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Konstanzer Universitätsreden 223 Ästhetischer Despotismus Eugène Delacroix' »Tod des Sardanapal« als Künstlerchiffre Bearbeitet von Christine Tauber 1. Auflage 2006. Taschenbuch. 48 S. Paperback ISBN 978 3 87940 803 0 Format (B x L): 13,5 x 21 cm Gewicht: 96 g Weitere Fachgebiete > Kunst, Architektur, Design > Kunstgeschichte > Kunstgeschichte: 19. Jahrhundert, Romantik, Impressionissmus schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte.

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Konstanzer Universitätsreden 223

Ästhetischer Despotismus

Eugène Delacroix' »Tod des Sardanapal« als Künstlerchiffre

Bearbeitet vonChristine Tauber

1. Auflage 2006. Taschenbuch. 48 S. PaperbackISBN 978 3 87940 803 0

Format (B x L): 13,5 x 21 cmGewicht: 96 g

Weitere Fachgebiete > Kunst, Architektur, Design > Kunstgeschichte >Kunstgeschichte: 19. Jahrhundert, Romantik, Impressionissmus

schnell und portofrei erhältlich bei

Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft.Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programmdurch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr

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der prunkvollen öffentlichen Kunst erstmals zu einem reifen Ausdruck.Diese distanzierte, brutale, selbstbewusste Kunst erfindet die ›veröf-fentlichte Privatsphäre‹ [...]«.3 Folgt man dieser Interpretation, so ver-legt Delacroix also die entscheidende Schlacht ins Schlafzimmer desperversen Lüstlings. Wessen Privatsphäre jedoch dadurch ans Licht derÖffentlichkeit gezerrt wird – diejenige der historischen Gestalt Sarda-napal oder vielmehr diejenige des Künstlers –, soll im Folgenden dis-kutiert werden.

1. Vorbildloses Malen

Baron Charles Rivet, der Jugendfreund Delacroix’ und spätere Oppo-sitionspolitiker und Kritiker Napoleons III., hat die folgende Inspirati-onslegende für den »Sardanapal« kolportiert: Delacroix sei bei der Lek-türe des »drame assez peu lisible de lord Byron«, also des angeblichschlecht lesbaren Dramas »Sardanapalus«, das Byron 1821 veröffent-licht hatte4, so sehr von der pittoresken Seite der Auflösung des tragi-schen Konfliktes überrascht und ergriffen worden, dass er augenblick-lich eine energische Skizze des späteren Bildaufbaus fixiert habe: »c’étaitune scène qui s’était d’abord présentée à son imagination, empreinte dedeuil et d’horreur.«5

Worum geht es bei dieser Szene, die Trauer und Schrecken im Malererweckt haben soll? Historisch siedelt sich die Geschichte im 7. Jahr-hundert vor Christi Geburt, genauer im Jahr 612 an: Der letzte assyri-sche König, Sardanapal, der ein ausschweifendes Luxusleben geführthat, wird Opfer einer Verschwörung seiner Satrapen, die nach langjäh-rigen Kämpfen seinen Palast in Niniveh erobern. Um der Gefangen-nahme zu entgehen, begeht Sardanapal Selbstmord – je nach Überlie-ferung allein mit seiner Lieblingskonkubine Myrrha oder mit seinemgesamten Eunuchen- und Mätressenstab. Der Terminus des »sardana-palesken« Lebens verselbständigt sich in der Folge zur Bezeichnung ei-nes verweichlichten Lotterlebens; das Federbett des Assyrers erhältebenfalls sprichwörtliche Qualität als »pluma Sardanapali«, eine beson-ders weiche Matratzenvariante für effeminierte Müßiggänger. AntikeDarstellungen identifizieren Sardanapal häufig mit dem nicht minder

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ausschweifenden Bacchus – bereits antike Statuen zeigen den zwangs-jackenartig eingehüllten Arm wie bei Delacroix’ Sardanapal.

Die konkrete, von Delacroix gewählte Szene aber hat kaum Vorläu-fer, muss somit als in höchstem Maße gezielt ausgewählt und damitidentifikatorisch aufgeladen interpretiert werden.6 Vergleicht man De-lacroix’ Bild mit einer 1825 entstandenen Illustration der Schlussszene

Abb. 3: Achille Devéria, Illustration zu Lord Byron, Sardanapalus, 1825.

