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Stereotaktische Operationen bei Bewegungsstörungen

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Page 1: Stereotaktische Operationen bei Bewegungsstörungen

Deutsche Zeitschrift f. Nervenheilkunde, Bd. 175, S. 511--519 (1957)

Aus der Neurochirurgischen Universitatsklinik Freiburg i. Br. (Direktor: Prof. Dr. T. R~EC~RT)

Stereotaktische Operationen bei Bewegungsstiirungen* Von

T. RIECHERT

Mit 1 Textabbildung

(Eingegangen am 5. September 1956)

Als im Jahre 1948 BROWDER seine Kapseloperation beim Parkinson verSffentlichte, sagte er: ,,Es geniigt, zu erwi~hnen, dab der abnorme neurale Mechanismus, der Tremor und Rigidit~t produziert, noch un- bekannt ist und dab alle Erkl~rungen fiir diese Symptome der Erkran- kung noch als reine Philosophie gelten miissen !"

Dieser Aussprueh eines Klinikers, der wohl als ausgezeiehneter Ken- ner der Dyskinesien und Dystonien gelten kann, stimmt doch sehr nach- denklich. Er beleuchtet auch die Tatsache, da~ die Klinik haufig den patho-physiologischen Kenntnissen vorauseilt, weil als treibende Kraft der kranke Mensch dahinter steht.

So mSge dieser Umstand auch als Entschuldigung daffir dienen, dab schon heute fiber ein neues Operationsverfahren an einem System berich- tet wird, das noch so viele R~tsel in sich birgt. Die sehr eindrueksvollen Referate und Vortr~ge haben in anschanlicher Weise gezeigt, wieviel neue wissenschaftliche Erkenntnisse nur wenige Jahre nach BROWDERS Aus- spruch gewonnen wurden. Es hat sich aber auch gezeigt, wie schwierig die Probleme gerade bei operativen Ausschaltungen am extrapyramidalen System werden. Bei einem Referat fiber die stereotaktischen Hirnope- rationen sind noch 2 weitere Tatsachen zu bedenken:

1. Das Verfahren der gezielten Hirnoperationen ist noch vSllig in der Entwicklung begriffen. Es ist zwar eine Reihe yon Apparaten konstruiert, nur mit wenigen Typen sind aber gezielte Operationen am kranken Menschen ausgeffihrt worden. Die Erfahrungen sind daher schon rein zah lenm~ig klein.

2. Hinzu kommt, dal3 die Beobachtungszeit der operierten Patienten, yon wenigen Ausnahmen abgesehen, noeh kurz ist. Es hat sieh immer

* Nach einem auf dem KongreB der Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psyehiater in Hamburg - - 19.--22. September 1955 - - erstatteten Referat.

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wieder gezeigt, worauf auch SCH~RMA~N in seinem letzten, sehr fiber- sichtlichen Referat hingewiesen hat, da[3 es noch nach Jahren, meist graduell mi t dem Nachlassen eiaer begleitenden postoperativen Parese, zum Wiederauftreten yon Hyperkinesen kommen kann.

Nur unter diesem einschr~tnkenden Hinweis kann schon heute ein gefera t fiber das stereotaktische Operationsverfahren meiner Meinung nach gehalten werden, wenn der Bericht nicht yon vornherein als ver- friiht angesehen werden soll. Das unbestreitbare Verdienst, diese Methode 1948 in die Therapie eingeffihrt zu haben, gebiihrt SPIEGEL 51. WYCIS. Die rSntgenologische Lokalisation des Zielpunktes fiir die Einstellung der Zielnadel erfolgt bei nahezu allen subcorticalen Eingriffen auf Grund des Encephalogramms. Eine solche Lokalisation halten praktisch alle Operateure fiir notwendig. Ich erw~ihne bier voc ~dlem die Arbeiten von SPIEGEL, LEKSELL, TALAIRACH~ 1N~ARABAYASHI, HASSLER und mir. Eine Einstellung der Zielnadel auf Grund yon rSntgenologisch sichtbaren Knochenpunkten geniigt meist nicht. Jede Formver~nderung der Ven- trikel, die wir bei den Kranken fast immer finden, kann diese theoretisch konstruierten Zielkoordinaten unbrauchbar machen. Wiirde man z. B. bei einer Erweiterung des I I I . Ventrikels, wie wir sie hiiufig bei diesen Kranken sehen, als Abstand des Zielpunktes yon der Mittellinie die ffir ein normales Ventrikelsystem berechneten und auch richtigen MaBe nehmen, so wfirde bei diesen Kranken mit Ventrikelerweiterung die Spitze der Zielnadel nicht im Thalamus, soudern im I I I . Ventrikel zu liegen kommen.

