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Sabrina Fehn, MSc, Univ.-Prof. Dr. Wilfried Schnepp & Prof. Dr. André Fringer, MScN
Fachtagung Sterbefasten zwischen Selbstbestimmung und Fürsorge am Lebensende
Volkshaus Zürich, 8.03.2018
«Sterbefasten» in der Schweiz: Ergebnisse einer Umfrage
Gefördert durch das Förderprogramm:„Forschung in Palliative Care der SAMW zusammen mit der Stanley Thomas Johnson Stiftung und der
Gottfried und Julia Bangerter-Rhyner-Stiftung
2
«Sterbefasten» oder der freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit (FVNF) am Lebensende
Zeitgeist – Freiheit und Selbstbestimmung
Selbstbestimmung am Lebensende (Birnbacher 2015, Chabot & Goedhart 2009)
3
«Sterbefasten» oder der freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit (FVNF) am Lebensende
Der FVNF wird beschrieben als:
„eine Handlung, die von einer zurechnungsfähigen Person ohne kognitive Einschränkungen freiwillig und bewusst gewählt wird, auf Essen und Trinken zu verzichten, um den Tod frühzeitig
aufgrund unerträglichen anhaltenden Leidens herbeizuführen“ (Birnbacher 2015, Black & Csikai 2015, Chabot & Goedhart 2009, Ganzini et al. 2003, Ivanovic, Büche & Fringer 2013, Klein & Fringer 2013, Lachman 2015, Pope & West 2014)
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Ursachen:
• Um unakzeptable Leidenszustände zu beenden (Black & Csikai 2015, Pope & West 2014)
• Geringe Lebensqualität
• Wunsch den Sterbeprozess zu kontrollieren
• Lebensmüdigkeit, Lebenssatt (Bolt et al. 2015)
• Angst vor Abhängigkeit, Gefühl eine Last zu sein (Bolt et al. 2015)
6
Kontextfaktoren:
• (Beihilfe zum) Suizid (Quill 2015)
• Sterbenlassen (Bernat, Gert & Mogielnicki 1993, Simon & Hoekstra 2015)
• Alternative Handlungsweise (Bickhardt & Hanke 2014,
Birnbacher 2015, Ivanovic, Büche & Fringer 2013, Lachman 2015)
7
Durchführung - Entscheidungsfindung
• Abklärung möglicher Alternativen
• Entscheidungsfähige, aufgeklärte Person -Ausschluss psychischer oder kognitiver Beeinträchtigungen (Klein & Fringer 2013)
• Informierte Aufklärung durch Facharzt
• Miteinbezug von Angehörigen und Pflegepersonal in den Entscheidungsprozess
8
Durchführung – Vorbereitung & Verlauf
• Hunger / Durst
• Essen und trinken anbieten
• Umkehren ermöglichen
• Mundpflege
• Unruhe / Delir
• Gespräche führen
• Behandlung im Vorfeld besprechen
• Schmerzen - Symptombehandlung
• Eintritt des Todes innerhalb von 7 – 21 Tagen (Ivanovic, Büche & Fringer 2013)
10
Multiple Case Study
16 Fallbeschreibungen durch Angehörige, die ihre Familienmitglieder beim FVNF begleitet haben.
12
Vier Formen von FVNF
FVNF
FV(N)F FVN(F)
F(V)NF
Bewusster Entscheid, auf Nahrung und Flüssigkeit zu verzichten, um zu sterben oder das Sterben zu beschleunigen: Sterbefasten.
13
Vier Formen von FVNF
FVNF
FV(N)F FVN(F)
F(V)NF
Bewusster Entscheid, auf Nahrung und Flüssigkeit zu verzichten, um zu sterben oder das Sterben zu beschleunigen: Sterbefasten.
Implizit freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit, ohne diesen zu kommunizieren oder anzukündigen.
14
Vier Formen von FVNF
FVNF
FV(N)F FVN(F)
F(V)NF
Bewusster Entscheid, auf Nahrung und Flüssigkeit zu verzichten, um zu sterben oder das Sterben zu beschleunigen: Sterbefasten.
Bewusster Entscheid, Nahrung weiterhin zu sich zu nehmen und auf Flüssigkeit zu verzichten, um aufgrund sozialen Drucks den Sterbewunsch verdeckt umzusetzen.
Implizit freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit, ohne diesen zu kommunizieren oder anzukündigen.
15
Vier Formen von FVNF
FVNF
FV(N)F FVN(F)
F(V)NF
Bewusster Entscheid, auf Nahrung und Flüssigkeit zu verzichten, um zu sterben oder das Sterben zu beschleunigen: Sterbefasten.
Bewusster Entscheid, Nahrung weiterhin zu sich zu nehmen und auf Flüssigkeit zu verzichten, um aufgrund sozialen Drucks den Sterbewunsch verdeckt umzusetzen.
Implizit freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit, ohne diesen zu kommunizieren oder anzukündigen.
Verzicht auf Nahrung wie er z.B. in den letzten Wochen oder Tagen des Lebens aufgrund des Sterbeprozesses "natürlicherweise" auftreten kann.
