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149 Abb. 1. Renaturiertes Miindungsdelta der Salzach in den Inn mit ausgedehnten Insel- und Flachwasserbildungen, die recht genau den Verhaltnissen vor der Regulierung entsprechen. Der Inn kommt von links, die Salzach von rechts. Das Eindringen des schwebstoff- reichen Wassers ins Delta ist zu erkennen. (Foto: H. Reichholf-Riehm.) er Bau von Stauseen stofit vielfach bei D Naturschiitzern und Naturschutz- behorden auf Ablehnung. Vom ,,Tod des Flusses" wird gesprochen und der (geplan- te) Eingriff gebietsweise aufs heftigste bekampft. Andernorts werden hingegen Stauseen unter Naturschutz gestellt, weil sich eine aufierordentlich reichhaltige Na- tur in und an ihnen entwickelt hat. Der Logik des Vorgehens zu folgen fallt mit- unter schwer. Doch diese Logik ist zumin- dest im Hinblick auf fafibare und quanti- fizierfahige Befunde der Stauseeokologie durchaus vorhanden, und Stauseeprojekte konn(t)en auf der Basis eines okologischen Bezugssystems bewertet und konzeptionell beeinflufit werden. Voraussetzung hierfiir ist es jedoch, die anfangliche ,,Hybridna- tur" eines Stausees hinreichend gut zu ken- nen und sich von festgefiigten Vorurteilen zu losen. Wasserbau fur oder gegen die Natur? Dic Wasserbauer regulicrten in den letztcii cineinhalb Jahrhunderten fast alle groflcren Flieflgcwasser in Mittclcuropa. Sogar die Bachc blieben vielfach nicht von wasserbauli- chen Eingriffcn verschont. Verbcsscrung der Vcrhaltnissc fur die Landwirtschaft in dcn FluiSauen war das cine Ziel. Das anderc sollte der Schutz vor Hochwasser sein. Letzterer gelang nur recht unvollstandig, wic die Flutcn in den letztcn Jahrcn zeigtcn. Aber cines schafftc der Wasscrbau hochst nachhaltig: die Nutzung der Wasserkraft zur Energiegewin- nung. Vom Miihlrad bis zu den modcrnen Riesenkraftwerkcn in Brasilien fuhrt ein ein- drucksvoller Weg zum Erfolg. Auf der Strecke blicb die Natur. Das meinen jedenfalls die Gcgner dcr Wasserkraftnut- Biologie in unscrer Zeit / 28. Jahrg. 1998 / Nr. 3 0 WILEY-VCH Verlag GmbH, 69469 Weinhelm, 1998 0045-205X/98/030~-0149 $17.JO + .J0/0 zung. Und sic haben haufig recht - aber of- fenbar nicht immcr. Denn cinc ganze Rcihc von Stausccn, die zur Wasscrkraftnutzung ge- baut worden sind, dieiien dcm Naturschutz. Es gibt sogar unter ihncn ,,Feuchtgebictc von internationaler Bedeutung" [9] und ,,Ruropa- reservatc" oder hcrausragendc Wildschutzgc- biete wic etwa Grofistausecn in Afrika und Siidasieii [Ill. Sind dcr Naturschutz und sci- nc Verfechter so paradox, dafl sie zunachst ge- gen Stausccn kampfcn, urn sic nachher unter Schutz stellen zu wollen? - U m cine derartigc Fragc behandcln zu kiinncn, miissen wir uns zunachst etwas genaucr ansehcn, was Stau- seen eigentlich sind. Typen von Stauseen Stauseen gibt es in viclcn unterschicdlichen Formen und G r & m Sie reichen von kleinen Quervcrbauungen in Bachen mit Kickstau-

Stauseen – Tod oder Wiedergeburt der Flüsse?

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Abb. 1. Renaturiertes Miindungsdelta der Salzach in den Inn mit ausgedehnten Insel- und Flachwasserbildungen, die recht genau den Verhaltnissen vor der Regulierung entsprechen. Der Inn kommt von links, die Salzach von rechts. Das Eindringen des schwebstoff- reichen Wassers ins Delta ist zu erkennen. (Foto: H. Reichholf-Riehm.)

er Bau von Stauseen stofit vielfach bei D Naturschiitzern und Naturschutz- behorden auf Ablehnung. Vom ,,Tod des Flusses" wird gesprochen und der (geplan- te) Eingriff gebietsweise aufs heftigste bekampft. Andernorts werden hingegen Stauseen unter Naturschutz gestellt, weil sich eine aufierordentlich reichhaltige Na- tur in und an ihnen entwickelt hat. Der Logik des Vorgehens zu folgen fallt mit- unter schwer. Doch diese Logik ist zumin- dest im Hinblick auf fafibare und quanti- fizierfahige Befunde der Stauseeokologie durchaus vorhanden, und Stauseeprojekte konn(t)en auf der Basis eines okologischen Bezugssystems bewertet und konzeptionell beeinflufit werden. Voraussetzung hierfiir ist es jedoch, die anfangliche ,,Hybridna- tur" eines Stausees hinreichend gut zu ken- nen und sich von festgefiigten Vorurteilen zu losen.

Wasserbau fur oder gegen die Natur?