Die Kontrolle der Nadeltage erfolgt rSntgenologisch und, wie dies auch yon anderen Operateuren gemacht wird, noch elektrophysiologisch zun~chst durch Reizversuche unter gleichzeitiger Beobaehtung der moto- rischen Effekte und in zweiter Linie durch das Elektrencephalogramm.

(~ber die Ergebnisse unserer gemeinsam mit HASSLEI~ nnd Ju~(" gesammelten elektrencephalographischen Erfahrungen hat UMBACH be- richter. Die Ausschaltung des Zielpunktes erfolgte durch Elektrolyse, Coagulation oder sp~ter bei einem Tell der Kranken dutch radioaktive Isotope, meist einen fl-Strahler. Ich mSchte hier auch auf Grund unserer Erfahrungen darauf hinweisen, dal] die Technik der Ausschaltung selbst noch einer weiteren Ausarbeitung bedarf. Die Ausfiihrung krankt noch daran, dab wir bei den kleinen Strukturen und der Gefahr yon Neben- verletzungen und nachtr~tglichen kleinsten Thrombosen noch nicht mit genfigender Sicherheit sagen k6nnen, wie gro~ der Ausschaltungsherd sein wird. Wir sind deswegen dabei, ein Verfahren zu entwickelrt, bei dem eine zusiitzliche mechanische Unterbrechung der betreffenden Strukturen gew~ihrleistet wird.

LEKSELL hat zwischen die beiden Koagulationsnadeln eine N~del mit einem Thermoelement eingefiihrt, um die Wgrmeentwicklung bei der Hochfrequenzanwen-

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dung besser kontrollieren zu k6nnen. Der Japaner NARABAYASHI hat Procain61 fiir die Ausschaltung angewandt.

Bei Hoehfrequenzstrom sollte ein Apparat benutzt werden, der ~hnlieh dem von WYss in Zfirich konstruierten, reine Sinusschwingungen abgibt. Die Intensitat des angewandten Hochfrequenzstromes muB dosimetriseh genau iiberwacht werden kSnnen. Wie die Untersuchungen meiner Mitarbeiter SCHWARZ U. FRIEDE fiber Dosierung und Wirkungsbreite der Hochfrequenzkoagulation zeigten, sind diese Voraussetzungen bei den meisten kauflichen Apparaten nicht gegeben.

Nachst SPIEGEL u. WYcIS hat TALAIRACH mit seinen Mitarbeitern einen sehr zweckmaBigen Zielapparat konstruiert. Um noch bessere Grundlagen fiir die Be- stimmung der Zielpunkte zu gewinnen, wenden sie neben der Luftffillung der Hirn- kammern eine Kontrastfiillung des III. Ventrikels mit Lipiodol an. Von sonstigen Apparaten, mit denen stereotaktische Eingriffe am Menschen ausgeffihrt wurden, sind noch u. a. die Apparate yon LEKSELL, NARABAYASttI und BAILEY ZU nennen. Auf die von uns angewandte Technik des Zielverfahrens mSchte ieh hier aus Zeit- mangel nicht naher eingehen, da sie bereits an anderer Stelle ausfiihrlich verSffent- licht und im Film gezeigt worden ist. Mit meinem Zielapparat, den ich zusammen mit WOLFF konstruiert und sp~ter mit meinem Mitarbeiter MUNDINGER noch weit- gehend verandert habe, fiihrten wir bisher 212 stereotaktische Eingriffe aus.