17
Oregon (USA)
2003 Befragung von Pflegekräften (n=307) (Ganzini 2003)
• 33% haben mindestens eine Person beim FVNF begleitet
• Der Tod durch FVNF wird beschrieben als:
• Guter Tod
• Friedlich
• Geringe Schmerzen
• Mässige Leiden
Aktive Sterbehilfe ist fünf Staaten der USA legal: Oregon, Washington, Montana, Vermont & Californien (Emanuel et al. 2016)
18
Niederlande
2009 Befragung der Bevölkerung (n=956) (Chabot & Goedhart 2009)
• ⌀ 2.1% aller Todesfälle (1999-2003) durch FVNF
2014 – Befragung an Palliativmedizinier*innen und Hausärzt*innen (TN; n=708) (Bolt et al. 2015)
• 46% der TN haben mindestens eine Person beim FVNF begleitet
• 33% haben FVNF Menschen empfohlen statt Beihilfe zur Selbsttötung (Gesetz: Art. 293, Abs. 2: Niederländisches Gesetz über die Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe
bei Selbsttötung)
19
Deutschland
2015 Befragung an Palliativmedizinier*innen und Hausärzt*innen (n=255) (Hoekstra & Simon 2015)
• 90% der TN haben sich ein wenig bis eingehend mit der Thematik FVNF auseinandergesetzt
• 62% der TN haben in den vergangenen 5 Jahren mindestens eine Person beim FVNF begleitet
• Darunter 21% die mehr als 5 Personen begleitet haben
• Mehrheitliche Meinung: Betroffene haben ein Recht auf medizinische Begleitung
„In Deutschland haben Arzte zum Beispiel (ahnlich wie Eltern, Ehegatten oder Polizisten) eine Stelle als Garanten fur das Wohl ihrer Patienten und sind verpflichtet, mehr als die ublichenAnstrengungen zur Verhinderung von Suizid zu unternehmen. Sie konnen daher fur Totung durch Unterlassung haftbar gemacht werden, wenn sie den Patienten unterstutzen. Außerdem kann assistierter Suizid zivilrechtlich bestraft werden.“ (Radbruch et al. 2015)
20
Japan
2017 – Befragung an Palliativmedizinier*innen (TN; n=571) (Shinjo et al. 2017)
• 52% ist FVNF bekannt
• 32% haben eine bis fünf Personen beim FVNF begleitet
• Darunter 2% die mehr als fünf Person begleitet haben
Ärztlich assistierter Suizid ist illegal (Katsunori 2009)
21
Nationale Befragung in der Schweiz
Zielgruppe:
• Leitungen der ambulanten Pflege
• Leitungen der stationären Langzeitpflege
• Hausärztinnen und Hausärzte
Ziel
• Rücklauf 20%
22
Nationale Befragung in der Schweiz
Aktueller Stand:
• Leitungen der ambulanten Pflege n=192 (27%)
• Leitungen der stationären Langzeitpflege n=529 (37%)
• Hausärztinnen und Hausärzte (Befragung noch nicht abgeschlossen, vorläufiger Rücklauf 14%)
Rücklaufquote der stationären Langzeitpflege anhand der sieben Grossregionen in der SchweizBildquelle: Tschubby (2017), mit Prozentangaben versehen durch die Autoren.
23
Relevanz
nicht relevant
wenig relevant
relevant
sehr relevant
DER FVNF IST AKTUELL...
nicht steigen
wenig steigen
steigen
sehr steigen
IN ZUKUNFT WIRD DIE RELEVANZ...
25
Mit Weltanschauung vereinbar Moralische Bedenken
ablehnendteils-teils
zustimmend
zustimmend
teils-teils
ablehnend
27
Würdevolles sterben… Recht auf med. und pfl. Betreuung
ablehnendteils-teils
zustimmend
ablehnend
teils-teils
zustimmend
28
Belastungserleben
stimme nicht zu
stimme eher nicht zu
teils-teilsstimme eher zu
stimme zu
Professionelle Angehörige
29
Der FVNF ist… und wurde von…
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
100%
bekannt vertraut begleitet
30
Der FVNF ist… und wurde von…
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
100%
bekannt vertraut begleitet
32
FVNF begleitet
Seit Beginn der beruflichen Karriere...
Im Jahr 2016…
FVNF empfohlen
Ǿ 13 Falle in Ǿ 28 Berufsjahren
33
FVNF begleitet
Seit Beginn der beruflichen Karriere...
Im Jahr 2016…
FVNF empfohlen
Ǿ 13 Falle in Ǿ 28 Berufsjahren
Ǿ 2 Falle
34
FVNF begleitet
Seit Beginn der beruflichen Karriere...
Im Jahr 2016…
FVNF empfohlen
Ǿ 13 Falle in Ǿ 28 Berufsjahren
Ǿ 2 Falle
Ǿ 1 Fall/Befragte/r
35
FVNF und (F)VNF in Abhängigkeit vom Alter
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
100%
≤ 45 Jahre 46 bis 65 Jahre 66 bis 75 Jahre > 75 Jahre
Expliziter FVNF Impliziter (F)VNF
Ca. 40% der Befragten gaben an, dass beide Formen keiner spezifischen
Altersgruppe zuzuordnen ist.
