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Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei besonderer persönlicher Betroffenheit Ein Vergleich der Rechtslage bei Jugendlichen, jungen Erwachsenen und Erwachsenen Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Magistra der Rechtswissenschaften im Diplomstudium der Rechtswissenschaften Eingereicht von: Katharina Wenzel Angefertigt am: Institut für Strafrechtswissenschaften Beurteiler: Univ.-Prof. Dr. Alois Birklbauer November 2015

Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

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Page 1: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei besonderer persönlicher

Betroffenheit

Ein Vergleich der Rechtslage bei Jugendlichen, jungen Erwachsenen und Erwachsenen

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades

Magistra der Rechtswissenschaften

im Diplomstudium

der Rechtswissenschaften

Eingereicht von:

Katharina Wenzel

Angefertigt am:

Institut für Strafrechtswissenschaften Beurteiler:

Univ.-Prof. Dr. Alois Birklbauer

November 2015

Page 2: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | I

Eidesstattliche Erklärung

Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne

fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt

bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht

habe.

Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument

identisch.

Sprachliche Gleichbehandlung

Werden Personenbezeichnungen aus Gründen der besseren Lesbarkeit lediglich in der

männlichen oder weiblichen Form verwendet, so schließt dies das jeweils andere

Geschlecht mit ein.

Wien, November 2015 Katharina Wenzel

Page 3: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | II

INH ALTSVERZEICHNI S

Eidesstattliche Erklärung ................................................................................................ I

Abkürzungsverzeichnis ................................................................................................. VI

Einleitung ........................................................................................................................ 1

1 Vorstellung der einzelnen Sachverhalte ................................................................ 4

1.1 Jugendlicher ....................................................................................................... 4

1.2 Junger Erwachsener ........................................................................................... 4

1.3 Erwachsener ....................................................................................................... 5

2 Differenzierung und Erläuterung der Altersgrenzen ............................................. 6

2.1 Unmündiger ........................................................................................................ 6

2.2 Jugendlicher ....................................................................................................... 6

2.3 Junger Erwachsener ........................................................................................... 6

2.4 Erwachsener ....................................................................................................... 7

3 Generelle Strafbarkeit .............................................................................................. 8

3.1 Fahrlässigkeit ..................................................................................................... 8

3.2 Aufbau des Fahrlässigkeitsdelikts ....................................................................... 8

3.2.1 Objektiver Tatbestand - Fahrlässigkeitsdelikt ............................................... 8

3.2.2 Subjektiver Tatbestand ................................................................................ 9

3.3 § 80 Fahrlässige Tötung ..................................................................................... 9

3.3.1 Tatbestand .................................................................................................10

3.3.2 Abgrenzung zu § 81 StGB ..........................................................................10

3.3.3 Strafrahmen des § 80 StGB ........................................................................11

Page 4: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | III

3.4 Erwachsenenstrafrecht ......................................................................................11

3.4.1 Gerichtszuständigkeit .................................................................................11

3.5 Junge Erwachsene ............................................................................................11

3.5.1 Besondere Strafzumessungen bei jungen Erwachsenen ............................12

3.5.1.1 Herabsetzung der Strafdrohungen § 36 StGB .....................................12

3.5.2 Gerichtszuständigkeit .................................................................................12

3.6 Jugendliche .......................................................................................................13

3.6.1 Besondere Strafzumessungen bei Jugendlichen ........................................13

3.6.2 Gerichtszuständigkeit .................................................................................14

3.7 Präventionsgedanke ..........................................................................................15

3.7.1 Absolute Straftheorie ..................................................................................16

3.7.2 Relative Straftheorie ...................................................................................16

3.7.2.1 Spezialprävention ................................................................................16

3.7.2.2 Generalprävention ...............................................................................16

3.8 Persönliche Betroffenheit ...................................................................................17

3.9 Täterbetroffenheit ..............................................................................................18

4 Erledigungsvarianten – alternative Erledigung ....................................................20

4.1 Diversion – im allgemeinen Strafrecht................................................................20

4.1.1 Definition ....................................................................................................20

4.1.2 Voraussetzungen der intervenierenden Diversion § 198 ff StPO.................21

4.1.3 Arten der intervenierenden Diversion ..........................................................22

4.1.3.1 Zahlung eines Geldbetrages – § 200 StPO ..........................................22

4.1.3.2 Die Erbringung gemeinnütziger Leistungen – § 201 StPO ...................23

4.1.3.3 Bestimmung einer Probezeit – § 203 StPO ..........................................23

Page 5: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | IV

4.1.3.4 Tatausgleich – § 204 StPO ..................................................................24

4.1.4 Ausschluss der Diversion............................................................................25

4.2 Nicht intervenierende Diversion .........................................................................25

4.2.1 Einstellung wegen Geringfügigkeit – § 191 StPO ........................................25

4.3 Diversion bei jungen Erwachsenen ....................................................................26

4.3.1 intervenierende Diversion bei jungen Erwachsenen ...................................27

4.3.2 schlichte Diversion bei jungen Erwachsenen ..............................................27

4.4 Diversion im Jugendstrafrecht ...........................................................................27

4.4.1 intervenierende Diversion bei Jugendlichen ................................................27

4.4.2 Abweichungen der intervenierenden Diversion im Jugendstrafrecht ...........28

4.4.2.1 Keine schwere Schuld .........................................................................28

4.4.2.2 Primat der Spezialprävention ...............................................................28

4.4.2.3 Todesfolge ...........................................................................................28

4.4.2.4 Arten der intervenierenden Diversion – Besonderheiten ......................30

4.4.3 schlichte Diversion bei Jugendlichen ..........................................................30

4.4.4 Nebenfolgen der Diversion – Unterschied zur Verurteilung .........................31

5 Strafzumessung ......................................................................................................32

5.1 Erwachsene und junge Erwachsene ..................................................................32

5.1.1 Verhängung einer Geldstrafe anstelle einer Haftstrafe ................................33

5.1.2 Bedingte Strafnachsicht ..............................................................................34

5.1.3 Teilbedingte Strafnachsicht .........................................................................34

5.2 Jugendliche .......................................................................................................35

5.2.1 Schuldspruch ohne Strafe – § 12 JGG........................................................35

5.2.2 Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe – § 13 JGG .................................35

Page 6: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | V

6 Änderungen im Strafrecht mit 1.1.2016 .................................................................37

6.1 Gesetzesnovelle StGB von 2015 – Änderungen ................................................37

6.1.1 Fahrlässigkeit neu ......................................................................................37

6.1.2 § 80 StGB neu – Fahrlässige Tötung ..........................................................37

6.1.3 § 81 StGB neu – Grob fahrlässige Tötung ..................................................38

6.1.4 Diversion neu..............................................................................................39

6.2 Gesetzesnovelle Jugendstrafrecht .....................................................................39

7 Subsumtion der einzelnen Fälle nach aktueller Rechtslage ................................41

7.1 Jugendlicher ......................................................................................................41

7.1.1 Tatbestand .................................................................................................41

7.1.2 Erledigung ..................................................................................................42

7.2 Junger Erwachsener ..........................................................................................43

7.2.1 Tatbestand .................................................................................................43

7.2.2 Erledigung ..................................................................................................43

7.3 Erwachsener ......................................................................................................45

7.3.1 Tatbestand .................................................................................................45

7.3.2 Erledigung ..................................................................................................45

8 Subsumtion der einzelnen Fälle nach künftiger Rechtslage ...............................47

8.1 Jugendlicher ......................................................................................................47

8.2 Junger Erwachsener ..........................................................................................47

8.3 Erwachsener ......................................................................................................48

9 Zusammenfassung .................................................................................................49

Literaturverzeichnis ....................................................................................................... IX

Page 7: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | VI

Abkürzungsverzeichnis

Abs Absatz

aE am Ende

AnwBl Anwaltsblatt

ao außerordentliche

APA Austria Presse Agentur

AT Allgemeiner Teil

BG Bezirksgericht

BGBl Bundesgesetzblatt

BlgNR Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrats

BT Besonderer Teil

bzw beziehungsweise

dh das heißt

e contr e contrario

E Ergänzungseinheit (zu Kienapfel Strafrecht AT14

)

ER Einzelrichter

Erl Erläuterungen

ErlRV Erläuterungen zur Regierungsvorlage

etc et cetera

f folgend

ff fortfolgend

FS Freiheitsstrafe

FS Jesionek Festschrift für Udo Jesionek zum 65. Geburtstag

gem gemäß

GP Gesetzgebungsperiode

GS Geldstrafe

Page 8: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | VII

hA herrschende Ansicht

hL herrschende Lehre

hM herrschende Meinung

Hrsg Herausgeber

HS Halbsatz

idF in der Fassung

idR in der Regel

ieS im engeren Sinne

iHv in Höhe von

iSd im Sinne des

iSe im Sinne einer

iSv im Sinne von

iVm in Verbindung mit

iwS im weiteren Sinne

JAP Juristische Ausbildung und Praxisvorbereitung

JBl Juristische Blätter

JGG Jugendgerichtsgesetz

JN Jurisdiktionsnorm

JSt Journal für Strafrecht

Jud Judikatur

LG Landesgericht

lit litera

mE meines Erachtens

ME Ministerialentwurf

mwN mit weiteren Nachweisen

nF neue Fassung

NR Nationalrat

Page 9: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | VIII

oa oben angeführt

OGH Oberster Gerichtshof

ÖJZ Österreichische Juristen-Zeitung

OÖ Oberösterreich, oberösterreichische

RIS Rechtsinformationssystem

RS Rechtssatz

Rsp Rechtsprechung

RV Regierungsvorlage

RZ Österreichische Richterzeitung

Rz Randziffer

SbgK Salzburger Kommentar

StA Staatsanwalt, Staatsanwaltschaft

StGB Strafgesetzbuch

StPO Strafprozessordnung

StRÄG Strafrechtsänderungsgesetz

TilgG Tilgungsgesetz aus 1972

TS Tagessatz

ua unter anderem

va vor allem

vgl vergleiche

Vor Vorbemerkungen

WK StPO Wiener Kommentar zur StPO

WK2 (StGB) Wiener Kommentar zum StGB und Nebengesetzten in der 2. Auflage

Z Ziffer

zB zum Beispiel

ZVR Zeitschrift für Verkehrsrecht

Page 10: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 1

Einleitung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit strafrechtlichen Reaktionsmöglichkeiten auf

fahrlässige Tötung bei gleichzeitiger besonderer persönlicher Betroffenheit. Es handelt

sich in den nachstehenden Fällen um persönliche Betroffenheit, die durch fahrlässige

Tötung eines nahen Angehörigen bewirkt wurde und beim Verursacher eine schwere

psychische Betroffenheit ausgelöst hat. Die Arbeit stellt einen Vergleich der

strafrechtlichen Erledigung bei Jugendlichen, jungen Erwachsenen und Erwachsenen an.

Es soll aufgezeigt werden, dass die strafrechtlichen Möglichkeiten, die das Gesetz bietet,

sehr stark an starre Altersgrenzen des Täters gekoppelt sind. Es stellt sich die Frage, ob

das im Falle schwerer persönlicher Betroffenheit aus general- und spezialpräventiven

Gründen geboten scheint.

Für die Arbeit werden drei verschiedene Sachverhalte herangezogen, wovon einer

lediglich beim Alter des Täters abgewandelt wurde, sodass er nicht nur auf Jugendliche,

sondern auch auf junge Erwachsene anwendbar ist. Sämtliche Fälle erfassen den

Straßenverkehr, wobei das Opfer jeweils ein naher Angehöriger war.

Der Fokus ist stets auf die besondere persönliche Betroffenheit der drei Täter gerichtet,

die für jeden Einzelnen gleich belastend ist, da alle drei mit den gleichen dramatischen

psychischen Folgen, den Verlust eines Angehörigen verschuldet zu haben, zu kämpfen

und zu leben haben.

Die Arbeit gliedert sich im Wesentlichen in fünf große Teile, in denen jeweils zwischen

den einzelnen Altersgruppen unterschieden wird. Einleitend werden die drei-, der Arbeit

zugrundeliegenden Sachverhalte geschildert. Der erste Teil behandelt die Differenzierung

und Erläuterung der jeweiligen Altersgrenzen.

Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit der generellen Strafbarkeit der fahrlässigen

Tötung nach § 80 StGB. Dabei wird ua näher auf die Fahrlässigkeit an sich eingegangen,

was sie ist und in welchen Fällen sie strafbar ist. Es wird eine Abgrenzung zur

fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen vorgenommen und die

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Seite | 2

jeweilige Strafdrohung nach den unterschiedlichen Altersgruppen der Täter ermittelt und

die Gerichtszuständigkeit erörtert.

In diesem Zusammenhang wird auch die Prävention an sich behandelt. Es werden die

einzelnen Straftheorien vorgestellt und die Strafzwecke erläutert. Anhand der

verschiedenen Altersstufen werden die unterschiedlichen Präventionsgedanken

differenziert.

Insbesondere fließen in diesem Teil auch allgemeine Erläuterungen zu den besonderen

Milderungsgründen, für Jugendliche und junge Erwachsene, die auf Grund des geringen

Alters gewährt werden können, mit ein. Danach wird auf die speziellen Regelungen im

Jugendgerichtsgesetz Bezug genommen und die Besonderheiten des JGG bei

persönlicher Betroffenheit erläutert.

Im dritten Teil beschäftigt sich die Arbeit mit den alternativen Erledigungsvarianten, die

das Strafrecht bietet. Es ist an Hand der verschiedenen Altersgrenzen zu differenzieren,

ob eine alternative Erledigung überhaupt in Betracht gezogen werden kann, da das

Gesetz in diesem Punkt wenig Ermessen zulässt. Das österreichische Strafrecht bietet bei

Jugendlichen, anders als bei Erwachsenen und jungen Erwachsenen, die Möglichkeit

eines Rücktritts von der Strafverfolgung im Rahmen eines Diversionsangebots, selbst

wenn die Tat den Tod eines Menschen zur Folge hat. In diesem Zusammenhang werden

die Bestimmungen des JGG näher betrachtet.

Zuerst werden die einzelnen Möglichkeiten der strafrechtlichen Erledigung vorgestellt wie

zB Einstellung wegen Geringfügigkeit oder Diversion. Dabei wird besonderes Augenmerk

auf die Diversion gelegt. Hiebei werden die allgemeinen Diversionsbestimmungen aus der

StPO, betreffend die Altersstufen der Erwachsenen und jungen Erwachsenen, den

privilegierenden Normen der Jugendlichen gegenübergestellt. In diesem Zusammenhang

wird auch die persönliche Betroffenheit, die bis dato nur im JGG eine Rolle spielt, näher

erörtert. Abschließend wird noch auf die Vorteile einer diversionellen Erledigung

gegenüber einer Verurteilung und deren Nebenfolgen eingegangen.

Der vierte Teil beschäftigt sich mit der Strafzumessung. Er zeigt auf, welche Möglichkeiten

der Strafverhängung es gibt, wenn eine Diversion nicht durchführbar ist. Zunächst wird die

Strafzumessung der Erwachsenen und jungen Erwachsenen erläutert und auf die

bedingte bzw teilbedingte Strafnachsicht genauer eingegangen. Desweiteren werden die

Page 12: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 3

privilegierenden Sanktionsmöglichkeiten des Jugendstrafrechts, der Schuldspruch ohne

Strafe und der Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe behandelt.

Im fünften großen Teil der Arbeit wird auf die künftigen Änderungen im Strafrecht

eingegangen, die mit 1.1.2016 in Kraft treten sollen. Einerseits auf die bereits

beschlossene und kundgemachte Novelle des Strafgesetzbuchs BGBl I 112/2015 und

andererseits auf die derzeit im Begutachtungsverfahren befindliche Novelle des

Jugendgerichtsgesetzes, wo aktuell nur ein Ministerialentwurf 148/ME XXV.GP im

Nationalrat aufliegt.

Abschließend werden die einzelnen, anfangs vorgestellten Sachverhalte sowohl nach

aktueller Rechtslage als auch nach künftiger Rechtslage betrachtet, um die Unterschiede

der strafrechtlichen Reaktionen in Bezug auf die Altersgrenzen besser aufzeigen zu

können. So werden die Verbesserungen va für junge Erwachsene, die sowohl das

StRÄG 2015 als auch die JGG Novelle mit sich bringen, verdeutlicht.

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Seite | 4

1 Vorstellung der einzelnen Sachverhalte

Der Arbeit liegen drei Fälle zu Grunde, die allesamt nach § 80 StGB als fahrlässige

Tötung zu werten sind. Sie unterscheiden sich nur im Alter der Täter. Hinzu kommt, dass

das Opfer jeweils ein naher Angehöriger des Täters ist. Die besondere persönliche

Betroffenheit jedes einzelnen Täters ist zweifelsfrei zu bejahen. Die Arbeit soll in der

Folge aufzeigen, welche unterschiedlichen Strafzumessungen bzw Erledigungsvarianten

es für die verschiedenen Altersstufen im Strafgesetzbuch bzw im Jugendgerichtsgesetz

gibt.

1.1 Jugendlicher

Ein 17-jähriger L17-Ausbildungsfahrer macht mit seinem Vater im Herbst 2013 in

Oberösterreich im Rahmen seiner Führerscheinausbildung eine Übungsfahrt, bei der es

auf der Westautobahn zu einem Unfall kommt. Der Jugendliche ist von der linken

Fahrspur plötzlich auf die Innenfahrbahn geraten und ist einem dort fahrenden

Sattelschlepper mit Anhänger auf der linken hinteren Seite aufgefahren. Durch den

Aufprall wurde sein am Beifahrersitz sitzender Vater getötet.

