schülerinnen und Schüler am Beispiel des Essens höchst

eigenständig und mit klarem Bezug zu ihrer späteren Berufspraxis die Erkenntnis, welch

große Bedeutung Religion bzw. religiöse Regeln für Fragen der Alltagskultur besitzen.

Kompetenz 2.2: Schülerinnen und Schüler beteiligen sich konstruktiv am Dialog

und leisten einen Beitrag zur zwischenmenschlichen Verständigung.

Beispiel: Die Theodor-Heuss-Schule aus Marburg setzte sich in der Wettbewerbs-

runde 2008/2009 mit Formen der Problemlösung und Konfliktschlichtung in

Judentum, Christentum und Islam auseinander.

In einem ersten Schritt war dafür eine grundlegende Kenntnis der drei Religionen

nötig. Die Schülerschaft, die aus verschiedenen ethnischen Gruppen bestand,

bereitete anschauliche Präsentationen und Plakate vor, die sie sowohl den Besuchern

der Schule als auch den Eltern vorstellten. Nachdem sie sich ein elementares

Grundwissen erarbeitet hatten, machten sich die Schülerinnen und Schüler auf die

Suche nach Gemeinsamkeiten, Unterschieden, aber auch möglichen Konfliktfeldern

der abrahamischen Religionen. Eine Gruppe erarbeitete eigenständig einen

Rap zum Thema „Goldene Regel“, eine andere studierte im Rahmen eines

Streitschlichterkurses ein Rollenspiel mit dem Titel „Du Jude“ ein. Dabei ging es um

Konfliktsituationen, die zwischen Juden, Christen und Muslimen entstehen können,

sowie deren mögliche Lösungen. Die Schülerinnen und Schüler nahmen während

des Rollenspiels Positionen von Angehörigen verschiedener Glaubensrichtungen

ein, um aus der Außen- in die Innenperspektive der anderen Religion zu gelangen.

Dieser konstruktive Dialogansatz blieb nicht blanke Theorie, denn die Schule erlebte

nach wenigen Monaten Projektphase, wie einer ihrer Schüler in einen antisemitischen

Vorfall verwickelt war. Er hatte mit anderen Jugendlichen den jüdischen Friedhof

einer Nachbarstadt geschändet. Das sorgte in der Region für große Aufregung. Die

Schulleitung und die Projektgruppe beschlossen deshalb, aktiv zu reagieren und

initiierten eine intensive Debatte über das Thema. Einzelne Klassen besprachen den

Vorfall, die Schule baute einen Kontakt zur jüdischen Gemeinde in Marburg sowie

zum Beratungsnetzwerk Hessen auf. Der Vorsteher der jüdischen Gemeinde führte

Gespräche mit dem involvierten Jugendlichen. Viele Schülerinnen und Schüler

beteiligten sich mit einer Pflanzaktion an der Wiederherrichtung des jüdischen

Friedhofs – andere nahmen an Projekttagen zum Thema Rechtsextremismus teil.

4 . i M W e t t b e W e r b e r h o b e n e S ta n d a r d SC l a u S S P E t E r S a j a K / a n n - K a t h r I n M u t h

3130

Der Vorfall wurde also von der Projektgruppe bewusst aufgenommen und bearbeitet.

Der Beitrag zur Versöhnung mit der Jüdischen Gemeinde führte schließlich dazu,

dass die Gemeinde der Schule als Zeichen der Anerkennung eine Spende überwies.

Der konstruktive Dialog über einen schwerwiegenden Verstoß gegen das

Zusammenleben in Deutschland führte also zu einer Verständigung, die von den

am Projekt beteiligten Schülerinnen und Schülern fundamental getragen wurde.

kompetenzbereich 3: den anderen anerkennen

Kompetenz 3.1: Schülerinnen und Schüler setzen sich mit Konfessionen, Religionen

und Weltanschauungen anderer Kinder und Jugendlicher auseinander.

Beispiel: Die Gesamtschule am Gluckenstein in Bad Homburg nahm als eine der

ersten Schulen am „Trialog der Kulturen“-Schulenwettbewerb teil und wurde dort

für ihre als Lernwerkstatt angelegte Internetseite www.religio.eu ausgezeichnet.

