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Steuern Rechnungsmerkmale und Vorsteuerabzug · In jüngerer Rechtsprechung erklärte der EuGH allerdings in der Rs Pannon Gép,21) dass eine Rechnung, die hinsichtlich des Datums

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  • SWK-Heft 32 10. November 2015 1463

    Steuern

    Rechnungsmerkmale und Vorsteuerabzug

    Geltendmachung des Vorsteuerabzuges in späteren PeriodenSteuernZeitpunkt der Inanspruchnahme des Vorsteuerabzuges

    VON MAG. SEBASTIAN TRATLEHNER*)

    Im Beitrag in SWK 31/2015, 1415,1) wurden die formellen Voraussetzun-gen des Vorsteuerabzugs, insbesondere in Hinblick auf die erforderli-chen Rechnungsangaben iZm Leistungserbringer und Leistungsempfän-ger, dargestellt. Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit der Möglichkeiteiner rückwirkenden Rechnungsberichtigung unter gleichzeitiger Beibe-haltung des Vorsteuerabzugs im Leistungszeitraum bei Vorliegen einerfehlerhaften oder zu späten Ausstellung einer Rechnung. Die aktuelle Ju-dikatur wird dabei in den Blick genommen.

    1. RechtsgrundlagenDer Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs liegt gemäß § 20Abs 2 UStG in jenem Veranlagungszeitraum, in den die nach § 12 UStG ab-

    ziehbaren Vorsteuerbeträge fallen.2) Frühestens kann der Vorsteuerabzug gemäߧ 12 Abs 1 UStG – von Anzahlungen abgesehen – dann vorgenommen werden, wenndie dem Umsatz zugrunde liegende Leistung ausgeführt ist und eine den Vorschriftendes § 11 UStG entsprechende Rechnung vorliegt.3) Ein nicht geltend gemachter Vor-steuerabzug kann nicht in einem späteren Veranlagungszeitraum nachgeholt werden.4)

    Gemäß Art 168 lit a MwStSyst-RL sind Unternehmer berechtigt, Vorsteuern aus Liefe-rungen und sonstigen Leistungen, die von einem anderen Unternehmer an ihn erbrachtwerden, abzuziehen, wenn diese Leistungen für ihre besteuerten Umsätze verwendetwerden. Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht gemäß Art 167 MwStSyst-RL dann,wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht. Nach Art 63 MwStSyst-RL istdies der Fall, wenn die Lieferung des Gegenstands oder die Dienstleistung an den vor-steuerabzugsberechtigen Steuerpflichtigen erbracht wird. Art 178 lit a MwStSyst-RLnormiert, dass ein Recht auf Vorsteuerabzug nur dann besteht, wenn der Unternehmereine gemäß Art 217 bis 240 MwStSyst-RL ausgestellte Rechnung besitzt.5)

    Zur Frage der Berichtigungsmöglichkeit einer ursprünglich fehlerhaften Rechnung undihrer Wirkung finden sich im UStG und in der MwStSyst-RL keine konkreten Aussa-gen.6) Die Frage, ob bzw unter welchen Umständen eine Rechnungsberichtigung extunc oder ex nunc wirkt, wird daher auf Basis der Entwicklung von nationaler und uni-onsrechtlicher Rechtsprechung abgehandelt.

    In den UStR 2000 finden sich in den Rz 1828 und 1830 die Aussagen, dass bei einermangelhaften Rechnung oder einem Beleg, der nicht als Rechnung iSd § 11 UStG zuqualifizieren ist, der Vorsteuerabzug prinzipiell erst in dem Veranlagungs-(Voranmel-

    *) Mag. Sebastian Tratlehner ist Universitätsassistent am Institut für Finanzrecht, Steuerrecht und Steu-erpolitik der Johannes Kepler Universität Linz. Der Autor dankt Univ.-Prof. Dr. Michael Tumpel für hilf-reiche Anregungen und die kritische Durchsicht des Manuskripts.

