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steueranwalts  magazin Arbeitsgemeinschaft Steuerrecht im Deutschen Anwaltverein 94. Ausgabe    | 19. Jahrgang 1 /2017 1    Editorial Wagner Beiträge 3    Zacher Steuerliche Behandlung „wert- loser“ Kapitalanlagen – für eine Wende zur Systemkonsequenz 9  Kulosa Neue Vorgaben der Recht- sprechung zur Kassenbuchführung und zu Schätzungsmöglichkeiten der Finanzverwaltung 24    Link/Marx/Zembala-Bömer Neuigkeiten zur Gemeinsamen Körperschaftsteuer- Bemessungsgrundlage (GKB) 36  Söffing Rechtsprechung Redaktion: Jürgen Wagner, LL. M. WAGNER & JOOS, RECHTSANWÄLTE Konstanz (verantwortlich) Dr. Jörg Stalleiken, Flick Gocke Schaumburg, Bonn www.steuerrecht.org

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steueranwalts magazinArbeitsgemeinschaft Steuerrecht im Deutschen Anwaltverein

94. Ausgabe   |   19. Jahrgang

1 /2017

  1   Editorial    Wagner

     Beiträge  3   Zacher Steuerliche Behandlung „wert­

loser“ Kapitalanlagen – für eine Wende

zur Systemkonsequenz

  9   Kulosa Neue Vorgaben der Recht­

sprechung zur Kassenbuchführung

und zu Schätzungsmöglichkeiten der

Finanzverwaltung

 24   Link/Marx/Zembala-Bömer Neuigkeiten

zur Gemeinsamen Körperschaftsteuer­

Bemessungsgrundlage (GKB)

 36   Söffing  Rechtsprechung

Redaktion: Jürgen Wagner, LL. M. WAGNER & JOOS, RECHTSANWÄLTE Konstanz (verantwortlich) Dr. Jörg Stalleiken, Flick Gocke Schaumburg, Bonn

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1steueranwaltsmagazin  1  /2017

Editorial

I.

Die ADAC-Entscheidung vom 17.01.2017 hat die Fachwelt überrascht und auch nicht. Das Amtsgericht München hat nach knapp 3-jähriger Geheimdiplomatie den ADAC zu neuen Strukturen überredet und nachher in einem nicht einmal 2-seitigen Entscheid befunden, der ADAC erfülle alle Kriterien der seinerzeitigen ADAC-Entscheidung aus dem Jahr 1983 und auch die Kriterien der seitherigen Kri-tik an diesem Urteil. So geht Rechtsprechung auf bayerisch.Eine andere Entscheidung hat den FC Bayern München be-troffen. Nachdem ein norddeutscher Juraprofessor ein Ver-einslöschungsverfahren angeregt hat, hat das Registerger-icht des Amtsgerichts München dies von Tisch gewischt. Man habe sich beim Verein erkundigt; selbstverständlich erfülle dieser alle Voraussetzungen, die ein Verein nach § 21 BGB erfüllen müsse. So geht Rechtsprechung auf bayerisch.

Und der BGH? Hätte bereits zu den Grundlagen des Vereins-rechts und der Reichweite des zulässigen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes in eingetragenen Vereinen entscheiden können (II ZR 6/2016, 7/2016 und 9/2016) – hat es aber nicht. Und so beginnt der Gesetzgeber einen Referenten-entwurf in die Welt zu setzen, der das Gegenteil von dem vorsieht, was er im Jahr 2009 propagiert hat: Den wirtschaft-lichen Verein als „alternative Rechtsform für bürgerschaftli-ches Engagement“ wiederzubeleben und Genossenschaften mit neuen Vorschriften zu entbürokratisieren.

Auch so kann’s gehen, nur kommt nichts Gescheites dabei raus.

II.

Jedem Narr seine Kappe.Süddeutsche Weisheit

Einen schönen restlichen Winter wünscht

IhrJürgen Wagner, LL. M.Red. steueranwaltsmagazin

Sie können der Redaktion Texte, Anregungen und Kritik zum steueranwaltsmagazin, insbesondere zur Aufmachung, der Themenauswahl und -vielfalt sowie zum steuerrecht-lichen „Niveau“, zusenden. Wir schließen nicht aus, geeig-nete Kritik auch abzudrucken.

RedaktionDr. Jörg Stalleiken, Rechtsanwalt, Steuerberater, Bonn (JS)[email protected]ürgen Wagner, LL.M., Rechtsanwalt, Fachanwalt für Han-dels- und Gesellschaftsrecht, Konstanz/Zürich/Vaduz (JW)[email protected]

Die 95. Ausgabe des ­steueranwaltsmagazin erscheint am 15. April 2017.

Mitschreibende dieser Ausgabe:Thomas Zacher, Rechtsanwalt in Köln; Mathias Link und Ma-rius Marx, beide Rechtsanwälte in Frankfurt; Kamilla Zem-bala-Börner; Rechtsreferendarin in Frankfurt; Claudius Söf-fing, Rechtsreferendar in Düsseldorf; Dr. Egmont Kulosa, Richter am Bundesfinanzhof.

FachbeiratAllgemeines SteuerrechtRA/StB/FA HuGR Andreas Jahn, Meyer-Köring, Bonn; RA/StB Dr. Jörg Stalleiken, Flick Gocke Schaumburg, Bonn/Frankfurt/Berlin; RA/FAStR/FA Gew. Rechtsschutz Dr. Stephan Dornbusch, Meyer-Köring, Bonn; RA/FAStR Dr. Matthias Söffing, S & P Söffing, Rechtsanwaltgesellschaft mbh, Düsseldorf/München/Zürich; RA/FA Erbrecht/FAStR Dr. Michael Holtz, Flick Gocke Schaumburg, Bonn Internationales SteuerrechtRA/StB Dr. Mathias Link, Hengeler Mueller, Frankfurt; RA/FAStR Sabine Unkelbach-Tomczak, FrankfurtSteuerstrafrechtProf. Dr. Wolfgang Joecks †, Universität Greifswald; RA/FAStR Dr. Rainer Spatscheck, Streck Mack Schwedhelm, Köln/Berlin/München; RA / Dipl. Fw. Rainer Biesgen, Wessing Rechtsanwälte, DüsseldorfEuroparechtRA/StB/WP Dr. Carsten Beul, Beul & Klatt, Neuwied; RA/FAStR Dr. Klaus von Brocke, EY AG München; RA/FAStR Dr. Michael Pott, Sernetz Schäfer, Düsseldorf; RA/StB/FAStR Prof. Dr. Thomas Zacher, Zacher & Partner, KölnImpressumHerausgeber: ARGE Steuerrecht im DAV, Littenstraße 11, 10179 Berlin, Telefon 0 30 / 72 61 52-0; Verlag: Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG, Scharrstraße 2,70563 Stuttgart; Tel: 0711 / 7385- 0; Fax: 0711 / 7385-500, www.boorberg.deLayout und Satz: GreenTomato GmbH, 70193 StuttgartDruck: Kessler Druck + Medien, BobingenAnzeigenverwaltung: VerlagAnzeigenpreisliste: Nr. 5 vom 01.01.2016Alle Urheber-, Nutzungsrechte und Verlags rechte vorbehalten.Die Zeit schrift erscheint sechs Mal im Jahr. Der Bezugs preis ist im Mitglieds-beitrag enthalten. Für Nichtmitglieder der Arbeitsgemeinschaft im DAV be trägt der Bezugspreis 139,80 EUR inkl. Versandkosten jährlich.ISSN 1615-5610

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RICHARD BOORBERG VERLAG FAX 07 11 / 73 85-100 · 089 / 43 61 564 TEL 07 11 / 73 85-343 · 089 / 43 60 00-20 [email protected]

Titelfoto: © RBV / agsandrew - Fotolia

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Erbrecht und neues Erbschaftsteuerrecht

15Steuerberaterverband Niedersachsen Sachsen-Anhalt e.V. (Hrsg.)

BOLZ · MESSNER

Erbrecht und neues Erbschaftsteuerrecht von Dr. Norbert Bolz, RiaFG a.D., Hannover, und Dr. Michael Messner, RA Notar FAStR FAErbR, Hannover

2017, 388 Seiten, DIN A4, € 68,–

Aktuelles Steuerrecht Special, Band 15

ISBN 978-3-415-05911-5

Das Erbschaftsteuerreformgesetz (ErbStRefG) ist in Kraft getreten. Ungeachtet der Bezeich-nung betreffen die Neuregelungen ausschließ-lich die Begünstigungen von Betriebsvermögen und damit nur einen kleinen Ausschnitt des Erbschaftsteuerrechts. Die qualifi zierte Bera-tung in der Vermögens- und Unternehmens-nachfolge setzt weitaus umfassendere Kennt-nisse sowohl im Zivil- als auch im Steuerrecht voraus.

Das Praxiswerk vermittelt dem Leser deshalb nicht nur die gesetzlichen Neuregelungen für Betriebsvermögen, sondern gibt einen umfas-senden Überblick über die zivil- und steuer-rechtlichen Grundlagen. Die Autoren stellen die vielfältigen Möglichkeiten sowohl für den Erb-fall als auch für Übertragungen zu Lebzeiten mit ihren steuerrechtlichen Konsequenzen dar und geben zahlreiche Gestaltungshinweise.

Der Inhalt im Überblick:I. Der Erbfall – Zivilrechtliche Grundlagen und BesteuerungsfolgenII. Übertragungen zu LebzeitenIII. Betriebsvermögen im Erbschaftsteuerrecht IV. Aktuelle Brennpunkte des ErbStG

SZ0217

Die Erbschaftsteuerreform.

NEU.

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3steueranwaltsmagazin  1  /2017

Beiträge

Steuerliche Behandlung „wertloser“ Kapitalanlagen – für eine Wende zur SystemkonsequenzProf. Dr. Thomas Zacher, MBA, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht sowie für Bank- und Kapitalmarktrecht, Steuerberater, Rechtsanwälte Zacher & Partner, Köln und Fachhochschule der Wirtschaft, Bergisch Gladbach

1. Bisheriger Diskussionsstand

Seit dem Veranlagungszeitraum 2009 hat sich mit der Ein-führung eines besonderen Steuersatzes auf Kapitalein-künfte und der sogenannten Abgeltungsteuer ein System-wechsel vollzogen. Während bis dahin Wertveränderungen nur im Rahmen der sogenannten Spekulationsfrist oder in (oft streitigen) Sonderfällen der Abgrenzung zwischen lau-fenden Erträgen und Änderungen auf der Vermögensebene der Besteuerung unterlagen, wurde durch § 20 Abs. 2 EStG in der aktuellen Fassung eine grundsätzliche Steuerbarkeit auch von Wertveränderungen eingeführt. Dies gilt sowohl für diesbezügliche Gewinne wie auch Verluste. Flankiert wird dies durch § 20 Abs. 3 EStG, der auch sonstige Entgelte oder Vorteile, die neben den vorbezeichneten Einnahmen oder statt Ihnen gewährt werden, der Besteuerung unter-wirft. Aufgrund des bei den Kapitaleinkünften bestehenden besonderen Steuer-Regimes ist jedoch eine Verlustverrech-nung gem. § 20 Abs. 6 EStG nur innerhalb der entspre-chenden Einkunftsart möglich. Dies erscheint aufgrund des im Regelfall fixierten Steuersatzes als Ausnahme gegenüber den übrigen Einkunftsarten jedenfalls systemkonsequent. Darüber hinaus werden gem. § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG noch innerhalb derselben Einkunftsart zwei sogenannte „Verlust-verrechnungstöpfe“ gebildet. Ob dies ebenfalls systembe-dingt oder eher durch fiskalische Interessen begründet ist, mag an dieser Stelle dahinstehen.

Im hier interessierenden Zusammenhang gilt jeden-falls, daß grundsätzlich der sogenannte „capital gain“ bei Einkünften aus Kapitalvermögen nunmehr seit vielen Jah-ren ebenso einer Besteuerung unterliegt, wie umgekehrt Verluste – zumindest innerhalb dieser Einkunftsart – abge-zogen werden können, auch wenn sie sich „nur“ auf der Vermögensebene abspielen.

Da dieser Mechanismus jedoch gem. § 20 Abs. 2 in allen seinen Ziffern stets eine „Veräußerung“ voraussetzt und auch § 20 Abs. 3 EStG nur Nebenleistungen oder Surro-gate derartiger Veräußerungen als Auffangnorm der Besteu-erung unterwirft, ergab sich schnell die Frage, was als „Ver-äußerung“ in diesem Sinne zu verstehen sei. Grundsätzlich wird bei jedenfalls prinzipieller Übereinstimmung hinsicht-lich eines „weiten Veräußerungsbegriffs“1 davon ausgegan-gen, daß auch entsprechend dem Wortlaut von § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG die (zivilrechtliche) Form der Rea lisierung einer Wertveränderung am „Ende“ der Innehabung einer Kapi-

talanlage nicht entscheidend sein soll, so daß auch die Ein-lösung, Rückzahlung, Abtretung oder verdeckte Einlage in eine Kapitalgesellschaft hiervon umfaßt sind. Zugleich ver-tritt aber die wohl zumindest in der Praxis herrschende Meinung in der Rechtsprechung2 und auch der Literatur3 die Auffassung, daß der schlichte Wertverfall terminolo-gisch nicht als „Veräußerung“ im Sinne des Gesetzes ange-sehen werden könne. Dementsprechend bleibe er nach wie vor als solcher steuerlich unberücksichtigt und führe ins-besondere nicht zu (mit anderen Kapitaleinkünften verre-chenbaren) Verlusten. In der Literatur wurde dies vielfach kritisiert, insbesondere auch unter Hinweis auf eine inso-weit zu engstirnige „wortgetreue“ Auslegung des Begriffs der Veräußerung vor dem Hintergrund des § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG und insbesondere auch der – mangelnden – System-konsequenz im Falle einer Außerachtlassung von Verlusten, welche nicht durch eine Veräußerung in diesem eng ver-standenen Sinne bedingt wären.4

2. Haltung der Finanzverwaltung

Für die Veranlagungspraxis herrscht(e) lange Zeit „Ruhe im Land“, da nach dem BMF-Schreiben vom 09.10.20125 schlichte Wertverluste und Forderungsausfälle keine „Ver-äußerungen“ und damit steuerlich relevanten Vorgänge sein sollten. Dies wurde durch das aktuelle BMF-Schreiben vom 18.01.20166 noch bekräftigt und verstärkt. Dort wer-den zudem auch manche „echten“ Veräußerungsfälle einer gesonderten Behandlung zugeführt. So soll eine – berück-sichtigungsfähige – Veräußerung auch dann nicht vorlie-gen, wenn sich der Veräußerungspreis niedriger als die tat-

1 Vgl. hierzu Schmidt/Weber-Grellet, EStG, § 20 Rz. 126.

2 FG Düsseldorf, Urteil vom 11.03.2015 – 7 K 3661/14 E, Revision einge-legt, AZ des BFH VIII R 13/15, mit expliziten Ausführungen auch zur neuen Rechtslage; kritisch hierzu Aigner, DStR 2016, S. 345 ff.

3 Vgl. hierzu Schmidt/Weber-Grellet, a.a.O.; aktuell Jansen, DStR 2016, 2729, m.w.N. in Rz. 8; auch mit Hinweisen auf die dort durchaus umstrittenen Haltung.

4 Vgl. auch hierzu aktuell Jansen, a.a.O.; Schmitt-Hoffmann, BB 2010, S. 353.

5 IV. C1-S 2252/10/10013.

6 IV. C 1-S 2252/08/10004.

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Beiträge Prof. Dr. Thomas Zacher Steuerliche Behandlung „wertloser“ Kapitalanlagen – für eine Wende zur Systemkonsequenz

sächlichen Transaktionskosten darstellt7 oder wenn sich die Veräußerung als teilentgeltlich darstellt. Nach Auf fassung der Finanzverwaltung soll dann nicht etwa ein insgesamt (niedrigerer) Veräußerungserlös angenommen werden, son-dern die Transaktion soll in einen (voll) entgeltlichen Teil und einen weiteren (voll) unentgeltlichen – und damit in-soweit nicht berücksichtigungsfähigen – Teil aufgespalten werden8. In der Praxis wird die Bedeutung dieser auch im Bundessteuerblatt veröffentlichten Auffassung der Finanz-verwaltung dadurch verstärkt, daß der Gesetzgeber durch das Steueränderungsgesetz 2015 § 44 Abs. 1 Satz  3 EStG dahin ergänzt hat, daß der von den Zahlstellen vorzuneh-mende Steuerabzug „unter Beachtung der im Bundessteu-erblatt veröffentlichen Auslegungsvorschriften“ der Finanz-verwaltung für Rechnungen des Anliegers vorzunehmen ist. Diese schon systematisch recht bedenkliche Regelung9 zwingt Banken und andere Zahlstellen de facto dazu, im Zweifelsfall zunächst einmal der Auffassung der Finanz-verwaltung zu folgen, auch um selbst vor Sanktionen ge-schützt zu sein.

Aus der Sicht der Praxis und dem Interesse der Finanz-verwaltung wird für diese insoweit durchaus einengende Handhabung angeführt, daß ansonsten Mißbrauchsmög-lichkeiten nahelägen. Denkbar ist z. B., daß „verdeckte Schenkungen“ zunächst als Darlehen deklariert würden, um dann nach einiger Zeit erlassen, oder bei nicht (mehr) hinreichender Bonität des Schuldners als wertlos steuer-lich deklariert würden. Schenkungssteuerpflichte Sachver-halte würden so in verrechenbare Verluste umgemünzt. Unabhängig davon, wie hoch man die reale Gefahr derar-tiger denkbarer Mißbräuche einschätzt, gibt es jedoch min-destens zwei Einwände hiergegen: Würde sich ein Finanz-instrument in einem Betriebsvermögen befinden, welches sein Ergebnis im Rahmen einer Bilanz darstellt, sind – üb-rigens auch nach Auffassung der Finanzverwaltung – selbst noch nicht realisierte Verluste auch aufgrund eines lediglich niedrigeren Marktwertes des Finanzinstruments, aber na-türlich erst Recht bei einem Wertverfall, durch Wertberich-tigung zu erfassen.10 Wenn dies also im Grundsatz im Rah-men anderweitiger Einkünfte (vgl. § 20 Abs. 8 EStG) möglich ist, dürfte es – ungeachtet der weiteren Unterschiede in der „Besteuerungstechnik“ bei den Einkünften aus Kapitalver-mögen im Privatvermögen – schwer zu begründen sein, warum hier gleichartige Verluste generell keine Rolle sol-len spielen dürfen. Denkbare Mißbrauchsfälle wären durch-aus im Rahmen von § 42 AO zweckgerecht zu behandeln. Zugleich wird aber durch diese einengende Sichtweise ein Einfallstor für entsprechende Gestaltungsempfehlungen ge-schaffen, welches viel umfassender sein kann. Denn der In-haber einer bestimmten Kapitalanlage ist aus steuerlicher Sicht geradezu gehalten, statt der Hinnahme eines nicht steuerbaren Ausfalls notfalls noch kurz vor dem Eintritt des Totalverlustes eine „echte“ Veräußerung vorzunehmen, die ihm dann die entsprechende Nutzbarmachung der Verluste ermöglicht. Dieser Gestaltungshinweis ist weder ein Ge-

heimtipp noch per se rechtsmißbräuchlich; wann hier die Grenze zu § 42 AO überschritten wird, dürfte nicht einfach festzustellen sein.

Die Sichtweise der Finanzverwaltung ist damit theo-retisch zumindest angreifbar und profiskalisch orientiert; selbst wenn man der Absicht der Mißbrauchsverhütung gerade im täglichen Veranlagungsgeschäft einen anerken-nenswerten Stellenwert einräumen möchte, muß man je-doch berücksichtigen, daß hierdurch allenfalls ein Problem durch die Schaffung anderweitiger Diskussionsfelder einge-dämmt werden kann.

Aufgrund der eindeutigen Position der Finanzverwal-tung und der schon angesprochenen Verpflichtung der de-potführenden Stellen, wegen § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG im Zweifel der Auffassung der Finanzverwaltung zu folgen, hat es der Steuerpflichtige nicht einfach. Er muß derartige Fälle selbst erkennen und im Rahmen seiner Einkommen-steuererklärung die entsprechenden Verluste geltend ma-chen. Diese sind jedoch – entsprechend der Auffassung des BMF – gerade nicht in seiner Jahreserträgnisaufstellung und der Steuerbescheinigung enthalten. Zwar weisen einige In-stitute in den Wertpapierabrechnungen daraufhin, daß sie unter Anwendungen des BMF-Schreibens bestimmte Ver-luste nicht ausgewiesen hätten, dies ist aber keineswegs flä-chendeckend verbreitet. Es bleibt für den Anleger ein „dor-nenreicher Weg“ über das Rechtsbehelfsverfahren und ggf. die Finanzgerichte.

3. Optionen als Sonderfall?

Allerdings scheinen sich hier in jüngerer Zeit Lichtblicke er-geben zu haben. Zunächst zu Altfällen11, dann aber auch zu Neufällen12 hat der BFH entschieden, daß jedenfalls bei Optionsgeschäften der schlichte Verfall einer Option durchaus einen steuerbaren und verrechenbaren Verlust be-gründen könne. Begründet wird dies systematisch mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gleichbehandlung und auch der praktischen Überlegung, daß das Verlangen der tatsächlichen Ausübung einer Option zur Realisierung des Verlustes wohl nur als „bloße Förmelei“ angesehen werden könne, wollte man es steuerrechtlich fordern. In gleicher Weise hat sich auch das niedersächsische Finanzgericht in seinem Urteil vom 28.10.201513 geäußert. Die Parallele

7 A.a.O.; Rz. 59, zur Kritik hieran vgl. Jansen, a.a.O.

8 Vgl. Fußnote 6 Rz. 60 a ff.

9 Vgl. hierzu kritisch Jansen, a.a.O., S. 2735; Zacher, steueranwalts-

magazin 2016, 130 ff.

10 Vgl. hierzu jüngst FG München, Urteil vom 23.03.2015 – 7 K 1790/12.

11 Vgl. BFH, Urteil vom 10.11.2015 – IX R 20/14.

12 Vgl. BFH, Urteil vom 12.01.2016 – IX R 48/14.

13 Vgl. 3 K 420/14 – Revision anhängig beim BFH unter dem AZ VIII R 40/15.

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zum Verfall von Forderungen (Schuldverschreibungen), aber auch bei Beteiligungen wie etwa Aktien,14 liegt nahe. Kann es wirklich entscheidend sein oder wäre es nicht auch hier eine bloße Förmelei, wenn man statt dem Verfall die noch kurz vorher vorgenommene Übertragung gegen einen ganz geringen Betrag „anerkennen bzw. fordern“ würde?15

4. (Unbedingte) Termingeschäfte als Sonderfall?

Ein Termingeschäft im Sinne der steuerlichen Terminologie liegt dann vor, wenn der Steuerpflichtige einen Differenz-ausgleich oder einen durch den Wert oder veränderliche Be-zugsgröße bestimmten Geldbetrag oder Vorteil erlangt.16 Zu ergänzen ist, daß dies regelmäßig in der Zukunft liegt, denn bei bereits aktuell feststehenden Werten würde eine Partei vernünftigerweise ein solches Geschäft nicht ab-schließen. Optionen sind ihrerseits Termingeschäfte, wel-che (im Gegensatz zu unbedingten Termingeschäften) in der Weise bedingt sind, daß der Optionsinhaber nur das Recht, aber nicht die Pflicht hat, eine bestimmte wirtschaft-liche Folge herbeizuführen. Wie schon oben dargelegt, ver-zichtet der BFH in inzwischen feststehender Rechtspre-chung darauf, den Optionsinhaber bei sicher eintretendem Verlust aus steuerlichen Gründen zur Ausübung der Option „zu zwingen“.

Erst recht muß dies aber dann gelten, wenn ein son-stiges unbedingtes Termingeschäft vorliegt, weil dann (noch nicht einmal) der eintretende wirtschaftliche Nach-teil von einer Willensentscheidung abhängt. Der BFH be-gründet auch überzeugend, daß es jedenfalls nach dem ak-tuellen Gesetzeswortlaut nicht mehr darauf ankommen könne, ob das bzw. die Basisgeschäfte durchgeführt würden oder lediglich ein Spitzenausgleich bzw. das sogenannte „Netting“ vereinbart worden ist.17 Der Gedanke der – auch steuerwirksamen – Verlustrealisierung, unabhängig von der tatsächlichen Ausführung der optional oder bindend ver-einbarten Basisgeschäfte, gilt allgemein.

5. Swaps als Sonderfall?

Die derzeit zivilrechtlich besonders häufig diskutierten Swap-Geschäfte bilden ihrerseits wiederum einen Unter-fall zu den Termingeschäften. Sie kennzeichnet die Beson-derheit, daß hier regelmäßig Zahlungsströme über eine bestimmte Laufzeit mit unterschiedlichen Berechnungs-grundlagen ausgetauscht werden, die je nach Entwicklung dieser Berechnungsgrundlagen mal in die eine Richtung, mal in die andere Richtung einen Überschuß aufweisen. Zugleich kommt es regelmäßig zum Ende der Laufzeit zu einer Differenzberechnung, da auch die zugrunde gelegten Bestände (allerdings je nach Art des Swap-Geschäftes) eine unterschiedliche Entwicklung, jedenfalls bezogen auf die

lokale Währung, genommen haben können. Hier geht die Finanzverwaltung allerdings – jedenfalls unter dem aktu-ellen Steuer-Regime seit 2009 – durchaus davon aus, daß auch ein steuerbarer Gewinn oder Verlust gem. § 20 Abs. 2 Nr. 3 EStG (auch) hinsichtlich der Schlußzahlung eingreift. Entgegen einer früher zum Teil verbreiteten Behandlung des einheitlichen Swap-Geschäftes als gegenläufige Darle-hen, wird der Swap jetzt auch steuerlich als einheitliches Rechtsgeschäft angesehen.18 Auch hier spielt es im Übrigen nach aktuellem Recht keine Rolle, ob die Schlußzahlungen hin- und her geleistet werden oder lediglich ein Spitzenaus-gleich erfolgt.19

6. Schadensersatzzahlungen für gescheiterte Kapitalanlagen als „umgekehrter Sonderfall“

Die im Kapitalmarktrecht häufigen Fälle der sogenannten „Rückabwicklung“ negativ verlaufender Kapitalanlagen aufgrund von Prospektmängeln, Beratungsfehlern etc. wer-den in der Praxis hingegen scheinbar ohne nähere Proble-matisierung steuerlich als der Veräußerung gleichgestellte Fälle im Sinne von § 20 Abs. 2, 3 EStG behandelt.

Zwei Fragen sind hier zu trennen: Erstens stellt sich die Frage, ob die durch Urteil oder Vereinbarung (Vergleich) erzielte Leistung überhaupt eine Gegenleistung für be-stimmte Kapitalanlagen ist. Selbst das BMF fordert, daß ein „unmittelbarer Zusammenhang zu einer konkret einzelnen Transaktion“ bestehen muß.20 Diese Grundvoraussetzung scheint in der Praxis allerdings manchmal von den Finanz-ämtern vor Ort übersehen zu werden. Werden entspre-chende Regelungen mit Banken oder anderen Finanzinsti-tuten getroffen, wird oftmals – als Teil der Gesamtregelung – auch ein Verzicht auf (denkbare) Schadensersatzansprü-che hinsichtlich der bestehenden Kapitalanlagen verein-bart. Manchmal hat die entsprechende Vereinbarung eher den Hintergrund eines „Sanierungsvergleiches“, bei der die gewährende Bank zur Vermeidung noch nachteiligerer Folgen für den Kunden und ggf. auch unter Einbeziehung streitiger Gegenansprüche auf bestimmte Beträge verzich-tet oder solche noch zur Verfügung stellt, dann aber unter Übertragung vorhandener Assets. Ist diese Übertragung je-

14 Vgl. hierzu etwa den Fall BFH, Urteil vom 12.05.2016 – IX R 57/13, allerdings aufgrund von Besonderheiten des US-amerikanischen Insolvenzrechts.