Dic Wasserbauer regulicrten in den letztcii cineinhalb Jahrhunderten fast alle groflcren Flieflgcwasser in Mittclcuropa. Sogar die Bachc blieben vielfach nicht von wasserbauli- chen Eingriffcn verschont. Verbcsscrung der Vcrhaltnissc fur die Landwirtschaft in dcn FluiSauen war das cine Ziel. Das anderc sollte der Schutz vor Hochwasser sein. Letzterer gelang nur recht unvollstandig, wic die Flutcn in den letztcn Jahrcn zeigtcn. Aber cines schafftc der Wasscrbau hochst nachhaltig: die Nutzung der Wasserkraft zur Energiegewin- nung. Vom Miihlrad bis zu den modcrnen Riesenkraftwerkcn in Brasilien fuhrt ein ein- drucksvoller Weg zum Erfolg.

Auf der Strecke blicb die Natur. Das meinen jedenfalls die Gcgner dcr Wasserkraftnut-

Biologie in unscrer Zeit / 28. Jahrg. 1998 / Nr. 3 0 WILEY-VCH Verlag GmbH, 69469 Weinhelm, 1998 0045-205X/98/030~-0149 $17.JO + .J0/0

zung. Und sic haben haufig recht - aber of- fenbar nicht immcr. Denn cinc ganze Rcihc von Stausccn, die zur Wasscrkraftnutzung ge- baut worden sind, dieiien dcm Naturschutz. Es gibt sogar unter ihncn ,,Feuchtgebictc von internationaler Bedeutung" [9] und ,,Ruropa- reservatc" oder hcrausragendc Wildschutzgc- biete wic etwa Grofistausecn in Afrika und Siidasieii [Ill. Sind dcr Naturschutz und sci- nc Verfechter so paradox, dafl sie zunachst ge- gen Stausccn kampfcn, urn sic nachher unter Schutz stellen zu wollen? - U m cine derartigc Fragc behandcln zu kiinncn, miissen wir uns zunachst etwas genaucr ansehcn, was Stau- seen eigentlich sind.

Typen von Stauseen

Stauseen gibt es in viclcn unterschicdlichen Formen und G r & m Sie reichen von kleinen Quervcrbauungen in Bachen mit Kickstau-

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150 Lebensraume - Lebensformen

wirkung bis zu den riesigen Speichern der Wolga, am Sambesi odcr am Parani. Die Ty- pen umfasscn Talsperren und Fluflkraftwcrke mit Schwellbetricb, in dencn Wasser zuruck- gehaltcn w i d , wenn der Strombcdarf gering ist, und mchr Wasser abgelassen wird, wenn Strorn gebraucht wird. Alpine Speicher und ausgedehnte Flachseen gehoren auch ins Spcktrum (Abbildung 2).

Es verstcht sich von sclbst, dafl die Auswir- kungcn auf den gcstauten Flufl schr stark vom Typ dcs Stausees abhangcn. Aber es gibt auch natiirlicherwcisc entstandenc ,,Stauseen", wic ctwa den Ruckstaubcreich oberhalb dcr Was- serfallc an1 Iguassu in Sudostbrasilien oder voralpine Sccn, wie den Chiemsee oder den Amniersee. In lctztere flieflcn verhaltnis- niaflig kleine Flussc, die durch das von End- morancii aufgestautc Scebecken hindurch- mussen, bis sie ihren Lauf wieder fortsctzen k6nnen. Was ihncn fehlt, ist dic Barriere einer Staumauer, uber die das Wasscr abstiirzt, - abcr auch das ist bcispielsweise bcim Boden- seebecken der Fall. Die Barriere ist der Rhcinfall bei Schaffhausen. Es ist daher durchaus zulassig, dcn Ubergang vom Flufl zum SCC als etwas ,,Flicflendes" zu bctrach- tcn. Wasserbautcchnik und Wasserwirtschaft benutzen ubereinkunftsgemal3 als Trennwert eine Vcrwcildauer des Wassers von zehn Stun- den (31s Austauschrate). Braucht das Wasser langcr, hat das Gewasscr ,,Seencharakter". Dauert der Austausch wenigcr als zehn Stun- dcn, uberwicgt dcr ,,Charaktcr cines FlieB- gewasscrs".

Obwohl viele Stauseen mittlcrcr Grofle in diescin Uiibcrgangsbercich liegen, gibt cs zahl- reiche, bei dcncn cindeutig der Seencharaktcr dominiert. Sie wcrdcn dann als Talspcrren be- zeichnct odcr einfach ,,See" genannt, wic dcr Forggensee im R l l g a ~ am obcrcn Lech. An- dcre wiederuin - weniger bekannt - sind langst zum ,,Fluflcharakter" zuruckgekehrt odcr von Anfang an in diesein Zustand ver- blicbcn. ,,Laufstaue" wcrden sie genannt. Pro Zeiteinhcit flick so vie1 Wasscr durch sie durch, dafl cs nicht zur Entwicklung von Secncigenschaften kommen kann. Keincr der verschiedcnccn Typen lrann vom Naturschutz grundsatzlich als ,,gut" oder ,,schlecht" ein- gcstuft werden, aufler man lehnt Wasserkraft- iiutzung vollig ab. Entzichcn sich Stauseen deshalb vollig cincr (einigermaflen) objekti- vcn Bewertung? - Offensichtlich kann das nicht so scin, denn sonst warc es widersinnig, dafl Stausccn zu Naturschutzgcbieten erklart werdeii.

