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Nomos Die österreichische Demokratie im Vergleich 2. Auflage Ludger Helms | David M. Wineroither [Hrsg.] Politik und Demokratie in den kleineren Ländern Europas Politics and Governance in the Smaller European Democracies | 1

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Die österreichische Demokratie im Vergleich

2. Auflage

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1

Ludger Helms | David M. Wineroither [Hrsg.]

Politik und Demokratie in den kleineren Ländern Europas Politics and Governance in the Smaller European Democracies | 1

ISBN 978-3-8487-3124-4 ISBN 978-3-7089-1506-7

facultas VerlagNomos Verlag

Stimmen zur Vorauflage:

»the book excels in providing many informative and wellpresented analyses.« Peter A. Ulram, Innsbruck University Press 2014

»eine sehr interessante Lektüre, die einen guten Überblick über die Entstehung des heutigen österreich- ischen politischen Systems abliefert.« polak.at, Januar 2014

»ein gelungener Auftakt der Reihe zur Politik und Demokratie in den kleineren Ländern Europas. Die österreichische Demokratie wird hier konzeptionell mustergültig aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet.« Klaus Stüwe, ZVglPolitWiss 7/13

»Der vorgelegte Sammelband enthält eine Reihe von interessanten Beiträgen, die das politische System Österreichs in vergleichender Perspektive betrachten und damit neue Erkenntnisse liefern.« Franz Fallend, ÖZP 1/13

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Politik und Demokratie in den kleineren Ländern Europas Politics and Governance in the Smaller European Democracies

Herausgegeben von

Prof. Dr. Ludger HelmsProf. Dr. Hans KemanProf. Dr. Hanspeter Kriesi Prof. Dr. Anton PelinkaProf. Dr. Alexander TrechselProf. Dr. Adrian Vatter

Band 1

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Die österreichische Demokratie im Vergleich

Nomos

Ludger Helms | David M. Wineroither [Hrsg.]

2., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-8487-3124-4 (Print)ISBN 978-3-8452-7493-5 (ePDF)

ISBN 978-3-7089-1506-7 (facultas Verlag, Wien)

2., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage 2017© Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2017. Gedruckt in Deutschland. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Vorwort zur Neuauflage

Zur gemeinsamen Freude von Herausgebern, Verlag und Autoren hat sich„Die österreichische Demokratie im Vergleich” rasch als Standardwerketablieren können. Diesen Erfolg teilt der Band mit der Reihe „Politik undDemokratie in den kleineren Ländern Europas“ insgesamt, zu deren Auf-takt die erste Auflage dieses Buches 2012 erschien. Gemeinsam beschreibtdies eine Entwicklung, die eine weitere Auflage dieses Bandes wün-schenswert und möglich machte.

Hinzu kamen jedoch wichtige Triebfedern auch aus dem öffentlichenLeben, die zur Fortschreibung und Aktualisierung wissenschaftlicher Ana-lysen der österreichischen Demokratie drängten: Österreich und Europadurchleben turbulente Zeiten. Das deutsche und internationale Interesse anÖsterreich hat sich in den vergangenen Monaten deutlich erhöht. Verant-wortlich dafür waren sowohl einzelne Ereignisse, wie insbesondere diespektakuläre Präsidentschaftswahl 2016, als auch die fortwährende He-rausforderung einer europäischen Migrationspolitik, in deren RahmenÖsterreich nicht zuletzt aus geographischen Gründen eine exponierte Posi-tion zukommt.

Den Herausgebern war daran gelegen, im Verbund mit allen Beitragen-den diesen jüngeren Entwicklungen gerecht zu werden und die Aktualisie-rung bewusst nicht auf die Hinzuziehung der neuesten wissenschaftlichenLiteratur zu beschränken, sondern von dort aus auch zu substantiellen Be-wertungen der Herausforderungen österreichischer Politik und Demokratieder Gegenwart zu gelangen.

Sämtliche an der ersten Auflage beteiligten Autoren wirkten an diesemVorhaben mit. Ihnen gebührt ebenso unser Dank wie dem Nomos Verlagund insbesondere Beate Bernstein, die dieses Projekt in bewährter Weisebetreute und geduldig begleitete. Schließlich hat Kathrin Kapfinger die ihrzugedachten redaktionellen Aufgaben mit der ihr eigenen Sorgfalt wahrge-nommen.

Möge dieses Buch einen Beitrag leisten zu einem vertieften Verständnisund einer umsichtigen Beurteilung der österreichischen Demokratie!

Ludger Helms und David M. Wineroither,Innsbruck und Edmonton, im Dezember 2016

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Inhalt

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis 11

Einleitung: Austria sui generis?Der Vergleich als Königsweg der Demokratieforschung 15Ludger Helms / David M. Wineroither

Historische Grundlagen und theoretische PerspektivenI.

Demokratie und Demokratiebegriff in Österreich im18. und 19. Jahrhundert – Der ideengeschichtliche Hintergrund 41Helmut Reinalter

Demokratiegeschichte Österreichs im europäischen Kontext 71Oliver Rathkolb

Die Verfassung der demokratischen Republik:ein europäischer Sonderfall? 105Theo Öhlinger

Perspektiven zeitgenössischer Demokratietheorie 129Gary S. Schaal / Oliver W. Lembcke

Die österreichische Demokratie aus Sicht der geschlechterkritischenStaats- und Demokratietheorie 163Birgit Sauer

Strukturen, Prozesse, InhalteII.

Nationalrat, Bundesregierung und Bundespräsident:Die gouvernementale Arena im internationalen Vergleich 191Ludger Helms / David M. Wineroither

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Die territoriale Dimension der österreichischen Demokratiein vergleichender Perspektive 223Peter Bußjäger

Die Entwicklung des Parteienwettbewerbs in Österreichim internationalen Vergleich 251David M. Wineroither / Herbert Kitschelt

Interessengruppen und Interessenvermittlung:Internationale Gemeinsamkeiten und österreichische Besonderheiten 287Klaus Armingeon

Österreichische Medien und politische Kommunikationin komparativer Sicht 315Fritz Plasser / Günther Pallaver

Politische Kultur und Demokratiebewusstsein in der ZweitenRepublik im internationalen Vergleich 337Fritz Plasser / Gilg Seeber

Die österreichische Demokratiequalität in Perspektive 365David F. J. Campbell

Das Staatstätigkeitsprofil der Zweiten Republik iminternationalen Vergleich 395Herbert Obinger

Neue Herausforderungen und die Zukunft derösterreichischen Demokratie

III.

