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RA 2005, HEFT 3 ÖFFENTLICHES RECHT -133- Öffentliches Recht Standort: Kommunalrecht Problem: Wirtschaftliche Betätigung VG GIEßEN, BESCHLUSS VOM 14.10.2004 8 G 3009/04 (NVWZ-RR 2004, 201) Problemdarstellung: Das VG Gießen hatte im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 I VwGO darüber zu ent- scheiden, ob ein privater Konkurrent sich gegen die wirtschaftliche Betätigung einer Gemeinde wehren kann. Voraussetzung dafür ist ein entsprechender An- spruch, also ein subjektives Recht des privaten Kon- kurrenten. Die Gemeindeordnungen der Länder enthal- ten Regelungen über die Zulässigkeit solcher wirt- schaftlichen Betätigungen der Gemeinden (hier: § 121 HessGO). Streitig ist, ob diese zugunsten der privaten Konkurrenz Drittschutz entfalten. 1. Anknüpfungspunkt ist zunächst die vielen Gemein- deordnungen immanente sogen. “Subsidiaritätsklau- sel”, nach der Gemeinden sich nur wirtschaftlich be- tätigen dürfen, wenn private Unternehmen den selben Zweck nicht besser und wirtschaftlicher verfolgen können. Hier ist sehr streitig, ob eine solche Klausel die Privatunternehmen schützt, oder nur die Gemeinde selbst vor verlustreichen wirtschaftlichen Abenteuern bewahren soll. Während die verwaltungsgerichtliche Rspr. nahezu geschlossen Drittschutz verneint, ist die Literatur wohl mehrheitlich dafür. Im Zeitpunkt der Entscheidung existierte in Hessen aber keine solche Subsidiaritätsklausel. 2. Das OVG Münster hat in einer Aufsehen erregenden Entscheidung (RA 2003, 651 = NWVBl 2003, 462) für das Land NRW entschieden, dass sich aus dem Er- fordernis eines “öffentlichen Zwecks” für die wirt- schaftliche Betätigung Drittschutz zugunsten der örtli- chen Wirtschaftsbetriebe ergeben soll. Ein solches Er- fordernis besteht auch in Hessen, § 121 I 1 Nr. 1 Hess- GO. Das VG bezeichnet diese Ansicht aber als “Min- dermeinung”, ohne das Urteil des OVG NRW zu er- wähnen. Diese Einschätzung ist zumindest in NRW nicht zutreffend, zumal der dortige § 107 V GO NRW die mittelständische Wirtschaft und das Handwerk ex- plizit erwähnt. Das vom VG vorgebrachte Gegenargu- ment, bei der Beurteilung des Vorliegens eines “öf- fentlichen Zwecks” habe die Gemeinde eine Einschät- zungsprärogative, überzeugt ebenfalls nicht, denn dies ist eine Frage des Umfangs, nicht des Bestehens des Rechts. Das OVG ließ folgerichtig in seinem Fall den Abwehranspruch des Konkurrenten an der weiten Aus- legung des “öffentlichen Zwecks” scheitern, nicht am Nichtbestehen eines Abwehrrechts. Prüfungsrelevanz: Im Kommunalrecht gibt es kaum ein Thema, das sich gegenwärtig vergleichbarer Beliebtheit erfreut. Die RA hat hierüber auch schon mehrfach berichtet. Die Praxis spült einfach immer wieder Fälle an die Ober- fläche, weil die Gemeinden auf der verzweifelten Su- che nach neuen Einkommensquellen die wirtschaftli- che Betätigung für sich entdecken. Dass dies der örtli- chen Wirtschaft nicht genehm ist und diese sich mit Rechtsbehelfen - üblicherweise im vorläufigen Rechts- schutz - zur Wehr setzt, liegt auf der Hand. Der Abwehranspruch wird übrigens ganz überwiegend nicht unmittelbar aus der jeweiligen Norm der Ge- meindeordnung abgeleitet, wie das VG es anscheinend vertritt, denn diese Normen sind allesamt schon ihrem Wortlaut nach keine Anspruchsgrundlagen. Dafür müssen vielmehr die gewohnheitsrechtlich anerkann- ten Institute des öffentlich-rechtlichen Unterlassungs- anspruchs bzw. des öffentlich-rechtlichen Folgenbesei- tigungsanspruchs herhalten, je nach dem, ob die Stö- rungsquelle beseitigt (FBA) oder nur das störende Ver- halten unterbunden werden soll (Unterlassungs- anspruch). Der Examenskandidat tut gut daran, seine Prüfung über diese Anspruchsgrundlagen einzuleiten. Sie setzen beide einen hoheitlichen Eingriff in ein subjektiv-öffentliches Recht voraus. Ein solches Recht könnte dann aus der landesrechtlichen Vorschrift über die wirtschaftliche Betätigung folgen, wobei dies so- wohl für den “öffentlichen Zweck” als auch für die Subsidiaritätsklausel streitig ist (s.o.). Ferner kommen Grundrechte (Art. 12, 14 GG) in Betracht, die aller- dings außerhalb eines Verdrängungswettbewerbs nicht vor Konkurrenz schützen, wie das VG knapp aber zu- treffend ausführt. Vertiefungshinweise: Aktuelle Beiträge zum Drittschutz gegen wirtschaft- liche Betätigung der Gemeinden: Faber, DVBl. 2003, 761; Schink, NVwZ 2002, 129; Marin, JZ 2002, 819 Aus der Rechtsprechung: OVG NRW, RA 2004, 756 = DVBl 2004, 1568; RA 2003, 651 = NWVBl 2003, 462; OLG Karlsruhe, RA 2001, 386 = VBlBW 2001, 234; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, 1470; RA 2002, 145 = NVwZ 2002, 248 (wohl überholt durch BGH,

Standort: Kommunalrecht Problem: Wirtschaftliche Betätigung · ÖFFENTLICHES RECHT RA 2005, HEFT 3-133-Öffentliches Recht Standort: Kommunalrecht Problem: Wirtschaftliche Betätigung

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  • RA 2005, HEFT 3ÖFFENTLICHES RECHT

    -133-

    Öffentliches Recht

    Standort: Kommunalrecht Problem: Wirtschaftliche Betätigung

    VG GIEßEN, BESCHLUSS VOM 14.10.2004 8 G 3009/04 (NVWZ-RR 2004, 201)

    Problemdarstellung:Das VG Gießen hatte im Wege des vorläufigenRechtsschutzes nach § 123 I VwGO darüber zu ent-scheiden, ob ein privater Konkurrent sich gegen diewirtschaftliche Betätigung einer Gemeinde wehrenkann. Voraussetzung dafür ist ein entsprechender An-spruch, also ein subjektives Recht des privaten Kon-kurrenten. Die Gemeindeordnungen der Länder enthal-ten Regelungen über die Zulässigkeit solcher wirt-schaftlichen Betätigungen der Gemeinden (hier: § 121HessGO). Streitig ist, ob diese zugunsten der privatenKonkurrenz Drittschutz entfalten.1. Anknüpfungspunkt ist zunächst die vielen Gemein-deordnungen immanente sogen. “Subsidiaritätsklau-sel”, nach der Gemeinden sich nur wirtschaftlich be-tätigen dürfen, wenn private Unternehmen den selbenZweck nicht besser und wirtschaftlicher verfolgenkönnen. Hier ist sehr streitig, ob eine solche Klauseldie Privatunternehmen schützt, oder nur die Gemeindeselbst vor verlustreichen wirtschaftlichen Abenteuernbewahren soll. Während die verwaltungsgerichtlicheRspr. nahezu geschlossen Drittschutz verneint, ist dieLiteratur wohl mehrheitlich dafür. Im Zeitpunkt derEntscheidung existierte in Hessen aber keine solcheSubsidiaritätsklausel.2. Das OVG Münster hat in einer Aufsehen erregendenEntscheidung (RA 2003, 651 = NWVBl 2003, 462)für das Land NRW entschieden, dass sich aus dem Er-fordernis eines “öffentlichen Zwecks” für die wirt-schaftliche Betätigung Drittschutz zugunsten der örtli-chen Wirtschaftsbetriebe ergeben soll. Ein solches Er-fordernis besteht auch in Hessen, § 121 I 1 Nr. 1 Hess-GO. Das VG bezeichnet diese Ansicht aber als “Min-dermeinung”, ohne das Urteil des OVG NRW zu er-wähnen. Diese Einschätzung ist zumindest in NRWnicht zutreffend, zumal der dortige § 107 V GO NRWdie mittelständische Wirtschaft und das Handwerk ex-plizit erwähnt. Das vom VG vorgebrachte Gegenargu-ment, bei der Beurteilung des Vorliegens eines “öf-fentlichen Zwecks” habe die Gemeinde eine Einschät-zungsprärogative, überzeugt ebenfalls nicht, denn diesist eine Frage des Umfangs, nicht des Bestehens desRechts. Das OVG ließ folgerichtig in seinem Fall denAbwehranspruch des Konkurrenten an der weiten Aus-

    legung des “öffentlichen Zwecks” scheitern, nicht amNichtbestehen eines Abwehrrechts.

    Prüfungsrelevanz:Im Kommunalrecht gibt es kaum ein Thema, das sichgegenwärtig vergleichbarer Beliebtheit erfreut. DieRA hat hierüber auch schon mehrfach berichtet. DiePraxis spült einfach immer wieder Fälle an die Ober-fläche, weil die Gemeinden auf der verzweifelten Su-che nach neuen Einkommensquellen die wirtschaftli-che Betätigung für sich entdecken. Dass dies der örtli-chen Wirtschaft nicht genehm ist und diese sich mitRechtsbehelfen - üblicherweise im vorläufigen Rechts-schutz - zur Wehr setzt, liegt auf der Hand.Der Abwehranspruch wird übrigens ganz überwiegendnicht unmittelbar aus der jeweiligen Norm der Ge-meindeordnung abgeleitet, wie das VG es anscheinendvertritt, denn diese Normen sind allesamt schon ihremWortlaut nach keine Anspruchsgrundlagen. Dafürmüssen vielmehr die gewohnheitsrechtlich anerkann-ten Institute des öffentlich-rechtlichen Unterlassungs-anspruchs bzw. des öffentlich-rechtlichen Folgenbesei-tigungsanspruchs herhalten, je nach dem, ob die Stö-rungsquelle beseitigt (FBA) oder nur das störende Ver-halten unterbunden werden soll (Unterlassungs-anspruch). Der Examenskandidat tut gut daran, seinePrüfung über diese Anspruchsgrundlagen einzuleiten.Sie setzen beide einen hoheitlichen Eingriff in einsubjektiv-öffentliches Recht voraus. Ein solches Rechtkönnte dann aus der landesrechtlichen Vorschrift überdie wirtschaftliche Betätigung folgen, wobei dies so-wohl für den “öffentlichen Zweck” als auch für dieSubsidiaritätsklausel streitig ist (s.o.). Ferner kommenGrundrechte (Art. 12, 14 GG) in Betracht, die aller-dings außerhalb eines Verdrängungswettbewerbs nichtvor Konkurrenz schützen, wie das VG knapp aber zu-treffend ausführt.

    Vertiefungshinweise:“ Aktuelle Beiträge zum Drittschutz gegen wirtschaft-liche Betätigung der Gemeinden: Faber, DVBl. 2003,761; Schink, NVwZ 2002, 129; Marin, JZ 2002, 819“ Aus der Rechtsprechung: OVG NRW, RA 2004, 756= DVBl 2004, 1568; RA 2003, 651 = NWVBl 2003,462; OLG Karlsruhe, RA 2001, 386 = VBlBW 2001,234; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, 1470; RA 2002,145 = NVwZ 2002, 248 (wohl überholt durch BGH,

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    RA 2002, 381 = JuS 2003, 958 m. Anm. Warneke);BGH, DVBl. 2003, 267 Kursprogramm:“ Examenskurs: “Brot für M”

    Leitsatz:Ein subjektives Recht, einer Gemeinde eine wirt-schaftliche Betätigung (hier: auf dem Gebiet derAbfallentsorgung) zu untersagen, steht einem pri-vaten Konkurrenten jedenfalls dann nicht zur Sei-te, wenn in der Kommunalverfassung ein so ge-nanntes Subsidiaritätsprinzip nicht verankert ist.

    Sachverhalt: Die Ast. ist eine Kommanditgesellschaft, die Entsor-gungsdienstleistungen anbietet. Durch Vertrag vom16.6./24.6.94 übernahm sie für den Bereich der Bei-gel., der Gemeinde E.-Stadt, die Aufgabe des Einsam-melns und Beförderns von Abfällen. Dieser Vertragwurde auf die Dauer von 10 Jahren, beginnend ab1.4.94 abgeschlossen. Unter dem 7.4., 28.4. und 5.5.95schlossen die Ast. und die Beigel. einen weiteren Ver-trag, nach dem die Ast. ab 1.5.95 die Einsammlungund die Beförderung des Bioabfalls aus dem Bereichder Beigel. zur Entsorgungsstelle übernahm. DieserVertrag lief am 31.3.04 aus und wurde nicht verlän-gert. Mit einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarungüber die Übertragung von Aufgaben der Abfallein-sammlung vom 31.3.04 verpflichtete sich die Ag., dieStadt C., ab 1.4.04 die Entsorgung des Hausmülls aufdem Gebiet der Beigel. zu übernehmen. Namentlichwurden der Ag. von der Beigel. folgende Zuständig-keiten übertragen: Jährliche Erstellung eines Abfuhr-plans, Einsammlung und Transport der FraktionenRestmüll, Biomüll, Altpapier und Sperrmüll. Ein Ent-gelt sollt die Ag. danach ausschließlich auf Basis derSelbstkostenerstattung erhalten.Der Antrag der Ast. auf Gewährung vorläufigenRechtsschutzes gegen die Ag. mit dem Ziel, einenWettbewerb im Bereich des Abfallrechts zu unterlas-sen, der das Gebiet der Ag. überschreite, hatte keinenErfolg.Aus den Gründen:

    A. ZulässigkeitDer Antrag ist zulässig.

    I. VerwaltungsrechtswegDer Verwaltungsrechtsweg ist hier gem. § 40 I VwGOgegeben, da sich die Ast. kommunalverfassungsrecht-licher Ansprüche berühmt und insoweit der Ag. aufeiner öffentlich-rechtlichen Grundlage nichtverfas-sungsrechtlicher Art die Abfallentsorgung im Bereichder Beigel. untersagen möchte.

