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Redaktion U. Müller-Ladner, Bad Nauheim U. Lange, Bad Nauheim Z Rheumatol 2011 · 70:882–883 DOI 10.1007/s00393-011-0910-7 © Springer-Verlag 2011 J. Braun · K. Krüger · E. Genth Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie e.V., Berlin Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) zum Berichtsplan des IQWiG zu biotechnologisch hergestellten Arzneimitteln in der Zweitlinientherapie der rheumatoiden Arthritis Standpunkte Das Institut für Qualität und Wirtschaft- lichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) führt gegenwärtig im Auftrag des ge- meinsamen Bundesausschusses (GBA) eine Nutzenbewertung biotechnologisch hergestellter Arzneimittel zur Behandlung von Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) durch. Entsprechend früherer Nutzenbewer- tungen wird das IQWiG sich dabei nach eigenen Aussagen auf patientenrelevan- te Endpunkte konzentrieren. Dass pa- tientenrelevante Endpunkte eine zent- rale Rolle bei der Bewertung der Wirk- samkeit oder des Nutzens von Medika- menten in der Rheumatologie haben, ist unstrittig. Entsprechend wurden bei der Festlegung von Kriterien zur Erfolgs- messung solche Endpunkte immer wie- der, u. a. auch im Rahmen des interna- tionalen OMERACT-Prozesses, heraus- gestellt. Darüber hinaus sind solche End- punkte Teil etablierter Kriterien zur Mes- sung der Krankheitsaktivität (z. B. DAS, SDAI) und auch von Funktionsmessun- gen (z. B. HAQ, FFbH). Die Ergebnisse dieser aktuell gültigen und abgestimmten wissenschaftlich-klini- schen Beurteilungsmaßstäbe sind bei der Erstellung des Berichtsplans des IQWiG nur unzureichend berücksichtigt worden. Am Ende ist aus klinischer Sicht eine frag- mentarische Auswahl von Kriterien und Methoden erfolgt, die ein nicht zu unter- schätzendes Risiko von Fehlinterpretatio- nen und falschen Schlussfolgerungen in sich birgt. Im Einzelnen sind vor allem die fol- genden Punkte zu kritisieren: 1. Die genannten Endpunkte sind nicht valide evaluierbar. 2. Zentrale patientenrelevante Endpunkte fehlen. 3. Die statistischen Methoden zur Bewertung der Ergebnisse sind so formuliert, dass Fehlinterpretationen möglich bzw. sogar wahrscheinlich sind. Zu Punkt 1: Im Berichtsplan des IQWiG unter 4.1.4 wurde festgelegt, dass nur ran- domisierte klinische Prüfungen in die Nutzenbewertung eingehen werden. Aus dieser Festlegung folgt aber zwingend, dass die unter 4.1.3. genannten Endpunk- te, nämlich Gesamtmortalität, Auftre- ten von Deformitäten, Versteifungen und Kontrakturen, nicht valide bewertet wer- den können – denn dafür sind die Patien- tenzahlen der klinischen Studien zu klein und der Beobachtungszeitraum von klini- schen Prüfungen viel zu kurz. Hierfür kä- men allenfalls Registerdaten in Frage; die- se hat das IQWiG aber grundsätzlich ab- gelehnt. Überschlägig wäre, um eine Er- höhung oder Verringerung der Mortalität in einer relevanten Größenordnung von ±25% zu entdecken, für jedes untersuchte Medikament eine Beobachtungszeit von mindestens 50.000 Patientenjahren er- forderlich. Da sich die Patientenzahlen in den üblichen mit den Behörden verein- barten klinischen Studien im zwei- oder dreistelligen Bereich bewegen, ist pro Stu- die mit einer inakzeptablen Power unter 10% zu rechnen – das bedeutet, dass valide Aussagen zur Gesamtmortalität auf dieser Grundlage nicht möglich sind. Dasselbe gilt für den Endpunkt „struk- turelle Veränderungen“, falls dieser, wie vom IQWiG angekündigt, über den Ver- gleich aufgetretener Deformitäten, Ver- steifungen und/oder Kontrakturen be- wertet werden soll. Deformitäten tre- ten im klinischen Verlauf meist erst nach mehreren Jahren auf der Endstrecke ra- diologisch oder mit anderen bildgeben- den Verfahren nachweisbarer Destruktio- nen auf. Deren alleinige Erfassung und die Messung von Veränderungen im Rahmen von klinischen Studien ist methodisch si- cher unzureichend. Knorpel- und Kno- chenschäden wie Erosionen und Usuren lassen sich dagegen im Zeitrahmen einer randomisierten klinischen Studie beob- achten und quantifizieren. Daher sind solche Strukturveränderungen deutlich besser geeignet, Schäden an Gelenken objektiv zu erfassen und zu quantifizie- vom Vorstand der DGRh, vorbereitet durch die Kommission Pharmakotherapie 882 | Zeitschrift für Rheumatologie 10 · 2011

Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) zum Berichtsplan des IQWiG zu biotechnologisch hergestellten Arzneimitteln in der Zweitlinientherapie der rheumatoiden

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RedaktionU. Müller-Ladner, Bad Nauheim U. Lange, Bad Nauheim

Z Rheumatol 2011 · 70:882–883DOI 10.1007/s00393-011-0910-7© Springer-Verlag 2011

J. Braun · K. Krüger · E. GenthDeutsche Gesellschaft für Rheumatologie e.V., Berlin

Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) zum Berichtsplan des IQWiG zu biotechnologisch hergestellten Arzneimitteln in der Zweitlinientherapie der rheumatoiden Arthritis

Standpunkte

Das Institut für Qualität und Wirtschaft-lichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) führt gegenwärtig im Auftrag des ge-meinsamen Bundesausschusses (GBA) eine Nutzenbewertung biotechnologisch hergestellter Arzneimittel zur Behandlung von Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) durch.

Entsprechend früherer Nutzenbewer-tungen wird das IQWiG sich dabei nach eigenen Aussagen auf patientenrelevan-te Endpunkte konzentrieren. Dass pa-tientenrelevante Endpunkte eine zent-rale Rolle bei der Bewertung der Wirk-samkeit oder des Nutzens von Medika-menten in der Rheumatologie haben, ist unstrittig. Entsprechend wurden bei der Festlegung von Kriterien zur Erfolgs-messung solche Endpunkte immer wie-der, u. a. auch im Rahmen des interna-tionalen OMERACT-Prozesses, heraus-gestellt. Darüber hinaus sind solche End-punkte Teil etablierter Kriterien zur Mes-sung der Krankheitsaktivität (z. B. DAS, SDAI) und auch von Funktionsmessun-gen (z. B. HAQ, FFbH).

Die Ergebnisse dieser aktuell gültigen und abgestimmten wissenschaftlich-klini-schen Beurteilungsmaßstäbe sind bei der Erstellung des Berichtsplans des IQWiG nur unzureichend berücksichtigt worden. Am Ende ist aus klinischer Sicht eine frag-mentarische Auswahl von Kriterien und Methoden erfolgt, die ein nicht zu unter-

schätzendes Risiko von Fehlinterpretatio-nen und falschen Schlussfolgerungen in sich birgt.

Im Einzelnen sind vor allem die fol-genden Punkte zu kritisieren:1. Die genannten Endpunkte sind nicht

valide evaluierbar.2. Zentrale patientenrelevante

Endpunkte fehlen.3. Die statistischen Methoden zur

Bewertung der Ergebnisse sind so formuliert, dass Fehlinterpretationen möglich bzw. sogar wahrscheinlich sind.