Die Europäisierung der demokratischen Institutionen Österreichsim EU-Vergleich 423Johannes Pollak / Sonja Puntscher Riekmann

Demokratiekritik und (Rechts-)Populismus: Modellfall Österreich? 449Reinhard Heinisch

Inhalt

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Inklusive Demokratie. Politische, soziale und religiöse Rechte vonNicht-StaatsbürgerInnen 479Sieglinde Rosenberger

Aufgaben und Probleme politischer Bildung in Österreich 503Wolfgang Sander

Die demokratiepolitische Reformagenda im Vergleich 527Anton Pelinka

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 547

Inhalt

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Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abbildungen

9.1 „Modes of political linkage building” 253

9.2 Klientelismus und per capita GDP: Österreich imWeltvergleich 257

9.3 Ausmaß (2008/09) und Veränderungen (1998-2008) in denklientelistischen Anstrengungen der Parteien 258

9.4 Die aggregierte Position von Berufsklassen und Parteiwähler-schaften im österreichischen Wettbewerbsraum im Jahr 2008 276

10.1 Die Entwicklung des gewerkschaftlichen Organisationsgrades1990-2013: Österreich im Vergleich mit seinen östlichenNachbarn 296

10.2 Die Entwicklung des gewerkschaftlichen Organisationsgrades1960-2013: Österreich im Vergleich mit seinen westlichenNachbarn sowie Schweden und Großbritannien 297

12.1 Generalisierbare Unterstützung der Demokratie 1999-2008 356

13.1 Dimensionen (konzeptionelle Dimensionen) für die Messungvon Demokratie und Demokratiequalität I 369

13.2 Dimensionen (konzeptionelle Dimensionen) für die Messungvon Demokratie und Demokratiequalität II 372

14.1 Staatsausgaben nach Aufgabenbereichen in Prozent dergesamten Staatsausgaben 2015 403

14.2 Ausgaben nach Aufgabenbereichen in Prozent des BIP in 27Ländern 404

14.3 Clusteranalyse zentraler Ausgabenkomponenten des Staates in31 europäischen Ländern 2014 406

14.4 Veränderung im Beschäftigungsschutz 1985-2013 407

14.5 Veränderung der Regulierung netzbasierterInfrastruktursektoren 1975-2013 408

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14.6 Veränderung der Regulierung im Einzelhandel 1998-2013 410

14.7 Veränderung der Regulierung von freien Berufen 1998-2013 411

14.8 Staatsverschuldung in Prozent des BIP 1998-2015 417

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

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Tabellen

5.1 Die Stufen des demokratischen Prozesses und ihredeliberativen Ideale 138

8.1 Innere Strukturen ausgewählter Staaten 240

8.2 Regionale und kommunale Gliederungen ausgewählterStaaten 242

9.1 Klientelistische Anstrengungen der österreichischenParlamentsparteien 260

9.2 Mitgliedschaft in Parlamentsparteien (in Tausend) undOrganisationsgrad in Österreich 1979-2017 263

9.3 Das Schicksal von Parteienfamilien zwischen 1955/1965und 2001/2011: Der unterschiedliche relative Niedergangetablierter Parteien 269

9.4 Parameter des Parteiensystemwandels in Österreich1945-2013 271

9.5 Das Wahlverhalten von Arbeitern 1979-2013 273

9.6 Das Wahlverhalten von Beschäftigten im privaten undöffentlichen Sektor im Jahr 2008 273

9.7 Der Stimmenanteil der FPÖ unter Beschäftigten im privatenund öffentlichen Sektor seit 1986 274

10.1 Mitgliedschaften in Verbänden 291

10.2 Struktur der Mitgliedschaften 292

10.3 Korrelate von Verbandsmitgliedschaft 293

10.4 Organisationsgrade der Gewerkschaften 2002-2014 298

10.5 Wahlverhalten von Gewerkschaftsmitgliedern im Vergleich zuNicht-Mitgliedern 2002-2014 305

10.6 Makrodaten Visser zu Korporatismus 308

11.1 Mediennutzung 2015 im Vergleich 323

11.2 Vertrauen in Medien im Vergleich 2015 326

11.3 Einschätzung des politischen Einflusses unterschiedlicherMedientypen durch Politiker und Journalisten 331

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

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12.1 Politisches Interesse 1974-2008 345

12.2 Eindruck politischer Machtlosigkeit 1973-2009 346

12.3 Subjektives politisches Kompetenzgefühl („internal politicalefficacy“) 2002-2004 347

12.4 Informelle politische Partizipationsraten 1974-2008 349

12.5 Vertrauen in Institutionen 1990-2008 351

12.6 Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie1995-2010 354

13.1 Österreichische Demokratiequalität im Vergleich 380

13.2: Ergebnisse des Democracy Ranking (DR) 2015 385

14.1 Die Entwicklung der Staatsquote 1960-2014 399

14.2 Staatsquote und Staatsausgaben (in Prozent des BIP) inausgewählten Politikfeldern 1960 bzw. 1980 400

14.3 Funktional differenzierte Staatsausgaben nach COFOG inProzent des BIP 2014 in 27 europäischen Ländern 401

17.1 Staatsbürgerschaft-Verleih 1999-2014 488

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

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Einleitung: Austria sui generis?Der Vergleich als Königsweg der Demokratieforschung

Ludger Helms / David M. Wineroither

Österreichs Platz in der Familie der liberalen Demokratien

Am Anfang stand jeweils ein verlorener Krieg: Österreichs Erste Republikfolgte auf das Ende der Habsburgermonarchie, die Zweite Republik aufden Untergang des nationalsozialistischen Regimes. Damit nahm Öster-reich – wie Deutschland – gleich an zwei „Demokratisierungswellen“(Huntington 1991) teil. Während die 1918 aus der Taufe gehobene demo-kratische Republik als „Staat, den keiner wollte“ (Andics 1962; Simon1978) rasch am scharfen Gegensatz der politischen Lager zugrunde ging,ermöglichte die Zweite Republik eine rasante wirtschaftliche Entwicklungim Zeichen politischer Stabilität.1

Gemessen an den historischen Entwicklungsdynamiken einiger andererwesteuropäischer Länder setzte die Demokratisierung des politischen Sys-tems in Österreich vergleichsweise spät ein und fand unter politisch-kultu-rell ungünstigen Bedingungen statt. Wie zuvor in Deutschland waren diefrühen Schritte in Richtung Demokratisierung, darunter insbesondere dieSchaffung eines allgemeinen Wahlrechts für Männer (1907), streng ge-nommen kaum wirklich Ausdruck des Bestrebens, eine demokratischeHerrschaftsordnung zu begründen. Wie in einigen anderen dynastischenAutokratien ging es vielmehr im Kern zunächst darum, der bestehendenOrdnung durch ein demokratisiertes Wahlrecht ein gewisses Maß an ple-biszitärer Legitimation zu verschaffen, das nicht mit einer Demokratisie-

1.

1 Das jähe Ende der Großen Koalition im Jahr 1920 begünstigte die Entstehung einesantagonistischen ideologischen Parteienwettbewerbs, der nur wenige Jahre späternicht mehr zwischen drei politischen Lagern, sondern bipolar zwischen den Sozial-demokraten einerseits und dem „Bürgerblock“ (bestehend aus Christlichsozialenund Großdeutschen) andererseits ausgetragen wurde. Auch die Einführung der Di-rektwahl des Bundespräsidenten im Rahmen der B-VG-Novelle von 1929 entsprangdem machtpolitischen Kalkül der Parteien.