Ganz allgemein lai~t sich zum Einstellen der Zielnadel und Auffinden des Ziel- punktes folgendes sagen: Es ist heute in keiner Weise mehr schwierig, einen Ziel- punkt im Him zu treffen, wenn er auf der seitliehen und a.p.-Schadelaufnahme siehtbar ist. Die Schwierigkeiten liegen lediglich darin, bei einer Operation subcorti- caler Hirnteile den Zielpunkt auf beiden RSntgenaufnahmen festzulegen. Es wird daher am leichtesten sein, die Zielnadel an den Zielpunkt zu bringen, wenn dieser schon durch Knochenstrukturen auf der RSntgenleeraufnahme kenntlieh ist. Han- delt es sich um rSntgenologisch auf der ap. und seitliehen Aufnahme nicht sichtbare Zielpunkte, was bei der Coagulation subcorticaler Hirnteile meist der Fall sein wird, so muB der Zielpunkt auf Grund des Eneephalogramms und eines Modellgehirns zunachst in die bei angelegtem Grundring angefertigten RSntgenaufnahmen ein- gezeiehnet werden. Unser spezielles Vorgehen, das wir hierffir mit HASSLER zusam- men entwickelt haben, ist in einer gemeinsamen VerSffentliehung niedergelegt.

Ich k o m m e nun zu den einzelnen Krankhe i t sb i ldern und den dabei von den verschiedenen Autoren erziel ten Resul ta ten . Das Prinzip der stereo-

takt ischen Eingriffe bes teht darin, die Py ramidenbahnen zu schonen und die Hyperk inesen un te r Vermeidung yon Lahmungen durch Ausschal-

tung am ex t r apy ramida l en Sys tem zu bessern. Es ist besonders eindrucks- voll, wie die K r a n k e n pos tope ra t iv ihre GliedmaBen viel besser gebrau-

chen kSnnen, ohne da[3 eine Kra f the rabse tzung vo rhanden ist. Es sind auch feinere, abgestuf te Bewegungen, die vorher wegen der s tSrenden Bewegungsimpulse und Antagonis ten innerva t ion nicht ausgeffihrt werden konnten, wieder mSglich.

Bei einzelnen K r a n k e n scheint mir ein Effekt noch besonders bemer- kenswert . Es k o m m t nicht mehr zu einer vorzei t igen Ermi idung, wie dies vor der Operat ion infolge der Feh l innerva t ion der Fal l war. E iner unserer K r a n k e n mi t einer Torsionsdystonie konnte vor dem Eingri f f nur 100 m gehen, er war dann so erschSpft, dal3 er sich setzen muBte. Nach der Coagulat ion im inneren Pa l l idum und oralen Vent ra lkern des Tha lamus

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(V. o. a.) war es ihm seit 15 J a h r e n zum ers ten Male mSglich, mehrere Kilo- me te r ohne Unte rb rechung zu gehen (Abb. 1). Es bedeute te dies ffir ihn ein grol~es Er lebnis und eine Umste l lung seiner ganzen bisherigen Lebens- fi ihrung. Er war fas t den ganzen Tag unterwegs, um seine neuen F~hig- ke i ten nun auch wirkl ich auszunutzen. Wenn ich diesen Fa l l e twas n~her geschi lder t habe, so mSchte ich d a m i t auf einen Effekt der s te reotak-

Abb. 1. R. G., 27 J a h r e : I~adellage zl~r T ie fenable i tung (bipol.) bei Pal l idotomie. Die Coagu- la t ion er fo lg t 5 m m convexit~tswStrts yon der Xadelsp i tze

t i schen Opera t ion hinweisen, der uns zuni~chst widersinnig und fast fiber- rasehend erscheint , besonders wena m a n ihn unmi t t e lba r auf dem Ope- ra t ions t i sch er leb t :

Durch Zerst6rungen, die wir in einem Sys tem setzen, das mi t der motor ischen Inne rva t i on unserer Muskeln eng ve rbunden ist, e rha l ten wir keine BewegungsausfKlle, sondern es kann zu einer Verbesserung und Ste igerung der motor ischen Leis tung kommen.

