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(Aus dem Physikalischen und Pathologisch-anatomischen Institut der Universit~ P~cs.) STARKSTROMVERLETZUNG UND MIKROSKOPISCHE ERKENNUNG DER URSACHEN VON MUSKELSTARREN. Von E. ERNST und B. KELLNEa. Mit 4 Textabbildungen (5 Einzelbildern). [Eingegangen am 28. April 1936.) In einer Arbeit yon SCH~ZDT ,,~ber Starkstromver|etzungen" ist ein Fall beschrieben, wo der Wechselstrom yon 25000 V und 20 Amp. durch den ganzen KSrper eines Menschen ging. Die dabei entstandenen Muskelver~nderu.ngen stimmen nach SCHMZDT mit jenen Bildern voll- kommen iiberein, welche bei verschiedenen Kontrakturen beschrieben wurden. Diese letzteren mikrosk~pischen Bilder sind nun in unserer vorstehenden Arbeit (2) ausffihrlich behandelt mit dem Ergebnis, dab dieselben, wie jede Kontraktion, nur am lebenden Muskel entstehen kSnnen; die Ursache der Kontraktion muB aber auch den Tod des Muskels herbeifiihren bzw. iiberdauern, damit der Kontrak$ionszustand in Starre iibergehe und somit fixiert bleibe. Auch in obigem Falle von einer kurzdauernden ,,Starkstromverletzung" blieb nach SC~IDT dauernd Starre zuriick, was in unsere Formulierung gut hineinpa{3t. Da nun andererseits die Stromverletzungen yon M~YENBURG(3) in seiner zusammenfassenden Darste]lung als eine noch offene Frage be- schrieben wurden, wolien wir diesen Gegenstand auf Grund unseres Versuchsmaterials kritisch besprechen. Ira Iolgenden wird dement- sprechend zuerst die Frage untersucht, ob tats~chlich die grol3e St~rke des Stromes als eine Bedingung dieser Ver~nder~ngen betrachtet werden muB, dann, ob die Ver~nderungen dermaBerl charakteristisch sind, dal3 aus dem mikroskopischen Bild allein auf Stromeinwirkung gefolgert werden kSnnte. Da nun diese Ver~nderungen -- wie eingangs erw~hnt -- mit anderen Starrebfldern prinzipiell iibereinstimmen, so werden wir auf diesem Wege zur Priifung der allgemeineren Frage gefiihrt, ob n~mlich der Starrezustand iiberhaupt und die verschiedenen Starrezust~nde speziell mikroskopisch erkannt werden kSnnen. I. Wechselstromwirkung. Unlangst beschrieb JELLINEK (4) Muskelveranderungen, die von ihm als spezifisch ffir Starkstromverletzung gehal~en wurden. Diese Ver- anderungen traten aber nur bei Wechselstrom ein, wahrend sie bei Z. f. Zellforschung u. mikr. Anatomie. Bd. 25. 27

Starkstromverletzung und mikroskopische Erkennung der Ursachen von Muskelstarren

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(Aus dem Physikalischen und Pathologisch-anatomischen Institut der Universit~ P~cs.)

STARKSTROMVERLETZUNG UND MIKROSKOPISCHE ERKENNUNG DER URSACHEN VON MUSKELSTARREN.

V o n

E. ERNST und B. KELLNEa.

Mit 4 Textabbildungen (5 Einzelbildern).

[Eingegangen am 28. April 1936.)