15 In diesem Sinne vgl. etwa FG Düsseldorf, Urteil vom 26.02.2014 – 7 K 2180/13 I; Urteil vom 06.10.2015 – 2 K 309/13.

16 Vgl. BGH, Urteil vom 12.01.2016 – IX R 49/14.

17 Vgl. BFH a.a.O.

18 Zur Aufgabe der sog. Trennungstheorie vgl. BFH, Urteil vom 12.01.2016 – IX ZR 48/14, allerdings für den Fall von Optionen.

19 Vgl. hierzu ausführlich Zacher, steueranwaltsmagazin 2016, 147 ff.

20 Vgl. hierzu Rz. 83 des BMF-Schreibens; vgl. oben Fußnote 8.

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6 steueranwaltsmagazin  1 /2017

Beiträge Prof. Dr. Thomas Zacher Steuerliche Behandlung „wertloser“ Kapitalanlagen – für eine Wende zur Systemkonsequenz

doch nur „Nebenfolge“ einer Gesamtregelung mit völ-lig anderem Hintergrund, besteht kein unmittelbarer Zu-sammenhang zum Ausgleich eines konkreten Verlustes bei einer oder mehreren hiervon mitumfaßten Kapitalanlagen. Eine schlichte Zuordnung nach wirtschaftlichen (Verhält-nis-)Maßstäben, wie sie teilweise ohne nähere Begründung vorgenommen wird, verbietet sich von daher. Auch hier stehen die Banken allerdings durch § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG unter einem gewissen Druck, im Zweifelsfall „vorsorglich“ Kapitalertragssteuer abzuführen. Auch wenn eine konkrete Zuordnung feststeht, bleibt die Grundsatzfrage: Ist die Zahlung aufgrund schadensersatz-licher Rückabwicklungen, eines erfolgreichen Widerrufes o. Ä. die anstelle eines Entgeltes oder Vorteils im Sinne von § 20 Abs. 2 EStG gewährt worden? Denn erstens liegt im Re-gelfall gerade keine Wertsteigerung zugrunde – sonst wäre es zur Rückabwicklung nicht gekommen – und zweitens ist die Rückabwicklung jedenfalls nicht ohne Weiteres als „Surrogat für eine Veräußerung“ anzusehen, da eine solche jedenfalls grundsätzlich „ein synallagmatisches Austausch-verhältnis“ voraussetzt, dessen Hauptleistungspflichten einerseits in einer Geldleistungspflicht der eigenen Ver-tragspartei und andererseits in einer Sachlieferungspflicht oder der Verpflichtung zur Rechtsübertragung der ande-ren Vertragspartei besteht.21 Die Kapitalanlage wird aber in den entsprechenden Fällen „nur“ deshalb zurücküber-tragen, weil der Anspruchsgegner im Sinne des Gesamt-ausgleichs nicht dazu verpflichtet sein kann, neben der Erstattung des vollen Erwerbspreises, dem Anspruchstel-ler auch noch die Anlage selbst zu belassen. Mit entspre-chenden Überlegungen hat jedenfalls das LG Frankfurt22 kategorisch eine Steuerbarkeit entsprechender Schadenser-satzleistungen verneint. Ob diese Wertung durch ein zivil-rechtliches Instanzgericht allgemeingültigen Charakter hat, mag bezweifelt werden. Im Sinne der Systemgerechtigkeit muß hier tatsächlich konzediert werden, das im Rahmen des neuen Gesamtkonzepts von § 20 EStG auch solche Leis-tungen bei Beendigung einer Kapitalanlage steuerlich be-rücksichtigt werden müssen. Wenn man dies aber hier mit

der im steuerlichen Bereich wohl eindeutig herrschenden Meinung, trotz durchaus bestehender wortlautbezogener Fragezeichen tut, muß es umso mehr erstaunen, wenn an anderer Stelle der Begriff der Veräußerung wiederum sehr einengend interpretiert wird und beim schlichten Verfall zu einem „weißen Bereich“ führen soll.

7. Fazit: Systemkonsequenz!

Die vorstehenden Beispiele zeigen, daß in letzter Zeit durchaus Bewegung in die Behandlung von Gewinnen, aber insbesondere auch Verlusten im Rahmen von § 20 Abs. 2 EStG gekommen ist. Auch wenn die Rechtsprechung nur einzelfallbezogen agieren kann, sollten diese Fälle und die durchaus grundsätzlichere Diskussion in der Literatur dazu führen, auch und trotz Berücksichtigung der Besonder-heiten des Steuer-Regimes von Kapitaleinkünften, jeden-falls innerhalb dieser Einkunftsart einer Systemkonsequenz zum Sieg zu verhelfen. Der capital loss muß ebenso wie der capital gain grundsätzlich steuerbar sein, ohne daß hier reine Begrifflichkeiten ausschlaggebend sein dürfen. Zur-zeit wird auf der politischen Bühne die Möglichkeit einer künftigen Abkehr vom besonderen Steuersatz und der Ab-geltungsteuer hin zu einer Berücksichtigung der Kapital-einkünfte nach allgemeinen Grundsätzen, verbunden le-diglich mit einem anrechenbaren Vorab-Abzug ähnlich der Lohnsteuer, diskutiert. Spätestens dann müßten positive wie negative Wertentwicklungen eine systemisch gleiche Behandlung erfahren – dies sollte auch jetzt schon inner-halb des besonderen Steuer-Regimes der §§ 20, 32d und 43 ff. EStG der Fall sein!

21 Vgl. FG Münster, Urteil vom 14.03.2014 – 12 K 3284/13.

22 Vgl. Urteil vom 21.12.2011 – 2-25 O 218/11.

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Jochum · Thiele

Introductionto German Tax Law

Introduction to German Tax Law von Professor Dr. jur. Heike Jochum, Mag. rer. publ., Managing Director of the Institute for Finance and Tax Law, University of Osna-brück, and Dipl.-Jurist Philipp J. Thiele LL.M. (Edinburgh), research assistant at the Institute for Finance and Tax Law, University of Osna-brück

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9steueranwaltsmagazin  1  /2017

Beiträge

Neue Vorgaben der Rechtsprechung zur Kassenbuchführung und zu Schätzungsmöglichkeiten der Finanzverwaltung1

Dr. Egmont Kulosa, Richter am Bundesfinanzhof

Anlaß für unser heutiges Thema sind einige vieldiskutierte BFH-Entscheidungen aus dem letzten Jahr. Dieser Beitrag soll sich aber nicht auf die bloße Besprechung dieser Ent-scheidungen beschränken. Vielmehr soll es in umfassende-rer Weise um das Thema „Schätzungen bei Kassenmängeln“ gehen – mit einem systematischen Überblick, der anwalt-lichen Beratern neu das Gefühl vermitteln soll, an welcher Stelle es sich lohnt, Einwendungen gegen eine Schätzung des FA vorzubringen und eventuell Rechtsschutz zu suchen. Hier wird es auch um die ab 2017 geltende neue Kassen-richtlinie der Finanzverwaltung und um die „Apotheken-Urteile“ des BFH gehen.

Nach diesem systematischen Überblick sollen mathe-matisch-statistische Methoden der elek tronischen Betriebs-prüfung im Mittelpunkt stehen. Hier geht es vor allem um den Zeitreihenvergleich in seinen verschiedenen Ausprä-gungen. Dazu liegt mittlerweile BFH-Rechtsprechung vor, aus der sich für Berater zahlreiche Argumentationsmöglich-keiten ergeben.

Darüber hinaus geht es auch um andere neuere Metho-den der elektronischen Betriebsprüfung, mit denen sich die Rechtsprechung noch nicht befaßt hat. Abschließend folgt ein Überblick über einen Gesetzentwurf, der gerade im Bun-destag beraten wird und im Zusammenhang mit unserem heutigen Thema erhebliche Änderungen bringen soll.

I. Grundsätze ordnungsgemäßer Schätzung

Die Grundsätze ordnungsgemäßer Schätzung sind Allge-meingut; hier ist auch in Zukunft nichts grundlegend Neues vom Gesetzgeber oder vom BFH zu erwarten. Gleichwohl habe ich den Eindruck, daß die systematischen Grundla-gen in der Praxis manchmal ein wenig verschüttet sind. Für anwaltliche Berater ergeben sich daraus Chancen: Denn bei einer Schätzung muß zunächst das Finanzamt in Vor-lage treten. Es muß seine Schätzung nämlich begründen. Wenn aber das Finanzamt Unsicherheiten oder Unsauber-keiten bei der Anwendung der Schätzungsgrundsätze zeigt, dann können Berater dort einhaken und erfolgverspre-chend gegen eine Schätzung vorgehen, oder haben zumin-dest eine bessere Verhandlungsposition.

Überlegungen zu einer rechtlich sauberen Schätzung, die für die mit ihr befaßten Personen nachvollziehbar ist, gliedern sich in drei Hauptbereiche:

�� Die Herleitung der Schätzungsbefugnis dem Grunde nach,

�� die Auswahl zwischen verschiedenen Schätzungsmetho-den

�� und die Durchführung der Schätzung der Höhe nach (einschließlich einer Plausibilitätsprüfung).

1. Schätzungsbefugnis dem Grunde nach

Die Vorschriften des § 162 AO stellen den gesetzlichen Ausgangspunkt dar. Danach ist zu schätzen (Schätzungs-zwang), soweit die Finanzbehörde Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann. Dies gilt insbeson-dere bei fehlender Mitwirkung des Steuerpflichtigen (§ 162 Abs. 2 Satz 1 AO) oder – was für unser Thema entscheidend ist – wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden (§ 162 Abs. 2 Satz 2 AO). Damit ist gemeint, daß die Buch-führung wegen einer Verletzung der Vorschriften der §§ 140 - 148 AO nicht die in § 158 AO angesprochene Beweis-kraft hat (wenn im Folgenden vereinfachend von „Buch-führung“ die Rede ist, sind „Aufzeichnungen“, die in Fällen der Gewinnermittlung durch Einnahmen-Überschuß-Rech-nung geführt werden, grundsätzlich mit umfaßt).

Eine ordnungsgemäße und nachvollziehbare Schät-zung muß in diesem Zusammenhang drei Kriterien erfül-len:

�� Benennung der verletzten Rechtsnorm (unten a),�� Angabe der Tatsachen, aus denen die Verletzung der

Rechtsnorm folgt (unten b),�� Gewichtung des Buchführungsmangels im konkreten

Einzelfall (unten c).Das klingt erst einmal sehr formal und damit theoretisch. Diese formalen Elemente bergen aber durchaus Zündstoff in sich. Wenn das Finanzamt sie nicht beachtet, haben Berater gute Karten. Dies ist häufiger, als man gemeinhin denkt. Fordern Sie vom Finanzamt konkrete Angaben – dies sollten sowohl Berater als auch Finanzrichter beherzigen.

a) Benennung der verletzten Rechtsnorm

Entscheidend für das weitere Verfahren ist, daß schon der Betriebsprüfer sich Gedanken darüber macht, welche Rechtsnorm er beim „Aufgriff“ eines bestimmten (Buchfüh-

1 Erweiterte Fassung des auf dem 22. Steueranwaltstag am 04.11.2016 in Berlin gehaltenen Vortrags. Die Vortragsform wurde beibehalten.

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10 steueranwaltsmagazin  1 /2017

Beiträge Dr. Egmont Kulosa Neue Vorgaben der Rechtsprechung zur Kassenbuchführung Beiträge

rungs-) Sachverhalts als verletzt ansieht. Wesentlich sind hier die in §§ 140 - 148 AO gestellten Anforderungen. Dabei ist die Unterscheidung zwischen formellen und materiellen Mängeln von zentraler Bedeutung.aa) Materielle Mängel

Materielle Mängel sind grundsätzlich die gravierenderen. Sie haben als solche bereits unmittelbare Auswirkungen auf das Buchführungsergebnis, also den Gewinn des einzel-nen Jahres. Beispiele (bei denen es sich jeweils um Verstöße gegen das Richtigkeits- und Vollständigkeitsgebot des § 146 Abs. 1 Satz 1 AO handelt):

�� Nichterfassung eines Teils der Einnahmen (ein Man-gel, der in der Hierarchie ziemlich weit oben angesiedelt ist; beim Nachweis eines solchen materiellen Mangels kommt der Steuerpflichtige um eine erhebliche Hinzu-schätzung und häufig auch um ein Steuerstrafverfahren nicht herum);

�� Abzug von Aufwendungen als Betriebsausgaben, obwohl es keine sind;

�� unzutreffende Abgrenzung zum Privatbereich;�� Ansatz fehlerhafter Jahresendbestände einzelner Wirt-

schaftsgüter.Rechtsfolgen materieller Mängel in der Betriebsprüfung (drei Stufen):

�� Sie zwingen in jedem Fall zu einer Korrektur des Buch-führungsergebnisses im Umfang des festgestellten Man-gels.

�� Je nach ihrem Gewicht können sie aber auch Anlaß geben, über den Umfang des beweisbaren Mangels hi-naus ergänzende Schätzungen vorzunehmen (die sog. „Sicherheitszuschläge“).

�� In gravierenden Fällen berechtigen sie sogar dazu, die Buchführung vollständig zu verwerfen und eine Voll-schätzung durchzuführen.

Das Problem bei materiellen Mängeln ist: Sie sind häufig eher schwierig mit der erforderlichen Sicherheit festzustel-len; das gilt vor allem für die Einnahmenverkürzung. Der Betriebsprüfer läßt daher häufig schon einen Verdacht auf das Vorliegen materieller Mängel genügen. Um einen sol-chen „Anfangsverdacht“ zu gewinnen, wendet der Betrieb-sprüfer mitunter sog. „Verprobungsmethoden“ an. Dabei handelt es sich noch nicht um eine Schätzung, sondern le-diglich um einen „Test“, der Anhaltspunkte für das Beste-hen einer Schätzungsbefugnis liefern soll. Wir müssen also unbedingt zwischen Verprobungsmethoden und Schät-zungsmethoden unterscheiden, auch wenn diese nicht immer scharf voneinander abgegrenzt sind und manch-mal im weiteren Verlauf der Betriebsprüfung aus der Ver-probung eine Schätzung wird.bb) Formelle Mängel

Im Gegensatz zu materiellen Mängeln beschränken sich formelle Mängel zunächst einmal auf die Organisation der Buchführung sowie die Einhaltung von Ordnungs- und Aufbewahrungsvorschriften. Sie sind daher für einen Be-triebsprüfer zumeist in kürzester Zeit feststellbar.

(1) Entscheidend: Rückschluß von formellen Mängeln auf die inhaltliche Fehlerhaftigkeit der Gewinn­ermittlung

Aber: Entscheidend ist das Buchführungsergebnis. Allein das offene Zutagetreten eines formellen Mangels läßt für sich genommen keinen logisch zwingenden Schluß darauf zu, daß auch das Ergebnis der Buchführung (die Zahl des am Ende ermittelten Gewinns, der für die Besteuerung ent-scheidend ist) fehlerhaft ist.

Hieraus folgt nun eine ganz wichtige Einschränkung, die die Rechtsprechung vornimmt, und die das Finanz-amt auch begründen muß (auf derartige Begründungen hat der Steuerpflichtige einen Anspruch, der gegenüber dem Finanzamt auch ausdrücklich geltend gemacht wer-den sollte): Eine Schätzungsbefugnis ist bei formellen Män-geln nur insoweit gegeben, als sie Anlaß geben, auch die sachliche Richtigkeit des Buchführungsergebnisses anzu-zweifeln.2

Bei formellen Mängeln besteht also die folgende Grund-differenzierung:

�� Es gibt formelle Mängel, die das Finanzamt nicht zu einer Änderung des Buchführungsergebnisses berechti-gen (Beispiel: allein die fehlende Datierung vorhandener und lückenlos nummerierter Tagesendsummenbons hat der BFH als geringfügig angesehen).3 Der Prüfer muß sich dann darauf beschränken, den Steuerpflichtigen freundlich darauf hinzuweisen, daß die verletzte Form-vorschrift für die Zukunft zu beachten ist. Geld kostet dies den Steuerpflichtigen nicht.

�� In einem mittleren Bereich bewegen sich solche for-mellen Mängel, die zu einer „kleinen Schätzungsbefug-nis“ berechtigen. Die formellen Mängel deuten mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit darauf hin, daß das Buch-führungsergebnis auch inhaltlich (materiell) fehlerhaft ist; der Umfang dieser Fehler ist aber nach praktischer Erfahrung im konkreten Einzelfall wohl eher gering. Rechtsfolge ist hier i.d.R. ein Sicherheitszuschlag im un-teren Bereich, in der Praxis zumeist zwischen 2 und 5% des Umsatzes.

�� Zur „Königsklasse“ gehören formelle Mängel, die so gra-vierend sind, daß sie der gesamten Buchführung ihre Nachvollziehbarkeit nehmen. Dies ist der einfachste Weg für den Prüfer, eine umfassende Schätzungsbefugnis zu begründen. Ein Berater sollte darauf achten, daß die Mandanten derartige Mängel vermeiden.

Die häufigsten Beispiele für derartige gravierende Mängel sind (in Abhängigkeit von den in der Praxis typischerweise verwendeten Kassensystemen):

�� bei offenen Ladenkassen: Fehlen täglicher Kassenbe-richte auf der Grundlage eines tatsächlichen Auszählens;

2 BFH-Urteile vom 17.11.1981 VIII R 174/77, BStBl. II 1982, 430, und vom 14.12.2011 XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921, Rz 22.

3 BFH-Urteil vom 25.03.2015 X R 20/13, BStBl. II 2015, 743, unter II.1.a bb.

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BeiträgeDr. Egmont Kulosa Neue Vorgaben der Rechtsprechung zur Kassenbuchführung Beiträge

�� bei „einfachen“ Registrierkassen: Fehlen fortlaufender Tagesendsummenbons;

�� bei programmierbaren Kassensystemen: Fehlen der Do-kumentationsunterlagen (Bedienungsanleitung und Pro-tokolle sämtlicher Programmiervorgänge).

Die beiden erstgenannten Sachverhalte (Fehlen von Kas-senberichten bzw. Tagesendsummenbons) sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung schon lange im Sinne der Begründung einer Schätzungsbefugnis anerkannt,4 ob-wohl streng genommen damit noch kein Nachweis eines auch inhaltlich fehlerhaften Buchführungsergebnisses er-bracht ist. Aber es fehlt an der grundlegenden Nachvoll-ziehbarkeit und Überprüfbarkeit der Buchführungsunterla-gen. Dies wird in der täglichen Betriebsprüfungspraxis so gehandhabt.(2) Neue Rechtsprechung zu DokumentationsmängelnIn der Zukunft müssen Sie sich darauf einstellen, daß die Finanzämter verstärkt die Dokumentationsunterlagen elek-tronischer Kassensysteme auf ihre Vollständigkeit prü-fen werden. Die Finanzverwaltung hat diese Anforderung schon lange gestellt,5 war darin bisher aber noch nicht vom BFH bestätigt worden. Daher zeigten die meisten Prü-fer eine große Zurückhaltung, allein wegen der Nichtdoku-mentation von Programmiervorgängen eine Hinzuschät-zung vorzunehmen. Dies dürfte sich nun ändern: Der BFH hat sehr deutlich erklärt, daß bei Nutzung programmier-barer Kassensysteme schon die Nichtaufbewahrung der Be-dienungsanleitung und der Programmierprotokolle einen gravierenden formellen Mangel darstellt, dessen Gewicht so hoch ist, daß er bereits für sich genommen zu einer Schät-zungsbefugnis dem Grunde nach führt.6 Der Berater muß daher beim jährlichen Mandantengespräch unbedingt auf die Aufbewahrungspflicht derartiger Unterlagen hinweisen.

Eine Ausnahme ermöglicht der BFH allerdings dann, wenn das konkret verwendete Kassensystem trotz seiner Programmierbarkeit keine Manipulationsmöglichkeiten er-öffnet und der Steuerpflichtige dies darlegen kann. Mögli-cherweise wird dies in der Praxis aber keine Hilfe sein. Die ersten Äußerungen von Finanzbeamten in der Literatur gehen dahin, daß diese Ausnahme eigentlich niemals er-füllt sein könne, weil davon auszugehen sei, das jedes pro-grammierbare Kassensystem auch manipulierbar sei.7

Trotz des Umstands, daß der BFH die Verwaltungsauf-fassung in diesem Punkt bestätigt hat, sollten die Betriebs-prüfer aber mit Augenmaß vorgehen. Die Nichtaufbewah-rung von Kassenunterlagen ohne konkrete Anhaltspunkte für tatsächliche Manipulationen dürfte allein (also ohne das Hinzutreten weiterer Mängel) nicht zur „großen Keule“ der Vollschätzung berechtigen, sondern eher mit einem Si-cherheitszuschlag abzugelten sein.(3) Exkurs: neue Kassenrichtlinie ab 01.01.2017(a) Anforderungen der FinanzverwaltungIm BMF-Schreiben vom 26.11.2010 (BStBl. I 2010, 1342) stellt die Finanzverwaltung die folgenden neuen Anforde-rungen:

�� Bei Erfassung von Bargeschäften mit Registrierkassen, Ta-xametern usw. soll die Pflicht zur Aufzeichnung jedes einzelnen Umsatzes bestehen (eine Verdichtung, z.B. das ausschließliche Aufbewahren von Tagesendsummen-bons, soll nicht zulässig sein).

�� Es soll nicht mehr zulässig sein, aufbewahrungspflichtige Unterlagen ausschließlich in gedruckter Form aufzube-wahren.

�� Soweit ein Gerät bauartbedingt den in diesem Schreiben niedergelegten „gesetzlichen Anforderungen“ nicht ge-nügt, wird es nicht beanstandet, wenn der Steuerpflich-tige das Gerät bis zum 31.12.2016 weiterhin einsetzt.

Daß es sich bei diesen Neuerungen um „gesetzliche Anfor-derungen“ handeln soll – wie es im BMF-Schreiben heißt –, ist zunächst einmal nur eine Behauptung, deren Richtigkeit noch zu überprüfen wäre.(b) Stellungnahme zu der Auffassung, ein Vorhalten in

gedruckter Form sei nicht ausreichendHierfür bedürfte es m. E. einer eindeutigen gesetzlichen Grundlage, weil es sich um einen völligen Bruch mit den hergebrachten Buchführungsgrundsätzen handelt. Bisher war immer der gedruckte Beleg das Zentrum aller Buch-führungsunterlagen und Aufzeichnungen. Eine solche ein-deutige Rechtsgrundlage hierfür ist im Gesetz aber nicht erkennbar. Der Begriff „Bücher“ meint grundsätzlich ge-druckte und gebundene Aufzeichnungen (vgl. die Fahr-tenbuch-Entscheidungen des BFH),8 ebenso hat der Begriff „Aufzeichnungen“ seinen Ursprung in Eintragungen auf Papier.

§ 146 Abs. 2a AO sieht zwar den Spezialfall der „elek-tronischen Bücher“ vor, ordnet aber keine entsprechende Pflicht an. Für den Gesetzgeber steht also weiterhin die Pa-pierbuchführung im Vordergrund. Eindeutig ist dann § 146 Abs. 5 Satz 1 AO: Bücher und Aufzeichnungen können auch auf Datenträgern geführt werden, soweit diese Formen der Buchführung einschließlich des dabei angewandten Ver-fahrens den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung entsprechen.

Gleiches ergibt sich aus § 147 Abs. 2 und 5 AO: Danach können bestimmte Unterlagen auf einem Bild- oder Daten-träger aufbewahrt und dem Finanzamt vorgelegt werden, wenn die Daten maschinell ausgewertet werden können. Diese Vorschriften ermöglichen die Aufbewahrung in elek-tronischer Form und ordnen für diesen Fall die maschinelle Verwertbarkeit an; sie verbieten den Steuerpflichtigen aber

4 Zu offenen Ladenkassen z.B. BFH vom 20.06.1985 – IV R 41/82, BFH/NV 1985 S. 12.

5 BMF-Schreiben vom 07.11.1995, BStBl. I 1995, 738, Tz. VI.c; vom 26.11.2010, BStBl. I 2010, 1342, und vom 14.11.2014, BStBl. I 2014, 1450, Tz. 111.

6 BFH-Urteil vom 25.03.2015 X R 20/13, BStBl. II 2015, 743, unter II.1.a cc.

7 So z.B. Henn, DB 2016, 254, 255.

8 BFH-Urteil vom 09.11.2005 VI R 27/05, BStBl. II 2006, 408.

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Beiträge Dr. Egmont Kulosa Neue Vorgaben der Rechtsprechung zur Kassenbuchführung

nicht die Papierform. Auf diese Vorschrift beruft sich er-staunlicherweise das BMF-Schreiben, sie kann nach ihrem klaren Wortlaut aber keine gesetzliche Pflicht begründen, da sie das Wort „können“ verwendet.

Näher zu betrachten ist allerdings § 147 Abs. 6 AO (eine Norm, auf die sich das BMF-Schreiben allerdings nicht be-ruft). Dort heißt es, wenn aufbewahrungspflichtige Unter-lagen mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems erstellt worden seien, habe die Finanzbehörde im Rahmen einer Außenprüfung das Recht, Einsicht in die gespeicherten Daten zu nehmen. Diese Vorschrift kann man nun in zwei-erlei, gegensätzlicher Weise interpretieren:

�� Einerseits könnte man die Auffassung vertreten, wenn die Daten erst einmal (wenn auch freiwillig) gespeichert seien, dann sei ihre Löschung nunmehr gesetzlich un-tersagt.

�� Mit dem Wortlaut ebenso vereinbar wäre aber eine Ausle-gung, wonach die zunächst elektronisch erzeugten Auf-zeichnungen durchaus auch ausgedruckt werden dürfen. Wenn die gespeicherten Daten dann gelöscht werden, gilt die Aufbewahrungspflicht für die (natürlich vollstän-digen) Ausdrucke. Eine eindeutige Pflicht zur Aufbewah-rung und Speicherung in elektronischer Form enthält der Wortlaut des § 147 Abs. 6 AO daher m.E. nicht.

(c) Stellungnahme zu der Auffassung, es bestehe Einzelaufzeichnungspflicht

Von Bedeutung sind hier zwei BFH-Entscheidungen, die man sehr genau betrachten muß und deren Kernaussagen daher hier zunächst wiedergegeben werden sollen:BFH-Urteil vom 12.05.1966 IV 472/60, BStBl. III 1966, 371 (Bäckerei mit Lebensmittel-Einzelhandel)(1) Zwar erfordern die Grundsätze ordnungsmäßiger

Buchführung grundsätzlich die Aufzeichnung jedes einzelnen Handelsgeschäfts und damit auch jedes ein-zelnen Kasseneingangs.