Bei e inem Uberb l ick fiber die einzelnen Krankhe i t sb i lde r sei zuers t die Choreo-Athetose erw/~hnt. SPIEGEL U. W Y C I S , die 4 F/~lle operier ten, haben zun/~chst versucht , eine Verminderung der emot iona len Kom- ponente durch Coagulat ionen im dorso-media len Tha lamuskern zu er- reichen, es k a m jedoch nur zu einer vorf ibergehenden Besserung. Der Erfolg war erst ein sehr guter, als sie bei ihrem 4. K r a n k e n Herde im Pa l l i dum setzten. Als Kompl ika t i onen infolge Nebenver le tzungen sahen

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sie e inmal eine Hemiplegie , ein anderes Mal eine Sehwgche des betreffen- den Armes.

NARABAYASHI erh ie l t bei 2 K r a n k e n mi t Athe tose durch ProcainS1- in jek t ion in den Globus pa l l i dum eine gute Besserung, L~KS~LL h a t t e bei einer Hemichorea keinen Erfolg. ROEDER ha t bei 2 Fgl len ha lbse i t iger Athe tose m i t me inem Z i e l a p p a r a t im ers ten Fa l le Herde in den ora len Vent ra lkernen , im zwei ten Fa l le i a der Ansa lent icular is gesetzt . Bei gu te r Besserung und einer e rhShten Gebrauchsfghigke i t der betroffenen Ex- t r e m i t g t e n t r a t e n keiner le i motor ische Ausfa l l serscheinungen oder Py ra - m i d e n s y m p t o m e auf. I n e inem Fa l le yon Hemiba l l i smus konnte er durch Herde im Pa l l i dum ein gutes Ergebnis erzielen.

E in grebes grzt l iches In teresse n i m m t das Parkinsonsyndrom ein: Dies is t sehon rein zahlenmgBig durch die re la t ive nnd absolute Hgufig- ke i t gegentiber den zuers t besproehenen K r a n k h e i t s b i l d e r n gegeben. Hin- zu k o m m t noch, dab Besserungen b isher nur mi t erhebl ichen motor i sehen Ausfi~llen e rkauf t werden muBten.

SPIEGEL U. WYCIS haben dutch eine ein- oder doppelseitige Ansotomie bei 2 eine sehr gute Besserung, bei 3 Kranken eine m~l~ige erzielt, 1 Kranker blieb unbeein- fluBt.

TALAIRACH erreiehte durch eine Ausschaltung im Caudatum und Putamen nur einen wenige Tage anhaltenden Erfolg, LEKSELL durch eine Ansotoraie bei einem yon zwei operierten Kr~nken einen guten, bei dem anderen einen nur wenige Tage an- h~ltenden Erfolg. Die verhaltnismABig grebe Zahl von 13 operierten Kranken iiber- blicken die Japaner NARABAYASHI U. OKU3IA. Sic injizierten das sehon erw~hnte ProcainS1 in den Globus pallidus und hatten bei allen P~tienten eine Besserung des Rigors und Tremors. Entsprechend der Methodik der Aussehaltung ging der Erfolg nach 2--3 Monaten wieder teilweise zuriiek.

NIEMEYER, Rio de Janeiro, hatte nach der Coagulation des Pallidums mit meinem Zielapparat einen guten Erfolg auf den Tremor und Rigor.

D a m i t s ind die b isher verSffent l ichten Ergebnisse, die auch ein r ech t gi inst iges Bi ld abgeben, im wesent l ichen refer ier t , und ich d a r f zum SehluB noeh kurz auf unsere Ergebnisse eingehen. Dabe i mSchte ich betonen, dab die s t e reo tak t i schen Opera t ionen einen so hohen tech- nischen Aufwand er fordern und viele Gebiete bert ihren, wie physikal isehe , rSntgenologisehe, h i rnana tomisehe und h i rnpathologische , sowie e lektro- physioiogische, u m nur einige zu nennen, so dab sie zweckm~Big in F o r m eines Team-works ausgef i ihr t werden. So h a b e n wir bei der Aus- scha l tung subcor t ica le r S t r u k t u r e n m i t H e r r n HASSLER zusammengear - be i t e t und diese Opera t ionen gemeinsam m i t ihm durehgeff ihr t . Unser lokal i sa tor isches Vorgehen und unsere Ind ika t ionss t e l lung ist in e iner gemeinsamen VerSffent l ichung im , ,Nervenarz t " (25. Jg., 11. Heft , 1954) n~her begr i indet , so dab ich hier n ich t nigher d a r a u f e ingehen m6ehte . I n e lek t rophys io logischen F r a g e n ha t uns Her r JuNo bera ten .