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von Byrons Drama von Achille Devéria (Abb. 3) in der ersten französi-schen Byron-Ausgabe von Pichot, so könnten die Unterschiede nichtfrappierender sein: Streng hieratisch-frontal wappnen sich Sardanapalund Myrrha hier innerlich für den finalen Sprung in die Flammen. IhreDarstellungsweise ist ganz dem klassizistischen Kanon verpflichtet: Inganzer Figur gegebene Einzelpersonen, deren Gefühlsausdruck (künst-lerisch nicht unbedingt sehr gelungen) als expression von horreur auf ih-ren Gesichtern klar ablesbar ist, befinden sich in einem moralischenKonflikt, den sie selbstverständlich im nächsten Moment tugendhaftlösen werden.

Sucht man nach weiteren möglichen Vorbildern für Delacroix’ Dar-stellung der Szene, so wird man stets nur für Einzelmotive fündig wer-den: Die ansprechende Dame im Vordergrund, die gerade der Gurgel-penetration durch ihren lustvollen Mörder anheimfällt, ist eine veredel-te Variante von Rubens’ Najade im Vordergrund der Landung Mariasde’ Medici, die Delacroix offensichtlich so sehr faszinierte, dass er ei-gens eine freie Kopie von ihr anfertigte. Weiterhin scheint für das assy-rische Ambiente und die Dramatik der Lichtregie Johns Martins be-rühmtes Bild »The Fall of Nineveh« (Abb. 4) prägend gewesen zu sein,

Abb. 4: Nachstich von: John Martin, The Fall of Nineveh, 1827/28.

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das ein ähnliches Thema behandelt und das Delacroix – damals nochim Entstehen begriffen – auf seiner Englandreise 1825 gesehen habenkönnte. Allerdings wendet er Martins Erhabenheitsgestus der Darstel-lung ins Sentimentalisch-Melancholische, indem er die Szene aus derapokalyptischen Weltenlandschaft ins Boudoir verlegt. Plausibel istauch Jack Spectors Hinweis auf etruskische Grabmonumente7, die eineaufgestützte (und in einigen Fällen auf einem Bett) ruhende Figur miteiner mehrfigurigen Aktion im unteren Teil kombinieren und damitfür die reliefartig gegebene Handlung im Vordergrund von Delacroix’Bild Pate gestanden haben könnten. Für das zentrale Motiv einer aus-gestreckten Gestalt auf einer Matratze wie auch für die gesamte Bild-komposition könnte Davids um 1770 entstandene Federzeichnung»Alexandre le Grand au lit de mort de la femme de Darius« (Abb. 5)prägend gewesen sein.8 Schließlich wird Jeff Walls eingangs genannteThese der Transformation napoleonischer Schlachtenmalerei bestätigt,wenn man Delacroix’ Bild mit den kompositorischen Hauptmomen-ten in Girodets »Révolte du Caire« von 1810 vergleicht.9

Abb. 5: Jacques-Louis David, Alexandre le Grand au lit de mort de la femme de Darius,um 1779, Paris, École nationale supérieure des Beaux-Arts.

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Insgesamt aber handelt es sich bei diesem Bild um eine völlig neuar-tige Behandlung einer eigenwilligen poetischen Idee10, um eine selbst-bewusste Aneignung mehrerer literarischer Momente durch den Maleralso, ein Verfahren, das der zeitgenössischen Kunstkritik gar nicht zu-sagte und das sie despektierlich als »goût pastiche« bezeichnete.11 Es istsomit wohl zwecklos, nach einer weiteren unbekannten literarischenQuelle (etwa einem an Byron angelehnten Theaterstück, beispielsweiseeinem Melodram der Pariser Boulevardtheater) zu suchen, wie es die Li-teratur bislang auch vergeblich getan hat.12 Als antike literarische Quel-len, die Delacroix als Steinbrüche für seine Umsetzung des Themas be-nutzt haben kann, sind vor allem Diodorus Siculus’ Erzählungen in sei-nen Bibliothecae zu nennen, aber auch Beschreibungen von Untergangs-szenarien bei Strabon und Herodot.13 Byron hatte seinen Sardanapal –wie Ulrich Oevermann überzeugend herausgearbeitet hat – als aufge-klärten, kritischen Lebenskünstler gestaltet, der dem Imperativ absolu-ter Unvoreingenommenheit folgt.14 Bei Diodor hingegen bleibt einer-seits der lüsterne, genusssüchtige und durch übertriebenen Luxus be-reits effeminierte Charakter Sardanapals konstant erhalten; andererseitsfindet man bereits hier – wie auf Delacroix’ Bild – das Schlusstableaueiner Massenvernichtungsszene angelegt. Auch der von Delacroix ein-drucksvoll in Szene gesetzte – und von der Kritik bemängelte – Aspektdes »désordre« der Verlierer wird hier bereits vorformuliert.15