In einem ersten Schritt des Projekts formulierten die Schülerinnen und Schüler

im Ethik- und Religionsunterricht der 10. Jahrgänge Fragen, die sie an Judentum,

Christentum und Islam stellen wollten. Die Schülerinnen und Schüler bildeten

daraus im Unterricht gezielt Themenbereiche, die sie dann untersuchten. Dabei

zogen sie auch außerschulische Quellen heran. Zum einen wurden die Eltern über

das Projekt informiert und bekamen so die Gelegenheit, mitzudiskutieren. Zum

anderen unternahm die Lerngruppe Exkursionen zu außerschulischen Lernorten

und führte Expertenbefragungen durch.

So entwickelten die Schülerinnen und Schüler eine Internetseite, die über Themen

der drei monotheistischen Religionen in bestimmten Kategorien wie z. B. „Familie“,

„Feste und Bräuche“ oder „Schöpfung“ informierte und die Perspektiven der drei

abrahamischen Religionen hierzu erläuterte. Zudem hatten die Schülerinnen und

Schüler die Möglichkeit, eigenständig kreativ zu werden, z. B. zwei Fotostorys

über Abraham und Mose zu gestalten, in denen wichtige Lebensabschnitte

dieser biblischen Figuren dargestellt wurden. Eine andere Form der kreativen

Auseinandersetzung mit dem Trialog zeigte das Projekt „Basteln für Feste“, bei

dem die Schülerinnen und Schüler Requisiten für jüdische Feste herstellten, z. B.

Dreidel oder Davidsternkarten.

Die Schülerinnen und Schüler setzten eigene thematische Schwerpunkte: So

existiert auf www.religio.eu ein eigener Abschnitt zum Thema Tod: Hier setzen

sich Schülerinnen und Schüler in Form eines Films mit dem Thema auseinander,

indem sie einen Bestattungsunternehmer und eine Bewohnerin eines Altenheims

interviewten, die beide ihr Verhältnis zum Sterben schildern.

Andere Jugendliche können auf dieser Internetseite ihr Wissen in einem von den

Schülerinnen und Schülern erstellten Quiz über die drei Religionen testen und in

zahlreichen Foren ihre Meinungen äußern, z. B. über das Tragen eines Kopftuches.

Interessante und kontroverse Diskussionen entstanden.

So entwickelten die Schülerinnen und Schüler mit einem sehr zeitgemäßen,

interaktiven Instrumentarium einen Weg zu einer intensiven und altersadäquaten

Beschäftigung mit Religionen, Konfessionen und Kulturen ihrer Altersgenossen.

Kompetenz 3.2: Schülerinnen und Schüler begegnen Menschen anderer kultureller

und religiöser Kontexte mit Respekt, Interesse und Wertschätzung.

Beispiel: Die Kurt-Löwenstein-Schule aus Berlin gehörte im Wettbewerbsjahr

2008/2009 mit dem Projekt „Gelebte Kulturen/Religionen im Alltag“ zu den Siegern.

Da an dieser Schule ein hoher Anteil der Schülerinnen und Schüler einen

Migrationshintergrund hat, ist es ein Anliegen der Schule, interkulturellen Kon-

flikten präventiv zu begegnen und damit grundsätzlich die Bereitschaft zu Toleranz

und gegenseitigem Verständnis zu fördern. Die leitende Frage des Projekts

„Welche Kulturen und Religionen gibt es und wie leben sie?“ setzte zunächst im

eigenen Umfeld der Schülerinnen und Schüler an. Diese interviewten einander und

werteten das Material dann aus. In einem nächsten Schritt besuchte eine Gruppe

muslimischer Schülerinnen und Schüler ein jüdisches Jugendzentrum und befragte

dort die jüdischen Jugendlichen. Für diesen Schritt brauchte die Schule mehr als ein

Jahr Vorbereitungszeit, weigerten sich doch eine Reihe von arabischen Schülern,

sich mit jüdischen Jugendlichen zu treffen. Sie konnten nach dem Libanon-Krieg

aus persönlicher bzw. familiärer Betroffenheit nicht zwischen Israelis und Juden in

Deutschland unterscheiden. Doch das Projekt wurde fortgesetzt.