    1) Siehe Tratlehner, Formelle Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs, SWK 31/2015, 1415 (1415 ff).2) Vgl Kollmann/Schuchter in Melhardt/Tumpel, UStG2 (2015) § 12 Rz 19.3) Vgl Ruppe/Achatz, UStG4 (2011) § 12 Rz 58.4) Vgl Ruppe/Achatz, UStG4, § 12 Rz 62.5) Die notwendigen Rechnungsangaben ergeben sich dabei aus den Art 226 bis 231 MwStSyst-RL.6) Auf jeden Fall verbietet es die MwStSyst-RL nicht, eine fehlerhafte Rechnung zu berichtigen; vgl

    EuGH 15. 7. 2010, C-368/09, Pannon Gép, Rn 43; 8. 5. 2013, C-271/12, Petroma Transports SA, Rn 34.

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    dungs-)Zeitraum vorgenommen werden kann, in dem eine Berichtigung der mangelhaf-ten Rechnung erfolgt. Wird allerdings im Verlauf einer finanzbehördlichen Überprü-fung7) festgestellt, dass der Vorsteuerabzug aufgrund einer fehlerhaften odermangelhaften Rechnung vorgenommen wurde, kann der Mangel innerhalb einer vomPrüfer festzusetzenden angemessenen Frist, maximal jedoch innerhalb eines Monats,behoben werden.8) Wird der Mangel behoben, ist der ursprüngliche vorgenommeneVorsteuerabzug zu belassen, die Berichtigung wirkt diesfalls also ex tunc.9)

    2. Entwicklung der Rechtsprechung

    2.1. Nationale und unionsrechtliche Entwicklung

    Es ist ständige Rechtsprechung des VwGH,10) dass ein Vorsteuerabzug grundsätzlicherst dann zusteht, wenn die entsprechende Leistung ausgeführt worden ist. Wird eineRechnung – von Anzahlungen abgesehen – vor Leistungserbringung erstellt, gilt sie alseine Rechnung für eine künftige Leistung. Vor Leistungserbringung steht allerdingsnoch kein Vorsteuerabzug zu, auch wenn eine Vorausrechnung vorliegt.11)

    Wird eine fehlerhafte Rechnung oder die Rechnung zu spät ausgestellt, stellt sichebenso die Frage des Zeitpunkts des möglichen Vorsteuerabzugs.12) Dieser ist insbe-sondere im Hinblick auf eine ansonsten uU anfallende Belastung durch Säumniszu-schläge gemäß § 217 BAO von Bedeutung.13)

    Der VwGH judiziert in seiner ständigen Rechtsprechung14) ausnahmslos, dass eine Ur-kunde, die nicht die in § 11 UStG geforderten Angaben enthält, nicht als Rechnung, aufdie ein Vorsteuerabzug gestützt werden kann, anzusehen ist. Eine rückwirkende Rech-nungsberichtigung scheidet demnach aus.

    In seiner älteren Rechtsprechung entschied auch der EuGH in der Rs Terra Baube-darf,15) dass das Vorsteuerabzugsrecht erst in jenem Erklärungszeitraum ausgeübtwerden könne, in dem sowohl die Lieferung der Gegenstände oder die Dienstleistungbewirkt wurde als auch der Steuerpflichtige im Besitz der Rechnung oder des Doku-ments sei, das nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Kriterien als Rechnungbetrachtet werden kann.16) Eine Rückwirkung der Rechnungsberichtigung auf den Leis-tungszeitraum wurde somit verneint. Der VwGH berief sich in der Folge17) auf dieseEntscheidung des EuGH und stellte klar, dass die vom BMF gebilligte Praxis der Fi-

    7) Der Begriff „finanzbehördliche Überprüfung“ umfasst Überprüfungsmaßnahmen des Außendienstes(zB Betriebsprüfungen, Umsatzsteuersonderprüfungen usw) und des Innendienstes (zB Vorbescheid-kontrollen, Nachbescheidkontrollen, Vorhalte usw), die in einer ausdrücklichen Aufforderung seitensder Behörde zur Vorlage der Rechnung bestehen. Nicht erfasst sind jene Fälle, in denen eine Rech-nung bereits dem Antrag beigelegt werden muss (zB im Rahmen des Vorsteuererstattungsverfahrens).