Ein gerichtlich beeideter Sachverständiger konnte einen Defekt am Fahrzeug

ausschließen. Laut Gutachten war ein Fahrfehler der Auslöser. Die StA wirft dem

Jugendlichen vor, die im Straßenverkehr gebotene Aufmerksamkeit und Sorgfalt außer

Acht gelassen zu haben und durch den Spurwechsel eine Kollision mit dem

Sattelanhänger verursacht zu haben. In weiterer Folge musste der 17 Jährige, der mit

seinem Vater ein gutes Einvernehmen hatte, psychologische Hilfe in Anspruch nehmen1.

1.2 Junger Erwachsener

Um die Strafbarkeit der jungen Erwachsenen näher zu erläutern wurde der oben

angeführte Fall des Jugendlichen dahingehend abgewandelt, dass der Lenker im

Tatzeitpunkt mittlerweile 18 Jahre alt war und nunmehr als junger Erwachsener zu

beurteilen ist. Ein durch einen Fahrfehler verursachter Verkehrsunfall hat zum Tod des

Vaters des 18-jährigen Lenkers geführt. Ein Defekt am Fahrzeug kann ausgeschlossen

werden. Der Fahranfänger ist von seiner Fahrspur abgekommen und einem

Sattelanhänger in der hinteren linken Seite aufgefahren, wodurch der Vater des jungen

Erwachsenen getötet wurde. Der junge Erwachsene, der mit seinem Vater ein gutes

Einvernehmen hatte, musste daraufhin psychologisch betreut werden.

1 Krieglsteiner, OÖ Nachrichten Onlineausgabe vom 17. Nov. 2013.

Page 14: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 5

1.3 Erwachsener

Eine 33-jährige Mutter hat im Frühjahr 2015 ihr Kleinkind im Kinderwagen am Bahnsteig

abgestellt und ist ins Untergeschoß gefahren, um Tickets zu kaufen. Der Bahnsteig war

zu den Gleisen hin leicht abschüssig. Während die Mutter im Untergeschoß war, hat ein

Güterzug den Bahnhof zügig passiert. Der Kinderwagen hat sich in Bewegung gesetzt

und ist auf die Gleise gerollt. Das Kleinkind wurde vom durchfahrenden Zug erfasst und

erlitt tödliche Verletzungen. Die Mutter musste von einem Kriseninterventionsteam betreut

werden2.

Alle drei oben geschilderten Sachverhalte haben gemein, dass der einzelne Beschuldigte,

durch den Tod eines Angehörigen schwer persönlich betroffen ist. Jeder Einzelne stand

nach der Tat unter Schock und musste psychologisch Betreut werden. In der Folge soll

aufgezeigt werden, dass das Strafrecht unterschiedliche Erledigungsmöglichkeiten für die

verschiedenen Altersstufen bietet.

Es wird in weiterer Folge auf die spezial- und generalpräventive Notwendigkeit einer

Bestrafung solcher Fahrlässigkeitsdelikte mit schwerer persönlicher Betroffenheit

eingegangen und diskutiert, ob ein Festhalten an starren Altersgrenzen, gerade bei solch

dramatischen Fällen, geboten erscheint.

2 APA, Presse Onlineausgabe vom 08. Apr. 2015.

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Seite | 6

2 Differenzierung und Erläuterung der Altersgrenzen

2.1 Unmündiger

Ein Unmündiger iSd Jugendgerichtsgesetz ist per Legaldefinition des § 1 JGG ein

Mensch, der das vierzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Strafrechtliche Vergehen

eines Unmündigen bleiben straflos3.

2.2 Jugendlicher

Jugendliche sind Personen, die zwar die Mündigkeitsgrenze bereits überschritten haben

und daher prinzipiell, wenn auch nur unter den Einschränkungen des JGG, strafbar sind,

aber das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (§ 1 Z 2 JGG). Ab dem Folgetag des

14. Geburtstags beginnt die Strafmündigkeit. Dies entspricht auch der Legaldefinition des

§ 74 Abs 1 Z 3 StGB. Eine Schuldunfähigkeit und daraus resultierende Strafunmündigkeit

jugendlicher Straftäter kann sich nur in Ausnahmefällen und nur auf Grund verzögerter

Reife gem § 4 Abs 2 Z 1 JGG ergeben4.

Als Jugendstraftat bezeichnet man eine mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung, die

von einem Jugendlichen begangen wurde (§ 1 Z 3 JGG).

2.3 Junger Erwachsener

Nach Vollendung des 18. Lebensjahres beginnt im Strafrecht die Phase des jungen

Erwachsenen. Das sind Personen, die das 18. Lebensjahr bereits vollendet haben bis hin

zur Vollendung des 21. Lebensjahres. Der Gesetzgeber hat erkannt, dass Straftaten

junger Menschen sehr häufig entwicklungsbedingt begangen werden und ein Ausdruck

der „Adoleszenzkrise“ sind5. Er hat für junge Straftäter eine Zwischenstufe zwischen

Jugendlichen und Erwachsenen geschaffen, da nach Überwindung der Adoleszenzkrise

die Straftatneigung meist von selbst abnimmt. Aus diesem Grund steht der

Erziehungsgedanke bei der Strafbarkeit junger Erwachsener im Vordergrund, mit dem

Ziel, den jungen Straftäter wieder voll in die Gesellschaft zu integrieren.

In diesem Lebensabschnitt kommt den jungen Erwachsenen, bei strafrechtlichen

Vergehen, der Strafmilderungsgrund des geringen Alters (§ 34 Abs 1 Z 1 StGB) zugute

und es gelten die reduzierten Strafrahmen des § 36 StGB.

3 Schroll in WK

2, § 1 JGG Rz 7.

4 Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT

14, Z 16, Rz 5.

5 Fuchs, in FS Jesionek, 77.

Page 16: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 7

2.4 Erwachsener

Erwachsene sind nach dem Strafgesetzbuch all jene Personen, die bereits das 21.

Lebensjahr vollendet haben und somit nicht mehr als junge Erwachsene einzustufen sind.

Die Strafrahmen im Besonderen Teil des Strafgesetzbuches sind auf Taten Erwachsener

zugeschnitten, sie stellen die Norm dar.

Falls nicht ein geänderter Strafrahmen (§ 36 StGB) für junge Erwachsene anwendbar ist,

gelten grundsätzlich die Strafrahmen Erwachsener gleichfalls auch für junge Erwachsene.

In dieser Arbeit wird in der Folge immer von der Strafzumessung des Erwachsenen auf

die speziellen Strafzumessungen Jugendlicher bzw junger Erwachsener herunter

gebrochen.

Page 17: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 8

3 Generelle Strafbarkeit

3.1 Fahrlässigkeit

Fahrlässiges Handeln ist gem § 7 Abs 1 StGB e contr nur dann strafbar, wenn das Gesetz

einen eigenen Tatbestand vorsieht, der fahrlässiges Handeln ausdrücklich sanktioniert.

Dies hat der Gesetzgeber für fahrlässige Tötung in § 80 StGB getan. Die Fahrlässigkeit

an sich wird in § 6 StGB näher ausgeführt und ist demnach die „Außer-Acht-Lassung“ der

gebotenen Sorgfalt – unerheblich, ob es sich dabei um bewusste (Abs 2) oder

unbewusste (Abs 1) Fahrlässigkeit handelt – zu der man nach den Umständen verpflichtet

und nach den geistigen und körperlichen Verhältnissen befähigt wäre. Die Einhaltung der

gebotenen Sorgfalt müsste im Tatzeitpunkt zumutbar gewesen sein. Die „Außer-Acht-

Lassung“ der gebotenen Sorgfalt muss dazu führen, dass man nicht erkennt, dass man

einen Sachverhalt verwirklichen könne, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht.

3.2 Aufbau des Fahrlässigkeitsdelikts

Der strafrechtliche Fahrlässigkeitsbegriff setzt sich aus der objektiven Sorgfaltswidrigkeit

der Handlung, der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit der Handlung, der objektiven

Voraussehbarkeit des Erfolgs und der subjektiven Voraussehbarkeit des Erfolgs

zusammen6.

3.2.1 Objektiver Tatbestand - Fahrlässigkeitsdelikt

Die objektive Sorgfaltswidrigkeit der Handlung zielt auf die in § 6 umschriebene

„Außer-Acht-Lassung“ der Sorgfalt ab und kann durch Verletzung von Rechtsnormen oder

Verkehrsnormen erwirkt werden oder subsidiär durch den Vergleich mit dem Verhalten

einer differenzierten Maßfigur7. Das Ganze ist aus einer ex-ante Betrachtung zu

beurteilen. Abzustellen ist auf einen einsichtigen und besonnenen Menschen aus dem

Verkehrskreis des Täters, ausgestattet mit dessen Sonderwissen, in der konkreten

Situation8. Wenn dieser „Maßmensch“ aus dem Verkehrskreis des Täters, in der gleichen

Situation anders gehandelt hätte, ist dem Täter die Sorgfaltswidrigkeit objektiv

vorzuwerfen.

Die objektive Zurechnung des Erfolges setzt bei den Fahrlässigkeitsdelikten den

Adäquanzzusammenhang und den Risikozusammenhang voraus9. Sie dient als Korrektiv

ausufernder Anwendungsfälle. Es wird die objektive Vorhersehbarkeit des Erfolges

betrachtet.

6 Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT

14, Z 25, Rz 6.

7 Reitmaier, Die objektive Erfolgszurechnung im österreichischen Strafrecht, 45.

8 Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT

14, Z 25, Rz 9.

9 Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT

14, Z 27, Rz 1.

Page 18: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 9

Der Adäquanzzusammenhang wirkt als erster grober Filter und soll gänzlich atypische

Kausalverläufe ausschließen. Der Täter soll nur für jenen Erfolg haften, den ein

einsichtiger und besonnener Mensch in der Lage des Täters auch vorhersehen hätte

können – nur für Erfolge, die innerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegen. Der

Risikozusammenhang verknüpft den eingetretenen Erfolg mit dem jeweils angelasteten

Sorgfaltsverstoß. Er ist nur dann objektiv zuzurechnen, wenn sich gerade jenes Risiko

verwirklicht hat, dem die übertretene Sorgfaltsnorm entgegenwirken wollte10. Als letztes

Korrektiv ist die Risikoerhöhung gegenüber rechtmäßigem Alternativverhalten zu

prüfen. Dabei ist zu berücksichtigen, ob das rechtswidrige Verhalten, das der Täter

gesetzt hat, den Eintritt des Erfolges gegenüber einem rechtmäßigen Verhalten

zweifelsfrei erhöht hat. Dabei wird ein hypothetisches, rechtmäßiges Alternativverhalten

des Täters angenommen und seinem tatsächlichen Verhalten gegenübergestellt und

abgewogen, ob das rechtmäßige Alternativverhalten zur Vermeidung des

tatbestandsmäßigen Erfolgs geeignet gewesen wäre.

3.2.2 Subjektiver Tatbestand

Auf der subjektiven Seite des Tatbestands schaut man sich beim Fahrlässigkeitsdelikt

besonders die subjektive Erkennbarkeit des geschaffenen Risikos an. Die subjektive

Sorgfaltswidrigkeit wird idR durch die objektive indiziert. Sie entfällt, wenn dem Täter im

Tatzeitpunkt durch besondere geistige oder körperliche Verhältnisse die Einhaltung der

objektiv geschuldeten Sorgfalt, nach seinen persönlichen Verhältnissen, nicht möglich

war.

Die subjektive Zurechnung des Erfolgs setzt voraus, dass der Handelnde den

eingetretenen Erfolg und den zu ihm führenden Kausalverlauf, wenn auch nur in seinen

Grundzügen, subjektiv voraussehen konnte11. Wie bei der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit

wird auch die subjektive Vorhersehbarkeit durch die objektive indiziert. In der Praxis hat

die subjektive Vorhersehbarkeit so gut wie keine Bedeutung, da bei einem atypischen

Kausalverlauf bereits die objektive Vorhersehbarkeit entfiele12.

3.3 § 80 Fahrlässige Tötung

Die fahrlässige Tötung bildet neben den anderen Fahrlässigkeitsdelikten gegen Leib und

Leben den Kernbereich des „Verkehrsstrafrechts“. Geschütztes Rechtsgut ist demnach

die körperliche Unversehrtheit des Menschen13.

10

Burgstaller in WK2 StGB, § 6, Rz 65.

11 Burgstaller in WK

2 StGB, § 6, Rz 93.

12 Burgstaller in WK

2 StGB, § 6, Rz 98.

13 Schwab, ZVR 1992, 236.

Page 19: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 10

3.3.1 Tatbestand

Der Tatbestand des § 80 StGB setzt voraus, dass jemand anderes als der Täter

fahrlässig, durch die Vornahme einer objektiv sorgfaltswidrigen Handlung, getötet wird.

Der für § 80 StGB maßgebliche Erfolg ist der Tod eines anderen Menschen. Dieser muss

iSd Äquivalenztheorie kausal verursacht worden sein und es darf sich nicht um einen

atypischen Kausalverlauf handeln, der die Vorhersehbarkeit des Erfolgs ausschließen

würde. Maßgeblich bei Fahrlässigkeitsdelikten ist, dass dem Täter im Tatzeitpunkt

jeglicher Vorsatz fehlt14 und er bloß die gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die

den Eintritt des Erfolgs mit großer Wahrscheinlichkeit verhindert hätte.

3.3.2 Abgrenzung zu § 81 StGB

Die fahrlässige Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen (§ 81 StGB) ist formell

betrachtet ein selbstständiges Delikt, das einen gesteigerten Handlungsunwert gegenüber

§ 80 StGB aufweist. Der Erfolg ist der Gleiche wie bei der fahrlässigen Tötung – der Tod

eines anderen. § 81 normiert drei selbstständige Deliktsfälle iSv Deliktsqualifikationen15.

Z 1 sanktioniert die Begehung unter besonders gefährlichen Verhältnissen.

Abzustellen ist nach der Judikatur auf den gesteigerten Gefährlichkeitsgrad, auf eine

gesteigerte Reichweite kommt es gerade nicht an. Darunter sind sehr häufig Fälle aus

dem Straßenverkehr zu qualifizieren, aber um § 81 Abs 1 zu erfüllen bedarf es noch nicht

alleine der gefährlichen Handlung – das Autofahren an sich, – sondern das Vorliegen

besonders gefährlicher Verhältnisse, sei es auch in einer bereits an sich gefährlichen

Situation, die jedoch von der Rechtsprechung gebilligt wird. Diese besonders gefährlichen

Verhältnisse sind nach der hL dann anzunehmen, wenn ex-ante betrachtet nach der

allgemeinen Lebenserfahrung eine außergewöhnlich hohe Wahrscheinlichkeit eines

Unfalls mit tödlichem Ausgang oder schweren Verletzungen begründet wird16.

Z 2 erfasst Fälle, die der Täter im Minderrausch begeht. Ein Minderrausch ist dann

gegeben, wenn die Zurechnungsfähigkeit nicht zur Gänze ausgeschlossen werden kann.

Die Rauschtat umfasst nicht nur Taten unter Alkoholeinfluss, sondern auch Taten, die

unter Einwirkung anderer Suchtgifte oder psychotroper Stoffe iSd Suchtmittelgesetzes

verübt wurden17. Dabei ist zu unterscheiden einerseits die Versetzung in den

Minderrausch und andererseits die Begehung einer gefährlichen Handlung, die den Tod

eines Menschen zur Folge hat.

14

Birklbauer/Hilf/Tipold, Strafrecht BT I3, §80, Rz 1.

15 Kienapfel/Schroll, Strafrecht BT I

3, § 81, Rz 4.

16 Kienapfel/Schroll, Strafrecht BT I

3, § 81, Rz 10.

17 Burgstaller in WK

2 StGB, § 81, Rz 41.

Page 20: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 11

Z 3 erfasst Fälle, in denen der Täter ein gefährliches Tier, entgegen einer

Rechtsvorschrift oder eines verwaltungsbehördlichen Auftrags, hält, verwahrt oder führt

und es dadurch zu einer fahrlässigen Tötung kommt.

3.3.3 Strafrahmen des § 80 StGB

Das Strafausmaß sieht, im Falle einer fahrlässigen Tötung gem § 80 StGB, eine bis zu

einem Jahr dauernde Freiheitsstrafe vor. Das gilt gleichermaßen für Jugendliche, junge

Erwachsene und Erwachsene Straftäter. Für Strafen bis zu einem Jahr Freiheitsentzug ist

das Bezirksgericht sachlich zuständig. Eine die Eigenzuständigkeit begründende

Ausnahme gem § 30 StPO kommt für § 80 StGB nicht in Betracht, wodurch das

Bezirksgericht durch einen Einzelrichter zu entscheiden hat.

3.4 Erwachsenenstrafrecht

3.4.1 Gerichtszuständigkeit

Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 25 StPO und richtet sich primär nach dem

Ort, an dem die Tat ausgeführt wurde. Subsidiär wird, wenn der Tatort im Ausland liegt

oder nicht ermittelt werden kann, der Ort des Erfolgseintritts herangezogen, anderenfalls

ist gem § 25 Abs 2 StPO der Wohnsitz des Beschuldigten ausschlaggebend. Sachlich

zuständiges Gericht ist das Bezirksgericht.