In einer Arbeit yon SCH~ZDT ,,~ber Starkstromver|etzungen" ist ein Fall beschrieben, wo der Wechselstrom yon 25000 V und 20 Amp. durch den ganzen KSrper eines Menschen ging. Die dabei entstandenen Muskelver~nderu.ngen stimmen nach SCHMZDT mit jenen Bildern voll- kommen iiberein, welche bei verschiedenen Kontrakturen beschrieben wurden. Diese letzteren mikrosk~pischen Bilder sind nun in unserer vorstehenden Arbeit (2) ausffihrlich behandelt mit dem Ergebnis, dab dieselben, wie jede Kontraktion, nur am lebenden Muskel entstehen kSnnen; die Ursache der Kontraktion muB aber auch den Tod des Muskels herbeifiihren bzw. iiberdauern, damit der Kontrak$ionszustand in Starre iibergehe und somit fixiert bleibe. Auch in obigem Falle von einer kurzdauernden ,,Starkstromverletzung" blieb nach SC~IDT dauernd Starre zuriick, was in unsere Formulierung gut hineinpa{3t. Da nun andererseits die Stromverletzungen yon M~YENBURG (3) in seiner zusammenfassenden Darste]lung als eine noch offene Frage be- schrieben wurden, wolien wir diesen Gegenstand auf Grund unseres Versuchsmaterials kritisch besprechen. Ira Iolgenden wird dement- sprechend zuerst die Frage untersucht, ob tats~chlich die grol3e St~rke des Stromes als eine Bedingung dieser Ver~nder~ngen betrachtet werden muB, dann, ob die Ver~nderungen dermaBerl charakteristisch sind, dal3 aus dem mikroskopischen Bild allein auf Stromeinwirkung gefolgert werden kSnnte. Da nun diese Ver~nderungen - - wie eingangs erw~hnt - - mit anderen Starrebfldern prinzipiell iibereinstimmen, so werden wir auf diesem Wege zur Priifung der allgemeineren Frage gefiihrt, ob n~mlich der Starrezustand iiberhaupt und die verschiedenen Starrezust~nde speziell mikroskopisch erkannt werden kSnnen.

I . Wechselstromwirkung.

Unlangst beschrieb JELLINEK (4) Muskelveranderungen, die von ihm als spezifisch ffir Starkstromverletzung gehal~en wurden. Diese Ver- anderungen traten aber nur bei Wechselstrom ein, wahrend sie bei

Z. f. Zellforschung u. mikr . Ana tomie . Bd. 25. 27

394 E. E r n s t u n d B. K e l l n e r : S t a r k s t r o m v e r l e t z u n g

Abb. 1. Versuch Nr. 75 B. 2 1 . 7 . 3 3 . 0,46 g, 22 m m . Mit i nduz ie r t em S t rom bis zur S ta r re gereizt: 16 ram, gedehn t bis 24 ram, Gela t ine-Einbet tung . VergrSiSerung 60real.

Abb. 2. Versuch Nr. 72 A, 20. 7.33. 0,62 g, 24 ram. Mit Wechse l s t rom bis zur S ta r re gereizt . 19 ram, Paraffin-Celloidin. Vergr5Berung 45real.

und mikroskopische Erkennung der Ursachen yon Muskelstarren. 395

Gleichstrom gleicher St~rke vermiBt wurden. Es ist nun bekannt, dab nur der Wechselstrom einen Kontraktionszustand dauernd auf- recht erh~lt, der Gleichstrom dagegen nur eine Einzelzuckung her- vorruft. Somit wird der Gedanke nahegelegt, dab auch in den von JELLINEK beschriebenen F~llen fortdauernde, zur Starre ftihrende Kon- traktionen die Hauptrolle spielten, um so mehr, da ja JELLIN]~Ks Bilder prinzipiell mit den tibrigen Starrebildern tibereinstimmen. Zur Prtifung dieser Frage wurden von uns Froschgastroenemien mit fie- quentem Strom solange gereizt, bis sie in Kontraktionszustand ab- gestorben sind. Abb. 1 zeigt das mikroskopische Bild eines Muskels, welcher mit dem Sekund~rstrom eines Induktoriums gereizt wurde (25 Unterbrechungen pro Sekunde eines groBen BER~STEI~schen Modells) ; die prim~re Rolle wurde mit einem Akkumulatorstrom yon 4 V ge- speist. Abb. 2 s tammt von einem Gastroenemius, welcher ebenfalls mit der sekund~ren Rolle eines 1 :4 -Trans fo rmato r s in Verbindung stand. In die prim~re Rolle (2250 Q) wurde bei Zwisehensehaltung von 0,02 m ~ der st~dtische Wechselstrom von 110 V eingefiihrt; der Muskel wurde in dem Sekund~rkreis (9000 ~Q), also mit einem Wechselstrom von einigen Volt und etwa 4 mA gereizt. In beiden F~llen handelt es sich also keines/alls um Star]cstrom, die Ver~nderungen stimmen trotzdem mit denen durch Starkstrom verursachten fiberein. Somit kommen wir zum SehluB, dab die als Starkstromverletzungen be- schriebenen Muskelver~nderungen davon stammen, daB:der wirkende Wechselstrom ]ortwdhrend reizte und somit den Kontraktionszustand bis zum Tode des Muslcels au/rechterhielt, also denselben in Starre ]ixierte. DaB, je gewaltiger die Stromeinwirkung ist, desto kiirzere Reizdauer benStigt wird, um den Muskel in Starre zu bringen, ist wohl jedem Experimentator bekannt.

