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Statistische Verfahren in der Computerlinguistik Einführung in die Computerlinguistik Sommersemester 2009 Peter Kolb

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Statistische Verfahren in der Computerlinguistik

Einführung in die ComputerlinguistikSommersemester 2009

Peter Kolb

Übersicht

Statistische vs. symbolische Verfahren in der CL

Statistik

beschreibende Statistik uni- und multivariate Deskription von Daten

schließende Statistik Wahrscheinlichkeitsrechnung bedingte Wahrscheinlichkeit Bayes'sche Statistik

Markov-Modelle

Statistische vs. symbolische CL

● anfänglich vor allem statistische Ansätze:

– maschinelle Übersetzung als Anwendung kryptoanalytischer und statistischer Methoden (Locke u. Booth 1955)

– Informationstheorie (Shannon u. Weaver 1949): Übersetzung = Übertragung über gestörten Kanal

● bald Aufspaltung in statistische und symbolische Ansätze

● symbolische Ansätze dominierten CL bis 1990

Statistische vs. symbolische CL

● Gründe für die Dominanz symbolischer Ansätze:

– mangelnde Leistungsfähigkeit der Hardware

– Chomsky 1957: prinzipiell ist kein statistischer Ansatz fähig, Unterschied zwischen den Sätzen (1) Colorless green ideas sleep furiously. (2) Furiously sleep ideas green colorless. zu erfassen, da keiner je in einem engl. Korpus vorkommen wird.

– Kompetenz/Performanz: in Korpora können nur Performanzdaten beobachtet werden, Linguisten aber an Kompetenz interessiert

Statistische vs. symbolische CL

● Wiederentdeckung statistischer Verfahren:

– Baker CMU 1975, Jelinek IBM 1976: erste Implementierung von Hidden-Markov-Modellen

– prakt. Anwendung: Rabiner 1989 Spracherkennung

– PoS-Tagging (DeRose 1988)

– statistische maschinelle Übersetzung (Brown et al. 1990)

● in den 90er Jahren wird die CL von statistischen Verfahren „überrollt“

● heute eher hybride Ansätze

beschreibende vs. schließende Statistik

beschreibende (deskriptive, explorative) Statistik

graphische Darstellung von Daten Ermittlung von Kenngrößen (z.B. Mittelwert) verwendet keine stochastischen Methoden

schließende Statistik

versucht über erhobene Daten hinaus Schlussfolgerungen zu ziehen

verwendet stochastische Methoden Stochastik: Wahrscheinlichkeitstheorie und

Informationstheorie

Grundbegriffe der Statistik

Daten werden an statistischen Einheiten erhoben

Grundgesamtheit (Population)

z.B. Phoneme – Phoneminventar einer Sprache

untersucht wird meist nur eine Teilmenge der Grundgesamtheit, die Stichprobe

an statistischen Einheiten in Stichprobe werden interessierende Größen beobachtet, die Merkmale oder Variablen

statistische Einheiten heißen auch Merkmalsträger

Merkmale besitzen Werte oder Ausprägungen

Grundbegriffe der Statistik

Beispiele:

Merkmal Ausprägungen Merkmalsträger

Wortlänge in Silben 1,2,3,... Wort

Satz grammatisch? ja, nein Satz

Lautdauer von

Phonemen 0 – ∞ sek. Phonem

Affixart Präfix, Suffix, ... Affix

Wortart Verb, Nomen,... Wort

Grundbegriffe der Statistik

interessierende Variable = Zielgröße

wird beeinflusst von

beobachtbaren Variablen: Einflussgrößen, Faktoren

nicht beobachtbaren Variablen: Störgrößen, latente Faktoren

Grundbegriffe der Statistik

Beispiel:

statistische Einheiten: Sätze Grundgesamtheit: Sätze der deutschen

Schriftsprache Stichprobe: NEGRA-Korpus Zielgröße: Anteil von Sätzen mit Verbzweitstellung Einflussgrößen: Textsorte, Autor Störgrößen: Annotierungsfehler

Univariate Deskription von Daten

univariate (= eindimensionale) Daten bestehen aus Beobachtungen eines einzelnen Merkmals

Stichprobe vom Umfang n: an n stat. Einheiten werden die Werte x1, x2, ..., xn eines Merkmals X beobachtet

Beispiel: Merkmal „Wortart“. An den ersten n = 20 Wörtern eines Korpus werden die folgenden Ausprägungen beobachtet (x1, ..., x20):

Konj, Pron, Det, N, V, Konj, Pron, Präp, Adj, N, Präp, N, Konj, N, V, Adv, V, Pron, Adv, Präp

Rohdaten, Urliste

Univariate Deskription von Daten

Urliste → Liste der vorkommenden Merkmalsausprägungen:

a1 Konj 3a2 Pron 3a3 Det 1a4 N 4a5 V 3a6 Präp 3a7 Adj 1a8 Adv 2

Univariate Deskription von Daten

Urliste → Liste der vorkommenden Merkmalsausprägungen:

a1 Konj 3a2 Pron 3a3 Det 1a4 N 4a5 V 3a6 Präp 3a7 Adj 1a8 Adv 2 ← absolute Häufigkeit von a8

Univariate Deskription von Daten

Anzahl Vorkommen einer Ausprägung aj in Urliste = absolute Häufigkeit von aj: h(aj) = hj, z.B. h(Konj) = 3.