(2) Dies gilt aber nur im Rahmen des nach Art und Um-fang des Geschäfts Zumutbaren. Bei Barverkäufen in offenen Ladengeschäften an Kunden, die im Allgemei-nen nicht der Person nach bekannt sind, wäre eine Identifizierung der Kunden „technisch, betriebswirt-schaftlich und praktisch unmöglich“. Auch die einzel-nen vereinnahmten Barbeträge müssen nicht festge-halten werden.

(3) Dies gilt auch bei der Verwendung von Registrierkas-sen, die lediglich für den Kunden Belege auswerfen, im Übrigen aber die Einzelbeträge so speichern, daß nur die Endsumme abgelesen werden kann.

BFH-Urteil vom 16.12.2014 X R 42/13, BStBl. II 2015, 519 (Apotheke mit ausgeklügeltem Warenwirtschaftssystem) (1) Zunächst Verweis auf das Urteil aus 1966, wonach

grundsätzlich eine Einzelaufzeichnungspflicht bestehe, sofern dies nicht unzumutbar sei, was der BFH bei einer Vielzahl barer Kleinbeträge bejaht habe (Rn. 18 - 20).

(2) Im Streitfall ist eine Unzumutbarkeit zu verneinen. Entscheidet der Steuerpflichtige sich für ein modernes

PC-Kassensystem, das jeden Vorgang einzeln und de-tailliert aufzeichnet und speichert, kann er sich nicht auf die Unzumutbarkeit der Aufzeichnung berufen (Rn. 23).

Enthält die letztgenannte Entscheidung wirklich etwas Neues, stellt sie einen „Knüller“ zugunsten der Finanzver-waltung dar? M.E. ist dies nicht der Fall. Es wurde nur ent-schieden, daß derjenige, der (ggf. aus außersteuerlichen Gründen) tatsächlich Einzelaufzeichnungen führt, diese auch im Besteuerungsverfahren vorlegen muß. Es geht al-lein um die Frage der Zumutbarkeit, und die Führung de-taillierter Aufzeichnungen ist natürlich dann nicht unzu-mutbar, wenn der Steuerpflichtige sie tatsächlich führt. Eine Pflicht zur generellen Führung von Einzelaufzeich-nungen im Kleinhandel läßt sich daraus aber m.E. nicht zwingend entnehmen. Jedenfalls ist diese Frage mit der ge-nannten Entscheidung nicht im Sinne der Finanzverwal-tung geklärt.

Natürlich sollten Ihre Mandanten ab 2017 die Kassen-richtlinie der Finanzverwaltung beachten, um keinen Kon-fliktstoff mit dem Finanzamt zu produzieren. Aber wenn Sie hinterher merken, daß ein Mandant diese formellen An-forderungen nicht erfüllt hat, würde ich Ihnen raten, nicht klein beizugeben und auch eine gerichtliche Auseinander-setzung nicht zu scheuen. Die Frage der Rechtsgrundlage ist offen.

b) Angabe der Tatsachen, aus denen die Verletzung der

Rechtsnorm folgt

Die Finanzverwaltung trägt die Feststellungslast für steu-ererhöhende Tatsachen.9 Daher muß sie in ihren schrift-lichen Stellungnahmen die Tatsachen, auf die sie eine Schätzungsbefugnis stützen will, möglichst genau bezeich-nen (also im Bp-Bericht, spätestens in der Einspruchsent-scheidung). Fehlt es daran, hat das Finanzamt eine Schät-zungsbefugnis nicht nachvollziehbar dargelegt. Der Berater sollte in diesem Punkt daher auf klaren Tatsachenangaben bestehen; erst klare Angaben eröffnen ja mitunter die Mög-lichkeit zur gezielten Gegenargumentation und Widerle-gung. Aus Sicht eines Revisionsrichters gilt die Pflicht zu klaren Tatsachenfeststellungen übrigens auch für das FG in der Urteilsbegründung in Schätzungsfällen.

In Bp-Berichten findet sich häufig die pauschale Aus-sage, der Steuerpflichtige habe „einen Teil seiner Aus-gangsrechnungen“ nicht aufbewahrt (oder: „einige Rech-nungen“/„zahlreiche Rechnungen“ nicht aufbewahrt). Derart unkonkrete Aussagen werden im Allgemeinen nicht genügen. Denn für die Beurteilung sowohl der Frage, ob dem Grunde nach überhaupt eine Schätzungsbefugnis be-steht, vor allem aber für die Höhe der Hinzuschätzung ist von entscheidender Bedeutung, welchen Umfang der Man-

9 BFH-Urteil vom 02.03.2006 II R 57/04, BFH/NV 2006, 1480, unter II.6., m.w.N.

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13steueranwaltsmagazin  1  /2017

BeiträgeDr. Egmont Kulosa Neue Vorgaben der Rechtsprechung zur Kassenbuchführung

gel hat. Und da stellt es nun einmal einen gewaltigen Un-terschied dar, ob nur zwei von insgesamt 100.000 Aus-gangsrechnungen nicht aufbewahrt worden sind, oder aber 3.000 von insgesamt nur 8.000 Belegen. In einem solchen Fall sollte der Prüfer daher möglichst die fehlenden Rech-nungsnummern sowie die Gesamtanzahl der Rechnungen angeben.

Gleiches gilt beim Fehlen von Tagesendsummenbons oder anderen aufbewahrungspflichtigen Unterlagen: Es kommt darauf an, wie viele und welche Tagesendsummen-bons fehlen. Enthält ein Bp-Bericht solche konkreten Anga-ben nicht, kann sich ein unabhängiger Dritter kein eigenes Bild von der Schwere des Mangels machen.

c) Gewichtung des Buchführungsmangels im konkreten

Einzelfall

Noch seltener findet man in Bp-Berichten einzelfallbe-zogene Aussagen zum Gewicht des festgestellten Buch-führungsmangels. Zwar mag in bestimmten Fällen eine pauschale Feststellung ausreichend sein („Die Nichtauf-bewahrung der Tagesendsummenbons stellt einen gra-vierenden Mangel dar, da der Steuerpflichtige 70% seiner Einnahmen in Form von Bargeld erzielt und die ordnungs-mäßige Kassenführung daher von zentraler Bedeutung für das gesamte Buchführungsergebnis ist.“).

Zahlreiche andere Fälle stellen sich aber nicht als so eindeutig dar. Dann bedarf es konkreter Aussagen des FA – denen Sie natürlich entgegentreten können. Hierfür gelten die folgenden Leitgedanken:

�� Ist ein materieller Mangel so gravierend, daß er über die bloße Korrektur des festgestellten Fehlers hinaus zu einer Hinzuschätzung oder sogar Vollschätzung berechtigt?

�� Ist ein formeller Mangel so gravierend, daß die Nachvoll-ziehbarkeit (insbesondere) der vollständigen Erfassung der Betriebseinnahmen entscheidend beeinträchtigt ist,10 oder gibt es trotz Nichtbeachtung einer Ordnungs-vorschrift keinen Anhaltspunkt für eine Unrichtigkeit des materiellen Buchführungsergebnisses?

2. Auswahl und Konkurrenzen zwischen verschiedenen Schätzungsmethoden

Das Finanzamt muß sich in sachgerechter Weise zwi-schen den verschiedenen Schätzungsmethoden entschei-den. Diese Auswahl ist nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 5 AO) zu treffen. Daher entsteht – wie stets bei Ermessens-entscheidungen – ein Kontinuum zwischen der nicht über-prüfbaren eigenen Entscheidungsbefugnis des Finanzamts und den stets einzuhaltenden rechtlichen Bindungen.

Hierfür hat der BFH nunmehr klargestellt, daß eine (weitgehende) Freiheit des Finanzamts nur bei der Aus-wahl zwischen mehreren gleich geeigneten Schätzungsme-thoden besteht.11 Als im Regelfall gleich geeignet sieht der BFH dabei die Methoden der Aufschlagkalkulation und der Geldverkehrs- bzw. Vermögenszuwachsrechnung an, wobei

es naturgemäß im Einzelfall gute oder sogar zwingende Gründe geben kann, gerade die eine oder die andere Me-thode zu bevorzugen.

Demgegenüber sind Methoden, die tendenziell unge-nauer sind (z. B. die griffweise Schätzung, Richtsatzschät-zung, aber auch der noch zu behandelnde Zeitreihenver-gleich) im Verhältnis zu genaueren Methoden nachrangig. Auch hier gilt natürlich: Je gravierender die Pflichtverlet-zungen des Steuerpflichtigen und je schwerer die Buch-führungsmängel sind, desto weniger tatsächliche Anknüp-fungspunkte werden im Allgemeinen für eine der genaueren Schätzungsmethoden zur Verfügung stehen, und desto eher wird die Heranziehung einer der gröberen Methoden zuläs-sig sein.

In diesem Zusammenhang erlangt auch die Unterschei-dung zwischen einer Vollschätzung und einer Teilschät-zung Bedeutung: Bei einer Vollschätzung verwirft der Prüfer die gesamte Buchführung und ermittelt die Einkünfte ei-genständig. Bei einer Teilschätzung zieht er das vom Steuer-pflichtigen ausgewiesene Buchführungsergebnis als Grund-lage heran, nimmt aber einige ergänzende Korrekturen vor. Da die Vollschätzung den stärkeren Eingriff darstellt, wird sie grundsätzlich nur bei gravierenden Buchführungsmän-geln zu rechtfertigen sein.

Aus meiner persönlichen Sicht weder besonders schön noch sachgerecht ist die folgende Konstellation, die aber leider immer wieder anzutreffen ist: Das Finanzamt hat sich bemüht, eine relativ genaue Schätzungsmethode an-zuwenden (z. B. Aufschlagkalkulation, Geldverkehrsrech-nung). Der Steuerpflichtige erhebt Einwendungen gegen bestimmte Tatsachengrundlagen, die das Finanzamt sei-ner Schätzung zugrundegelegt hat. Das FG fürchtet nun die Arbeit, die damit verbunden wäre, diesen Einwendungen nachzugehen. Deshalb weicht es in seinem Urteil auf eine ungenauere Schätzungsmethode aus (z.B. Richtsatzschät-zung, griffweise Hinzuschätzung pauschaler Beträge). Dies ist eigentlich nicht zulässig, solange das FG Ermittlungen vornehmen könnte, die eine Beurteilung der Ergebnisse der genaueren Methode ermöglichen würden. Wirklich un-schön wird es aber, wenn das FG seine Schätzungsmethode im Urteil umstellt, ohne die Beteiligten vorher darauf hin-zuweisen. Der BFH nimmt sich dieser Fälle zwar in aller Regel nicht an, weil in Schätzungsfällen mit reinem Ein-zelfallbezug der Zugang zur Rechtsmittelinstanz – mit Aus-nahme von durchgreifenden Verfahrensmängeln – nahezu ausgeschlossen ist. Eine gewisse Enttäuschung des Steu-erpflichtigen über derartige finanzgerichtliche Verfahren kann ich aber nachvollziehen.

10 Z.B. BFH-Urteil vom 25.03.2015 X R 20/13, BStBl. II 2015, 743, unter II.1.a aa: Lückenhaftigkeit der Tagesendsummenbons über einen Zeitraum von 2,5 Monaten.

11 Zum Ganzen BFH-Urteil vom 25.03.2015 X R 20/13, BStBl. II 2015, 743, unter II.3.b.

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3. Schätzung der Höhe nach

Rechtlicher Ausgangspunkt ist hier § 162 Abs. 1 Satz 2 AO, wonach alle Umstände zu berücksichtigen sind, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Dabei ist zu differenzieren zwischen

�� der technisch korrekten Anwendung der ausgewählten Schätzungsmethode

�� und der Herleitung und Verprobung des rechnerischen Schätzungsergebnisses.

a) Technisch korrekte Anwendung der ausgewählten

Schätzungsmethode

Daß die gewählte Methode rechnerisch-technisch korrekt und in sich schlüssig angewendet werden muß, ist eine Binsenweisheit. In der Praxis stellt sich aber das Problem, daß schon bei eher simplen Methoden wie der Geldver-kehrsrechnung, erst recht aber bei komplexeren Metho-den wie einer Aufschlagkalkulation im Prinzip eine unbe-grenzte Zahl von Tatsachen und sonstigen Parametern in das Schätzungsergebnis einfließen kann. Ganz besonders extrem ist dies natürlich bei Methoden, die, wie der Zeitrei-henvergleich, nur noch computergestützt anwendbar sind. Für welche Ausgaben der Steuerpflichtige seine Einnahmen verwendet, welche Zutaten er mit welchen Anteilen zu den von ihm angebotenen Speisen kombiniert und in welchem Zeitraum er die von ihm an einem bestimmten Tag einge-kauften Waren verbraucht, wird niemals mit „mathema-tischer“ Sicherheit feststellbar sein.

Die Prüfungspraxis wird sich daher immer mit einem gewissen Grad an Wahrscheinlichkeit der getroffenen Schätzungsannahmen behelfen müssen. Wie genau die Tat-sachenermittlungen ausfallen müssen und welcher Grad an Wahrscheinlichkeit der getroffenen Annahmen zu fordern ist, ist im Verhältnis zwischen den Beteiligten quasi „Ver-handlungssache“ und für das letztlich entscheidende Fi-nanzgericht eine Frage der Einzelfallbeurteilung, der die Be-teiligten weitestgehend „ausgeliefert“ sind.

Für den Berater ist es durchaus erfolgversprechend, genau an dieser Stelle einzuhaken und die Wahrscheinlich-keit bestimmter Annahmen zu bezweifeln bzw. einen hö-heren Grad an Genauigkeit der Tatsachenermittlungen zu fordern. Er muß allerdings aufpassen, daß nicht genau in diesen Punkten seinem Mandanten eine Verletzung von Mitwirkungspflichten vorgeworfen wird – wenn es sich um Tatsachen handelt, die üblicherweise aus Unterlagen her-vorgehen, die der Steuerpflichtige bei ordnungsmäßiger Er-füllung seiner steuerlichen Pflichten hätte führen und auf-bewahren müssen. In einem solchen Fall wendet sich das Blatt, und das Finanzamt kann mit der Verletzung von Mitwirkungspflichten sogar eine noch gröbere Schätzung rechtfertigen.

Wichtig ist auch die Nachprüfbarkeit der Tatsachen-grundlagen der vom FA vorgenommenen Schätzung: Das Vorbringen des FA, bei den zugrundegelegten Zahlen han-

12 BFH-Urteil vom 17.06.2004 IV R 45/03, BFH/NV 2004, 1618, unter 1.b cc.

13 BFH-Urteil vom 17.06.2004 IV R 45/03, BFH/NV 2004, 1618.

14 BFH-Urteil vom 17.06.2004 IV R 45/03, BFH/NV 2004, 1618, unter 1.b aa.

15 BFH-Beschluß vom 13.10.2003 IV B 85/02, BStBl. II 2004, 25.

dele es sich um „Erfahrungswerte der Betriebsprüfung aus der Prüfung anderer Betriebe“, reicht nicht aus, weil das Ge-richt die Rechtmäßigkeit der Schätzung anhand einer sol-chen Angabe nicht überprüfen kann.12

b) Ableitung und Verprobung des rechnerischen

Schätzungsergebnisses (Plausibilitätsprüfung)

Das rechnerische Ergebnis sollte sich – im theoretischen Idealfall – bei technisch korrekter Anwendung einer sach-gerecht ausgewählten Schätzungsmethode gewissermaßen „von selbst“ darstellen.

Zumindest eine Kontrollüberlegung bleibt aber noch anzustellen: So muß das Schätzungsergebnis in sich schlüs-sig, wirtschaftlich vernünftig und möglich sein.13 Auch wenn das Rechenwerk einer Schätzung „technisch-formal“ in Ordnung zu sein scheint, darf es der Besteuerung nicht zugrundegelegt werden, wenn die Richtigkeit des Schät-zungsergebnisses – also die Höhe der dem Steuerpflichti-gen zugerechneten Einkünfte – außerhalb jeder Plausibili-tät steht. So ist eine erhebliche Überschreitung der oberen Richtsatzspanne grundsätzlich nicht plausibel, sofern keine betrieblichen Besonderheiten erkennbar sind, die hierzu ge-führt haben könnten.14

Prozessualer Hinweis: Bei fehlender Plausibilität des Schätzungsergebnisses kann der schwerwiegende materiell-rechtliche Fehler sogar einen Grund für die Zulassung der Revision darstellen (die ansonsten nur bei grundsätzlicher Bedeutung, Divergenz oder Verfahrensmängeln zuzulassen ist). Der BFH hat einen solchen schwerwiegenden Rechts-fehler beispielsweise bejaht, bei einer Schätzung des Ge-winns eines Taxiunternehmers auf 85,5% des Umsatzes.15 In weiteren, nicht veröffentlichten Entscheidungen hat der BFH extreme Schätzungsfehler ebenfalls korrigiert; das ist aber wegen des strengen Handhabung des Revisionszulas-sungsrechts sehr selten.

II. Besonderheiten der Schätzungsmethode des Zeitreihenvergleichs

1. Darstellung und Abgrenzung der vom BFH geprüften Variante des Zeitreihenvergleichs

Mathematisch-statistische Prüfungsmethoden (insbeson-dere Strukturanalysen, zu denen der Zeitreihenvergleich als Unterfall gehört) werden in der Literatur insbesondere von dem österreichischen Finanzbeamten Huber und dem

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schleswig-holsteinischen Betriebsprüfer Wähnert vorge-stellt.16

Zu der speziellen Verprobungs- und Schätzungsme-thode des Zeitreihenvergleichs gibt es nun erstmals BFH-Rechtsprechung. Der BFH hat aber eigentlich nichts anderes gemacht, als die allgemein für jede Schätzung gel-tenden Grundsätze anzuwenden, die ich Ihnen soeben dar-gestellt habe. Wir werden uns befassen mit der Zulässigkeit und den Grenzen des Zeitreihenvergleichs, mit den Anfor-derungen an seine gerichtsfeste technische Durchführung (die nicht nur Finanzbeamte, sondern auch Berater kennen müssen, um Ansatzpunkte für Einwendungen zu haben), mit Hinweisen für Berater sowie den Reaktionen der Fi-nanzverwaltung auf die neue BFH-Rechtsprechung.

Der Zeitreihenvergleich ist keine klar definierte Prü-fungsmethode, sondern weist zahlreiche Varianten auf. Deren Gemeinsamkeit besteht darin, daß bestimmte be-triebliche Daten, die üblicherweise über längere Zeiträume ermittelt werden, nun zahlreichen sehr kurzen Zeitab-schnitten zugeordnet werden (dadurch ergeben sich sog. „Zeitreihen“). Das Verhältnis dieser Daten zueinander wird aber wieder über einen längeren Zeitraum betrachtet. Es gibt eine von den Betriebsprüfern in mehreren Bundeslän-dern IT-gestützt angewendete Variante des Zeitreihenver-gleichs, zu der bereits zahlreiche erstinstanzliche FG-Ent-scheidungen ergangen sind und die nunmehr auch der Beurteilung durch den BFH unterlegen hat. Sie ist dadurch gekennzeichnet, daß der Betriebsprüfer aus der Buchfüh-rung die wöchentlichen Wareneinkäufe und die wöchent-lichen Verkaufserlöse entnimmt. Aus den wöchentlichen Wareneinkäufen versucht er, auf den wöchentlichen Ware-neinsatz zu schließen, also auf die tatsächlich verbrauchte Ware, und zwar durch Abzug des Eigen- und Personalver-brauchs sowie durch Verteilung der eingekauften Waren-menge über den Zeitraum bis zum nächsten Einkauf gleich-artiger Waren. Danach wird aus dem Verhältnis zwischen Wareneinsatz und Erlösen für jede Woche des Jahres ein in-dividueller Rohgewinnaufschlagsatz ermittelt. Betrachtet wird allerdings der gleitende Durchschnittswert für jeweils zehn aufeinanderfolgende Wochen. Die Zehn-Wochen-Pe-riode mit dem höchsten Rohgewinnaufschlagsatz des Jahres wird der Prüfer dann als repräsentativ für das Gesamtjahr ansehen und unterstellen, daß dieser hohe Rohgewinnauf-schlagsatz auch in allen anderen Wochen des Jahres erzielt worden ist – in denen der sich aus der Buchführung erge-bende Rohgewinnaufschlagsatz ja geringer war.

Diese Methode ist letztlich als Vollschätzung anzuse-hen, da das Buchführungsergebnis nicht nur ergänzt wird, sondern insgesamt – unter Zugrundelegung eines vom Fi-nanzamt ermittelten höheren Rohgewinnaufschlagsatzes – durch ein anderes Ergebnis ersetzt wird. Die größte Un-sicherheit dieser Methode besteht beim Schluß vom Wa-reneinkauf auf den Wareneinsatz: Während der wöchent-liche Wareneinkauf (insbesondere Datum und Menge) aus der Buchführung hervorgeht, gibt es für den wöchent-

lichen Wareneinsatz (der für den Zeitreihenvergleich ent-scheidend ist) keine Aufzeichnungspflicht. Seine Ablei-tung aus einer Verteilung und Korrektur des Wareneinkaufs kann daher nur Schätzung sein, die mit mehr oder weniger großen Unsicherheiten verbunden ist.

Die folgenden Ausführungen beziehen sich zunächst nur auf diese Variante des Zeitreihenvergleichs. Andere Va-rianten sind denkbar, bisher aber weder von der FG-Recht-sprechung und erst recht nicht vom BFH beurteilt worden. Im weiteren Verlauf dieses Beitrags findet sich aber eine kurze Einschätzung auch zu jenen Methoden.

2. Zulässigkeit und Grenzen des Zeitreihenvergleichs

Sowohl der Steuerpflichtige als auch das Finanzamt konn-ten nachvollziehbare Interessen anführen. Auf Seiten der Finanzverwaltung besteht ein anzuerkennendes Bedürf-nis, Steuerverkürzungen auch mit Hilfe mathematisch-sta-tistischer Methoden ermitteln zu können. Auf der anderen Seite sieht der BFH, daß eine allzu unkritische Anwendung derartiger Methoden den erforderlichen Rechtsschutz der Steuerpflichtigen beeinträchtigen könnte.

a) Problembereiche des Zeitreihenvergleichs

Entscheidend ist hier die Erkenntnis, daß diese Variante des Zeitreihenvergleichs denklogisch immer Mehrergebnisse ge-genüber der Buchführung ausweisen muß, und zwar auch gegenüber einer formell und materiell vollständig ord-nungsmäßigen Buchführung. Dieser Befund gebietet ge-radezu zwingend eine Einschränkung des Anwendungs-bereichs dieser Variante des Zeitreihenvergleichs, wenn man derartige Methoden nicht schon vollständig untersa-gen will – was der BFH ausdrücklich nicht wollte. Die Fi-nanzverwaltung und auch viele FG-Entscheidungen haben sich häufig auf die These berufen, wonach das rechnerische „Mehrergebnis“ eines Zeitreihenvergleichs einen nahezu zwingenden Schluß darauf zulasse, daß Erlöse nicht richtig verbucht seien.17 Dieser These tritt der BFH jedenfalls deut-lich entgegen.18

Ebenso konnte der BFH nicht erkennen, daß gerade die Methode des Zeitreihenvergleichs zur Aufdeckung soge-nannter „Doppelverkürzungen“ geeignet ist (also das pro-portionale Verschweigen von Erlösen und dazugehörigen Betriebsausgaben). Dieser Punkt war für den BFH sehr wich-tig (auch wenn dies nicht ausführlich im Urteil themati-siert wird): Denn die Finanzverwaltung tut sich sehr schwer

16 Sehr ausführlich z. B. Huber, StBp 2002 S. 199, 233, 258, 293; ferner Huber, StBp 2008 S. 241, 273; Huber/Wähnert, StBp 2009 S. 207; Schumann/Wähnert, Stbg 2012 S. 535; Wähnert, NWB 2012 S. 2774.

17 So z.B. Entscheidungen des FG Düsseldorf vom 15.02.2007 16 V 4691/06, EFG 2007, 814, rkr., und vom 20.03.2008 16 K 4689/06, EFG 2008, 1256, rkr.

18 BFH-Urteil vom 25.03.2015 X R 20/13, BStBl. II 2015, 743, unter II.2.b aa.

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mit dem Aufdecken von Doppelverkürzungen und ist auf der Suche nach einer geeigneten Prüfungsmethode hierfür. Wenn es so eine Methode gäbe bzw. wenn sie uns präsen-tiert würde – ich meine jetzt natürlich eine „trennscharfe“ Methode, die die „Guten“ verschont und die „Bösen“ auf-fliegen läßt –, würden wir als BFH eine solche Methode so-fort adeln und sie der Verwaltung gerne an die Hand geben. Von Seiten der Verwaltung wurde nun vorgetragen, der Zeitreihenvergleich sei diese Königsmethode. Er ist es aber wohl nicht. Der wirklich geschickte (und daher besonders kriminelle) Doppelverkürzer kann es schaffen, Betriebsein-nahmen und -ausgaben so gleichmäßig zu verkürzen, daß die Schwankungen seiner Zehn-Wochen-Rohgewinnauf-schlagsätze sich im üblichen Rahmen bewegen. Dies gilt vor allem dann, wenn er eine gut programmierte Manipula-tionssoftware benutzt.

Auch ergeben sich enorme mathematische Hebelwir-kungen, wenn an den Parametern des Zeitreihenvergleichs nur geringfügige Änderungen vorgenommen werden. So hätte im entschiedenen Fall allein eine geringfügige – noch im allgemeinen Unschärfebereich liegende – Verschiebung des Wareneinkaufs in der ersten Woche der vom Finanz-amt herausgegriffenen Zehn-Wochen-Periode zu einer rech-nerischen Verminderung der Gesamt-Hinzuschätzung für das Kalenderjahr um 31% geführt.19 Wäre der Aufbau des Warenendbestands im Jahr der Betriebseröffnung realitäts-gerechter verteilt worden, hätte dies sogar zu einer rech-nerischen Verminderung der Gesamt-Hinzuschätzung um 56% geführt.20

Was bedeutet „realitätsgerechter“? Ich muß an dieser Stelle etwas ausholen, um die Hebelwirkung zu verdeutli-chen: Der Betriebsprüfung unterlag im BFH-Fall auch das Jahr der Eröffnung bzw. Wiedereröffnung des Betriebs. Aus-gehend von einem Warenanfangsbestand von Null mußte daher erst einmal ein Bestand aufgebaut werden. Der Waren endbestand ist also größer als der Warenanfangsbe-stand. Damit ist vom tatsächlichen Wareneinkauf nicht alles noch im selben Jahr verkauft worden, sondern teil-weise in den Bestandsaufbau geflossen. Um diesen Betrag muß der Wareneinsatz geringer sein als der Wareneinkauf.

Der Prüfer hatte diesen Bestandsaufbau gleichmäßig über alle Kalenderwochen des Jahres verteilt (also in allen Wochen einen Abzug vom tatsächlichen Wareneinkauf zur Ermittlung des Wareneinsatzes vorgenommen). Dadurch ergaben sich im späteren Jahresverlauf sehr hohe Rohge-winnaufschlagsätze, die das Finanzamt dann auf das Ge-samtjahr übertrug.