    II. RechtsschutzinteresseEine Erledigung des Rechtsstreits ist nicht eingetreten.Denn durch ihren Antrag geht es der Ast. darum, derAg. umfassend die Zusammenarbeit mit der Beigel.hinsichtlich der Abfallentsorgung zu untersagen.

    B. BegründetheitDer Antrag ist jedoch unbegründet.

    I. VoraussetzungenGem. § 123 I VwGO kann das Gericht auf Antrag,auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige An-ordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen,wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderungdes bestehenden Zustands die Verwirklichung einesRechts des Ast. vereitelt oder wesentlich erschwertwerden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auchzur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug aufein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn dieseRegelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnis-sen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder dro-hende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründennötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anord-nung setzt demgemäß das Vorliegen eines An-ordnungsgrundes und eines Anordnungsanspruchs vor-aus.

    II. AnordnungsanspruchDie Ast. hat einen Anordnungsanspruch jedoch nichtglaubhaft gemacht. Sie kann sich nicht auf ein subjek-tives öffentliches Recht berufen, der Ag. zu untersa-gen, mit der Beigel. hinsichtlich der Abfallentsorgungweiterhin zusammenzuarbeiten, insbesondere für dieBeigel. jährlich einen Abfuhrplan zu erstellen und dieEinsammlung und den Transport der Fraktionen Rest-müll, Biomüll, Altpapier und Sperrmüll vorzunehmen.Ein solches Recht steht ihr nicht zur Seite.

    1. Subjektives Recht aus § 121 HessGOEntgegen der Ansicht der Ast. folgt ein entsprechendessubjektiv-öffentliches Recht insbesondere nicht aus §121 I Hessische Gemeindeordnung - HessGO. Nachdem Wortlaut dieser Vorschrift darf eine Gemeindewirtschaftliche Unternehmen errichten, übernehmenoder wesentlich erweitern, wenn1. der öffentliche Zweck das Unternehmen rechtfertigtund dieser Zweck durch das Unternehmen wirtschaft-lich erfüllt werden kann und 2. das Unternehmen nachArt und Umfang in einem angemessenen Verhältnis zuder Leistungsfähigkeit der Gemeinde und zum voraus-sichtlichen Bedarf steht."

    a. Wirtschaftliche BetätigungDas Fehlen eines Anordnungsanspruchs der Ast. ergibtsich noch nicht aus der Art des von der Ag. unterhalte-nen Betriebs. Zwar gelten gem. § 121 I 1 Nr. 2 Hess-GO dabei Einrichtungen der Abfallbeseitigung nicht

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    als wirtschaftliche Unternehmen der Gemeinde i. S.der §§ 121 ff. HessGO. Die dort aufgeführten Betriebewerden vom Gesetzgeber nämlich für besonders för-derungswürdig gehalten und sollen nur mit Einschrän-kungen unter die §§ 121 ff. HessGO fallen (vgl. Cos-son, DVBl 1999, 891 [893]). Ob vorliegend der Tat-bestand dieser Ausnahmeregelung gegeben ist, kannaber offen bleiben. Denn auf jeden Fall steht der Ast.ein subjektives Recht hinsichtlich des geltend gemach-ten Unterlassungsbegehrens nicht zur Seite, weil dieVorschrift des § 121 1 HessGO nämlich keinen Dritt-schutz entfaltet.

    b. Kein subjektives RechtDie drittschützende Wirkung einer Vorschrift desöffentlichen Rechts beurteilt sich danach, ob diese aus-schließlich objektiv-rechtlichen Charakter hat und nurdem öffentlichen Interesse dient oder ob sie - zumin-dest auch - dem Schutz von Individualinteressen die-nen soll (vgl. BVerwG, NVwZ-RR 1999, 208). DieNorm des § 121 I HessGO dient ausschließlich öffent-lichen Interessen und nicht Interessen Einzelner.

    aa. WortlautBereits seinem Wortlaut nach ergeben sich keine An-haltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit § 121 IHessGO Rechtspositionen Einzelner oder einzelnerUnternehmen zu schützen beabsichtigte. Denn solcheprivaten Unternehmen werden in dieser Vorschriftnoch nicht einmal als Schutzobjekt aufgeführt odermittelbar benannt. Damit fehlt es normativ an indivi-dualisierenden Tatbestandsmerkmalen, denen sich - alsnotwendige Voraussetzung für die Gewährung vonDrittschutz - überhaupt ein einschlägiger, sich von derAllgemeinheit unterscheidender Personenkreis entneh-men ließe (vgl. dazu BVerwGE 117, 93 [99]; 94, 151[158]; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., [2003], § 42Rdnr. 84), der wettbewerbsbezogen geschützt werdensoll.

    bb. TeleologieAuch bei einer an Sinn und Zweck orientierten Aus-legung ist der Vorschrift ein Drittschutz nicht zu ent-nehmen. Bei solchen Normen, die die wirtschaftlicheBetätigung von Kommunen regeln, handelt es sich umeinen Teil des objektiven Verhaltensrechts für die Ge-meinden, aus dem der von der öffentlichen Konkur-renz betroffene Private grundsätzlich keine Abwehr-oder Unterlassungsansprüche herleiten kann (vgl.Meyer, Der Landkreis, 2003, S. 29).

    cc. Subsidiaritätsklausel nicht vorhandenDie Kommunalrechtsordnungen der einzelnen Bundes-länder - und damit auch die hessische Gemeindeord-nung - sind in Bezug auf die Frage, ob ihre jeweiligenNormen über die wirtschaftliche Betätigung der Ge-meinde Drittschutz vermitteln, zunächst danach zu

    unterscheiden, ob und inwieweit sie eine Subsidiaritäts-klausel enthalten (vgl. Zeiss, NZBau 2003, 475f.). Da-bei hat der jeweilige KommunalverfassungsgeberRaum für unterschiedliche Regelungen. Für die Frage,ob eine Vorschrift des GemeindewirtschaftsrechtsDrittschutz vermittelt, ist folglich an den Inhalt derspezifischen Norm selbst anzuknüpfen (vgl. Schlacke,JA 2002, 48 [50]). Enthält eine (landesrechtliche)Kommunalrechtsordnung eine solche Subsidiaritäts-klausel - und damit ein Nachrangigkeitsprinzip für ge-werbliches wirtschaftliches Tätigwerden - wird voneiner in der Literatur im Vordringen befindlichen An-sicht ein subjektives Recht eines privaten Konkurren-ten bejaht (vgl. etwa Schliesky, JA 1998, 930 [932] m.w. Nachw.), wobei allerdings differenziert wird, obeine echte oder eine unechte Subsidiaritätsklausel nor-miert wurde (vgl. Schmid, ZKF 2001, 242 [244 f.]).Bei einer echten Subsidiaritätsklausel ist die wirt-schaftliche Betätigung einer Kommune nur dann statt-haft, wenn der Zweck nicht ebenso gut und wirtschaft-lich durch einen Privaten erfüllt werden kann, währendeine unechte Subsidiaritätsklausel eine wirtschaftlicheBetätigung der Gemeinde dagegen auch dann zulässt,wenn der öffentliche Zweck durch den Dritten besserund wirtschaftlicher erfüllt werden kann.Der hessische Kommunalverfassungsgeber hat bislangjedoch davon abgesehen, das Subsidiaritätsprinzip inder Gemeindeordnung zu verankern, so dass bereitsdeshalb kein Drittschutz abgeleitet werden kann. Viel-mehr hat es der Hessische Gesetzgeber bei einer Rege-lung belassen, die lediglich die Zulässigkeit der er-werbswirtschaftlichen Betätigung der Gemeinde nor-miert und damit bewusst auf die Einführung eines sol-chen Nachrangigkeitsprinzips verzichtet (vgl. Schnei-der/Dreßler/Lull, HessGO, Stand: Dez. 2003, § 121Rdnr. 6, S. 11). Hierfür lassen sich auch rechtspoliti-sche Gründe anführen. Ansonsten blieben der Gemein-de nämlich nur die unrentierlichen Aufgaben übrig, diekeinen Gewinn abwürfen und deshalb nicht das Inter-esse von Privatunternehmen weckten (vgl. VGH Kas-sel, GewArch 2004, 483).

    dd. Öffentlicher Zweck als AnknüpfungspunktNach einer Mindermeinung soll das Subsidiaritätsprin-zip aber auch in solchen Fällen gelten, in denen esnicht ausdrücklich in dem entsprechenden Gesetz nor-miert wurde, da ein kommunales Wirtschaften, dessenErgebnis besser und effizienter durch einen Privatenerreicht werden könne, nicht geeignet sei, das Wohlder Gemeindeeinwohner zu fördern und somit nichtdurch einen öffentlichen Zweck zu legitimieren sei(vgl. Pünder, DVBl 1997, 1353 [1359]). Die aus-drückliche Normierung des Subsidiaritätsprinzips inder Kommunalverfassung sei deshalb nicht erforder-lich, weil das Merkmal der Rechtfertigung durch einenöffentlichen Zweck auch dem Schutz der privatenKonkurrenz diene (vgl. Faber, DVBl 2003, 761 [764]).

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    Diese Auffassung ist jedoch abzulehnen. DasTatbestandsmerkmal des öffentlichen Zwecks dientnicht den Interessen der Privatwirtschaft, sondern demSelbstschutz der Kommunen vor wirtschaftlicherÜberforderung. Die Bedeutung der Regelung über diewirtschaftliche Betätigung von Kommunen bestehtausschließlich darin, öffentliche Belange zu wahrenund einer Konfliktsituation vorzubeugen, wie sie auseinem ungehemmten Wettbewerb mit der privatenWirtschaft entstehen könnte (vgl. VGH Mannheim,NJW 1995, 274). Hierdurch wird aber gerade kein in-dividualisierter Personenkreis begünstigt (vgl. auchKöhler, BayVBl 2000, 1 [10]). Überdies besteht fürdie Frage, ob und inwieweit eine Gemeinde wirtschaft-lich tätig werden möchte, eine Einschätzungspräroga-tive der Kommune, die gerichtlich nur eingeschränktüberprüft werden kann und sich auch deshalb nicht alsdrittschützend erweist (vgl. Pagenkopf, GewArch2000, 177 [180], der von einem “Prognose- und Beur-teilungsspielraum der Gemeinde" spricht).

    ee. Alternative RechtsschutzmöglichkeitenDie Normen über die wirtschaftliche Betätigung derGemeinden sind ferner nicht deswegen per se dritt-schützend, weil der private Konkurrent durch die or-dentliche Gerichtsbarkeit keinen hinreichendenRechtsschutz erreichen könnte. So vermögen privateMitbewerber wettbewerbsrechtlich Rechtsschutz ge-gen kommunale Unternehmen zu suchen (vgl. hierzuauch Püttner (Hrsg.), in: Handbuch der kommunalenWissenschaft und Praxis, Bd. 5, 1984, S. 50 [69 f.]).Auch im vorliegenden Fall zeigt sich, dass die Ast.insoweit Rechtsschutz zu finden vermochte. Denndurch den Beschluss des OLG Frankfurt (NZBau2004, 692) wurde (zu Gunsten der Ast.) festgestellt,dass die zwischen der Ag. und der Beigel. geschlosse-ne öffentlich-rechtliche Vereinbarung vom 31.3.04über die Übertragung von Aufgaben der Abfallein-sammlung nichtig ist.

    ff. Verfassungsrechtliche WettbewerbsneutralitätDas Subsidiaritätsprinzip ergibt sich überdies nicht auseinem ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz (vgl.VGH Kassel , GewArch 2004, 483; Schnei-der/Dreßler/Lull, § 121 Rdnr. 6, S. 11 m. w. Nachw.).Denn das Grundgesetz ist durch eine wirtschaftspoliti-sche Neutralität gekennzeichnet, der sich kein Be-kenntnis zu einem bestimmten Wirtschaftssystem ent-nehmen lässt (BVerwG, GewArch 1972, 201 [203];Faber, DVBI 2003, 761 [763]). Schon deswegen kannder Verfassung nicht entnommen werden, dass ein-fach-gesetzliche Regelungen über die Zulässigkeitwirtschaftlicher Betätigung der Kommunen restriktivauszulegen sind.

    2. Subjektives Recht aus geplanter Subsidiaritätsklau-selEtwas anderes folgt auch nicht aus Nr. 30 desGesetzentwurfs der Landesregierung für ein Gesetz zurÄnderung der Hessischen Gemeindeordnung und an-derer Gesetze vom 6.7.2004 (LT Dr 16/2463, S. 16),der in Bezug auf § 121 HessGO die Einführung einerSubsidiaritätsklausel vorschlägt, selbst wenn in der Be-gründung des Gesetzentwurfs (S. 15) offensichtlichdarauf abgestellt wird, mittels dieser Neuregelung sol-le diese Vorschrift als Schutznorm ausgestaltet werdenund Drittschutz vermitteln. Durch diesen Gesetzent-wurf ergibt sich keine normative Vorwirkung zu Guns-ten der Ast., da er im Zeitpunkt der Entscheidung indieser Sache noch nicht in Kraft getreten ist.Allerdings ist einzuräumen, dass sich die wirtschaftli-chen Unternehmen der Städte und Gemeinden in derjüngsten Vergangenheit immer neue Betätigungsfeldererschließen (vgl. Schink, NVwZ 2002, 129), und esdamit private Konkurrenz immer schwieriger habenkönnte zu bestehen. Daraus lässt sich - mangels nor-mativer Vorgaben - aber ebenfalls nicht der Schlussziehen, der Landesgesetzgeber habe von dieser Ent-wicklung betroffenen privaten Unternehmen durch dieVorschriften über die wirtschaftliche Betätigung derGemeinden in der Kommunalverfassung automatischeinen öffentlich-rechtlichen Abwehranspruch vermit-telt.