Summe aller Häufigkeiten h(a1) + h(a2) + ... + h(ak) gleich Stichprobenumfang n.

relative Häufigkeit von aj = Anteil von aj-Werten in Urliste: f(aj) = hj / n.

z.B.: f(Konj) = h(Konj) / n = 3 / 20 = 0,15 = 15%.

Univariate Deskription von Daten

graphische Darstellung von Häufigkeitsverteilungen

N V Präp Konj Pron Adv Adj Det0

0,25

0,5

0,75

1

1,25

1,5

1,75

2

2,25

2,5

2,75

3

3,25

3,5

3,75

4

abs. Häuf.

Univariate Deskription von Daten

Beschreibung von Verteilungen

Lagemaße und Kenngrößen erlauben den Vergleich von Häufigkeitsverteilungen

arithmetisches Mittel: xam = (x1+x2+...+xn) / n (in Excel/OpenOffice Funktion „MITTELW“)

Median xmed: Wert in Datenmitte

Modus xmod: häufigster Wert

Univariate Deskription von Daten

Beispiel: zwei Urlisten:

2,5; 3,0; 3,0; 3,5: xam = 3,0, xmed = 3,0

1,0; 2,0; 4,0; 5,0: xam = 3,0, xmed = 3,0

gleiche Lagemaße, Verteilungen sehen aber sehr unterschiedlich aus

→ weitere Kenngröße: Varianz

1 2 3 40

0,5

1

1,5

2

2,5

3

3,5

4

4,5

5

A

B

Univariate Deskription von Daten

Varianz: Maß für Streuung einer Verteilung um ihren Mittelwert

s² = (x1 – xam)² + ... + (xn – xam) / n

Excel: Funktion VARIANZEN

Beispiel:

2,5; 3,0; 3,0; 3,5: xam = 3,0, xmed = 3,0, s² = 0,125

1,0; 2,0; 4,0; 5,0: xam = 3,0, xmed = 3,0, s² = 2,5

Standardabweichung = Wurzel aus Varianz

Univariate Deskription von Daten

● zwei Textkorpora: FABELN und PHILOSOPHIE:

Autor Token Autor Werk Token

Aesop 3.270 Hegel PhdG 48.756

Lessing 3.148 Kant KdrV 26.248

Novalis 2.766 Nietzsche JGB 22.813

Pestalozzi 3.709 Marx Manifest 10.934

Wördemann 4.713 Spinoza Ethik 36.961● zwei Stichproben im Umfang n = 5 aus den

Grundgesamtheiten „Fabeln“ und „philosophische Werke“

Univariate Deskription von Daten

1 2 3 4 50

0,5

1

1,5

2

2,5

3

3,5

4

4,5

5

5,5

6

6,5

7

7,5

f(Konj)

Fabeln

Philosophie

Univariate Deskription von Daten

1 2 3 4 50

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

f(Art)

Fabeln

Philosophie

Univariate Deskription von Daten

1 2 3 4 50

2,5

5

7,5

10

12,5

15

17,5

20

22,5

f(Nomen)

Fabeln

Philosophie

Univariate Deskription von Daten

1 2 3 4 50

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

f(Verb)

Fabeln

Philosophie

Multivariate Deskription von Daten

Vergleiche bisher eindimensional – jedes Merkmal einzeln betrachtet

multivariater Vergleich: mehrere Merkmale zugleich beobachten

Streudiagramm erlaubt gleichzeitigen Vergleich von zwei Merkmalen

ein Merkmal wird auf x-Achse aufgetragen, das andere auf der y-Achse

jedes Element der Stichprobe ein Punkt im Diagramm

Multivariate Deskription von Daten

14 16 18 20 22 246,5

7

7,5

8

8,5

9

9,5

10

10,5

11

11,5

12

f(Nomen)

f(V

erb

)

Multivariate Deskription von Daten

Bei geeigneter Wahl der Merkmale bilden sich im Streudiagramm distinkte Gruppen, sogenannte Cluster

dadurch kann festgestellt werden, welche Merkmale und Werte für Klassifizierungen nutzbar sind

Streudiagramm veranschaulicht auch Zusammenhang, den zwei Merkmale aufeinander ausüben

Multivariate Deskription von Daten

4,5 4,6 4,7 4,8 4,9 5 5,1 5,2 5,3 5,4 5,5 5,6 5,7 5,81,5

2

2,5

3

3,5

4

4,5

5

5,5

6

6,5

7

7,5

8

8,5

9

Wortlänge

f(P

rono

men

)

Multivariate Deskription von Daten

10 15 20 25 30 35 40 45 505

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

Textlänge

h("a

")

Multivariate Deskription von Daten

Streudiagramm zeigt Korrelation der beiden Merkmale

wenn die Punkte im Diagramm nahe einer gedachten Geraden liegen, korrelieren die Merkmale

positive Korrelation: je größer die x-Werte, desto größer die zugehörigen y-Werte

negative Korrelation: je größer die x-Werte, desto kleiner die zugehörigen y-Werte

Korrelationsmaße geben Stärke des Zusammenhangs an: z.B. Korrelationskoeffizient nach Bravais-Pearson (Excel-Funktion PEARSON)

Multivariate Deskription von Daten

statistisch gefundene Korrelation zwischen zwei Merkmalen begründet keinen kausalen Zusammenhang!