Ob unsere Erkl~rung, dab ns bei , ,Starkstromverletzungen" des Muskels das Absterben in Kontraktionszustand das hauptss Moment darstellt, richtig ist, liiBt sich damit priifen, dab die beiden Gastroenemien eines Frosches in einem Stromkreis bis zum Tode gereizt werden. Wenn nun der eine yon beiden Gastrocnemien so stark ge- spannt wird, dab der Strom keine Verkiirzung hervorrufen kann, so muB - - falls unsere Annahme richtig ist - - bei diesem die Stromwirkung aus- bleiben. Aus Abb. 3a und b ist es klar zu ersehen, dab derselbe Strom am isotonisch tdtigen (verkiirzten) Muskel die charakteristischen Kon- traktionsbdnder (Starrebilder) hervorrie/, wdhrend solche Bilder am ge- sTannten (isometrischen) Gastrocnemius vermiflt werden. Auf Grund dieser Ergebnisse scheint uns die oben gestellte Frage in der Weise entschieden zu sein, dab die sogenannten Starkstromverletzungen des Muskels nicht als spezi]ische Starkstromverdnderungen angesehen werden di~r]en, sondern die Folgen yon Kontra]ctionswirkungen darstellen und als solche zu den - - in

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396 E . E r n s t u n d B . K e l l n e r : S t a r k s t r o m v e r l e t z u n g

A b b . 3 a n n d b. V e r s u c h N r . 99 A n n d B. 10. 1. 34. 1,69 g, 3~: r a m . I~Iit W e c h s e I s t r o m b i s z u r S t a r r e g e r e i z t : a i s o t o n i s c h 29 m m , b zu ~4 m m g e s p a n n t u n d so h i s z u r S t a r r e g e r e i z t .

G e l a t i n e . V e r g r b l ~ e r u n g a 45rea l , b 60rea l .

und mikroskopische Erkennung der Ursachen yon Muskelstarren. 397

vorstehender Mitteilung besprochenen - - Starrebilder geh6ren. Zu ihrer ]-Iervorrufung ist kein Starkstrom nStig 1.

I I . Mikroskopische Erkennung der Ursachen von Muskelstarren.

Wenn nun auch als festgestellt betrachtet werden kann, dab die mikroskopischen Bilder bei Starkstromeinwirkung keine spezifischen Effekte, sondern aus Kontraktion stammende Starrebilder darstellen, so bleibt noch immer die MSglichkeit vorhanden, daI~ diese Bilder auf ihre Ursache: auf die elektrische Reizung derartig spezifisch sind, dab sie sich yon den anderen Starrebildern unterscheiden lassen.

Aus den Ergebnissen der vorstehenden Mitteilung ist es ersichtlich, dab in jeder Starre die sogenannten Starrebilder anzutreffen sind. Damit w/ire anscheinend die erste Frage erledigt in dem Sinne, dab durch Erscheinen des mikroskopischen Starrebildes der Starrezustand sich feststellen l~i~t. Das ist auch wahr, der Sachverhalt wird jedoch dadurch kompliziert, dab diese Starrebilder - - wie bereits erw~hnt - - in sehr verschiedener Menge erscheinen und manchmal so sp~rlich auftreten, dab in einem Schnitt kaum einige gefunden werden kSnnen. Aul3erdem ist die Erscheinungsform der Starrebilder nicht immer kraB in die Augen springend wie bei Ws oder bei der Starre, hervorgerufen mit fortdauernder elektrischer Reizung. Diese letzteren Starren ergreifen gleichzeitig energisch den ganzen Muskel, und eben darum sind sie in jedem Schnitt durch ihre charakteristischen Starrebilder ohne weiteres zu erkennen. Unter allen yon uns untersuchten Starrebildern zeichnen sich diejenigen durch tetanische Reizung verursachten dadurch aus, dal3 sie die am meisten regelm~6igen Kontraktionsb~nder hervorrufen (s. die Abb. 2 vorstehender Mitteilung und Abb. 2 und 3a dieser Mit- teilung). Diese Kontraktionsb~nder sind mehr oder weniger von parallelen Linien begrenzt und queren die Faser untereinander ungef~hr parallel durch, wie es auch an den Bildern der zitierten SCHMIDTschen Arbeit zu sehen ist.