    8) Vgl UStR 2000, Rz 1831.9) Bei einem unrichtigen (ursprünglich zu niedrigen) Steuerausweis ist diese Vorgangsweise jedoch nicht

    zulässig.10) Vgl ua VwGH 20. 12. 2006, 2003/13/0003; 29. 3. 2007, 2004/15/0017; 10. 5. 2010, 2009/16/0147.11) Vgl VwGH 20. 12. 2006, 2003/13/0003.12) Nicht analysiert werden die Fälle der Behaftung des betreffenden Umsatzes mit einer Mehrwertsteuer-

    hinterziehung bzw des Nichtvorliegens einer Rechnung; vgl hierzu die Ausführungen von Schinnerl, DieBedeutung der Rechnung für den Vorsteuerabzug – Eine Rechtsprechungsanalyse, ÖStZ 2014, 617(618 ff), bzw Wiesinger/Prochaska, Die Rechnungsberichtigung im Lichte der aktuellen EuGH-Recht-sprechung, SWK 22/2015, 1010 (1010 ff).

    13) Ist zB ein ursprünglich im Leistungszeitraum geltend gemachter Vorsteuerabzug aufgrund nicht erfüllterRechnungsmerkmale zu versagen und wird die Rechnung daraufhin zwar berichtigt, eine Rückwirkungaber nicht anerkannt, fallen idR Säumniszuschläge an.

    14) Vgl ua VwGH 1. 12. 1983; 83/15/0033; 12. 12. 1988, 87/15/0079; 22. 2. 2000, 99/14/0062; 25. 4. 2001,98/13/0081; 26. 6. 2001, 2001/14/0023; 12. 9. 2001, 99/13/0069.

    15) EuGH 29. 4. 2004, C-152/02, Terra Baubedarf.16) Vgl EuGH 29. 4. 2004, C-152/02, Terra Baubedarf, Rn 38; dazu Pülzl, Originalrechnung und Vorsteu-

    erabzug, SWK 17/2004, S 588 (S 588 ff).17) VwGH 20. 4. 2006, 2004/15/0113.

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    nanzverwaltung, wonach für den Vorsteuerabzug der Mangel einer Rechnung iSd § 11UStG unter bestimmten Voraussetzungen rückwirkend sanierbar sei, gesetzwidrig ist.

    In seinen folgenden Entscheidungen18) bestätigte der VwGH seine Rechtsprechung undstellte klar, dass auch die Vorlage berichtigter Rechnungen im Zuge des den Umsatzsteu-erbescheid betreffenden Berufungsverfahrens keine für den Vorsteuerabzug relevantenachträgliche Änderung des Sachverhalts oder eine Änderung von rechtlichen Gegeben-heiten bedeutet und dadurch das Recht auf Vorsteuerabzug auch erst für den Zeitpunkt derRechnungsberichtigung begründet wird.19) Ebenso judizierte der VwGH, dass bei Nichtvor-liegen einer Rechnung iSd § 11 Abs 1 UStG auch eine etwaige Gut- oder Schlechtgläubig-keit der beteiligten Unternehmen keine Rolle für den Vorsteuerabzug spiele.20)

    In jüngerer Rechtsprechung erklärte der EuGH allerdings in der Rs Pannon Gép,21)dass eine Rechnung, die hinsichtlich des Datums des Abschlusses der Dienstleistungfalsch war und zum Zeitpunkt der Vornahme des Vorsteuerabzugs im Besitz des Leis-tungsempfängers war, trotzdem zum Vorsteuerabzug berechtigt, wenn die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug erfüllt sind und der Steuerpflich-tige der betreffenden Behörde vor Erlass ihrer Entscheidung eine berichtigte Rechnungzugeleitet hat.22) In diesem Fall sei also eine rückwirkende Berichtigungsmöglichkeitder Rechnung gegeben.