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rung der Kontrolle über die Zusammensetzung und das politische Handelnder Regierungselite „bezahlt“ werden musste (Bartolini 2000: 129).

Unter großen Teilen der politischen Elite des Landes blieb die Demo-kratie ein schwieriger Gegenstand über das Datum der staatsrechtlichenBegründung einer demokratischen Republik Ende 1918 hinaus: Sah dieSozialdemokratie in der Erringung der Herrschaft im Rahmen der demo-kratischen Republik nicht viel mehr als ein Vehikel zur Durchsetzung derInteressen der Arbeiterklasse (Leser 1968), dominierten im Lager derChristlichsozialen autoritäre Konzeptionen wie jene einer Führerdemokra-tie und einer ständischen Verfassung (Hanisch 1990). Dennoch führten je-ne politischen Umwälzungen, die sich im November 1918 zur Geburts-stunde der Republik verdichteten, zu bemerkenswerten Ergebnissen: Sowurde beispielsweise auf sozialdemokratischen Druck hin bereits 1918das allgemeine Frauenwahlrecht auf allen politischen Ebenen eingeführt,welches zu diesem Zeitpunkt erst in wenigen anderen westlichen Demo-kratien bestand.

Der wohl wichtigste Beitrag Österreichs zur Weltgeschichte der politi-schen Institutionen der Demokratie ist in der von Hans Kelsen ent-wickelten institutionell konzentrierten Verfassungsgerichtsbarkeit zu sehen(von Brünneck 1992; Stone Sweet 2002). Der in der Bundesverfassung1920 begründete Verfassungsgerichtshof entfaltete rasch eine herausragen-de internationale Vorbildwirkung. So ist auch etwa das deutsche Bundes-verfassungsgericht am österreichischen Vorbild und nicht am US-amerika-nischen Modell mit seiner institutionell diffusen Verfassungsgerichtsbar-keit orientiert. In der jüngeren Vergangenheit stand das österreichischeModell Pate für entsprechende Einrichtungen in mehreren der jungen De-mokratien Osteuropas, wo die Verfassungsgerichtsbarkeit nach 1989 einenwahren Siegeszug feierte (Sadurski 2005).

Im Rückblick auf die vergangenen Jahrzehnte lässt sich die österrei-chische Demokratie, zumal angesichts der wenig günstigen Ausgangsbe-dingungen auch der 1945 wiederbegründeten Republik, insgesamt als eineErfolgsgeschichte bezeichnen – ökonomisch ebenso wie politisch. Seit derWiedererringung seiner vollständigen Souveränität im Jahre 1955 und denersten großen Machtwechseln von 1966 und 1970/1 nimmt Österreichnach allen gängigen Kriterien einen festen Platz im Kreis der konsolidier-ten liberalen Demokratien ein. Dies schloss beträchtliche Schwankungennicht zuletzt in der Außenwahrnehmung der Zweiten Republik – welchezunächst verbreitet als „Demokratie-Wunder“ in Zeiten des Kalten Krie-

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ges, später von vielen eher als „Auslaufmodell“ gesehen wurde (Rathkolb2005: 61-95) – allerdings nicht aus.

Eine genauere Bestimmung des Platzes der Zweiten Republik innerhalbder Familie der konsolidierten liberalen Demokratien vorzunehmen, ist derAnspruch dieses Bandes. Ein solches Unternehmen beginnt freilich nichtvon einem Nullpunkt aus. Im Gegenteil: Wie der nachfolgende Überblickbelegt, gibt es eine umfangreiche österreichische und internationale For-schungsliteratur, die sich mit zahlreichen unterschiedlichen Aspekten derösterreichischen Demokratie beschäftigt.

Die österreichische Demokratie aus Sicht der österreichischenPolitikwissenschaft

Im internationalen Vergleich betrachtet war die österreichische Politikwis-senschaft in nicht geringerem Maße eine „Spätkommerin“ als die österrei-chische Demokratie. Insbesondere die unterbliebene Rückholung emi-grierter Wissenschaftler und die Rückkehr vieler Nationalsozialisten andie Universität wirkten als „eine negative Barriere gegen eine sich nichtnur als Aufklärungs-, sondern auch als Demokratiewissenschaft verstehen-de Disziplin“ (Pelinka 1995b: 348). Umgekehrt verstärkte das sich raschausbildende herrschaftskritische Element der jungen Disziplin2 die aufSeiten der Regierungsparteien ohnehin existierenden Vorbehalte gegensie.3 Erst 1970 kam es zur Gründung der Österreichischen Gesellschaft fürPolitikwissenschaft (ÖGPW) und in den Folgejahren auch zur Ansiede-lung des Faches an den Universitäten des Landes.4

2.

2 Brand und Kramer (2011: 317-321) sehen den (herrschafts-)kritischen Charakterder Politikwissenschaft in Österreich bis heute stärker erhalten als in Deutschland.

3 Einer politisch gewollten thematischen Verengung vermochte sich auch die Ge-schichtswissenschaft nicht zu entziehen: Die zur Staatsdoktrin erhobene These vonÖsterreich als erstem Opfer des Dritten Reiches, die einen „re-education”-Ansatzvon vornherein vereitelte, ging mit einer Tabuisierung der jüngeren Historie desLandes einschließlich der Jahre ständestaatlicher Diktatur einher. Die Beschäfti-gung mit dem Scheitern der Ersten Republik und dem Ständestaat erfolgte ebenfallsspät und selbst dann überwiegend in den schmalen Bahnen einer „Koalitionsge-schichtsschreibung” (Angerer 1994: 222-223.).

4 Vgl. zur außeruniversitären, universitären und curricularen Etablierung der Politik-wissenschaft in Österreich Pelinka (1995b, 2004) und Sickinger (2004); zu den in-terdisziplinären Vorläufern in der Ersten Republik (und davor) siehe Ehs (2010).

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Neben zahlreichen anderen Themen gehörte zu den zentralen Schwer-punkten der österreichischen Politikwissenschaft immer auch, und ganzbesonders, das politische System Österreichs. So resümierte Anton Pelin-ka (1995b: 349; so auch König 2011: 84; Karlhofer/Plasser 2012) aus An-lass des 25-jährigen Bestehens der ÖGPW durchaus kritisch: „Im Zentrumsteht ganz eindeutig die Beschäftigung mit Österreich selbst.“5 Die heutegreifbare österreichische Literatur zur Zweiten Republik ist durch eineVielzahl unterschiedlicher theoretischer und methodischer Ansätze ge-kennzeichnet. Zu den meisten zentralen Bereichen der österreichischenDemokratie als Staatsform, aber auch als Gesellschaftsform, lassen sichohne große Mühe „Standardwerke“ identifizieren, denen eine weithin un-bestrittene Referenzfunktion für bestimmte Themengebiete zukommt.