3.5 Junge Erwachsene

Bei der Aburteilung junger Erwachsener kommen sowohl die Bestimmungen des JGG, vor

allem in verfahrenstechnischer Hinsicht, als auch die Strafbestimmungen des

Erwachsenenstrafrechts im StGB zur Anwendung. Grundsätzlich bemisst sich der

Strafrahmen für junge Erwachsene, wie für Erwachsene auch, nach dem in § 80 StGB

festgesetzten Strafausmaß. Jungen Erwachsenen kommt, auf Grund des geringen Alters

und der oftmals daraus resultierenden Orientierungsschwierigkeiten im

Erwachsenenleben, ein gemilderter Strafsatz zu Gute, der sich bei der Strafzumessung

auswirkt. Man hat erkannt, dass die Straftaten, die junge Erwachsene verüben, meist

nicht gleichzeitig einen Einstieg in die Kriminalität per se bedeuten. Der

Erziehungsgedanke steht bei jungen Erwachsenen im Vordergrund. Der gemilderte

Strafsatz ist nur unter den strengen Grenzen des § 36 StGB anwendbar. Da die

Strafdrohung des § 80 StGB bei bis zu einem Jahr FS liegt, kann ex lege keine Milderung

des Strafrahmens gem § 36 StGB für junge Erwachsene angewendet werden und es

bleibt bei der fahrlässigen Tötung beim selben Strafrahmen wie für Erwachsene.

Page 21: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 12

3.5.1 Besondere Strafzumessungen bei jungen Erwachsenen

Tätern, die zwar das 18. Lebensjahr aber das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben,

kommen besondere Milderungsgründe des § 34 Abs 1 StGB zu Gute. Der Gesetzgeber

nimmt eine Minderung der Diskretions- und Dispositionsfähigkeit junger Erwachsener an

und unter dem Aspekt der mangelnden Lebenserfahrung, gewährt er ihnen diesen

Strafmilderungsgrund18. Der Gesetzgeber hat erkannt, dass Straftaten, die von jungen

Erwachsenen begangen werden oft nur eine Auswirkung der Orientierungslosigkeit in der

Phase des Heranwachsens sind. Die erhöhte Neigung zur Tatbegehung ist meist nur

episodenhaft und schwächt mit zunehmendem Alter, nach Überwindung der

Adoleszenzkrise, ab19.

3.5.1.1 Herabsetzung der Strafdrohungen § 36 StGB

Bei jungen Erwachsenen tritt anstelle der lebenslangen Freiheitsstrafe eine maximal

zwanzig Jahre dauernde Freiheitsstrafe als Höchststrafmaß hinzu. Eine Strafandrohung

von lebenslang bzw zehn bis zwanzig Jahre oder lebenslang wird durch eine

Strafdrohung von fünf bis zwanzig Jahren ersetzt. Mindeststrafdrohungen von mehr als

einem Jahr Freiheitsstrafe werden auf ein Jahr Mindeststrafdrohung herabgesetzt20. Eine

Mindeststrafe von einem Jahr wird auf sechs Monate reduziert und entfällt bei

Strafdrohungen mit einer Obergrenze von fünf Jahren vollends21.

3.5.2 Gerichtszuständigkeit

Sachlich zuständig für die Aburteilung von Straftaten junger Erwachsener ist gem

§ 46a JGG das Gericht, dem sonst die Ausübung der Jugendstrafsachen obliegt.

Demzufolge findet § 27 JGG auch für junge Erwachsene Anwendung. Damit soll

sichergestellt werden, dass Strafverfahren junger Erwachsener von denselben besonders

geschulten Richtern wie im Jugendstrafrecht geführt werden22. Für die Ermittlung der

sachlichen Zuständigkeit, der Zuteilung zu den einzelnen Gerichten iSd § 29 ff StPO,

haben die herabgesetzten Strafdrohungen des § 36 StGB keine Bedeutung, es sind die

allgemeinen Strafdrohungen der einzelnen Delikte des StGB heranzuziehen. Wenn es

sich um geschworenengerichtliche bzw schöffengerichtliche Zuständigkeit handelt, muss

das Gericht nach den entsprechenden besonderen Besetzungsvorschriften für

Jugendliche gem § 28 JGG besetzt sein. Weitere prozessuale Besonderheiten betreffend

Strafverfahren junger Erwachsener sind in § 46a Abs 2 JGG angeführt.

18

Birklbauer/Schmidthuber in SbgK, § 34 StGB, Rz 21. 19

Fucik/Hopf, ÖJZ 2015/101. 20

Maleczky, Jugendstrafrecht4, 61.

21 Ebner in WK

2 StGB, § 36, Rz 3.

22 Birklbauer, Strafprozessrecht

2, Rz 21/9.

Page 22: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 13

Die örtliche Zuständigkeit richtet sich, wie beim Erwachsenen auch, nach den

allgemeinen Regeln des § 25 StPO. Demnach ist auch bei Straftaten junger Erwachsener

der Ort der Tatausführung primär heranzuziehen.

Für § 80 StGB heißt das, dass bei einer Begehung durch einen jungen Erwachsenen der

Strafrahmen, der prinzipiell bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe vorsieht, nur durch den

Milderungsgrund des geringen Alters § 34 Abs 1 Z 1 StGB herabgesetzt werden kann. Für

dieses Delikt ändert § 36 StGB nichts an der vorgesehenen Strafdrohung.

3.6 Jugendliche

Für Jugendstraftaten hat der Gesetzgeber eigene materielle, verfahrenstechnische und

vollzugsrechtliche Bestimmungen erlassen. Zu diesem Zweck hat er abweichende

Regelungen vom StGB und der StPO, speziell für Jugendliche, im JGG von 1988

zusammengefasst. Als Jugendstraftat gilt eine Tat dann, wenn sie von einem im

Tatzeitpunkt jugendlichen Täter begangen wurde. Wie schon mehrfach erwähnt, legt der

Gesetzgeber Wert auf die Erziehung der jugendlichen Straftäter, eine Kriminalisierung

selbst von Bagatelldelikten könnte den jugendlichen Straftätern mehr schaden und sie

könnten, durch einen Strafvollzug oder einer daraus resultierenden Eintragung ins

Strafregister, in ihrem weiteren Fortkommen gehindert bzw dieses erheblich erschwert

werden.

3.6.1 Besondere Strafzumessungen bei Jugendlichen

Soweit im JGG nichts Abweichendes bestimmt ist, gelten auch für Jugendstraftaten die

allgemeinen Strafgesetze des StGB. Besondere Regelungen, die das Strafausmaß

betreffen, sind in § 5 JGG angeführt.

Im Jugendstrafrecht gilt das Primat der Spezialprävention, es hat va den Zweck, den

Täter selbst von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten. Es geht nicht darum,

andere Personen von einer möglichen Tatbegehung abzuschrecken23.

Den jugendlichen Straftätern kommen gem § 5 Z 2 bis 5 JGG geänderte Strafsätze zu

Gute. Dabei wird zum Teil auch unterschieden, ob die Tat vor oder nach dem 16.

Lebensjahr begangen wurde.

Bei Straftaten, die bei Erwachsenen mit lebenslanger Freiheitsstrafe bzw mit

Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe

bedroht sind, tritt anstelle der oa Strafrahmen, wenn die Tat von einem Jugendlichen

begangen wurde, der das 16. Lebensjahr bereits erreicht hat, eine Strafdrohung von

23

Maleczky, Jugendstrafrecht4, 13.

Page 23: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 14

mindestens einem Jahr bis höchstens fünfzehn Jahre; wenn der Jugendliche die Tat vor

Erreichung des 16. Lebensjahres begangen hat, ändert sich die Strafdrohung auf

mindestens ein Jahr bis höchstens zehn Jahre. Eine lebenslange Freiheitsstrafe wird bei

Jugendlichen ausgeschlossen.

Eine allgemeine Strafdrohung von zehn bis zwanzig Jahren wird auf eine Freiheitsstrafe

von mindestens sechs Monaten bis auf höchstens zehn Jahre reduziert.

Bei allen anderen allgemeinen Strafrahmen, die die Androhung einer Freiheitsstrafe

enthalten, entfällt eine festgesetzte Strafuntergrenze und die Strafobergrenze wird auf die

Hälfte reduziert24.

Bei Strafen, die nach Tagessätzen bemessen werden, wird das Höchstmaß um die Hälfte

reduziert. Generell ist bei Jungendlichen bei der Verhängung von Geldstrafen, deren

Bemessung sich nach der Höhe eines Wertes, Nutzens oder Schadens richtet, stets

Bedacht auf die konkrete Lebenssituation und das weitere Fortkommen des Jugendlichen

zu nehmen.

Diese umfassende Milderung des Strafrahmens bei Jugendstraftaten erübrigt idR die

Berücksichtigung des jugendlichen Alters als besonderen Strafmilderungsumstand nach

den Bestimmungen des StGB. Demgemäß stellt § 34 Abs 1 Z 1 StGB auch nur mehr auf

die Altersgruppe der jungen Erwachsenen ab25. Eine Berücksichtigung des

Milderungsgrundes auf Grund des geringen Alters würde entgegen § 32 Abs 2 StGB dem

Doppelverwertungsverbot widersprechen.

Für die Einteilung der strafbaren Handlungen in Verbrechen und Vergehen gem

§ 17 StGB und für die strafrahmenbezogene Anwendungsgrenze des § 191 StPO – die

Einstellung wegen Geringfügigkeit – unterscheidet der Gesetzgeber das Jugendstrafrecht

nicht von den Strafbestimmungen für Erwachsene und in diesen beiden taxativ

aufgezählten Fällen des § 5 Z 7 JGG ist auch für Jugendliche der Strafrahmen des

allgemeinen Strafrechts heranzuziehen.

3.6.2 Gerichtszuständigkeit

Nach den allgemeinen Strafbestimmungen enthält § 80 StGB ein Strafausmaß von bis zu

einem Jahr Freiheitsstrafe. Da der Strafrahmen gem § 5 Z 4 JGG auf die Hälfte zu

reduzieren ist, ist bei jungendlichen Straftätern bei § 80 StGB ein Höchstmaß von bis zu

sechs Monaten anzuwenden.

24

Schroll in WK2, § 5 JGG, Rz 17.

25 Schroll in WK

2, § 5 JGG, Rz 13a.

Page 24: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 15

Dieses geminderte Strafmaß hat für die sachliche Gerichtszuständigkeit keine Relevanz.

Diese ist nach den allgemeinen Grundsätzen der StPO zu ermitteln. Die Abgrenzung

zwischen Bezirks- und Landesgericht bzw dem Landesgericht als ER oder dem

Landesgericht als Schöffengericht richtet sich in Jugendstrafsachen gem § 27 Abs 2 JGG

nach den allgemeinen Regeln der sachlichen Zuständigkeit in der StPO. Auch die

Eigenzuständigkeiten sind in Jugendstrafsachen den §§ 30 ff StPO zu entnehmen26.

Dem zur Folge ist bei der fahrlässigen Tötung gem § 80 StGB, die durch einen

Jugendlichen begangen wurde, das Bezirksgericht das sachlich zuständige Gericht.

Die örtliche Zuständigkeit richtet sich gem § 29 JGG, anders als im

Erwachsenenstrafrecht bzw bei jungen Erwachsenen, nach dem gewöhnlichen Aufenthalt

des Beschuldigten zur Zeit des Beginns des Strafverfahrens.

Gem § 1 Abs 2 StPO beginnt das Strafverfahren, sobald Kriminalpolizei oder

Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren zur Aufklärung eines Anfangsverdachts

einleiten. Ein Anfangsverdacht liegt gem § 1 Abs 3 StPO dann vor, wenn auf Grund

bestimmter Anhaltspunkte angenommen werden kann, dass eine Straftat begangen

worden ist.

Der gewöhnliche Aufenthalt wird nach § 66 Abs 2 JN nach tatsächlichen Umständen

bestimmt. Maßgebend ist der Ort, der als nicht bloß vorübergehender Lebensmittelpunkt

dient27. Erst wenn kein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland besteht, kommen gem § 31

JGG die allgemeinen Vorschriften für das Verfahren in Strafsachen zur Anwendung. Die

örtliche Zuständigkeit würde sich dann nach den §§ 25 und 36 StPO richten und es wäre

subsidiär wie bereits oa das Tatortgericht zuständig28.

3.7 Präventionsgedanke

Im österreichischen Strafrecht ist Ausgangspunkt der Strafe die Schuld des Täters. Die

Schuld des Täters ist nicht nur Voraussetzung, sondern auch gleichzeitig Begrenzung der

Strafe. Die verhängte Strafe darf das Maß der Schuld nicht übersteigen29. Man

unterscheidet zwei Straftheorien, einerseits die zweckfreien, absoluten Straftheorien und

andererseits die zweckorientierten, relativen Straftheorien30.

26

Maleczky, Jugendstrafrecht4, 30.

27 vgl JBl 1999, 62; mwN OGH 15 Nds 1/98.

28 Schroll in WK

2, § 29 JGG, Rz 12.

29 Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT

14, Z 2, Rz 2.

30 Ebner in WK

2 StGB, Vor zu §§ 32–36, Rz 6.

Page 25: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 16

3.7.1 Absolute Straftheorie

Die bedeutendsten Vertreter der zweckfreien, absoluten Straftheorie waren Kant und

Hegel31. Die absolute Straftheorie basiert auf dem Vergeltungsgedanken. Die Strafe wird

als Ausgleich für die Tat angesehen, als gerechter Schuldausgleich. Sie hat zu erfolgen,

weil die Tat an sich nicht ungesühnt bleiben kann. Dem Täter muss das widerfahren, was

er verursacht hat, um Gerechtigkeit wieder herzustellen32. Die Strafe verfolgt keinerlei

weiteren Zweck, als Vergeltung und Sühne. Nach hL ist den Strafzwecken der absoluten

Strafrechtstheorie, für die Strafzumessung, heute kaum noch Bedeutung zu schenken.

3.7.2 Relative Straftheorie

Im Gegensatz zu den absoluten Straftheorien verfolgt die relative Straftheorie den Ansatz

der Verbrechensverhütung künftiger Straftaten. Dabei unterscheidet man die Vermeidung

künftiger Straftaten beim Täter selber (Spezialprävention, dessen bekanntester Vertreter

von Liszt war33) von der Abschreckung der Allgemeinheit von der Begehung strafbarer

Handlungen (Generalprävention). Sie ist auf Feuerbach34 und Beccaria35

zurückzuführen. Die Strafe wird als Mittel zum Zweck angesehen. Der Zweck

unterscheidet sich, je nach Präventionsgedanken, in die Abschreckung der Allgemeinheit

oder die Zuführung zur Rechtstreue des konkreten Täters36.

3.7.2.1 Spezialprävention

Die Spezialprävention richtet sich gegen die tatsächliche Gefährlichkeit des konkreten

Täters, sie siedelt die präventive, die Strafe rechtfertigende Wirkung beim Täter selbst

an37. Sie soll ihn zum einen von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abhalten

und ihn zu einem rechtstreuen Verhalten erziehen – negative Spezialprävention – und

ihm zum anderen die Möglichkeit zur Besserung und Resozialisierung – positive

Spezialprävention – bieten. Die Spezialprävention will, durch das unmittelbare Einwirken

auf den konkreten Täter, weitere Tatbegehungen verhindern.

3.7.2.2 Generalprävention

Unter Generalprävention versteht man die Abschreckung anderer Personen als den Täter

von der Begehung künftiger Straftaten. Dabei ist die erzieherische Wirkung der Strafe auf

die Allgemeinheit ausschlaggebend38. Die Generalprävention ist in der Lehre sehr

umstritten, da die abhaltende Wirkung auf die Allgemeinheit nicht gemessen werden

31

Meier, Strafrechtliche Sanktionen3, 19.

32 Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT

14, Z 2, Rz 5.

33 Meier, Strafrechtliche Sanktionen

3, 24.

34 Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT

14, Z 2, Rz 6.

35 Meier, Strafrechtliche Sanktionen

3, 21.

36 Ebner in WK

2 StGB, Vor zu §§ 32–36, Rz 13.

37 Meier, Strafrechtliche Sanktionen

3, 24.

38 Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT

14, Z 2, Rz 10.

Page 26: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 17

kann. Mittlerweile ist es aber allgemein anerkannt, dass der Reaktion auf eine Straftat,

sprich die Androhung, Verhängung und Vollstreckung der Strafe39, gegenüber der

Allgemeinheit eine abschreckende Wirkung zukommt. Die Höhe der Strafe hingegen ist

unbeachtlich und dient nicht der Abschreckung.

Die Generalprävention wird nach hM in negative Generalprävention und positive

Generalprävention unterteilt. Die negative Generalprävention ist die Abschreckung der

Allgemeinheit durch Furcht vor Strafe40. Die positive Generalprävention, der mittlerweile

der Vorzug gegeben wird, soll das Vertrauen der Allgemeinheit in die Einhaltung der

Rechtsordnung stärken.

Der Präventionsgedanke und die Unterscheidung der relativen Straftheorie in General-

und Spezialprävention sind besonders für die Strafzumessung von Bedeutung, da die

Strafe nur nach Maßgabe der Schuld verhängt werden darf.