    In der Rs PetromaTransports SA 23) bestätigte der EuGH diese Rechtsprechung inso-fern, als er ausführte, dass – wenn alle für das Recht auf Vorsteuerabzug notwendigenmateriellrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind und der Steuerpflichtige der betreffen-den Behörde vor Erlass ihrer Entscheidung eine berichtigte Rechnung zugeleitet hat –ihm dieses Recht nicht mit der Begründung abgesprochen werden kann, dass die ur-sprüngliche Rechnung einen Fehler enthielt.24)

    Auch in der Rs Maks Pen 25) entschied der EuGH, dass das Recht der Steuerpflichtigenauf Vorsteuerabzug als Grundprinzip und integraler Bestandteil des durch das Unions-recht geschaffenen gemeinsamen Mehrwertsteuersystems nicht versagt werden kann,wenn der Betreffende Steuerpflichtiger iSd MwStSyst-RL ist und die zur Begründungdes Vorsteuerabzugsrechts angeführten Gegenstände oder Dienstleistungen vomSteuerpflichtigen auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für Zwecke seiner besteuertenUmsätze verwendet und diese Gegenstände oder Dienstleistungen auf einer vorausge-henden Umsatzstufe von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert oder erbracht wor-den sind. Solange kein betrügerisches Verhalten verwirklicht wird, sollen mangelhafteRechnungskriterien grundsätzlich zu keiner Versagung des Vorsteuerabzugs führen.26)

    Der VwGH judizierte demgegenüber unlängst,27) dass es nicht Aufgabe des Rechts-instituts der Rechnungsberichtigung sei, eine Übertragung von Vorsteueransprüchen inspätere Perioden zur Nachholung eines ursprünglich bereits zulässigen, aber versäum-ten Vorsteuerabzugs zu ermöglichen. Dabei wich der VwGH aber insofern von seinerständigen Rechtsprechung ab, als er den Vorsteuerabzug bereits im Ursprungsjahr als

    18) VwGH 6. 7. 2006, 2006/15/0183; 2. 9. 2009, 2008/15/0065.19) Vgl VwGH 2. 9. 2009, 2008/15/0065.20) Vgl VwGH 2. 9. 2009, 2008/15/0065, mit Verweis auf VwGH 3. 7. 2003, 2002/15/0155,

    BFH 30. 4. 2009, V R 15/07.21) EuGH 15. 7. 2010, C-368/09, Pannon Gép.22) Vgl EuGH 15. 7. 2010, C-368/09, Pannon Gép, Rn 45. Vgl dazu Ehrke-Rabel, Die Bedeutung der Rech-

    nung für den Vorsteuerabzug nach der Rechtsprechung des EuGH, taxlex 2014, 129 (130); Hört-nagl-Seidner, EuGH erklärt rückwirkende Rechnungskorrektur für unionsrechtskonform, SWK 12/2011,S 543 (S 543 ff).

    23) EuGH 8. 5. 2013, C-271/12, Petroma Transports SA.24) Vgl EuGH 8. 5. 2013, C-271/12, Petroma Transports SA, Rn 34. 25) Vgl EuGH 13. 2. 2014, C-18/13, Maks Pen, Rn 25.26) Vgl Wiesinger/Prochaska, SWK 22/2015, 1014.27) VwGH 27. 2. 2014, 2013/15/0187.

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    zulässig erachtete, obwohl das Rechnungsmerkmal der richtigen Adresse des Leis-tungsempfängers nicht erfüllt war.28)

    Das BFG29) nahm auf die jüngere Rechtsprechung des EuGH30) Bezug und bejahte dieRückwirkung einer während des Rechtsmittelverfahrens berichtigten Rechnung, da imLeistungszeitraum bereits eine Rechnung vorlag, diese allerdings aufgrund der demLeistungsempfänger noch nicht zugewiesenen UID eben jene noch nicht enthielt. Miteiner weiteren Entscheidung31) schränkte das BFG diese Ansicht allerdings insofernein, als es ausführte, dass insbesondere beim Bestehen ernsthafter Zweifel der Richtig-keit der Rechnung – im konkreten Fall war das Übereinstimmen des Rechnungsaus-stellungsdatums mit dem Lieferdatum zweifelhaft – keine vollständige Rechnung vor-liege. Daran würde auch die jüngere EuGH-Judikatur32) nichts ändern.