Dazu gehören etwa die umfangreiche, empirische Abgeordnetenstudievon Müller et al. (2001) für den legislativen Prozess und ausführliche Stu-dien zur Bilanz und über die Zukunft der Interessenvermittlung im Rah-men der Sozialpartnerschaft von Karlhofer und Tálos (2005), Obinger undTálos (2006) sowie Tálos (2008). Für die politische Kultur des Landeswurden seit den 1980er Jahren mehrere wegweisende Analysen vorgelegt(Plasser/Ulram 1993; Plasser/Ulram 2002; Gabriel/Plasser 2010). Auchliegen umfassende Bestandsaufnahmen österreichischer Politik in ge-schlechterkritischer Perspektive vor (siehe etwa Rosenberger 1992). Breitepolitikwissenschaftliche Aufmerksamkeit zogen ferner die verändertenRahmenbedingungen nationalstaatlicher politischer Willensbildung, Ent-scheidungsfindung und Politikimplementation durch den 1994 erfolgtenBeitritt Österreichs zur Europäischen Union auf sich, der den Mehrebe-nencharakter österreichischer Politik verstärkte (Falkner/Müller 1998).Der daraus (keineswegs erst aus der Transnationalisierung) resultierendenDynamik widmete sich die Föderalismusforschung mit einem Schwer-punkt auf den Beziehungen zwischen Bund und Ländern im parteienstaat-lich überformten Bundesstaat (Dachs 2003; Karlhofer/Pallaver 2013). Pel-inka und Welan (2001) begeben sich in der Neufassung ihrer klassischenStudie aus dem Jahre 1972 auf einen Streifzug durch „Demokratie undVerfassung in Österreich“ (siehe auch Pelinka 1998; Welan 1999).

Sowohl die späte Begründung der österreichischen Politikwissenschaftals auch die bis heute vergleichsweise überschaubare Zahl ihrer Vertreter

5 Der Grad der gegenwärtigen Internationalisierung und thematischen Auffächerungösterreichischer Politikwissenschaft ist allerdings umstritten. Vgl. die gegensätzli-chen Einschätzungen bei König (2011) und Brand/Kramer (2011).

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war mit dafür verantwortlich, dass wichtige Arbeiten selbst zum engerenBereich des politischen Systems von Autoren aus den Nachbarwissen-schaften verfasst wurden. Vertreter der Geschichtswissenschaft haben um-fassende Bestandsaufnahmen der politischen und gesellschaftlichen Ver-hältnisse sowohl für die Erste als auch für die Zweite Republik vorgelegt(Weinzierl/Skalnik 1972, 1983; Botz 1987). In thematischer Nähe zur po-litischen Kulturforschung ist der bedeutende Forschungsstrang über dieHerausbildung einer nationalen Identität angesiedelt (Bruckmüller 1984).Behandelt wurden aber auch strukturbildende Merkmale der österreichi-schen Demokratie wie die Sozialpartnerschaft (Stourzh/Grandner 1986).

Kaum geringer fällt der rechtswissenschaftliche Beitrag zur Erhellungdes politischen Systems aus. Hervorzuheben sind wichtige Arbeiten zumParteienstaat (Mantl 1969, 1992) sowie eine Reihe größerer Gesamtdar-stellungen des Regierungssystems (Welan/Neisser 1971; Schambeck 1995,1997). Während die Auseinandersetzung mit dem politischen System vonRechtswissenschaftlern ansonsten bevorzugt mit Blick auf den Föderalis-mus und den Parlamentarismus erfolgte (Ermacora 1976; Schambeck1986, 1993), konzentrierte sich die Soziologie stärker auf die Analyse desInteressenvermittlungssystems (Traxler 1982, 1986; Marin 1985) und derStaatstätigkeit unter besonderer Berücksichtigung der Reformierbarkeitder sozialen Sicherungssysteme (Marin/Prinz 1999).

In einer Gesamtschau der Studien, die sich auf das politische SystemÖsterreichs und den Zustand seiner Demokratie beziehen, ist ein eindeuti-ges Übergewicht von Analysen mit nicht-komparativem Charakter festzu-stellen. Das die Szenerie beherrschende, zu drei Auflagen gelangte Stan-dardwerk, „Politik in Österreich“ (Dachs et al. 2006) lehnt sich an diedreidimensionale Gliederung des angelsächsischen Politikbegriffs („poli-ty“, „politics“, „policy“) an und behandelt sowohl die institutionellenGrundlagen, die Prozesse als auch die politisch-materielle Dimension vonPolitik in Österreich. Es beansprucht den Charakter eines Handbuches undblickt auch auf die subnationalen politischen Systeme des Landes, abernur sporadisch über die Bundesgrenzen hinaus. Bei seiner Erstveröffentli-chung (1991) hatte der Band seinerseits zwei Vorgänger abgelöst (Steiner1972; Fischer 1982), die sich – am damaligen „state of the art“ orientiert –auf die Strukturen und Funktionen des politischen Systems konzentrierten,wiederum ohne besonderen komparativen Ehrgeiz. Das jüngere Werk„Österreichische Politik“ (Pelinka/Rosenberger 2014) wartet mit treffli-chen Analysen und vielfältigen internationalen Bezügen auf, begreift sichaber bewusst als einführender Überblick. Einzelne Bände aus der Reihe

Einleitung: Austria sui generis?

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„Contemporary Austrian Studies“ (herausgegeben von Anton Pelinka undGünter Bischof bzw. aktuell Fritz Plasser und Günter Bischof; die Jubilä-umsausgabe – Band 25 – erschien im Sommer 2016) bedienen sich desVergleichs, welcher jedoch zumeist unbestimmt bleibt und keine konkreteReferenzgruppe definiert.

Die österreichische Demokratie in der international vergleichendenPolitikwissenschaft

Wer an einer mehr als implizit vergleichenden Analyse der österreichi-schen Demokratie interessiert ist, wird gleichwohl fündig, weniger in derösterreichischen Literatur als vielmehr in zahlreichen Beiträgen der inter-nationalen bzw. international vergleichenden Politikwissenschaft.

Die systematische vergleichende Analyse der Institutionen im politi-schen System ist traditionell stark auf die politische Exekutive konzen-triert. Die formal semi-präsidentielle Konstruktion des Regierungssystemsund die Stellung des Staatsoberhauptes sind ein häufiger Gegenstand län-dervergleichender Studien (Duverger 1980; Elgie 2011). Eher noch stärkerrepräsentiert ist „der österreichische Fall“, auch dank der außergewöhnlichguten internationalen Vernetzung führender Vertreter der österreichischenExekutivforschung, in vergleichenden Studien über die Regierungsbil-dung, die Regierungsorganisation und die interne Funktionsweise von Ko-alitionsregierungen (Müller/Strøm 2000; Strøm/Müller/Bergman 2008).Die gouvernementale Arena des österreichischen Regierungssystems wur-de jedoch nicht nur innerhalb der englischsprachigen Forschung, sondernimmer wieder auch durch Vertreter der deutschen Politikwissenschaft inkomparativer Sicht behandelt (etwa Helms 1997a; Rudzio 2005).