3.8 Persönliche Betroffenheit

Der Begriff der persönlichen Betroffenheit ist im Strafrecht nicht gesetzlich determiniert. Er

findet sich sowohl bei der persönlichen Betroffenheit von Opfern als auch bei der

Diversion im Jugendstrafrecht wieder.

Im Opferschutz stellt sich die Frage der persönlichen Betroffenheit meist im

Zusammenhang mit dem Rechtsanspruch auf Prozessbegleitung. Das entscheidende

Kriterium für die Beurteilung ist die psychische Beeinträchtigung des Opfers, die sich auf

Grund der schlimmen Auswirkungen der Tat beim Opfer einstellen kann. Sei es durch

posttraumatische Belastungsstörungen, Traumatisierungen, Depressionen etc41.

Im Jugendstrafrecht findet die persönliche Betroffenheit zudem im § 7 JGG ihre

Anwendung. So ist eine fahrlässige Straftat, die den Tod eines Angehörigen zur Folge

hat, dann diversionsfähig, wenn der Beschuldigte durch die Tat schwere psychische

Belastungen erfährt, die eine Bestrafung des Täters nicht mehr notwendig erscheinen

lässt. Für die Abwägung, ob eine schwere psychische Belastung durch den Tod eines

Angehörigen gegeben ist, ist die Schwere der Schuld zu berücksichtigen sowie sind

spezialpräventive Überlegungen anzustellen, ob eine Strafe im konkreten Fall geboten

erscheint.

Nachbaur spricht in Bezug auf den Opferschutz jedenfalls von einem außergewöhnlich

belastenden Ereignis, wenn man den Verlust von Angehörigen durch eine Straftat,

miterlebt. Konsequenterweise ist von einer Steigerung der psychischen Belastung

39

Meier, Strafrechtliche Sanktionen3, 21.

40 Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT

14, Z 2, Rz 11.

41 Nachbaur, JSt 2010, 50.

Page 27: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 18

auszugehen, wenn man den Tod eines Angehörigen nicht nur mitbekommt, sondern ihn

selbst fahrlässig verursacht hat. Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Bemessung

der Strafe gem § 32 Abs 1 StGB. Dabei sind stets die spezialpräventiven Überlegungen

hinter einer Strafe zu berücksichtigen. Der spezialpräventive Zweck einer jeden Strafe ist

den Täter von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten42. Eine fahrlässige

Tatbegehung reduziert auf Grund des geringen Handlungs- und Gesinnungsunrechts die

Schuld des Täters. Dadurch, dass der Täter durch die nachteiligen Folgen der Tat –

unmittelbar oder mittelbar – betroffen ist, wird eine positive Präventionsprognose

vermutet43. Wenn der notwendig vorausgesetzte, entsprechend hohe psychische

Leidensdruck des Beschuldigten alleine durch die Verursachung des Todes eines

Angehörigen so groß ist, dass eine Durchführung des Strafverfahrens bzw Bestrafung

nicht erforderlich scheint, kann man von einem weiteren die Schuld reduzierenden

Umstand sprechen und von schwererer persönlicher Betroffenheit iSd § 7 JGG

ausgehen44.

3.9 Täterbetroffenheit

Der Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 19 StGB ist dann anzuwenden, wenn der Täter

dadurch betroffen ist, dass er oder eine ihm persönlich nahestehende Person durch die

Tat am Körper verletzt oder an der Gesundheit geschädigt wurde oder er sonstige

gewichtige tatsächliche oder rechtliche Nachteile durch die Folgen der Tat erlitten hat.

Dieser Gedanke entspricht dem Ultima-Ratio Prinzip des Strafrechts und soll in erster

Linie general- und spezialpräventive Überlegungen bedienen. Je mehr der Täter alleine

durch die Folgen der Tatbegehung betroffen ist, desto weniger ist eine Einwirkung durch

Strafe notwendig45.

Strafminderung kommt nur dann in Betracht, wenn die Tatfolgen unmittelbar dem Täter

persönlich nahe stehenden Personen treffen oder der Täter selbst mittelbar – sei es

emotional oder wirtschaftlich – davon betroffen ist46. Um den Strafmilderungsgrund der

Täterbetroffenheit gewähren zu können, muss nicht zwangsläufig nur ein Angehöriger des

Täters von den Tatfolgen betroffen sein. Es sind auch alle dem Täter unter Schutz

gestellten oder ihm persönlich nahe stehenden Personen von dem Milderungsgrund

erfasst. Der Personenkreis, der für eine Anwendung des § 34 Abs 1 Z 19 in Betracht

kommt, richtet sich nach § 74 Abs 1 Z 5 aE47.

42

Jerabek in WK2 StGB, § 43, Rz 16.

43 Birklbauer/Schmidthuber in SbgK, § 34 StGB, Rz 136.

44 ErlRV 231 BlgXXIII.GP, 28; mwN Schroll in WK

2, § 7 JGG, Rz 19.

45 Ebner in WK

2 StGB, § 34, Rz 40.

46 Ebner in WK

2 StGB, § 34, Rz 42.

47 Birklbauer/Schmidthuber in SbgK, § 34 StGB, Rz 140.

Page 28: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 19

Bei vorsätzlichem Handeln findet der Milderungsgrund keine Anwendung48. Jedoch selbst

der Eintritt eines besonders schweren Erfolges, wie der Tod, der fahrlässig herbeigeführt

wird, hindert die Anwendbarkeit des § 34 Abs 1 Z 19 StGB nicht. Der Milderungsgrund der

Täterbetroffenheit findet besonders bei Verkehrsdelinquenz, wo eine dem Täter

nahestehende Person verletzt oder getötet wird, Anwendung49.

48

Ebner in WK2 StGB, § 34, Rz 40a.

49 Ebner in WK

2 StGB, § 34, Rz 42.

Page 29: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 20

4 Erledigungsvarianten – alternative Erledigung

4.1 Diversion – im allgemeinen Strafrecht

4.1.1 Definition

Bei dem aus den USA kommendem Begriff der Diversion handelt es sich um Fälle des

unteren und mittleren Kriminalitätsbereichs, bei denen der Staat auf ein förmliches

Strafverfahren und die Verhängung von Sanktionen im formellen Sinne, durch

Urteilsspruch verzichtet50. Wörtlich bedeutet er so viel wie „Umlenkung“ bzw „Ableitung“.

Dies lässt bereits erkennen, worum es geht. Strafverfahren sollen „umgeleitet“ werden.

Weg von den klassischen Erledigungsvarianten, hin zu alternativen, informellen

Erledigungsformen51. Das spiegelt den Ultima-Ratio Gedanken des Strafrechts wider. Es

soll nur eine Strafe verhängt werden, wenn es kein gelinderes und besser geeignetes

Mittel gibt, den vom rechten Weg Abgekommenen wieder zurück auf den rechten Weg zu

führen. Durch die Einführung der Diversion in Österreich wurde der internationalen

Tendenz zu einer alternativen Erledigungsvariante im Strafrecht nachgegeben52. In

Österreich wurde die Diversionsregelung mit der Strafprozessnovelle 1999

(BGBl I 55/1999) eingeführt. Zuvor wurde sie bereits ab Mitte der 80er Jahre im

Jugendstrafrecht und davor schon im Suchtgiftrecht erprobt53.

Diversion bedeutet keine „Entkriminalisierung“54. Die Tat bleibt strafbares Verhalten, sie

führt nur nicht zur Sanktionierung. Der Beschuldigte muss in einem dem Strafverfahren

vorgelagertem Verfahren seine Bereitschaft, Verantwortung für die Tat zu übernehmen,

unter Beweis stellen55. Neben den ursprünglichen Reaktionsmöglichkeiten wie der

Verhängung einer Geld- oder Freiheitsstrafe oder der Verhängung einer vorbeugenden

Maßnahme wird sie als „dritte Spur“ des österreichischen Strafrechts bezeichnet. Sie ist

eine Möglichkeit, auf den Beschuldigten ohne Stigmatisierung durch einen Schuldspruch,

gezielt unter Berücksichtigung des Präventionsgedankens, einwirken zu können und auch

die Opferinteressen unter dem Wiedergutmachungsaspekt mit einzubeziehen.

Je nach Intensität des Eingriffs unterscheidet man schlichte und intervenierende

Diversion. Die intervenierende Diversion bedarf der freiwilligen Mitwirkung des

Beschuldigten, um von der Strafverfolgung abzusehen. Das Verfahren ist vorläufig

50

Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT14

, E 10, Rz 3. 51

Hinterhofer, Diversion statt Strafe, 4. 52

Seiler, AnwBl 2001, 445. 53

Hurich, JAP 2013/2014/23, 200. 54

Burgstaller in Miklau/Schroll, Diversion, 12. 55

Maleczky, Strafrecht AT II18

, 17.

Page 30: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 21

eingestellt, der Beschuldigte muss sich an die Auflagen und Weisungen halten, um nicht

doch nachträglich eine Wiederaufnahme des „klassischen“ Strafverfahrens zu erwirken.

Die schlichte Diversion hingegen ist ein bloßes Einstellen der Strafverfolgung unter den

gesetzlichen Voraussetzungen, die kein weiteres Zutun des Beschuldigten erfordert.

4.1.2 Voraussetzungen der intervenierenden Diversion § 198 ff StPO

Eine intervenierende Diversion kann nur dann in Betracht gezogen werden, wenn es sich

um eine von Amts wegen zu verfolgende Straftat (Offizialdelikt) handelt, eine Einstellung

wegen Geringfügigkeit oder die Einstellung aus rechtlichen bzw tatsächlichen Gründen

nach den §§ 190 bis 192 StPO nicht in Betracht kommt und der, dem Verfahren

zugrundeliegende Sachverhalt, hinreichend geklärt ist. Ein Sachverhalt gilt dann als

hinreichend geklärt, wenn alle wesentlichen Beweise aufgenommen wurden und bei

einem Strafverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Verurteilung des Beschuldigten

festgestellt werden würde56.

Ein wichtiger Aspekt bei der Diversion ist die Freiwilligkeit des Beschuldigten, er hat die

Möglichkeit bis zum endgültigen Rücktritt der Verfolgung die Fortsetzung des Verfahrens

zu verlangen57 und das Anbot des Staatsanwaltes für eine diversionelle

Verfahrenserledigung abzulehnen.

Eine Diversion gem § 198 Abs 2 Z 2 StPO setzt voraus, dass die Schuld des

Beschuldigten nicht als schwer iSd § 32 StGB anzusehen wäre. Schuld ist bei der

Entscheidung für oder gegen eine diversionelle Maßnahme iSd Strafzumessungsschuld

zu verstehen58. Eine schwere Schuld ist nicht erst bei Überwiegen von

Erschwerungsgründen gem § 33 StGB anzunehmen59. Ein schweres Verschulden liegt

dann vor, wenn Handlungs- und Erfolgsunrecht sowie der Gesinnungsunwert insgesamt

im Rahmen einer Gesamtbewertung als auffallend und ungewöhnlich zu beurteilen sind60.

Folglich dann, wenn der typischerweise von Tätern verwirklichte Unrechts- und

Schuldgehalt erheblich überstiegen wird61.

Problematisch ist die Bestimmung der Schwere der Schuld meist bei

Fahrlässigkeitsdelikten. Hier steht die Schwere der Sorgfaltspflichtverletzung im

Vordergrund. Die bewusste Verletzung elementarer Verkehrsvorschriften, verbunden mit

einem erhöhten Unfallrisiko, erhöht den Gesinnungsunwert. Von einem geringen

56

Loderbauer, ZVR 2009/245, 475. 57

Schroll in WK StPO, § 198 StPO, Rz 10. 58

Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT14

, E 10, Rz 13. 59

vgl OGH 13 Os 111/00. 60

vgl OGH 12 Os 18/03; mwN OGH 14 Os 38/02. 61

Maleczky, Strafrecht AT II18

, 19.

Page 31: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 22

Gesinnungsunwert ist dann auszugehen, wenn lediglich Verkehrsvorschriften übersehen

werden, bloße Aufmerksamkeitsfehler passieren oder eine verspätete Reaktion der

Auslöser war. Ein positives Nachtatverhalten reduziert den Gesinnungsunwert62. Der

Handlungsunwert wird durch die Art und Weise der Tatbegehung beschrieben und ist bei

Fahrlässigkeit als gering einzustufen. Je geringer der Erfolgsunwert an sich – also die

Schädigung oder Gefährdung anderer – ist, desto mehr Raum kann dem

Gesinnungsunwert zugesprochen werden und ein Ausscheiden der Diversion ist nur bei

einer Tatbegehung durch erheblichen sozialen Störwert möglich63.

Eine diversionelle Verfahrensbeendigung ist nur dann möglich, wenn es nicht aus

general- oder spezialpräventiven Gründen geboten erscheint, eine gerichtliche

Verurteilung anzustrengen64. Die Rsp ist besonders bei fahrlässiger Verkehrsdelinquenz

geneigt, auf Grund der Häufigkeit der verübten Delikte und des großen potentiellen

Täterkreises, die Diversion aus generalpräventiven Gründen von vornherein abzulehnen.

Dem sei entgegen zu halten, dass keine generalpräventiven Bedenken bei Verzicht auf

den Schuldspruch bzw die Strafe bestünden, sobald die Bevölkerung die konkrete

Diversionsform als adäquate strafrechtliche Reaktion auf das Fehlverhalten des Täters

wahrgenommen hat65. Überlegungen zur Prävention sind stets auf den Einzelfall

abzustellen. Dabei ist zu beachten, dass eine intervenierende sozialkonstruktive

Diversionsmaßnahme künftiger Delinquenz besser entgegensteuern kann als ein

Schuldspruch mit bedingt nachgesehener Strafe66. Der Täter muss sich bei der Diversion

mit seiner Tat bewusst auseinander setzten und den entstandenen Schaden beim Opfer

so gut als möglich wiedergutmachen. Alleine schon die Tatsache, dass der Beschuldigte

bei einer Diversion keine Eintragung ins Strafregister zu erwarten hat, die ihm eine soziale

Stigmatisierung vor allem im beruflichen Umfeld bringt, zeigt den Vorteil einer Diversion

auf.

4.1.3 Arten der intervenierenden Diversion

4.1.3.1 Zahlung eines Geldbetrages – § 200 StPO

Der Staatsanwalt bietet dem Beschuldigten an, freiwillig einen bestimmten Geldbetrag

binnen 14 Tagen zu Gunsten des Bundes zu zahlen. Die Geldstrafe darf maximal in der

Höhe von 180 Tagessätzen, zuzüglich hypothetischer Verfahrenskosten im Falle einer

Verurteilung, betragen. Ein Zahlungsaufschub kann dem Beschuldigten unter den in

§ 200 Abs 2 festgesetzten Bestimmungen dann gewährt werden, wenn ihn die Zahlung

62

Schwaighofer, ZVR 2008/119, 280. 63

Schwaighofer, ZVR 2008/119, 279; vgl OGH Os 42/07a. 64

Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT14

, E 10, Rz 14. 65

Burgstaller, ZVR 2009/244, 471. 66

vgl Pilgram/Hirtenlehner/Kuschej, ÖJZ 2001, 210.

Page 32: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 23

des festgesetzten Geldbetrages unbillig hart treffe. Er kann längstens für sechs Monate

gewährt werden. Um das Verfahren einstellen zu können, muss der Beschuldigte darüber

hinaus von sich aus einen Nachweis erbringen, dass er den allfälligen Schaden beim

Opfer, innerhalb einer höchstens sechsmonatigen Frist, ersetzt hat. Nach erbrachter

Leistung des Geldbetrages und Wiedergutmachung des Schadens hat der Staatsanwalt

das Verfahren gem Abs 5 einzustellen, sofern nicht eine nachträgliche Fortsetzung nach

§ 205 StPO eintritt67.

4.1.3.2 Die Erbringung gemeinnütziger Leistungen – § 201 StPO

Der Staatsanwalt kann von der Verfolgung der Straftat vorläufig zurücktreten, wenn sich

der Beschuldigte ausdrücklich bereit erklärt, innerhalb von einer sechs monatigen Frist

gemeinnützige Leistungen unentgeltlich in seiner Freizeit zu erbringen. Sie dürfen

höchstens in einem Ausmaß von 240 Arbeitsstunden festgesetzt werden. Die

wöchentliche Arbeitszeit darf 40 Stunden nicht überschreiten, wovon täglich maximal

8 Stunden anfallen dürfen. Dabei ist stets auf gleichzeitige Aus- oder Fortbildung bzw

berufliche Tätigkeiten des Beschuldigten Bedacht zu nehmen. Die vom Beschuldigten zu

erbringende Leistung muss gemeinnützig sein. Gemeinnützig sind solche Arbeiten nach

§ 35 Abs 2 BAO, die dem Gemeinwohl auf geistigem, kulturellem, sittlichem oder

materiellen Gebiet nützen68. Dabei soll die Bereitschaft des Beschuldigten zum Ausdruck

gebracht werden, dass er Verantwortung für seine Tat übernimmt und dafür einsteht69.

Diese Diversionsart wird häufig bei Wiederholungstaten und mittlerer Kriminalität

eingesetzt, da der Eingriff in die Lebensführung des Beschuldigten enorm hoch ist im

Vergleich zu anderen Diversionsarten. Der Staatsanwalt hat nach Erbringung der

gemeinnützigen Leistungen, Zahlung eines Pauschalbetrages gem § 388 Abs 2 StPO und

allfälligen Schadenersatzzahlungen von der Verfolgung der Straftat endgültig

zurückzutreten, wenn nicht wiederum eine nachträgliche Fortsetzung gem § 205 StPO in

Betracht kommt.