Abb. 2. Innstausee Egglfing-Obernberg am unteren Inn, ein typischer Laufstausee. Zu- stand bei hoher Wasserfuhrung des Flusses; alle Schleusen, linker Teil der Staumauer, sind offen; rechts befindet sich der Turbi- nenteil. Im Hauptstauraum machen sich die Verlandungen bemerkbar, und die Stro- mungsverhaltnisse werden dank der hohen Schwebstofffracht sichtbar. (Foto: Innwerk AG, Toging.)

Okologische Grundprozesse

Mit dem Bau cincs Stausees wird ohne Frage der vorherige Zustand des Flusscs nachhaltig verandcrt [2]. Die Stromung wird stark abge- brenist, der Wasscrkiirper insgesamt im gc- stautcn Abschnitt vergroflert, das freie Durchflieflen eingeschrankt (nicht untcrbun- den, denn das Wasser flieflt durch die Turbi- nen, zum Teil auch uber Schlcusen oder Uberlaufc) und im Ruckstaubereich versinkt Land in dcn Fluten. Ein mehr oder wcniger groBer Damm begrenzt das Staubecken und vcrhindert die Ubcrflutung der angrenzenden

Auen bei Hochwasscr. Nicht sclten wird auch der Grundwasseraustausch eingeschrankt oder vom Urnland zurn gcstauten Abschnitt des Flusses unterbundcn. Die Abbremsung der Flieflgeschwindiglteit fiihrt zur Ablage- rung von Sediment in den Staubccken, die nach und nach verschlammcn und verlandea (Abbildungcn 3 und 4). GFOfl4-e Wasser- flachen verandern das Klima im Umfeld. Die fischereilichen Ertragc vcrschiebc? sich von typischcn Fluflfischen zu andercn Arten, etwa von Forellen und Aschen zu Brachsen und Karpfen. Vcrstandlichcrweise schen viele Mcnschen in der Errichtung von Stauseen ei- nen schwerwiegenden Eingriff in den Gewas- serhaushalt. Sie sind bercit, den Widerstand des Naturschutzes zu unterstiitzen.

Fortwahrende Dynamik

Doch mit Verandcrungen in Tcilbereichen des Systems ist keine Bilanzierung gcgeben [5 ,h ] . Die Vorgangc insgesamt sind vicl komplexer uiid Fischertragc oder elektrischer Strom kei- ne geeigneten Kenngroflen. Flieflgewasser sind von Natur aus sehr dynamisch [l]. ,,Man steigt nic zweimal in denselbcn Flufl" sagt das Sprichwort, was ausdruckt, dafl sich der Zu- stand unablassig andcrt. Wasscrfuhrung, Tempcratur, Jahrcszeit, mitgcfiihrte fcste und gelostc Stoffe verandcrn sich im FlieBgewas- ser wie das Wettergcschehen von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr. Mittelwertc sagen so vie1 oder so wcnig aus wic die metcorologischen Durchschnittswcrte. Hochwasser kommen wie Sturmc und Sturmfluten, sommerliche oder winterliche Nicdrigwasserphasen wie Sommcrhitze odcr eisige Winterkalte. Die ,,normalcn" Schwankungen im Flicflgewasser ubcrsteigen bci weitem dic mittleren Zustan- de. Dic Organismcn sind darauf eingerichtet, und sie miisscn es sein, sonst hattcn sie einen derart variablen 1,cbcnsraum gar nicht erfolg- reich bcsicdeln konncn. In Kurzform aus- gedruckt heifit das: Es gibt kcincn ,,Grund- zustand" oder ,,Glcichgewichtszustand", sondern fortwahrende Veranderung und Dy- namik.

Wcnn es um grundsatzliche Auswirkungen eines Eingriffs in cin derartigcs Okosystem gcht, wird cs sich zumcist darum handeln, dafl die Dynamik eingeschrankt worden ist [4]. Zu starke Ausrichtung auf cinen ,,Gleich- gewichtszustand" durch den wasscrbaulichen Eingriff ist das Problem! Die Verminderung von ,,Storungen" bceintrachtigt das Flufloko- system, wenn es in einen Stau ubergefuhrt wird. Dic ,,Storung", dic der Eingriff verur-

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Stauseen 151

Abb. 3. Abbremsung der Stromungsge- schwindigkeit des regulierten, das heiflt ab- tluflbeschleunigten Flusses zum Kraftwerk hin; Position 0 - 0 Kilometer Entfernung von der Staumauer; ML oder UL - Situati- on im Mittellauf- oder Unterlaufbereich; MQ - mittlere Wasserfuhrung; MHQ - Mittelhochwasser. Die Stromungsge- schwindigkeit wird zwar abgebremst, aber nicht Null; ihr Durchschnitt entspricht nach der Verlandung der Stauseen der mittleren Stromungsgeschwindigkeit des unregulierten Flusses.

sacht, unterbindet zu schr dic Storungen, de- nen das Systcm ausgcsctzt ist uiid iiach An- sicht dcr Naturschiitzcr scin sollte. Das wird deutlich, wcnn man dic Auswirkungen auf den Auwald bctrachtet.