Zu Punkt 1: Im Berichtsplan des IQWiG unter 4.1.4 wurde festgelegt, dass nur ran-domisierte klinische Prüfungen in die Nutzenbewertung eingehen werden. Aus dieser Festlegung folgt aber zwingend, dass die unter 4.1.3. genannten Endpunk-te, nämlich Gesamtmortalität, Auftre-ten von Deformitäten, Versteifungen und Kontrakturen, nicht valide bewertet wer-den können – denn dafür sind die Patien-tenzahlen der klinischen Studien zu klein und der Beobachtungszeitraum von klini-schen Prüfungen viel zu kurz. Hierfür kä-men allenfalls Registerdaten in Frage; die-se hat das IQWiG aber grundsätzlich ab-gelehnt. Überschlägig wäre, um eine Er-höhung oder Verringerung der Mortalität in einer relevanten Größenordnung von ±25% zu entdecken, für jedes untersuchte

Medikament eine Beobachtungszeit von mindestens 50.000 Patientenjahren er-forderlich. Da sich die Patientenzahlen in den üblichen mit den Behörden verein-barten klinischen Studien im zwei- oder dreistelligen Bereich bewegen, ist pro Stu-die mit einer inakzeptablen Power unter 10% zu rechnen – das bedeutet, dass valide Aussagen zur Gesamtmortalität auf dieser Grundlage nicht möglich sind.

Dasselbe gilt für den Endpunkt „struk-turelle Veränderungen“, falls dieser, wie vom IQWiG angekündigt, über den Ver-gleich aufgetretener Deformitäten, Ver-steifungen und/oder Kontrakturen be-wertet werden soll. Deformitäten tre-ten im klinischen Verlauf meist erst nach mehreren Jahren auf der Endstrecke ra-diologisch oder mit anderen bildgeben-den Verfahren nachweisbarer Destruktio-nen auf. Deren alleinige Erfassung und die Messung von Veränderungen im Rahmen von klinischen Studien ist methodisch si-cher unzureichend. Knorpel- und Kno-chenschäden wie Erosionen und Usuren lassen sich dagegen im Zeitrahmen einer randomisierten klinischen Studie beob-achten und quantifizieren. Daher sind solche Strukturveränderungen deutlich besser geeignet, Schäden an Gelenken objektiv zu erfassen und zu quantifizie-

vom Vorstand der DGRh, vorbereitet durch die Kommission Pharmakotherapie

882 |  Zeitschrift für Rheumatologie 10 · 2011

ren. Der sinnvolle Endpunkt zur Erfas-sung von Strukturveränderungen ist aus Sicht der DGRh daher die in allen wich-tigen RCTs in bestimmten Kenngelenken an den Händen und Vorfüßen gemesse-ne Röntgenprogression. Dass diese mit Funktionsmaßen der Patienten korreliert, ist mehrfach nachgewiesen worden.

Zu Punkt 2: Zur Bewertung des Nut-zens von Medikamenten hinsichtlich der Symptomatik der Erkrankung wurden vom IQWiG Schmerz, Erschöpfung und Morgensteifigkeit als patientenrelevan-te Endpunkte genannt. Da diese Parame-ter vergleichsweise wenig spezifisch und kaum exakt messbar sind, wurden sie bis-her in klinischen Studien so gut wie nicht als primäre Endpunkte gewählt. Zudem sind die immunmodulatorisch wirken-den Biologika keine Analgetika bzw. kei-ne Präparate, die zur Therapie von Er-schöpfungszuständen eingesetzt werden, sondern sie sind entwickelt worden, um den Krankheits- und Entzündungsprozess gezielt aufzuhalten. Dieser zentrale Effekt hat natürlich auch Auswirkungen auf all-gemeine Beschwerden wie Schmerz, Er-schöpfung und Morgensteifigkeit, aber diese werden von anderen Einflussfakto-ren wie Komedikation und Komorbidität ebenfalls stark beeinflusst.