    2.2. Blick nach Deutschland

    Auch in Deutschland ist fraglich, inwieweit eine fehlerhafte oder zu spät ausgestellteRechnung rückwirkend korrigiert werden kann. Weder § 14 dUStG noch § 31 Abs 5dUStDV enthalten eine Aussage zur zeitlichen Wirkung einer Rechnungsberichti-gung.33) Die deutsche Verwaltungspraxis sieht keine Möglichkeit einer Rechnungsbe-richtigung mit Ex-nunc-Wirkung vor, was idR eine Verzinsung nach § 233a dAO zurFolge hat.34)

    Nach der jüngeren Rechtsprechung des BFH35) ist es ernstlich zweifelhaft, ob der Vor-steuerabzug aus einer zunächst fehlerhaften Rechnung dann versagt werden kann, wenndiese Rechnung später berichtigt wird, sofern das zunächst erteilte Dokument die Min-destanforderungen an eine Rechnung erfüllt und daher Angaben zum Rechnungsaus-steller, zum Leistungsempfänger, zur Leistungsbeschreibung, zum Entgelt und zur ge-sondert ausgewiesenen Umsatzsteuer enthält.36) In diesem Sinne ist auch ein Urteil desNiedersächsischen FG37) erwähnenswert, wonach eine rückwirkende Rechnungsberich-tigung jedenfalls dann nicht möglich ist, wenn in der erstmals ausgestellten Rechnung derLeistende, der Leistungsempfänger, die Leistungsbeschreibung und das Entgelt mit aus-gewiesener Umsatzsteuer nicht oder unzutreffend angegeben sind. Demgegenüber er-achtet das FG Hamburg38) eine Rückwirkung dann als zulässig, wenn eine „unzurei-chende Bezeichnung des Leistungsgegenstandes im weiteren Sinn“ durch den Verweisauf erläuternde Dokumente vor Erlass der Behördenentscheidung berichtigt wird. Aller-dings judiziert der BFH39) auch, dass die für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechts-folge, dass die Vorsteuer erst in dem Besteuerungszeitraum abgezogen werden kann, indem ihm auch die Rechnung vorliegt, auf einer bewussten Anordnung des Gesetzgebers

    28) Vgl hierzu Tratlehner, SWK 31/2015, 1415 ff.29) BFG 22. 1. 2015, RV/6100159/2012; vgl dazu Schefzig, BFG bejaht rückwirkende Rechnungsberichti-

    gung, taxlex 2015, 158f.30) EuGH 15. 7. 2010, C-368/09, Pannon Gép; 8. 5. 2013, C-271/12, Petroma Transports SA.31) BFG 16. 4. 2015, RV/5100800/2011; vgl hierzu Kühmayer/Tatzl, Lieferdatum ist zentrales Rechnungs-

    merkmal für den Vorsteuerabzug, BFGjournal 2015, 227.32) EuGH 1. 3. 2012, C-280/10, Polski Trawertyn; 21. 6. 2012, C-80/11, MahagébenKft; 13. 2. 2014,

    C-18/13, Maks Pen.33) Vgl Wagner in Sölch/Ringleb, UStG (74. Lfg) § 14 Rz 438.34) Vgl Wagner in Sölch/Ringleb, UStG (74. Lfg) § 14 Rz 440.35) BFH 20. 7. 2012, V B 82/11. Vgl dazu Gaedke, Ist eine Rückwirkung der Rechnungsberichtigung mög-

    lich? SWK 36/2012, 1540.36) Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG (162. Lfg) § 14 Rz 552 ff, schließt hingegen auch in solchen Fällen

    eine Rückwirkung einer Rechnungsberichtigung aus.37) FG Niedersachsen 23. 10. 2014, 5 K 140/14.38) FG Hamburg 22. 10. 2014, 2 V 214/14.39) Vgl BFH 19. 6. 2013, XI R 41/10. Die Gewährung des Vorsteuerabzugs unter dem Gesichtspunkt einer

    rückwirkenden Rechnungsberichtigung setzt demnach – auch im Wege einer Billigkeitsmaßnahme –voraus, dass die zu berichtigende Rechnung falsche oder unvollständige Angaben enthält, die einer Be-richtigung zugänglich wären.