Flu8 und FluRaue

Ndhrungsketten

Der Flu13 ist, iikologisch betrachtct, cin hc- terotrophcs System 111. Er wird, dcshalb dicsc Bezeichnung, voii auBen, vom Umland .ernihrt". Die Eigenproduktion von Biosub- stanz durch Photosynthese bleibt im liegel- fall gcriiig und auf iirtlichc Bcstandc von hohercn Wasserpflanzcn (Makrophyten) und Boden- odcr Aufwuchsalgen beschrankt. Fur die Ernahrung dcr Fische und dcr wirbcllo- sen Ticrc spielt organiscbcs Frcmdmaterial (in Form von Zcrrcibscl, ,,Detritus" genannt) dic weitaus g r o k r e Kolle. Es kommt aus dem Einzugsgebiet, vornchmlich aus der Aue. Die Flufiaue stcht mit dcm FluB in vielfaltigcr Wechsclbczichung (Abbildung 5). Bcidc bil- den cin gekoppeltes Okosystcm, worin die Auc den Teilbcrcich dcr Primarproduktion reprasentiert, voii wclcher der FluB zchrt. Auf diesc Wcisc ciitwickeln sich dic bcidcn Hauptnalirungsketten als Kanalc dcs biologi-

Abb. 4. Verlandung eines Stausees in Ab- hangigkeit von der Entfernung zum Kraft- werk (Staumauer). (A) Hauptstau, etwa 1 km flui3aufwarts des Kraftwerks. (B) Mitt- lerer Riickstaubereich, etwa 3 km vom Kraftwerk entfernt. (C) Bereich der Bin- nendeltabildung, 8-10 km vom Kraftwerk entfernt. Eingetragen ist das Urprofil zum Zeitpunkt der Einstauung (gestrichelt) und - mit dickeren Seitenbalken gekennzeich- net - der vor der Einstauung langjahrig re- gulierte Zustand des Flusses (Seitenverbau- ung). Die nach unten gerichteten Spitzen zeigen die Eintiefung des abfluflbeschleu- nigten Flusses; die schraffierten Flachen das Ausmai3 der Auflandung nach gut einem Jahrzehnt. Stausee Ering-Frauenstein am unteren Inn. Maflstab: 2 m Hohe, 100 m Breite.

schen Energicflusscs [7, 91. Die Uferzonen und die Auc bauen auf autotrophem Weg Biomasse auf, voii der ein groi3er Tcil als De- tritus in den Flui3 gclangt und die heterotro- phc Nahrungskette speist. Von dieser leben in der Hauptsache die Fischc, die Muschcln und vielc Klcinticrc im Bodenschlamm und zwi- schcn den Steinen [3]. Die Erstnutzer (Primarkonsumenten) bediencn sich dcr Bak- terien, die das organische Dctritusmaterial zersctzcn. Mchrgliedrige Nutzungsabfolgen schlicflcn sich an (Abbildung 6): Verwertcr des organischen Detritus - Klcinticrvcrwcrtcr - Fische - ,,Raub"-fischc odcr Wasservogel -

Abb. 5. Von Seitengerinnen des Flusses durchzogene Aue (unterer Inn).

Spitzcnkonsuincntcn (Pischotter, Rciher, Mcnsch). Auf dicsc Wcisc macht dic Auc den Flu13 ,,produktiv" .

Destabilisirrung durch kanalisierte Fliisse

DaB dicse Entwicklung komplcxcr, langcr Nahrungsketten vonstatten gchen kann, sctzt voraus, dai3 dic Vcrbindung mit dcr Flui3aue vorhanden ist und im FluB selbst die cntsprc- chenden Biotopstrukturen ausgebildet sind. Es handclt sich dabci vor allcm urn Flachwas- serzonen, Stramungswirbel, Kolke, Seitenge- rinnc und Buchtcn. Einc vcrcinhcitlichtc, stromungsmcchanisch wcitgchcnd idcalc ,,Rinnc" (wic sic dcr Wasscrbau viclcrorts zur ,,Abflui3ertiichtigung" fabriziert hat) bietet diese Strukturen nicht (mehr). Sie fuhrt das organischc Matcrial vie1 zu schncll in dcr StrGmung fort, so dai3 es auch bei gunstigcr Sauerstoffversorgung nicht ausreichend ge- nutzt werden kann. Da eiiie solchc Rinnc naturlicherweise kaum jemals entstehen kann, sondcrn dank dcr viclfaltigcn Untcrschiede in Gcfalle, Landschaftsstruktur und Bodcnvcr- haltnissen stets heterogene, variable Ab- flui3verhaltnisse gegeben sind, war der kunst- lichc Bau solchcr ,,Rinncn'' der crstc und entschcidende Eingriff. Fast immcr dcstabili- sierte er das vorherige, komplexe Gleich-

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6a

Abb. 6. Die beiden Hauptnahrungsketten und ihre Verzweigung im biologischen Energieflufl von Stauseen. (a) Nahrstoffarmer (A) und nahrstoffreicher Zustand (B). D - organischer Detritus als Basis der heterotrophen Nahrungsketten, die iiber die Organismen der Bo- denschlammfauna (Schlammrohrenwiirmer, Larven von Zuckmiicken und Kleinmuscheln) zu Fischen und Wasservogeln als Sekundarkonsumenten fiihren; P - pflanzliche Primarproduktion; K, - Primarkonsument; schraffierte Balken (N) - durchschnittliche Mengen an Wasservogeln der zugehorigen Nahrungskette; schwarze Balkendiagramme - trophische (das heiflt Anteile der nahrungs- okologischen Ebenen) Struktur der Wasservogelmengen. Je langer die Nahrungsketten sind, desto geringer sind die Wasservogelmengen und desto hoher liegt der Schwerpunkt der trophischen Struktur. (b) Quantifizierung der Nutzungsprozente auf den trophischen Niveaus. Die Werte geben die jeweiligen Nutzungsprozente der dariiberliegenden Nutzerstufe und damit das Ausmafl des kompletten (linke Seite, Wasserpflanzennutzung) oder unvollstandigen (rechte Seite, Nutzung des organischen Detritus) Umsatzes des jeweils der trophischen Ebene zuzurechnenden Anteils der verfiigbaren Produktion wieder. Der Unterschied zwischen den Nutzungsprozenten der Wasserpflanzen- und Schlarnmfaunaverwerter verschwand mit der Einstellung der Jagd auf Wasservogel [7].