Beispiel (aus [4]): hohe Korrelation für Merkmale „Orangenimport in Tonnen“ und „Anzahl Krebserkrankungen“, trotzdem besteht offensichtlich kein Zusammenhang (Scheinkorrelation)

verdeckte Korrelation: Merkmale korrelieren mit einer unberücksichtigten dritten Variable

Richtung der Beeinflussung

Wahrscheinlichkeitsrechnung

„Wahrscheinlich regnet es morgen“ → Sprecher weiß nicht, ob Ereignis eintritt oder nicht

Ziel der Wahrscheinlichkeitsrechnung: Grad der Unsicherheit auf quantitatives Maß zurückführen und damit rechnen

Z.B. Wurf eines Würfels: Zufallsvorgang mit mehreren, sich auschließenden Ergebnissen

Zufallsexperiment: mögliche Ausgänge bekannt: 1,2,3,4,5,6. Heißen Elementarereignisse. Ereignisraum R = {1,2,3,4,5,6}

Wahrscheinlichkeitsrechnung

Beispiel: Wurf zweier Münzen. Mögliche Ausgänge sind die vier Elementarereignisse Kopf&Kopf, Kopf&Zahl, Zahl&Kopf, Zahl&Zahl. Sie bilden den Ereignisraum R.

Ereignis = Teilmenge des Ereignisraums. Ereignis kann Elementarereignis oder Zusammenfassung mehrerer Elementarereignisse sein.

z.B. Würfel: Ereignis „Augenzahl ungerade“ besteht aus Elementarereignissen {1,3,5}.

ist Teilmenge für Ereignis = R: sichere Ereignis

ist Ereignismenge ∩ R = Ø: unmögliche Ereignis

Wahrscheinlichkeitsrechnung

Ereignisraum R bestehe aus N gleichmöglichen Elementarereignissen

Teilmenge von R, die Ereignis A entspricht, bestehe aus NA Elementarereignissen

Wahrscheinlichkeit für Eintreten des Ereignisses A: p = NA / N.

z.B. Wahrscheinlichkeit ungerade Zahl zu würfeln: p = NA / N = |{1,3,5}| / |{1,2,3,4,5,6}| = 3 / 6 = 0,5.

Wahrscheinlichkeitsrechnung

Wahrscheinlichkeiten immer größer oder gleich Null

unmögliches Ereignis hat Wahrscheinlichkeit Null

sicheres Ereignis hat Wahrscheinlichkeit 1

Additionssatz: wenn A ∩ B = Ø dann P(A U B) = P(A) + P(B)

z.B. R = {Kopf, Zahl}, A = {Kopf}, B = {Zahl}, „entweder Kopf oder Zahl“: P(A U B) = 0,5 + 0,5 = 1.

wenn A ∩ B ≠ Ø dann P(A U B) = P(A) + P(B) – P(A ∩ B)

z.B. Würfel: A = {1,3,5}, B = {1,6}: P(A U B) = 3/6 + 2/6 – 1/6 = 4/6

Wahrscheinlichkeitsrechnung

Wahrscheinlichkeit von Verbundereignissen

gleichzeitiges Auftreten zweier Ereignisse A und B

Multiplikationssatz: P(A ∩ B) = P(A) · P(B)

gilt für statistisch unabhängige Ereignisse

Urnenmodell: Ziehen mit Zurücklegen

Wahrscheinlichkeitsrechnung

Ziehen ohne Zurücklegen

Ausgang des ersten Zugs beeinflusst Wahrscheinlichkeit im zweiten Zug

Multiplikationssatz: P(A ∩ B) = P(A) · P(B|A)

gilt für statistisch abhängige Ereignisse

bedingte Wahrscheinlichkeit: P(B|A): Wahrscheinlichkeit von B, wenn A bereits eingetreten ist (a posteriori-Wahrscheinlichkeit von B)

Literatur

[1] Chris Manning und Hinrich Schütze: Foundations of Statistical Natural Language Processing. MIT Press, 1999.

[2] Michael P. Oakes: Statistics for Corpus Linguists. Edinburgh University Press, 1998.

[3] Gabriel Altmann: Statistik für Linguisten. Wissenschaftlicher Verlag Trier, 1995.

[4] Hans Kellerer: Statistik im modernen Wirtschafts- und Sozialleben. Rowohlt, 1960.

[5] Walter Krämer: So lügt man mit Statistik. Piper, 2000.