Bei der Beschäftigung mit den gelebten Kulturen und Religionen tauchten immer

wieder Fragen des Nahostkonflikts auf. Eine 10. Klasse veranstaltete einen Workshop

zu diesem Thema, der von einem palästinensischen und einem israelischen Trainer

durchgeführt wurde. Erst nach dieser intensiven Auseinandersetzung mit dem

C l a u S S P E t E r S a j a K / a n n - K a t h r I n M u t h 4 . i M W e t t b e W e r b e r h o b e n e S ta n d a r d S

3332

Nahostkonflikt und dem „Trialog der Kulturen“ veränderten die Schülerinnen

und Schüler Schritt für Schritt ihre Haltung, so dass die Begegnung im jüdischen

Jugendzentrum möglich wurde. Während des Besuchs stellte sich heraus, dass viele

Gemeinsamkeiten zwischen jüdischer und muslimischer Lebensweise existieren.

Im Anschluss daran bereiteten die Jugendlichen eine Präsentation für ihre

Mitschülerinnen und -schüler vor und berichteten von dem von ihnen als sehr

positiv empfundenen Gespräch. In der Folgezeit widmeten sich die Schülerinnen

und Schüler der gelebten Religion vor Ort. So schrieben einige von ihnen Entwürfe

für eine Theaterszene, in der es um die Frage ging, was passiert, wenn verschiedene

Kulturen eines Wohnhauses aufeinander treffen, welche Konflikte dort entstehen

und wie diese gelöst werden können.

Es ging bei diesem Projekt also nicht nur um den eigenen Standpunkt der

Schülerinnen und Schüler, sondern auch darum, den Blick auf Menschen anderer

Kulturzugehörigkeit zu weiten und diesen mit Respekt zu begegnen.

kompetenzbereich 4: die eigene identität weiterentwickeln

Kompetenz 4.1: Schülerinnen und Schüler setzen sich mit ihrem eigenen Glauben

und ihrer eigenen Weltanschauung auseinander.

Beispiel: Die Evangelische Schule Berlin Mitte gewann bei der fünften Wett-

bewerbsrunde im Schuljahr 2009/2010 einen ersten Preis.

Das Projekt zeichnete sich durch verschiedene Teilprojekte bzw. Kursgruppen

(teilgenommen haben Schülerinnen und Schüler aus der 4. bis 6. Klasse) aus,

deren Ziel es war, die Traditionen und Rituale von Judentum, Christentum und

Islam durch einen Perspektivenwechsel kennenzulernen. Insgesamt sind drei

Schwerpunkte zu nennen: Erstens die Erarbeitung und Aufführung eines Musicals

mit dem Titel „Glaub doch was du willst“, in dem die Kinder Fragen zu Judentum,

Christentum und Islam stellten und beantworteten. Dabei wurden bewusst

Vorurteile aufgegriffen und thematisiert.

Zweitens organisierte die Schule eine Projektwoche zu den drei abrahamischen

Religionen. Dort erarbeiteten die Schülerinnen und Schüler einen Kalender der drei

Religionen, in dem sie Feiertage und Feste notierten und erläuterten.

Drittes und zugleich herausragendes Teilprojekt war die Ausbildung von Kinder-

kirchenführern. Die Schule hatte bereits Erfahrung damit, wie christliche Kinder

sich angemessen in Architektur und Symbolwelt von Kirchen einarbeiten, um

durch Sakralbauten führen zu können. Deshalb sollten sie nun lernen, Interessierten

auch muslimische und jüdische Gotteshäuser näherzubringen. Zu diesem Zweck

nahm die Schule Kontakt zu jüdischen und muslimischen Gemeinden auf, um

Kooperationspartner für ihr Projekt zu gewinnen.

Dadurch, dass die Kinder anderen Menschen die Gotteshäuser der drei

abrahamischen Religionen erklärten, lernten sie selbst viel über die Geschichte,

Architektur, das Leben und den Glauben von jüdischen, christlichen und

muslimischen Gläubigen. Als Abschluss des Projekts führten die Kinder dann

Freunde, Verwandte und andere Interessierte in historischen Kostümen durch

eine Synagoge, Kirche und Moschee. Die Auseinandersetzung mit der eigenen

christlichen Tradition stärkte ihre Identität, so dass sie sich kompetent und selbst-

bewusst auch anderen Religionen zuwenden konnten.

Kompetenz 4.2: Schülerinnen und Schüler nehmen einen begründeten Standpunkt

in ihrer eigenen Konfession, Religion oder Weltanschauung ein.