Dem BFH erschien lebensnäher, daß eine alkoholge-prägte Gastwirtschaft ihren Bestand an diversen Spirituo-sen bereits in den ersten Wochen nach Betriebseröffnung aufbaut. Die Kunden hätten es wohl kaum akzeptiert, wenn es in den ersten Wochen nur jeweils eine einzige Sorte Schnaps, Bier und Wein gegeben hätte. Also war hier der Bestandsaufbau bei einer wirtschaftlich realistischen Be-trachtung überproportional den ersten Wochen nach Be-

triebseröffnung zuzuordnen. Als wir die rechnerischen Aus-wirkungen dieser Verschiebung ermittelt hatten, waren wir – vorsichtig gesagt – überrascht: Allein diese einzelne Kor-rektur führte zu einer Minderung der Hinzuschätzung für das Gesamtjahr um 56%! Dies ist gemeint, wenn von einer gefährlichen „Hebelwirkung“ die Rede ist.

In solchen Fällen wird der Betriebsprüfer dem Steuer-pflichtigen erst einmal nur ein Zahlenwerk, das rechne-risch sauber und perfekt erscheint. Daß sich hier aufgrund betrieblicher Besonderheiten Verschiebungen bei der vom Prüfer vorgenommenen Verteilung ergeben müssen, er-kennt man nur, wenn man (erstens) die mathematischen Fähigkeiten hat, das Zahlenwerk detailliert analysieren zu können, und (zweitens) die Tatsachenkenntnis über be-triebliche Besonderheiten hat. Der Steuerpflichtige hat nur die Tatsachenkenntnis, in der Regel aber keine Analysefä-higkeiten. Der gute anwaltliche Berater hat zwar Analysefä-higkeiten, aber nicht die volle Tatsachenkenntnis über be-triebliche Besonderheiten. Es ist also sehr schwierig, beides zusammenzubringen.

b) Ausschlußgründe

Der BFH hat in seiner Entscheidung Ausschlußgründe be-nannt; in diesen Fällen scheidet die Durchführung eines Zeitreihenvergleichs von vornherein aus. Etwa dann, wenn im jeweiligen Betrieb das Verhältnis zwischen dem Ware-neinsatz und den Erlösen im betrachteten Zeitraum nicht weitgehend konstant ist. Dies kann z. B. der Fall sein, wenn die Ein- und Verkaufspreise im Jahresverlauf erheblich schwanken. Gleiches gilt, wenn es zu wesentlichen Ände-rungen in der Betriebsstruktur gekommen ist. Im BFH-Fall war die Betriebseröffnung wohl als derartige „wesentliche Änderung in der Betriebsstruktur“ anzusehen.21

c) Abgestufte Zulässigkeit des Zeitreihenvergleichs in

Abhängigkeit vom Gewicht der Buchführungsmängel (Drei-

Stufen-Theorie)

Ferner hat der BFH den Anwendungsbereich des Zeitreihen-vergleichs auf schwere Buchführungsmängel beschränkt.

Hierzu ist eine weitere „Drei-Stufen-Theorie“ entwi-ckelt worden. Solche Stufenfolgen machen das abstrakte Recht für die Praxis handhabbar und die spätere Beurtei-lung des individuellen Einzelfalls durch die Gerichte vor-hersehbar. Auch die hier dargestellte BFH-Entscheidung be-dient sich daher einer solchen in drei Stufen gegliederten Differenzierung:22

19 BFH-Urteil vom 25.03.2015 X R 20/13, BStBl. II 2015, 743, unter II.2.b bb.

20 BFH-Urteil vom 25.03.2015 X R 20/13, BStBl. II 2015, 743, unter II.4.a bb.

21 BFH-Urteil vom 25.03.2015 X R 20/13, BStBl. II 2015, 743, unter II.4.a.

22 BFH-Urteil vom 25.03.2015 X R 20/13, BStBl. II 2015, 743, unter II.3.b aa - cc.

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1. Bei einer formell (weitestgehend) ordnungsmäßigen Buchführung kann der Nachweis ihrer materiellen Un-richtigkeit nicht allein aufgrund der Ergebnisse eines Zeitreihenvergleichs geführt werden. Diese Einschrän-kung ist logisch zwingend, da der Zeitreihenvergleich auch bei einer formell und materiell ordnungsmäßigen Buchführung immer zu rechnerischen Mehrergebnis-sen führen wird, ein solches Mehrergebnis allein also kein geeigneter Beweis für die Unrichtigkeit der Buch-führung sein kann. Das FG Köln hatte schon diese Ein-schränkung in seinem Urteil nicht beachtet.23

2. Ist die Buchführung formell nicht ordnungsgemäß, sind aber materielle Mängel der Einnahmenerfassung nicht konkret nachgewiesen, ist der Einsatz des Zeitrei-henvergleichs zwar nicht grundsätzlich unzulässig. Er ist dann aber nachrangig im Verhältnis zu anderen Schätzungsmethoden, die die individuellen Verhält-nisse des jeweiligen Steuerpflichtigen besser berück-sichtigen (z.B. Aufschlagkalkulation, Vermögenszu-wachs- oder Geldverkehrsrechnung). Nur wenn solche Methoden im Einzelfall nicht durchführbar sind, kön-nen die Ergebnisse eines Zeitreihenvergleichs einen „Anhaltspunkt“ für die Höhe der Hinzuschätzung bil-den – dies bedeutet, daß sie nicht etwa unbesehen übernommen werden dürfen, sondern genau auf ihre Plausibilität zu überprüfen sind, und zwar bereits vom Finanzamt und nicht erst vom Steuerpflichtigen und seinem Berater. Bei verbleibenden Zweifeln können er-hebliche Sicherheitsabschläge geboten sein.

Diese Fallgruppe ist sehr praxisrelevant, da Betriebsprü-fer formelle Mängel erfahrungsgemäß schnell feststel-len können, sich mit dem eindeutigen Nachweis ma-terieller Mängel aber deutlich schwerer tun. In dieser Fallgruppe wird die neue BFH-Rechtsprechung auch die größten Auswirkungen auf die Betriebsprüfungs-praxis haben, da die Finanzverwaltung den Zeitreihen-vergleich hier bisher deutlich freizügiger anwendete, als dies künftig zulässig sein wird.

3. Die dritte Stufe ist dadurch gekennzeichnet, daß die Buchführung nicht nur formell ordnungswidrig ist, sondern bereits aus anderen Gründen feststeht, daß auch ihr materielles Ergebnis unrichtig ist (z. B. nach-weislich unversteuerte Betriebseinnahmen, rechne-rische Kassenfehlbeträge). Hinzukommen muß, daß der Umfang der materiellen Fehler nicht mehr als Ba-gatelle angesehen werden kann. Hier ist der BFH deut-lich großzügiger mit der Finanzverwaltung: Die Er-gebnisse eines Zeitreihenvergleichs können dann grundsätzlich für die Ermittlung der Höhe der Hinzu-schätzung herangezogen werden, sofern sich im Ein-zelfall keine andere Schätzungsmethode aufdrängt, die mit vertretbarem Aufwand zu genaueren Ergebnissen führt. Der Vorrang anderer Schätzungsmethoden gilt in dieser Fallgruppe also nicht mehr. Daß der Zeitrei-henvergleich nur verwertet werden darf, wenn er tech-

nisch korrekt durchgeführt wird, versteht sich aller-dings auch in diesen Fällen von selbst.

3. Anforderungen an die „gerichtsfeste“ Durchführung eines Zeitreihenvergleichs

Daß der Prüfer die vorhandenen Buchführungsdaten feh-lerfrei übernehmen muß, ist eine Selbstverständlichkeit. Selbst daran fehlte es aber in dem vom BFH entschiedenen Fall.24

Für alle Schätzungen – insbesondere aber für den auf der Produktion gewaltiger Datenmengen basierenden Zeitrei-henvergleich – gilt, daß das Finanzamt sowohl die Kalku-lationsgrundlagen als auch die Ergebnisse der Kalkulation sowie die Ermittlungen, die zu diesen Ergebnissen geführt haben, offenlegen muß.25 Beim Zeitreihenvergleich ist me-thodenbedingt die Verteilung des aus den Eingangsrech-nungen ersichtlichen Wareneinkaufs auf die Folgewochen der Schlüssel zum Verständnis und zur Einordnung der Einzelergebnisse dieser Schätzungsmethode. Auch wenn es sich hierbei um große Datenmengen handelt, die automa-tisiert verarbeitet werden, ist das Finanzamt gehalten, dem Steuerpflichtigen die entsprechenden Daten zur Verfügung zu stellen, damit er sie eigenständig prüfen kann.26 In einer nachfolgenden Entscheidung hat der BFH sogar einen An-spruch des Steuerpflichtigen auf Überlassung der Kalkulati-onen in elektronischer Form grundsätzlich bejaht.27

Von besonderer Bedeutung ist auch die Umschlaghäu-figkeit der einzelnen Waren bzw. Warengruppen. Diese muß der Prüfer daher ebenfalls ermitteln und offenlegen.28 Dies folgt aus dem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Wenn das Finanzamt diese Daten nicht von Amts wegen offenlegt, ist ein Steuerbescheid, der auf einem sol-chen Zeitreihenvergleich beruht, schon aus diesem Grund formell rechtswidrig. Er wäre vom FG ohne weitere Diskus-sion aufzuheben (oder das FG müßte eine eigene Schätzung vornehmen, die es aber ebenfalls begründen muß). Berater sollten daher die umfassende Begründung des Zeitreihen-vergleichs vom Finanzamt fordern.

Wegen der erheblichen Hebelwirkungen von Zuord-nungsfehlern auf das Ergebnis eines Zeitreihenvergleichs gilt hier die Besonderheit, daß selbst bei solchen Unsicher-heiten, die auf die Verletzung von Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen zurückzuführen sind, das Finanzamt

23 BFH-Urteil vom 25.03.2015 X R 19/14, BFH/NV 2016, 4.

24 BFH-Urteil vom 25.03.2015 X R 20/13, BStBl. II 2015, 743, unter II.4.b.

25 BFH-Urteil vom 25.03.2015 X R 20/13, BStBl. II 2015, 743, unter II.2.c, unter Bezugnahme auf frühere Rechtsprechung.

26 BFH-Urteil vom 25.03.2015 X R 20/13, BStBl. II 2015, 743, unter II.2.c aa.

27 BFH-Beschluß vom 25.07.2016 X B 213/15, Rn. 13 f. (wird demnächst in BFH/NV abgedruckt).

28 BFH-Urteil vom 25.03.2015 X R 20/13, BStBl. II 2015, 743, unter II.3.c.

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eine Plausibilitätsprüfung der Ergebnisse des Zeitreihen-vergleichs durchführen muß. Hierfür reicht allein ein Ver-gleich mit den amtlichen Richtsätzen nicht aus; vielmehr ist eine einzelfallbezogene Betrachtung auf der Grundlage der Besonderheiten des konkret geprüften Betriebs vorzu-nehmen.29

Ist eine Plausibilitätsprüfung im Einzelfall nicht mög-lich, weil nicht genügend zuverlässige Daten zur Verfügung stehen, und ist auch keine andere, besser geeignete Schät-zungsmethode ersichtlich, hat das Finanzamt von Amts wegen (!) eine Sensitivitätsanalyse vorzunehmen (d.h. es ist aufzudecken, welche rechnerischen Auswirkungen sich bei Veränderung einzelner unsicherer Parameter ergeben würden). Damit soll allen Beteiligten verdeutlicht werden, in welchem Umfang die vorgenommene Schätzung rech-nerische (also methodenbedingte) Unsicherheiten in sich birgt. Die Finanzverwaltung dürfte diese neue Anforderung durch gewisse Veränderungen an der von ihr eingesetzten Software durchaus erfüllen können. Der BFH hat in diesem Zusammenhang übrigens ausdrücklich nicht gefordert, daß das Finanzamt sich für sein Schätzungsergebnis stets an dem für den Steuerpflichtigen günstigsten Rand der durch die Sensitivitätsanalyse aufgezeigten Fehlermarge orientie-ren muß.30 Diese formelle Anforderung dient vielmehr nur dazu, allen Beteiligten das theoretische Fehlerpotenzial vor Augen zu führen.

4. Hinweise für den rechtlichen Berater, der mit einem Zeitreihenvergleich konfrontiert wird

a) Darlegungslast und Darlegungsanforderungen

Der BFH unterwirft beide Seiten hohen Darlegungsanforde-rungen. Für den Steuerpflichtigen und seinen Rechtsanwalt ist aber von Vorteil, daß die Darlegungslast im ersten Schritt klar dem Finanzamt zugewiesen wird: Der Betriebsprüfer muß seinen Zeitreihenvergleich nicht nur sorgfältig durch-führen, sondern auch von Amts wegen – und nicht erst auf ausdrückliche Nachfrage – erläutern. Dies wird nicht aus-schließlich softwaregestützt möglich sein, sondern eine in-dividuelle Befassung und Auseinandersetzung mit den be-trieblichen Besonderheiten erfordern. Möglicherweise ist damit zu rechnen, daß die Betriebsprüfer diese Methode schon wegen der nun zu leistenden Mehrarbeit seltener anwenden werden als bisher, wo Prüfer häufig bereits die von der Software ausgeworfenen Ergebnisse der Datenana-lyse ausreichend angesehen haben und die Last der Wider-legung dieser Ergebnisse dem Steuerpflichtigen und seinem Berater aufgebürdet haben.

Ist allerdings ein ordnungsgemäßer Zeitreihenvergleich erstellt und erläutert worden, liegt es am Berater, die Zah-lengrundlagen sehr sorgfältig zu analysieren und ggf. zu widerlegen. Dies ist äußerst aufwändig und erfordert, sich tief in das vom Betriebsprüfer (bzw. der von ihm verwende-ten Software) erstellte Zahlenwerk einzuarbeiten. Pauschale Einwendungen werden dafür nicht ausreichend sein.

b) Ansatzpunkte für Einwendungen

Es empfiehlt sich, vor allem die Kalenderwochen zu Be-ginn und am Ende des Zehn-Wochen-Zeitraums kritisch auf etwaige Zuordnungsfehler des Betriebsprüfers sowie auf nachweisbare betriebliche Besonderheiten prüfen. Zuord-nungsfehler können insbesondere bei der – als Schätzung anzusehenden – Verteilung der an einem bestimmten Tag eingekauften Warenvorräte auf den nachfolgenden Zeit-raum unterlaufen. Betriebliche Besonderheiten kennt der Steuerpflichtige selbst am besten. Sie können erhebliche Auswirkungen auf den Zeitreihenvergleich haben, da hier das Ergebnis einer relativ kurzen Periode letztlich auf das Gesamtjahr übertragen wird, was eine starke Hebelwirkung mit sich bringt.

Beispielsweise hatte im Sachverhalt des BFH-Verfahrens einmal jährlich ein umsatzstarkes Fest in der Stadt stattge-funden, von dem die Gastronomie jeweils sehr profitierte. Nun stelle man sich vor, dieses Fest wäre in die erste Woche des Zehn-Wochen-Zeitraums mit dem höchsten Rohge-winnaufschlagsatz gefallen, die erforderlichen erheblichen Warenmengen wären aber bereits in den beiden Vorwochen eingekauft worden. Dann wäre im maßgebenden Zehn-Wo-chen-Zeitraum zwar der hohe Mehrerlös aus dem Fest er-faßt worden, nicht aber ein großer Teil des zusätzlichen Wa-reneinsatzes. Der Rohgewinnaufschlagsatz wäre dann in diesem Zeitraum zu Lasten des Steuerpflichtigen deutlich überzeichnet, in den anderen Zeiträumen – außerhalb des Zehn-Wochen-Zeitraums und damit für den Zeitreihenver-gleich unbeachtlich – hingegen zu gering. So etwas muß der Steuerpflichtige vorbringen; dies hätte erhebliche rech-nerische Auswirkungen.

Wenn Sie also zu wenig Zeit für eine vollständige Prü-fung des Zahlenwerks haben, dann schauen Sie sich we-nigstens die erste und die letzte Woche des vom Prüfer herangezogenen Zehn-Wochen-Zeitraums an, sowie die jeweils angrenzende Woche außerhalb dieses Zeitraums. Hier haben Fehler die größten mathematischen Hebel-wirkungen. Zuordnungsfehler und betriebliche Besonder-heiten, die in der Mitte des Zehn-Wochen-Zeitraums zu ver-zeichnen sind, werden sich hingegen in der Regel noch innerhalb dieses Zeitraums ausgleichen. Hierauf sollte der Berater seine Aufmerksamkeit daher erst in zweiter Linie richten.

c) Keine unbesehene Übertragung der

Standardeinwendungen gegen Aufschlagkalkulationen

Die klassischen Einwendungen gegen Aufschlagkalkulati-onen, die dort zu geringeren Mehrergebnissen führen sol-len, sind beim Zeitreihenvergleich bestenfalls neutral oder wirken rechnerisch sogar in die Gegenrichtung.31 Dies

29 BFH-Urteil vom 25.03.2015 X R 20/13, BStBl. II 2015, 743, unter II.3.c.

30 BFH-Urteil vom 25.03.2015 X R 20/13, BStBl. II 2015, 743, unter II.3.c.

31 Vgl. hierzu van Meegen, Stbg 2003 S. 488; BFH-Urteil vom 25.03.2015 X R 20/13, BStBl. II 2015, 743, unter II.5.c.

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19steueranwaltsmagazin  1  /2017

BeiträgeDr. Egmont Kulosa Neue Vorgaben der Rechtsprechung zur Kassenbuchführung

hatte der Berater der Kläger im Verfahren X R 20/13 bei ei-nigen seiner Einwendungen übersehen, was für den Verfah-rensausgang allerdings ohne Bedeutung war.

So liegt ein typischer Einwand gegen Aufschlagkalkula-tionen darin, daß behauptet wird, der Eigenverbrauch von Waren oder deren Verwendung für die Beköstigung des Per-sonals sei viel höher als vom Betriebsprüfer angenommen. Dieser Einwand ist darauf gerichtet, den Wareneinsatz her-abzusetzen. In einer Aufschlagkalkulation – die von einem festen Rohgewinnaufschlagsatz ausgeht und nach der un-bekannten Höhe der Erlöse sucht – mindern sich dadurch auch die geschätzten Erlöse im selben Verhältnis. Genau die gegenteilige Auswirkung hat dieser Einwand aber beim Zeitreihenvergleich: Hier ist die Höhe der Erlöse bekannt (diese werden ja der vorhandenen Buchführung des Steu-erpflichtigen entnommen); gesucht wird der Rohgewinn-aufschlagsatz. Die Minderung des Wareneinsatzes führt bei gleichbleibenden Erlösen aber dazu, daß der Rohgewinn-aufschlagsatz im entscheidenden Zehn-Wochen-Zeitraum rechnerisch weiter ansteigt. Dieser erhöhte Rohgewinnauf-schlagsatz wird dann vom Prüfer aber auf den Wareneinsatz des Gesamtjahres angewandt, was für den Steuerpflichtigen sehr nachteilig ist.

Ungeeignet wäre auch der Einwand, der Betriebsprü-fer habe einen zu geringen Warenverderb berücksichtigt. Bei einer Aufschlagkalkulation hätte die mit diesem Ein-wand bezweckte Minderung des Wareneinsatzes bei gleich-bleibendem Rohgewinnaufschlagsatz Auswirkungen auf die zu schätzenden Erlöse. Beim Zeitreihenvergleich wäre die-ser Einwand hingegen neutral (unbeachtlich), weil der Prü-fer immer das Verhältnis zwischen den tatsächlichen Wa-reneinkäufen (unabhängig davon, ob diese Waren verkauft wurden, verdorben sind oder sonstigen Zwecken zugeführt wurden) und den tatsächlich aufgezeichneten Erlösen er-mitteln wird.

5. Reaktionen der Finanzverwaltung auf die BFH-Rechtsprechung zum Zeitreihenvergleich

Die beiden heute besprochenen BFH-Entscheidungen sind als sog. Gerichtsbescheid ergangen. Anders als ein Urteil ist ein Gerichtsbescheid nicht endgültig, sondern kann von den Verfahrensbeteiligten durch Stellung eines Antrags auf mündliche Verhandlung (§ 90a Abs. 2 FGO) zunächst zu Fall gebracht werden. Das Gericht muß dann nochmals die Kritik der Beteiligten hören und letztlich durch ein Ur-teil entscheiden. In diesem Gerichtsbescheid mußte die Fi-nanzverwaltung durchaus einige „Kröten schlucken“ (ins-besondere die Nachrangigkeit des Zeitreihenvergleichs im Verhältnis zu anderen Schätzungsmethoden und die hohen Anforderungen an seine ordnungsgemäße Durch-führung und Begründung). Gleichwohl hat sie darauf ver-zichtet, diesen Gerichtsbescheid durch Stellung eines An-trags auf mündliche Verhandlung anzufechten. Auch das BMF ist weder dem Verfahren beigetreten noch hat es in

anderer Weise Einwendungen gegen unsere im Gerichtsbe-scheid zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung erho-ben. Im Gegenteil ist die Entscheidung sofort rechtskräf-tig geworden und zügig im BStBl. II veröffentlicht worden. Möglicherweise liegt dies daran, daß wir an anderer Stelle in dieser Entscheidung erstmals ausdrücklich die Verwal-tungsauffassung bestätigt haben, wonach bei einem pro-grammierbaren Kassensystem schon das Fehlen der ent-sprechenden Dokumentationsunterlagen grundsätzlich zur Schätzung berechtigt.

Andererseits ist nach Veröffentlichung der Entschei-dung durch Vertreter der Finanzverwaltung ungewöhnlich heftige Kritik in Literaturbeiträgen und Vortragsveranstal-tungen geübt worden. Diese Kritik hat verschiedene Haupt-zielrichtungen:

�� Zum einen wird vorgebracht, im Urteil sei die Methode des Zeitreihenvergleichs falsch bzw. widersprüchlich wiedergegeben worden. Hierzu kann ich nur sagen, daß die am Urteil mitwirkenden Richter Methodenkenntnis hatten. Die Mehrheit der Senatsmitglieder ist vor ihrer Berufung an den BFH als Instanzrichter tätig gewesen und hatte dort in zahlreichen Verfahren mit Zeitreihen-vergleichen zu tun.

�� Zum anderen hört man häufig von Finanzbeamten, die Entscheidung sei bereits überholt, weil der Zeitreihen-vergleich heute in veränderter Form ausgewertet werde32 (zu moderneren Formen elektronischer Betriebsprüfung komme ich im nächsten Gliederungspunkt). Hierzu ist zu sagen, daß (erstens) auch in der Instanzrechtspre-chung, die zeitlich „näher dran“ ist als der BFH, bisher ausschließlich diese Variante des Zeitreihenvergleichs behandelt wurde, und daß (zweitens) die umfangreichen Rechtsausführungen des BFH-Urteils selbstverständlich auch auf andere Methoden der elektronischen Betriebs-prüfung übertragbar sind.

�� Schließlich heißt es, es treffe gar nicht zu, daß die Prü-fer stets den höchsten Zehn-Wochen-Durchschnitts-wert ansetzen. Repräsentative Erkenntnisse dazu liegen nicht vor. Allerdings wurde jedenfalls in den mir in mei-ner richterlichen Tätigkeit bekannt gewordenen Fällen sowie in den Sachverhalten, die den bisher veröffentlich-ten FG-Entscheidungen zugrundelagen, durchgängig der höchste Wert angesetzt.

�� Weiter wird kritisiert, auch die vom BFH (bei hinrei-chender Datengrundlage) bevorzugten Schätzungs-methoden seien mangelhaft. So gebe es auch bei der Ausbeutekalkulation Hebeleffekte; die Geldverkehrsrech-nung wiederum könne den Abfluß von Schwarzlöhnen nicht aufdecken.33 Dazu ist zu sagen, daß die Hebelef-fekte bei der Ausbeutekalkulation jedenfalls deutlich ge-ringer sind als beim Zeitreihenvergleich. Gut getarnte

32 Z. B. Wähnert, NWB 2015, 2869.

33 Z. B. Wähnert, NWB 2015, 2869.

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20 steueranwaltsmagazin  1 /2017

Beiträge Dr. Egmont Kulosa Neue Vorgaben der Rechtsprechung zur Kassenbuchführung

Fälle der Doppelverkürzung deckt ein Zeitreihenver-gleich kaum auf. Die Geldverkehrsrechnung wird hier immerhin ein Mehrergebnis in Höhe derjenigen Beträge aufdecken, die der Steuerpflichtige für sich selbst behal-ten hat (also nicht als Schwarzlöhne ausgezahlt hat).

III. Andere Methoden elektronischer Betriebs-prüfung, die von der Rechtsprechung noch nicht behandelt wurden

Selbstverständlich sind auch solche Schätzungsmetho-den nach den allgemeinen Grundsätzen zu behandeln. Es ist also zum einen die Systematik anwendbar, die im er-sten Teil dieses Beitrags dargestellt wurde. Zum anderen gilt immer der Satz: Rechnerische oder grafische Ergebnisse selbst stellen noch keine zwingenden Besteuerungsgrundla-gen dar, sondern müssen zunächst in den tatsächlichen Le-benssachverhalt eingeordnet, auf Plausibilität verprobt und rechtlich gewürdigt werden.

1. Zeitreihenvergleich mit „Quantilschätzung“

Diejenigen Stimmen aus der Finanzverwaltung, die die jüngsten BFH-Entscheidungen zum Zeitreihenvergleich kri-tisieren, weisen darauf hin, daß die aktuell von den Betrieb-sprüfern eingesetzte Software nicht mehr den gleitenden Zehn-Wochen-Durchschnitt zugrundelegt, sondern von den wöchentlich ermittelten Rohgewinnaufschlagsätzen zunächst die niedrigsten 10% und die höchsten 10% elimi-niert und aus den verbleibenden 80% einen Durchschnitts-wert bildet (auch andere Prozentsätze sind denkbar). Die BFH-Rechtsprechung sei damit „überholt“.

M. E. ist dies aber keine grundlegend neue Methode, so daß die Grundaussagen der BFH-Rechtsprechung auch auf diese Variante des Zeitreihenvergleichs anzuwenden sind. Die allgemeinen Grundsätze, die das FA bei jeder Schätzung zu beachten hat, gelten ohnehin; ebenso der Anspruch auf Begründung von Entscheidungen des FA („Transparenz“/ rechtliches Gehör).

Immerhin weist diese Methode zwei wesentliche Ver-besserungen gegenüber der bisher beurteilten Variante des Zeitreihenvergleichs auf (und dürfte tendenziell auch zu etwas geringeren Hinzuschätzungen kommen)

�� Zum einen gilt nun nicht mehr der Satz, daß die Me-thode selbst bei einer formell und materiell ordnungs-mäßigen Buchführung denklogisch immer zu Mehrer-gebnissen kommen muß.

�� Zum anderen spielen die Verschiebungen am Anfang und Ende eines Zehn-Wochen-Zeitraums keine Rolle mehr; die mathematische Hebelwirkung ist daher nicht mehr so groß.

Erforderlichenfalls hätte die Finanzverwaltung aber noch zu begründen, weshalb gerade das Weglassen von 20% der Werte zu besonders guten und plausiblen Ergebnissen füh-

ren soll. Die wirklich schweren Steuerhinterziehungen (also Doppelverkürzungen) deckt man mit dieser Methode erst recht nicht auf.

2. Summarische Risikoprüfung (SRP)

Die sog. SRP-Software wird von der Finanzverwaltung der-zeit stark propagiert. Es handelt sich aber nicht um eine Schätzungsmethode, sondern eher um ein elektronisches Hilfsmittel, das den Prüfer bei Vorarbeiten unterstützt. Es geht hier also nicht um Schätzung, sondern um eine bloße Verprobung. Die Software liefert Anhaltspunkte, ob sich eine vertiefte Befassung mit dem Prüfungsfall lohnt. Die SRP-Software faßt im Wesentlichen mehrere bereits be-kannte Verprobungsmethoden zusammen (Ziffernanaly-sen, vereinfachte Form des Zeitreihenvergleichs). Die Höhe einer Hinzuschätzung wird allein hierauf kaum gestützt werden können.