gcwicht zwischcn Aiilandung und Abtragung voii Material, das sich in Umlagerungen auficrtc und die sich bestandig wandclnde, viclfaltige F l u h a t u r crzeugtc (Abbildung 7). Dic natiirliche Seitcncrosion [9] konnte nicht mchr stattfindcn. Sie wandeltc sich zur Tiefencrosion.

Mit dem ,,Ausbau", der so gut wie immcr cine Begradigung und Kanalisierung des Flufilaufs war, setztc der Prozei3 dcr Eintie- fung ein. Vor allem die Fliisse mit vie1 Gefallc schnittcn sich schon in wenigen Jahrzehnten nach ihrer Bcgradigung metcrtief [9] in den Untcrgrund cin. Flui3 und F l u h e verlorcn damit nach und nach dcn Kontakt. Durch Langsvcrbau mufiten dic Ufer ,,stabilisicrt" werdcn. Um so starker wurde die Ein-

tiefungstendcnz. Die Landwirtschaft gewann durch dicscn Prozcfi cntlang dcr begradigten Fldsse und Striimc beachtlichc, zumeist auch rccht produktivc Flachen. Mittlere Hoch- wasser gingen zuriick und crreichten die Aue iiicht melir.

Die gcstcigerte Strdmungsgeschwindigkeit kornmt durch die Verkiirzung der Lauf- strecke bci der Begradigung zustaiide. Unsere kanalisierten Fliisse flieficn, bezogcn auf den urspriinglichcn Zustand, vie1 zu schncll. Noch starker wirkt sich aus, dafi in den kana- lisierten Flieastrccken dic Variabilitat der Stromung wic auch der Wassertiefe stark ver- mindert wurdc. Aus dcm komplcxen Gebildc ,,E'lufi'' war ein stark vereinfachter ,,Kanal" gemacht worden.

Der Aufstau

Schmaler Laufitausee

Wird nun an einem bcrcits langsvcrbauten, begradigtcn und somit weitgchcnd Jianali- sicrtcn" Flufi cin Aufstau vorgenommen, so hat das ganz andere Auswirkungcn als an ei- nem unrcguliertcn, der sich noch im Natur- zustand bcfindet 15, 6, 101. Die bcschlcunigte Striimung wird wicdcr abgebrcmst, das ver- engtc Flufibett aufgeweitet und je nach Stau- scctyp die Intcralition von Flufi und Fluflaue wiederhcrgestellt. Dcr Ringriff kann prinzi- piell einc Art von tcilweiser ,,Riicltentwick- lung" in einen naturnahcrcn Zustand bewir- kcn. Daa dics geschieht, sctzt natiirlich vor- aus, dafi dic Stauanlagc cntsprechcnd gestaltet

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Stauseen 153

wird. Dic verschicdenen Stausectypen eigiien sich hierzu in ganz unterschicdlicher Wcise. Am schlechtcsten schneidct der Typ des ,,schmalcn Laufstausccs" ab (Abbildung 8). Er wird so lronzipicrt, dafi die fluflbcgleiten- den Daminc eng am Flu13 gefuhrt werdcn. Das verursacht zwar cinen vcrgleichsweise geringcn Flachenvcrbrauch, aber es eriniig- licht auch keinc Kiickcntwicklung in ncn- nenswertem Umfang. Der kanalisiertc Flufi wird zu eincrn ,,angchobencn Kanal" mit Gc- fillstufe (Kraftwcrk). E'lufimorphologisclie Strukturen, die den ursprunglichen Verhalt- nissen ahncln odcr gar cntsprechcn wiirden, konnen niclit cntstehen. Die vom Flufi abge- schnittenc Aue wird hochwasserfrei und da- mit fur dic Landwirtschaft oder fur Bebauung nutzbar. Der Naturschutz wclirt sich vor al- lem gegen dicsen Typ von Stauseen, der auch noch dic letzte ,,positive" Eigcnschaft, das freie Flicflen, vcriiichtct.

Breitflacbiger Laufstausee

Das Gegenstuck dazu ist der breitflachig an- gekgte Laufstausce [9]. lm Idealfall solltc sei- ne aui3erc Begrcnzung dic urspriinglichc Nie- derterrasse dcs unrcgulierten Flusses scin. In1 Staubecken wird zwar dic Stromungsgc- schwindigkcit abgcbremst, aber weiin es sich

Abb. 7. Ausgepragte Eintiefungstendenz (Tiefenerosion anstelle der Seitenerosion mit Materialumlagerungen und Maander- oder Bi- und Polyfurkationsbildung des unregulierten Flieflgewassers) vor der Ein- stauung (Jahr 1942, alte Haupt- und Ne- benfluflrinnen mit Pfeil gekennzeichnet) und nachfolgende Auflandung mit Wieder- herstellung zweier Hauptarme des Flusses (oberster Profilteil) wie im fruheren, unre- gulierten Zustand. Punktiert - Auflandung durch Sedimente mit Inselbildung; die Tiefe ist in Metern Wassertiefe nach der Einstau- ung angegeben.