Beispiel: Die St. Angela-Schule in Königstein hat an der fünften Runde des Schulen-

wettbewerbs mit dem Projekt „Kulturen entdecken und Minderheiten verstehen“

teilgenommen.

An diesem Projekt waren neben Schülerinnen der St. Angela-Schule, die vor-

nehmlich aus einem christlichen Elternhaus stammen, auch Schülerinnen und

Schüler der jüdischen Lichtigfeld-Schule in Frankfurt sowie der beruflichen

Werner-von-Siemens-Schule in Frankfurt beteiligt, von der sich eine Gruppe

muslimischer Jugendlicher im Projekt engagierte. Hauptziel des Projekts war die

Erstellung einer Schülerzeitung, die sich dem Thema dieser Wettbewerbsrunde

„Aufwachsen – Erwachsen. Kindheit und Jugend in Judentum, Christentum und

Islam heute“ widmete.

Im Laufe der Erarbeitungsphasen der Zeitung lag jedoch der Schwerpunkt auf

den Begegnungen der drei Schülergruppen. Zur Vorbereitung recherchierten die

Schülerinnen der St. Angela-Schule zu unterschiedlichen Fragestellungen der drei

abrahamischen Religionen. Ziel der mehrmaligen Treffen war es nun, sich nicht

nur kennenzulernen, sondern auch die Religion der anderen Gruppen zu verstehen

C l a u S S P E t E r S a j a K / a n n - K a t h r I n M u t h 4 . i M W e t t b e W e r b e r h o b e n e S ta n d a r d S

3534

und den Grund für Konflikte sowie deren Lösungsmöglichkeiten zu diskutieren.

Leitend waren bei diesen Gesprächen folgende Fragen:

1. Was wird von den Schülern bezüglich ihres religiösen, kulturellen, familiären

und schulischen Hintergrunds für wichtig angesehen und worauf möchten sie in

keiner Weise verzichten?

2. Was wollen Jugendliche über die Prägung Jugendlicher aus anderen Religions-

gemeinschaften wissen?

3. Wie stellen sie sich ein gelungenes Zusammenleben aller drei Religions-

gemeinschaften vor?

Mit Hilfe dieser Fragen entstanden spannende und kontroverse Diskussionen,

in denen sich die Schülerinnen und Schüler über ihren eigenen Glauben aus-

tauschten. Beispielsweise hatten die jüdischen und muslimischen Schülerinnen

und Schüler durchaus Schwierigkeiten, das trinitarische Gottesverständnis der

Christen nachzuvollziehen. Die Schülerinnen und Schüler bezogen einen eigenen

Standpunkt und waren darum bemüht, die Positionen der anderen zu verstehen.

kompetenzbereich 5: über die Schule hinaus wirken

Kompetenz 5.1: Schülerinnen und Schüler eröffnen Perspektiven des abrahamischen

Trialogs für Schulprofil und -gemeinschaft.

Beispiel: Die Regenbogenschule aus dem ethnisch äußerst heterogenen Berliner

Stadtteil Neukölln hat beim Schulenwettbewerb bereits zwei Preise mit ver-

schiedenen Trialog-Projekten gewonnen.

Allen gemeinsam war eine künstlerische Herangehensweise, die die Schülerinnen

und Schüler zu einem kreativen Umgang mit der Trialog-Thematik befähigte.

Eines der Projekte beschäftigte sich mit den religiösen Festen – am Beispiel

der religiösen Jahreskreise. Es erfolgte eine Aufteilung der Schülerinnen und

Schüler in drei Gruppen (Christentum, Judentum und Islam). Jeder wurde von

einem Künstler fachlich betreut, der eine der drei Religionen als biografischen

Hintergrund hatte. Die Schülerinnen und Schüler arbeiteten zu je fünf Kindern

in einer Gruppe. Danach rotierten sie weiter – so entstand bereits ein Trialog

auf Arbeitsgruppenebene. Die jungen Berliner behandelten das christliche

Erntedankfest und den Reformationstag, auf jüdischer Seite Rosh Hashana oder

Jom-Kippur sowie das islamische Ramadan- und Opferfest. Dabei entdeckten sie,

dass die muslimischen Feiertage aufgrund des Sonnenkalenders kein festes Datum

haben, also in jedem Schuljahr an unterschiedlichen Daten stattfinden.