3. „Warenbestands-Trendentwicklung“

Eine Entscheidung zu neuartigen Prüfungsmethoden gibt es doch noch34: Der Steuerpflichtige betrieb neben einer vollzeitlichen Arbeitnehmertätigkeit nach Feierabend ein sehr kleines Einzelhandels-Geschäft mit Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG. Formelle Mängel an den Aufzeich-nungen waren vom FG nicht konkret festgestellt worden. Damit war der durchgeführte Zeitreihenvergleich nicht ver-wertbar, weil dieser nachgewiesene Buchführungsmängel voraussetzt.

Ergänzend zog der Prüfer aber eine – in der Rechtspre-chung bisher nicht bekannte – Methode der „Warenbe-stands-Trendentwicklung“ heran, die für einige Wochen des Jahres negative Warenbestände auswies (wohlgemerkt: für eine Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG ohne Pflicht zu Inventuren und zur Führung von Bestandskonten!). Der BFH weist deutlich darauf hin, daß es sich um eine bisher nicht bekannte Methode handelt. Damit soll gesagt sein, daß die Finanzverwaltung begründen muß, weshalb eine neue Methode geeignet sein soll, sachgerechte Schätzungs-ergebnisse zu produzieren. Diese Darlegung hatte das FA im konkreten Fall nicht erbracht; der BFH hat die Schätzung daher verworfen.

34 BFH-Urteil vom 25.03.2015 X R 19/14, BFH/NV 2016, 4.

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IV. Moderne Prüfungsmethoden und Steuerstrafverfahren

Ob der Zeitreihenvergleich auch den deutlich strenge-ren Maßstäben einer Überprüfung in Steuerstrafverfahren standhalten wird, ist m. E. – trotz optimistischer Literatur-beiträge einiger Staatsanwälte35 – eher zweifelhaft.

Im Steuerstrafrecht ist zu unterscheiden zwischen den Darstellungsanforderungen und den materiell-rechtlichen Anforderungen. Die materiell-steuerrechtliche Beurteilung bestimmter Lebenssachverhalte entspricht der steuerrecht-lichen Betrachtungsweise. Hier besteht also eine Paralleli-tät. Für den Strafrichter stellt dies aber nur eine Vorfrage dar, auf die er dann seine Haupttätigkeit, die Anwendung strafrechtlicher Normen, aufbaut.

Demgegenüber sind die sog. Darstellungsanforde-rungen im Strafrecht wesentlich höher als in einem Bp-Be-richt oder einem finanzgerichtlichen Urteil. Damit ist ge-meint, daß in einem Strafurteil der gesamte Sachverhalt ausdrücklich dargestellt wird (abgeleitet aus § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO). Ein Verweis auf andere Unterlagen (z.B. den Bp-Bericht) ist grundsätzlich nicht zulässig. Und nun stelle man sich vor, ein Strafrichter müßte die gigantischen Ex-cel-Tabellen, die bei der Durchführung eines Zeitreihenver-gleichs anfallen, komplett in seinen Urteilstatbestand ein-bauen! Hinzu kommt, daß der Sachverhalt grundsätzlich im sog. Strengbeweis festzustellen ist, was sehr aufwändig ist. Auch dies würde dann für die Excel-Tabellen gelten.

Das hier Dargestellte ist jedenfalls der Stand der ober-gerichtlichen Rechtsprechung der Strafgerichte, die sich schon mit der Ausbeutekalkulation eher schwer tut.36 Nach meinen Beobachtungen bleiben viele amtsgerichtliche Ur-teile in Steuerstrafsachen in der Praxis allerdings deutlich hinter diesen strengen Anforderungen zurück. Der Strafver-teidiger kann dann überlegen, ob er ein solches Urteil hin-nimmt (wenn die Strafhöhe akzeptabel ist). Ihm steht aber auch die scharfe Waffe der Sprungrevision (§ 335 StPO) zur Verfügung. Zu deren Begründung genügt der eine Satz „Ich rüge die Verletzung materiellen Rechts“. Das OLG müßte dann von Amts wegen das erstinstanzliche Urteil wegen fehlender Feststellungen aufheben.

V. Entwurf eines Gesetzes zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grund-aufzeichnungen

1. Stand des Gesetzgebungsverfahrens

�� Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 12.08.2016 (BR-Drucks. 407/16)

�� Stellungnahme des Bundesrates vom 23.09.2016 (BT-Drucks. 18/9957)

�� Gegenäußerung der Bundesregierung vom 12.10.2016 (BT-Drucks. 18/9957)

�� Anhörung im Finanzausschuss am 17.10.2016

�� abschließende Behandlung im Finanzausschuß des Bun-destags;

�� abschließende Beschlußfassung im Bundesrat.Alle genannten Neuregelungen sollen ab dem 01.01.2020 anzuwenden sein (Art. 97 § 30 EGAO). Es scheint also auf den ersten Blick noch viel Zeit zur Verfügung zu stehen. Allerdings entfalten die neuen Anforderungen erhebliche Vorwirkungen, weil Kassensysteme, die den Anforderungen der Neuregelung genügen, erst noch von den Herstellern entwickelt und von allen Steuerpflichtigen mit Bareinnah-men erworben werden müssen.

2. Wesentlicher Inhalt des Entwurfs

a) Einzelaufzeichnungspflicht (§ 146 Abs. 1 Satz 1 AO)

§ 146 Abs. 1 Satz 1 AO soll dahingehend ergänzt werden, daß Buchungen und Aufzeichnungen einzeln vorzuneh-men sind. Es soll also erstmals eine klare gesetzliche Grund-lage für eine Einzelaufzeichnungspflicht geben. Die Begrün-dung des Gesetzentwurfs (BR-Drucks. 407/16) nimmt aber ausdrücklich auf die bisherige BFH-Rechtsprechung Bezug, und zwar auch auf die Ausnahmen von der Einzelaufzeich-nungspflicht, die der BFH aus Zumutbarkeitsgründen vor-nimmt. Zudem wird die gesetzliche Ergänzung als „Klarstel-lung“ bezeichnet. Folgt man den Materialien, ändert sich hier also im Ergebnis gar nicht viel.

Wie der ganze bisherige § 146 AO gilt auch diese Ergän-zung nur für Buchführungen (also entweder bei gesetzlicher Buchführungspflicht oder freiwilliger Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich). Bei der Einnahmen-Überschuß-Rechnung wird keine Einzelaufzeichnungspflicht angeord-net.

b) Anforderungen an elektronische Aufzeichnungssysteme

(§ 146a AO)

Wenn ein elektronisches Aufzeichnungssystem verwendet wird, muß jeder Vorgang einzeln, vollständig, richtig, zeit-gerecht und geordnet aufgezeichnet werden (§ 146a Abs. 1 Satz 1 AO). Eine Pflicht zur Nutzung elektronischer Auf-zeichnungssysteme soll aber auch mit der Neuregelung nicht eingeführt werden. Wer also eine offene Ladenkasse führt, kann dies beibehalten.

Unklar ist, ob diese Regelungen auch für die Gewinn-ermittlung durch Einnahmen-Überschuß-Rechnung gel-ten. Dafür könnte sprechen, daß im Gesetzeswortlaut nicht ausdrücklich von „Buchführung“, sondern von „aufzeich-nungspflichtigen Geschäftsvorfällen und anderen Vorgän-gen“ die Rede ist. Andererseits ist bei § 146 AO unstreitig, daß jene Vorschrift nicht für § 4 Abs. 3 EStG gilt, obwohl

35 Z. B. Schützeberg, StBp 2009 S. 33, der für seine Auffassung aller-dings keine Nachweise auf strafgerichtliche Entscheidungen anführen kann.

36 Z. B. BGH 06.10.2014 – 1 StR 214/14, wistra 2015 S. 63.

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22 steueranwaltsmagazin  1 /2017

Beiträge Dr. Egmont Kulosa Neue Vorgaben der Rechtsprechung zur Kassenbuchführung

auch dort der Begriff „Aufzeichnungen“ verwendet wird. Die Gesetzesmaterialien äußern sich zu dieser Frage nicht.

Das elektronische Aufzeichnungssystem und die digi-talen Aufzeichnungen sind durch eine zertifizierte tech-nische Sicherheitseinrichtung zu schützen (§ 146a Abs. 1 Satz 2 AO). Einzelregelungen sollen in einer Rechtsverord-nung getroffen werden. Mit dem Referentenentwurf des Gesetzes war auch ein Entwurf der VO veröffentlicht wor-den; im gegenwärtig beratenen Gesetzentwurf ist aber kein Entwurf einer VO enthalten.

Auch ein perfekt abgesichertes elektronisches Kassen-system wird aber nicht verhindern können, daß einzelne Steuerpflichtige einen Teil ihrer Bareinnahmen gar nicht erst über die offizielle Kasse laufen lassen. Der Bundesrat fordert daher zusätzlich eine Pflicht zur Belegausgabe (BT-Drucks. 18/9957). Die Bundesregierung hält dies in ihrer Gegenäußerung aber nicht für ein geeignetes Mittel.

Verstößt der Steuerpflichtige oder der Anbieter eines Kassensystems leichtfertig gegen die Anforderungen, die in § 146a AO genannt sind, kann ein Bußgeld bis zu 25.000 € festgesetzt werden (§ 379 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 - 6 AO). Dies ist unabhängig davon, ob die Aufzeichnungen inhaltlich feh-lerhaft sind oder nicht.

c) Kassen-Nachschau (§ 146b AO)

Die Finanzverwaltung soll die neue Befugnis erhalten, eine unangekündigte Kassen-Nachschau durchzuführen, um die Ordnungsmäßigkeit von Kassenaufzeichnungen zu prü-fen (§ 146b AO). Die Regelung beschränkt sich nicht auf elektronische Kassensysteme, sondern erfaßt auch Steuer-pflichtige mit offenen Ladenkassen; hier m.E. auch Über-schußrechner. Sie geht allerdings nicht erheblich über die Möglichkeiten hinaus, die bereits seit 2002 mit dem Instru-ment der Umsatzsteuer-Nachschau (§ 27b UStG) bestehen.

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Beiträge

Neuigkeiten zur Gemeinsamen Körperschaftsteuer-Bemessungs- grundlage (GKB)Zugleich eine Besprechung des Richtlinienentwurfs der Kommission vom 25.10.2016

RA/StB Dr. Mathias Link, RA Marius Marx, Ref. jur. Kamilla Zembala-Börner 1

1 Mathias Link ist Counsel bei Hengeler Mueller, Frankfurt; Marius Marx ist Associate bei Hengeler Mueller, Frankfurt; Kamilla Zembala-Börner ist Rechtsreferendarin am OLG Frankfurt.

2 COM(2016) 685 final, auf Deutsch abrufbar unter https://ec.europa.eu/taxation_customs/sites/taxation/files/com_2016_685_de.pdf.

3 COM(2016) 683 final, auf Deutsch abrufbar unter http://ec.europa.eu/taxation_customs/sites/taxation/files/com_2016_683_de.pdf.

4 KOM (2011) 121 endg.

5 COM (2016) 683 final.

6 KOM (2011) 121 endg., S. 5, 55.

7 KOM (2011) 121 endg., S. 6.

8 KOM (2011) 121 endg., S. 55.

A. Einleitung

Am 25.10.2016 hat die Europäische Kommission überarbei-tete Entwürfe sowohl für eine Richtlinie des Rates über eine Gemeinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKB)2 („GKB­Richtlinie“) als auch für eine Richtlinie des Rates über eine Gemeinsame Konsolidierte Körperschaft-steuer-Bemessungsgrundlage (GKKB)3 („GKKB­Richtlinie“) vorgelegt, deren Regelungen durch die Mitgliedstaaten bis zum 31.12.2018 umgesetzt und ab 01.01.2019 angewandt werden sollen. Während es bei der GKB-Richt linie darum geht, die Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage in den einzelnen Mitgliedstaaten zu vereinheitlichen, soll es die GKKB-Richtlinie europaweit tätigen Unternehmensgrup-pen zukünftig ermöglichen, nur eine einzige Steuererklä-rung abzugeben und die Gewinne/Verluste aus den Gesell-schaften in den einzelnen Mitgliedstaaten miteinander zu saldieren. Falls diese Entwürfe tatsächlich implementiert werden, würden sich nicht nur unwesentliche Änderungen für das deutsche Steuerrecht ergeben. Interessanter sind dabei die Änderungen durch die GKB-Richtlinie, da diese im Grundsatz alle inländischen Körperschaften betreffen können. Dieser Beitrag soll einen ersten Überblick über die wesentlichen Regelungen des GKB-Richtlinienentwurfs von 2016 geben und insbesondere beleuchten, welche (we-sentlichen) Änderungen sich durch die angedachten Rege-lungen für das derzeit geltende deutsche Steuerrecht erge-ben würden.

B. Historische Entwicklung

Den Richtlinienentwürfen der Kommission vom 25.10.2016 geht eine gut 15-jährige Arbeit der europäischen Institu-tionen Kommission, Rat und Parlament voraus, die grob in zwei Meilensteine aufgeteilt werden kann: den Richtlinien-entwurf von 20114 und den neuen Richtlinienentwurf von 2016.5

Am 16.03.2011 legte die Kommission ihren ersten Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über eine Gemein-same Konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrund-lage vor. Der Vorschlag knüpfte an Vorarbeiten über einen Zeitraum von fast neun Jahren an: 2001 leitete die Kom-

mission die Arbeit an der GKKB ein, zunächst indem eine öffentliche Debatte zur Unternehmensbesteuerung sowie entsprechende Konsultationen angestoßen wurden. 2004 wurde die Arbeitsgruppe-GKKB eingerichtet, die aus Sach-verständigen aller Mitgliedstaaten bestand und bis 2008 in insgesamt 13 Sitzungen zusammentraf. Die Arbeitsgruppe diente der Kommission zur fachlichen Beratung. Darüber hinaus wurde Fachleuten, Vertretern der Wirtschaft, der freien Berufe und der Wissenschaft Gelegenheit zur Äuße-rung gegeben und mit diesen im engen Austausch die As-pekte einer GKKB erörtert.6

Auf dem Weg zum GKKB-Vorschlag 2011 wurden fünf Optionen analysiert, aus denen die Kommission die ihres Erachtens nach beste wählte. Die fünf Optionen waren: (i) keine Änderung des status quo, (ii) eine fakultative GKB, (iii) eine obligatorische GKB, (iv) eine fakultative GKKB sowie (v) eine obligatorische GKKB. Da laut der erarbeiteten Folgenanalysen sowohl die fakultative als auch die obliga-torische GKKB zu einer leichten Erhöhung der Wertschöp-fung im Binnenmarkt führen würden, wurde die GKKB ge-genüber den übrigen Handlungsoptionen als beste Variante auserkoren. Die fakultative GKKB war unter den verblei-benden Alternativen das gewünschte Mittel der Wahl, da sie den Unternehmen im unionalen Raum einen Entschei-dungsspielraum überlassen würde, die neue Berechnungs-methode für ihre Steuerbemessungsgrundlage zu überneh-men (oder nicht).7

Geplant war eine Verabschiedung der Richtlinie des Rates noch im Jahre 2011 und eine Umsetzung der GKKB innerhalb einer Anlaufphase von 2011 bis 2015.8 Zur Um-

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25steueranwaltsmagazin  1  /2017

BeiträgeRA/StB Dr. Link/RA Marx/Ref. jur. Zembala-Bömer Neuigkeiten zur Gemeinsamen Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKB)

setzung des Richtlinienentwurfes kam es allerdings nicht. Über verschiedene Aspekte des Entwurfes herrschte keine Einigkeit. Dies stand der Verabschiedung des Richtlinien-Entwurfs aufgrund des Einstimmigkeitserfordernisses nach Art. 114 AEUV entgegen. Im Einzelnen ging es um Sachfra-gen, wie die Behandlung von Minderheitengesellschaftern oder der Ein- und Austritt aus einer GKKB-Gruppe, die ge-naue Ausgestaltung des Aufteilungsschlüssels sowie um Un-sicherheiten hinsichtlich der Aufkommenseffekte.9 Auch fand sich keine Gruppe von Mitgliedstaaten zusammen, um die GKKB im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit voranzutreiben.10

Als Konsequenz wurde in der Folgezeit auf Ebene der Kommission, des Rates und des Europäischen Parlaments an der Weiterentwicklung und Verbesserung des Richtlinien-entwurfs gearbeitet11 und damit die „Nach-2011-Phase“ eingeläutet, die letztendlich in den neuen Richtlinienent-würfen 2016 mündete. Zuletzt und entscheidend wurden die Arbeiten an der GKKB in dieser Phase durch die „Base Erosion and Profit Shifting“ (BEPS) Diskussionen und Akti-onen12 auf OECD- und G20-Ebene beflügelt.13 In der Mit-teilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat vom 17.06.2015 zur fairen und effizienten Unter-nehmensbesteuerung in der Europäischen Union14 hob sie die Wichtigkeit der GKKB als Steuerkonzept der Union zur Lösung des Problems der Gewinnverlagerung hervor. Neben den weiteren BEPS-Maßnahmen stellt die GKKB für die Kommission eine geeignete Waffe der Union gegen BEPS dar – und zwar aus ihrer Sicht die stärkste.15

Infolge dieser Neubelebung des Projektes wurde Ende 2015/Anfang 2016 mittels eines Onlinefragebogens eine öf-fentliche Konsultation „interessierter Parteien“ durchge-führt.16 Insgesamt nahmen daran 175 Teilnehmer – über-wiegend eingetragene Vereine und Unternehmen – teil.17 Darüber hinaus holte die Kommission „Expertenwissen“ ein, namentlich die CORTAX-Studie der Gemeinsamen For-schungsstelle der Kommission, sowie zwei Studien des Zen-trums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) über die Auswirkungen von Steuerreformen zur Behebung von Ver-schuldungsanreizen auf Kapitalkosten und effektive Steuer-sätze sowie über die Auswirkungen von Steuerplanung auf effektive Steuersätze. Die Ergebnisse der öffentlichen Kon-sultation sowie der eingeholten Studien flossen in die Fol-genabschätzung der Kommission und somit in den neuen Richtlinienentwurf ein.18

Trotz der eigenen Überzeugung von der positiven Wir-kungskraft der GKKB für den Binnenmarkt sowie im Kampf gegen BEPS legte die Kommission am 25.10.2016 als Ergeb-nis der Arbeiten seit 2011 nicht nur den neuen Richtlinien-entwurf für eine GKKB, sondern auch den Richtlinien-entwurf für die GKB vor, auf dem vorerst der Fokus der Umsetzung liegen soll. Denn in einem ersten Schritt soll zunächst die GKB eingeführt werden und erst im zweiten Schritt die Konsolidierung folgen.19

C. Wesentliche Aspekte der überarbeiteten GKB-Richtlinie und ihre potenzielle Aus-wirkung für das deutsche Steuersystem

I. Geltungsbereich

1. Einführung

Anders als noch der Richtlinienentwurf 2011, mit dem ein fakultatives System für alle Steuerpflichtigen beschrie-ben wurde, soll die neue Richtlinie zukünftig nur für Un-ternehmen, die zu einer Unternehmensgruppe jenseits einer bestimmten Größe gehören, verpflichtend sein. Der größenabhängige Schwellenwert soll auf der Grundlage der gesamten konsolidierten Einnahmen einer Unterneh-mensgruppe, die einen konsolidierten Abschluß vorlegen, bestimmt werden. Um eine gewisse Kongruenz zwischen der GKB-Richtlinie und der GKKB-Richtlinie zu erreichen, sollen Unternehmen die Bedingung für eine Konsolidie-rung erfüllen müssen, um zukünftig in den verbindlichen Anwendungsbereich der GKB-Richtlinie zu fallen. Dadurch soll sichergestellt werden, daß alle Steuerpflichtigen, die unter den Geltungsbereich der GKB-Richtlinie fallen, auch automatischen die Voraussetzungen für die GKKB erfüllen. Die Regelungen zur GKB sollen optional aber auch Unter-nehmen zur Verfügung stehen, die die Voraussetzungen für eine Konsolidierung nicht erfüllen.

2. Die Regelungen im Detail

Artikel  2 der GKB-Richtlinie regelt, auf welche Unterneh-men die GKB Anwendung findet. Sie findet zwingend An-wendung, wenn folgende vier Bedingungen kumulativ er-füllt sind:

9 Kahle/Schulz, FR 2013, 49 (49 f.) m.w.N.

10 Kahle/Schulz, FR 2013, 49 (50) m.w.N.

11 Folgende Zwischenschritte können hierzu benannt werden: Bericht des Parlaments zum RL-Entwurf v. 28.03.2012, A7-0080/2012; Anmer-kung des Rates zum RL-Entwurf v. 16.04.2012, 8387/12 FISC 49; Kompromißvorschlag des Rates zum RL-Entwurf v. 02.05.2013, 9180/13 FISC 80; Kompromißvorschlag des Rates zum RL-Entwurf v. 14.10.2013, 14768/13 FISC 181, Kompromissvorschlag des Rates zum RL-Entwurf v. 19.11.2014, 15756/14 FISC 197. Siehe hierzu die Erläute-rungen bei Scheffler/Köstler, DStR 2014, 664 (664); Florstedt, FR 2016, 1 (2 f.); zum Kompromißtext des Rates v. 19.11.2014 zur GKKB siehe Krauß, IStR 2015, 727.

12 Hierzu zusammenfassend OECD (2016), BEPS-Projekt Erläuterung: Abschlußberichte 2015, OECD/G20 Projekt Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung; abrufbar unter http://www.oecd-ilibrary.org/ taxation/beps-projekt-erlauterung_9789264263703-de.

13 COM (2016) 683 final, S. 4.

14 COM (2015) 302 final; siehe hierzu Oppel, IStR 2015, 813; Roder-burg, EuZW 2015, 940 (942).

15 COM (2015) 302 final., S. 10, 17.

16 Hierzu Geberth, GmbHR 2015, R331.

17 COM (2016) 683 final, S. 6.

18 COM (2016) 683 final, S. 7.

19 COM (2016) 685 final, S. 3.

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Beiträge RA/StB Dr. Link/RA Marx/Ref. jur. Zembala-Bömer Neuigkeiten zur Gemeinsamen Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKB)

(i) Zunächst muß das Unternehmen eine in der Anlage I zur GKB-Richtlinie aufgeführte Rechtsform haben. Dies sollen aus deutscher Sicht neben den Kapital-gesellschaften (AG, SE, GmbH, KGaA) auch sonstige nach deutschem Recht gegründete Einheiten sein, die der deutschen Körperschaftsteuer unterliegen. Aus-drücklich genannt werden z. B. der Versicherungsver-ein auf Gegenseitigkeit, die Erwerbs- und Wirtschafts-genossenschaft und Betriebe gewerblicher Art. Unklar ist, ob tatsächlich nur Gesellschaften im zivilrecht-lichen Sinne erfaßt sein sollen oder auch sonstige Körperschaften und Vermögensmassen, die der deut-schen Körperschaftsteuer unterliegen (z.B. Stiftungen, Zweckvermögen etc.). Für Letzteres spricht, daß auch Betriebe gewerblicher Art genannt sind, bei denen es sich um rein steuerliche Gebilde ohne Rechtspersön-lichkeit handelt. Schließlich sind auch Gesellschaften aus Drittstaaten erfaßt, die mit den in Anlage I aufge-führten Gesellschaften vergleichbar sind, soweit sie in einem Mitgliedstaat eine Betriebsstätte unterhalten und die sonstigen Voraussetzungen erfüllen.

(ii) Das Unternehmen muß einer der in Anlage II zur GKB Richtlinie aufgeführten Körperschaftsteuer unterlie-gen. In Deutschland wäre das die Körperschaftsteuer i.S.d. KStG.

(iii) Das Unternehmen muß Teil einer für Rechnungsle-gungszwecke konsolidierten Gruppe mit einem Ge-samtumsatz von mehr als 750 Mio. EUR sein. Entschei-dend für das Erreichen des Größenmerkmals ist das vorangegangene Geschäftsjahr.

(iv) Das Unternehmen muß entweder als „Muttergesell-schaft“ oder als „qualifizierte Tochtergesellschaft“ i. S. von Artikel  3 GKB-Richtlinie gelten. Eine Tochterge-sellschaft gilt als qualifiziert, wenn die Muttergesell-schaft entweder mehr als 50 % der Stimmrechte bei der Tochtergesellschaft ausüben darf oder sie zu mehr als 75 % am Kapital oder am Gewinn der Tochtergesell-schaft beteiligt ist.

Daneben besteht für ein Unternehmen die Möglichkeit, zur Anwendung der GKB zu optieren, wenn es zwar das Grö-ßenmerkmal (Kriterium 3) nicht erfüllt, jedoch sämtliche übrigen. Die Option bindet für einen Zeitraum von fünf Jahren.

3. Auswirkungen auf das deutsche Steuerrecht

Die Anwendung der GKB auf nur bestimmte Unternehmen ist aus deutscher Sicht nicht unproblematisch. Im Ergebnis würde dies dazu führen, daß zwei parallele Steuersysteme gelten. Gerade kleinere Unternehmen, die nur zur GKB op-tieren können, wären im Ergebnis gezwungen, beide Steu-ersysteme durchzurechnen. Auch Finanzverwaltung und Rechtsprechung müßten Expertise für beide Systeme bereit-halten. Ähnliche Probleme würden sich bei Personengesell-schaften stellen, an denen sowohl natürliche Personen als auch Körperschaften beteiligt sind, auf welche die GKB An-

wendung findet. Eine einheitliche und gesonderte Gewinn-feststellung wäre nicht mehr ohne weiteres möglich.

Hinzu kommt, daß das deutsche Körperschaftsteuer-recht im Wesentlichen auf die Gewinnermittlungsvorschrif-ten des Einkommensteuergesetzes verweist. Dies gewährleis-tet, daß die Grundzüge der steuerlichen Gewinnermittlung rechtsformunabhängig sind. Eine GmbH schreibt ihre Wirt-schaftsgüter prinzipiell nach den gleichen Grundsätzen ab wie eine gewerblich tätige natürliche Person. Durch die GKB würden hingegen Rechtsformunterschiede zwischen natürlichen Personen und Körperschaften wesentlich ver-schärft. Die erscheint vor dem Hintergrund des Gleichheits-grundsatzes (Artikel 3 GG) nicht unproblematisch, von den Problemen in der praktischen Umsetzung ganz abgesehen.

Aus deutscher Sicht wäre es wünschenswert, wenn eine gemeinsame europäische Bemessungsgrundlage rechts-form unabhängig auf alle (betrieblichen) Steuerpflichtigen Anwendung fände.

II. Betriebsstättendefinition

1. Einführung

Die Betriebsstättendefinition der GKB-Richtlinie orientiert sich an der entsprechenden Definition im OECD-Muster-abkommen. Anders als der Richtlinienvorschlag von 2011 umfaßt die überarbeitete Definition ausschließlich in der EU belegene Betriebsstätten eines in der EU ansässigen Steu-erpflichtigen. Es wurde demgegenüber nicht als notwen-dig angesehen, eine gemeinsame Definition von in einem Drittland belegenen Betriebsstätten oder von in der EU be-legenen Betriebsstätten eines in einem Drittland ansässigen Steuerpflichtigen vorzunehmen. Die Drittstaatdimension sollte vielmehr Gegenstand bilateraler Steuerabkommen und nationaler Rechtsvorschriften sein. Das Vorliegen einer Betriebsstätte ist relevant für die Frage, ob auf einen Steuer-ausländer in Deutschland die GKB-Richtlinie Anwendung findet oder nicht.