4.1.3.3 Bestimmung einer Probezeit – § 203 StPO

§ 203 StPO regelt den vorläufigen Rücktritt der Verfolgung einer Straftat durch den

Staatsanwalt unter Verhängung einer Probezeit von einem bis zu zwei Jahren. Die Frist

beginnt ab Zustellung der Verständigung über den vorläufigen Rücktritt zu laufen. Der

Rücktritt unter Verhängung einer Probezeit kann mit Auflagen iSv Weisungen gem

§ 51 StGB oder mit Betreuung durch einen Bewährungshelfer gem § 52 StGB verknüpft

67

Schroll in WK StPO, § 200 StPO, Rz 12. 68

Schroll in WK StPO, § 201 StPO, Rz 4. 69

Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT14

, E 10, Rz 19.

Page 33: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 24

sein70, falls dies geboten erscheint. Die Weisung bedarf einer spezifischen

Verhaltensaufforderung71, die geeignet scheint, den Beschuldigten von einer weiteren

Straftat abzuhalten. Diese Diversionsmaßnahme findet besonders bei Verkehrsdelikten

oder Delikten im Bagatellbereich Anwendung, da sie geeignet ist, präventiv auf das

Fehlverhalten des Beschuldigten zB durch Verhängung einer Nachschulung oder

Therapie einzuwirken. Nach Ablauf der Probezeit, Zahlung des Pauschalbetrages gem

§ 388 StPO und Erfüllung allfälliger Pflichten bzw Auflagen hat der Staatsanwalt die

Verfolgung endgültig einzustellen, sofern nicht das Verfahren gem § 205 StPO

fortzusetzen wäre.

4.1.3.4 Tatausgleich – § 204 StPO

Der Staatsanwalt kann von der Verfolgung der Straftat zurücktreten, wenn durch die Tat

Individualrechtsgüter unmittelbar beeinträchtigt sein könnten und sich der Beschuldigte

bereit erklärt, für die Tat einzustehen, den Schaden gutzumachen, sich mit den Ursachen

der Tat auseinandersetzt und falls möglich, die Folgen der Tat auf eine den Umständen

entsprechenden Weise ausgleicht. Die Bereitschaft des Beschuldigten, künftig ein solches

Verhalten, das zur Tat geführt hat, zu unterlassen, muss klar erkennbar sein. Das

Zustandekommen eines Tatausgleiches bedarf der Zustimmung des Opfers, es sei denn,

es lehnt aus für das Strafverfahren nicht berücksichtigungswürdigen Gründen ab, wie

etwa aus Gründen der Rache. Zur Durchführung des Tatausgleiches kann die

Staatsanwaltschaft einen in Mediation geschulten Konfliktregler heranziehen, der

gleichermaßen auf den Beschuldigten und das Opfer, unter größtmöglicher

Berücksichtigung der Opferinteressen gem § 206 StPO, einwirken kann und den

Tatausgleich anleitet72. Er versucht eine Versöhnung zwischen Verdächtigem und Opfer

herzustellen, um dadurch den strafrechtlichen Konflikt aus der Welt zu schaffen73. Sobald

sich der Staatsanwalt eines Mediators bedient, tritt er vorläufig von der Strafverfolgung

zurück, ein endgültiger Rücktritt ist erst nach Zahlung des Pauschalkostenbeitrages gem

§ 388 StPO und Legung des Abschlussberichts des Konfliktreglers nach Entscheidung

des Staatsanwaltes bzw des Gerichts möglich, wenn er bzw es den Tatausgleich als

gelungen ansieht. Ein Tatausgleich wird meist für Konflikte im sozialen Nahbereich wie zB

innerhalb der Familie, in der Nachbarschaft oder am Arbeitsplatz eingesetzt oder auch für

Taten, die situativ erfolgt sind, wie zB Wirtshausraufereien oder ein Aggressionsausbruch

70

Maleczky, Strafrecht AT II18

, 24. 71

Schroll in ÖJZ 2013/95, 866. 72

Schroll in WK StPO, Vor §§ 198–209b StPO, Rz 15. 73

Schwaighofer, ZVR 2008/119, 277.

Page 34: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 25

im Straßenverkehr etc. Man kann sagen, der Tatausgleich kommt überall dort zum

Einsatz, wo es einen Konflikt aufzuarbeiten gilt74.

4.1.4 Ausschluss der Diversion

Ein diversionelles Vorgehen ist ausgeschlossen, wenn die Straftat in die Zuständigkeit

des Landesgerichts als Schöffen- oder Geschworenengericht fällt. Demnach sind

grundsätzlich alle Delikte mit einem Strafrahmen bis zu fünf Jahren diversionsfähig. Zu

beachten und von der Diversion ausgeschlossen sind schöffen- und

geschworenengerichtliche Eigenzuständigkeiten gem § 31 Abs 2 und Abs 3 StPO75.

Die Schuld des Beschuldigten darf nicht als schwer anzusehen sein76 und sie darf

nicht den Tod eines Menschen zur Folge gehabt haben. Der Tod muss als objektiv

zurechenbarer Erfolg der Tathandlung eingetreten sein, atypische Kausalverläufe, bei

denen das Opfer stirbt, schließen ein diversionelles Vorgehen nicht aus. Bei fahrlässiger

Tötung gem § 80 StGB und fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen

Verhältnissen gem § 81 StGB kann das Verfahren – ex lege – nicht informell iSe

Diversion erledigt werden.

4.2 Nicht intervenierende Diversion

Die schlichte Diversion unterscheidet sich von der intervenierenden Diversion maßgeblich

im Reaktionsverzicht. Die Justiz verzichtet auf ein förmliches Strafverfahren und stellt es

ohne Sanktionierung zum frühestmöglichen Zeitpunkt ein, sofern die materiellen

Voraussetzungen erfüllt sind77.

Neben dem Verfolgungsverzicht wegen Geringfügigkeit aus den allgemeinen

Strafbestimmungen gem § 191 StPO kommt als schlichte Diversionsmaßnahme eine

Verfahrenseinstellung nach den Bestimmungen des Jugendgerichtsgesetzes gem

§§ 4 Abs 2 Z 2 und 6 Abs 1 bis 3 JGG in Betracht78.

4.2.1 Einstellung wegen Geringfügigkeit – § 191 StPO

Dieser Paragraph hat sich aus dem bereits aufgehobenen § 42 StGB entwickelt. Dieser

war, im Gegensatz zur heutigen Darstellung, als Strafaufhebungsgrund konzipiert. Dem

folgt § 191 StPO nicht. Die Verfolgung soll nicht wie in § 42 StGB mangels Strafbarkeit

74

Maleczky, Strafrecht AT II18

, 26.

75 Hurich, JAP 2013/2014/23, 205.

76 vgl Ausführungen zu 4.1.2.

77 Schroll in WK StPO, § 192 StPO, Rz 27.

78 Schroll in WK StPO, Vor §§ 198–209b StPO, Rz 12.

Page 35: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 26

unterbleiben, sondern wegen deren Geringfügigkeit zum frühestmöglichen Zeitpunkt

eingestellt werden79.

Die Verfolgung einer Straftat kann wegen Geringfügigkeit eingestellt werden, wenn die

Straftat mit einer drei Jahre nicht übersteigenden Freiheitsstrafe und/oder Geldstrafe

sanktioniert ist. Bei Jugendstraftaten ist nicht von den geänderten Strafdrohungen, wie sie

§ 5 JGG enthalte, auszugehen80. Es sind auch auf Jugendliche die Strafrahmen des

allgemeinen Strafrechts als Grundlage heranzuziehen (§ 5 Z 7 JGG).

Berücksichtigungswürdig sind nur Offizialdelikte. Eine Einstellung ist weiters nur dann

möglich, wenn der Störwert der Tat als gering anzusehen wäre und eine Bestrafung bzw

ein Vorgehen gem § 198 StPO aus general- oder spezialpräventiven Gründen nicht

geboten erscheint.

Der Störwert richtet sich nach dem verschuldeten Unrecht und ist dann als gering

anzusehen, wenn die Schuld iSd § 32 StGB im Rahmen einer Gesamtbetrachtung, als

gering anzusehen ist und der Beschuldigte sich nach der Tat im Hinblick auf eine allfällige

Schadensgutmachung vorbildlich verhält81.

Die general- und spezialpräventiven Gründe werden gleichermaßen berücksichtigt, erst

dann, wenn eine Diversion besser geeignet erscheint, um den Beschuldigten von der

Begehung der gleichen bzw einer ähnlichen Straftat abzuhalten, wird die Diversion der

Einstellung wegen Geringfügigkeit vorgezogen. Der Umstand alleine, dass eine Tat mit

geringem Störwert strafrechtlich verfolgt wird, ist als Abschreckung für die Allgemeinheit

ausreichend um ihr die Normverbundenheit und Stärkung des Rechtsbewusstsein in

Erinnerung zu rufen, so dass eine Ablehnung der Verfahrenseinstellung wegen

Geringfügigkeit aus Gründen der Generalprävention restriktiv zu handhaben ist82.

4.3 Diversion bei jungen Erwachsenen

Für Beschuldigte, die im Tatzeitpunkt das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sind

grundsätzlich dieselben Bestimmungen wie im allgemeinen Strafverfahren anzuwenden.

Die Sonderbestimmungen des JGG können auf junge Erwachsene nicht angewendet

werden83.

79

Tauschmann in StPO Praktikerkommentar, § 191 StPO, Rz 1. 80

Maleczky, Strafrecht AT II18

, 27. 81

Bertel in StPO Kommentar, § 191 StPO, 519. 82

Schroll in WK StPO, § 191 StPO, Rz 68. 83

Ferz/Filler, Mediation, § 7 JGG Z 1, 203.

Page 36: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 27

4.3.1 intervenierende Diversion bei jungen Erwachsenen

Eine intervenierende Diversion kommt für junge Erwachsene gem § 46a JGG nur nach

den Diversionsbestimmungen des 11. Hauptstücks der StPO unter den oben genannten

Voraussetzungen in Betracht84. Eine Herabsetzung der Strafdrohung bleibt für die

sachliche Zuständigkeit gem § 27 JGG außer Acht, diese richtet sich nach den

allgemeinen Strafdrohungen, wie auch bei Erwachsenen.

4.3.2 schlichte Diversion bei jungen Erwachsenen

Der StA kann von der Verfolgung einer Straftat, die durch einen jungen Erwachsenen

begangen wurde, unter denselben Voraussetzungen wie bei Erwachsenen gem

§ 191 StPO zurücktreten.

4.4 Diversion im Jugendstrafrecht

Zusätzlich zu den allgemeinen Diversionsvoraussetzungen der StPO sind bei

Jugendstraftaten die Sonderbestimmungen zur Diversion nach dem JGG zu beachten.

Die für Jugendstraftaten festgelegten Kriterien sind weitgehend ident mit denen der

Diversion nach der StPO, sie schaffen lediglich eine weiterreichende Anwendbarkeit der

Diversion im Jugendstrafrecht85. Die §§ 6 bis 8 JGG sind als lex specialis gem § 31 JGG

den allgemeinen Diversionsmaßnahmen des 11. Hauptstücks der StPO vorzuziehen.

Scheidet eine schlichte diversionelle Erledigung gem den Voraussetzungen des § 6 JGG

aus, dann ist zu prüfen, ob die Kriterien des § 7 JGG für die Anwendbarkeit einer

intervenierenden Diversion gegeben sind, sofern der Beschuldigte dem

Diversionsangebot des StA zustimmt86.

4.4.1 intervenierende Diversion bei Jugendlichen

Eine intervenierende Diversion nach § 7 JGG iVm § 198 StPO kommt dann in Betracht,

wenn ein Absehen von der Strafverfolgung gem § 6 JGG – die schlichte Diversion – nicht

anwendbar ist. Es muss eine Jugendstraftat vorliegen, der Sachverhalt muss hinreichend

geklärt sein, eine Verfahrenseinstellung nach §§ 190 bis 192 StPO darf nicht in Betracht

kommen, die Schuld des Beschuldigten darf nicht als schwer anzusehen sein, die Tat darf

grundsätzlich nicht den Tod eines Menschen zur Folge haben und die Durchführung des

Strafverfahrens darf nicht aus spezialpräventiven Gründen geboten erscheinen. Bei

Jugendstraftaten reicht die Diversion wesentlich weiter, es gibt weder eine

Gerichtszuständigkeit noch eine Strafobergrenze, die ein diversionelles Vorgehen

ausschließen würden87. Abweichend vom Grundsatz des § 7 JGG kann eine Diversion bei

84

Mahler, JAP 2014/2015/19, 206. 85

Schroll in WK2, § 7 JGG, Rz 1.

86 Mahler, JAP 2013/2014/1, 9.

87 Schroll, ÖJZ 2009/4, 22.

Page 37: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 28

Todesfolge gewährt werden, wenn durch die fahrlässige Tötung ein Angehöriger des

Jugendlichen getötet wurde und dieser dadurch schwer persönlich betroffen ist. Wenn das

Opfer kein Angehöriger des Jugendlichen ist, ist auch in solchen Fällen ein diversionelles

Vorgehen ausgeschlossen88.

4.4.2 Abweichungen der intervenierenden Diversion im Jugendstrafrecht

4.4.2.1 Keine schwere Schuld

Das Jugendstrafrecht schließt, anders als im allgemeinen Strafrecht, keine Straftaten aus,

selbst dann nicht, wenn sie in die Zuständigkeit des Landesgerichts als Schöffen- oder

Geschworenengericht fallen würden. Bei Jugendstraftaten wird nur ein Augenmerk auf die

Schuld des Beschuldigten gelegt. Eine schwere Schuld gem § 32 StGB schließt das

Vorgehen nach dem 11. Hauptstück der StPO iVm § 7 JGG aus. Die Schwere der Schuld

ist nach denselben Kriterien wie bei § 198 Abs 2 Z 2 StPO zu beurteilen89, die bereits bei

den Erläuterungen zum Erwachsenenstrafrecht näher ausgeführt wurden90. Es ist eine

objektive Gesamtbetrachtung des Täterverhaltens anzustellen und nach dem OGH ist

schwere Schuld dann gegeben, wenn der Handlungs- und Gesinnungsunwert als

auffallend und ungewöhnlich beurteilt werden kann91.

4.4.2.2 Primat der Spezialprävention

Bei Jugendstraftaten gilt das Primat der Spezialprävention. In § 5 Z 1 JGG ist der primäre

Zweck des Jugendstrafrechts beschrieben. Es dient in erster Linie dazu, den Täter von

der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten92. Generalpräventive Aspekte

haben unberücksichtigt zu bleiben und stellen keinen Ausschlussgrund für die Diversion

dar.

4.4.2.3 Todesfolge

In Ausnahmefällen kann eine Diversion auch bei Todesfolge angewendet werden.

Voraussetzung dafür ist, dass ein Jugendlicher einen Angehörigen fahrlässig getötet hat

und eine Bestrafung, im Hinblick auf die durch den Tod des Angehörigen resultierende

schwere psychische Belastung beim Beschuldigten, nicht geboten erscheint.

Der Angehörigenbegriff des StGB ist sehr weit gefasst. Angehöriger iSd § 7 Abs 2 Z 2

JGG iVm § 72 StGB ist jede in gerader Linie verwandte und verschwägerte Person,

berücksichtigt sind sowohl Aszendenten als auch Deszendenten. Weiters ist der Ehegatte

88

vgl Ausführungen zu 4.4.2.3. 89

Schroll in WK2, §7 JGG, Rz 13.

90 vgl Ausführungen zu 4.1.2.

91 vgl OGH 13 Os 111/00.

92 Fabrizy, StGB

11, § 5 JGG, Rz 1.

Page 38: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 29

bzw eingetragene Partner während aufrechter Ehe bzw Partnerschaft ein Angehöriger iSd

§ 72 StGB. Umfasst sind auch Geschwister und deren Ehegatten mit Kindern und

Enkelkindern, Geschwister der Eltern oder Großeltern und Cousins und Cousinen.

Angehörige sind auch Vater oder Mutter des gemeinsamen Kindes, Wahl und Pflegeeltern

sowie ihre Wahl und Pflegkinder untereinander, aber auch der Vormund und sein Mündel.

Gem § 72 Abs 2 StGB sind Angehörigen auch Personen gleichgestellt, die in einer

Lebensgemeinschaft leben. Diese werden neben ihren Kindern und Enkelkindern wie

Angehörige behandelt93.

Von der ausnahmsweisen Anwendung der Diversion im Todesfall sind nur fahrlässig

herbeigeführte Todesfälle umfasst. Vom Anwendungsbereich des § 7 Abs 2 Z 2 JGG ist

sowohl die fahrlässige Tötung gem § 80 StGB als auch die fahrlässige Tötung unter

besonders gefährlichen Verhältnissen nach § 81 StGB, grundsätzlich eingeschlossen. Als

entsprechendes Korrektiv kommt dem Diversionshindernis der schweren Schuld hier

besondere Bedeutung zu94. Aus Gründen der schweren Schuld wird ein diversionelles

Vorgehen bei Taten, die einen hohen Gesinnungsunwert aufweisen, wie zB beträchtliche

Alkoholisierung, besonders rücksichtslose und aggressive Fahrweise, oder an § 81 StGB

angelehnte andere besonders gefährliche Verhältnisse, in Kombination mit einem bei der

fahrlässigen Tötung sehr hohem Erfolgsunwert, meist ausgeschlossen werden können.