Um sich den Themen künstlerisch zu nähern, verfügte jedes Kind über ein

Skizzenbuch, in dem es seine Ideen dokumentierte. Die Zusammenarbeit mit

den Schulkünstlern erwies sich als große pädagogische Bereicherung und strahlte

weit über die Schule aus. Die Schülerinnen und Schüler besprachen ihre kreativen

Vorstellungen mit ihnen, entwickelten sie weiter und setzen sie dann um. So entstand

ein weiterführender Prozess, der sowohl die Lernleistung im Unterricht als auch die

künstlerische Arbeit beeinflusste. Das Skizzenbuch bildete dabei den Ausgangspunkt

und dokumentierte den kreativen Lernprozess, ähnlich einem Portfolio.

Die fertigen Produkte konnten von allen Schülerinnen und Schülern der Schule

im Atrium angeschaut werden. So entstand auch die Möglichkeit, dass ganze

(Religions-)Klassen sich mit den Arbeiten beschäftigen und von den Ergebnissen

profitieren konnten. Da die Arbeitsgruppen häufig am Kunstwerk selbst tätig

waren, konnten auch sie ihren Mitschülerinnen und -schülern Begriffe oder

Zusammenhänge des Miteinanders der drei Religionen erklären, ohne dass dies in

einem regulären Unterricht passieren musste.

In einem weiteren Projekt gestalteten die Schülerinnen und Schüler ein 1 x 1

Meter großes Buch mit Bildern und Texten zu den drei abrahamischen Religionen.

Außerdem hatten die Kinder gemeinsam mit ihren Eltern im Hof der Schule ein

Labyrinth der drei Religionen errichtet, dessen drei Eingänge den Portalen der

drei Gotteshäuser nachempfunden waren.

Der Trialog hat sich an der Regenbogenschule derart bewährt, dass er nicht nur

in das schulinterne Curriculum aufgenommen wurde, sondern die Schule einen

eigenen Trialogunterricht eingerichtet hat, der abwechselnd von jüdischen,

christlichen und muslimischen Lehrerinnen und Lehrern gestaltet wird. Seitdem

die Schule sich so intensiv um den Trialog bemüht, verzeichnet die Schulleiterin

deutlich weniger Konflikte unter den Schülerinnen und Schülern. Das wurde auch

vom Neuköllner Quartiersmanagement, mit dem die Schule seit Jahren intensiv

kooperiert, und von den lokalen Kirchen sowie dem Kunstamt Neukölln sehr hoch

bewertet. Auch mit dem Schuleigentum und den vielen Kunstwerken zum Trialog

wird sehr bewusst und pfleglich umgegangen.

C l a u S S P E t E r S a j a K / a n n - K a t h r I n M u t h 4 . i M W e t t b e W e r b e r h o b e n e S ta n d a r d S

3736

Kompetenz 5.2: Schülerinnen und Schüler entwickeln Formen der Verständigung

und der Zusammenarbeit mit außerschulischen Institutionen und ihrem lokalen

Umfeld.

Beispiel: Mit dem Projekt „Aus Spiel wird Ernst“ hat die ebenfalls in Berlin-

Neukölln ansässige Elbe-Schule im Wettbewerbsjahr 2008/2009 teilgenommen und

den dritten Preis gewonnen.

Ziel des Projekts war eine Bühnenperformance bestehend aus Schauspiel,

Moderation, Film und Musical, die sich mit interkultureller Gewalt und deren

Prävention nicht zuletzt im eigenen Umfeld befasste. Ausgehend von Fragen

wie „Wodurch entsteht Gewalt?“, „Wo findet Gewalt, die einen religiösen

Hintergrund hat, in unserem Umkreis statt?“ und „Welche Lösungsmöglichkeiten

gibt es für derartige Konflikte?“, organisierte die Schule Diskussionsrunden,

Schreibwerkstätten und Improvisationen.

Die Schülerinnen und Schüler erstellten einen Forschungsfragenkatalog, um

ihre Arbeit zu strukturieren. Zu dem erarbeiteten Material suchten sie dann die

passenden künstlerischen Ausdrucksformen. Exkursionen ergänzten regelmäßig

die inhaltliche Arbeit. So besuchten die Schülerinnen und Schüler das Jüdische

Museum in Berlin, erhielten Besuch von einer Konfirmandengruppe, bauten

Kontakte zum Konservatorium für türkische Musik und zum Instrumenten-

Museum auf.