2. Die Regelungen im Detail

Artikel 5 GKB-Richtlinie definiert als „ Betriebsstätte“ eine feste Geschäftseinrichtung, durch die die Geschäftstätig-keit ganz oder teilweise ausgeübt wird, insbesondere den Ort der Leitung, eine Zweigniederlassung, eine Geschäfts-stelle, eine Fabrikationsstätte, eine Werkstätte, sowie auch ein Bergwerk, ein Öl- oder Gasvorkommen, ein Steinbruch oder eine andere Stätte der Gewinne von Bodenschätzen. Bauausführungen oder Montagen gelten dann als Betriebs-stätte, wenn ihre Dauer 12 Monate überschreitet.

Analog der Regelung im OECD-Musterabkommen wer-den bestimmte Hilfstätigkeiten oder Tätigkeiten vorberei-tender Art aus der Betriebsstättendefinition herausgenom-men, insbesondere Lager- oder Auslieferungsstätten.

Ähnlich wie das OECD-Musterabkommen enthält Ar-tikel 5 GKB-Richtlinie die Unterscheidung zwischen einem „abhängigen“ und einem „unabhängigen Vertreter“, wobei

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BeiträgeRA/StB Dr. Link/RA Marx/Ref. jur. Zembala-Bömer Neuigkeiten zur Gemeinsamen Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKB)

sich aus dem Wortlaut einzelne Abweichungen ergeben: Ein abhängiger Vertreter, der eine Betriebsstätte begrün-det, wird dabei definiert als eine Person, die in einem Mit-gliedstaat im Namen eines Steuerpflichtigen handelt und dabei gewöhnlich Verträge abschließt oder gewöhnlich die wesentliche Rolle beim Abschluß von Verträgen einnimmt, d.h. wenn systematisch Verträge abgeschlossen werden, ohne daß der Steuerpflichtige wesentliche Änderungen vor-nimmt, so wird der Steuerpflichtige grundsätzlich so behan-delt, als habe er in diesem Staat für alle von der Person für den Steuerpflichtigen ausgeübten Tätigkeiten eine Betriebs-stätte unterhalten. Demgegenüber gilt als unabhängiger Vertreter eine Person, die für den Steuerpflichtigen im Rah-men ihrer ordentlichen Geschäftstätigkeit handelt. Wenn jedoch eine Person ausschließlich oder fast ausschließlich im Namen eines oder mehrerer Steuerpflichtigen handelt, mit dem sie „eng verbunden“ ist, gilt diese Person automa-tisch als abhängiger Vertreter. Die „enge Verbundenheit“ wird durch Stimm- bzw. Eigentumsrechte vermittelt, d.h. eine Person ist mit einem Steuerpflichtigen eng verbunden, wenn sie direkt oder indirekt das Recht besitzt, mehr als 50 % der Stimmrechte auszuüben oder ein Eigentumsrecht von mehr als 50 % des Gesellschaftskapitals oder mehr als 50 % der Ansprüche auf Gewinnbeteiligung besitzt.

3. Auswirkungen auf das deutsche Steuerrecht

Schon bislang bestand (und besteht) im deutschen Recht das Problem, daß der nationale Begriff der Betriebsstätte in § 12 AO von dem Begriff der Betriebsstätte in den mei-sten Doppelbesteuerungsabkommen abweicht. So ist § 12 AO zum einen weiter (z.B. gelten Bauausführungen und Montagen bereits dann als Betriebsstätte, wenn sie länger als sechs Monate dauern; zum anderen gibt es keine Aus-nahmen für vorbereitende oder Hilfstätigkeiten), zum an-deren enger (so ist das Konzept einer Vertreterbetriebsstätte in § 12 AO nicht vorgesehen).

Durch Artikel  5 GKB-Richtlinie würde zwar der nun-mehr auch national geltenden Betriebsstättenbegriff an die entsprechenden Regelungen in den Doppelbesteuerungsab-kommen angenähert. Jedoch finden sich auch hier in ein-zelnen Fällen Abweichungen. So ist die Definition des ab-hängigen Vertreters in Artikel 5 GKB-Richtlinie abweichend von Artikel 5 OECD-MA geregelt, da sich dort keine Fiktion bei „eng verbundenen“ Personen befindet.

Auch zukünftig wird es deshalb Abgrenzungs- und Aus-legungsschwierigkeiten bei bereits vorhandenen deutschen Doppelbesteuerungsabkommen geben. Die Frage des An-wendungsvorrangs wird sich weiterhin stellen.

III. Bemessungsgrundlage

1. Einführung

Die Bemessungsgrundlage geht von einem breiten An-satz aus, d.h. es sollen grundsätzlich alle „Erträge“ steuer-bar sein, sofern sie nicht ausdrücklich von der Steuer be-

freit sind. Betriebsausgaben können grundsätzlich von den steuerbaren Erträgen abgezogen werden, allerdings wird es weiterhin – wie schon im Richtlinienentwurf von 2011 – eine Liste nicht abzugsfähiger Aufwendungen geben. Zur Förderung der Innovation in der Wirtschaft wird ein (groß-zügiger) Abzug für Forschungs- und Entwicklungskosten (FuE-Kosten) gewährt. Ferner wird ein erhöhter Abzug für neu gegründete „innovative“ Unternehmen (insbesondere Start-Up Unternehmen) eingeführt.

2. Die Regelungen im Detail

Die Regelungen zur Bemessungsgrundlage finden sich in Artikel  6 bis 12 GKB-Richtlinie. Nach den allgemeinen Grundsätzen werden (i) Gewinne wie Verluste erst bei Rea-lisierung erfaßt, (ii) Transaktionen und Steuertatbestände einzeln erfaßt, (iii) erfolgt die Berechnung der Bemessungs-grundlage grundsätzlich in einheitlicher Weise, (iv) wird die Bemessungsgrundlage grundsätzlich für ein Steuerjahr berechnet, welches grundsätzlich aus einem Zwölfmonats-zeitraum besteht.20

Die Bemessungsgrundlage errechnet sich aus den Er­trägen abzüglich steuerfreier Erträge, abzugsfähiger Auf­wendungen und sonstiger abzugsfähiger Posten, die in den Artikeln 8 bis 10 GKB-Richtlinie geregelt sind.21

Steuerfreie Erträge sind danach bestimmte Subventi-onen, Erlöse und Einkünfte aus einer Betriebsstätte sowie unter bestimmten Voraussetzungen die Erlöse aus Betei-ligungsveräußerungen und vereinnahmten Gewinnaus-schüttungen. Die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit der zwei letztgenannten Erträge ist eine Beteiligung von minde-stens 10 % des Kapitals oder der Stimmrechte über minde-stens 12 Monate vor der Veräußerung bzw. der vereinnah-mten Gewinnausschüttung.

Abzugsfähig sind Aufwendungen, wenn sie in un-mittelbarem geschäftlichen Interesse des Steuerpflichtigen angefallen sind. Hierzu zählen insbesondere alle Umsatz-kosten, Ausgaben zur Erlangung oder Sicherung von Ein-kommen, einschließlich FuE-Kosten sowie Eigen-/Fremdka-pitalbeschaffungskosten. FuE-Kosten sind als abzugsfähige Aufwendungen besonders privilegiert,22 denn es können zusätzlich zu den „normal“ abzugsfähigen Kosten weitere 50 % der im Wirtschaftsjahr entstandenen FuE-Kosten (die ansonsten eigentlich aktiviert werden müßten) abgezogen werden, sofern sie 20 Mio. EUR nicht übersteigen. Darüber hinaus sind noch 25 % der Kosten abziehbar.

Privilegiert werden zukünftig „innovative“ Unterneh­men (insbesondere Start-Up Unternehmen), die die fol-genden Voraussetzungen erfüllen: (i) nicht börsennotiert, (ii) klein, d.h. mit weniger als 50 Beschäftigten und einem

20 Art. 6 GKB-Richtlinie.

21 Art. 7 GKB-Richtlinie.

22 Art. 9 Abs. 3 GKB-Richtlinie.

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Beiträge RA/StB Dr. Link/RA Marx/Ref. jur. Zembala-Bömer Neuigkeiten zur Gemeinsamen Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKB)

Jahresumsatz/einer Jahresbilanz von maximal 10 Mio. EUR, (iii) jung, d.h. noch keine fünf Jahre bestehend, und (iv) nicht durch einen Zusammenschluß entstanden sowie über keine verbundenen Unternehmen verfügend. Ein solches Unternehmen kann 100 % der FuE-Kosten zusätzlich abzie-hen, sofern sie EUR 20 Mio. nicht übersteigen.

Abschreibungen von Anlagevermögen sind nach Ar-tikel  10 GKB-Richtlinie berücksichtigungsfähig, genauere Regelungen hierzu finden sich in den Artikeln  30 bis 40 GKB-Richtlinie.23

Abweichend von Artikeln 9 und 10 benennt Artikel 12 GKB-Richtlinie bestimmte nicht abzugsfähige Posten, wie z. B. Gewinnausschüttungen und Rückzahlungen von Eigen-/Fremdkapital oder Verluste aus einer Betriebsstätte in einem Drittstaat.

3. Auswirkungen auf das deutsche Steuerrecht

Die GKB-Richtlinie geht von einem grundlegend anderen Ansatz aus als das deutsche Steuerrecht. Das deutsche Steu-errecht besteuert den Gewinn, der sich aus der Differenz des (bilanzierten) Betriebsvermögens am Anfang und Ende eines jeweiligen Wirtschaftsjahres ergibt. Für die Bestim-mung des Betriebsvermögens ist grundsätzlich die nach Maßgabe des Handelsgesetzbuchs aufgestellte Bilanz ent-scheidend (sog. Maßgeblichkeit der Handelsbilanz), mo-difiziert durch steuerliche Ansatz- und Bewertungsvorbe-halte.24

Die GKB-Richtlinie kennt die Maßgeblichkeit einer Handelsbilanz (gleich nach welchen Vorschriften aufge-stellt) nicht. Erträge und Aufwendungen werden vielmehr einzeln betrachtet und autonom beurteilt. Insofern besteht eine gewisse Ähnlichkeit zur Einnahmen-Überschußrech-nung nach deutschem Recht,25 allerdings mit dem Unter-schied, daß nicht das Zufluß- sondern das Realisationsprin-zip gilt.26

Durch die Abkopplung der künftigen steuerlichen Ge-winnermittlung von der Handelsbilanz wird zusätzlicher Dokumentations- und Berechnungsaufwand ausgelöst. Nicht abschließend geklärt ist zudem, wie im Übergangs-jahr 2018/2019 verfahrend werden soll. Denn jeder Kör-perschaftsteuerpflichtige müßte nach dem derzeit vor-gesehenen GKB-Richtlinienentwurf ab 2019 die neuen Regelungen anwenden. Eine Steuerbilanzkontinuität im bisherigen Sinne wäre dann nicht mehr gegeben.

Die Steuerfreistellung von Gewinnen aus der Veräuße-rung von Beteiligungen an Gesellschaften sowie von Ge-winnausschüttungen sind enger als derzeit in §  8b KStG vorgesehen. Für Dividenden besteht nach Einführung des § 8b Abs. 4 KStG bislang auch eine Mindestbeteiligungsfülle von 10 %, jedoch fehlt es an der 12-monatigen Mindest-haltefrist. Veräußerungsgewinne sind derzeit noch ohne das Erfordernis einer Mindestbeteiligung von 10 % zu 95% steuerfrei. Die GKB-Richtlinie würde, wenn umgesetzt, die Diskussion der Ausweitung des § 8b Abs. 4 KStG auf Veräu-ßerungsgewinne zugunsten des Fiskus entscheiden.

Die Sonderbehandlung von FuE-Kosten ist zu begrü-ßen. Das deutsche Recht sieht derzeit entsprechende Privi-legierungen nicht vor.

Die Privilegierung von „innovativen“ Unternehmen (Start-Up Unternehmen) ist ebenfalls zu begrüßen. Sie äh-nelt von ihrer Wirkweise nach der Sonderabschreibung nach § 7g EStG, geht inhaltlich jedoch über diese hinaus.

IV. Zinsschranke

1. Einführung

Analog dem Vorschlag aus der BEPS-Initiative soll zukünf-tig die Abzugsfähigkeit von Zinsaufwendungen beschränkt werden (so genannte Zinsschranke). Die Zinsschranke der GKB-Richtlinie findet sich in Artikel 13.

2. Die Regelungen im Detail

Die Zinsschranke findet nur auf Unternehmensgruppen Anwendung, die keine Finanzunternehmen sind. Sie gilt nicht für eigenständige Unternehmen, die über keiner-lei verbundene Unternehmen oder Betriebsstätten verfü-gen. Im Rahmen der Zinsschranke wird der Unternehmens-verbund (Gruppe) als ein Steuerpflichtiger betrachtet. Die Fremdkapitalkosten der Gruppe sind danach bis zur Höhe der von der Gruppe vereinnahmten Zinsen oder anderen steuerbaren Erträgen aus Finanzanlagevermögen abzugsfä-hig. Darüber hinausgehende Fremdkapitalkosten sind nur bis zu 30 % des EBITDA oder bis zu einem Höchstbetrag von 3 Mio. EUR abzugsfähig. Die so ermittelten „überschüs-sigen“ Fremdkapitalkosten können unbegrenzt vorgetragen werden.

Zur Berechnung des EBITDA werden zu der Steuerbe-messungsgrundlage des Steuerpflichtigen die Beträge für überschüssige Fremdkapitalkosten sowie die Beträge für Ab-schreibungen wieder hinzuaddiert. Darüber hinaus werden steuerfreie Erträge im EBITDA nicht berücksichtigt.

Nach der GKB-Richtlinie sollen von der Zinsschranke nicht umfaßt sein: (i) Darlehen, die vor einem noch zu be-stimmenden Zeitpunkt abgeschlossen wurden und (ii) Dar-lehen zur Finanzierung öffentlicher Infrastrukturprojekte.

3. Auswirkungen auf das deutsche Steuerrecht

Die Regelung übernimmt in ihrer Grundmechanik die Idee der deutschen Zinsschranke,27 unterscheidet sich aber in wesentlichen Details.

So fällt insbesondere auf, daß eine Regelung entspre-chend der deutschen „Escape“-Klausel fehlt, nach der die Zinsschranke dann keine Anwendung findet, wenn die Ei-

23 Zu Einzelheiten siehe sogleich unten C.VI.

24 Vgl. §§ 5 Abs. 1, 6 EStG.

25 § 4 Abs. 3 EStG.

26 Art. 6 Nr. 1 und Art. 15 ff. GKB-Richtlinie.

27 § 4h EStG.

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BeiträgeRA/StB Dr. Link/RA Marx/Ref. jur. Zembala-Bömer Neuigkeiten zur Gemeinsamen Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKB)

genkapitalquote der betreffenden Gesellschaft nicht (oder nur zu einem gewissen Prozentsatz) schlechter ist als die Eigenkapitalquote der gesamten Gruppe.28 Unterneh-men, die bisher die Escape-Klausel nutzen, werden zukünf-tig nicht länger von ihrem grundsätzlich unbeschränkten Zinsabzug profitieren.

Praktisch relevanter ist die Verschärfung, daß der Höchstbetrag von 3 Mio. EUR nicht länger pro „Betrieb“ (d. h. grundsätzlich pro Gesellschaft) gilt, sondern pro Gruppe. Dies wird faktisch zu einer deutlichen Verschär-fung der Zinsschranke in Deutschland führen.

V. Freibetrag für Wachstum und Investitionen (FWI)

1. Einführung

Durch den Richtlinienentwurf 2016 soll das Ungleich-gewicht behoben werden, das dadurch entsteht, daß für Darlehen gezahlte Zinsen von der gemeinsamen Bemes-sungsgrundlage eines Steuerpflichtigen abgezogen werden können, Gewinnausschüttungen demgegenüber nicht. Dies schafft einen Vorteil der Fremdkapitalfinanzierung im Ver-gleich zur Eigenkapitalfinanzierung. Angesichts des damit einhergehenden Risikos der Verschuldung von Unterneh-men soll eine Regelung aufgenommen werden, um die An-reize gegen eine Eigenkapitalfinanzierung zu reduzieren. Steuerpflichtigen soll zukünftig ein Freibetrag für Wachs-tum und Investitionen (FWI) gewährt werden, der bewirkt, daß die Erhöhung des Eigenkapitals unter bestimmten Vo-raussetzungen von der Bemessungsgrundlage abgezogen werden kann.

2. Die Regelungen im Detail

Nach Artikel  11 GKB-Richtlinie soll Steuerpflichtigen ein so genannter „Freibetrag für Wachstum und Investitionen (FWI)“ gewährt werden. Technisch handelt es sich dabei nicht um einen Freibetrag, sondern um einen steuerlichen Abzugsposten. Angedacht ist, daß ein Steuerpflichtiger einen Betrag in Höhe des so genannten „definierten Ertrags aus der Erhöhung der FWI-Eigenkapitalbasis“ jährlich von der steuerlichen Bemessungsgrundlage abziehen kann.

Vereinfacht gesprochen, soll das FWI-Eigenkapital zu Beginn eines Steuerjahres mit dem FWI-Eigenkapital eines früheren Jahres (für die ersten 10 Jahre soll dies das FWI-Eigenkapital zum 01.01.2019 sein) verglichen werden. Er-höht sich die FWI-Eigenkapitalbasis, findet ein Steuerabzug (im Sinne einer virtuellen Verzinsung) statt. Vermindert sich die FWI-Eigenkapitalbasis, wird ein (fiktiver) Zinsertrag steuerpflichtig.

Die FWI-Eigenkapitalbasis entspricht grundsätzlich dem steuerlichen Eigenkapital eines Steuerpflichtigen ab-züglich des Steuerwerts einer Beteiligung am Kapital ver-bundener Unternehmen.

Der „definierte Ertrag“ soll grundsätzlich der von der Europäischen Zentralbank bekanntgegebenen Benchmark- Rendite für 10-jährige Staatsanleihen des Euro-Währungs-

gebiets im Dezember des dem relevanten Steuerjahrs vorausgehenden Jahres entsprechen. Ist diese Benchmark-Rendite negativ, wird eine Untergrenze von 2 % angewen-det.

Die Richtlinie enthält in Artikel 11 Abs. 6 eine Ermäch-tigung der Kommission, delegierte Rechtsakte zu erlassen, um Mißbrauchsvorschriften zu implementieren (insbeson-dere in Fällen, in denen die Abzugsfähigkeit von Zinsen und Abzügen im Rahmen des FWI kombiniert werden und damit double-dip-Effekte hervorrufen könnte).

3. Auswirkungen auf das deutsche Steuerrecht

Der virtuelle Zinsabzug auf Eigenkapital steht im klaren Widerspruch zum derzeitigen Körperschaftsteuersystem, wonach Zahlungen auf Eigenkapital(-instrumente) nicht steuerlich abzugsfähig sind.29 So sehr das Anliegen der Kom-mission, eine Gleichbehandlung von Fremd- und Eigenka-pital zu erreichen und zu begrüßen ist, bestehen erhebliche Zweifel, ob sich Deutschland auf eine entsprechende Rege-lung zu Gunsten des Steuerpflichtigen einlassen wird.

VI. Abschreibung

1. Einführung

An der grundsätzlichen Abschreibungsfähigkeit von Ver-mögensgegenständen wird – entsprechend dem Richtlinie-nentwurf von 2011 – festgehalten. Die Regelungen hierzu finden sich in den Artikeln 30 bis 40 GKB-Richtlinie.

2. Die Regelungen im Detail

Abschreibungsfähig sind Wirtschaftsgüter des Anlagever-mögens, über die der Steuerpflichtige Verfügungsmacht hat.30 Sachanlagen, die nicht dem Wertverlust durch Ver-schleiß oder Alterung unterliegen (Grundstücke, Kunstge-genstände, Antiquitäten, Juwelen), sowie Finanzanlagever-mögen sind ausdrücklich nicht abschreibungsfähig.31 Für Sachanlagen, die nicht dem Wertverlust unterliegen, wird lediglich ein außergewöhnlicher Abzug gewährt, sofern sich der Wert der Sachanlage infolge höherer Gewalt oder krimineller Aktivitäten Dritter gemindert hat.32

Vorgesehen ist grundsätzlich die lineare Abschreibung über die durch die GKB-Richtlinie bestimmte Nutzungs-dauer. Für neue Wirtschaftsgüter sieht die GKB-Richtlinie nur wenige typisierte Abschreibungszeiträume vor, von denen der Steuerpflichtige auch nicht abweichen kann33: Für Gebäude ist eine Nutzungsdauer von 40 Jahren vorge-sehen, für Industriegebäude/-strukturen 25 Jahre, für lang-

28 § 4h Abs. 2 Satz 1 Buchst. c) EStG.

29 vgl. § 8 Abs. 3 S. 2 KStG.

30 Art. 31 Abs. 4, 33 GKB-Richtlinie.

31 Art. 38 GKB-Richtlinie.

32 Art. 39 GKB-Richtlinie.

33 Art. 33 Abs. 1 GKB-Richtlinie.

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Beiträge RA/StB Dr. Link/RA Marx/Ref. jur. Zembala-Bömer Neuigkeiten zur Gemeinsamen Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKB)

lebige Sachanlagen 15 Jahre, für mittellebige Sachanlagen acht Jahre, für immaterielle Sachanlagen 15 Jahre bzw. der Zeitraum, in dem Rechtsschutz besteht bzw. das Recht ge-währt wird.

Für gebrauchte Wirtschaftsgüter gelten grundsätz-lich die gleichen Abschreibungszeiträume. Allerdings wird dem Steuerpflichtigen insoweit die Möglichkeit eröffnet, eine kürzere Nutzungsdauer nachzuweisen. Gelingt dies dem Steuerpflichtigen, kann er über die kürzere tatsächli-che Restnutzungsdauer abschreiben. Ein Wirtschaftsgut gilt dann als gebraucht, wenn zum Zeitpunkt des Erwerbes die Nutzungsdauer schon teilweise abgelaufen ist.34

Kurzlebige Wirtschaftsgüter sind ebenfalls abschrei-bungsfähig, allerdings werden diese zu einem Sammelpo-sten zusammengefaßt. Dieser gebildete Sammelposten wird jährlich pauschal mit 25 % abgeschrieben.35

Abschreibungsberechtigt bzw. -verpflichtet ist der wirt-schaftliche Eigentümer des Wirtschaftsguts, es sei denn das wirtschaftliche Eigentum kann nicht ermittelt werden; dann berechtigt das rechtliche Eigentum.36 Im Falle von Leasingverträgen, bei denen wirtschaftliches und recht-liches Eigentum auseinanderfallen, darf der wirtschaftliche Eigentümer den Zinsbestandteil der Leasingzahlungen ab-ziehen, sofern der Zins in die Bemessungsgrundlage des rechtlichen Eigentümers einbezogen ist.37

Die Bemessungsgrundlage der Abschreibungen (be-zeichnet als Abschreibungsbasis) umfaßt die Kosten, die mit dem Erwerb, der Herstellung oder der Verbesserung des Wirtschaftsguts direkt zusammenhängen, exklusive abzugs-fähiger Umsatzsteuer (Vorsteuer) sowie Zinsen.38 Bei un-entgeltlich erworbenen Wirtschaftsgütern ist der Markt-wert als Abschreibungsbasis anzunehmen.39 Handelt es sich um eine Verbesserung, wird das verbesserte Wirt-schaftsgut ab diesem Zeitpunkt wie ein neues Wirtschafts-gut behandelt.40 Über die Abschreibungsbasis der abschrei-bungsfähigen Wirtschaftsgüter ist ein Register (Register des Anlagevermögens) zu führen, in dem jedes Wirtschaftsgut entsprechend zu vermerken ist und in das insbesondere das Erwerbs-/Herstellungs-/Verbesserungsdatum sowie das Ver-äußerungsdatum und der Veräußerungserlös einzupflegen sind. Das Register soll ausreichend Informationen für die Berechnung der Bemessungsgrundlage enthalten.41

Die Abschreibung kann im Jahr der Anschaffung bzw. erstmaligen Ingebrauchnahme für das gesamte Jahr in An-spruch genommen. Im Gegenzug kann im Jahr einer even-tuellen Veräußerung keine (auch nicht anteilige) Abschrei-bung mehr geltend gemacht werden.

Darüber hinaus sieht die Richtlinie im Rahmen der Ab-schreibungsregelungen eine Steuerbefreiung für Ersatzwirt-schaftsgüter vor.42 Sofern der Erlös aus der Veräußerung eines abschreibungsfähigen Wirtschaftsguts, das für minde-stens drei Jahre gehalten wurde, innerhalb von zwei Jahren nach der Veräußerung in ein vergleichbares Wirtschaftsgut reinvestiert wird, kann der Veräußerungsgewinn im Jahr der Veräußerung abgezogen werden. Die Abschreibungsba-

sis des Ersatzwirtschaftsguts wird um den entsprechenden Betrag gekürzt. Das Ersatzwirtschaftsgut kann bereits in dem der Veräußerung des alten Wirtschaftsguts vorange-henden Jahr erworben werden. Wird trotz Abzug des Ver-äußerungsgewinns im Nachhinein doch kein Ersatzwirt-schaftsgut erworben, ist der Abzug im zweiten Steuerjahr nach der Veräußerung mit einem Aufschlag von 10 % der Bemessungsgrundlage hinzuzufügen.

3. Auswirkungen auf das deutsche Steuerrecht

Die Regeln zur Abschreibung ähneln dem deutschen Steuer-recht, unterscheiden sich aber im Detail. Im Gegensatz zum deutschen Recht zeichnet sich die GKB-Richtlinie vor allem durch einen höheren Grad an Typisierung aus. Während es im deutschen Steuerrecht dem Grundsatz nach immer auf die konkrete betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer eines bestimmten Wirtschaftsguts ankommt,43 wird diese nach der GKB-Richtlinie nur bei gebrauchten Gegenständen rele-vant. Auch eine Abschreibung nach der tatsächlichen Lei-stung (z. B. Betriebsstunden bei Maschinen) ist – anders als im deutschen Steuerrecht – nicht möglich. Weiterhin fällt auf, daß anscheinend eine Abschreibung wegen au-ßergewöhnlicher Wertminderung nur für nicht-abschreib-bare Wirtschaftsgüter möglich ist und auch dann nur bei einer Wertminderung wegen höherer Gewalt oder kriminel-ler Aktivität. Eine der deutschen Teilwertabschreibung ver-gleichbare Geltendmachung von schlichten (dauerhaften) Wertminderungen sieht die GKB-Richtlinie nicht vor.

Die GKB-Richtlinie erlaubt es, in bestimmten Fällen stille Reserven auf Ersatzwirtschaftsgüter zu übertragen, wie es auch das deutsche Recht in § 6b EStG bzw. bei Zerstö-rung eines Wirtschaftsguts durch höhere Gewalt oder zur Abwendung eines behördlichen Eingriffs44 vorsieht. Wäh-rend das deutsche Recht dies (außer im Falle der Zerstörung durch höhere Gewalt) aber nur für bestimmte Wirtschafts-güter des Anlagevermögens zuläßt (im Wesentlichen Grund und Boden sowie Gebäude), erlaubt die GKB-Richtlinie eine Übertragung der stillen Reserven bei allen abschreibungsfä-higen Wirtschaftsgütern, nicht aber bei Grund und Boden.