    3. Subjektives Recht aus GrundrechtenDie Ast. kann sich zur Begründung ihres Begehrensschließlich nicht mit Erfolg auf die Grundrechte ausArt. 12 I GG oder Art. 14 I GG berufen.

    a. Art. 12 GGDas Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12 I GGschützt nämlich nicht vor Konkurrenz, auch nicht vordem Wettbewerb der öffentlichen Hand. Durch diesesGrundrecht wird der Privatwirtschaft nicht dieAusschließlichkeit des wirtschaftlichen Handelns ga-rantiert (vgl. BVerwG, NJW 1995, 2938; GewArch1972, 201 [203]).

    b. Art. 14 GGDas Eigentumsgrundrecht nach Art. 14 GG schütztebenfalls nicht vor dem Auftreten neuer Konkurrenz,es sei denn, diese erlange durch behördliches Handelneine Monopolstellung (vgl. BVerwG, NJW 1995,2938; GewArch 1972, 201 [203]; VGH Kassel, NVwZ1996, 816 = GewArch 1996, 233; VGH Mannheim,VBlBW 1995, 99). Dass die Ag. vorliegend durch einebehördliche Maßnahme eine Monopolstellung erlangt,ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

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    Standort: Baurecht Problem: Drittschutz gegen nicht genehmigte Vorhaben

    VG GIEßEN, BESCHLUSS VOM 12.08.20041 G 3087/04 (NVWZ-RR 2005, 166)VGH MÜNCHEN, URTEIL VOM 21.01.2004 26 B 02.873 (NVWZ-RR 2005, 56)

    Problemdarstellung:Die folgenden Entscheidungen des VG Gießen unddes BayVGH beschäftigen sich mit dem RechtsschutzDritter gegen ein ohne Baugenehmigung errichtetesBauwerk. Das Problem besteht in diesen Fällen darin,dass in Ermangelung einer Baugenehmigung diesenicht mit Widerspruch oder Anfechtungsklage ange-fochten werden kann. Wie das VG Gießen in der ersten Entscheidung richtigfeststellt, bleibt dem Nachbarn daher nur eine Klagegegen die Bauaufsichtsbehörde auf Einschreiten (Ab-riss, Stilllegung, Nutzungsuntersagung) gegen denBauherrn. In der Hauptsache ist dies eine Verpflich-tungsklage, im vorläufigen Rechtsschutz ein Antragnach § 123 I 2 VwGO. Das VG meint mit der wohlh.M., dass sich in diesen Fällen - die tatbestandlichenVoraussetzungen unterstellt - das Entschließungser-messen der Bauaufsichtsbehörde über ein Einschreitenauf null reduziere, weil der Nachbar eines ohne Ge-nehmigung errichteten Bauwerks sonst schlechterstünde als der Nachbar eines mit Genehmigung errich-teten Bauwerks, wo die Aufhebung der Genehmigungja auch zwingende Folge des erfolgreichen Rechtsbe-helfs (Widerspruch / Anfechtungsklage) ist, §§ 72, 113I 1 VwGO. Im Fall des BayVGH hatte eine kleine Gemeinde aufbauaufsichtliches Einschreiten geklagt, weil die Bau-genehmigungsbehörde, die zu Unrecht von derGenehmigungsfreiheit des Umbaus eines vorhandenen,baurechtswidrigen Bauwerks ausgegangen war, sienicht um ihr Einvernehmen nach § 36 I BauGB ersuchthatte. Besonders interessant war, dass die Bauauf-sichtsbehörde auch noch einen öffentlich-rechtlichenVertrag mit dem Bauherrn darüber geschlossen hatte,dass das Bauwerk unter bestimmten Voraussetzungennicht abgerissen werden müsse. Der BayVGH überträgt zunächst die Unzulässigkeitder Erteilung einer Baugenehmigung ohne gemeindli-ches Einvernehmen (§ 36 I BauGB) überzeugend aufdie Fälle, in denen die Bauaufsichtsbehörde § 36BauGB dadurch umgeht, dass sie erst gar keine Bauge-nehmigung erteilt (und deshalb wegen des Einverneh-mens bei der Gemeinde erst gar nicht anfragt), etwaweil sie das Vorhaben irrig für genehmigungsfrei hältoder mutwillig handelt. Diese Fallgruppe wiederumüberträgt der BayVGH unter Rückgriff auf Sinn undZweck des § 36 BauGB und die Unzulässigkeit eines

    Vertrags zu Lasten Dritter auf die Fälle, in denen dergenehmigungsfreie Fortbestand in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag zugestanden wird. Dieses Ergebnishätte das Gericht indes einfacher haben können: Wennman mit ihm davon ausgeht, dass ohne gemeindlichesEinvernehmen auch kein genehmigungsfreier Fortbe-stand eines genehmigungspflichtigen Gebäudes mög-lich ist, ergibt sich schon aus dem Gesetz, dass dannauch kein solcher Vertrag ohne Einvernehmen der Ge-meinde geschlossen werden darf, § 58 II VwVfG.

    Prüfungsrelevanz:Das Problem des Drittrechtsschutzes gegen ohne Bau-genehmigung errichtete Bauwerke ist mindestens sointeressant wie der Drittrechtsschutz gegen Baugeneh-migungen. Folgendes bleibt für diese Fälle nach denvorliegenden Entscheidungen festzuhalten:- Der Rechtsschutz des Dritten läuft über eine Ver-pflichtungsklage (§ 42 I, 2. Fall VwGO) auf bauauf-sichtliches Einschreiten gegen das Bauwerk, wobei imvorläufigen Rechtsschutz ein Antrag nach § 123 I 2VwGO zu stellen ist,- ein solcher Anspruch setzt die Verletzung einessubjektiv-öffentlichen Rechts des Dritten voraus; § 36I BauGB bzw. die darin geschützte Planungshoheitstellen ein solches Recht der Gemeinde dar; nicht dritt-schützend zugunsten des Bürgers sind hingegen dieVorschriften über die Genehmigungspflicht eines Vor-habens,- das grds. bestehende Entschließungsermessen derBauaufsichtsbehörde wird bei der Verletzung einerdrittschützenden Norm in aller Regel auf null reduziertsein, so dass eingeschritten werden muss (das VGspricht sogar von einem “intendierten Ermessen” desGesetzgebers).Nicht empfohlen werden kann dem Examenskandi-daten hingegen, den kaum noch nachvollziehbarenDuktus der Entscheidung des VG Gießen zu überneh-men, in der z.B. nicht zwischen Zulässigkeit und Be-gründetheit des Antrags unterschieden und die Rechts-folge (Ermessensreduzierung) vor dem Tatbestand ge-prüft wird, wobei der Tatbestand zu allem Überflussauch noch verneint wird, sodass es der Ausführungenzur Ermessensreduzierung überhaupt nicht mehr be-durft hätte. Vertiefungshinweise:“ Ermessen bei Klage auf bauaufsichtliches Ein-schreiten: BVerwG, BRS 36 Nr. 93; NVwZ 1995, 272;BRS 52 Nr. 159; OVG Weimar, BauR 1999, 164;NVwZ-RR 2000, 578; BayVGH, BayVBl 1982, 51;OVG NRW, NJW 1984, 1577

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    “ Einvernehmen der Gemeinde nach § 36 BauGB:Konrad, JA 2001, 588; Hellermann, Jura 2002, 589;Horn, NVwZ 2002, 406“ Rechtsschutz einer Gemeinde bei der Klage einesEigentümers gegen eine Beseitigungsanordnung:BVerwG, NVwZ 2000, 1048

    Kursprogramm:“ Examenskurs : “Garagenterrasse”“ Examenskurs : “Das illegale Wochenendhaus”

    1. Teil: Beschluss des VG Gießen vom 12.08.2004 (1 G 3087/04)

    Leitsätze:1. Zur Zulassung eines Bestattungsinstituts (Pietät)durch einen vorhabenbezogenen Bebauungsplannach § 12 BauGB [nur Leitsatz].2. Zum Eilrechtsschutz des Nachbarn nach § 123VwGO gegen ein der Genehmigungsfreistellungnach § 56 HessBauO unterfallendes Vorhaben.

    Sachverhalt: Der Ast. ist Eigentümer des Grundstücks G. in der Ge-markung H., das mit einem Wohnhaus und mit einerGarage bebaut ist. Die Beigel. ist Eigentümerin desGrundstücks I. in der Gemarkung H. (Baugrundstück).Für das Baugrundstück besteht der am 27.5.2004 vonder Stadtverordnetenversammlung der Stadt H. be-schlossene und am 24.6.2004 ortsüblich bekannt ge-machte Vorhaben- und Erschließungsplan nach § 12BauGB. Er setzt für das Baugrundstück “AllgemeinesWohngebiet” (WA), offene Bauweise, zwei Vollge-schosse, Grundflächenzahl 0,4, Geschossflächenzahl0,8 sowie eine Baugrenze für die Errichtung einesWohn- und Geschäftshauses „J" mit zwei Wohnungensowie mit Büro-, Lager- und Ausstellungsflächen fürdie von der Familie der Beigel. betriebene Pietät fest.Im Rahmen der Aufstellung erhob der Ast. keine Be-denken gegen diesen Bebauungsplan. Mit der „Mitteilung baugenehmigungsfreier Vorhabennach § 56 HessBauO" vom 21.6.2004 reichte die Bei-gel. bei der Stadt H. die erforderlichen Bauvorlagenfür die Errichtung eines Wohn- und Geschäftshausesmit Garagen (drei Stellplatze), Carport (zwei Stellplät-ze) und zwei Stellplätzen mit jeweils einer Wohnungim Erd- und im Dachgeschoss sowie mit einem Werk-stattraum (für die Fertigstellung der Särge), einemVorbereitungsraum (für das Waschen und das Anklei-den der Toten), Lagerräumen und einem Aufbewah-rungsraum (Kühlraum für die Aufbewahrung von To-ten) und diversen kleinen Nebenräumen (Heizung pp.)für die (seit etwa zwanzig Jahren durch die Familie derBeigel. betriebene) Pietät mit einem Betriebspersonalvon drei bis vier Personen im Untergeschoss sowie miteinem Ausstellungsraum und einem Büroraum im

    Obergeschoss ein. Zugleich leitete sie eine Zweitaus-fertigung an die Bauaufsichtsbehörde des Ag. Mit denBauarbeiten sollte Anfang August 2004 begonnenwerden. Mit anwaltlichem Schreiben vom 22.7.2004 legte derAst. beim Ag. “Einspruch gegen die Erteilung derBaugenehmigung" ein. Sein Antrag auf Gewährungvon einstweiligem Rechtsschutz blieb ohne Erfolg.

    Aus den Gründen: Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnungnach § 123 I 2 VwGO auf Verpflichtung des Ag., ge-genüber der Beigel. bezüglich deren Bauvorhaben „J"die Baueinstellung anzuordnen, ist zulässig, aber unbe-gründet.

    A. Rechtsschutzmöglichkeiten des Nachbarn gegengenehmigungsfreie VorhabenAnders als bei den Fällen, in denen der Bauherrschafteine Baugenehmigung erteilt wurde (vgl. die §§ 54,57, 58, 64 HessBauO), kann der Nachbar bei - hiernach § 56 HessBauO - baugenehmigungsfreien Vorha-ben keinen Verwaltungsakt (§ 35 S. 1 HessVwVfG)mit Widerspruch (§ 68 VwGO) und Anfechtungsklage(§ 42 I VwGO) anfechten sowie die verwaltungsge-richtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung desWiderspruchs (§ 80 a III VwGO, § 212 a BauGB) undggf. als Sicherungsmaßnahme für diese Anordnung dieBaueinstellung (§ 80 a III i. V mit § 80 a I Nr. 2 a. E.VwGO) erreichen. Da es in den Fällen der Genehmi-gungsfreistellung nach § 56 HessBauO keinen angreif-baren Verwaltungsakt gibt, kann der Nachbar nur beider Bauaufsichtsbehörde eine Baueinstellung nach §71 HessBauO beantragen und bei Erfolglosigkeit dieVerpflichtung der Bauaufsichtsbehörde im Wege dereinstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zum Er-lass einer solchen Baueinstellungsanordnung begehren(vgl. Hornmann, HessBauO, § 56 Rdnrn. 120 ff .).

    B. Gebundener Anspruch oder Ermessen?Durch die Einführung der Genehmigungsfreistellungnach § 56 HessBauO ist das bisher für die ihm unter-fallenden baulichen Anlagen weitgehend bestehendeBaugenehmigungsverfahren nach den §§ 62 ff. Hess-BauO 1993 abgelöst worden. Durch die Einführungdieser Genehmigungsfreistellung wurde jedoch nichteine fehlende bodenrechtliche bzw. nachbarrechtlicheRelevanz der § 56 HessBauO unterfallenden baulichenAnlagen zum Ausdruck gebracht, wie dies für die inAnlage 2 zu § 55 HessBauO aufgeführten Vorhabentypisch ist. Die bauplanungsrechtliche Relevanzkommt vielmehr nachhaltig dadurch zum Ausdruck,dass es sich nach § 56 II Nrn. 1 und 2 HessBauO umVorhaben handeln muss, die im Geltungsbereich einesqualifizierten oder vorhabenbezogenen Bebauungs-plans liegen und in Übereinstimmung mit den Festset-zungen desselben realisiert werden sollen. Deshalb

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    muss die der Bauaufsichtsbehörde in § 71 S. 1 Hess-BauO eingeräumte Befugnis zur Verhinderung desBaubeginns und zur Einstellung einer bereits begonne-nen Bauausführung als Ausgleich für das fehlende prä-ventive Baugenehmigungsverfahren verstanden wer-den. Im Fall der Durchführung des Baugenehmigungsver-fahrens hat es aber der von dem Bauvorhaben betroffe-ne Nachbar in der Hand, im Wege des Widerspruchs(§ 68 VwGO) und der Anfechtungsklage (§ 42 IVwGO) die Baugenehmigung zu beseitigen und nach§ 80 a III VwGO ihre Ausnutzbarkeit zu verhindern,sofern diese nachbarschützende Vorschriften (Ab-wehrrechte) verletzt, ohne dass weitere zusätzlicheBedingungen erfüllt sein müssen. Diese kompensato-rische Funktion kann § 71 S. 1 HessBauO im Hinblickauf die Interessen der Nachbarn nur dann erfüllen,wenn keine zu hohen Anforderungen an die Ermes-sensreduzierung auf Null gestellt werden (grdl. VGHMannheim, NVwZ-RR 1995, 490; Hornmann, § 56Rdnr. 142; vgl. auch VGH München, NVwZ 1997,923). Dies wird dadurch bestätigt, dass es die Gemein-de mit einer Erklärung nach § 56 II Nr. 5 HessBauO -hier wurde sie nicht abgegeben - in der Hand hat, dassein Baugenehmigungsverfahren durchgeführt werdenmuss (vgl. VG München, NVwZ 1997, 928; Horn-mann, § 56 Rdnr. 142).

