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0BStefan George (1868-1933) Das Jahr der Seele (1897/ 98) Komm in den totgesagten park und schau: Der schimmer ferner lächelnder gestade Der reinen wolken unverhofftes blau Erhellt die weiher und die bunten pfade. Dort nimmt das tiefe gelb das weiche grau Von birken und von buchs der wind ist lau Die späten rosen welkten noch nicht ganz Erlese küsse sie und flicht den kranz Vergiss auch diese letzten astern nicht Den purpur um die ranken wilder reben Und auch was übrig blieb von grünem leben Verwinde leicht im herbstlichen gesicht. […]

Stefan George - Gedichte

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Stefan George (1868-1933): "Das Jahr der Seele"/ "Blaue Stunde"/ aus DER SIEBENTE RING: "Nietzsche" und "Der Widerchrist"/ "Der Stern des Bundes"/ aus DAS NEUE REICH: "Licht" und "Du schlank und rein wie eine flamme".

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Page 1: Stefan George - Gedichte

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D a s J a h r d e r S e e l e ( 1 8 9 7 / 9 8 )

Komm in den totgesagten park und schau:Der schimmer ferner lächelnder gestadeDer reinen wolken unverhofftes blauErhellt die weiher und die bunten pfade.

Dort nimmt das tiefe gelb ∙ das weiche grauVon birken und von buchs ∙ der wind ist lauDie späten rosen welkten noch nicht ganz ∙ Erlese küsse sie und flicht den kranz ∙

Vergiss auch diese letzten astern nicht ∙ Den purpur um die ranken wilder reben ∙ Und auch was übrig blieb von grünem lebenVerwinde leicht im herbstlichen gesicht.

[…]

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0BD e r T e p p i c h d e s L e b e n s u n d d i eL i e d e r v o n T r a u m u n d T o d m i te i n e m V o r s p i e l ( 1 8 9 9 / 1 9 0 0 )

B L A U E S T U N D E

An Reinhold und Sabine Lepsius

Sieh diese blaue stundeEntschweben hinterm gartenzelt!Sie brachte frohe fundeFür bleiche schwestern ein entgelt

Erregt und gross und heiterSo eilt sie mit den wolken – sieh!Ein opfer loher scheiter.Sie sagt verglüht was sie verlieh.

Dass sie so schnell nicht zögenSo sinnen wir ∙ nur ihr geweiht – Spannt auch schon seine bögenEin dunkel reicher lustbarkeit.

Wie eine tiefe weiseDie uns gejubelt und gestöhntIn neuem paradeiseNoch lockt und rührt wenn schon vertönt.

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D e r s i e b e n t e R i n g ( 1 9 0 7 )

0BD E R W I D E R C H R I S T

›Dort kommt vom berge ∙ dort steht er im hain!Wir sahen es selber ∙ er wandelt in weinDas wasser und spricht mit den toten.‹

O könntet ihr hören mein lachen bei nacht:Nun schlug meine stunde ∙ nun füllt sich das garn ∙ Nun strömen die fische zum hamen.

Die weisen die toren – toll wälzt sich das volk ∙ Entwurzelt die bäume ∙ zerklittert das korn ∙ Macht bahn für den zug des Erstandnen.

Kein werk ist des himmels das ich euch nicht tu.Ein haarbreit nur fehlt ∙ und ihr merkt nicht den trugMit euren geschlagenen sinnen.

Ich schaff euch für alles was selten und schwerDas Leichte ∙ ein ding das wie gold ist aus lehm ∙ Wie duft ist und saft ist und würze –

Und was sich der grosse profet nicht getraut:Die kunst ohne roden und säen und baunZu saugen gespeicherte kräfte.

Der Fürst des Geziefers verbreitet sein reich ∙ Kein schatz der ihm mangelt ∙ kein glück das ihm weicht ..Zu grund mit dem rest der empörer!

Ihr jauchzet ∙ entzückt von dem teuflischen schein ∙ Verprasset was blieb von dem früheren seimUnd fühlt erst die not vor dem ende.