34 Art. 4 Abs. 24 GKB-Richtlinie.

35 Art. 37 GKB-Richtlinie.

36 Art. 31 Abs. 1, 3, 5 GKB-Richtlinie.

37 Art. 31 Abs. 2 GKB-Richtlinie.

38 Art. 31 Abs. 1 GKB-Richtlinie.

39 Art. 31 Abs. 2 GKB-Richtlinie.

40 Art. 36 GKB-Richtlinie.

41 Art. 30 GKB-Richtlinie.

42 Art. 35 GKB Richtlinie.

43 In der Praxis kommt allerdings den umfangreichen AfA-Tabellen der Finanzverwaltung eine sehr hohe Bedeutung zu.

44 Sog. „Rücklage für Ersatzbeschaffung“, geregelt in R 6.6 EStR.

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VII. Verlustnutzung

1. Einführung

Wie bereits nach dem Richtlinienentwurf von 2011 soll es dem Steuerpflichtigen zukünftig gestattet sein, Verluste un-befristet vorzutragen, und zwar ohne Beschränkung des jährlich abzugsfähigen Betrags. Darüber hinaus enthält der Richtlinienentwurf 2016 Regelungen zur eingeschränkten Verlustnutzung im Falle des Verkaufs verlustbringender Un-ternehmen. Ferner sieht der Richtlinienentwurf 2016 einen sogenannten „zeitlich begrenzten Verlustausgleich mit Nachbesteuerung“ vor. Danach soll es zukünftig möglich sein, unter strengen Voraussetzungen vorübergehend Ver-luste in unmittelbaren Tochtergesellschaften und Betriebs-stätten in anderen EU-Mitgliedsstaaten zu berücksichtigen.

2. Die Regelungen im Detail

Verluste eines gebietsansässigen Steuerpflichtigen oder einer Betriebsstätte eines gebietsfremden Steuerpflichtigen können grundsätzlich vorgetragen und in späteren Jahren abgezogen werden. Im Jahr der Berücksichtigung wird der Verlust nur soweit gewährt, als hieraus kein negativer Be-trag resultiert. Verluste werden in chronologischer Folge be-rücksichtigt, ältere also vor jüngeren.45

Ausgeschlossen ist die Verlustberücksichtigung nur, wenn die folgenden zwei Voraussetzungen kumulativ vor-liegen: (i) das Unternehmen des Steuerpflichtigen wird durch Beteiligungserwerb eines anderen Unternehmens „qualifizierte Tochtergesellschaft“46 des Erwerbers, (ii) „we-sentliche Änderung“ der Tätigkeit des erworbenen Unter-nehmens. Eine wesentliche Tätigkeitsänderung liegt vor, sofern eine bestimmte Tätigkeit eingestellt wird, die zuvor über 60 % des Umsatzes ausmachte, oder eine neue Tätig-keit aufgenommen wird, die künftig über 60 % des Um-satzes ausmacht.47

Über die Nutzung eigener Verluste hinaus ist – sofern noch eine positive Bemessungsgrundlage vorhanden ist – auch die Nutzung der Verluste einer qualifizierten Toch-tergesellschaft oder einer/mehrerer Betriebsstätte/n, die in einem anderen Mitgliedstaat entstanden sind, möglich.48 Der Verlust der qualifizierten Tochtergesellschaft wird je-doch nur anteilig entsprechend der Beteiligungsquote ge-währt. Die Verlustberücksichtigung darf auch hier nicht zu einer negativen Bemessungsgrundlage führen.49 Vorausset-zung für die Verlustnutzung ist, daß auch alle künftigen Ge-winne der Tochtergesellschaft bzw. der Betriebsstätte/n bis zur Höhe der genutzten Verluste in die Bemessungsgrund-lage des Steuerpflichtigen einbezogen werden.50 Darüber hinaus werden die genutzten Verluste der Tochtergesell-schaft/Betriebsstätte/n der Bemessungsgrundlage des Steu-erpflichtigen wieder hinzugerechnet, sofern entweder (i) innerhalb von fünf Jahren keine Gewinne in Höhe der ge-nutzten Verluste in die Bemessungsgrundlage einbezogen werden, (ii) die Tochtergesellschaft veräußert, liquidiert oder in eine Betriebsstätte umgewandelt wird, (iii) die Be-

triebsstätte veräußert, liquidiert oder in eine Tochtergesell-schaft umgewandelt wird oder (iv) die Muttergesellschaft nicht mehr qualifiziert i.S.d. Artikel 3 Abs. 1 GKB-Richt linie ist.51

3. Auswirkungen auf das deutsche Steuerrecht

Von der Grundkonzeption unterscheidet sich die Möglich-keit der Verlustnutzung nach der GKB-Richtlinie vor allem durch den Umstand, daß sie keine Mindestbesteuerung vor-sieht. Während Verlustvorträge im deutschen Recht nur bis zur Höhe von 1 Mio. EUR unbeschränkt mit Gewinnen ver-rechnet werden dürfen und darüber hinaus nur in Höhe von 60 %, können nach der Richtlinie Verlustvorträge ohne betragsmäßige Begrenzung verwendet werden. Daß im Ge-genzug die Möglichkeit des Verlustrücktrags fehlt, dürfte angesichts dessen nicht wesentlich ins Gewicht fallen.

Wie auch das deutsche Steuerrecht52 enthält die GKB-Richtlinie eine Regelung, die den Handel mit Mantelgesell-schaften nur zu Verlustnutzungszwecken unterbinden soll. Im Gegensatz zum deutschen Steuerrecht gehen die Ver-luste aber nicht nur bei einem (qualifizierten) Anteilseig-nerwechsel unter sondern auch, wenn die Gesellschaft eine neue Tätigkeit aufnimmt oder eine alte Tätigkeit einstellt.

Neu ist, daß unter bestimmten Voraussetzungen auch Verluste von (unmittelbaren) Tochtergesellschaften oder ausländischen Betriebsstätten abgezogen werden können. Im Hinblick auf Tochtergesellschaften wird damit eine Wir-kung erzielt, die der deutschen Organschaft vergleichbar ist. Da diese Möglichkeit der Verlustnutzung von in Toch-tergesellschaften erwirtschafteten Verlusten aber nur dann besteht, wenn die Muttergesellschaft rentabel ist, dürfte es nicht möglich sein, eine vollständige Saldierung von Ge-winnen und Verlusten in einer mehrstufigen Konzern-struktur zu erreichen. Die Möglichkeit, auch ausländische Betriebsstättenverluste mit inländischen Gewinnen zu ver-rechnen, war bisher auch im deutschen Steuerrecht grund-sätzlich möglich, da Anknüpfungspunkt an die Besteue-rung eines unbeschränkt Körperschaftsteuerpflichtigen das Welteinkommen ist. In der Praxis stehen einer Berücksich-tigung ausländischer Betriebsstättenverluste aber regelmä-ßig die einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommen ent-gegen, nach der ausländische Betriebsstättengewinne und

45 Art. 41 Abs. 1, 2, 4 GKB-Richtlinie.

46 Art. 3 Abs. 1 GKB-Richtlinie, hierzu oben unter C.I.2.

47 Art. 41 Abs. 3 GKB-Richtlinie.

48 Art. 42 Abs. 1 GKB-Richtlinie.

49 Art. 42 Abs. 2 GKB-Richtlinie.

50 Art. 42 Abs. 3 GKB-Richtlinie.

51 Art. 42 Abs. 4 GKB-Richtlinie.

52 § 8c KStG.

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–verluste freizustellen sind.53 An dieser Rechtslage dürfte sich auch durch die GKB-Richtlinie nichts ändern.

VIII. Bekämpfung der Steuervermeidung

1. Einführung

Ähnlich wie der Richtlinienentwurf 2011 wird die GKB-Richtlinie ein Paket von Vorschriften zur Bekämpfung der Steuervermeidung enthalten. Die allgemeine Mißbrauchs-vorschrift wurde im Einklang mit dem Wortlaut der Richtli-nie zur Bekämpfung der Steuervermeidung neu gefaßt und durch Maßnahmen zur Eindämmung bestimmter Arten der Steuervermeidung ergänzt. Bei bestimmten Maßnah-men zur Bekämpfung der Steuervermeidung wird es künftig notwendig sein, die jenseits der Grenzen geltenden Steuer-sätze zu berücksichtigen, um abzuschätzen, ob der Steuer-pflichtige Steuern auf im Ausland erzielte Einkünfte schul-det. Folglich ist eine Switch-over Klausel vorgesehen, die auf bestimmte Arten von Einkünften aus Drittländern aus-gerichtet ist. Diese Klausel soll dafür sorgen, daß Einkünfte in der Union steuerpflichtig sind, wenn ihre Besteuerung im Drittland unter einer bestimmten Schwelle liegt.

2. Die Regelungen im Detail

a) Allgemeine Mißbrauchsvorschrift

Nach der allgemeinen Vorschrift zur Verhinderung von Mißbrauch54 werden „unangemessene“ Gestaltungen bei der Berechnung der Bemessungsgrundlage nicht be-rücksichtigt. Bei der Beurteilung der „Unangemessenheit“ kommt es auf den Zweck der Gestaltung an: Ist der wesent-liche oder einer der wesentlichen Zwecke der Gestaltung die Erlangung steuerlicher Vorteile, die den Zielen/Zwecken des Steuerrechts zuwiderläuft, und beruht sie nicht auf trif-tigen wirtschaftlichen Gründen, die die wirtschaftliche Rea-lität widerspiegeln, gilt die Gestaltung in dem Umfang, in dem sie nicht wirtschaftlich motiviert ist, als unangemes-sen. Statt der unangemessenen Gestaltung wird im Rahmen der Bemessungsgrundlage die wirtschaftliche Substanz hin-ter der Gestaltung berücksichtigt. b) Einkünfte beherrschter ausländischer Unternehmen

Bestimmte nicht ausgeschüttete Einkünfte von sog. „be-herrschten ausländischen Unternehmen“ werden auf Ebene des beherrschenden Steuerpflichtigen besteuert.55 Die rele-vanten Einkünfte sind Zinsen, Lizenzgebühren, Dividen-den, Einkünfte aus Finanzierungsleasing, aus Tätigkeiten von Versicherungen und Banken sowie Einkünfte von Ab-rechnungsunternehmen, die Einkünfte aus dem Verkauf von Waren und der Erbringung von Dienstleistungen erzie-len, die von verbundenen Unternehmen erworben oder an diese verkauft werden, und keinen oder nur geringen wirt-schaftlichen Mehrwert bringen. Dies gilt nicht, sofern das beherrschte ausländische Unternehmen in einem Mitglied-staat oder EWR-Staat ansässig/niedergelassen ist und das Unternehmen aus triftigen wirtschaftlichen Gründen, die die wirtschaftliche Realität widerspiegeln, errichtet worden

ist. Dies ist der Fall, soweit die Tätigkeit des Unternehmens im Hinblick auf Personal, Ausstattung, Vermögenswerte und Räumlichkeiten in angemessenem Umfang ausgeübt wird.56

Ein „beherrschtes ausländisches Unternehmen“ kann eine andere Gesellschaft oder eine Betriebsstätte sein und liegt vor, sofern der Steuerpflichtige (i) selbst oder zusam-men mit einem verbundenen Unternehmen unmittelbar oder mittelbar mehr als 50 % der Stimmrechte oder des Ka-pitals hält oder Anspruch auf mehr als 50 % der Gewinne hat und (ii) die vom ausländischen Unternehmen entrich-tete Körperschaftsteuer auf die Gewinne niedriger ist als die Hälfte der Körperschaftsteuer, die sich nach der GKB-Richtlinie für dieses Unternehmen ergeben würde.57 Das ausländische Unternehmen wird allerdings dann nicht als beherrscht behandelt, wenn nicht mehr als ein Drittel der Einkünfte des Unternehmens zu den relevanten Einkünften im Sinne der Vorschrift zählen. Für Finanzunternehmen gilt dies, wenn nicht mehr als ein Drittel dieser relevanten Einkünfte aus Transaktionen mit dem Steuerpflichtigen oder seinen verbundenen Unternehmen stammt.58

Die Einkünfte des beherrschten ausländischen Unter-nehmens werden entsprechend der GKB-Richtlinie berech-net und in der Bemessungsgrundlage des beherrschenden Steuerpflichtigen erfaßt; sofern es sich um eine beherrschte Gesellschaft handelt allerdings nur anteilig entsprechend der bestehenden Beteiligung.59 Werden die relevanten nicht ausgeschütteten und auf Ebene des beherrschenden Steuerpflichtigen einbezogenen Einkünfte später doch aus-geschüttet, wird die Bemessungsgrundlage des Steuerpflich-tigen im Ausschüttungsjahr entsprechend gekürzt.60 Erlöse aus einer späteren Veräußerung der Anteile an der be-herrschten ausländischen Gesellschaft werden ebenfalls um die bereits berücksichtigten Einkünfte gekürzt.61 c) Switch-over Klausel

Die grundsätzliche Steuerbefreiung von Einkünften aus der Veräußerung qualifizierter Beteiligungen bzw. aus Ge-winnausschüttungen aus qualifizierten Beteiligungen62 gilt nicht, sofern die Gesellschaft, an der die Beteiligung besteht, in einem Drittland ansässig ist und in ihrem An-

53 Eine Verlustberücksichtigung ist im EU/EWR-Raum nach umstrittener Auffassung des BFH trotz DBA allerdings dann möglich, wenn die Betriebsstättenverluste im ausländischen Mitgliedsstaat unter keinen Umständen mehr verwertbar sind, sog. „finale“ Betriebsstättenver-luste, vgl. BFH v. 05.02.2014, I R 48/11, BFH/NV 2014, 963.

54 Art. 58 GKB-Richtlinie.

55 Art. 59, 60 GKB-Richtlinie.

56 Art. 59 Abs. 2 GKB-Richtlinie.

57 Art. 59 Abs. 1 GKB-Richtlinie.

58 Art. 59 Abs. 3 GKB-Richtlinie.

59 Art. 60 Abs. 1, 2 GKB-Richtlinie.

60 Art. 60 Abs. 4 GKB-Richtlinie.

61 Art. 60 Abs. 5 GKB-Richtlinie.

62 Art. 8 lit. c), d) GKB-Richtlinie; siehe hierzu oben unter C.III.2.

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sässigkeitsstaat einem Körperschaftsteuersatz unterliegt, der weniger als die Hälfte des Körperschaftsteuersatzes be-trägt, den der Steuerpflichtige in seinem Ansässigkeitsstaat auf diese Einkünfte zu entrichten hätte.63 Die im Drittstaat auf die Einkünfte gezahlte Steuer kann vom Steuerpflichti-gen bis zur Höhe der zu zahlenden (inländischen) Körper-schaftsteuer angerechnet werden.64 Veräußerungsverluste werden in diesem Rahmen nicht berücksichtigt.65 Die Aus-nahme von der Steuerbefreiung gilt allerdings nicht, wenn mit dem Drittstaat ein Doppelbesteuerungsabkommen be-steht, nach welchem die Switch-over Klausel nicht zuläs-sig ist.66 d) Fremdvergleich

Geschäftsvorfälle zwischen verbundenen Unternehmen67 bzw. dem Steuerpflichtigen und seiner/seinen Betriebs-stätte/n werden dem Fremdvergleich unterzogen und für die Bemessungsgrundlage entsprechend angepaßt.68 Be-triebsstätten werden in diesem Zusammenhang als selb-ständig fingiert.69

e) Keine Doppelberücksichtigung

Zahlungen, Aufwendungen oder Verluste des Steuerpflich-tigen sollen nur einmal berücksichtigungsfähig sein, so daß die Berücksichtigungsfähigkeit vom Mitgliedstaat zu versa-gen ist, sofern der Steuerpflichtige auch in einem Drittstaat steuerlich ansässig ist und dieser Drittstaat die steuerliche Berücksichtigung dieser Zahlungen, Aufwendungen oder Verluste gestattet.70

3. Auswirkungen auf das deutsche Steuerrecht

Unter dem Gesichtspunkt „Bekämpfung der Steuervermei-dung“ sind eine Vielzahl von Maßnahmen zusammenge-faßt, die teilweise ihre Entsprechung im deutschen Steu-errecht haben. Die allgemeine Mißbrauchsvorschrift ist beispielsweise in ihren Tatbestandsvoraussetzungen §  42 AO nachgebildet, auch wenn der Wortlaut einen mögli-cherweise weiten Anwendungsbereich nahelegt. So ist der Anwendungsbereich der Norm bereits dann eröffnet, wenn die Erlangung eines steuerlichen Vorteils nicht der Haupt-zweck sondern nur einer der wesentlichen Zwecke ist.

Die Vorschriften betreffend die Einkünfte ausländischer beherrschter Unternehmen erinnern dagegen an die deut-sche Hinzurechnungsbesteuerung, nach der bestimmte pas-sive Einkünfte ausländischer Tochtergesellschaften der in-ländischen Bemessungsgrundlage hinzugerechnet werden (§§ 7 ff. AStG). Während die deutschen Regeln negativ die Einkünfte abgrenzen, die nicht als schädliche passive Ein-künfte zählen, normiert die GKB-Richtlinie diese positiv. Teilweise stimmen die beiden Regelungskomplexe überein (etwa bei der Behandlung von Zinsen), teilweise stehen sie sich auch diametral gegenüber. So stellen beispielsweise Di-videndeneinkünfte nach der GKB-Richtlinie „schädliche“ Einkünfte dar, während sie nach deutschem Recht nicht der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen (§  8 Abs.  1 Nr.  8 AStG). Ähnlich wie die deutschen Regelungen er-laubt die GKB-Richtlinie für EU/EWR-Gesellschaften den

Gegenbeweis, daß sie über ausreichend Substanz verfügen, wobei die GKB-Richtlinie die Anforderungen genauer be-nennt, während die deutsche Vorschrift lediglich von einer „tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ spricht (vgl. § 8 Abs. 3 Satz 1 AStG). Inhaltlich dürften hier aber keine allzu großen Abweichungen bestehen.

Auch das Kriterium des Fremdvergleichs findet sich im deutschen Steuerrecht. Eine unmittelbare Korrektur von Verrechnungspreisen findet aber im deutschen Steuerrecht – im Gegensatz zur GKB-Richtlinie – nur in grenzüber-schreitenden Sachverhalten statt (§ 1 AStG). Bei nationalen Sachverhalten finden bei konzerninternen Transaktionen, die einem Fremdvergleich nicht standhalten, regelmäßig die Rechtsinstitute der verdeckten Gewinnausschüttung/verdeckten Einlage Anwendung.

IX. Hybride Gestaltungen

1. Einführung

Die Richtlinie geht davon aus, daß es bei einheitlicher An-wendung der GKB innerhalb der EU zukünftig nicht länger zu hybriden Gestaltungen und den daraus resultierenden Inkongruenzen aus nationalen Unterschieden bei der recht-lichen Einordnungen bestimmter Arten von Unternehmen oder Zahlungen kommen sollte. Es kann jedoch nicht aus-geschlossen werden, daß es weiterhin „Hybrid Missmat-ches“ in Bezug auf Drittlands-Körperschaftsteuersysteme gibt. Die GKB-Richtlinie enthält Regelungen, um diesen Si-tuationen zu begegnen.

2. Die Regelungen im Detail

Artikel  60 GKB-Richtlinie sieht sechs verschiedene Fallge-staltungen der hybriden Gestaltungen vor, auf die die Mit-gliedstaaten entsprechend zu reagieren haben:(i) Sofern hybride Gestaltungen zwischen Mitgliedstaa-

ten zu einer doppelten Berücksichtigung derselben Zahlungen, Aufwendungen oder Verluste führen, wird die steuerliche Berücksichtigung nur in dem Mitglied-staat gewährt, aus dem die Zahlungen stammten bzw. in dem die Aufwendungen oder Verluste entstanden sind. Ist ein Drittstaat involviert, wird der Abzug gänz-lich verweigert, wenn dies nicht der Drittstaat bereits getan hat.71

63 Art. 53 Abs. 1 GKB-Richtlinie.

64 Art. 53 Abs. 2 GKB-Richtlinie.

65 Art. 53 Abs. 3 GKB-Richtlinie.

66 Art. 53 Abs. 1 Unterabsatz 2 GKB-Richtlinie.

67 Art. 56 GKB-Richtlinie definiert, wann Unternehmen als verbunden gelten.

68 Art. 57 GKB-Richtlinie.

69 Art. 57 Abs. 2 GKB-Richtlinie, der Art. 7 Abs. 2 OECD-MA entspricht.

70 Art. 61a GKB-Richtlinie.

71 Art. 61 Abs. 1 GKB-Richtlinie.

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(ii) Führt die hybride Gestaltung zu einem Abzug bei gleichzeitiger steuerlicher Nichtberücksichtigung, so verweigert der Mitgliedstaat des Zahlenden den Abzug. Ist wiederum ein Drittstaat involviert, verweigert der Mitgliedstaat den Abzug, sofern die Zahlung aus dem Mitgliedstaat stammt, oder bezieht die Zahlung in die Bemessungsgrundlage ein, sofern die Zahlung aus dem Drittstaat stammt und dieser den Abzug nicht verwei-gert hat.72

(iii) Ist eine Betriebsstätte an der hybriden Gestaltung be-teiligt, die zu einer Nichtbesteuerung bei gleichzei-tiger steuerlicher Nichtberücksichtigung führt, sind die Betriebsstätteneinkünfte in die Bemessungsgrund-lage des Steuerpflichtigen mit einzubeziehen. Gleiches gilt, wenn die Betriebsstätte in einem Drittstaat bele-gen ist.73

(iv) Sofern eine Zahlung durch einen Steuerpflichtigen an ein verbundenes Unternehmen in einem Drittland di-rekt oder indirekt durch Zahlungen, Aufwendungen oder Verluste ausgeglichen wird, die aufgrund einer hybriden Gestaltung in zwei unterschiedlichen Steu-ergebieten außerhalb der Union abzugsfähig sind, ver-weigert der Mitgliedstaat des Steuerpflichtigen den Abzug dieser geleisteten Zahlung, es sei denn, eines der beteiligten Drittländer hat den Abzug bereits verwei-gert.74

(v) Sofern die entsprechende Einbeziehung einer abzugs-fähigen Zahlung durch einen Steuerpflichtigen an ein verbundenes Unternehmen in einem Drittland direkt oder indirekt durch eine Zahlung ausgeglichen wird, die der Zahlende aufgrund einer hybriden Gestaltung nicht in seine Steuerbemessungsgrundlage einbezieht, verweigert der Mitgliedstaat des Steuerpflichtigen den Abzug, es sei denn, eines der beteiligten Drittländer hat den Abzug bereits verweigert.75

(vi) Sofern eine hybride Gestaltung zu einer Ermäßigung der auf eine Zahlung aus dem übertragenen Finanz-instrument entrichteten Quellensteuer für mehr als eine der beteiligten Parteien führt, begrenzt der Mit-gliedstaat des Steuerpflichtigen bei einer solchen Zah-lung die Ermäßigung im Verhältnis zu dem steuer-pflichtigen Nettoeinkommen.76

3. Auswirkungen auf das deutsche Steuerrecht

Die Verhinderung mißbräuchlicher hybrider Gestal-tungen ist schon als „Aktionspunkt 2“ aus dem BEPS-Aktionsplan der OECD bekannt. Bereits jetzt gibt es im deutschen Recht Vorschriften, die weiße Einkünfte ver-hindern sollen.77 Beispielsweise normiert §  8b Abs.  1 Satz  2 KStG ein Korrespondenzprinzip für Dividenden. Diese sind zwar grundsätzlich78 steuerbefreit, soweit sie von einer Körperschaft bezogen werden. Dies gilt aber nicht, wenn die Dividendenzahlungen das Einkommen der leistenden Körperschaft gemindert haben (vgl. §  8b Abs. 1 Satz 2 KStG).

Zwischenzeitlich war eine noch weitergehende Rege-lung in der Diskussion, die ein generelles Korrespondenz-prinzip zwischen Zinsaufwendungen und Zinseinnahmen kodifizieren wollte. Nach dem Gesetzesentwurf sollten Aufwendungen nicht als Betriebsausgaben abziehbar sein, wenn sie beim Empfänger nicht als Einnahmen in der Steu-erbemessungsgrundlage berücksichtigt wurden oder einer Steuerbefreiung unterliegen.79 Der Entwurf wurde letztlich nicht umgesetzt, nicht zuletzt deshalb, weil erhebliche Be-denken gegen seine Reichweite und praktische Umsetzbar-keit bestanden. So viel insbesondere auf, daß die Vorschrift nicht auf Konzernsachverhalte beschränkt war. Um die Ab-ziehbarkeit von Zinszahlungen im Inland zu gewährleisten, hätte der Steuerpflichtige nachweisen müssen, daß (ihm möglicherweise sogar unbekannte) fremde Dritte diese Zah-lungen der Besteuerung unterworfen haben.

Der Gesetzgeber hat sich daher vorerst darauf be-schränkt, nur einen Teilbereich zu regeln. Nach dem neuen §  4i EStG dürfen Sonderbetriebsausgaben eines Mitunter-nehmers nur dann abgezogen werden, wenn und soweit die Aufwendungen nicht zugleich die Bemessungsgrundlage in einem anderen Staat gemindert haben. Die Vorschrift zielt insbesondere auf ausländische Erwerbergesellschaften ab. Es soll verhindert werden, daß eine Erwerbergesellschaft Zinsen sowohl im Inland (als Sonderbetriebsausgaben) als auch im Ausland abzieht.

Es ist zu erwarten, daß der Gesetzgeber das Thema eines generellen Korrespondenzprinzips für Zinsaufwendungen früher oder später wieder aufnehmen wird. Die Einführung der GKB hätte zur Folge, daß hybride Gestaltungen im Gel-tungsbereich der GKB durch gleichlautende Vorschriften in den Mitgliedsstaaten ausgeschlossen oder zumindest erheb-lich erschwert würden.80

D. Ausblick/Fazit

Die GKB- und GKKB-Richtlinienentwürfe 2016 wurden dem Europäischen Parlament zur Konsultation und dem Rat zur Annahme übermittelt.81 Die Kommission geht insofern of-

72 Art. 61 Abs. 2 GKB-Richtlinie.

73 Art. 61 Abs. 3 GKB-Richtlinie.

74 Art. 61 Abs. 4 GKB-Richtlinie.

75 Art. 61 Abs. 5 GKB-Richtlinie.

76 Art. 61 Abs. 6 GKB-Richtlinie.

77 Ausführlich dazu Kredig/Link, steueranwaltsmagazin 2015, 148.

78 Ab einer Mindestbeteiligungsquote von 10%, vgl. § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG.

79 Vgl. BR-Drucks. 432/14 S. 12.

80 Gewisse Unterschieden könnten sich theoretisch immer noch dadurch ergeben, daß Mitgliedstaaten die Richtlinie im Detail abweichend in das nationale Recht umsetzen.

81 Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland, EU-Aktuell v. 25.10.2016.