36
Förderung
Diese Forschungsarbeit wird gefördert durch das Förderprogramm „Forschung in Palliative Care“ der SAMW, unterstützt durch die Stanley Thomas Johnson Stiftung und die Gottfried und Julia Bangerter-Rhyner-Stiftung.
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LiteraturBernat, J. L., Gert, B.,&Mogielnicki, R. P. (1993). Patient refusal of hydration and nutrition. An alternative to physician-assisted suicide or voluntary active euthanasia.Archives of internal medicine, 153(24), 2723–2728.Bickhardt, J.,&Hanke, R. M. (2014). Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit: Eine ganz eigene Handlungsweise. Deutsches Ärzteblatt, 111(14), 590–592.Birnbacher, D. (2015). Ist Sterbefasten eine From von Suizid? Ethik in der Medizin, 27(4), 315–324. Black, K., & Csikai, E. L. (2015). Dying in the age of choice. Journal of Social Work in End of Life & Palliative Care, 11(1), 27–49. Bolt, E. E., Hagens, M., Willems, D.,&Onwuteaka-Philipsen, B. D. (2015). Primary care patients hastening death by voluntarily stopping eating and drinking.Annals of family medicine, 13(5), 421–428. doi:10.1370/afm.1814Chabot, B. E., & Goedhart, A. (2009). A survey of self-directed dying attended by proxies in the Dutch population. Social Science & Medicine, 68(10), 1745–1751. doi:10.1016/j.socscimed.2009.03.005Emanuel, E. J., Onwuteaka-Philipsen, B. D., Urwin, J. W.,&Cohen, J. (2016). Attitudes and Practices of Euthanasia and Physician-Assisted Suicide in the United States, Canada, andEurope.JAMA, 316(1), 79-90. doi:10.1001/jama.2016.8499Fehn, S.,& Fringer, A. (2017). Notwendigkeit, Sterbefasten differenzierter zu betrachten. Schweizerische Ärztezeitung, 98(36), 1161-1163. doi:10.4414/saez.2017.05863Ganzini, L., Goy, E. R., Miller, L. L., Harvath, T. A., Jackson, A.,&Delorit, M. A. (2003). Nurses' experiences with hospice patients who refuse food and fluids to hasten death.The New England journal of medicine, 349(4), 359–365. doi:10.1056/NEJMsa035086Hoekstra, N. L., Strack, M.,&Simon, A. (2015). Bewertung des freiwilligen Verzichts auf Nahrung und Flüssigkeit durch palliativmedizinisch und hausärztlich tätige Ärztinnen und Ärzte.Zeitschriftfür Palliativmedizin, 16(02), 68–73. doi:10.1055/s-0034-1387571Katsunori, K. (2009). Euthanasia and Death with Dignity in Japanese Law.Waseda Bulletin of Comparative Law, 27(3), 1-13.Klein Remane, U.,& Fringer, A. (2013). Voluntary refusal of food and fluid in palliative care: a mapping literature review. [Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit in der Palliative Care: ein Mapping Review].Pflege, 26(6), 411–420. doi:10.1024/1012-5302/a000329Lachman, V. D. (2015). Voluntary stopping of eating and drinking: An ethical alternative to physician-assisted suicide. Medsurg nursing : official journal of the Academy of Medical-SurgicalNurses, 24(1), 56–59. Ivanović, N., Büche, D.,& Fringer, A. (2014). Voluntary stopping of eating and drinking at the end of life - a 'systematic search and review' giving insight into an option of hastening death in capacitated adults at the end of life. BMC palliative care, 13(1), 1. doi:10.1186/1472-684X-13-1Pope, T. M., & West, A. (2014). Legal briefing: voluntarily stopping eating and drinking. The Journal of clinical ethics, 25(1), 68–80. Quill, T. E. (2015). Voluntary stopping of eating and drinking (VSED), physician-assisted death (PAD), or neither in the last stage of life? Both should be available as a last resort.Annals of familymedicine, 13(5), 408–409.Radbruch, L., Leget, C., Bahr, P., Muller-Busch, C., Ellershaw, J., de Conno, F., . . . Board Members of, E. (2016). Euthanasia and physician-assisted suicide: A white paper from the European Association for Palliative Care.Palliat Med, 30(2), 104-116. doi:10.1177/0269216315616524Shinjo, T., Morita, T., Kiuchi, D., Ikenaga, M., Abo, H., Maeda, S., . . . Kizawa, Y. (2017). Japanese physicians' experiences of terminally ill patients voluntarily stopping eating and drinking: a national survey.BMJ Support Palliat Care. doi:10.1136/bmjspcare-2017-001426Simon, A.,&Hoekstra, N. L. (2015). Sterbefasten – Hilfe im oder Hilfe zum Sterben? [Sterbebegleitung: Sterbefasten-Hilfe im oder Hilfe zum Sterben?].Deutsche medizinische Wochenschrift (1946), 140(14), 1100–1102. doi:10.1055/s-0041-102835Tschubby (Cartographer). (2017). Grossregionen der Schweiz. Retrieved from https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=54356664