    C. Statthafter Antrag im vorläufigen RechtsschutzDie Sicherungsanordnung nach § 123 12 VwGO dientder Sicherung eines gefährdeten Rechts, das dem Ast.(Nachbarn) zustehen muss, und zu dessen Gunsten dieAnordnung ergehen soll (Anordnungsanspruch). Siche-rungsfähig sind alle Ansprüche, die Gegenstand einerVerpflichtungsklage sein können. Dazu zählt der An-spruch auf behördliches Einschreiten. Befugnisnorm(Ermächtigungsgrundlage) für die geforderte bauauf-sichtliche Baueinstellung ist § 71 S. 1 HessBauO.Nach dieser (abschließenden) Vorschrift kann die(nach § 52 I Nr. 1, 112 HessBauO i. V. mit der Aufga-benzuweisungsnorm des § 53 II 1 HessBauO zuständi-ge untere) Bauaufsichtsbehörde, wenn bauliche An-lagen oder andere Anlagen oder Einrichtungen nach §1 12 HessBauO im Widerspruch zu öffent-lich-rechtlichen Vorschriften errichtet, geändert, abge-brochen oder beseitigt werden, die Einstellung der Ar-beiten anordnen. Ein streitiges Rechtsverhältnis i. S.des § 123 12 VwGO (vgl. Hornmann, § 56 Rdnr. 123m. w. Nachw.) wurde mit dem Schreiben des Ast. vom22.7.04 an den Ag., mit dem er sinngemäß ein bauauf-sichtsbehördliches Einschreiten des Ag. begehrt hat,und nachdem das diesbezügliche Gespräch mit derUnteren Bauaufsichtsbehörde des Ag. vom 30.7.04erfolglos geblieben ist, begründet.

    I. AnordnungsgrundDer Anordnungsgrund i. S. des § 123 I 2 VwGO ist

    auf Grund des Beginns der Bauarbeiten gegeben, dadie Gefahr besteht, dass die nachbarlichen Abwehr-rechte durchzusetzen ganz erheblich erschwert wird.

    II. AnordnungsanspruchEin Anordnungsanspruch i. S. des § 123 12 VwGObesteht jedoch nicht.Ein solcher Anspruch auf Tätigwerden der Behörde -hier nach § 71 S. 1 HessBauO (s. o.) - besteht nur,wenn die Voraussetzung für eine Pflicht zum Ein-schreiten, nämlich eine Ermessensreduzierung aufNull, gegeben ist, und wenn die jeweilige Rechtsvor-schrift des materiellen Rechts nach ihrem aus dem Ge-samtzusammenhang der Allgemeininteressen zuerschließenden Sinn und Zweck nicht lediglich All-gemeininteressen, sondern auch solche des betroffenenEinzelnen wahrt, d.h. ihm ein Abwehrrecht vermitteltund somit nachbarschützend ist (vgl. VGH Kassel,BauR 2000, 873; NVwZ 2000, 694 = BauR 2000,1162; Hornspann, § 56 Rdnrn. 131 ff.).

    1. ErmessensreduzierungEine Ermessensreduzierung auf Null mit der Folge desAnspruchs des Nachbarn auf Baueinstellung ist gege-ben, wenn er in formellen und/oder materiellen Ab-wehrrechten verletzt ist. Dies ergibt sich aus den nach-stehenden Überlegungen:Nach § 40 HessVwVfG hat die Bauaufsichtsbehördedas ihr solchermaßen eingeräumte Ermessen entspre-chend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben unddie gesetzlichen Grenzen des Ermessens (vgl. § 114 S.1 VwGO) einzuhalten. Folglich hat sich die Ermes-sensausübung der Bauaufsichtsbehörde nach der in §71 HessBauO niedergelegten übergeordneten Aufgabezu richten, nicht erst nach Abschluss der Bauarbeitenauf ein wegen Verstoßes gegen die bauordnungsrecht-lichen Bestimmungen über das einzuhaltende Verfah-ren und/oder gegen materielles Recht illegales Bau-vorhaben, sondern sogleich zu reagieren. Dies bringtdie Formulierung der tatbestandlichen Voraussetzungfür die Baueinstellungsanordnung “werden baulicheAnlagen oder andere Anlagen oder Einrichtungen nach§ 1 I 2 HessBauO im Widersprüch zu öffent-lich-rechtlichen Vorschriften errichtet, geändert, abge-brochen oder beseitigt” unmissverständlich zum Aus-druck. Dem der Behörde für Baueinstellungsanordnun-gen in § 71 HessBauO eingeräumten Ermessen ist so-mit die Tendenz eigen, die im öffentlichen Interessegrundsätzlich gebotene Pflicht zum Einschreiten zuverwirklichen (sog. intendiertes Ermessen oder Regel-ermessen). Es besteht kein Unterschied zur Ermessensbetätigungbeim Nutzungsverbot nach § 72 1 2 HessBauO, dennes geht wie dort regelmäßig um die Beachtung formel-len Baurechts. Beim Vorliegen der tatbestandlichenVoraussetzungen des § 71 HessBauO ist die Bauauf-sichtsbehörde grundsätzlich zum Einschreiten ver-

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    pflichtet. Das behördliche Ermessen wird durch § 71S. 1 HessBauO nur eröffnet, um in Ausnahmefällen zuermöglichen, von dem an sich gebotenen Einschreitenabzusehen, wenn dies nach den konkreten Umständenopportun ist. Ausnahmen können insbesondere für Ba-gatellfälle oder unter dem Gesichtspunkt der Verhältnis-mäßigkeit (§§ 3 13, 4 HessSOG) gelten. An dieErmessensausübung und deren Begründung sind regel-mäßig nur geringe Anforderungen zu stellen.

    2. Subjektives Recht des ASt.Hier fehlt es jedoch an der Verletzung eines Abwehr-rechtes des Ast. Ein durch eine einstweilige Anord-nung nach § 123 VwGO schützbares Abwehrrecht desDritten besteht nur, wenn ein Vorhaben gegen Vor-schriften des öffentlichen Rechts verstößt und die Vor-aussetzungen für eine Abweichung, Ausnahme oderBefreiung nicht vorliegen und die verletzten Vor-schriften auch zum Schutz des Nachbarn zu dienenbestimmt, also nachbarschützend sind und durch dasrechtswidrige Vorhaben eine tatsächliche Beeinträchti-gung des Nachbarn hinsichtlich der durch die Vor-schriften geschützten nachbarlichen Belange eintritt(st. Rspr.; vgl. z.B. VGH Kassel, DVBl 1992, 780;HSGZ 1993, 22 m. w. Nachw.; vgl. auch Hornmann, §72 Rdnrn. 197 f.).

    a. Genehmigungspflichten nicht drittschützendDer Hinweis des Ast., die Voraussetzungen für dasGenehmigungsfreistellungsverfahren nach § 56 Hess-BauO hätten nicht vorgelegen, ist unzutreffend undgreift nicht. Denn selbst aus dem Umstand, dass Ge-meinde (und Bauaufsichtsbehörde) unzutreffend voneiner Genehmigungsfreistellung nach § 56 HessBauOausgegangen sind, kann der Nachbar nichts für sichherleiten. Die verfahrensrechtlichen Bestimmungenüber die Genehmigungsfreistellung nach § 56 Hess-BauO (und über die Baugenehmigungsfreiheit nach §55 HessBauO sowie auf Grund des § 80 IV 1 Nr. 1HessBauO) begründen keinen Drittschutz (vgl. VGHKassel, NVwZ 1997, 89 - zur Bauvorlagenverordnung;OVG Münster, NVwZ 2003, 361 - zum Verhältnis desvereinfachten Genehmigungsverfahrens nach § 19BImSchG zu dem regulären Genehmigungsverfahrennach den §§ 10 ff. BImSchG; Hornmann, § 56 Rdnr.135). Entgegen der Auffassung des Ast. bedurfte dasVorhaben nach den §§ 4 ff. BImSchG i. V mit der 4.BImSchV auch keiner immissionsschutzrechtlichenGenehmigung.

    b. BauplanungsrechtEin Abwehrrecht aus bauordnungsrechtlichen [sic!]Bestimmungen besteht ebenfalls nicht. Das Vorhabender Beigel. (§ 29 I BauGB) liegt im Geltungsbereichdes vorgenannten vorhabenbezogenen Bebauungs-plans i. S. des § 12 BauGB. Das Vorhaben der Beigel.ist nach § 30 II BauGB zulässig, da es diesem Bebau-

    ungsplan nicht widerspricht und die Erschließung gesi-chert ist [wird ausgeführt].

    2. Teil: Urteil des BayVGH vom 21.01.2004 (26 B 02.873)

    Leitsatz:1. Zum Recht einer Gemeinde, sich gegen einenöffentlich-rechtlichen Vertrag zwischen derBaugenehmigungsbehörde und einem Bauherrnüber den Nichtabriss eines Gebäudes zur Wehr zusetzen. 2. Zum Anspruch einer Gemeinde auf Einschreitender Bauaufsichtsbehörde gegen ein nicht genehmig-tes Gebäude.

    Sachverhalt: Die Beigel. sind Eigentümer des im Außenbereich ge-legenen Grundstücks Flur X. der Gemarkung H., dasmit einem während des zweiten Weltkrieges errichte-ten Gebäudes bebaut war. Im Oktober 1996 beantrag-ten sie die Erteilung eines Vorbescheids zu der Frage,ob das schwammbefallene Gebäude abgerissen und anseiner Stelle ein Neubau errichtet werden darf. Nach-dem das Landratsamt formlos mitgeteilt hatte, dass einErsatzbau nicht genehmigt werden könne, wandtensich die Beigel. an den Petitionsausschuss des Bayeri-schen Landtages. Dieser erklärte die Eingabe mit derMaßgabe als erledigt, dass ein Konzept für die Sanie-rung erarbeitet werde. Das dem Landratsamt im Sep-tember 1998 vorgelegte Sanierungskonzept sah vor,dass zwei Drittel der Bausubstanz erhalten werdensoll. Bei einer Besichtigung stellte das Landratsamtjedoch fest, dass mindestens 70% der Bausubstanz neuerrichtet worden ist. Daraufhin stellte das Landratsamtdie Bauarbeiten ein. Die Beigel. brachten vor, erst beiDurchführung der Arbeiten habe sich gezeigt, dasseine Sanierung verschiedener Bauteile nicht mehrmöglich sei. Nach weiteren Verhandlungen mit demLandratsamt schlossen der Bekl. und die Beigel. am 6.4. 2000 einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, in wel-chen sich der Beigel. verpflichtete, von der Beseiti-gung des Gebäudes abzusehen. Die Beigel. verpflich-teten sich, bestimmte Rückbaumaßnahmen durchzufüh-ren und das Gebäude ausschließlich als Wochenend-haus zu nutzen. Die Kl. vertrat gegenüber dem Bekl.die Auffassung, der Vertrag hätte nicht ohne ihre Mit-wirkung abgeschlossen werden dürfen. Ihrer auf Ver-pflichtung des Bekl. zur Anordnung der Beseitigunggerichteten Klage gab das VG statt. Die vom VGHzugelassene Berufung der Beigel. wurde zurückgewie-sen.

    Aus den Gründen:

    A. ZulässigkeitDie Berufung ist zulässig. Die Beigel. sind berufungs-

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    befugt, denn sie werden durch das angefochtene Urteilformell und materiell beschwert.

    B. BegründetheitDie Berufung ist aber unbegründet. Das angefochteneUrteil hält einer rechtlichen Überprüfung stand. DasVG hat den Bekl. zü Recht verpflichtet, die Beseiti-gung anzuordnen. Das hat das VG im angefochtenenUrteil ausführlich im Einzelnen ohne Rechtsfehler dar-gelegt. [...] Die Verpflichtungsklage der Kl. mit dem inder mündlichen Verhandlung am 21. 2. 2001 gestelltenAntrag, den Bekl. zu verpflichten, die vollständigeBeseitigung des Gebäudes der Beigel. anzuordnen, istzulässig und begründet.

    I. Zulässigkeit

    1. StatthaftigkeitDie Verpflichtungsklage in der Form der Untätigkeits-klage ist zulässig. Die Umstellung von der zunächsterhobenen Feststellungsklage auf die Verpflichtungs-klage ist eine Klageänderung i. S. des § 91 I VwGO.Das VG hat die Änderung mit zutreffenden Erwägun-gen für sachdienlich gehalten. Insoweit wird auf dieAusführungen des VG im angefochtenen Urteil Bezuggenommen.

    2. Allg. RechtsschutzinteresseDer Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dassdie Kl. möglicherweise zunächst keinen förmlichenAntrag auf Einschreiten bei dem Landratsamt gestellthat. Es ist fraglich, ob es eines solchen Antrags vorKlageerhebung überhaupt bedurft hätte. Immerhin hatder VGH einen Antrag einer Gemeinde auf Einschrei-ten nicht für erforderlich gehalten für den Fall, dassdas Landratsamt eine Beseitigungsanordnung wegeneines Verstoßes gegen das Planungsrecht erlassen hat,diese aber auf Klage des Betr. vom VG aufgehobenworden ist und sich die Gemeinde gegen die Aufhe-bung mit der Berufung wendet (vgl. VGH München,NVwZ-RR 2000, 345 = BauR 2000, 90 = NuR 2000,639; bestätigt BVerwG, NVwZ 2000, 1048 [1050] =BauR 2001, 227 = BayVB12001, 22 ff.). Dieses Er-gebnis wurde aus der hoheitlichen Mitverantwortungder Gemeinde als Trägerin der Planungshoheit gefol-gert. Die Gemeinde habe als Hoheitsträgerin insoweiteine stärkere Rechtsstellung als ein Nachbar bei einemVerstoß gegen nachbarschützende Vorschriften, dereinen Anspruch auf Einschreiten im Klagewege erstdann geltend machen kann, wenn er zuvor bei der Be-hörde einen Antrag auf Einschreiten gestellt hat (vgl.VGH München, NVwZ-RR 2000, 345 = NuR 2000,639 = BauR 2000, 90). Ob diese Grundsätze für dievorliegende Fallgestaltung übertragen lassen, brauchtjedoch nicht entschieden werden. Denn nach ihremunbestritten gebliebenem Vorbringen hat die Kl. mitSchreiben ihrer Bevollmächtigten vom 2. und

    24.7.2001 einen solchen Antrag stellen lassen, überden der Bekl. bis heute nicht entschieden hat.