Dtsch . Z. Nervenhe i lk . , Bd. 175 34:

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Wir haben bisher bei 15 Kranken, die an den heute zur Diskussion stehenden Symptomenkomplexen litten, stereotaktisehe Eingriffe aus- gefiihrt.

Zu den P a r k i n s o n k r a n k e n li~13t sieh ganz allgemein sagen, dab naeh unseren Erfahrungen der Rigor auf die Dauer leiehter zu beeinflusseu ist als der Tremor. Beim Parkinson haben wit neben der iibliehen Aussehal- tung im Pallidum, wobei bei den einzelnen Operationen entweder das ~ugere oder innere Pallidumglied bevorzugt wird, aueh noeh auf Vor- sehlag von HaSSLER in mehreren F~llen dell oralen Ventralkern des Thalamus eoaguliert. Bei 6 Kranken dieser Kategorie trat 2real eine gute, 4mal eine m~Bige Besserung ein. Bei den iibrigen Kranken han- delte es sieh um Torsionsdystonien und Athetosen, in einem Falle um eine weiter fortgesehrittene Chorea Huntington. In 4 F~llen hatten wir hier eine gute, in 3 F~llen eine mi~gige Besserung, bei 2 Kranken, bei denen weitere Eingriffe geplant sind, keinen wesentliehen Effekt. Die Beobaehtungszeiten liegen dabei his zu 3 Jahren zuriiek*.

I~berbliekt man die in der Literatur niedergelegten und unsere eigenen Ergebnisse, so li~gt sieh zusammenfassend sagen, dab in ungef~hr 50% der Kranker~ eine gute Besserung zu erzielen ist, ohrm dag diese mit moto- risehen Ausf~llen erkauft werden muB. Von Komplikationen sahen wir zweimal homonyme Gesiehtsfelddefekte, einmal ein Stirnhirnsyndrom. Ieh glaube, dag sieh Komplikationen bei grSBerer Erfahrung noeh weiter vermeiden lassen. Bei dem sehon erwi~hnten Kranken mit der weit fort- gesehrittenen Chorea Huntington war zun~ehst ein sehr guter Effekt vor- handen; der Kranke hatte aueh beim Gehen kaum eine Bewegungs- unruhe. 14 Tage naeh der Operation setzte ein zunehmender Verfall ein, fiir dessen Ursaehe sieh kein greifbarer objektiver Befund ergab. Der Patient wurde auf Wunseh der Angeh6rigen entlassen und verstarh 3 Woehen naeh dem Eingriff.

Am Sehlusse meiner Ausfiihrungen mSehte ieh noch auf einige Fragen eingehen, die sieh nach dem Gesagten erheben kSnnten. Zuni~ehst fragen wir uns, weswegen wir einen mit so groBen teehnischen Voraussetzungen belasteten Eingriff anwenden und nieht die offenen Operationen vor- ziehen.

Es sind dies vorwiegend 2 Griinde:

1. Wir erzielert ohne den Preis einer motorisehen Li~hmung eine Bes- serung der Hyperkhlese und des l~igors, die Gebrauchsf~higkeit der Ex- tremiti~ten ist verbessert,

* Anmerkung bei der Korrektur: Inzwischen haben wir bei weiteren Operationen zus~tzliche gfinstige Erfahrungen sammeln kOnnen; auch yon anderen Autoren ist fiber weitere Ergebnisse berichtet worden, auf die wir bei der schnellen Entwicklung des Verfahrens hier nicht mehr eingehen k6nnen.

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2. die Mortalit~t ist viel geringer Ms bei der offenen Operation.