Einen zweiten Schwerpunkt der international vergleichenden Forschungzum Regierungssystem bilden Studien zum vertikalen Staatsaufbau: ImRahmen dieses Zugangs werden die engen Bezüge zwischen Föderalis-musforschung und vergleichender Demokratieforschung anhand des kon-kreten Interesses an konsensualer Demokratiepraxis deutlich. Die Zusam-menführung beider Stränge kennzeichnet eine Reihe von Beiträgen, die inder Fachzeitschrift „Publius“ erschienen sind und für deren Diskussion diedeutschsprachigen Länder ein großes empirisches Potenzial bergen. Dieösterreichische Version eines „Vollzugsföderalismus“ als einer spezifi-schen Kombination von Parteienstaatlichkeit und Föderalismus stellt einen

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Fixpunkt der Beschäftigung mit Österreich in der vergleichenden Politik-wissenschaft dar (Hadley et al. 1989; Thorlakson 2003, 2009; Erk 2004).

Sehr viel intensiver noch als die föderativen Institutionen wurden dieparteienstaatlichen Parameter der Zweiten Republik zum Gegenstand ver-gleichender Analyse gemacht, bevorzugt in Studien zur Parteienfinanzie-rung (Naßmacher 2002) und im Umfeld der Kartellparteien-These (Ande-weg/Müller/De Winter 2008). Das ist kaum überraschend, wenn man dieaußergewöhnlichen Dimensionen des Parteienstaates in Österreich be-denkt. Einige seiner Ausprägungen wie die Höhe der Parteienfinanzierungund die Mitgliederdichte beschreiben – auch im langfristigen Verlauf – in-ternationale Spitzenwerte (Nassmacher 2009: 160, 188, 328; van Biezen etal. 2012).6

Auf besonderes Interesse stoßen mithin der Staat selbst und sein politi-scher Rahmen, und dabei nicht nur mit Blick auf die „polity“- und „poli-tics“-Dimension. Die Staatstätigkeitsforschung hat eine Reihe bemerkens-werter Aspekte des „aktiven Staates“ in Österreich freigelegt, etwa das un-gewöhnlich hohe Niveau von Subventionsausgaben (Obinger/Zohlnhöfer2007; siehe zu den Anfängen in der ausgehenden k.u.k. Monarchie Obin-ger/Kovacevic 2016). Internationale Aufmerksamkeit wurde auch demZusammenspiel staatlicher Tätigkeit und parteiensystemischer Faktorengeschenkt: einerseits dem Interessenvermittlungssystem der Sozialpartner-schaft, das internationalen Modell- und Prototypcharakter besitzt (Traxler1998; Siaroff 1999),7 andererseits dem prägenden Einfluss einer sozialde-mokratischen Staatspartei in langjähriger Regierungsverantwortung. Andieser Schnittstelle, der Parteiendifferenzlehre, hatten Vergleiche des deut-schen, österreichischen und schwedischen Falles – teils unter Hinzuzie-

6 Die österreichische Demokratie hat ein politisches System hervorgebracht, das iminternationalen Vergleich deutlich repräsentativdemokratisch (und weniger direkt-demokratisch) verfasst und weit überdurchschnittlich stark parteienstaatlich geprägtist. Damit korrespondiert ein Prozess politischer Willensbildung „von oben nachunten“, der funktional für die vertikale Integration der politischen Lager und für„credible commitments“ im Rahmen von Elitenkompromissen ist. Das ausgeprägteSpannungsverhältnis zwischen Real- und Formalverfassung macht die Zweite Re-publik mit Blick auf die unterschiedlichen Realmodelle der Legitimation staatlichenHandelns (Abromeit 1995) zu einem Sonderfall innerhalb der Systeme mit Verfas-sungssouveränität.

7 Am deutlichsten schlug sich diese Vorbildwirkung in einem regionalen „exceptio-nalism“ Sloweniens nieder, der nunmehr im Begriff ist zu verschwinden (Guardian-cich 2012).

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hung weiterer Länder – in den 1980er und 1990er Jahren Hochkonjunktur(Scharpf 1987; Padgett 1993; Kitschelt 1994).

Ein Teil der international vergleichenden Literatur über die Kompro-missorientierung der politischen Eliten (manifestiert nicht zuletzt im weitüberdurchschnittlich häufigen Zustandekommen Großer Koalitionen) undviele Studien über den Neo-Korporatismus betonen den „Kleinstaats-Cha-rakter“ Österreichs. So stellte Katzenstein eine zu großer Prominenz ge-langte These über die Hervorbringung konsensualer politischer Institutio-nen in Kleinstaaten auf, die sich auf Weltmärkten zu bewähren haben(Katzenstein 1985; siehe auch Armingeon 2007). Dieser Status Öster-reichs wird in der jüngeren Literatur im Rahmen des „varieties of capita-lism“-Paradigmas berücksichtigt (Culpepper 2007: 630) und stellt einesunter mehreren Erklärungsmodellen für das Ausmaß der elektoralen Erfol-ge rechtspopulistischer Parteien dar (Kitschelt/McGann 2005). Rechtspo-pulistische Erfolge und hierbei vor allem der Eintritt der FPÖ in die Re-gierung im Jahr 2000 lieferten Anlass für eine Vielzahl an Studien (Luther2000, 2009; Rose 2000; Minkenberg 2001). Die FPÖ fehlt in kaum einerrelevanten ländervergleichenden Arbeit über die elektoralen Erfolgsbedin-gungen und die Komposition der Wählerschaft dieses Parteientypus (etwaHelms 1997b; Arzheimer/Carter 2006; Van der Brug et al. 2009; Dolezalet al. 2010; Oesch 2012).

Die ländervergleichende Demokratieforschung orientierte sich in ihrerFrühphase an einer empirischen Analyse des in vielen kleineren LändernEuropas begründeten spezifischen Typus von Demokratie und einem kon-trastierenden Vergleich mit anderen westlichen Demokratien, und hierbeivor allem der Westminster-Demokratie britischer Prägung, welcher zurFormulierung des Konzepts der konsoziativen bzw. Konkordanzdemokra-tie (Lehmbruch 1967; Lijphart 1968) führte.8 Im Kern basiert die auf poli-tischen Ausgleich und Stabilität hin orientierte konsoziative Demokratie(im Englischen „consociational democracy“) auf vier Eckpfeilern: „grandcoalition“, „segmental autonomy“, „veto rights“ and „proportionality“(Lijphart 1977: 25). Unter diesem Gesichtspunkt wurde der politischen

8 Entscheidende theoretische Impulse für die Entwicklung des Konzepts der konso-ziativen Demokratie waren vor allem von der Erklärung des Formats von Parteien-systemen auf Basis der „cleavage“-Theorie ausgegangen. Die „social choice theo-ry“ (Arrow 1951; Riker 1982) wiederum sensibilisierte für die maßgebliche Rolleund die vielfältigen, mitunter nicht intendierten oder kaum kalkulierbaren Effektevon Abstimmungsregeln für Mehrheits- bzw. Präferenzbildung.