    II. BegründetheitDie Klage hat Erfolg, weil der Bekl. gegenüber denBeigel. zum Einschreiten befugt ist und die Kl. eineEntscheidung des Bekl. zu ihren Gunsten verlangenkann.

    1. Ermächtigung des Bekl. zum Einschreiten gegen denBauherrnDer Bekl. ist befugt, gegen die Beigel. bauaufsichtlicheinzuschreiten.

    a. Formelle und materielle Illegalität des GebäudesDas Vorhaben ist rechtswidrig und kann nachträglichnicht genehmigt werden. Damit liegen die Vorausset-zungen des Art. 80 S. 1 BayBauO für ein bauaufsicht-liches Einschreiten in der Form des Erlasses einer Be-seitigungsanordnung vor. Das hat das VG mit zutref-fenden Erwägungen im Einzelnen dargelegt. Hieraufwird Bezug genommen.

    b. Keine Duldungspflicht aus öffentl.-rechtl. VertragEinem Einschreiten steht der vom Bekl. mit den Bei-gel. geschlossene öffentlich-rechtliche Vertrag nichtentgegen.

    aa. Ohne Einvernehmen keine BaugenehmigungErteilt die Baugenehmigungsbehörde eine Baugeneh-migung ohne das gem. § 36 I 1 BauGB erforderlicheEinvernehmen der Gemeinde, hat deren Klage gegendie Baugenehmigung allein wegen des fehlendenEinvernehmens Erfolg, ohne dass es noch darauf an-kommt, ob die Baugenehmigung im Übrigen rechtmä-ßig ist (st. Rspr., vgl. BVerwG, NVwZ 1992, 878 =UPR 1992, 262; sowie die Nachweise bei Söfker, in:Ernst/Zinkhahn/Bielenberg, BauGB, Stand: 1.10.2003,§ 36 Rdnr. 47). Dieses Ergebnis wird mit dem Siche-rungszweck des § 36 BauGB begründet. Das (formel-le) gemeindliche Beteiligungsrecht und die Planungs-hoheit sollen geschützt werden. Die Kompetenz derBaugenehmigungsbehörde zur positiven Entscheidungüber den Bauantrag ist von vornherein an das Einver-nehmen der Gemeinde gebunden. Allein wegen derfehlenden Entscheidungskompetenz der Baugenehmi-gungsbehörde für den Fall der Nichtbeteiligung derGemeinde ist eine ohne erforderliches Einvernehmender Gemeinde erteilte Baugenehmigung auf deren Kla-ge ohne Überprüfung der materiellen Rechtslage auf-zuheben.

    bb. Ohne Einvernehmen keine GenehmigungsfreiheitDie g le ichen Grundsätze gel ten , wenn d ieBaugenehmigungsbehörde rechtsirrig die Baugeneh-migungsfreiheit eines Vorhabens annimmt und ausdiesem Grund ein Baugenehmigungsverfahren unter

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    Beteiligung der Gemeinde nicht einleitet. Denn vomSinn und Zweck der Beteiligungsregelung des § 36BauGB stellt es aus der Sicht der Gemeinde keinenUnterschied dar, ob die Baugenehmigungsbehördesich rechtswidrig über ein ausdrücklich versagtes Ein-vernehmen hinwegsetzt und gleichwohl eine Bauge-nehmigung erteilt, oder ob sie rechtsirrig die Bauge-nehmigungsfreiheit eines Vorhabens annimmt und ausdiesem Grund die vorgeschriebene Beteiligung derGemeinde unterlässt. Wird in einem solchen Fall dasVorhaben verwirklicht, so kann die Planungshoheitder Gemeinde hierdurch ebenso beeinträchtigt sein wieim Fall einer ohne Einvernehmen erteilten und ver-wirklichten Baugenehmigung. Müsste die Gemeindedie Verwirklichung eines zu Unrecht als genehmi-gungsfrei beurteilten Vorhabens sanktionslos hinneh-men, drohte ihrer Planungshoheit in gleicher WeiseGefahr, durch rechtswidriges Verhalten der Bauauf-sichtsbehörde unterlaufen zu werden wie im Fall einesausdrücklich verweigerten Einvernehmens. Angesichtsdieser als gleich zu beurteilenden Interessenlage wirdangenommen, dass der Gemeinde auch im Fall derrechtswidrigen Nichtdurchführung eines erforderlichenBaugenehmigungsverfahrens grundsätzlich das Rechtzusteht, sich dagegen auch im Klageweg gegenüberder Bauaufsichtsbehörde zur Wehr zu setzen (so:BVerwG, NVwZ 1992, 878 unter Hinweis aufBVerwGE 31, 263 [265]).

    cc. Ohne Einvernehmen kein VertragIm Hinblick auf die Interessenlage der Gemeinde kannfür einen öffentlich-rechtlichen Vertrag zwischenBaugenehmigungsbehörde und Bauherrn, der - wiehier- die Belassung eines Gebäudes im Außenbereichzum Gegenstand hat, und an dem die Gemeinde nichtbeteiligt worden ist, im Ergebnis nichts anderes gelten.Denn der Inhalt des Vertrages kommt bezogen auf diePlanungshoheit der Gemeinde einer förmlichenGenehmigung gleich. Aus der Sicht der Gemeindekann es keinen Unterschied machen, ob sie das Vor-handensein eines Gebäudes im Außenbereich wegeneiner von der Baugenehmigungsbehörde ohne ihr Ein-vernehmen erteilten Baugenehmigung oder deshalbhinnehmen muss, weil sich die Bauaufsichtsbehördegegenüber dem Bauherrn zu einer Belassung ver-pflichtet hat. Für die Gemeinde stellt sich ein solcherVertrag, der ohne ihre Mitwirkung geschlossen wird,als eine Umgehung ihrer Rechte aus § 36 BauGB dar.Der öffentlich-rechtliche Vertrag erweist sich als Ver-trag zu Lasten der nicht bet. Gemeinde. Ebenso wiedie Baugenehmigungsbehörde mangels Kompetenzgehindert ist, eine Baugenehmigung ohne das nach §36 BauGB erforderliche Einvernehmen zu erteilen,fehlt ihr die sachliche Kompetenz zum Abschluss ei-nes solchen Umgehungsvertrages. Ein gleichwohl ge-schlossener Vertrag vermag daher die Mitwirkungs-rechte und die Mitverantwortung der Gemeinde nicht

    zu Gunsten des Bauherrn zu suspendieren. Deshalbkann der zwischen dem Bekl. und den Beigel. ge-schlossene öffentlich-rechtliche Vertrag nicht die Wir-kung haben, dass ein bauaufsichtliches Einschreitengegenüber den Beigel. zu Lasten der Gemeinde ausge-schlossen ist.

    2. Anspruch der Gemeinde auf EinschreitenDie Kl. kann vom Bekl. verlangen, dass dieser gegendas Vorhaben der Beigel, einschreitet.

    a. TatbestandVerletzt die Baugenehmigungsbehörde - wie hier - dieMitwirkungsbefugnis der Gemeinde i. S. des § 36BauGB und wird daher ein Vorhaben eines privatenBauherrn ohne das erforderliche Einvernehmen ver-wirklicht, gleichgültig, ob bauaufsichtlich genehmigtoder - wie hier - „nur” geduldet, so kann das nicht fol-genlos bleiben. Bei einer Rechtsverletzung kann imRegelfall verlangt werden, dass der Zustand wiederhergestellt wird, der bestanden hätte, wäre das Rechtbeachtet worden. Die in ihrer Planungshoheit verletzteGemeinde hat allerdings nicht selbst die gesetzlicheBefugnis, einen rechtmäßigen Zustand herzustellen.Diese Befugnis ist gem. Art. 80 BayBauO der Bauauf-sichtsbehörde unter den dort normierten Vorausset-zungen zugewiesen. Die Gemeinde kann und musssich daher zur Wiederherstellung rechtmäßiger Zustän-de an die Bauaufsichtsbehörde wenden. Das hat dieKl. hier - allerdings erfolglos - getan.

    b. Rechtsfolge

    aa. Grundsätzlich ErmessenDie Entscheidung, ob und in welcher Form dieBauaufsichtsbehörde gegen baurechtswidrige Zuständeeinschreitet, steht zwar in deren Ermessen. Jedoch hatdie Kl. zumindest ein subjektives Recht auf ermessens-fehlerfreie Entscheidung durch die Bauaufsichtsbehör-de. Andernfalls bliebe eine Missachtung der ihr vomBundesgesetzgeber eingeräumten Rechtsstellung letzt-lich sanktionslos, was der Zielsetzung des Art. 28 IIGG nicht entsprechen würde (vgl. BVerwG, NVwZ1992, 878).

    bb. Ermessensreduktion auf null im Lichte der Pla-nungshoheitIm vorliegenden Fall ist das Ermessen des Bekl., obund wie er gegen das Vorhaben der Beigel. einschrei-tet, auf Null reduziert, weil - erstens - nur mit der Be-seitigung des Vorhabens rechtmäßige Zustände (bezo-gen auf die Planungshoheit der Kl.) wiederhergestelltwerden können und - zweitens - einer Beseitigung kei-ne Vertrauensgesichtspunkte entgegen stehen. [...] Ei-ne Verletzung der Planungshoheit kann in aller Regel -so auch hier - nur dadurch ausgeglichen werden, dassder rechtswidrige Zustand, also das Vorhaben der Bei-

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    gel. beseitigt wird. Umstände, die in Abweichung die-ser Regel eine andere Entscheidung rechtfertigen wür-den, sind nicht gegeben. Das Interesse der Kl. an derBeseitigung des ihre Planungshoheit beeinträchtigen-

    den Zustandes ist höher zu bewerten als das Interesseder Beigel. an der Aufrechterhaltung des rechtswidri-gen Zustandes [wird ausgeführt].

    Standort: Verwaltungsrecht AT Problem: VA-Befugnis unter Hoheitsträgern

    BAYVGH, BESCHLUSS VOM 22.01.20044 CS 03.2236 (BAYVBL 2005, 183)

    Problemdarstellung:Erlässt ein Hoheitsträger gegenüber einem Bürger ei-nen belastenden Verwaltungsakt, muss er hierzu ge-setzlich ermächtigt sein, denn die Belastung greift inGrundrechte (mindestens Art. 2 I GG) ein, und nachder sogen. “Wesentlichkeitstheorie” des BVerfG löstdie Grundrechtsrelevanz den Vorbehalt des Gesetzesaus Art. 20 III GG aus. Danach darf die an Recht undGesetz gebundene Verwaltung nicht ohne gesetzlicheGrundlage handeln. Der Grundrechtseingriff bestehtdabei nicht nur in der eigentlichen Regelung, sondernbereits darin, dass überhaupt durch Verwaltungsaktgehandelt worden ist, denn hierdurch verschafft sichdie Behörde selbst einen vollstreckbaren Titel. DieKlageobliegenheit verschiebt sich zu Lasten des Bür-gers. Deshalb muss die Behörde nicht nur zum Erlassder belastenden Rechtsfolge, sondern auch zum Erlassdes Verwaltungsakts ermächtigt sein (sogen. “VA-Be-fugnis”).Dies ist gegenüber dem Bürger in aller Regel unpro-blematisch, denn wenn die Ermächtigungsgrundlagedie VA-Befugnis nicht explizit enthält (wie z.B. § 49aI 2 VwVfG), kann der Erlass eines VA als im Subordi-nationsverhältnis zwischen Bürger und Staat gewohn-heitsrechtlich anerkannte, klassische Handlungsformder Verwaltung aus der Sachermächtigung mit abge-leitet werden.Dies klappt aber nicht im Verhältnis von Hoheitsträ-gern untereinander, denn diese stehen nicht im Sub-ordinationsverhältnis zueinander. Zwar gelten in die-sem Verhältnis weder die Grundrechte noch (jeden-falls ohne weiteres) der Gesetzesvorbehalt, aber einerVA-Befugnis bedarf es trotzdem, denn jeder Hoheits-träger hat einen eigenen Zuständigkeitsbereich, in denein anderer Hoheitsträger nicht ohne gesetzlicheGrundlage eingreifen darf. Deshalb darf - so derBayVGH in der vorliegenden Entscheidung - ein Ver-waltungsakt unter Hoheitsträgern nur erlassen werden,wenn hierfür eine explizite Ermächtigung existiert. Isteine solche nicht vorhanden, ist der VA allein wegender gewählten Handlungsform - also unabhängig vonseinem Inhalt - rechtswidrig.

    Prüfungsrelevanz:Auf den ersten Blick überrascht, dass unter Hoheits-

    trägern überhaupt Verwaltungsakte erlassen werdenkönnen, denn diese müssen ja nach § 35 S. 1 VwVfGper definitionem Außenwirkung entfalten. Allerdingsgibt es eine Reihe von Fällen, in denen auch unter Ho-heitsträgern Verwaltungsakte möglich sind, etwa beiÜbergriffen in die Selbstverwaltungsautonomie derLandkreise und Gemeinden. So verhielt es sich auchhier.In einem ähnlich gelagerten Fall hatte das OVG NRWkürzlich (RA 2004, 367 = NVwZ-RR 2004, 317) ent-schieden, dass § 49a VwVfG auch unter Hoheitsträ-gern anwendbar ist, der - wie erwähnt - in Abs. 1 Satz2 auch zum Erlass eines VA ermächtigt.