Fahrlässige Tötungen unter besonders gefährlichen Verhältnissen sind daher idR auch

bei Jugendlichen meist von der Diversion ausgeschlossen95. Es ist zu berücksichtigen,

dass ein hoher Leidensdruck des Beschuldigten aus Gründen der sogenannten

Täterbetroffenheit des § 34 Abs 1 Z 19 StGB einen die Schuld reduzierenden

Milderungsgrund darstellt96. Unter Täterbetroffenheit versteht man jenen Umstand, wo die

Tatfolgen bei einer Sympathieperson des Täters eintreten und der Täter alleine durch das

Naheverhältnis zum Opfer unter der Tatbegehung zu leiden hat, sei es emotional oder

auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Häufig handelt es sich dabei um Verkehrsdelinquenz. In

solchen Fällen scheint eine harte Bestrafung nicht geboten, wenn nicht sogar inhuman97.

Die Diversion ist dann anwendbar, wenn eine Bestrafung im Hinblick auf die durch den

Tod des Angehörigen beim Beschuldigen verursachte schwere psychische Belastung

nicht geboten erscheint (§ 7 Abs 2 Z 2 JGG). Den ErlRV zum BGBl I 93/2007 ist zu

entnehmen, dass ein Rücktritt von der Verfolgung weiterhin ausgeschlossen sein soll,

wenn der Beschuldigte über den Tod des Angehörigen erleichtert ist oder kein

93

Triffterer in SbgK, § 72 StGB, Rz 5 ff. 94

Leitner in StPO Praktikerkommentar, §§ 198-199 StPO, Rz 18. 95

Schwaighofer, ZVR 2008/119, 280/282. 96

Schroll in WK2, § 7 JGG, Rz 19.

97 Ebner in WK

2 StGB, § 34, Rz 42.

Page 39: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 30

Naheverhältnis bestanden hat98. Die Angehörigeneigenschaft des Opfers begründet

alleine noch keine schwere psychische Betroffenheit, diese muss im Einzelfall festgestellt

werden99.

4.4.2.4 Arten der intervenierenden Diversion – Besonderheiten

Es sind dem Grunde nach dieselben Diversionsarten wie im allgemeinen Strafrecht auch

auf Jugendliche anzuwenden. Dabei ist aber äußerst Bedacht auf die Lebensverhältnisse

des Jugendlichen zu legen.

Die Zahlung eines Geldbetrages gem § 200 StPO iVm § 8 JGG soll nur dann

vorgeschlagen werden, wenn anzunehmen ist, dass der Jugendliche das Geld aus

eigenen Mitteln zahlen wird, über die er selber verfügen kann.

Gemeinnützige Leistungen gem § 202 Abs 1 StPO iVm § 8 JGG dürfen in Summe 120

Stunden nicht übersteigen. Wöchentlich dürfen maximal 20 Stunden gemeinnützige

Leistungen erbracht werden und täglich nicht mehr als sechs Stunden.

Anders als bei den allgemeinen Regelungen des Tatausgleichs gem § 204 Abs 2 StPO

bedarf es nicht der Zustimmung des Opfers, um einen Tatausgleich zu erwirken.

In jedem Fall ist bei der Schadensgutmachung in angemessener Weise auf die

Leistungsfähigkeit des Jugendlichen abzustellen und darauf zu achten, dass sein

Fortkommen nicht unnötig erschwert wird.

4.4.3 schlichte Diversion bei Jugendlichen

Auch bei Jugendstraftaten iSd § 1 Z 3 JGG besteht die Möglichkeit, durch einen

Reaktionsverzicht von der Strafverfolgung zurückzutreten und das Ermittlungsverfahren

einzustellen. Von der Strafverfolgung kann der Staatsanwalt gem § 6 JGG dann absehen,

wenn die Tat mit einer fünf Jahre nicht übersteigenden Freiheitsstrafe gem § 5 JGG

bedroht ist, ein diversionelles Vorgehen nach den §§ 198 ff StPO iVm § 7 JGG nicht

geboten erscheint, um den Beschuldigten von der Begehung weiterer strafbaren

Handlungen abzuhalten, und die Tat nicht den Tod eines Menschen zur Folge gehabt hat.

Der Tod muss als objektiv zurechenbare Folge der Tat eintreten, um eine schlichte

Diversion gem § 6 JGG auszuschließen. Bei der nicht intervenierenden Diversion gibt es

keine Ausnahme, wie sie in § 7 Abs 2 Z 2 JGG vorgesehen ist.

98

ErlRV 231, BlgNR XXIII.GP, 29. 99

Schroll in WK2, § 7 JGG, Rz 20.

Page 40: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 31

Die Strafzumessung richtet sich nach den Kriterien des § 5 JGG – demnach sind auch

Straftaten umfasst, die eine abstrakte Strafdrohung von bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe

im Erwachsenenstrafrecht enthalten.

Der StA kann aus spezialpräventiven Gründen eine Belehrung durch die Jugendwohlfahrt

bzw durch das Pflegschaftsgericht beantragen, damit beim Jugendlichen kein falsches

Bild über sein zur Tat führendes Verhalten erweckt wird, indem seitens des Staates keine

Reaktion auf das strafbare Verhalten gezeigt wird100. Aus diesem Grund ist es strittig, ob

das Absehen von der Strafverfolgung als solches überhaupt als eine schlichte, nicht

intervenierende Diversion gewertet werden kann.

Grundsätzlich wird der Spezialprävention im Jugendstrafrecht der Vorrang gegenüber der

Generalprävention eingeräumt, allerdings beim Absehen von der Strafverfolgung gem § 6

iVm § 14 JGG können auch generalpräventive Gründe in die Beurteilung mit einfließen.

Der StA kann gerade bei solchen Entscheidungen, die nur aus einem Reaktionsverzicht

bestehen, die Wirkung der nichtvorhandenen staatlichen Reaktion auf die Allgemeinheit

mitberücksichtigen101.

4.4.4 Nebenfolgen der Diversion – Unterschied zur Verurteilung

Eine Verurteilung durch ein Strafgericht bringt in der Regel auch über die Strafe

hinausgehende Konsequenzen mit. Die wohl bedeutendste Folge ist neben dem Eintritt

von ex lege eintretenden Rechtsfolgen, wie zB der Amtsverlust eines Beamten bei einer

mehr als einjährigen Verurteilung, die Eintragung im Strafregister. Da bei diversionellem

Vorgehen kein Schuldspruch durch ein gerichtliches Urteil erfolgt, gilt für den

Beschuldigten die Unschuldsvermutung selbst dann, wenn er das Diversionsangebot des

StA annimmt102. Die Annahme begründet formell kein Schuldeingeständnis. Der Vorteil

bei diversioneller Erledigung ist, dass eine Eintragung ins Strafregister, mangels

Urteilsspruch, unterbleibt. Dem Beschuldigten wird die stigmatisierende Wirkung einer

Vorstrafe erspart.

100

Schroll in WK2, § 6 JGG, Rz 11; mwN Maleczky, Jugendstrafrecht

4, 21.

101 Fabrizy, StGB

11, § 14 JGG, Rz 1.

102 Bericht der Expertenkommission, ÖJZ 2004/35, 552 f.

Page 41: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 32

5 Strafzumessung

Eine Strafe ist ein mit Tadel verbundenes Übel, das wegen einer strafbaren Handlung von

einem Strafgericht aufgrund und nach Maßgabe der Schuld des Täters verhängt wird103.

Die Tadelswirkung erstreckt sich in der Darstellung des sozialethischen Unwerts, das

Übel in den Rechtseinbußen, die der Täter durch die Strafe erleidet. Eine Strafe stellt das

stärkste staatliche Mittel zur Verhaltenssteuerrung der Rechtsunterworfenen dar und ist

als letztes Mittel einzusetzen und soll nur verhängt werden, wenn kein gelinderes Mittel

denkbar ist, um den Täter zu normkonformen Handeln zu bewegen104.

Das österreichische Strafrecht kennt als strafrechtliche Sanktion sowohl die Verhängung

von Freiheitsstrafen als auch die Auferlegung von Geldstrafen. Freiheitsstrafen können

auf Lebensdauer oder auf bestimmte Zeit verhängt werden (§ 18 StGB). Das Mindestmaß

bei zeitlichen Freiheitsstrafen beträgt einen Tag, bis hin zu einem Höchstmaß von

zwanzig Jahren. Für Jugendliche und junge Erwachsene sind die bereits oben

angeführten reduzierten Strafsätze als Höchstmaß ausschlaggebend105.

Geldstrafen werden in Tagessätzen bemessen und gehen stets mit der Festlegung einer

Ersatzfreiheitsstrafe bei Uneinbringlichkeit einher. Ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe entspricht

dabei zwei Tagessätzen. Die Höhe des TS richtet sich nach den individuellen

Verhältnissen des Täters und kann von 4 bis zu 5000 Euro betragen.

5.1 Erwachsene und junge Erwachsene

Den Ausgangspunkt für die Strafzumessung bildet der konkrete gesetzlich determinierte

Strafrahmen des verübten Delikts. Bei der Bemessung der Strafe hat das Gericht die in

§§ 33 und 34 StGB demonstrativ aufgezählten Erschwerungs- und Milderungsgründe

gegeneinander abzuwägen, sofern sie nicht schon die Strafdrohung begründen. Das

Augenmerk liegt dabei auf der Gewichtung der einzelnen Gründe, auf eine zahlenmäßige

Abwägung kommt es gerade nicht an106. Entscheidende Kriterien für die Strafzumessung

sind die Schuld des Täters gem § 32 Abs 1 StGB sowie spezialpräventive und

generalpräventive Überlegungen.

Die Strafzumessung liegt im richterlichen Ermessen und ist an die

Strafzumessungskriterien gebunden. Man unterscheidet die Strafzumessung im engeren

Sinne von der Strafzumessung im weiteren Sinne.

103

Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT14

, Z 2, Rz 2. 104

Maleczky, Strafrecht Allgemeiner Teil II18

, 35. 105

vgl Ausführungen zu 3.5.1 ff und 3.6.1 ff. 106

Fabrizy, StGB11

, § 32 StGB, Rz 4.

Page 42: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 33

Unter Strafzumessung ieS versteht man die Bestimmung des Strafausmaßes, also die

Bestimmung der Dauer der Freiheitsstrafe oder die Anzahl der Tagessätze, die verhängt

werden soll107. Bei der Strafbemessung ieS ist das Doppelverwertungsverbot zu

beachten, dh es dürfen keine Erschwerungs- bzw Milderungsgründe gewertet werden, die

der Gesetzgeber bereits bei der Androhung der Strafe berücksichtigt hat108. Das Gericht

kann auch andere, gleichwertige Gründe, als in §§ 33 und 34 StGB aufgezählt sind, zur

Strafbemessung heranziehen. Zur Gewährung weiterer Milderungsgründe muss die

kriminelle Gesinnung, die Handlung des Täters oder der verursachte Erfolg hinter dem

durchschnittlich erwarteten Verhalten zurück liegen oder eine besonders günstige

präventive Prognose auf Grund des Täterverhaltens gestellt werden können109.

Die Strafzumessung iwS beschäftigt sich mit der Frage, ob eine Geldstrafe anstelle einer

Freiheitsstrafe verhängt werden kann (§ 37 StGB) oder ob eine bedingte bzw teilbedingte

Strafnachsicht gewährt werden soll (§ 43 StGB)110.

5.1.1 Verhängung einer Geldstrafe anstelle einer Haftstrafe

In § 37 StGB bringt der Gesetzgeber den Ultima-Ratio Gedanken des Strafrechts deutlich

zum Ausdruck, indem er eine Norm gestaltet hat, durch die gerade kurzfristige

Freiheitsstrafen – das sind solche bis zu sechs Monaten – verhindert werden sollen. Eine

Tat, die eine fünf Jahre nicht überseigende Strafdrohung vorsieht, muss gem Abs 1 StGB

demnach durch eine 360 TS nicht übersteigenden Geldstrafe ersetzt werden, wenn nicht

general- oder spezialpräventiven Gründen dagegen sprechen. Nach § 37 Abs 2 StGB

kann eine GS anstelle einer FS auch für Delikte mit einer Strafdrohung von über fünf

Jahren FS bis zu maximal zehn Jahren FS verhängt werden, wenn die anberaumte Strafe

maximal sechs Monate beträgt und wiederum keine spezial- oder generalpräventiven

Gründe eingewendet werden können. Die spezialpräventiven Überlegungen sind bei der

Verhängung einer GS anstelle einer FS auf die Warn- und Abschreckungsfunktion des

einzelnen Täters reduziert. Nur in den Fällen, wo eine sogenannte Schockstrafe für den

Täter als Abschreckungseffekt notwendig ist, soll eine kurze FS verhängt werden. Auf

Grund des Tagessatzsystems, wo in der Relation zwei TS einem Tag FS entsprechen, ist

auch der Geldstrafe ein Abschreckungseffekt zuzuschreiben und sie erfüllt gerade bei

nicht vorbestraften Tätern die nötige Abschreckung111.

107

Ebner in WK2 StGB, § 32, Rz 51; mwN Maleczky, Strafrecht AT II

18, 59.

108 Birklbauer/Schmidthuber in SbgK, § 33 StGB, Rz 15.

109 Birklbauer/Schmidthuber in SbgK, § 34 StGB, Rz 12.

110 Maleczky, Strafrecht AT II

18, 59.

111 Flora in WK

2 StGB, § 37, Rz 9.

Page 43: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 34

5.1.2 Bedingte Strafnachsicht

Bei der bedingten Strafnachsicht zeigt sich deutlich, dass nur jene Sanktionen verhängt

bzw vollzogen werden sollen, die für die Einhaltung der Strafzwecke unbedingt

erforderlich sind112. Der Strafvollzug wird bedingt nachgesehen unter Verhängung einer

Probezeit von einem bis zu drei Jahren. Sie ist in den Fällen anzuwenden, wenn ein

Strafausspruch unerlässlich erscheint, aber der Täter nicht in seinem Fortkommen

gehindert werden soll und eine Vermeidung eines Rückfalls des Täters alleine durch die

Androhung der Strafe, ohne tatsächliche Vollstreckung, ausreicht und auch keine

generalpräventiven Gründe für einen Strafvollzug vorliegen. Nach Ablauf der Probezeit

wird die Strafe endgültig nachgesehen, sofern sie nicht innerhalb der Frist widerrufen

wurde (§ 43 Abs 2 StGB).

In Österreich können sowohl Geldstrafen, als auch Freiheitsstrafen – bis zu einem

Strafausspruch von maximal zwei Jahren – bedingt nachgesehen werden, sofern die

materiellen Voraussetzungen der §§ 43 StGB ff erfüllt sind. Bei Jugendlichen kann eine

Strafe gem § 5 Z 9 JGG in jedem Fall bedingt nachgesehen werden, selbst wenn das in

§§ 43 und 43a StGB festgesetzte Höchstmaß von zwei bzw drei Jahren überschritten

wird.

Für die Frage, ob eine Strafe bedingt nachgesehen werden kann, sind ausschließlich

general- und spezialpräventive Gründe heranzuziehen. Schuldgesichtspunkte sind bereits

bei der Strafzumessung ieS, bei der Festsetzung der Strafe, anerkannt worden, und

haben daher für die Strafnachsicht außer Betracht zu bleiben113. Bei einer verhängten

Geldstrafe oder einer nach § 37 StGB verhängten Geldstrafe anstelle einer Freiheitsstrafe

kann ex lege maximal die Hälfte der Strafe bedingt nachgesehen werden.

5.1.3 Teilbedingte Strafnachsicht

Die teilbedingte Strafnachsicht bietet die Möglichkeit in jenen Fällen, wo eine zur Gänze

bedingt nachgesehen Strafe aus general- oder spezialpräventiven Gründen nicht

anwendbar ist, bloß einen Teil der Strafe nachzusehen oder eine kombinierte Geld-

Freiheitsstrafe zu verhängen. Das Fehlen der präventiven Erfordernisse für die

vollständige bedingte Nachsicht bzw für die kombinierte Geld-Freiheitsstrafe gem § 43a

Abs 2 StGB wird vorausgesetzt; ihr gleichzeitiges Fehlen für die teilbedingte

Freiheitsstrafe ist dadurch aber nicht indiziert114. Die zulässige Obergrenze der Strafe

beträgt in der Regel zwei Jahre, bei einer hohen günstigen spezialpräventiven Prognose

112

Maleczky, Strafrecht AT II18

, 66. 113

Jesionek/Birklbauer/Rauch, RZ 2012, 4, 5; mwN Birklbauer in FS Jesionek 2002, 325. 114

Birklbauer in SbgK, § 43a StGB, Rz 115.

Page 44: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 35

kann eine darüber hinausgehende, teilbedingte Strafe auch bis zu einer Obergrenze von

drei Jahren Freiheitsstrafe gewährt werden. Bei Jugendlichen entfällt die Obergrenze115.