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    beruht, die ferner nicht durch eine Billigkeitsmaßnahme unterlaufen werden darf. Einenicht fehlerhafte Rechnung kann auf keinen Fall berichtigt werden.

    In der deutschen Literatur ist man sich hinsichtlich der Möglichkeit einer rückwirkendenRechnungsberichtigung und der Interpretation der jüngsten EuGH-Judikatur uneins. Oel-maier40) bejaht die Möglichkeit einer Rechnungsberichtigung, die Rückwirkung bzw die ge-nauen Voraussetzungen dieser sei jedoch ungeklärt. Anders argumentiert Stadie,41) nachdem der EuGH in der Rs Pannon Gép 42) nicht von Rückwirkung spreche, sondern lediglichden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz umsetze, der in Fällen, in denen eine Rechnung zwarein falsches Leistungsdatum enthält, im Zeitpunkt der Behördenentscheidung aber eine be-richtigte Rechnung vorliegt, Vertrauensschutz für den Rechnungsempfänger verlange.

    Das Niedersächsische Finanzgericht hat dem EuGH in diesem Zusammenhang fol-gende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:43)

    „1. Ist die vom EuGH in der Rechtssache ‚Terra Baubedarf-Handel‘ (Urteil vom 29. 4.2004, C-152/02, Slg. 2004, 5583) festgestellte ex nunc-Wirkung einer erstmaligenRechnungserstellung für den Fall der Ergänzung einer unvollständigen Rechnungdurch die EuGH Entscheidungen ‚Pannon Gép‘ (Urteil vom 15. 7. 2010, C-368/09,UR 2010, 693) und ‚Petroma Transport‘ (Urteil vom 8. 5. 2013, C-271/12, BB 2013,1365) insoweit relativiert, als der EuGH in einem solchen Fall im Ergebnis eineRückwirkung zulassen wollte?

    2. Welche Mindestanforderungen sind an eine der Rückwirkung zugängliche berichti-gungsfähige Rechnung zu stellen? Muss die ursprüngliche Rechnung bereits eineSteuernummer oder Umsatzsteuer-Identifikationsnummer enthalten oder kann diesespäter ergänzt werden mit der Folge, dass der Vorsteuerabzug aus der ursprüngli-chen Rechnung erhalten bleibt?

    3. Ist die Rechnungsberichtigung noch rechtzeitig, wenn sie erst im Rahmen eines Ein-spruchsverfahrens erfolgt, das sich gegen die abschließende Entscheidung (Ände-rungsbescheid) der Finanzbehörde richtet?“

    3. Würdigung

    Grundsätzliche Voraussetzung für den Vorsteuerabzug ist nach den Vorgaben der MwSt-Syst-RL sowie der Rechtsprechung des EuGH neben dem Ausführen der jeweiligen Leis-tung das Vorliegen einer iSd MwStSyst-RL ausgestellten ordnungsgemäßen Rechnung.Während es sich im zugrunde liegenden Sachverhalt der EuGH-Entscheidung in der RsTerra Baubedarf bei der erfolgten Rechnungsausstellung um die erstmalige Erstellungeiner Rechnung handelte, die bloß zu spät ausgestellt wurde, lag in der Rs Pannon Gépbereits eine im ursprünglich angedachten Vorsteuererstattungs- bzw Leistungszeitraumausgestellte Rechnung vor. Diese Rechnung wies zwar hinsichtlich der Daten des Ab-schlusses der Dienstleistungen sowie der Nummerierung Formfehler auf. Den materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug wird laut EuGH allerdings dannGenüge getan, wenn die Voraussetzungen des Art 168 lit a MwStSyst-RL, insbesonderedie Rechnungsmerkmale des Art 226 MwStSyst-RL, erfüllt sind. Mitgliedstaaten dürfendie Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug keinesfalls von der Erfüllung von Voraus-setzungen betreffend den Inhalt von Rechnungen abhängig machen, die in der MwSt-Syst-RL nicht ausdrücklich vorgesehen sind. Zwar können sie weitere Verpflichtungenvorsehen, die sie für erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Mehrwert-steuer sicherzustellen und um Steuerhinterziehung zu vermeiden. Diese Möglichkeit darf

    40) Vgl Oelmaier in Sölch/Ringleb, UStG (74. Lfg) § 15 Rz 364 f.41) Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG (162. Lfg) § 14 Rz 554.42) EuGH 15. 7. 2010, C-368/09, Pannon Gép.43) FG Niedersachsen 3. 7. 2014, 5 K 40/14; anhängig beim EuGH unter C-518/14, Senatex. Im zugrunde

    liegenden Fall wurde die Steuernummer des Leistungserbringers nachträglich ergänzt.