    Vertiefungshinweise:“ Zur “VA-Befugnis” von Beliehenen: BayVGH,BayVBl 1989, 596“ Keine “VA”-Befugnis unter Hoheitsträgern ohneausdrückliche Regelung: BayVGH, BayVBl 1990, 51

    Kursprogramm:“ Examenskurs : “Die defekte Parkuhr”

    Leitsatz:Die Geltendmachung von Ansprüchen aus einerZweckvereinbarung zwischen den beteiligten Kom-munen durch Verwaltungsakt bedarf einer beson-deren Rechtsgrundlage.

    Sachverhalt:Gegenstand des Rechtsstreits ist die Festsetzung derBetriebskostenumlage für eine Gemeinschaftskläranla-ge im Verhältnis mehrerer Gemeinden untereinanderdurch Bescheid.

    Aus den Gründen:Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Auf derGrundlage der im Beschwerdeverfahren seitens desAntragsgegners dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4Satz 6 VwGO) besteht im Rahmen der vomVerwaltungsgerichtshof zu treffenden Entscheidunggemäß § 80 Abs. 5 VwGO - in Übereinstimmung mitdem Verwaltungsgericht - ein überwiegendes Interessean der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkungdes Widerspruchs der Antragstellerin gegen dieGeltendmachung der Nachforderung auf die Betriebs-kostenumlage durch Verwaltungsakt im Bescheid vom5.11.2002.

  • ÖFFENTLICHES RECHTRA 2005, HEFT 3

    -144-

    A. Erfordernis einer VA-BefugnisZutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausge-gangen, dass die Geltendmachung einer Forderungdurch Verwaltungsakt allein mit Blick auf diese Hand-lungsform, die durch behördliche Titelverschaffungund Vollstreckungsbefugnis gekennzeichnet ist(Selbsttitulierung), einer Rechtsgrundlage bedarf.

    I. Im Verhältnis Staat - Bürger Dieser im Staat-Bürger-Verhältnis als Ausfluss desGesetzesvorbehalts geltende Grundsatz (vgl.BVerwGE 50, 171, 172 für die Durchsetzung vertrag-lich begründeter Pflichten) erweist sich in der Praxiszumeist als unproblematisch, da eine materiell-gesetz-l iche Rechtsgrundlage für d ie Verwal tung(Eingriffsermächtigung) sich fast immer als Befugnis-norm auslegen lässt, die auch die Geltendmachungdurch Verwaltungsakt als behördliches Handlungs-formenprivileg mit umfasst.

    II. Im Verhältnis Staat - StaatDas Erfordernis einer Verwaltungsakts-Befugnis giltauch im Verhältnis öffentlicher Träger untereinander,

    ist allerdings hier Konsequenz der autonomen und ge-geneinander abgegrenzten Kompetenzfelder verselbst-ständigter Verwaltungsträger (vgl. BayVGH vom12.7.1989, BayVB1 1990, 51).Im Verhältnis von Antragsgegner und Antragstellerinals gleichrangigen und damit im Ausgangspunktgleichberechtigten Kommunen bedarf es daher einerbesonderen Rechtsgrundlage für die Geltendmachungder Nachforderung auf die Betriebskostenumlagedurch Verwaltungsakt.

    B. SubsumtionZu Recht hat das Verwaltungsgericht entschieden, dassdem Kommunalabgabengesetz sowie dem Gesetz überdie kommunale Zusammenarbeit keine einschlägigeNorm oder ein entsprechender ungeschriebener Grund-satz zu entnehmen ist. Nicht zu beanstanden ist auchseine Auslegung der geschlossenen Zweckvereinba-rung vom 4.11.1975, die sowohl in den einzelnen vomVerwaltungsgericht beleuchteten Regelungen als auchin ihrer Gesamtkonzeption deutlich koordinations-rechtlich geprägt ist. [...]

    IMPRESSUM

    HERAUSGEBERIN: JURA INTENSIV VERLAGS-GMBH & CO. KG, Salzstraße 18, 48143 MünsterTel.: 0251/4824-60; Fax: 0251/4824-545http://[email protected]

    CHEFREDAKTION: Rechtsanwalt Frank Schildheuer (zugleich Öffentliches Recht) REDAKTEURE: Rechtsanwalt Frank Bollmeyer (Zivilrecht); Rechtsanwalt Uwe Schumacher (Strafrecht)

    Die Redakteure sind postalisch erreichbar unter der Adresse der Herausgeberin. ABONNEMENT: Abonnement-Vertrag befindet sich im Heft und/oder wird auf Wunsch zugeschickt. Einmalige Anforderung

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    VERSAND: Ohne Zusicherung eines festen Veröffentlichungstermins monatlich per Post. NACHBESTELLUNG: Einzelne Hefte früherer Jahrgänge können zum Preis von 4 Euro/Heft nachbestellt werden, solange Vorrat

    reicht. Jahrgangsregister ab 1999: 3 Euro/Jahrgang. Einbanddecken (dunkelblau, jahresneutral): 7 Eu-ro/Stück. Nachbestellung von Sonderbeilagen auf Anfrage. Alle Preise zzgl. 3,50 Euro Versandkosten. BitteVerrechnungsscheck oder Einzugsermächtigung beifügen.Der Bezug von Einzelheften des laufenden Jahrgangs ist nur i.V.m. einem Abonnement möglich.

  • RA 2005, HEFT 3ZIVILRECHT

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    Zivilrecht

    Standort: AGB-Recht Problem: Haftungsausschluss bei Autowaschanlagen

    BGH, URTEIL VOM 30.11.2004X ZR 133 / 03 (NJW 2005, 422)

    Problemdarstellung:Der Kl. begehrte in diesem Fall Schadensersatz fürBeschädigungen an den Außenspiegeln seines PKW,die im Anschluss an zwei Waschvorgänge in der Auto-waschanlage der Bekl. aufgetreten waren. Dem stan-den die AGBen der Bekl. entgegen, wonach eine Haf-tung für die Beschädigung von an der Karosserie an-gebrachten Außenteilen sowie für Folgeschäden nurbei grobem Verschulden des Anlagebetreibers in Be-tracht kommen sollte.Der BGH versagt in der vorliegenden Entscheidungderartigen Klauseln wegen Verstoßes gegen § 9 IAGBG a. F. = § 307 I BGB allerdings die Wirksam-keit. Er begründet dies mit der berechtigten Erwartungdes Kunden, der sein Fahrzeug dem Anlagenbetreiberanvertraut, dass er dieses unbeschädigt zurückerhaltenbzw. im Falle schuldhaft verursachter Schäden Ersatzerhalten werde. Dass dieses Erwartung gerechtfertigtsei, führt der BGH darauf zurück, dass allein der Be-treiber der Waschanlage die von ihr ausgehenden Ge-fahren beherrschen und durch geeignete Maßnahmenausschließen bzw. minimieren könne.

    Prüfungsrelevanz:Das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen,dessen auf die Inhaltskontrolle entsprechender Klau-seln im konkreten Streitfall zweier Vertragspartnerbezogener Teil durch die Schuldrechtsmodernisierungin die §§ 305 ff BGB aufgenommen wurde (vgl. er-gänzend die Regelungen des Unterlassungsklagenge-setzes, UklaG, Schö. 105), taucht in zahlreichen Va-rianten immer wieder in Examensarbeiten auf. Selbst-verständlich ist es praktisch unmöglich, die gerade zuder Generalklausel des § 9 I AGBG / § 307 I BGBzwischenzeitlich ergangene Rechtsprechung in jedemDetail auswendig zu kennen. Bestimmte klassischeKonstellationen sollten aber gleichwohl geläufig sein,und hierzu dürfte inzwischen auch die durch diesesUrteil behandelte Frage der Wirksamkeit von Haf-tungsausschlüssen durch Autowaschanlagenbetreiberzählen.

    Vertiefungshinweise:‘ Formularmäßiger Gewährleistungsausschluss für

    anfängliche Mängel einer Mietsache: BGH, RA 2002,741 = NJW 2002, 3232‘ Formularmäßiger Ausschluss der Einrede der Auf-rechenbarkeit im Bürgschaftsvertrag: BGH, RA 2003,393 = NJW 2003, 1521‘ Formularmäßige Abwälzung von Schönheitsrepara-turen auf den Mieter: BGH, RA 2004, 439 = NJW2004, 2087

    Kursprogramm:‘ Examenskurs: “Die sturm- und wetterfeste Alumini-umfassade”‘ Examenskurs: “Eine gründliche Autowäsche”

    Leitsätze (der Redaktion):1. In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen desBetreibers einer Autowaschanlage sind folgendeKlauseln wegen unangemessener Benachteiligungder Kunden nach § 9 I AGBG (jetzt § 307 I BGB)unwirksam:(1) Eine Haftung für die Beschädigung der außenan der Karosserie angebrachten Teile, wie zum Bei-spiel Zierleisten, Spiegel, Antennen, sowie dadurchverursachte Lack- und Schrammschäden, bleibtausgeschlossen, es sei denn, dass den Waschanla-genunternehmer eine Haftung aus grobem Ver-schulden trifft.(2) Folgeschäden werden nicht ersetzt, es sei denn,dass den Waschanlagenunternehmer eine Haftungaus grobem Verschulden trifft.2. Mit der Formulierung, die Berufung wende sichgegen das klageabweisende Urteil des Amtsgerichts,lässt das Berufungsurteil den Inhalt der Berufungs-anträge hinreichend deutlich erkennen.

    Sachverhalt:Der Kl. nimmt die bekl. Gesellschaft, die eine Auto-waschanlage betreibt, auf Schadensersatz wegen be-haupteter Beschädigung seines Kfz durch zwei Wasch-vorgänge in Anspruch. Der Kl. war seit Jahren Kundeder Bekl. Am 13.10.2000 benutzte er deren Wasch-anlage mit seinem Mercedes Benz S 500 L. DiesesModell hat zwei seitliche Außenspiegel, die elektrischnach hinten, das heißt in Richtung des Fahrzeughecks,angeklappt und wieder nach vorn aufgeklappt werdenkönnen. Beim Einfahren in die Waschstraße waren dieSpiegel unstreitig äußerlich unbeschädigt. Nach Been-

  • ZIVILRECHTRA 2005, HEFT 3

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    digung des Waschvorgangs zeigte der Kl. der Bekl. an,dass der rechte Seitenspiegel im Gelenk beschädigtwar und dass die Fensterscheibe und die Zierleiste derBeifahrertür im Drehradius des angeklappten Spiegelsgelegene Kratzer aufwiesen. Die Bekl. nahm dieseSchäden auf und meldete sie ihrer Betriebshaftpflicht-versicherung. Der Kl. ließ die beschädigten Fahrzeug-teile erneuern. Nach der Reparatur am 23.10.2000 be-nutzte er die Waschanlage der Bekl. erneut. Anschlie-ßend meldete er ein gleichartiges Schadensbild wiebeim ersten Mal und ließ den Schaden wiederum repa-rieren. Der Kl. hat behauptet, sein Fahrzeug sei vorden beiden Reinigungsvorgängen gänzlich unbeschä-digt gewesen. Er sei mit angeklappten Spiegeln in dieWaschstraße eingefahren. Die Beschädigungen seiendurch den Waschvorgang verursacht worden. DerSpiegel sei beide Male von der Karosserie abgerissenund nur noch durch die Kabel gehalten worden; er seinicht, wie die Bekl. behaupte, nach dem Waschvor-gang abgeklappt und lediglich nicht mehr aufklappbargewesen. Der Kl. verlangte die Reparaturkosten vonzweimal 1.928,44 DM, den Nutzungsausfall für dieReparaturdauer von jeweils zwei Tagen (195,00DM/Tag) und eine allgemeine Unkostenpauschale von40,00 DM ersetzt, insgesamt also 4676,88 DM. DieBekl., deren Haftpflichtversicherung die Deckung ab-lehnte, hat die Zahlung mit der Begründung verwei-gert, es sei unmöglich, dass der Schaden durch einenFehler der Waschanlage verursacht worden sei.Das AG hat die Klage abgewiesen, weil nicht ausge-schlossen werden könne, dass der Außenspiegel beideMale schon vor dem Waschvorgang äußerlich nichterkennbar im Gelenk beschädigt gewesen sei. Das LGhat die Berufung des Kl. wegen der in den AGB derBekl. enthaltenen Haftungsbeschränkung auf Vorsatzund grobe Fahrlässigkeit zurückgewiesen, hat aber imHinblick darauf, dass die Wirksamkeit einer derartigenAGB-Klausel umstritten sei, die Revision zugelassen.Diese hatte Erfolg und führte zur Aufhebung und Zu-rückverweisung.

    Aus den Gründen:

    A. Hinreichend genaue Wiedergabe der Berufungs-anträge im BerufungsurteilNicht begründet ist allerdings die Verfahrensrüge derRevision, dass das Berufungsurteil die Berufungsanträ-ge nicht wiedergebe. Die die Abfassung von Beru-fungsurteilen erleichternde Vorschrift des § 540 IZPO, wonach das Urteil an Stelle von Tatbestand undEntscheidungsgründen nur die Bezugnahme auf dietatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteilmit einer Darstellung etwaiger Änderungen und Ergän-zungen und eine kurze Begründung für die Ab-änderung, Aufhebung oder Bestätigung der angefoch-tenen Entscheidung zu enthalten braucht, bezieht sichnicht auf die Berufungsanträge. Diese muss das Ber-

    Ger. in sein Urteil aufnehmen. Sie brauchen allerdingsnicht wörtlich wiedergegeben zu werden, sondern eskann genügen, dass aus den Ausführungen des BerGer.sinngemäß deutlich wird, was der Berufungskläger mitseinem Rechtsmittel und was der Berufungsbeklagteim Berufungsverfahren erstrebt hat (BGH, NJW 2004,1389 [unter II 2]; NZM 2004, 379). Hier lässt das Be-rufungsurteil den Inhalt der Berufungsanträge - noch -erkennen. Es heißt darin, dass die Berufung sich gegendas klageabweisende Urteil des AG wende. Dieseknappe Formulierung ist mit Rücksicht auf die Tatsa-che, dass, wenn der Kl. Berufung einlegt, dieser zu-meist seinen vom erstinstanzlichen Richter abgewiese-nen Klageantrag in vollem Umfang weiterverfolgt,dahin zu verstehen, dass der Kl. seine Berufung nichtbeschränkt hat.Der Ansicht der Revision, dass sich aus den Gründendes Berufungsurteils der Umfang der Anfechtung deserstinstanzlichen Urteils nicht ergebe, kann daher nichtgefolgt werden. Auch der Inhalt des Berufungsantragsder Bekl. kann aus dem Berufungsurteil erschlossenwerden. Aus dem Umstand, dass das BerGer. ein strei-tiges Urteil, also kein Anerkenntnis- oder Versäumnis-urteil erlassen hat, geht hervor, dass die Bekl. die Zu-rückweisung der kl. Berufung beantragt hat.