Dann hängt ihr die zunge am trocknenden trog ∙ Irrt ratlos wie vieh durch den brennenden hof ..Und schrecklich erschallt die posaune.

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Horst Nalewski: Nachwort. In: Stefan George: Gedichte. Leipzig, Reclam, 1. Aufl. 1987, S. 145–168, S. 148:

Zu denen, die an Georges Sterbebett in Muralto Totenwachegehalten hatten, gehörte der sechsundzwanzigjährige Claus GrafSchenk von Stauffenberg, der 1944 das Attentat auf Hitlerverübte und es mit seinem Leben bezahlte. Er starb mit dem Ruf:„Es lebe unser heiliges Deutschland!“ Da war ein Gedicht StefanGeorges, das wie ein geheimes Zeichen unter den FreundenStauffenbergs umging: das schon 1907 erschienene DerWiderchrist; die Vision des undurchschauten Täuschers, desvollkommenen Betrügers, des verheerenden Demagogen. Demmit Gedichten Lebenden musste die Analogie aufstehen zu demVerderber Deutschlands, zum Führer-Verführer; auch konnte erdie tödlichen Gefahren lesen, die dem „empörer“ galten, und dasmögliche Zu-Spät für alle in dem Vers Und fühlt erst die not vordem ende. Stauffenbergs Haltung und Tat war dem Geist StefanGeorges verpflichtet, in einer reinen und opferbereiten Gestalt;deshalb möchten wir hier von einem Umschlag in einen„brüderlichen Aristokratismus“ sprechen, der vom Mit-Menschenweiß und ihm sein Höchstes zu geben willens war: das Leben.

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0BN I E T Z S C H E

Schwergelbe wolken ziehen übern hügelUnd kühle stürme – halb des herbstes botenHalb frühen frühlings ... Also diese mauerUmschloss den Donnerer – ihn der einzig warVon tausenden aus rauch und staub um ihn?Hier sandte er auf flaches mittellandUnd tote stadt die letzten stumpfen blitzeUnd ging aus langer nacht zur nächsten nacht.

Blöd trabt die menge drunten ∙ scheucht sie nicht!Was wäre stich der qualle ∙ schnitt dem kraut!Noch eine weile walte fromme stilleUnd das getier das ihn mit lob beflecktUnd sich im moderdunste weiter mästetDer ihn erwürgen half sei erst verendet!Dann aber stehst du strahlend vor den zeitenWie andre führer mit der blutigen krone.

Erlöser du! selbst der unseligste –Beladen mit der wucht von welchen losenHast du der sehnsucht land nie lächeln sehn?Erschufst du götter nur um sie zu stürzenNie einer rast und eines baues froh?Du hast das nächste in dir selbst getötetUm neu begehrend dann ihm nachzuzittern Und aufzuschrein im schmerz der einsamkeit.

Der kam zu spät der flehend zu dir sagte:Dort ist kein weg mehr über eisige felsenUnd horste grauser vögel – nun ist not:Sich bannen in den kreis den liebe schliesst ..Und wenn die strenge und gequälte stimmeDann wie ein loblied tönt in blaue nachtUnd helle flut – so klagt: sie hätte singenNicht reden sollen diese neue seele!

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D E R S T E R N D E S B U N D E S ( 1 9 1 3 )

Alles habend alles wissend seufzen sie:›Karges leben! drang und hunger überall!Fülle fehlt!‹Speicher weiss ich über jedem hausVoll von korn das fliegt und neu sich häuft –Keiner nimmt ..Keller unter jedem hof wo siegtUnd im sand verströmt der edelwein –Keiner trinkt ..Tonnen puren golds verstreut im staub:Volk in lumpen streift es mit dem saum –Keiner sieht.

Ihr baut verbrechende an maass und grenze:›Was hoch ist kann auch höher!‹ doch kein fundKein stütz und flick mehr dient .. es wankt der bau.Und an der weisheit end ruft ihr zum himmel:›Was tun eh wir im eignen schutt erstickenEh eignes spukgebild das hirn uns zehrt?‹Der lacht: zu spät für stillstand und arznei!Zehntausend muss der heilige wahnsinn schlagenZehntausend muss die heilige seuche raffenZehntausende der heilige krieg.