Bei der Arbeit wurde den Grundschülern deutlich, dass die Entstehung und der

Verlauf von Konflikten auch religiöse Gründe haben können. Sie begriffen, dass für

die Lösung solcher Konflikte der gegenseitige Respekt voreinander entscheidend ist.

Die erarbeiteten Elemente des Musiktheaters führten die Schülerinnen und Schüler

als krönenden Abschluss dann in der „Werkstatt der Kulturen“ auf. Später luden

andere Schulen und ein Jugendzentrum im Bezirk die Elbe-Schule zur Aufführung

von „Aus Spiel wird Ernst“ ein:

Für die Schüler aus dem sozialschwachen Bezirk ein großes Erlebnis – für die Schule

ein wichtiger Schritt in intensive Kooperationen mit außerschulischen und anderen

schulischen Einrichtungen, die die Impulse der Elbe-Schule dankbar aufgriffen

und den Schülerinnen und Schülern im Gegenzug neues, künstlerisch-technisches

Know-How vermittelten.

Mit dem „Trialog der Kulturen“-Schulenwettbewerb hat die Herbert Quandt-

Stiftung ein kreatives und zugleich wirksames Instrument geschaffen, durch

das sie selbst an der Umsetzung der vor über zehn Jahren entstandenen

Empfehlungen der University of Birmingham mitwirken kann. In diesem

Sinne legt die Stiftung bei der Auswahl der teilnehmenden Schulen und den

damit verbundenen Entscheidungsprozessen Kriterien zugrunde, die sich an

den Ergebnissen und Hinweisen der Birmingham-Studie orientieren. So sind

Faktoren wie Nachhaltigkeit, beispielsweise eine Verankerung der Trialog-

Thematik im schulinternen Curriculum, die Einbindung von Studentinnen und

Studenten bzw. Lehrerinnen und Lehrern im Vorbereitungsdienst, wie auch ein

Engagement von Seiten der Eltern Voraussetzung für eine erfolgreiche Teilnahme

und etwaige Auszeichnung. Durch diese indirekte Steuerung von Unterrichts-

und Schulentwicklungsprozessen im Rahmen von Wettbewerbsevaluationen ist

es gelungen, an den teilnehmenden Schulen Standards für das trialogische Lernen

einzuführen und zu überprüfen, die zu einem nachhaltigen interkulturellen

und interreligiösen Lernen beigetragen haben. Diese Standards nicht nur für die

ständig wachsende Zahl der Wettbewerbsschulen einzufordern, sondern sie als

Chance und Perspektive für Schulen und Bildungspolitik generell anzubieten, ist

das Anliegen dieser Veröffentlichung.

5. fazit: der trialog der kulturen muss in die Schule

C l a u S S P E t E r S a j a K / a n n - K a t h r I n M u t h

3938

W e i t e r f ü h r e n d e l i t e r at u r

Zur Einleitung:

Jorgen Nielsen/Markus Vinzent/Lisa

Kaul-Seidmann: Europäische Identität

und kultureller Pluralismus: Judentum,

Christentum und Islam in europäischen

Lehrplänen. Empfehlungen für die

Praxis, Bad Homburg v. d. Höhe 2003.

Zu: Trialogisches Lernen ermöglicht

Kompetenzentwicklung

Katja Baur (Hg.): Zu Gast bei

Abraham. Ein Kompendium zur

interreligiösen Kompetenzbildung,

Stuttgart 2007.

Christina Brüll et al.: Synagoge –

Kirche – Moschee. Kulträume erfahren

und Religionen entdecken, München

2005.

Stephan Leimgruber: Interreligiöses

Lernen, 2. überarbeitete Auflage,

München 2007.

Karlo Meyer: Zeugnisse fremder

Religionen im Unterricht.

„Weltreligionen“ im deutschen und

englischen Religionsunterricht,

Neukirchen-Vluyn 1999.

Ann-Kathrin Muth/Clauß Peter

Sajak: Kippa, Kelch und Koran.

Interreligiöses Lernen mit Zeugnissen

der Weltreligionen. Eine Folienmappe,

München 2010.

Clauß Peter Sajak: Kippa, Kelch und

Koran. Interreligiöses Lernen mit

Zeugnissen der Weltreligionen. Ein

Praxisbuch. Unter Mitarbeit von Katrin

Gergen-Woll, Barbara Huber-Rudolf

und Jan Woppowa, München 2010.