    B. Kein Ausschluss der Ansprüche des Kl. durch dieAGB der Bekl.Mit Erfolg wendet sich die Revision gegen die Ansichtdes BerGer., dass dem Kl. wegen der in den AGB derBekl. enthaltenen Haftungsbeschränkungs-klauselnkein Schadensersatzanspruch zusteht. Die Klauselnsind unwirksam.

    I. Keine Bindung an die Beweiswürdigung des AGDas BerGer. hätte einen Schadensersatzanspruch al-lerdings im Ergebnis gleichwohl zu Recht verneint (§561 ZPO), wenn es an die Beweiswürdigung des Er-strichters, dass eine Beschädigung der Spiegel durchden Waschvorgang nicht erwiesen sei, gebunden wäre.Davon kann im Revisionsverfahren jedoch nicht aus-gegangen werden.

    1. Mögliche Anspruchsgrundlagen für das Schadens-ersatzbegehren des Kl.Der Anspruch des Kl. setzt voraus, dass die Spiegelerst durch den Waschvorgang beschädigt wurden.Nach dem auf das vorliegende Vertragsverhältnis an-zuwendenden Schuldrecht des BGB in der bis zum31.12.2001 geltenden Fassung (a. F.) kommt als ver-traglicher Schadensersatzanspruch ein Anspruch auspositiver Vertragsverletzung in Betracht, der einenschuldhaften Verstoß gegen Vertragspflichten voraus-setzt. Eine weitere, konkurrierende Anspruchsgrundla-ge würde sich aus unerlaubter Handlung ergeben, fallsein Verrichtungsgehilfe der Bekl. das im Eigentum desKl. stehende Fahrzeug schuldhaft beschädigt hätte (§§

  • RA 2005, HEFT 3ZIVILRECHT

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    823, 831 BGB) Als objektive Pflichtverletzung kommtnur ein Verstoß gegen die sich aus dem Werkvertragüber die Reinigung des Fahrzeugs ergebende Neben-pflicht (Schutzpflicht) des Waschanlagenbetreibers inFrage, das Fahrzeug vor Beschädigungen beim Wasch-vorgang zu bewahren. Diese Pflicht hätte die Bekl.objektiv verletzt - wie sie auch das Eigentum des Kl.an den Spiegeln verletzt hätte -, wenn die Be-schädigung des Seitenspiegels, die ihrerseits zu denweiteren Schäden an Fensterscheibe und Zierleisteführte, jeweils infolge eines von ihr zu verantworten-den Umstands durch den Waschvorgang verursachtworden wäre (OLG Hamburg, DAR 1984, 260; Lö-we/Graf v. Westphalen/Trinkner, AGBG III, 2. Aufl.,S.32.3-22 ff. Rz.7; Padeck, VersR 1989, 541 [556]).Falls dies hingegen nicht der Fall war, sondern dieSpiegel etwa einen äußerlich nicht erkennbaren Vor-schaden hatten, scheiden ein vertraglicher Schadens-ersatzanspruch insgesamt und ein deliktischer Scha-densersatzanspruch hinsichtlich der Spiegel aus. Eindeliktischer Ersatzanspruch wegen der Kratzer anFenster und Zierleiste würde mangels eines Verschul-dens der Bekl. ebenfalls entfallen.

    2. Feststellung der tatsächlichen VoraussetzungenAufgabe der InstanzgerichteDie Frage, ob das BerGer. an die Beweiswürdigungdes Erstrichters gebunden ist, dass eine Beschädigungder Spiegel durch den Waschvorgang nicht bewiesensei, muss im Revisionsverfahren offen bleiben. § 529 INr. 1 ZPO in der seit 01.01.2002 geltenden und aufden vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung besagt,dass das BerGer. seiner Verhandlung und Entschei-dung die vom Gericht des ersten Rechtszugs festge-stellten Tatsachen zu Grunde zu legen hat, soweit nichtkonkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeitoder Vollständigkeit der entscheidungserheblichenTatsachen begründen und deshalb eine erneute Fest-stellung gebieten. Auch die Feststellung des Erstge-richts, eine bestimmte Tatsachenbehauptung treffenicht zu, stellt eine festgestellte Tatsache i. S. d. § 529I Nr. 1 ZPO dar, und zwar auch dann, wenn sich derErstrichter durch die Beweisaufnahme von der Rich-tigkeit der Behauptung nicht überzeugen konnte unddeshalb eine Beweislastentscheidung getroffen hat(Hannich/ Meyer-Seitz [Hrsg.], ZPO-Reform 2002, §529 Rz. 22; Rimmelspacher, in: MünchKomm-ZPO, 2.Aufl., § 529 Rz. 5).Hier hat das BerGer. seine Bindung dahingestellt seinlassen. In einer solchen Situation muss das RevGer., soes für die Entscheidung auf die betreffende Feststel-lung ankommt, die Sache in der Regel an das BerGer.zurückverweisen (vgl. Senat, NJW-RR 2005, 172 [un-ter II 3]). Denn die Prüfung, ob Zweifel an der Rich-tigkeit und Vollständigkeit der erstrichterlichen Fest-stellungen bestehen und ob sie durch konkrete An-haltspunkte begründet sind, obliegt grundsätzlich dem

    BerGer., weil es dabei nicht nur um Rechts-, sondernauch um Tatsachenfragen geht. Solange das BerGer.über seine Bindung noch nicht entschieden hat, ist da-her im Revisionsverfahren, auch wenn der Erstrichtereine gegenteilige Feststellung getroffen hat, von demSachverhalt auszugehen, den der Revisionsführer be-hauptet. Das ist hier die Beschädigung der Spiegeldurch den Waschvorgang.

    II. Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachenbei Heranziehung des KlägervortragsDann aber sind die gesetzlichen Voraussetzungen ei-nes Schadensersatzanspruchs des Kl. wegen positiverVertragsverletzung erfüllt. Denn das neben der objek-tiven Pflichtverletzung erforderliche Verschulden derBekl. wird nach § 282 BGB a. F. vermutet, wonachdem Schuldner der Entlastungsbeweis obliegt, dass erdie Vertragsverletzung nicht zu vertreten hat. Das Ber-Ger. hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob dieBekl. diesen Entlastungsbeweis erbracht hat. DerSchuldner hat Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten(§ 276 BGB), wobei von Gesetzes wegen einfache(leichte) Fahrlässigkeit genügt. Das BerGer. hat ledig-lich grobe Fahrlässigkeit der Bekl. verneint. Es kanndahingestellt bleiben, ob diese Ansicht, gegen die ins-besondere hinsichtlich der Beweislast, die das BerGer.ersichtlich entgegen § 282 BGB a. F. dem Kl. aufge-bürdet hat, Bedenken bestehen (§ 559 II ZPO), derrechtlichen Überprüfung standhält. Denn das BerGer.hat jedenfalls offen gelassen, ob die Bekl. leicht fahr-lässig gehandelt hat. Einfache Fahrlässigkeit ist daherim Revisionsverfahren zu Gunsten des Kl. zu unter-stellen.

    III. Inhaltskontrolle der AGB-Klauseln der Bekl.Der Schadensersatzanspruch des Kl. scheitert nichtdaran, dass die AGB der Bekl. eine Freizeichnung vonder Haftung für einfache Fahrlässigkeit enthalten.Denn entgegen der Ansicht des BerGer. halten dieFreizeichnungsklauseln der Inhaltskontrolle nach § 9 IAGBG (jetzt § 307 I BGB) nicht stand. Sie sind daherunwirksam.

    1. Inhalt der KlauselnDie AGB der Bekl., die unstreitig durch deutlichenAushang Vertragsbestandteil geworden sind (§ 2 I Nr.1 AGBG; jetzt: § 305 II Nr. 1 BGB), enthalten unteranderem folgende Klauseln:“3. Der Waschanlagenunternehmer haftet dem Benut-zer auf Ersatz etwaiger Schäden, soweit diese auf Um-ständen beruhen, die er durch Anwendung der erfor-derlichen Sorgfalt hätte abwenden können.4. Bei Eintritt eines Schadens durch den Waschvor-gang in der Waschanlage haftet der Waschanlagen-unternehmer für den unmittelbaren Schaden. Fol-geschäden werden nicht ersetzt, es sei denn, dass denWaschanlagenunternehmer eine Haftung aus grobem

  • ZIVILRECHTRA 2005, HEFT 3

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    Verschulden trifft.5. Eine Haftung für die Beschädigung der außen an derKarosserie angebrachten Teile, wie zum Beispiel Zier-leisten, Spiegel, Antennen, sowie dadurch verursachteLack- und Schrammschäden, bleibt ausgeschlossen, essei denn, dass den Waschanlagenunternehmer eineHaftung aus grobem Verschulden trifft.”Die Klausel Nr. 5 der AGB enthält eine Haftungsbe-schränkung auf Vorsatz und grobes Verschulden, diegegenständlich auf unmittelbare Schäden an außen ander Karosserie angebrachten Teilen sowie dadurchverursachte Lack- und Schrammschäden begrenzt ist.Daneben hat sich die Bekl. mit der Klausel Nr. 4 II derAGB für sämtliche Folgeschäden, unabhängig von derArt des unmittelbaren Schadens, ebenfalls von einfa-cher Fahrlässigkeit freigezeichnet.

    2. Streit um die Wirksamkeit derartiger KlauselnDie Wirksamkeit von Freizeichnungsklauseln diesesInhalts für den Betrieb von Autowaschanlagen ist inLiteratur und Rechtsprechung umstritten. Die überwie-gende Meinung hält sie für unwirksam (aus der Rspr.vgl. nur KG, NJW-RR 1991, 698; OLG Hamburg,DAR 1984, 260; aus der Lit. Erman/Roloff, BGB, 11.Aufl., § 307 Rz. 62; v. Hoyningen-Huene, Die Inhalt-skontrolle nach § 9 AGBG, Rz. 193, 219; Löwe/Grafv. Westphalen/Trinkner, Rz. 4, 6; Basedow, in: Münch-Komm, 4. Aufl. [2003], § 307 Rz. 109; Padeck, VersR1989, 541 [552f.]; Palandt/Heinrichs, BGB, 63. Aufl.,§ 307 Rz. 76; Staudinger/Coester, BGB, 1998, § 9AGBG Rz. 319 ff.; H. Schmidt, in: Ulmer/ Brand-ner/Hensen, AGBG, 9. Aufl., Anh. §§ 9-11 Rz. 149f.).Nach anderer Ansicht sind derartige Klauseln wirksam(OLG Karlsruhe, NJW-RR 1986, 153; OLG Bamberg,NJW 1984, 929; OLG Düsseldorf, WM 1980, 1128).Der BGH hat sich zu dieser Frage noch nicht geäußert.

    3. Stellungnahme des erkennenden SenatsDer erkennende Senat tritt der überwiegenden Mei-nung in der Literatur bei. Wenn der Betreiber einerAutowaschanlage seine Haftung für durch leichte Fahr-lässigkeit herbeigeführte Beschädigungen des Fahr-zeugs ausschließt, so liegt darin, auch wenn die Frei-zeichnung gegenständlich auf die besonders gefährde-ten, außen an der Karosserie angebrachten Zubehör-teile wie Scheibenwischer, Spiegel und Antennen be-schränkt ist, eine unangemessene Benachteiligung derKunden entgegen den Geboten von Treu und Glauben(§ 307 I BGB). Eine formularmäßige Vertragsbestim-mung ist unangemessen in diesem Sinne, wenn derVerwender durch einseitige Vertragsgestaltung miss-bräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Ver-tragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vorn-herein auch dessen Belange hinreichend zu berücksich-tigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzuge-stehen (BGHZ 143, 103 [113] = NJW 2000, 1110; st.Rspr.). Sinn und Zweck der Inhaltskontrolle von AGB

    bestehen in der Korrektur eines Zustands, der dadurchentstanden ist, dass der Kunde mit dem Verwenderkeine Vertragsverhandlungen mit dem Ziel der Abän-derung der AGB geführt hat. Eine Klausel in AGB istdeshalb dann als unangemessen zu bewerten, wenn sievon derjenigen Vertragsvereinbarung abweicht, zu derdie Parteien gelangt wären, wenn sie über den streiti-gen Punkt verhandelt hätten (Basedow, in: Münch-Komm, § 307 Rz. 37).Bei Anlegung dieses Maßstabs erscheint ein vom Be-treiber einer Autowaschanlage vorgenommener all-gemeiner Haftungsausschluss für durch einfache Fahr-lässigkeit herbeigeführte Beschädigungen des Fahr-zeugs unangemessen, auch wenn er gegenständlich aufAußenteile beschränkt ist. Denn ein solcher Haftungs-ausschluss widerspricht dem berechtigten Vertrauendes Kunden darauf, dass sein Fahrzeug so, wie es ist,also mitsamt den außen angebrachten Teilen, unbeschä-digt aus dem Waschvorgang hervorgehen wird, undseiner korrespondierenden Erwartung, dass er Scha-densersatz erhalten wird, sollte doch einmal ein Scha-den auftreten und dieser vom Waschanlagenbetreiberverschuldet sein. Dabei erwartet der Kunde Schadens-ersatz immer dann, wenn der Betreiber die im Verkehrerforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat, alsoauch bei einfacher Fahrlässigkeit. Diese Erwartung istinsbesondere unter dem Gesichtspunkt der Risikobe-herrschung gerechtfertigt, der für die Beurteilung derAngemessenheit einer Haftungsbeschränkung wichtigist.Die Frage, ob und in welchem Maße die Verwirkli-chung des Risikos besser durch den Kunden oder bes-ser durch den Verwender durch zumutbares eigenesHandeln verhindert werden kann, ist im vorliegendenFall zu Lasten des Anlagenbetreibers zu beantworten,da nur er Schadensprävention betreiben kann, zumBeispiel durch ständige Wartung, Kontrolle und Über-wachung der Anlage und durch sorgfältige Auswahldes Bedienungspersonals, während der Kunde seinFahrzeug der Obhut des Betreibers überantwortet, oh-ne die weiteren Vorgänge selbst beeinflussen zu kön-nen (KG, NJW-RR 1991, 698; OLG Hamburg, DAR1984, 260; Padeck, VersR 1989, 541 [547, 552]). DerBetreiber hat es auch in der Hand, bestimmte Fahr-zeugmodelle, die er für schadensanfällig hält, von derBenutzung seiner Anlage auszuschließen und dadurchsein Risiko zu verringern.