Delacroix lieferte selbst im Livret des Salons eine kurze inhaltlicheErläuterung dessen, was auf seinem Bild dargestellt sei:

Der Tod des Sardanapal. Die Aufständischen belagern ihn in seinem Pa-

last... Sardanapal, der auf einem prunkvollen Bett auf dem Gipfel eines rie-

sigen Scheiterhaufens liegt, gibt den Eunuchen und Palastwachen den

Befehl, seinen Frauen, seinen Pagen und selbst seinen Pferden und Lieb-

lingshunden die Kehle durchzuschneiden; keines seiner Lustobjekte soll

ihn überleben... Aischeh, eine baktrische Frau, will nicht dulden, von einem

Sklaven getötet zu werden und hängt sich selbst an den Säulen auf, die

die Decke tragen... Baleah, der Mundschenk Sardanapals, legt schließlich

das Feuer an den Scheiterhaufen und stürzt sich selbst hinein.16

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Hielt der Künstler eine detaillierte Erklärung des Bildinhaltes für nötig,weil er befürchten musste, durch die mehrszenische Unübersichtlich-keit und die chaotische Bildstruktur die zeitgenössischen Betrachter zuüberfordern?17 Gegen diese Annahme spricht jedoch, dass der Text auf-fälligerweise mehrere Szenen in den Vordergrund stellt, die auf Dela-croix’ Gemälde entweder nur marginal oder überhaupt nicht dargestelltsind – so sieht man weder das Entzünden des Scheiterhaufens noch denSelbstmord des Baleah. Sollte es sich hier vielmehr um die explizite Ver-weigerung handeln, als Exeget des eigenen Werkes zu fungieren? Oderaber um ein gezieltes Ausweichmanöver, um gerade nicht über das Zen-trale der künstlerischen Findung sprechen zu müssen, stattdessen Ne-bensachen aufzuführen und damit die Erwartungshaltung des Betrach-ters an die kundige Erläuterung des Bildes durch den Künstler bewusstzu brüskieren? In jedem Fall handelt es sich um eine typische Attitüdedes modernen autonomen Künstlers, die bereits Benvenuto Cellini inseiner Autobiographie zelebriert hatte, als er das Kunstschaffen (das»fare«) als seinen Kompetenzbereich vom erläuternden Sprechen überKunst (dem »dire«) programmatisch abhob.18

2. Kontext und Konkurrenz: Der Salon von 1827/28

Delacroix’ Sardanapal wurde erst am 14. Januar 1828 in den AnfangNovember 1827 eröffneten Salon aufgenommen19, was dem Künstlerden nicht ganz unbegründeten Vorwurf seitens der liberalen ZeitschriftLe Globe einbrachte, durch diesen sehr verspäteten Auftritt effektha-scherisch die Aufmerksamkeit auf sich ziehen zu wollen. So schriebLouis Vitet in seiner Salon-Kritik vom 8. März 1828:

Seit vor gut dreißig Jahren der Marcus Sextus von Herrn Guérin nur acht

Tage vor Schließung des Salons dort aufgetaucht war und in dieser kurzen

Zeitspanne sämtliche sonstigen Meisterwerke in den Schatten gestellt hat-

te und sogar eine bereits voreilig ausgelobte Auszeichnung für sich rekla-

mieren konnte, ist es Mode unter unseren Künstlern geworden, zu spät zum

Rendez-vous zu kommen und das Publikum bis zum letzten Moment auf

ihre Werke warten zu lassen – zweifellos, um ihnen einen ähnlichen Erfolg