Clauß Peter Sajak: Das Fremde als

Gabe begreifen – Auf dem Weg

zu einer Didaktik der Religionen

aus katholischer Perspektive, 2.

überarbeitete Auflage, Münster 2010.

Zu: Schulen orientieren sich an

Standards und Kompetenzen

Dietrich Benner (Hg.):

Bildungsstandards. Kontroversen –

Beispiele – Perspektiven, Paderborn

2007.

Andreas Feindt et al. (Hg.):

Kompetenzorientierung im

Religionsunterricht. Befunde und

Perspektiven, Münster 2009.

Eckhard Klieme et al.: Zur

Entwicklung nationaler

Bildungsstandards. Eine Expertise,

Berlin 22003.

Wolfgang Michalke-Leicht

(Hg.): Kompetenzorientiert

unterrichten. Ein Praxisbuch für den

Religionsunterricht, München 2011.

Gabriele Obst: Kompetenzorientiertes

Lehren und Lernen im Religions-

unterricht, Göttingen 2009.

Clauß Peter Sajak (Hg.):

Bildungsstandards für den Religions-

unterricht. Perspektiven für ein neues

Instrument im RU, Münster 2007.

Zu: Standards für das

Trialogische Lernen

Clauß Peter Sajak (Hg.) unter

Mitarbeit von Ann-Kathrin Muth und

Angelika Pantel: Trialogisch Lernen.

Bausteine für die interkulturelle und

interreligiöse Projektarbeit, Seelze

2010.

Weiterführende literatur

3938

4140

d i e a u t o r e n

Clauß Peter Sajak

Geboren 1967 in Leverkusen, 1989-1994 Studium der

Katholischen Theologie, Germanistik, Philosophie und

Erziehungswissenschaften in Bonn und Freiburg/Breisgau.

1995 Erstes Staatssexamen. Referendariat in Karlsruhe. 1998

Zweites Staatsexamen und Promotion an der Theologischen

Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. 1998-

2002 Studienrat am Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium in

Heilbronn. 1995, 1999 und 2005 Forschungsaufenthalte am Princeton Theological

Seminary, der Michigan State University und der Notre Dame University.

2002-2008 Referent für Hochschulen im Bischöflichen Ordinariat Mainz. 2004

Habilitation und Privatdozent an der Theologischen Fakultät der Albert-Ludwigs-

Universität Freiburg. 2007-2008 Außerplanmäßiger Professor in Freiburg. Seit 2008

Professor für Religionspädagogik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der

Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

Publikationen:

- Exil als Krisis. Selbstkundgabe, Erinnerung und Realisation als Beitrag deutschsprachiger

Exilliteratur zu einer narrativen Religionsdidaktik, Ostfildern 1998.

- Das Fremde als Gabe begreifen – Auf dem Weg zu einer Didaktik der Religionen aus

katholischer Perspektive, Münster 2005.

- (Hg.) Bildungsstandards für den Religionsunterricht. Perspektiven für ein neues Instrument im

RU, Münster 2007.

- Kippa, Kelch und Koran. Interreligiöses Lernen mit Zeugnissen der Weltreligionen. Ein

Praxisbuch. Unter Mitarbeit von Katrin Gergen-Woll, Barbara Huber-Rudolf und Jan

Woppowa, München 2010.

die autoren

- Zusammen mit Muth, Ann-Kathrin, Kippa, Kelch und Koran. Interreligiöses Lernen mit

Zeugnissen der Weltreligionen. Eine Folienmappe, München 2010.

- (Hg.) unter Mitarbeit von Ann-Kathrin Muth und Angelika Pantel, Trialogisch Lernen.

Bausteine für die interkulturelle und interreligiöse Projektarbeit, Seelze 2010.

- (Hg.) Praktische Theologie. Modul 4 – Theologie studieren im modularisierten Studiengang,

Paderborn 2011.

Ann-Kathrin Muth

Geboren 1983 in Oelde/Westfalen. 2003-2008 Studium der

Fächer Katholische Theologie, Germanistik und Musik

für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen an der

Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. 2008 Erstes

Staatsexamen. Seit 2008 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am

Lehrstuhl für Religionspädagogik mit dem Promotionsprojekt

„Lernen im Trialog? Wettbewerbslernen als neue Perspektive

in der Debatte um Kompetenzorientierung im Religionsunterricht“, das sich auf

den „Trialog der Kulturen“-Schulenwettbewerb bezieht.