Ebenfalls sehr auffallende Bilder findet man bei der Ws wie es aus der Abb. 4 erhellt. Diese Zeichnung ist zum Unterschied v o n d e r des elektrischen Starrebildes absolut unregelms und macht bei kleineren Vergr5i~erungen den Eindruck von Sarkolemmazer- reiBungen: es wurde jedoch bereits in der vorstehenden Mitteilung aus- geffihrt, dab dieser Anschein falsch ist; es handelt sich vielmehr um unregelm~Big verteilte Starrebilder 2. Es muB jedenfMls bemerkt werden, daI~ die H~ufigkeit und Schs dieser Bilder davon abh~ngt, mit welcher Energie und Geschwindigkeit dieW~rmeeinwirkung geschieht

1 Ein sehr starker Strom kann eine kr~ftige Hitzewirkung ausiiben. 2 Etwas J~hnliches scheint FRANK (5) bei seinen Sartorien in CttC13-Starre

beobachtet zu haben: Er bemerkt dabei, dab es ihm nicht mSglich war, in s01chen F~i]len ein genaues histologisches Bild auszufinden.

398 E. Ernst und B. Kellner: Starkstromverletzung

und in was ffir einem Reizbarkeitszustand den Muskel trifft. I)iese Bilder kommen nicht in so]cher fiberzeugender Menge und Gleich- artigkeit vor, wie die e]ektrischen Starrebilder; in unserem Material ]assen sich jedoch diese beiden Starrebilder sowohl voneinander als auch yon den anderen gut unterscheiden.

Was die Toten- und S~urestarre anbelangt, diese liefern seltenere und weniger ausgepr~gte Starrebilder, besonders we die Starre mild

Abb . 4. Y e r s u e h Nr . 76 A. 21. 7 . 3 3 . 0,72 g, 25 r am, 38---42 ~ C W ~ r m e s t a r r e : 17 ram- G e l a t i n e . Verg rS•e rung 45mal .

und in beschrs Umfange eintritt. Diese beiden lassen sieh von- einander auch nicht sicher unterscheiden, ]a kSnnten sogar die Er- kenntnis des Starrezustandes iiberhaupt vermissen ]assen, wenn ein anderer Umstand nieht zu Hilfe kommen wiirde. In der vorstehenden Mit~eilung haben wir n~mlich die Dehnungsbilder, die sogenannten Spannungs- linien besehrieben, die aus den Kontraktionsb~uehen oder Kontraktur- stellen des starren Muskels entstehen, wenn derselbe gedehnt wird. Die so entstandenen Spannungslinien (s. Abb. 6 vorstehender Mitteilung) sind nun eben fiir den Starremuskel sehr charakteristiseh, so dab die An- wesenheit derartiger Querlinien den Starrezustand der betre]/enden Muskel- ]aaern im ZeitpunIcte der Dehnung beweist.

Es set darauf hingewiesen, da~ alle unseren Ergebnisse aus Versuehen an Froschgastrocnemien stammen, somit sie nur im Falle verallgemeinert

und mikroskopische Erkennung der Ursachen yon Muskelstarren. 899

werden kSnnen, wenn zukiinftige Erfahrungen, die an anderem Material gewonnen wurden, mit ihnen fibereinstimmen werden.

Z u s a m m e n f a s s u n g .

1, Die sogenannten Starkstromverletzungen des Muskels treten auch bei ganz schwachem Wechselstrom auf, bei Gleichstrom dagegen nicht, Sie erscheinen nur bei Irei sich verkiirzten Muskeln, bei s tark aus. gespannten nicht.

2. Die Starkstromver/~nderungen sind daher durch starke Kon . t rakt ion bedingt und gehSren zu den Starrebildern.

3. I n den verschiedenen Starrezust/inden treten verschiedene Starre- bilder auf, der Starrezustand im allgemeinen ]/s sich an Froschgastro. cnemius immer erkennen. Und zwar entweder aus den Starrebildern oder aus der Anwesenheit yon Spannungslinien (wenn n/~mlich der Muskel vor der Aufarbei tung artefiziell gedehnt wurde).

Literatur. 1. Sehmidt: Verh. dtsch, path. Ges. 1910, 218. - - 2. Ernst u. Kellner: Z. Zell-

forsch. 25, 377 (1936). - - 3. Meyenburg: Handbuch der speziellen pathologischen Anatomie und Histologie, Bd. 9, Teil 1, S. 299. 1929. - - 4. Jellinek: Wien. klin. Wschr. ]932 I, 37. - - 5. Frank: Pflfigers Arch. 218, 37 (1927).