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Praxis in Österreich internationale Aufmerksamkeit nicht zuletzt seitensprominenter amerikanischer Fachgelehrter zu Teil (etwa Powell 1970), be-merkenswerter Weise zu einem Zeitpunkt, an dem die Lagerkultur (Wan-druszka 1954) sich, parallel zur Verankerung des Konzepts in der verglei-chenden Politikwissenschaft, bereits aufzulösen begann.9

Die österreichische Demokratie ist aber nicht nur eine Konkordanzde-mokratie, sondern auch eine Konsensusdemokratie: Das eng mit der Kon-kordanzdemokratie verwandte, von Arend Lijphart entwickelte Konzeptder Konsensusdemokratie (Lijphart 1984, 2012) ist breiter definiert undstützt sich im Kern auf drei Säulen: parteipolitische Konkordanz, ein neo-korporatistisches System der Interessenvermittlung und institutionelle Ve-tospieler (Armingeon 2003; zur vergleichenden Diskussion verwandter,aber gleichwohl unterschiedlicher Konzepte der „komplexen Demokratie“siehe auch Schneider/Eberlein 2015).

Im Rahmen einer Bestandsaufnahme der Schwerpunkte der internatio-nal vergleichenden Forschung zu Österreich ist schließlich auch auf be-sondere Bemühungen seitens der deutschsprachigen Komparatistik, spezi-ell im Kontext von Kooperationen zwischen Deutschland, Österreich undder Schweiz, hinzuweisen. Speziell mit Blick auf das thematische Dreieck„Parteienstaat, Föderalismus und Interessenvermittlung“ wurden enge Be-züge zwischen den drei Ländern hergestellt (u.a. Armingeon 1983; Armin-geon/Sciarini 1996; Armingeon/Freitag 1997; Pelinka 1993, 1995a, Plas-ser/Ulram 1993; Plasser/Gabriel 2010; Sieberer et al. 2011; Vatter/Stadel-mann-Steffen 2013).10 Das wechselseitige Interesse speist sich – nebenpragmatischen Gründen wie der gemeinsamen Sprache – auch aus offen-

9 Ihr partielles Verschwinden wurde für alle Konkordanzdemokratien bereits voretlichen Jahren konstatiert – „not, it is worth emphasizing, as a result of the failureof consociation democracy, but because consociationalism by its very success hasbegun to make itself superfluous” (Lijphart 1997: 1-2). Dennoch zeigt sich diesesKonzept erstaunlich vital und wurde in den vergangenen Jahren auf so unter-schiedliche politische Systeme wie Nordirland, Bosnien-Herzegowina, Südafrikaoder den Irak angewandt (Köppl/Kranenpohl 2012). Darüber hinaus wurde seinEinsatz auf das Studium transnationaler Strukturen ausgedehnt und fand Nieder-schlag auch in der Parteienforschung.

10 Kurzfristigen Auftrieb erhielt speziell der deutsch-österreichische Vergleich durchdie Bildung der Großen Koalition von Union und SPD im Jahr 2005, die manchenBeobachter aufgrund der vielfältigen österreichischen Erfahrungen mit dieser Ko-alitionsform ein benachbartes Lernreservoir erkennen ließ (Linhart 2008; Stroh-meier 2009; Helms 2010).

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sichtlichen politischen Gemeinsamkeiten. Selbst in komplexeren Typolo-gien mit dem Anspruch der Erfassung zumindest aller westeuropäischenDemokratien fallen diese drei Länder in denselben Topf: Das gilt – mitAbstrichen für die Schweiz – für die konsensdemokratische Prägung despolitischen Systems (Lijphart 2012)11, die Existenz eines Mediensystems,das dem „demokratisch-korporatistischen Modell“ entspricht (Hallin/Mancini 2004), sowie für die auffallenden, offensichtlich kulturell beding-ten Gemeinsamkeiten auf der Ebene der Staatstätigkeit (Castles 1993) ein-schließlich der Grundstrukturen eines kontinentalen Wohlfahrtsstaats (Es-ping-Andersen 1990).

Die österreichische Demokratiepraxis im internationalen Vergleich

Spätestens seit den frühen 1990er Jahren entwickelte die österreichischePolitikwissenschaft ein stärkeres Interesse an umfassenderen Charakteri-sierungen der Zweiten Republik, die eine Bewertung der historischen Ent-wicklungsdynamik und der Eigenheiten österreichischer Demokratie be-inhalteten. So wurde beispielsweise im Umfeld politischer Jubiläumsfei-ern zum 50-jährigen Bestehen der Zweiten Republik in der „Österreichi-schen Zeitschrift für Politikwissenschaft“ ein Diskurs darüber geführt, obeine strukturelle „Entaustrifizierung“ des politischen Systems – im Sinneeiner Angleichung Österreichs an westeuropäische Standards – im Gangesei (Pelinka 1995a). Solche Diskussionen waren von dem Bewusstsein ge-tragen, dass es gravierend unterschiedliche Möglichkeiten gibt, Demokra-tie zu organisieren und zu praktizieren, und sie wurden nicht zufällig vonAutoren initiiert und vorangetrieben, die über ein großes Wissen auch überandere politische Systeme verfügten.

Parallel zu dieser historisch-national begründeten Perspektive geriet einmöglicher Konvergenztrend über die Gesamtheit westlich-liberaler Staa-ten hinweg in den Fokus der internationalen Politikwissenschaft. Das ge-stiegene Interesse speiste sich maßgeblich aus zwei Entwicklungen: ers-tens als (hypothetischer) Ausfluss einer Europäisierung von Politiken undPräferenzbildung im Rahmen der Mitgliedschaft von immer mehr Ländern

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11 Besonders in den Arbeiten Gerhard Lehmbruchs werden eindeutige regionalspezi-fische Wurzeln der Konkordanzdemokratie nachgewiesen, die auf die Erfahrungender Religionskriege und den Westfälischen Frieden, aber auch auf ständische undbündische Traditionen verweisen (Lehmbruch 1996).

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in der Europäischen Union (u.a. Mair 2004; Poguntke et al. 2007); zwei-tens als spezifische Reaktion auf die Erweiterungswelle der Union im Jahr2004. Bei den neu hinzugekommenen Mitgliedern handelte es sich sämt-lich um postsozialistische Staaten der dritten Demokratisierungswelle(1989/91) (z.B. Lewis/Markowski 2011; Caramani 2015; Whitefield/Rohr-schneider 2015). Damit etablierte sich dieses Paradigma auch in der demo-kratischen Konsolidierungsforschung.