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    aber nicht dazu benutzt werden, zusätzlich zu den namentlich in Art 226 MwStSyst-RLgenannten Pflichten weitere Pflichten in Bezug auf die Rechnungsstellung festzulegen.44)

    Die Berichtigung der Rechnung muss der betreffenden Behörde jedenfalls vor Erlassihrer Entscheidung zukommen, diese in der Rs Pannon Gép normierte Voraussetzungwurde in der Rs Petroma Transports SA ebenfalls ausdrücklich bestätigt. Auf das Ver-hältnis der Entscheidung zu jener in der Rs Terra Baubedarf wurde in der Rs PannonGép allerdings nicht eingegangen.

    Laut EuGH müssen die materiellrechtlichen Voraussetzungen für die Einräumung derMöglichkeit einer rückwirkenden Rechnungsberichtigung und die Beibehaltung des Vor-steuerabzugs im ursprünglichen Leistungszeitraum bereits in der eigentlich fehlerhaften,also noch zu berichtigenden Rechnung erfüllt sein. Zu klären gilt es nun die Frage, was ge-nau unter den materiellrechtlichen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs zu verstehenist bzw unter welchen Umständen noch davon ausgegangen werden kann, dass diese er-füllt sind. Insbesondere gilt es mE dabei, vor dem Hintergrund des Verhältnismäßigkeits-grundsatzes zu unterscheiden zwischen solchen Rechnungsmerkmalen, die jedenfalls er-füllt sein müssen und deren Nichteinhaltung eine rückwirkende Rechnungsberichtigungjedenfalls ausschließt, und solchen Rechnungsmerkmalen, die unter gewissen Umstän-den eine spätere Berichtigung der Rechnung mit Rückwirkung nicht ausschließen.

    Auf Basis der EuGH-Rechtsprechung wird versucht, einen Kriterienkatalog aufzustel-len, bei dessen Erfüllung davon auszugehen ist, dass die materiellrechtlichen Bedin-gungen für den Vorsteuerabzug – und somit die Voraussetzungen für eine rückwir-kende Rechnungsberichtigung – vorliegen.

    Checkliste: Materiellrechtliche Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug nach der EuGH-Recht-sprechung

    44) Vgl EuGH 15. 7. 2010, C-368/09, Pannon Gép, Rn 42.

    1. Ursprünglich hat bereits eine Rechnung vorgelegen, in der– eindeutig auf den besagten Umsatz (die besagte Leistung) Bezug genommen

    wurde und die Leistungsbeschreibung eine eindeutige Identifizierung des Umsatzes zulässt;

    – der Leistende klar und deutlich hervorgeht und keine Verwechslungsgefahr besteht (eine falsche Hausnummer oder ein Tippfehler beim Namen sollte demnach zB für den Vorsteuerabzug nicht schädlich sein, wenn aus den Umständen des Einzelfalls klar geschlossen werden kann, dass dieser eine Leistungserbringer gemeint ist);

    – der Leistungsempfänger klar und deutlich hervorgeht und es eindeutig ist, wer Leistungsempfänger ist (wiederum sollte zB eine falsche Hausnummer oder ein Tippfehler beim Namen nicht schädlich sein);

    – das Ausstellungsdatum der Rechnung sowie

    – das Leistungsdatum des betreffenden Umsatzes vorkommen und

    – die Steuerbemessungsgrundlage,

    – der anzuwendende Mehrwertsteuersatz sowie

    – der zu entrichtende Mehrwertsteuerbetrag aufscheinen.

    2. Die Berichtigung dient rein der Klarstellung, also keiner Änderung der wesentlichen der Leistung zugrunde liegenden Tatsachen bzw der für die Feststellung des Sachverhalts erforderlichen Informationen.