Dies wird besonders deutlich beim doppelseitigen Eingriff. Die yon HAMBY naeh der offenen Methode operierten Kranken mit subcorticaler Durehschneidung extrapyramidaler Bahnen starben alle, urtd aueh beim einseitigen Eingriff schwankt die Sterblichkeit zwisehen 20 und 30 %. Die Bedeutung der operativen Sterblichkeit wird noch dadureh unterstrichen, als diese Kranken sieh zwar in einem bejammernswerten Zustand befin- den, aber nieht durch ihre Erkrankung unmittelbar lebensbedroht sind, wie dies etwa bei der Hirngesehwulst der Fall ist. Bei unseren 172 Eiu- griffen hat ten wir 2 Todesfalle zu beklagen, was einer operativen Mor- talit/~t yon 1,38% entspricht. Dabei erlag einer dieser 2 F/ille einer im Pathologischen Inst i tu t nachgewiesenen massiven Lungenembolie am 7. postoperativen Tage (Coagulation des eaudalen Ventralkernes bei tabi- schen Sehmerzen). I m 2. Falle lag eine inoperable Gesehwulst vor. Es ist anch zu bedenken, dab ein groBer Teil der Kranken sich in einem Alter und Allgemeinzustand befand, in dem ihnen ein entsprechend oftener Eingriff nicht h/itte zugemutet werden kSnnen.

Von unseren Kranken mit BewegungsstSrungen waren 4 fiber 50 Jahre alt, einer 64 Jahre.

Ausdrficklich soll noch vermerkt werden, dab bei diesen Kranken in keinem Falle als Folge des cerebralen Eingriffes eine bleibende Lghmung aufgetreten ist. Gelegentlich sehen wir am 2. oder 3. Tage nach dem Ein- griff im Stadium der Schwellung eine Schw/~che der entspreehenden Ex- tremit/~t auftreten, die sieh dann wieder zurfickbildet. Wir sehen dieses Symptom als ein ffir den weiteren Verlauf prognostisch nicht ungiinstiges Zeichen an.

Es erhebt sich noch die Prage, ob bei den stereotaktischen Ope- rationen der in Angriff genommene Zielpunkt nun auch wirklich ge- troffen wird. Bei beiden gestorbenen Kranken wurde eine Hirnsektion durchgeffihrt. Diese zeigte, dab eine exakte und umschriebene Ausschal- tung des gew~nsehten Zielpunktes stattgefunden hatte. Dabei wird es bei der komplizierten Methode sicherlieh in einem gewissen Prozentsatz vorkommen, dab der Zielpunkt nicht getroffen ist. Die angeffihrten Be- funde zeigen aber doch, dab es zumindesten schon bei der jetzigen Aus- bildung der Teclmik mSglich ist, auch kleine Bezirke im t t i rn zuverl/issig auszuschMten.

Ich mSehte nun mit meinen Ausffihrungen nicht den Eindruck er- wecken, als ob das stereotaktische Operationsverfahren bei den Hyper- kinesen die bisherigen Eingriffe restlos ablSsen solle. Naeh unseren Er- fahrungen karm sich gerade die Kombinat ion mit spinalen und peripheren Eingriffen an Nerven nnd Muskeln gfinstig auswirken. Hierbei nehmen wir allerdings Abstand yon Operationen, die grSbere motorische Ausf/~lle

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518 T. RIECHERT:

zur Fo lge haben , wie z. B. die D u r c h s c h n e i d u n g der P y r a m i d e n s e i t e n -

str/~nge im R i i c k e n m a r k .

A u c h m i t de r of fenen M e t h o d e de r D u r c h s c h n e i d u n g extrapyramidaler B a h n e n s ind g u t e E r fo lge erz ie l t w o r d e n (FENELON, GUIOTU. a.), u n d es k o m m t , wie bei a l len O p e r a t i o n e n a u c h d a r a u f an, m i t we lche r M e t h o d e

de r O p e r a t e u r e i n g e a r b e i t e t ist. H i n z u k o m m t noch , dai3 wi r bis j e t z t n u r wenige S p ~ t r e s u l t a t e i ibe rb l i cken k S n n e n u n d dab das s t e r e o t a k t i s c h e

O p e r a t i o n s v e r f a h r e n noch e iner w e i t e r e n V e r v o l l k o m m n u n g bedarf . A u f

der a n d e r e n Se i te s t eh t abe r bere i t s h e u t e les t , daf~ es uns schon in d e m j e t z i g e n S t a n d der E n t w i c k l u n g ganz neue MSgl i chke i t en b ie te t .

Literatur

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Professor Dr. T. RIECE~RT, 1Weurochirurgische Universit~tsklinik, Freiburg i. Br.

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