Publikationen:

- „Katholische Schulen im Wettbewerb. Die Sankt-Lioba-Schule Bad Nauheim und ihr Beitrag

zum Wettbewerb ‚Schulen im Trialog’ der Herbert Quandt-Stiftung“, in: engagement 4/2009,

326-332.

- Zusammen mit Clauß Peter Sajak: „Freiheit von der Religion oder Freiheit vom Staat? Eine

Unterrichtseinheit zum Staat-Kirchen-Verhältnis für die Sekundarstufe II“, in: Eulenfisch 1

(2010), 25-38.

- „Methodencurriculum für das trialogische Lernen“, in: Clauß Peter Sajak (Hg.) unter

Mitarbeit von Ann-Kathrin Muth und Angelika Pantel: Trialogisch lernen. Bausteine für die

interkulturelle und interreligiöse Projektarbeit, Seelze 2010, 175-253.

- Zusammen mit Clauß Peter Sajak: Kippa, Kelch und Koran. Interreligiöses Lernen mit

Zeugnissen der Weltreligionen. Eine Folienmappe, München 2010.

4342

Gestiftet als Dank für die Lebensleistung des Unternehmers Dr. h.c. Herbert Quandt

setzt sich die Herbert Quandt-Stiftung für die Stärkung und Fortentwicklung

unseres freiheitlichen Gemeinwesens ein. Ausgangspunkt ihres Handelns in den

Satzungsbereichen Wissenschaft, Bildung und Kultur ist entsprechend diesem

Vorbild die Initiativkraft des Einzelnen und die Einsatzbereitschaft für andere.

Die Stiftung will mit ihrem Wirken dazu beitragen, das Ideal des eigenständigen

Bürgers zu fördern: Sie möchte Menschen anregen, ihre individuellen Begabungen zu

entfalten und Verantwortung für sich sowie für das Gemeinwesen zu übernehmen.

Die Stiftung ist grundsätzlich operativ tätig in Form von längerfristigen

Programmen, so auch im „Trialog der Kulturen“. Sie greift gesellschaftspolitische

Themen auf, erschließt sie in Kooperation mit der Wissenschaft, entwickelt

praktikable Lösungsansätze und bringt sie in das Bewusstsein der Öffentlichkeit

und der Politik. Sie möchte damit auch die politische Kultur unseres Landes

fördern. Je nach Erfordernis setzt die Herbert Quandt-Stiftung auf Bündnisse mit

anderen Institutionen und Organisationen, um den gesamtgesellschaftlichen Dialog

zu befördern sowie andere zu ermutigen, die Anliegen der Stiftung aufzunehmen

und weiterzutragen.

l e i t b i l d

leitbild der herbert Quandt-Stiftung

den Bürger stärken – die Gesellschaft fördern

Herbert Quandt-StiftungAm Pilgerrain 15D-61352 Bad Homburg v. d. HöheTel: +49 (0) 6172 404- 500Fax: +49 (0) 6172 404- 545www.herbert-quandt-stiftung.de

25.000 Schüler an über 100 Schulen haben seit 2005 am „Trialog der Kulturen“-

Schulenwettbewerb der Herbert Quandt-Stiftung teilgenommen. Kreative Projekte

mit klaren pädagogischen Zielen beleuchten schulformspezifisch Gemeinsamkeiten

und Unterschiede in Judentum, Christentum und Islam. Lassen sich die Ergeb-

nisse der einzelnen Schulen bündeln, übertragen, analysieren, um praxiserprobte

„trialogische Bildungsstandards“ zu entwickeln? Der Münsteraner Religionspä-

dagoge Clauß Peter Sajak, Spezialist für interreligiöses Lernen sowie für die Bil-

dungsstandarddiskussion, und seine Mitarbeiterin Ann-Kathrin Muth beantworten

diese Frage mit einem eindeutigen Ja. Sie sind mit der Herbert Quandt-Stiftung

fest davon überzeugt, dass es auch für interkulturelles und interreligiöses Lernen

definierbare Kompetenzen gibt. Ein innovatives Angebot, das eine unübersehbare

Lücke in der gegenwärtigen Bildungsstandarddebatte füllt – und so einen Beitrag

zur bildungspolitischen Integration leistet.