Das typische Gesamtbild der klini-schen Wirksamkeit von krankheitsmodi-fizierenden Medikamenten (DMARDs), die zur Behandlung dieser chronisch-progressiv verlaufenden entzündlich-rheumatischen Erkrankung eingesetzt werden, wird wesentlich besser über sog. Response-Kriterien wie ACR50 oder DAS („disease activitiy score“) 28 abgebildet, die die spezifische Krankheitsaktivität in die Beurteilung einbeziehen. In beide Kriterien-Sets gehen sowohl Patienten-selbsteinschätzungen des Gesundheits-zustands als auch weitere wichtige Para-meter wie die vom Arzt in Interaktion mit dem Patienten beurteilte Gesamtzahl schmerzhafter und geschwollener Gelen-ke ein. Auch die mindestens 50%ige Ver-besserung der Aktivität der Erkrankung (gemessen mit ACR50) oder die Einzel-skalen der Zahl schmerzhafter und der Zahl geschwollener Gelenke sind aus kli-nischer Sicht wichtige patientenbezoge-ne Outcome-Parameter. Im Gegensatz zu den vom IQWiG genannten Parame-

tern (Schmerz, Erschöpfung, Morgenstei-figkeit) sind diese in den meisten Studien erfasst worden.

Zu Punkt 3: Das IQWiG betont, dass die Bewertung patientenrelevanter End-punkte nicht nur anhand statistischer Si-gnifikanz, sondern auch anhand der kli-nischen Relevanz der beobachteten Wir-kungen (4.4., S. 13) erfolgen soll. Diesem Prinzip stimmen wir grundsätzlich zu, geben aber zu bedenken, dass die hier-zu gemachten Ausführungen unter 4.4. ein nicht zu unterschätzendes Risiko von Fehlinterpretationen nach sich ziehen. Dieses Risiko ergibt sich aus der geplan-ten Verknüpfung von Irrelevanzschwellen und Konfidenzintervallen sowie aus der Tatsache, dass klinische Prüfungen aus-schließlich auf der Grundlage von primä-ren Endpunkten geplant und berechnet werden und daher gegenüber sekundären Endpunkten eine unzureichende Power aufweisen können. Wenn für einen sta-tistisch signifikanten Wirksamkeitsnach-weis (Überlegenheit/Nichtunterlegenheit) gefordert wird, dass das Konfidenzinter-vall vollständig oberhalb der Irrelevanz-schwelle liegt, verringert dies die Pow-er der Vergleiche und kann für mehrere der betrachteten Endpunkte mit einem er-höhten β-Fehler, d. h. einem erhöhten Ri-siko, ein wirksames Medikament nicht als wirksam bzw. nützlich zu erkennen, ein-hergehen. Dieser β-Fehler stellt in diesem Fall aber auch das Risiko dar, sich zuun-gunsten der behandelten Patienten zu ir-ren.

Generell besteht die Gefahr, dass durch die bislang wenig nachvollziehbare Aus-wahl der Endpunkte am Ende für die-se dann keine ausreichenden Daten vor-liegen. Hieraus kann jedoch aus den ge-nannten Gründen nicht geschlossen wer-den, dass es keine ausreichende Evidenz für einen wissenschaftlich begründeten klinischen Nutzen gibt, sondern lediglich, dass Berechnungen angestellt wurden, die einer klinischen und methodischen Über-prüfung nicht standhalten.

Eine falsche Nutzenbewertung kann die rheumatologische Patientenversor-gung nicht unerheblich beeinträchtigen und unseren Patienten schaden.

Wir bitten daher, die von uns genann-ten Punkte bei der Erstellung des Nutzen-berichts zu berücksichtigen.

Berlin, den 16. September 2011

für die Deutsche Gesellschaft für Rheu-matologie

Prof. Dr. Jürgen BraunPräsident

Prof. Dr. Klaus KrügerSprecher der Kommission Pharmakotherapie

Prof. Dr. Ekkehard GenthGeneralsekretär

KorrespondenzadresseProf. Dr. J. BraunDeutsche Gesellschaft für Rheumatologie e.V. Köpenicker Straße 48/49, 10179 [email protected]

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