Mehrere Studien in diesem Forschungssegment suggerieren einen mo-deraten Prozess der Konvergenz in der Politikpraxis westlicher Demokra-tien (so etwa Lane/Ersson 2007; Vatter et al. 2014). Empirisch erhärtenließ sich die Konvergenz-These im Sinne einer gegenseitigen Annäherungunterschiedlicher Systeme an westlich-demokratische Durchschnittswerte.Diese Entwicklung bahnte sich ihren Weg entweder an den Rändern derDemokratiefamilie durch ein abgeschwächtes Profil „extremer“ Fälle (wieim Falle der Schwächung demokratietypologischer Eigenheiten in denMehrheitsdemokratien Neuseelands und Großbritanniens sowie dem –vormaligen – schweizerischen Musterbeispiel einer Konsensdemokratie;Vatter 2008) oder aber vermittelt durch eine breite regionale Nachholbe-wegung (wie im Falle steigender Werte von Parteienidentifikation in Ost-europa bei sinkenden Anteilen unter westeuropäischen Wählerschaften;Rohrschneider/Whitefield 2012).

Beide Tendenzen bedingen mit Blick auf den vormals „abweichenden“österreichischen Fall fortgesetzte Auffälligkeiten – obwohl die Zweite Re-publik viele ihrer austriakischen Eigenheiten im Verlauf der vergangenendrei bis vier Jahrzehnte abgeworfen hat. Zur Untermauerung der „Entaus-trifizierungsthese“ dienen – Mitte der 1990er Jahre (Pelinka 1995a) wieauch im neuen Jahrtausend – rückläufige Indikatoren für das Vorhanden-sein ausgeprägter Parteienstaatlichkeit, eine Beschneidung der außen- undsicherheitspolitischen Neutralität im Rahmen der GSVP sowie Merkmaleeines pluralistischeren Parteienwettbewerbs und des Staatstätigkeitspro-fils.

Als eine Demokratie ohne Ecken und Kanten, oder gar eine “durch-schnittliche” Demokratie, ist die Zweite Republik in gegenwärtiger Ver-fassung freilich keineswegs aufzufassen. Einige ihrer hervorstechendenMerkmale beschreiben weiterhin internationale Höchstmarken: So etwadie Parteimitgliederdichte (van Biezen et al. 2012) und das Ausmaß kor-poratistischer – im österreichischen Jargon „sozialpartnerschaftlicher“ –Politikkonzertierung (Siaroff 1999; Woldendorp 2011). Auch in groß an-gelegten vergleichenden Studien über Ausmaß, Muster und Motive partei-

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politischer Patronage nimmt Österreich (weiterhin) einen besonderen Platzein (Kopecky et al.). Ein beträchtliches Maß an Kontinuität kennzeichnetschließlich auch die Verortung des Landes auf Ebene des vorherrschendenDemokratietyps: In der Rückschau ging die schwarz-blaue „Wenderegie-rung“ der frühen 2000er Jahre als wettbewerbsdemokratisches Intermezzoin die Geschichte des Landes ein. Seither steht die österreichische Demo-kratie erneut mit anderthalb Beinen im konsensdemokratischen Lager: Aufdas Ende der Kanzlerschaft Wolfgang Schüssels (ÖVP) folgten eine Re-Etablierung Großer Koalitionen unter sozialdemokratischer Führung und –begünstigt durch den Ausbruch der internationalen Finanzkrise im Herbst2008 – eine sozialpartnerschaftliche Renaissance.

Dabei waren die innenpolitischen Entwicklungen im Anschluss an dieNationalratswahl 1999 Ausdruck bereits vorhandener, teils langfristigerTrends in Richtung mehr Pluralismus und Konflikt gewesen – die „Wen-de“ wirkte lediglich verstärkend (Wineroither 2016). Eine Eigenheit derjüngeren und gegenwärtigen Demokratiepraxis in Österreich verbirgt sichdaher vielmehr im demokratiepolitisch reibungslosen Changieren zwi-schen Phasen mehrheitsdemokratischen Experimentierens und eindeutigkonsensdemokratischer Praxis; eine Manövrierfähigkeit, die sich demFortbestand einer bereits legendären Kluft zwischen Nominal- und Real-verfassung des politischen Systems verdankt.

Zur relativen Stabilität der österreichischen Demokratie – im Gegensatzetwa zur Implosion des Parteienstaates in Italien in den frühen 1990er Jah-ren – trugen ferner eine Reihe von Änderungen am institutionellen Unter-bau bei. Diese schrittweise umgesetzten politischen Reformen standenvollkommen im Einklang mit der Stoßrichtung einer Reaktion auf geän-derte demokratische Umweltbedingungen, wie sie in vielen anderen west-europäischen Ländern erfolgte: vielfältige, wenngleich zaghafte Schritte inRichtung einer Personalisierung des Wahlrechts ebenso wie eine kumulati-ve, jedoch insgesamt nur moderate Stärkung direktdemokratischer Verfah-ren (für eine kritische Analyse und Diskussion der Vor- und Nachteile ei-nes Ausbaus der direkten Demokratie im österreichischen Kontext sieheÖhlinger/Poier 2015).

Zum Anspruch und zur Anlage dieses Bandes

Dieser Band versucht, das Beste unterschiedlicher Zugänge zum Studiumder österreichischen Demokratie zu verbinden. Die nachfolgenden 18 Ka-

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pitel eint der Anspruch, eine breite vergleichende Perspektive auf dieösterreichische Demokratie zu entwickeln, in der Österreich gleichwohlmehr ist als lediglich ein gleichberechtigter Fall neben anderen. In den ter-minologischen Kategorien der internationalen Komparatistik gefasst, han-delt es sich bei dem hier gewählten Zugang um eine Form des „asymme-trischen Vergleichs“ (vgl. Kocka 1999), in dessen Zuge gezielt von Öster-reich aus bzw. auf Österreich bezogen analysiert und argumentiert wird.Gemessen an zwei prominenteren Ansätzen vergleichender Forschung –die auf die Kreation von Thesen und vor allem die empirische Überprü-fung von Thesen durch den systematischen Vergleich zielen – ist der stär-ker asymmetrisch ausgelegte Vergleich von einem deutlich bescheidenerenAnspruch getragen. Gleichwohl ist der asymmetrische kein „zweitklassi-ger“ Vergleich, sondern ein Zugang, der spezifische Erkenntnisinteressenbesser zu bedienen vermag als andere Zugänge. Dass diese Herangehens-weise keine Erfindung der beiden Herausgeber dieses Bandes ist, und einoffensichtlicher Bedarf an Werken wie diesem besteht, zeigt auch der Um-stand, dass mittlerweile für eine ganze Reihe der konsolidierten liberalenDemokratien ähnliche Arbeiten vorgelegt wurden (vgl. etwa Fabbrini1998; Wilson 1998; Helms 2007).

Den Herausgebern ging es ferner darum, ein Zeichen auch mit Blick aufdie Zusammensetzung der Autorenschaft zu setzen. Wie von einem Bandwie diesem erwartet werden kann, kommen in ihm viele der führenden ös-terreichischen Demokratieexperten zu Wort. Zu den Autorinnen und Auto-ren dieses Bandes gehören jedoch auch österreichische Gelehrte, die seitvielen Jahren außerhalb Österreichs wirken und dadurch zusätzliche Per-spektiven einbringen sowie international führende nicht-österreichischeVertreter der politikwissenschaftlichen Komparatistik aus unterschiedli-chen Ländern wie Deutschland, der Schweiz und den Vereinigten Staaten.