    4. Unwirksamkeit des Haftungsausschlusses auch be-züglich typischer FolgeschädenDie Bewertung des Haftungsausschlusses für einfacheFahrlässigkeit als unangemessene Benachteiligungumfasst auch jedenfalls solche Folgeschäden, die, wieder hier geltend gemachte durch die Reparatur entstan-dene Nutzungsausfall und die Unkostenpauschale, vor-hersehbar und typisch sind. Insoweit ist ein Grund fürdie unterschiedliche Behandlung von unmittelbaren

  • RA 2005, HEFT 3ZIVILRECHT

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    und Folgeschäden nicht ersichtlich (OLG Hamburg,DAR 1984, 260; Löwe/Graf v. Westphalen/Trinkner,Rz. 6; Staudinger/Coester, § 9 AGBG Rz. 321; Pa-deck, VersR 1989, 541 [553]; weitergehend - ohne Be-schränkung auf typische Folgeschäden - KG, NJW-RR1991, 698; Erman/Roloff, § 307 Rz. 109; H. Schmidt,in: Ulmer/Brandner/Hensen, Anh. §§ 9-11 Rz. 150).

    5. Aufhebung des angefochtenen BerufungsurteilsDa nach alledem ein Schadensersatzanspruch des Kl.Nicht auszuschließen ist, kann das angefochtene Urteilkeinen Bestand haben. Es ist aufzuheben.

    C. Zurückverweisung an das BerGer. zwecks weitererTatsachenfeststellungDie Sache ist an das BerGer. zurückzuverweisen, weilweitere tatrichterliche Feststellungen erforderlich sind.DasBerGer. wird über seine Bindung an die vom Er-strichter festgestellte Tatsache, dass die Ursächlichkeitdes Waschvorgangs für die Beschädigung der Spiegelnicht erwiesen sei, und/oder über die Frage zu ent-scheiden haben, ob im Falle der Beschädigung durchden Waschvorgang der Bekl. ein Verschulden zur Lastfällt.

    Standort: Familienrecht Problem: Verwertbarkeit heimlicher DNA-Analysen

    BGH, URTEIL VOM 12.01.2005XII ZR 227 / 03 (NJW 2005, 497)

    Problemdarstellung:Der Kl. dieses Rechtsstreits hatte bereits im Jahre 2001versucht, seine Vaterschaft der am 03.10.1994 gebore-nen Bekl. anzufechten, damals gestützt auf ein medizi-nisches Gutachten, das ihm eine nur eingeschränkteZeugungsfähigkeit attestierte. Nachdem diese Anfech-tungsklage rechtskräftig abgewiesen worden war, legteer nun ein Privatgutachten vor, wonach eine DNA-Analyse zweier Speichelproben seine Eigenschaft alsVater der Bekl. mit 100%-iger Sicherheit ausschließensollte. Er gab an, sich den Speichel der Bekl. ver-schafft zu haben, indem er einen von ihr ausge-spuckten Kaugummi an sich nahm.Der Kl. scheiterte auch mit dieser zweiten Anfech-tungsklage. Nach Auffassung des BGH stand ihrerZulässigkeit zwar nicht die Rechtskraft des ersten Ur-teils aus dem Jahre 2001 entgegen, da es sich bei derDNA-Analyse um einen anderen Lebenssachverhalt -und damit Streitgegenstand - handelte, als bei der 2001erörterten verminderten Zeugungsfähigkeit des Kl. Dererkennende Senat lehnte aber die gerichtliche Verwer-tung der DNA-Analyse ab, da diese ohne Zustimmungder Bekl. bzw. ihrer gesetzlichen Vertreterin durch-geführt worden war und somit deren Recht auf infor-mationelle Selbstbestimmung verletzte.

    Prüfungsrelevanz:Anfang des Jahres 2005 wurde in den Medien der Plander Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, heimlichdurchgeführte Vaterschaftstests künftig unter Strafe zustellen, kontrovers diskutiert. In diesen zeitlichen Kon-text fiel auch die vorliegende Entscheidung des BGH,die sich wohlgemerkt nur mit der gerichtlichen Ver-wertbarkeit derartiger Tests nach geltendem Recht be-fasst. Da der Zusammenhang mit der öffentlichen Dis-kussion des Themas “heimliche Vaterschaftstests”aber auf Hand liegt, bietet sich das Urteil für eine

    Erörterung insbesondere im Rahmen einer mündlichenPrüfung durchaus an, ohne dass es sich hierbei unbe-dingt um eine familienrechtliche Wahlfachprüfunghandeln müsste. Bekanntlich legen viele Prüfer auchWert darauf, dass Examenskandidaten Interesse anderartigen Themen zeigen und sich hierzu eine juris-tisch fundierte Meinung bilden können. Hinzu kommt,dass auch die kurzen Ausführungen des Gerichts zurFrage der entgegenstehenden Rechtskraft des Urteilsaus dem Jahre 2001 einen geeigneten zivilprozessua-len Einstieg für die Besprechung dieser Entscheidungbilden.

    Vertiefungshinweise:“ Unterhaltspflicht gegenüber einem ungewolltenKind als Schaden: BGH, RA 2000, 382 = NJW 2000,1782“ Beweisverwertungsverbot bezüglich eines heimlichmitgehörten Telefonats: BGH, RA 2003, 429 = NJW2003, 1727

    Kursprogramm:“ Examenskurs : “Hausverwaltung”“ Examenskurs : “Das Ende”

    Leitsätze (Leitsatz 2 der Redaktion):1. Zur Frage der Verwertbarkeit einer heimlicheingeholten DNA-Analyse im Vaterschaftsanfech-tungsverfahren.2. Eine heimlich durchgeführte DNA-Vaterschafts-analyse ist rechtswidrig und im Vaterschaftsan-fechtungsverfahren gegen den Willen des Kindesoder seines gesetzlichen Vertreters nicht verwert-bar. Dies gilt insbesondere für die Heranziehungder Analyse zur Begründung von Zweifeln an derVaterschaft i. S. d. § 1600 b BGB.

    Sachverhalt:Der Kl. begehrt im Wege erneuter Anfechtungsklagedie Feststellung, nicht der Vater der am 03.10.1994

  • ZIVILRECHTRA 2005, HEFT 3

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    geborenen Bekl. zu sein. Mit Urkunde der Stadt S.vom 20.10.1994 hatten der Kl. die Vaterschaft aner-kannt und das Jugendamt der Stadt S. als gesetzlicherVertreter der Bekl. diesem Anerkenntnis zugestimmt.Eine im Jahre 2001 erhobene Vaterschaftsanfechtungs-klage, die der Kl. auf ein Gutachten über seine vermin-derte Zeugungsfähigkeit gestützt hatte, war abgewie-sen und die dagegen eingelegte Berufung des Kl.durch rechtskräftiges Urteil des OLG Celle vom09.08.2002 (15 UF 42/02) zurückgewiesen worden.Seine erneute Anfechtungsklage stützt der Kl. auf dasErgebnis einer DNA-Vaterschaftsanalyse, die er ohneKenntnis und ohne Einverständnis der allein sorgebe-rechtigten Mutter der Bekl. am 21.10.2002 in Auftraggegeben hatte. Nach dem Privatgutachten vom01.11.2002 ist mit hundertprozentiger Sicherheit aus-geschlossen, dass der Spender der einen Probe der Va-ter des Spenders (oder der Spenderin) der zweiten Pro-be ist. Insoweit behauptet der Kl., Grundlage der Un-tersuchung sei zum einen sein eigener Speichel, zumanderen ein von der Bekl. benutztes Kaugummi gewe-sen. Die gesetzliche Vertreterin der Bekl. widersprichtder Verwertung des Gutachtens.Das AG wies die Anfechtungsklage des Kl. ab. DasOLG Celle (NJW 2004, 449 = FamRZ 2004, 481)wies die dagegen gerichtete Berufung des Kl. zurück.Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kl. seinursprüngliches Begehren weiter. Die Revision hattekeinen Erfolg.

    Aus den Gründen:

    A. Zulässigkeit der erneuten AnfechtungsklageDie Vorinstanzen haben die erneute Anfechtungsklagefür zulässig erachtet, weil ihr insbesondere die Rechts-kraft des zwischen den Parteien, ergangenen früherenUrteils vom 09.08.2002 nicht entgegenstehe. Denn dieRechtskraft jenes Urteils erstrecke sich allein darauf,dass die dem Kl. 2001 attestierte verminderte Zeu-gungsfähigkeit nicht geeignet sei, den für die Erhe-bung einer Anfechtungsklage erforderlichen Anfangs-verdacht zu begründen, während es sich nunmehr beidem außergerichtlich eingeholten DNA-Gutachten,demzufolge der Kl. von der Vaterschaft ausgeschlos-sen sei, um einen anderen, neuen Lebenssachverhalthandele.Das ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden (vgl.Senat, NJW 1998, 2976 = FamRZ 1998, 955 [956a.E.], und NJW 2003, 585 = FPR 2003, 135 = FamRZ2003, 155 [156]) und wird von der Revision als ihrgünstig nicht angegriffen.

    B. Entscheidung und Begründung des BerGer.Das BerGer. verneint, wie auch schon das AG, dieSchlüssigkeit der Anfechtungsklage. Das außergericht-lich eingeholte DNA-Gutachten sei nämlich nicht ge-eignet, den hierfür erforderlichen Anfangsverdacht,

    das Kind stamme nicht von ihm, zu begründen. Abge-sehen davon, dass das Gutachten keine Feststellungendazu enthalte, von wem das untersuchte genetischeMaterial stamme, könne das Ergebnis dieser Untersu-chung aus prozessualen Gründen im Anfechtungsver-fahren nicht verwertet werden, weil das untersuchteMaterial, soweit es von der Bekl. stammt, ohne derenZustimmung bzw. der Zustimmung ihrer gesetzlichenVertreterin und damit in rechtswidriger Weise erlangtsei. Denn die heimliche DNA-Analyse des genetischenMaterials eines anderen verletze dessen allgemeinesPersönlichkeitsrecht in seiner Ausformung als Rechtauf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 I GG).Dem stehe zwar ein Recht des Kl. auf Kenntnis desBestehens oder Nichtbestehens seiner Vaterschaft ge-genüber. Die Abwägung dieser beiden gegenläufigenGrundrechtspositionen ergebe aber nicht, dass dasGrundrecht der Bekl. auf informationelle Selbst-bestimmung dahinter zurückstehen müsse.

    C. Entscheidung des BGH in der RevisionDies hält den Angriffen der Revision stand.Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Senat, NJW1998, 2976 = FamRZ 1998, 955 [956 a. E.], und NJW2003, 585 = FPR 2003, 135 = FamRZ 2003, 155[156]) reicht das bloße Vorbringen des Kl., er sei nichtder Vater des Kindes und ein gerichtliches Sachverstän-digengutachten werde seine Vaterschaft ausschließen,für eine Vaterschaftsanfechtungsklage nicht aus. Viel-mehr muss der Kl. Umstände vortragen, die bei objek-tiver Betrachtung geeignet sind, Zweifel an der Ab-stammung des Kindes von dem als Vater geltenden Kl.zu wecken und die Möglichkeit der Abstammung desKindes von einem anderen Mann als nicht ganz fernliegend erscheinen zu lassen.Daran fehlt es, ohne dass es hier schon einer Entschei-dung bedarf, welche Anforderungen an die Umstände,mit denen ein Anfangsverdacht zu begründen ist, imEinzelnen gegebenenfalls weiterhin zu stellen sind.

    I. Kein Anfangsverdacht schon wegen verweigerterGenehmigung der DNA-AnalyseEntgegen er Auffassung der Revision begründet nichtschon die Weigerung der Mutter und gesetzlichen Ver-treterin der Bekl., die Einholung des DNA-Gutachtensnachträglich zu genehmigen und in seine Verwertungeinzuwilligen, als solche einen die Anfechtungsklageschlüssig machenden Anfangsverdacht. Sie stellt auchkeine Beweisvereitelung dar. Insbesondere vermag derSenat sich nicht der von Mutschler (FamRZ 2003, 74[76 a. E.]) vertretenen Ansicht anzuschließen, alleindie Weigerung der Mutter oder des Kindes, auf Bittendes (gesetzlichen) Vaters an einer DNA-Begutachtungmitzuwirken, könne je nach den Umständen des Fallseinen ausreichenden Anfangsverdacht der Nichtvater-schaft begründen. Denn ein solches Verhalten ist Aus-fluss des negativen informationellen Selbstbestim-

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    mungsrechts. Dieses würde ausgehöhlt, wenn die Wei-gerung, an einer außergerichtlichen Begutachtung mit-zuwirken, die Vaterschaftsanfechtungsklage eröffnenwürde, mit der Folge, dass die Informationen, die die-ses Grundrecht schützen will, immer dann im Rahmeneiner gerichtlichen Beweisaufnahme preisgegebenwerden müssten, wenn dies dem Willen des Betroffe-nen zuwiderläuft und die freiwillige Preisgabe deshalbzuvor abgelehnt wurde.Erst recht kann hier die Weigerung der gesetzlichenVertreterin der Bekl., de