Abb. 8. Minimierung des ,,Flachenbedarfs" von Stauseen fiihrt zur schlauchartigen Stauraumbildung (schrage Schraffur) ohne Regenerationsmoglichkeiten und zu sehr groflen Flachenverlusten im Auwald (ge- rastere Flache) (durch Hochwasserfreile- gung). Dieser wird/wurde dann zumeist in landwirtschaftliche Nutzflachen umge- wandelt. Uberlaufdamme an den Stellen der vor der Einstauung abzweigenden Sei- tenarme konn(t)en den Auwald ,,retten" (vergleiche auch Abb. 12).

urn einen vorher abflufibeschlcunigtcn, regu- licrten Flufi gehandelt hattc, bedeutct dies die Miiglichkcit zur Riickcntwicklung zum naturlichcn Zustand (Abbildung 9). Denn

solchc breiten Laufstausccn verlandcn ziem- lich schnell, je nachdcm, wie grofl Schwcb- stofffracht und Gcschiebcfuhrung sind. Fur die Energiegcwinnung spiclt das kcinc we- sentliche Rolle, denn bei Laufstauseen wird in der Rcgcl iiur die aktuell kommende Was- sermcnge genutz,t (71. Einc yasserspciche- rung ist nur in gcringem [email protected]?jglich; zu- ma1 bci Hochwasscr.

Renaturierung kanalisierter Flusse

Kann das Staubccken verlandcn, s o stcllt sicli im Laufe der Zeit das hydrologischc Gleich- gewicht zwischen Anlandung und Abtragung wiedcr cin. Das bcdcutet, dafi sich der naturli- chc Fluaqucrschnitt mit der zugchiirigen, passcnden Stromungsgcschwindigkcit wiedcr cinstellt. Auf den Kics-, Sand- und Schlick- banken, die dabei cntstehen, cntwickeln sich neuc fluflbegleitcnde Auwaldcr - sofern dicse Entwicklung zugelassen wird! Das gilt insbe- sondere fur Stauseen, dic vorher kanalisiertc Fluhi indungen mit einbeziclicn. Die typi- schc Deltabildung kann wieder zustande- kommen.

Das Miindungsdelta der Salzacb

Das Miindungsdelta der Salzacli in den Inn (Abbildung 1) zeigt cinen solchcn Zustand ci- nes wicdcrerstandcncn Flufidcltas, das kaum

Abb. 9. Ruckentwicklung ufernaher Bereiche in einem verlandenden Stausee zum natur- nahen Zustand. Weichholzaue mit Seitenarmen und Inseln sowie periodisch trockenfal- lenden Flachwasserbereichen am unteren Inn.

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154 I. e b ens ra u m e - L e b e n s f o y m e n

v o n ciiieni vollig naturlichen zu untcrschei- den ist - und aus prinzipicllcr Sicht auch nicht untcrschieden wcrdcn kann, weil es dic- sclbcn iiaturlichcn Prozcssc ausgebildct ha- bcn. Untcr gunstigcn Umstandcn renaturiert sich a u f dicsc Weise dcr FluiS iibcr crheblichc Strccken sclbst. Voraussctzung ist, dafi ihm dcr d a m iiotwcndige h u m gegebcii wird. Am untcrcii Inn gab es bei dcr Errichtung des Stausccs Ering-Fraucnstein im Jahre 1942 sol- chc giinstigcn Urnstandc. Auf fast 80 Prozcnt dcr Gcsaintstrcckc hat s ich dort der Inn mit Scitcnarmcn, Buchten und Iiiscln in eiiicr Wcisc von sclbst renaturicrt, dafi die gcgen- wiirtigc Vcrteiluiig von Land und Wasser fast gcnau den urspriiiiglichcn Verhaltnissen vor dcr Rcgulicrung cntspricht (Abbildung 10). Es daucrtc nur gut cin Jahrzehnt, bis dic Vcr- laiidung ahgcschlosscn war. Danach pendeltc sic rnit dcm Wechscl dcr Hochwasser- und Nicdcrwasscrphasen. Dafi diesc Riickent- wiclilung so schncll vonstattcn gehen konnte, licgt an dcr aui3crordentlich hohen (naturli- chcn) Schwcbstofffracht des Inns. Zur Zcit dcr holien Wasserfiihrung im Juni odcr Juli - langjahrig gemittclt - traiisportiert diescr aus dcin Glctscherbercich dcr Zcntralalpen kom- incnde FluiS fast cine Million Tonnen Schwcbstoffc. Ruckstaubcrciche mit cinein Voluincn von 36 Millionen Kubikmctcrn

fiillten sich in zchn bis zwolf Jahrcn uin 27 Millionen Kubikmcter auf 191. Das ver- bliebcnc Volumen cntspricht dem dcs unregu- licrtcii F'lusscs auf dcr rund IS km langcn Staustrecltc. Darin sind nur die letztcn 500 m vor dcm Kraftwcrk hinsichtlich der Stro- mung bei Mittel- und Nicdrigwasscr deutlich abgcbrcmst auf 0,2 inis und die nach dem Kraftwcrk folgcndc Fliefistrccke auf 1-2 m/s bcschleunigt. Der iibrigc Bereich flicflt niit dcr gcbietstypischen Geschwindigkcit mit starker Variabilitat und in Abhangi,k (7 L'lt ' von dcr aiikommcnden Wasscrnienge.