    3. Die Berichtigung erfolgt rechtzeitig, also vor der Entscheidung der mit der Beschwerde befassten Behörde (entweder Finanzamt oder BFG).

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    Die vom BMF erfreulicherweise zugelassene einmonatige Frist zur Vornahme einer(rückwirkenden) Rechnungsberichtigung45) scheint grundsätzlich aufgrund der unions-rechtlichen Vorgaben gerechtfertigt, ob eine einmonatige Befristung allerdings ebensounionsrechtskonform ist, ist mE zweifelhaft.46)

    Für die Praxis bleibt zu hoffen, dass der EuGH in der vom Niedersächsischen Finanz-gericht vorgelegten Rs Senatex seiner jüngeren, eine rückwirkende Rechnungsberichti-gung nicht ausschließende Rechtsprechungslinie treubleibt und präzisiert, unter wel-chen Voraussetzungen diese den Vorsteuerabzug für den ursprünglich angedachtenund der Leistungsausführung zugrunde liegenden Zeitraum beibehaltende Rechnungs-berichtigung möglich ist. Auch darf gespannt auf das Erkenntnis des VwGH47) iZm dereingebrachten Amtsrevision auf die BFG-Entscheidung vom 22. 1. 201548) gewartetwerden. Insbesondere vor dem Hintergrund des Unionsrechts wäre es wünschenswert,dass der VwGH von seiner bisherigen, eine rückwirkende Rechnungsberichtigung je-denfalls ausschließenden Sichtweise abrückt.

    Auf den Punkt gebracht

    Zur Frage der Möglichkeit einer rückwirkenden Berichtigung einer Rechnung und derdamit einhergehenden Wahrung des Vorsteuerabzugs im Leistungszeitraum scheintinsbesondere das Vorabentscheidungsersuchen des Niedersächsischen Finanzge-richts von Interesse. Auf Grundlage der bisherigen EuGH-Judikatur sollte eine auf denZeitpunkt der ursprünglichen Rechnungserstellung rückwirkende Rechnungsberichti-gung jedenfalls möglich sein, wenn

    • die materiellrechtlichen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug erfüllt sind und• der Steuerpflichtige der Finanzbehörde vor Erlass ihrer Entscheidung eine berich-

    tigte Rechnung zukommen lässt.

    45) Vgl UStR 2000 Rz 1831.46) So auch Schinnerl, ÖStZ 2014, 621.47) Beim VwGH anhängig unter 2015/15/0016.48) BFG 22. 1. 2015, RV/6100159/2012.

    Ärztliche Gutachten zur Altersbestimmung von Asyl-werbern sind nicht umsatzsteuerfrei

    Nur ärztlichen Leistungen, die zu dem Zweck erbracht werden, die menschliche Gesund-heit zu schützen, aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen, kommt die in Art 13 Teil AAbs 1 lit b und c der 6. MwSt-RL bzw in Art 132 Abs 1 lit b und c MwStSyst-RL vorgese-hene Steuerbefreiung zugute. Wird eine ärztliche Leistung in einem Zusammenhang er-bracht, der die Feststellung zulässt, dass ihr Hauptziel nicht der Schutz einschließlich derAufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit ist, sondern die Erstattungeines Gutachtens, ist diese nicht umsatzsteuerfrei. Die hier streitgegenständliche forensi-sche Anthropologie befasst sich unter anderem mit der Altersbestimmung von Personen,wobei üblicherweise – siehe auch die Judikatur des Asylgerichtshofs – der Zahnstatus er-hoben und eine medizinisch-röntgenologische Handwurzelknochenuntersuchung vorge-nommen wird. Dass bei Diagnose einer Krankheit im Zuge einer Untersuchung für einGutachten dieser Umstand dem Untersuchten mitgeteilt worden wäre, ergibt sich schonaus der ärztlichen Ethik; derartige Diagnosen waren aber nicht Zweck der Untersuchun-gen (BFG 7. 9. 2015, RV/7103393/2011).

    swk_2015_h32.fm Seite 1469 Donnerstag, 5. November 2015 10:24 10

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