Bei der Strafteilung wird eine tatschuldangemessene unbedingte Sanktion über den Täter

verhängt, der Rest der Strafe wird bedingt nachgesehen116. Die materiellen

Voraussetzungen sind dieselben wie bei der zur Gänze bedingt nachgesehenen Strafe in

§ 43 StGB, demnach kommt eine bedingte Strafnachsicht eines Teils der Strafe nur dann

in Betracht, wenn eine günstige spezialpräventive Prognose erstellt werden kann und der

Vollzug einer unbedingten Strafe aus generalpräventiven Gründen nicht erforderlich ist.

5.2 Jugendliche

Wenn eine diversionelle Erledigung bei jugendlichen Straftätern nicht möglich ist, gibt es

im Jugendstrafrecht zusätzlich zu den oben angeführten Möglichkeiten, die das

allgemeine Strafrecht bietet, privilegierte Reaktionsmöglichkeiten. Das Gericht hat im

Bereich des formellen Strafverfahrens die Möglichkeit, Jugendliche zu verurteilen, ohne

eine Sanktion verhängen zu müssen117.

5.2.1 Schuldspruch ohne Strafe – § 12 JGG

Wenn wegen einer Jugendstraftat nur eine geringe Strafe – idR eine Freiheitsstrafe von

bis zu drei Monaten118 – zu verhängen wäre, dann hat das Gericht von einem

Strafausspruch abzusehen, wenn der Ausspruch der Schuld genügen werde, um den

Rechtsbrecher von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten. Es dürfen

keine besonderen Gründe iSd § 14 JGG vorliegen, die eine generalpräventive

Verhängung einer Strafe erfordern. Die Sanktion begnügt sich mit einer Tadelswirkung

ohne das üblicherweise mit der Strafe verbundene Übel. Ein späterer Strafausspruch ist

nicht mehr möglich.

5.2.2 Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe – § 13 JGG

Als weitere Sanktionsvariante kommt bei Jugendstraftaten die Möglichkeit eines

Schuldspruchs unter Vorbehalt der Strafe für eine Probezeit von einem bis zu drei Jahren

in Betracht. Erforderlich für § 13 JGG ist, dass der Schuldausspruch genügen werde, um

den Täter von weiteren Tatbegehungen abzuhalten und keine generalpräventiven

besonderen Gründe iSd § 14 JGG die Durchführung eines Strafverfahren erfordern. Der

Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe wird dann angewendet, wenn ein Schuldspruch

ohne Strafe nicht mehr möglich ist, weil das Strafausmaß die Dreimonatsgrenze des § 12

JGG übersteigt. Die Strafe wird vorerst noch nicht festgesetzt. Zusätzlich zur Probezeit 115

Birklbauer in SbgK, § 43a StGB, Rz 113. 116

Fabrizy, StGB11

, § 43a StGB, Rz 1. 117

Maleczky, Jugendstrafrecht4, 19.

118 Schroll in WK

2, § 12 JGG, Rz 4.

Page 45: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 36

können Weisungen iSd § 50 Abs 1 StGB erteilt oder Bewährungshilfe angeordnet werden,

sofern es aus spezialpräventiven Gründen notwendig ist119. Erst wenn innerhalb der

Probezeit eine neuerliche Verurteilung des Jugendlichen erfolgt oder er sich gegen

Weisungen des Gerichtes, trotz Mahnung, widersetzt, kann ein nachträglicher

Strafausspruch iSd § 15 JGG erfolgen. Nach positiver Absolvierung der Probezeit ist

mittels Beschluss endgültig vom Strafausspruch abzusehen. Der Jugendliche ist zu

belehren, dass trotz fehlender Strafe eine gerichtliche Verurteilung mit allen damit

verbunden Konsequenzen vorliegt120.

Die beiden Reaktionsmöglichkeiten der §§ 12 und 13 JGG sehen nur von der Verhängung

des Übels – dem Vollzug der Strafe selbst – ab, eine Eintragung im Strafregister hat

ungeachtet dessen trotzdem zu erfolgen, obgleich für den Schuldspruch unter Vorbehalt

der Strafe lediglich die beschränkte Auskunft aus dem Strafregister gem § 6 Abs 2 Z 2

TilgG gilt, dh er wird in die Strafregisterbescheinigung nicht aufgenommen und

diskriminiert den Jugendlichen nicht von vornherein am Arbeitsmarkt121.

119

Maleczky, Jugendstrafrecht4, 23.

120 Schroll in WK

2, § 13 JGG, Rz 10.

121 Bertel/Venier, Strafprozessrecht

8, Rz 605.

Page 46: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 37

6 Änderungen im Strafrecht mit 1.1.2016

6.1 Gesetzesnovelle StGB von 2015 – Änderungen

Am 13. August 2015 wurde das neue Strafrechtsänderungsgesetz 2015 (StRÄG 2015) mit

BGBl I 112/2015 kundgemacht. Die Bestimmungen treten mit 1.1.2016 in Kraft. Diese

Strafrechtsnovelle enthält einige, für diese Arbeit relevante, Änderungen im StGB, wie zB

die Erweiterung der Fahrlässigkeit um die Definition der groben Fahrlässigkeit, einen

neuen Strafrahmen des § 80 StGB und eine Ausdehnung der Strafbarkeit des § 80 bei

Todesfolge mehrerer Personen sowie die Neugestaltung des § 81 StGB. Im prozessualen

Teil gibt es Änderungen bezüglich der Diversionserfordernisse gem § 198 StPO. In

weiterer Folge werden die Neuerungen und deren Auswirkungen auf die konkreten Fälle

diskutiert.

6.1.1 Fahrlässigkeit neu

§ 6 (3) StGB lautet „Grob fahrlässig handelt, wer ungewöhnlich und auffallend

sorgfaltswidrig handelt, sodass der Eintritt eines dem gesetzlichen Tatbild

entsprechenden Sachverhaltes als geradezu wahrscheinlich vorhersehbar war.“

Das StRÄG 2015 fügt bei der Fahrlässigkeit einen dritten Absatz hinzu, indem die grobe

Fahrlässigkeit definiert wird. Es sollen nur jene Fälle als grob fahrlässig eingestuft werden,

die das gewöhnliche Maß an nie ganz vermeidbaren Fahrlässigkeitshandlungen des

täglichen Lebens ganz erheblich übersteigen122. Bei der Auslegung des Begriffs der

groben Fahrlässigkeit soll auf Grund des verdreifachten Strafrahmens restriktiv

umgegangen werden. Die ungewöhnliche und auffallende Sorgfaltswidrigkeit ist aus der

bisherigen Rsp und Judikatur, sowohl aus dem Zivilrecht, sowie aus den Bestimmungen

zu schwerem Verschulden aus dem Strafrecht, abzuleiten. Diese Legaldefinition wurde im

Hinblick auf die Neugestaltung des § 81 StGB, die grob fahrlässige Tötung, eingeführt123.

6.1.2 § 80 StGB neu – Fahrlässige Tötung

§ 80 (1) StGB lautet „Wer fahrlässig den Tod eines anderen herbeiführt, ist mit

Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen zu

bestrafen.“

(2) „Hat die Tat den Tod mehrerer Menschen zur Folge, so ist der Täter mit Freiheitsstrafe

bis zu zwei Jahren zu bestrafen.“

122

ErlRV 689, BlgNR XXV.GP, 6; vgl RIS-Justiz RS0030303. 123

ErlRV 689, BlgNR XXV.GP, 6; mwN Nimmervoll in SbgK, § 104a StGB, Rz 90.

Page 47: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 38

Der erste Absatz wird bloß um die Möglichkeit einer Verhängung einer Geldstrafe iHv 720

TS erweitert. Bei fahrlässiger Tötung, die den Tod mehrerer Menschen zur Folge hat, war

dem Gesetzgeber das Höchststrafmaß von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe zu gering, er

hat eine qualifizierte Begehung in Abs 2 eingefügt, wobei die Qualifikation – alleine im

erhöhtem Erfolgsunwert – in der fahrlässigen Tötung mehrerer Menschen liegt124. Da die

Strafdrohung mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren einhergeht, ist künftig in

Fällen des Abs 2 nicht mehr wie beim Grunddelikt das Bezirksgericht zur Aburteilung

zuständig, sondern die sachliche Zuständigkeit der Qualifikation fällt gem § 31 Abs 4

StPO dem Einzelrichter am Landesgericht zu.

6.1.3 § 81 StGB neu – Grob fahrlässige Tötung

§ 81 (1) StGB lautet „Wer grob fahrlässig (§ 6 Abs 3) den Tod eines anderen herbeiführt,

ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.“

(2) „Ebenso ist zu bestrafen, wer den Tod eines Menschen fahrlässig herbeiführt,

nachdem er sich vor der Tat, wenn auch nur fahrlässig, durch Genuss von Alkohol oder

den Gebrauch eines anderen berauschenden Mittels in einen die Zurechnungsfähigkeit

nicht ausschließenden Rauschzustand versetzt hat, obwohl er vorhergesehen hat oder

hätte vorhersehen können, dass ihm einen Tätigkeit bevorstehe, deren Vornahme in

diesem Zustand eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder dir körperliche Sicherheit

eines anderen herbeizuführen oder zu vergrößern geeignet sei.“

(3) „Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren ist zu bestrafen, wer grob

fahrlässig (§ 6 Abs 3) oder in dem in Abs 2 bezeichneten Fall den Tod einer größeren

Zahl von Menschen herbeiführt.“

Der frühere Begriff der besonders gefährlichen Verhältnisse hat in der Praxis zu

erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten geführt und war vielfach nur durch die

Heranziehung von Sachverständigen zu beurteilen. Durch die Neuregelung des § 81 wird

eine Tatbegehung, die grob fahrlässiges Handeln voraussetzt, strafbar. Für die Auslegung

der groben Fahrlässigkeit verweist das Gesetz auf die Ausführungen zu § 6 StGB nF, die

bereits unter 6.1.1 erläutert wurden. Der Abs 2, der die sogenannte Rauschtat beschreibt,

wurde lediglich aus dem alten § 81 übernommen und ist nahezu unverändert geblieben.

Als Qualifikation zur grob fahrlässigen Tötung (Abs 1) und der fahrlässigen Tötung in

einem Minderrausch (Abs 2) ist in Abs 3 die grob fahrlässige Tötung einer größeren Zahl

von Menschen normiert. Wenn eine solche Erfolgssteigerung vorliegt reicht das

Strafausmaß von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Dem Strafrahmen nach wäre das

Delikt grundsätzlich noch diversionsfähig, allerdings scheidet es meist schon auf Grund

124

ErlRV 689, BlgNR XXV.GP, 6.

Page 48: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 39

der schweren Schuld durch die grob fahrlässige Tatbegehung und die Todesfolge aus.

Die Zuständigkeit des § 81 StGB nach dem StRÄG 2015 obliegt dem Einzelrichter am

Landesgericht gem § 31 Abs 4 StPO.

6.1.4 Diversion neu

Ab 1. Jänner 2016 ist eine Diversion dann zulässig, wenn die Tat nicht mit einer fünf

Jahre übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist. Die schöffen- bzw

geschworenengerichtliche Zuständigkeit wird dadurch ersetzt und die Diversion findet

dann auch auf alle Delikte Anwendung, die auf Grund der Eigenzuständigkeit bisher unter

die Zuständigkeit des LG als Schöffen-, oder Geschworenengericht gefallen sind.

Insbesondere handelt es sich dabei um die in § 31 Abs 2 Z 4 bis 11 erwähnten

Tatbestände. Künftig soll für genau diese Fälle, die nach der reinen Strafdrohung in die

Ingerenz des ER des LG fallen, ein diversionelles Vorgehen zulässig sein125.

6.2 Gesetzesnovelle Jugendstrafrecht

Derzeit liegt im Parlament ein Ministerialentwurf 148/ME XXV.GP zur Begutachtung auf,

mit dem das Jugendgerichtsgesetz geändert werden soll und Teile der privilegierten

Strafbarkeit Jugendlicher nunmehr auch für junge Erwachsene zur Anwendung kommen

sollen. Angedacht wäre ein Inkrafttreten der Novelle mit 1.1. 2016.

Zunächst sieht der Entwurf eine Legaldefinition des jungen Erwachsenen im JGG vor, der

wie bisher junge Straftäter vom 18. bis zum vollendeten 21. Lebensjahr einschließt. Die

bedeutendste Änderung ist in § 19 JGG normiert, sie enthält eigens angeführte

Sonderbestimmungen für junge Erwachsene.

§ 19 (1) JGG neu lautet: „Gegen eine Person, die zur Zeit der Tat das einundzwanzigste

Lebensjahr noch nicht vollendet hat, darf auf keine strengere als eine Freiheitsstrafe von

fünfzehn Jahren erkannt werden. Das Mindestmaß aller angedrohten zeitlichen

Freiheitsstrafen richtet sich nach jenem bei Jugendlichen (§ 5 Z 2 lit a, 3 und 4).“

(2) „ § 5 Z 1, die §§ 7, 8, 12, 13, 14 (soweit er auf 13 verweist), 15 bis 17a und 35a gelten

in allen Fällen, in denen die Tat vor Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres

begangen wurde, entsprechend.126“

Diese Novelle des Jugendgerichtsgesetzes bringt eine erhebliche Verbesserung der

Sanktionspalette bei Straftaten junger Erwachsener. Es wären Sanktionsarten möglich,

die vorher nur Jugendlichen vorbehalten waren, wie zB die Anwendbarkeit der

intervenierenden Diversion auch im Todesfall eines nahen Angehörigen, der

125

ErlRV 689, BlgNR XXV.GP, 52. 126

148/ME XXV.GP.

Page 49: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 40

Schuldausspruch ohne Strafe sowie der Schuldausspruch unter Vorbehalt der Strafe. Bei

den einzelnen Diversionsarten, insbesondere bei der Schadensgutmachung, wäre dann

auch bei jungen Erwachsenen besonders auf ihre Leistungsfähigkeit Rücksicht zu

nehmen. Es bestünde die Möglichkeit bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine

Kombination zweier, in § 8 Abs 3a JGG eigens angeführten, Diversionsarten zu

verhängen. Bei einem Tatausgleich oder bei der Erbringung gemeinnützigen Leistung

kann zusätzlich ein Bewährungshelfer hinzugezogen werden, falls dies notwendig

erscheint, um ein Abrutschen des Jugendlichen bzw des jungen Erwachsenen zu

verhindern oder wenn eine intensivere Betreuung erforderlich ist, damit die gemeinnützige

Leistung tatsächlich gänzlich erbracht werden oder ein Tatausgleich durchgeführt werden

kann127.

Durch die Sanktionserweiterung der Strafbarkeit junger Erwachsener um einen

Schuldspruch ohne Strafe bzw um einen Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe, würde

dem jungen Erwachsenen durch die beschränkte Auskunftspflicht nach dem TilgG, die die

beiden genannten Reaktionsmöglichkeiten mit sich bringen, entgegen gekommen werden.

Die Chancen am Arbeitsmarkt würden, durch Aufscheinen einer Verurteilung im

Strafregister, nicht von vornherein verhindert bzw gemindert werden.

Der Strafzweck der Spezialprävention wäre auch beim jungen Erwachsenen nunmehr

vorrangig und generalpräventive Überlegungen hätten nur dann einzufließen, wenn

besonders berücksichtigungswürdige Gründe iSd § 14 JGG vorlägen128.

Es wäre eine Angleichung der Strafuntergrenze für junge Erwachsene an jene der

Jugendlichen vorgesehen. Die bisherigen Sonderregelungen, betreffend der

Strafzumessung des § 36 StGB, würden entfallen. Demnach wäre anstelle einer

Androhung einer lebenslangen Freiheitsstrafe und einer FS von zehn bis zu zwanzig

Jahren eine maximale Freiheitsstrafe von 15 Jahren angedacht. Anstelle einer FS von

zehn bis zu zwanzig Jahren wäre eine Androhung von sechs Monaten bis höchstens zehn

Jahren vorgesehen und bei allen anderen Strafandrohungen mit einer festgesetzten

Strafuntergrenze würde das Mindestmaß entfallen.

Eine generelle Herabsetzung der Strafdrohungen auch für junge Erwachsene, wie sie

§ 5 Z 4 1. HS JGG für Jugendliche enthält, hat der Gesetzgeber unterlassen. Es gelten für

junge Erwachsene selbst nach Einführung der JGG Novelle dieselben Strafrahmen wie für

Erwachsene.

127

Erl zu 148/ME XXV.GP, 3. 128

Erl zu 148/ME XXV.GP, 5.

Page 50: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 41

7 Subsumtion der einzelnen Fälle nach aktueller Rechtslage

7.1 Jugendlicher

7.1.1 Tatbestand

Ein 17-jähriger Fahranfänger macht mit seinem Vater, im Rahmen seiner Ausbildung, eine

Übungsfahrt. Dabei ereignet sich ein Unfall, der auf einen Fahrfehler des Jugendlichen

zurückzuführen ist, bei dem sein Vater ums Leben kommt.

Der objektive Tatbestand des § 80 StGB ist erfüllt, da der Jugendliche jemand anderen

fahrlässig getötet hat. Der Tod des Vaters ist kausal iSd Äquivalenztheorie, da das auf die

Innenbahnlenken des Sohnes und die darauffolgende Kollision mit dem Lastwagen nicht

weggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg – der Tod des Vaters – in seiner

konkreten Gestalt entfiele.