Die Ruwalder, die sich auf den Inseln cnt- wickclt haben, konnen als cchte Urwaldcr cingcstuft wcrden, wcil sie in cincr ein halbcs Jahrhundcrt langen Entwicklung ohne Ein- griffe seitens dcs Mcnschcn geblicben sind. Die ncu entstandcne, dem urspriiiiglichcn Flufl schr ahnlichc Wasserwildnis ist als ,,Fcuchtgebict von intcrnationaler Bcdcu- tung" und ,,Europareservat" ausgewiesen und uiitcr Naturschutz gestellt wordcn (Ab- bildung 11). Die Stauseen am untcrcn Inn sind, zumindest zum Teil, Bcispiele fur die Moglichkcit, einen vollig reguliertcn und ka- nalisicrtcn Flufi wiedcr weitgehend zu rena- turieren.

Abb. 10. Fortgeschrittene Renaturierung eines mehrere Kilometer umfassenden Ruckstaubereichs mit Hauptlauf und Sei- tengerinne sowie vielen Inseln und Neben- armen dazwischen. Die Verteilung von Flui3laufen und Seitenbuchten sowie Lage und Grofie der Inseln decken sich weitge- hend mit den Verhaltnissen vor der Regu- lierung des unteren Inns im 19. Jahrhun- dert. Innstausee Ering-Frauenstein im Be- reich ,,Muhlau".

Riickbau

Ein jiingcrcr Typ, die Stufe Pcrach am Inn, zcigt sogar, dafi das Konzcpt dcr ,,Ubcrlauf- damme" funktioniercn kann (Abbildung 12). Dcr Ruckstauraum ist so gestaltct, dafi ein ganz flacher, nur im kraftwerksnahcn Ab- schnitt als solchcr uberhaupt erkcnnbarer Damm dic Mittel- uiid Nicdcrwasserfiihrung fafit und dem Kraftwcrk zuleitet. Dieses ist, wie dic meistcn Laufkraftwerke, auf eine Grenzkapazitat ausgcbaut, die ciner mittlcren Wasscrfiihrung cntspricht. Hochwasscr kaiin niclit iibcr die Turbinen abgcfiihrt werdcn. Es mufi iibcr Wchrc und Uberlaufc abgelassen wcrdcn - odcr iibcr Damme, die an den ab- zwcigcnden Scitcnarmen dcs ehemals unregu- lierten Flusses entsprechcnd ausgebildcte Uberlaufstellen tragcn. Das Hochwasser ge- langt dann wie vor dcr Regulicrung in den

Auwald. Es licgt an den Gcnchrnigungs- bchorden und oft auch an politischen Ent- schcidungen, ob Hochwasscr in die Aue ,,diirfen", Uberlaufdammc richtig gebaut wcrden konncn odcr an den Kraftwcrken die untercn Sperrcn zu offneii sind, wcnn da- durch die Fluflsohle in Bewegung gcrat und wieder Kies und Grobgc+cbe transpor- tiert. Der Wasserbau kiinntc*;eirien weitgehen- dcn Riickbau ermoglichen, wo' aus anderen Griindcn eine vollige KcnaturierLmg - zumin- dcst dcrzcit und in naher Zukunft - unmog- lich erscheint. Sogar die auf Stromung ange- wicsenen (rheophilcn) 'Ticre ltonnten sich wicdcr eiiifinden und Fischwanderungen wieder crmijglicht werdcn.

Wo allerdings die Flusse wcitgehcnd ihre Auen vcrloren haben, wird auch ein ,,Ruck- bau" allcin nicht mehr die gewiinschten Wir- kungen cntfalten. Denn Struktur a k i n rcicht ebcnsowenig wie cine gutc Nahrstoffversor- gung ohne die passcndcn Biotopstrukturen. Die Nahrstoffversorgung dcr Fliisse und Stauseen, insbesondere rnit organischem De- tritus, wird durcli die umfangrcichcn Wasser- reinhaltungsmaflnahmcn (biologischc Klar- anlagen) zunehmcnd kritischer. Einseitige Mafinahmen kiinncn sich d a m ins Gegenteil der bcabsichtigtcn Wirkung cntwickcln [XI.

Bilanzierung

Stausccn lassen sich iiltologisch und natur- schutzfachlich durchaus cinhcitlich beurteilen und hinsichtlich ihrcr Auswirkungcn bilan- zieren [5, 61. Nicht der Einzelfall client dabei als Beispiel, sondcrn die Bczichung des ge- genwartigeii Zustaiids auf den ursprungli- chcn. Basis solltc dcr unrcgulicrtc Flufl seiii

(Soll-Wert). Der gcgcnwartigc Zustand (Ist- Wert) wird init dcin Soll-Wert verglichen. Handelt cs sich um cine Planung, kann das vorgcgebene Konzept als Ziel-Wert aufgefadt und glcichfalls init einhczogcn werdcn. Die quantitative Bcwertung crfolgt anhand der Hauptgroflen, wclche die okologischen Pro- Z C S S ~ im (Stausee-)Okosystcm bestimmen:

Wasscrfiihrung,

Stromungsgcschwindigkeit,

0 Materialfrachten,

0 Tempcratur,

0 innere Struktur und Intcraktionsflache von FluR und FluiSauc.