Der Charakter der Studie ist im Kern ein politikwissenschaftlicher, al-lerdings durchsetzt mit wichtigen Akzenten aus den Nachbarwissenschaf-ten wie insbesondere der Geschichte und der Rechtwissenschaft. Wenigeder in diesem Band versammelten Autorinnen und Autoren sollten etwasdagegen haben, sich als Vertreter einer politikwissenschaftlich angeleite-ten Demokratiewissenschaft bezeichnen zu lassen. Das gilt jedenfallsdann, wenn darunter nicht, wie in der frühen Nachkriegszeit üblich, einePolitikwissenschaft verstanden wird, deren vornehmste Rolle darin be-steht, der Gesellschaft in erzieherischer Absicht eine politische Allgemein-bildung zukommen zu lassen. Zeitgemäße Verständnisse von Demokratie-wissenschaft betonen dagegen deren Charakter als eine fachwissenschaft-

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lich anspruchsvolle Beschäftigung mit Fragen der Demokratie, die durcheine Reihe weiterer Merkmale bestimmt ist, darunter insbesondere „einenormative Pro-Einstellung zur Demokratie“ und „das Bewusstsein einerreflexiven Beziehung von Politikwissenschaft und Demokratie“ (Niesen2007: 141, 151).

Der Band gliedert sich im Weiteren in drei große Teile. Der erste Teilbetrachtet die historischen Grundlagen der österreichischen Demokratieder Gegenwart und entwickelt und diskutiert in Auseinandersetzung mitdem österreichischen Fall unterschiedliche theoretische Perspektiven. Derzweite Teil ist in klassischer Manier der Analyse der zentralen Strukturendes politischen Systems, der in ihm ablaufenden politischen Prozesse so-wie dem Profil der Staatstätigkeit gewidmet. Der dritte und letzte Teil desBandes wendet sich neuen Herausforderungen und der Frage nach dermöglichen Zukunft der österreichischen Demokratie zu.

Zu Beginn des ersten Teils würdigt Helmut Reinalter den langen undsteinigen Weg Österreichs zur Demokratie mit einem Schwerpunkt auf dergeistesgeschichtlichen Rezeption demokratiebezogenen Gedankenguts seitder Aufklärung. Stärker auf die tatsächliche Demokratiegeschichte Öster-reichs ab Beginn des 20. Jahrhunderts hebt der daran anschließende Bei-trag von Oliver Rathkolb ab. Speziell der Analyse der Eigentümlichkeitender österreichischen Verfassung einschließlich der vorherrschenden Ver-fassungskultur und des Verfassungsverständnisses ist das Kapitel vonTheo Öhlinger gewidmet. Im Anschluss daran bieten Gary Schaal undOliver W. Lembcke einen groß angelegten Überblick über einige der wich-tigsten Strömungen und Perspektiven der Demokratietheorie der Gegen-wart mit Bezug zu den jüngeren politischen Entwicklungen in der ZweitenRepublik. Den ersten Teil des Bandes beschließt Birgit Sauer mit einervergleichend orientierten Bestandsaufnahme der österreichischen Demo-kratie aus Sicht der geschlechterkritischen Staats- und Demokratietheorie.

Den zweiten Teil der Studie eröffnen Ludger Helms und David M. Wi-neroither mit einer vergleichenden Analyse des Herzstücks des Regie-rungssystems: der gouvernmentalen Arena mit seinen zentralen institutio-nellen Akteuren Nationalrat, Bundesregierung und Bundespräsident. An-schließend wendet sich Peter Bußjäger der territorialen Dimension desRegierungssystems zu. Es folgen drei Beiträge zu den Akteuren des „inter-mediären Systems“: Am Beginn steht ein Beitrag von David M. Wineroit-her und Herbert Kitschelt, in dem es um die komparative Analyse der Ent-wicklung des österreichischen Parteienwettbewerbs im internationalenKontext geht. Klaus Armingeon beleuchtet daraufhin die internationalen

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Gemeinsamkeiten und österreichischen Besonderheiten auf der Ebene derInteressengruppen und in der Interessenvermittlung. Schließlich entwi-ckeln Fritz Plasser und Günther Pallaver eine empirisch vergleichendePerspektive auf die österreichischen Medien einschließlich der Strukturenpolitischer Kommunikation. Die beiden nächsten Beiträge sind der politi-schen Kultur und der Demokratiequalität gewidmet: Zunächst analysierenund vergleichen Fritz Plasser und Gilg Seeber die politische Kultur unddas Demokratiebewusstsein der Österreicher; anschließend diskutiert Da-vid F.J. Campbell die Demokratiequalität des österreichischen politischenSystems anhand unterschiedlicher Kriterien der Demokratiemessung. DenSchlussstein dieses Teils der Studie setzt Herbert Obinger mit einer aus-greifenden international vergleichenden Analyse des Staatstätigkeitsprofilsder Zweiten Republik.

Am Beginn des dritten und letzten Hauptteils über die jüngeren Heraus-forderungen und die Zukunft der österreichischen Demokratie steht einVergleich der Europäisierung der demokratischen Institutionen Österreichsaus der Feder von Johannes Pollak und Sonja Puntscher Riekmann. ImAnschluss daran beleuchtet Reinhard Heinisch die im internationalen Ver-gleich auffallenden Spezifika der österreichischen Demokratiekritik inVerbindung mit der Herausforderung des (Rechts-)Populismus. SieglindeRosenberger fragt in ihrem Beitrag nach den politischen, sozialen und reli-giösen Rechten von in der Zweiten Republik ansässigen „Wohnbürgern“ohne österreichische Staatsbürgerschaft und stößt dabei auf eine Reihegravierender Defizite. Anschließend diskutiert Wolfgang Sander, wiede-rum aus vergleichender Perspektive, die Aufgaben und Probleme politi-scher Bildung in Österreich. Der Schlussbeitrag des Bandes stammt vonAnton Pelinka, der in einem großen Aufriss die demokratiepolitische Re-formagenda Österreichs beleuchtet und im Zuge dessen zu einer äußerstkritischen Einschätzung des Verhältnisses von Reformerfordernissen ei-nerseits und Reformfähigkeit bzw. -bereitschaft des Systems andererseitsgelangt.

Kein einzelner Band könnte den Anspruch erheben, der Komplexitätder Demokratie mit ihren zahllosen Herausforderungen auch nur annä-hernd vollständig gerecht zu werden. Das gilt selbst für eine Studie überein Land überschaubarer Größe wie Österreich. Gleichwohl zielt das Werkdarauf, die wesentlichen Komponenten zu einem Sittengemälde der öster-reichischen Demokratie zu liefern. Darüber hinaus ist es die Hoffnung derAutorinnen und Autoren, durch ihre Analysen eine Reihe von Anstößenzur weiteren – sei es primär politischen, sei es primär wissenschaftlichen –

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Auseinandersetzung mit Fragen der Demokratie in Österreich und anders-wo geben zu können.

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