Schweigt mir vom Höchsten Gut: eh ihr entsühntMacht ihr es niedrig wie ihr denkt und seid ..Gott ist ein schemen wenn ihr selbst vermürbt!Schweigt mir vom weib: eh ihr all dies nicht sehtWas unterm fruchtbar schmerzenvollen prallDes stärkeren in lust erstöhnen muss.Schweigt mir vom volk: da euer keiner ahntDen fug von scholle und gesteinter tenneDen rechten mit- und auf- und unterstieg –Das knüpfen der zersplissnen goldnen fäden.

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Wägt die gefahr für kostbar bild und blattWovor ihr kniet wie wir – beim grossen brand!›Viel mehr vernichtet sie wenn sie euch bleibenEur ätzend gift und euer sammelgrabAls trümmerstatt und mütterlicher schlund.Einst mag geschehn dass aus noch kargern restenVom schutt behütet – aus geborstner wandVerwittertem gestein zerfressnem erzVergilbter schrift ein lebensich entzünde! ..Die art wie ihr bewahrt ist ganz verfall.

Weltabend lohte .. wieder ging der HerrHinein zur reichen stadt mit tor und tempelEr arm verlacht der all dies stürzen wird.Er wusste: kein gefügter stein darf stehnWenn nicht der grund ∙ das ganze ∙ sinken sollDie sich bestritten nach dem gleichen trachtend:Unzahl von händen rührte sich und unzahlGewichtiger worte fiel und Eins war not.Weltabend lohte .. rings war spiel und sangSie alle sahen rechts – nur Er sah links.

Wer je die flamme umschrittBleibe der flamme trabant!Wie er auch wandert und kreist:Wo noch ihr schein ihn erreichtIrrt er zu weit nie vom ziel.Nur wenn sein blick sie verlorEigener schimmer ihn trügt:Fehlt ihm der mitte gesetzTreibt er zerstiebend ins all.

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Neuen adel den ihr suchetFührt nicht her von schild und krone!Aller stufen halter tragenGleich den feilen blick der sinneGleich den rohen blick der spähe ..Stammlos wachsen im gewühleSeltne sprossen eigenen rangesUnd ihr kennt die mitgeburtenAn der augen wahrer glut.

AUF NEUE TAFELN SCHREIBT DER NEUE STAND:Lasst greise des erworbnen guts sich freuenDas ferne wettern reicht nicht an ihr ohr.Doch alle jugend sollt ihr sklaven nennendie heut mit weichen klängen sich betäubtMit rosenketten überm abgrund tändelt.Ihr sollt das morsche aus dem munde speinIhr sollt den dolch im lorbeerstrausse tragenGemäss in schritt und klang der nahen Wal.

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S t e f a n G e o r g e ( 1 8 6 8 - 1 9 3 3 )

D A S N E U E R E I C H ( 1 9 2 8 )

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D A S L I C H T

Wir sind in trauer wenn ∙ uns minder günstigDu dich zu andren ∙ mehr beglückten ∙ drehstWenn unser geist ∙ nach anbetungen brünstig ∙ An abenden in deinem abglanz wes`t.

Wir wären töricht ∙ wollten wir dich hassenWenn oft dein strahl verderbendrohend stichtWir wären kinder ∙ wollten wir dich fassen –Da du für alle leuchtest ∙ süsses Licht!

Du schlank und rein wie eine flammeDu wie der morgen zart und lichtDu blühend reis vom edlen stammeDu wie ein quell geheim und schlicht

Begleitest mich auf sonnigen mattenUmschauerst mich im abendrauchErleuchtest meinen weg im schattenDu kühler wind du heisser hauch

Du bist mein wunsch und mein gedankeIch atme dich mit jeder luftIch schlürfe dich mit jedem trankeIch küsse dich mit jedem duft

Du blühend reis vom edlen stammeDu wie ein quell geheim und schlichtDu schlank und rein wie eine flammeDu wie der morgen zart und licht.