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fensichtlich davon aus, daß die Arbeiten an der GKB und GKKB nun abgeschlossen sind und die Richtlinien in die-ser Form Wirklichkeit werden. Die Kommission selbst will die Anwendung der Richtlinien dann jeweils nach fünf Jah-ren überprüfen und dem Rat hierüber Bericht erstatten.82 Klar ist, daß in der nahen Zukunft nach dem Konzept der Kommission ohnehin vorerst nur die GKB-Richtlinie umge-setzt würde. Die Konsolidierung der „europäischen“ Bemes-sungsgrundlage rückt weiter in die Ferne. Die Abkoppelung der Konsolidierung könnte den neuen Anlauf der Kommis-sion dieses Mal eventuell zumindest zum Zwischenziel ver-helfen, da nun zumindest weniger Steine im Wege der Ein-stimmigkeit stehen.

Der Beitrag hat gezeigt, daß die Auswirkungen der GKB-Richtlinie auf das deutsche Steuerrecht nicht in allen Be-reichen gravierend wären. Zwar stellen insbesondere der Geltungsbereich, die Betriebsstättendefinition sowie die Be-messungsgrundlage der Richtlinie im Vergleich zum deut-schen Steuerrecht gewisse Knackpunkte dar, die nicht ohne merkliche Neuerungen daher kommen würden. Doch grade in den Bereichen Zinsschranke, Abschreibungen, Verlust-nutzung, Bekämpfung der Steuervermeidung und Hybride Gestaltungen sind die Regelungen der GKB-Richtlinie für den deutschen Rechtsanwender auf den ersten Blick keine Überraschung. Allerdings steckt hier der Teufel im Detail: (i) Die Zinsschranke der GKB-Richtlinie führt gegenüber der deutschen Zinsschranke zu einer weiteren Verschärfung der Nutzungsmöglichkeit von Zinsaufwendungen. (ii) Die Abschreibungsregelungen der GKB-Richtlinie sind letzt-lich starrer als die deutschen. (iii) Die Ausgestaltung der Verlustnutzung ist nach der GKB-Richtlinie deutlich gene-röser als das deutsche Steuerrecht und bringt mit der Nut-zung der Tochtergesellschaftsverluste über die Grenze ein deutliches Mehr. (iv) Die Vorschriften zur Bekämpfung der Steuervermeidung liegen weitestgehend auf der Linie der deutschen Regelungen, allerdings sind sie hinsichtlich Di-videnden sogar strenger als die deutsche Hinzurechnungs-besteuerung. (v) Den Umgang mit hybriden Gestaltungen hat der deutsche Gesetzgeber ebenso wie die GKB-Richt-linie auf dem Schirm, allerdings sind die deutschen Rege-lungen heute noch nicht derart weitgehend und das Kor-

respondenzprinzip noch nicht für alle möglichen Bereiche etabliert. Alles in allem würde die GKB-Richtlinie also auch für das deutsche Steuerrecht viele Änderungen mit sich bringen, auch wenn viele Regelungen nur im Detail anzu-passen wären. Der deutsche Bundesrat hat sich in einer er-sten Stellungnahme entsprechend bereits äußerst negativ geäußert und eine Vielzahl dieser Detailregelungen kriti-siert.83 Es erscheint insofern eher unwahrscheinlich, daß Deutschland dem Richtlinienentwurf in der vorliegenden Fassung zustimmt.

Ungeklärt ist bisher auch, wie nachfolgende Ände-rungen der GKB zeitnah umgesetzt werden können, wenn die Richtlinie erstmal verabschiedet ist. Es liegt in der Natur des Steuerrechts, daß sich häufig Unzulänglichkeiten neuer Gesetze erst in der Praxis zeigen, sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten der Steuerpflichtigen. Es ist schwer abzuse-hen, wie sich notwendige Änderungen zeitnah umsetzen lassen, wenn man bedenkt, daß Änderungen der Richtlinie grundsätzlich nur einstimmig vom Europarat beschlossen werden können.84 Die GKB-Richtlinie sieht zwar an ver-schiedenen Stellen vor, daß die Kommission zur Präzisie-rung bestimmter Vorschriften Rechtsakte erlassen kann.85 Es erscheint aber unwahrscheinlich, daß damit alle denk-baren Fälle erfaßt sind.

Zudem ist schwer vorstellbar, daß Deutschland bereit sein könnte, die Gesetzgebungskompetenz für einen so wichtigen Bereich wie das Körperschaftsteuerrecht aus der Hand zu geben.86 Im Ergebnis erscheint eine (zeitnahe) Umsetzung der Richtlinie daher eher unwahrscheinlich, so erstrebenswert das Ziel einer Vereinfachung und Verein-heitlichung des Steuerrechts auch ist.

82 COM(2016) 683 final, S. 15.

83 BR-Drucks. 641/1/16.

84 Vgl. Korte in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 115 AEUV Rz. 12.

85 Vgl. Art: 66 GKB-Richtlinie.

86 Vgl. Hey, FR 2016, 554, 557.

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I. Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger K war Vorstandsmitglied einer Bank. Das mit dieser Bank bestehende Dienstverhält-nis kündigte der K ordentlich im Jahr X, um im Rahmen einer für den Kündigungszeitpunkt geplanten Fusion mit einer anderen Bank, als Vorstandmitglied eingesetzt zu wer-den. Die Behörde Z forderte daraufhin die Bank mit einem Bescheid auf, den K mangels fachlicher Eignung als Vor-standsmitglied abzuberufen. Aufgrund dieses Bescheids kündigte die Bank dem K außerordentlich und fristlos. Eine weitere Beschäftigung als Vorstand konnte der K nach der Kündigung nicht verfolgen. Gegen den Bescheid der Be-hörde Z ging K gerichtlich vor und erwirkte ein rechtskräf-tiges Urteil, in dem das Gericht feststellte, daß der Bescheid der Z rechtswidrig war und der K gegen Z einen Schadens-ersatzanspruch hat. In einem weiteren rechtskräftigen Ur-teil stellte das Gericht weiter fest, daß der Schadensersatz-anspruch des K alle materiellen Schäden umfaßt, die ihm im Zusammenhang mit dem rechtswidrigen Bescheid ent-standen sind und noch entstehen werden. In einem drit-ten zivilrechtlichen Verfahren schlossen die Parteien einen Vergleich, in dem die Z an den K für entgangene Gehalts-ansprüche und Rentenansprüche zzgl. Prozesszinsen ent-schädigte. Aufgrund einer bei dem K durchgeführten Au-ßenprüfung unterwarf der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) die aus dem Vergleich stammenden Zahlungen als Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit. Die Klage, mit der der K geltend machte, die Zahlungen der Z beglichen lediglich einen in seinem Privatvermögen erlit-tenen materiellen Schaden und würden keinen Arbeitslohn darstellen, blieb erfolglos.

II. Entscheidungsgründe

Der BFH befand die Revision des K als unbegründet, so daß diese gemäß § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen war. Der BFH stimmt den rechtlichen Ausführungen der Vor-instanz zu und qualifiziert die von der Z für entgangene Gehalts- und Rentenansprüche geleisteten Schadenser-satzzahlungen als Entschädigung im Sinne des § 24 Nr. 1 Buchst. a in Verbindung mit § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 EStG.

Da es sich bei dem §24 EStG nicht um eine eigenstän-dige Einkunftsart im Sinne des EStG handelt, ist es nötig, daß die streitbefangenen geleisteten Entschädigungen in eine Einkunftsart des §  2 Abs.  1 EStG einzuordnen sind. Hier ging der BFH übereinstimmend mit der Vorinstanz davon aus, daß es sich bei den Entschädigungsleistungen um solche als Arbeitslohn gemäß §§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 EStG handelt. Entschädigungen i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG dienen dazu, Verluste von entgangenen oder entgehenden Einnahmen auszugleichen. Voraussetzung einer Entschädigung in diesem Sinne ist, daß das zugrundeliegende Rechtsverhältnis beendet wor-den ist und die Entschädigungszahlung auf einer neuen Rechts- und Billigkeitsgrundlage beruht. Das zugrundelie-gende Rechtsverhältnis gilt als nicht beendet, wenn die bis-herige vertragliche Basis bestehen geblieben ist und sich nur die Zahlungsmodalitäten geändert haben. Mithin sind Zahlungen, die bürgerlich-rechtliche Erfüllungsleistungen eines Rechtsverhältnisses sind, nicht von dem Entschädi-gungsbegriff erfaßt. Als eine neue Rechtsgrundlage oder Bil-ligkeitsgrundlage kommt es maßgeblich auf den Zeitpunkt an, in welchen das Arbeitsverhältnis nach bürgerlichen Recht wirksam beendet worden ist. Eine solche Rechts-grundlage können gesetzliche Regelungen, Betriebsverein-barungen, Gerichtsurteile oder auch Prozeßvergleiche sein.

Der BFH sieht die Voraussetzungen als erfüllt an, da durch die Kündigung das zugrundeliegende Rechtsgeschäft beendet worden ist, und durch den Prozeßvergleich dem K Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen an-lässlich einer neuen Rechtsgrundlage, dem Vergleich, ge-währt worden ist. Der gerichtliche Vergleich setzt sich aus den „entgangenen Gehaltsansprüchen“ sowie „entgange-nen Rentenansprüchen“ zusammen. Dem K ist durch den rechtswidrigen Bescheid ein Schaden dahingehend entstan-den, daß ihm durch die Beendigung des Dienstvertrags und der unterbundenen Weiterbeschäftigung künftige Einnah-men aus Lohn und betrieblicher Altersversorgung entstan-den sind. Die Zahlungen der Z dienten unmittelbar zum Ausgleich dieses Schadens.

Eine Qualifizierung dieser Entschädigungszahlung als Arbeitslohn sieht der BFH als richtig an, da im Falle ihrer Erzielung unter die Einkunftsart des § 19 EStG fallen wür-den. Ferner sieht es der BFH als unschädlich an, daß die Zahlungen von Z und nicht von dem ehemaligen Arbeit-

Rechtsprechung

Entschädigungszahlungen für entgangene Gehalts- und RentenansprücheOrientierungssatz: Eine Entschädigung liegt auch dann vor, wenn eine Schadensersatzleistung aus Amtshaftung

als Surrogat für die durch eine rechtswidrige Abberufung als Bankvorstand entstandenen Verdienst- und Betriebsrentenausfälle geleistet wird.

Entscheidung: BFH, Urteil vom 12.07.2016 – IX R 33/15

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37steueranwaltsmagazin  1  /2017

Rechtsprechung

Anschaffungsnahe HerstellungskostenOrientierungssatz: Schönheitsreparaturen stellen grundsätzlich anschaffungsnahe Herstellungskosten dar. Einen

engen räumlichen, zeitlichen und sachlichen Zusammenhang der Schönheitsreparaturen und der Modernisierung des Gebäudes bedarf es nicht.

Entscheidung: BFH, Urteil vom 14.06.2016 – IX R 22/15, IX R 15/15, IX R 25/14

I. Sachverhalt

Die Parteien streiten um die Qualifizierung von Aufwen-dungen hinsichtlich eines Gebäudes als sog. anschaffungs-nahe Herstellungskosten im Sinne des §  6 Abs.  1 Nr.  1a EStG. Hierzu hatte der BFH über drei gleichgelagerte Fälle zu entscheiden.

In allen drei streitgegenständlichen Sachverhalten er-warben die Kläger mit formgerechten Kaufvertrag bebaute Grundstücke mit der Absicht, diese teils ganz bzw. teils anteilig weiter an fremde Dritte zu vermieten. Nach dem Kauf der Grundstücke tätigten alle Kläger innerhalb der fol-genden drei Jahre Instandsetzungs- und Modernisierungs-maßnahmen. Diese bestanden in der Modernisierung der Bäder, in dem Austausch von Fenstern, in der Verlegung von Fußböden sowie in dem Streichen von Wänden. In ihren Einkommensteuererklärungen des betreffenden Jah-res gaben die jeweiligen Kläger die durch die Instandset-zungs- und Modernisierungsmaßnahmen entstandenen Kosten als sofort abzugsfähige Werbungskosten in der ent-sprechenden Höhe an. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

II. Entscheidungsgründe

Der BFH befand die Entscheidungen der Vorinstanzen als grundsätzlich nicht revisionsrechtlich zu beanstanden. Bei den in den streitigen Fällen getätigten Maßnahmen han-delt es sich nach der Ansicht des BFH um anschaffungs-

nahe Herstellungskosten im Sinne des §  6 Abs.  1 Nr.  1a EStG, welche jedoch nicht als sofort abziehbare Werbungs-kosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG zu qualifizieren sind, sondern als Herstellungskosten, die sich nur in Form von Absetzungen für Abnutzung (AfA) gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 i.V.m. § 7 Abs. 1, 4 und 5 EStG steuermindernd als Werbungskosten auswirken.Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung sind gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sofort ab-ziehbar, wenn es sich hierbei um Aufwendungen handelt, welche dem Erwerb, Sicherung und Erhaltung der Einnah-men aus Vermietung und Verpachtung dienen. Handelt es sich bei den getätigten Aufwendungen um Anschaffungs- oder Herstellungskosten, die sich auf abnutzbare Wirt-schaftsgüter beziehen, sind diese nur nach den Grundsät-zen der AfA gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 in Verbindung mit § 7 Abs. 1, 4 und 5 EStG abziehbar.Maßgeblich für die Begriffe der Anschaffungs- und Herstel-lungskosten ist § 255 Abs. 1 und 2 HGB. Demnach sind Her-stellungskosten Aufwendungen, die durch den Verbrauch von Gütern und die Inanspruchnahme von Diensten für die Herstellung eines Vermögensgegenstandes, seine Erwei-terung oder für eine über seinen ursprünglichen Zustand hinausgehende wesentliche Verbesserung entstehen. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1a Satz 1 in Verbindung mit § 9 Abs. 5 Satz 2 EStG gehören zu den Herstellungskosten eines Gebäudes auch Aufwendungen für Instandsetzung- und Modernisie-rungsmaßnahmen, die innerhalb von drei Jahren nach der Anschaffung des Gebäudes durchgeführt werden, wenn die Aufwendungen ohne die Umsatzsteuer 15 % der Anschaf-

geber geleistet worden sind. Entschädigungszahlungen von Dritten sind hiervon auch erfaßt.

Letztlich nimmt der BFH noch Stellung zu einem Ur-teil vom 10.07.2008 (IX R 84/07, BFH/NV 2009, 130) und macht deutlich, daß die vorliegende Entscheidung nicht im Widerspruch zu den damaligen Rechtsgrundsätzen steht. Jenes Verfahren bezog sich auf die Vereinbarung einer Ent-schädigung während eines laufenden befristeten Dienstver-

hältnisses, die dafür geleistet wurde, daß das Dienstverhält-nis vertragsgemäß auslief und nicht verlängert wurde. Der dem Streitfall zugrundeliegende Sachverhalt ist jedoch an-ders gelagert. Hier werden mit der Leistung der Z konkret die Verdienst- und betrieblichen Rentenausfälle des Klägers für den Zeitraum nach fristloser Kündigung und der unter-bundenen Weiterbeschäftigt ersetzt.

(Claudius Söffing)

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38 steueranwaltsmagazin  1 /2017

Rechtsprechung

Keine gewerbliche Prägung einer GbR bei Beteiligung einer natürlichen PersonOrientierungssatz: Das gesetzliche Tatbestandsmerkmal des „persönlich haftenden Gesellschafters“ gemäß § 15

Abs. 3 Nr. 2 EStG bestimmt sich nach gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen. Ein Haftungsausschluß eines BGB-Gesellschafters kann nur beim einzelnen Vertragsabschluß mit der Zustimmung des jeweiligen Vertragspartners erreicht werden und wirkt allein für den betreffenden Vertragsabschluß. Die Rechtsstellung als persönlich haftender Gesellschafter der GbR wird davon jedoch nicht berührt.

Entscheidung: BFH, Beschluß vom 22.09.2016 – IV R 25/13

fungskosten des Gebäudes übersteigen. Zu diesen Aufwen-dungen gehören nicht die Aufwendungen für Erweite-rungen i. S. d. § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB sowie Aufwendungen für Erhaltungsarbeiten, die jährlich üblicherweise anfallen.Mangels einer gesetzlichen Definition der Instandset-zungs- und Modernisierungsmaßnahmen bedarf es nach Ansicht des BFH einer Auslegung dieser Begriffe. Der BFH versteht unter dem Begriff der Instandsetzungs- und Mo-dernisierungsmaßnahmen – unabhängig von der handels-rechtlichen Einordnung – bauliche Maßnahmen durch die die Mängel oder Schäden an vorhandenen Einrichtungen eines bestehenden Gebäudes oder am Gebäude selbst besei-tigt werden oder das Gebäude durch Erneuerung in einen zeitgemäßen Zustand versetzt wird. Hierbei stellt der BFH deutlich heraus, daß zu diesen Maßnahmen auch die sog. Schönheitsreparaturen wie das Tapezieren, Anstreichen oder Kalken der Wände und Decken gehören. Hierfür ist erforderlich, daß sie innerhalb von drei Jahren nach der Anschaffung durchgeführt werden und die hierfür ange-fallenen Aufwendungen ggf. zusammen mit weiteren Auf-wendungen ohne Umsatzsteuer für bauliche Maßnahmen 15 % der Anschaffungskosten übersteigen. Zwar zählen nach § 6 Abs. 1 Nr. 1a Satz 2 EStG Aufwendungen für Erhal-

tungsarbeiten, die jährlich üblicherweise anfallen, nicht zu den anschaffungsnahmen Herstellungskosten. Schönheits-reparaturen fallen jedoch nach Ansicht des erkennenden IX. Senats im Regelfall nicht jährlich an. Insoweit hält der Senat an seiner Rechtsprechung fest und folgt nicht dem Erfordernis eines engen räumlichen, zeit-lichen und sachlichen Zusammenhangs der Schönheitsre-paraturen zu einer als einheitlich zu würdigenden Instand-setzung und Modernisierung des Gebäudes. Auch stellen Aufwendungen für eine wesentliche Verbesserung des Ge-bäudes, die bereits nach § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB als Herstel-lungskosten zu qualifizieren sind, nach Ansicht des BFH an-schaffungsnahe Herstellungskosten im Sinne des § 6 EStG dar.Bei der Prüfung, ob die Aufwendungen für Instandset-zungs- und Modernisierungsaufwendungen zu anschaf-fungsnahen Herstellungskosten i.S. von § 6 Abs.  1 Nr.  1a Satz 1 EStG führen, ist bei einem aus mehreren Einheiten bestehenden Gebäude dann auf das Gebäude insgesamt ab-zustellen, wenn das Gesamtgebäude nicht in unterschied-licher Weise genutzt wird und somit nicht in verschiedene Wirtschaftsgüter aufzuteilen ist.

(Claudius Söffing)

I. Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin streitet mit dem Finanz-amt (FA) darüber, ob in dem Streitjahr Einkünfte aus Ge-werbebetrieb zu Recht in Einkünfte aus Kapitalvermögen umqualifiziert worden sind.

Die Klägerin ist eine mit Gesellschaftsvertrag aus dem Jahr 2002 gegründete GbR. Zweck der Gesellschaft war der Aufbau, die Verwaltung, die Nutzung und die laufende Um-schichtung eines Wertpapier-Portfolios. An der GbR waren die Gesellschafter A und B sowie die X-AG beteiligt. Hiervon erbrachte jedoch nur der A eine Bareinlage von 499.000 € und B eine in Höhe von 1.000 €, die X-AG war nicht am Vermögen der GbR beteiligt. Die Geschäfte der GbR sollten ausschließlich durch die X-AG geführt werden.

Der Gesellschaftervertag enthielt besondere Regelungen zur Haftung, wonach die X-AG für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft unbeschränkt haften sollte. Die Haftung der anderen Gesellschafter für rechtsgeschäftliche Verbind-lichkeiten sollte nach dem Gesellschaftsvertrag auf das Ge-sellschaftsvermögen beschränkt werden. Hierzu heißt es im Gesellschaftsvertrag (GV) im Einzelnen:

§ 13 GV:„(1) ... Die AG haftet für die Verbindlichkeiten der Ge-sellschaft unbeschränkt.(2) ... Die Haftung anderer Gesellschafter für rechts-geschäftliche Verbindlichkeiten ist auf das Gesellschafts-vermögen beschränkt. Die Haftungsbeschränkung ge gen über Dritten erfolgt gemäß § 14 Abs. 3 dieses Ver-trags durch entsprechende Individualvereinbarungen,

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39steueranwaltsmagazin  1  /2017

Rechtsprechung

die die AG bei allen Rechtsgeschäften mit Dritten vor-nimmt.“§ 14 Abs. 3 GV:„... Die AG ist verpflichtet, eine Haftungsbegrenzung auf das Gesellschaftsvermögen für die übrigen Gesellschaf-ter durch entsprechende Individualvereinbarungen bei allen Rechtsgeschäften mit Dritten zu vereinbaren und sicherzustellen sowie auf die Haftungsbeschränkung in geeigneter Form hinzuweisen. Ihre eigene Haftung darf die AG jedoch nicht beschränken.“

Ende 2002 eröffnete die X-AG bei der Y-Bank ein Wertpa-pierverrechnungskonto und ein Depotkonto, wobei sie für die Haftung eine Zusatzvereinbarung aufsetzten, in der es wie folgt heißt:

„Für die Verbindlichkeiten der <Klägerin> haften das Gesellschaftsvermögen der <Klägerin> sowie die unter-zeichnende <AG> mit ihren eigenen Vermögen. Eine Inanspruchnahme anderer Gesellschafter für rechtsge-schäftliche Verbindlichkeiten ist ausgeschlossen. Diese Klausel gilt ggü. der Y-Bank lediglich im Zusammenhang mit der Eröffnung des Wertpapierverrechnungskonto ... und dem Depotkonto ... . Für darüber hinausgehende Verträge gilt diese Haftungsfreistellung ausdrücklich nicht.“

In einer Bescheinigung der Y-Bank führte diese aus, daß die Zusatzvereinbarung zum Kontovertrag 2002 sämt-liche banküblichen Geschäfte (u. a. Eröffnung, Auflösung, Wertpapierkäufe und –verkäufe), die im Zusammenhang mit dem Depot- und dem Wertpapierverrechnungskonto stünden, gilt. Für darüber hinausgehende Kontoneueröff-nungen gilt diese Haftungsfreistellung ausdrücklich nicht.Durch die Anschaffung von Wertpapieren machte die Klä-gerin Verluste. Diese erklärte sie als gewerbliche Verluste gemäß §  4 Abs.  3 EStG in ihrer Feststellungserklärung 2002. Mit Bescheid vom August 2003 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundla-gen setzte das FA diese Verluste unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erklärungsgemäß fest. Im Rahmen einer im Jahr 2005 durchgeführten Betriebsprüfung kam der Prüfer zu dem Ergebnis, daß es sich bei der GbR nicht um eine ge-werblich geprägte Personengesellschaft handle. Dieser An-sicht schloß sich das FA an und änderte den Feststellungs-bescheid dahingehend, daß keine gewerblichen Verluste festgestellt wurden, sondern die Einkünfte als Kapitalein-künfte qualifizierten. Einspruch und Klage blieben erfolg-los.

II. Entscheidungsgründe

Auch die hiergegen erhobene Revision blieb ohne Erfolg. Der BFH teilte die Ansicht der Vorinstanz und wies die Revi-sion als unbegründet zurück. Entgegen der Ansicht der Klä-gerin seien sowohl das FA als auch das Finanzgericht (FG) zutreffend davon ausgegangen, daß es sich bei der Struktur

der Klägerin nicht um eine gewerblich geprägte Personen-gesellschaft nach § 15 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG handelt und somit die Klägerin keine gewerblichen Einkünfte im Streit-jahr erzielen konnte.

Nach § 15 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG ist Voraussetzung einer gewerblich geprägten Personengesellschaft unter an-derem, daß ausschließlich eine oder mehrere Kapitalgesell-schaften persönlich haftende Gesellschafter sind und nur diese oder Personen, die nicht eine Gesellschafterstellung haben, zur Geschäftsführung befugt sind (gewerblich ge-prägte Personengesellschaft).

Der BFH sah es als fraglich an, ob im vorliegenden Fall nur die X-AG persönlich haftende Gesellschafterin ist oder ob nicht auch andere Personen persönlich haftende Gesell-schafter sind, wie zum Beispiel die Gesellschafter A und B. Mit der Frage, wer „persönlich haftender Gesellschafter“ i. S. des § 15 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG ist, setzt sich sodann der erkennende Senat im Detail auseinander. Ausgangs-punkt ist dabei, daß das gesetzliche Tatbestandsmerkmal des „persönlich haftendenden Gesellschafters“ sich nach den gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen bemißt.

Maßgebend für die Auslegung und das Verständnis des Gesellschaftsrechts ist grundsätzlich die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH). Nach der älteren Rechtspre-chung des BGH konnte unter bestimmten Voraussetzungen die Haftung eines BGB-Gesellschafters beschränkt wer-den. Folgerichtig konnte danach auch eine GbR unter § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG fallen, wenn die Haftung entsprechend beschränkt worden war und die übrigen Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG vorlagen. Eine GbR konnte mit-hin auch eine gewerblich geprägte Gesellschaft sein. Nach nunmehr neuer Rechtsprechung des BGH kann die Haf-tung eines BGB-Gesellschafters nicht mehr allgemeinhin beschränkt werden. Es entspricht den allgemeinen Grund-sätzen des bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts, den-jenigen, der als Einzelperson oder in Gemeinschaft mit anderen Geschäfte betreibt, für die daraus entstehenden Verpflichtungen mit seinem gesamten Vermögen haften zu lassen. Eine solche Haftung liegt solange vor, bis sich aus dem Gesetz ein anderes ergibt oder mit dem Vertragspart-ner eine Haftungsbeschränkung vereinbart wurde. Die von Gesetzes wegen bestehende persönliche Haftung der Ge-sellschafter einer GbR könne danach nicht einseitig, etwa durch einen Namenszusatz oder einen anderen, den Willen zu einer lediglich beschränkten Haftung verdeutlichenden Hinweis beschränkt werden. Eine Haftungsbeschränkung könne nur durch eine individualvertragliche Vereinba-rung erreicht werden. Eine solche setze voraus, daß die Haf-tungsbeschränkung durch eine individuelle Absprache der Parteien in den jeweils einschlägigen Vertrag einbezogen werde.

Ausgehend von dieser Rechtsprechung verdeutlicht der BFH, daß trotz individual vertraglichen Haftungsausschluß hiervon die Rechtsstellung als persönlich haftender Gesell-schafter der GbR unberührt bleibt. Dies ist der ausschla-

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Rechtsprechung

gende Punkt, warum der BFH die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG in dem Revisionsfall als nicht vorliegend ansieht. Der BFH stellt klar, daß es für das Verständnis des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG allein auf die gesellschaftsrechtliche Stellung des Gesellschafters ankommt, an der die Möglich-keit und auch der tatsächliche Haftungsausschluß eines BGB-Gesellschafters auf Grund individualvertraglicher Ver-einbarung nichts ändere. Auf der Grundlage dieser höchst-finanzrichterlichen Entscheidung ist eine gewerbliche Prä-

gung i.S. des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG bei einer GbR immer dann nicht möglich, wenn zur Geschäftsführung neben Kapitalgesellschaften eine natürliche Person berufen ist, die an der GbR selbst beteiligt ist, also Gesellschafterin ist. Diese Erkenntnis kann in der Gestaltungsberatung dann von Bedeutung sein, wenn man einerseits die gewerbliche Prägung vermeiden und andererseits die Haftung eines ge-schäftsführenden GbR-Gesellschafters ausschließen will.

(Claudius Söffing)