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Stauseen 155

Abb. 11. Entwicklung einer ,,Wasserwildnis" und echtem, da voin Menschen seit Beginn seiner Entstehung nicht mehr beeinflufiten ,,Urwald" auf den Inseln am unteren Inn: Le- bensrauin von Bibern und zahlreichen, vielfach auch seltenen Wasservogeln und anderen Tieren sowie auwaldtypischen Pflanzen.

Letzterc gcwinnt bcsondcre Bcdcutung, wcnn der Zustand dcs unregulicrten Flusses nur noch aiihand dcr altcn Kartcn crmittelt wcr- den kann. Bci dcn dynaniischen KcniigrijiScn mufl die Scliwanltuiigshreitc mit einbcxogcn werden. Dcnn cs ist haufig gerade die Vcrmin- derung dcr naturlichcn Variabilitat, die sich bei wasscrbautcclinisclicn Mafinahmen ein- stellt und iikologisch auswirkt. Alle Griificn sind quantitativ failbar und uber den 1st-Soll- Eel-Wert-Vcrglcich auch bcwertbar. Stausccn sind dann untcr Unistandcn vcrtrctbar, wciiii sie dic Vcrhaltiiisse vom 1st-Zustand in Rich- tung Soll-Wcrt verscliicben, abcr vom Natur- schutz abxulchncn odcr betrachtlichcn Kor- rekturcn zu untcrzichen (im Falle von Pla- nungen), wcnii sic cine wcitcre Entfernung voni Soll-Wcrt crgcbcn. Aus iikologiscli-na- turschutzerischcr Sicht ist der Aufstau von noch unrcguliertcn E'lieiigewasscrn zumin- dest in Mittcleuropa gruiidsatzlich abzuleh- nen, wo es ohnchin kaum mehr unregulicrte Flieflgewasscr gibt. In aiidcren Kcgionen wird es sich um cin Abwagungsprobleni handeln, bei dcin die Strulcturicrung dcs zu errichtcii- den Stausces uiid sciiic Auswirkungen auf das Unifeld cine zciitralc Kolle spielcn sollten. Es gibt jedoch keinen zwingendcn ,,okolo- gischcn" Grund fur cine generelle Ablch- nung.

River impoundments: final death or revitalization of rivers?

Tlic construction of rivcr impoundments or reservoirs is gcnerally opposed aiid rejccted by conservationists and conscrvation autho- rities. They speak of the ,,death of thc rivcr'' and plans of impoundmcnts are heavily fight- ed against in many instances. But in other cascs impoundnicnts have been set asidc as nature protection areas of intcrnational im- portaiicc, because of the richncss of lifc which had developed therein. It seems difficult to follow thc logical lines in such a contradictory situation, but with respect to real and quanti- fiablc facts of the ecology of river impound- ment evaluations arc in fact possible and reliable. The basis has to be an ccological system which compares thc actual statc of the river, if corrected already to a more or less cx- tensive degree or still in a natural state, with the likcly outcome of the impoundment con- struction after the completion of uplanding and revitalization. Such a proccss will inevi- tably take place if the typc of iinpoundmcnt construction allows the river to sct up thc ba- lance bctwccn crosion and sedimentation ac- cording to the variable flow of water through time. To know the facts and possibilities opens several options to give nature its chan-

Abb. 12. Uberlaufdamm an der Innstufe Perach. Bei Hochwasser kann bier an der ursprunglichen Abzweigungsstelle eines Seitenarms das Flufiwasser in die Aue lau- fen und diese okologisch funktionstuchtig halten (sofern die Genehmigung dazu schon bei leichten und mittleren Hochwas- sern erteilt wird!).

ce provided that wc accept thc initial hybrid- nature of the impoundment and we set aside widespread and firm prejudices.

Literatur

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Josef H. Reichholf, gcb. 1945. 3969 Pro- motion im Fachbe- rcich Zoologie an dcr Universitat Munchen, anschlieflend Ixitung dcr ,,okosystemfor- schung Innstauseen", teilwcisc finanziert von dcr D F G uiid der Abteilung Faunistik

und Okologie; gcgcnwartig Leitung der Ab- teilung Wirbelticre an der Zoologischcn Staatssammlung in Munchen und Lchre der Fachcr Naturschutz und Gewasscriikologie an der Tcchnischcn Univcrsitat Miinchen. Studicn an Stauseeii in Sudamerika und Sud- asicn. Derzcitige Schwerpunktc der For- schung in der Okologic und der Evolutions- biologic

1111 G.-P. Zaunkc, R.-G. Nicmeyer, K.-I? Gillc\ (1992) Lininologie der Tropcn und Prof. Dr. Joscf H. Reichholf, Zoologischc Subtropcn. Grundlagcn und Prognoscvcrfah- Staatssammlung Munchen, Abt. Faunistik rcn der lirnnologischen Entwiclrlung von und Okologie, Munchhauscnstr. 21,11-81247 Stauceen. k,comcd, Landsberg. Munchen.

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