Der subjektive Tatbestand erfordert bloß fahrlässiges Handeln dh, dass er lediglich die

gebotene Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er verpflichtet gewesen wäre. Ein technischer

Defekt am Fahrzeug konnte durch einen Gutachter ausgeschlossen werden, sodass

davon ausgegangen werden kann, dass sich der Unfall auf Grund eines Fahrfehlers des

L17-Fahrers ereignet hat. Ein gewissenhafter und sorgfältiger Fahranfänger hätte den

Wagen nicht auf die Innenfahrbahn gelenkt, während dort ein Sattelschlepper mit

Anhänger fährt und hätte dadurch keinen Auffahrunfall verursacht.

Für eine Fahrlässige Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen gem § 81 StGB

bedarf es gegenüber dem Grunddelikt eines erhöhten Verhaltensunwerts129. Z 2 die

Rauschtat und Z 3 die fahrlässige Tötung durch ein gefährliches Tier scheiden von

vornherein aus. Zu prüfen ist, ob Z 1 anwendbar ist und eine Begehung unter besonders

gefährlichen Verhältnissen vorliegt. Dabei liegt das Augenmerk auf dem gesteigerten

Gefährlichkeitsgrad. Es muss durch das Verhalten eine gesteigerte Wahrscheinlichkeit

des Erfolgseintritts erwirkt werden130. Im Nachhinein konnte nicht mehr nachgewiesen

werden, ob erhöhte Geschwindigkeit als Unfallauslöser in Frage kam. Es ist von einer

Unachtsamkeit auszugehen, die nicht gleichzeitig den Verhaltensunwert steigert. Eine

Qualifikation nach § 81 StGB kann mangels andere Anhaltspunkte nicht angenommen

werden.

129

Burgstaller in WK2 StGB, § 81, Rz 5.

130 Birklbauer/Hilf/Tipold, Strafrecht BT I

3, § 81, Rz 4.

Page 51: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 42

7.1.2 Erledigung

Da der Beschuldigte im Tatzeitpunkt erst 17 Jahre alt war gilt er als Jugendlicher und

seine Tat als Jugendstraftat iSd § 1 JGG. Wie bereits mehrfach erwähnt gelten für

Jugendliche grundsätzlich die allgemeinen Regelungen der Strafprozessordnung, es sei

denn, das JGG enthält speziellere Regelungen, dann sind diese anzuwenden.

Der Strafrahmen des § 80 StGB wird auf Grund der Sonderbestimmung des § 5 Z 4 JGG

auf die Hälfte reduziert und beträgt somit maximal sechs Monate.

Ein Absehen von der Strafverfolgung gem § 6 JGG kann nicht angedacht werden, da die

Todesfolge ein solches Vorgehen verhindert. Da eine schlichte Diversion nicht in Frage

kommt, bleibt dem Jugendlichen nur noch die Möglichkeit einer intervenierenden

Diversion. Voraussetzung für die Anwendung der §§ 198 StPO iVm 7 JGG ist, dass eine

Einstellung des Verfahrens nach §§ 190 bis 192 StPO nicht in Betracht kommt, der

Sachverhalt muss hinreichend geklärt sein und es dürfen keine spezialpräventiven

Gründe vorliegen, um den Jugendlichen von der Begehung derselben bzw einer

ähnlichen Straftat abzuhalten.

Der Störwert der Tat kann auf Grund der Todesfolge nicht als gering angesehen werden,

sodass eine Einstellung der §§ 190 bis 192 nicht zur Anwendung kommt. Es sind keine

spezialpräventiven Gründe ersichtlich, die gegen eine Diversion sprechen und zu einem

zwingenden Strafverfahren führen würden. Da es bei einer Anklage mit großer

Wahrscheinlichkeit zu einer Verurteilung des Beschuldigten kommen würde, kann der

Sachverhalt als hinreichend geklärt angesehen werden.

Die Schuld des Jugendlichen darf nicht als schwer iSd Strafzumessungsschuld gem

§ 32 StGB anzusehen sein. Ein schweres Verschulden liegt, wie bereits unter 4.1.2

erwähnt, dann vor, wenn Handlungs-, Erfolgs- und Gesinnungsunwert insgesamt als

auffallend und ungewöhnlich zu beurteilen sind, in diesem Fall ein auffallend und

ungewöhnliches Außer-Acht-Lassen der gebotenen Sorgfalt besteht. Ein technisches

Gebrechen des PKW konnte durch einen Sachverständigen ausgeschlossen werden131.

Der Unfall, der sich auf Grund eines Fahrfehlers ereignet hat, lässt auf einen geringen

Handlungsunwert schließen. Da es sich um Fahrlässigkeit handelt, ist auch die kriminelle

Energie, die hinter der Tat steht – der Gesinnungsunwert – als niedrig einzustufen.

Lediglich der Erfolgsunwert ist ein hoher, da der Tod die schlimmste Verletzung des

Rechtsguts Leben darstellt. Nach hA wirken sich bei geringem Handlungsunwert auch

bedeutsame Folgen kaum auf die Schwere der Schuld aus132. Unter Berücksichtigung

131

Krieglsteiner, OÖ Nachrichten Onlineausgabe vom 17. Nov. 2013. 132

Schwaighofer, ZVR 2008/119, 279/280.

Page 52: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 43

aller Aspekte, kann nicht von einem, die schwere Schuld bezeichnenden, auffallend und

ungewöhnlichem Sorgfaltsverstoß ausgegangen werden.

Ein diversionelles Verfahren bei Todesfolge ist auch bei Jugendlichen nur in den

Ausnahmefällen des § 7 Abs 2 Z 2 JGG möglich. Diversion darf angewendet werden,

wenn ein Angehöriger des Beschuldigten getötet wurde und dieser dadurch schweren

psychischen Belastungen ausgesetzt ist und eine Bestrafung aus diesen Gründen nicht

mehr geboten erscheint. Die persönliche Betroffenheit wird immer nach dem Einzelfall

bewertet, die Tatsache, dass ein Angehöriger getötet wurde, stellt für sich alleine noch

keine psychische Belastung dar. Sobald ein Naheverhältnis bestanden hat zwischen dem

Jugendlichen und seinem Vater, kann von einer persönlichen Betroffenheit ausgegangen

werden und der StA kann von der Verfolgung gem § 7 JGG, trotz Todesfolge,

zurücktreten133. Da der Jugendliche mit seinem Vater, der Angehöriger iSd § 72 StGB ist,

ein gutes Einvernehmen hatte und auch nach der Tat psychologisch betreut werden

musste, ist davon auszugehen, dass auf Grund, der durch den Tod des Vaters beim

Jugendlichen verursachten schweren psychischen Belastung, keine Bestrafung geboten

erscheint.

Eine diversionelle Erledigung gem §§ 198 StPO und § 7 JGG ist demnach bei einem

solchen Unfall, der durch einen Jugendlichen verursacht wurde, möglich.

7.2 Junger Erwachsener

7.2.1 Tatbestand

Der Tatbestand deckt sich mit den beim Jugendlichen genannten Ausführungen, durch

den begangenen Fahrfehler kann dem jungen Erwachsenen ein objektiv sorgfaltswidriges

Verhalten angelastet werden, dass ihm auch subjektiv vorwerfbar ist. Der StA kann

Anklage wegen fahrlässiger Tötung gem § 80 StGB erheben. Anzeichen für eine

tatbestandsmäßige Erfüllung des § 81 StGB gibt es, mangels gesteigerten

Handlungsunwerts, keine.

7.2.2 Erledigung

Junge Erwachsene werden grundsätzlich nach den allgemeinen Regeln der

Strafprozessordnung behandelt. Für 18 bis 21 Jährige ist das JGG nur vereinzelt

anwendbar, die Regelungen der Diversion sind aber für junge Erwachsene ausgenommen

und es muss nach aktueller Rechtslage bei jungen Erwachsenen nach den allgemeinen

Bestimmungen der StPO vorgegangen werden.

133

ErlRV 231, BlgNR XXIII.GP, 29.

Page 53: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 44

Eine Einstellung nach § 190 bzw § 191 StPO kommt nicht in Betracht, da die Tat keinen

geringen Störwert aufweist. Eine diversionelle Erledigung ist für junge Erwachsene nur

nach den Bestimmungen der §§ 198 ff StPO möglich. Das Strafmaß der fahrlässigen

Tötung enthält eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr und es wird durch die Anwendung

der Strafsatzmilderung des § 36 StGB für junge Erwachsene nicht reduziert. Es bleibt

daher bei einem Strafrahmen von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe134.

Es kommt für ihn nur eine Strafmilderung im Rahmen der Strafzumessung durch

besondere Milderungsgründe, wie sie § 34 StGB demonstrativ aufzählt, in Betracht. Da er

die Tat nach Vollendung des 18. Lebensjahres und vor Vollendung des 21. Lebensjahres

begangen hat, ist ihm der Milderungsgrund des geringen Alters (Z 1) zu Gute zu halten.

Da der junge Erwachsene durch den Tod seines Vaters, eine ihm nahestehende Person

iSd § 72 StGB, persönlich betroffen ist, ist der Milderungsgrund der Z 19, der

Täterbetroffenheit, in die Strafzumessung ebenfalls mit einzubeziehen135.

Da der Strafrahmen des § 80 StGB eine FS von bis zu einem Jahr vorsieht, ist das

formelle Kriterium des § 43 StGB, eine zwei Jahre nicht übersteigende Strafandrohung,

erfüllt und die Strafe kann gänzlich bedingt nachgesehen werden und auf den Vollzug,

unter gleichzeitiger Verhängung einer Probezeit von mindestens einem Jahr verzichtet

werden. Die gelindeste Strafe, die dem jungen Erwachsenen auferlegt werden kann, ist

eine 1-tägige, bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe. Durch den hohen Leidensdruck, den

der Täter durch die Tötung des nahen Angehörigen erlitten hat, ist davon auszugehen,

dass die Vollstreckung der Strafe nicht erforderlich ist, um den jungen Erwachsenen von

der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten. Die Allgemeinheit hat

Verständnis, dass in so einem Fall nur eine kurze Freiheitsstrafe verhängt wird und auf

den Strafvollzug, nach erfolgreicher Probezeit, verzichtet wird. Die Durchschlagskraft der

Rechtsordnung leidet nicht darunter136.

Wenn die konkrete Strafe weniger als sechs Monate Freiheitsstrafe beträgt, was

anzunehmen ist, da mildernd das geringe Alter und die Betroffenheit mit einfließen, kann

auch eine Geldstrafe anstelle einer FS gem § 37 StGB verhängt werden. Eine teilbedingte

Nachsicht der GS kann unter denselben Kriterien wie bei der Freiheitsstrafe

ausgesprochen werden, die Rsp ist hiebei allerdings sehr restriktiv, da sie oft

generalpräventive Erfordernisse, auf Grund des geringeren Übels der Geldstrafe, sieht.

134

Mahler, JAP 2014/2015/19, 204. 135

Oshidari, Handbuch des Verkehrsunfalls VII, Rz 284. 136

Soyer, AnwBl 1989, 311.

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Seite | 45

7.3 Erwachsener

7.3.1 Tatbestand

Eine 33-jährige Mutter hat den Kinderwagen mit ihrem Kleinkind am Bahnsteig abgestellt

und ist ins Untergeschoß Fahrkarten kaufen gegangen. Während sie die Tickets besorgte,

rollte der Kinderwagen auf die Gleise als ein Güterzug den Bahnhof passierte. Der

Kinderwagen wurde vom Zug erfasst und das Baby tödlich verletzt.

Voraussetzung um den Tatbestand des § 80 StGB zu erfüllen ist ein objektiv

sorgfaltswidriges Verhalten der Mutter. Das kann im unsachgemäßen Abstellen des

Kindes am Bahnsteig gesehen werden. Denkbar wäre ein objektiv sorgfaltswidriges

Verhalten zB dann, wenn die Mutter vergessen hätte, die Bremsen des Kinderwagens zu

betätigen, obwohl der Bahnsteig zu den Gleisen hin leicht abschüssig war und an dem

Tag ein kräftiger Wind gegangen ist. Abzustellen ist auf das Verhalten einer

differenzierten Maßfigur im Zeitpunkt der Tat. Eine mit den Werten der Rechtsnorm

verbundene Mutter hätte ihr Kind nicht alleine im Kinderwagen am Bahnsteig abgestellt

bzw hätte nicht vergessen die Bremse zu fixieren, wenn das Bahnsteiggelände ohnehin

leicht abschüssig ist.

Um die subjektive Seite des Tatbestands zu erfüllen, bedarf es bloßer Fahrlässigkeit. Da

die Mutter die gebotene Sorgfalt beim Abstellen des Kinderwagens außer Acht gelassen

hat, kann ihr fahrlässiges Verhalten vorgeworfen werden. Das Strafmaß der fahrlässigen

Tötung beträgt bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe, wodurch das Delikt in die sachliche

Zuständigkeit des Bezirksgerichts (§ 30 StPO) fällt.

7.3.2 Erledigung

Taten Erwachsener Straftäter werden ausschließlich nach den allgemeinen

Bestimmungen des Strafrechts und der Strafprozessordnung erledigt.

Eine Einstellung wegen Geringfügigkeit gem § 191 StPO kommt wegen der Todesfolge,

die einen hohen Störwert der Tat darstellt, nicht in Betracht. Aus denselben Gründen

scheidet auch eine diversionelle Erledigung aus, da die Tat den Tod eines Menschen zur

Folge hatte, was gem § 198 Abs 2 einer Diversion entgegen steht.

Die StA hat gegen die Mutter Anklage wegen fahrlässiger Tötung gem § 80 StGB zu

erheben. Das Gericht kann der erwachsenen Täterin nur den Milderungsgrund der

Täterbetroffenheit gem § 34 Abs 1 Z 19 StGB gewähren, da sie als Mutter Angehörige iSd

§ 72 StGB ist und durch den Tod des eigenen Kindes psychisch schwer betroffen ist.

Page 55: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 46

Wenn auf keine höhere Strafe als eine Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten zu

entscheiden wäre, dann ist die FS gem § 37 Abs 1 StGB in eine Geldstrafe umzuwandeln,

sofern keine präventiven Erfordernisse für eine Freiheitsstrafe vorliegen. In so einem Fall

wären grundsätzlich nur generalpräventive Einwände des Gerichts denkbar, aus

spezialpräventiver Sicht ergeben sich keine Bedenken, da die Mutter ohnehin schon leidet

und sie durch eine Geldstrafe ausreichend gestraft wäre. Auf Grund des geringen

Unrechtgehalts der Tathandlung sollte der Anwendung des § 37 StGB nichts

entgegenstehen. Der Strafrahmen wäre gem § 19 StGB mit mindestsens zwei TS bis hin

zu maximal 360 TS zu bemessen. Eine daraus resultierende Geldstrafe könnte gem

§ 43a StGB teilbedingt nachgesehen werden.

Selbst wenn keine Geldstrafe anstelle einer Freiheitsstrafe verhängt werden kann, wird

eine bedingte Strafnachsicht gewährt werden können. Wenn die konkrete Strafe weniger

als sechs Monate FS beträgt, kann, vorausgesetzt die Präventionserfordernisse fehlen,

die Strafe zur Gänze nachgesehen werden, andernfalls nur teilbedingt.

Im konkreten Fall wäre angesichts der geringen Schuld und der kaum erforderlichen

Präventionsgründe eine eintägige FS denkbar und diese könnte auch gänzlich bedingt

nachgesehen werden. Die Allgemeinheit versteht es, wenn eine Mutter, die ihr Kind auf

solch tragische Weise verloren hat, nur eine kurze, bedingt nachgesehene FS bekommt.

Das Rechtsbewusstsein der Allgemeinheit wird dadurch nicht erschüttert.

Page 56: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 47

8 Subsumtion der einzelnen Fälle nach künftiger Rechtslage

Für alle drei oben erläuterten Sachverhalte kann gemeinsam festgehalten werden, dass

künftig ab 1.1.2016 bei fahrlässiger Tötung nicht mehr zwangsläufig nur auf eine

Freiheitsstrafe zu erkennen ist, sondern die Möglichkeit einer Verhängung einer

Geldstrafe von bis zu 720 TS denkbar ist.

Um eine Anwendbarkeit des § 81 StGB auszuschließen, darf der Unfall nicht grob

fahrlässig herbeigeführt worden sein. Das wäre dann der Fall, wenn eine ungewöhnliche

und auffallend sorgfaltswidrige Handlung gesetzt worden wäre, die gem § 6 Abs 3 StGB

nF den Eintritt eines dem gesetzlichen Tatbild entsprechenden Sachverhalts geradezu

wahrscheinlich erscheinen lässt. In den oben geschilderten Sachverhalten kann jedoch

keine ungewöhnlich auffallend sorgfaltswidrige Handlung erkannt werden.

8.1 Jugendlicher

Für die Tatbegehung durch einen Jugendlichen ändert sich zu den oben getätigten

Ausführungen nichts, ein diversionelles Vorgehen ist nach wie vor möglich und als

gelindestes Mittel, entsprechend dem Ultima-Ratio Gedanken des Strafrechts, einer

Bestrafung, sei es durch Verhängung einer Geldstrafe oder durch eine Freiheitsstrafe,

vorzuziehen.

8.2 Junger Erwachsener

Die größten Änderungen ergeben sich in der Strafbarkeit von jungen Erwachsenen. Wenn

der Begutachtungsentwurf idF 148/ME XXV.GP angenommen wird, wären nunmehr bei

jungen Erwachsenen die §§ 5 Z 2 lit a, Z 3 und Z 4 2. HS JGG anwendbar. § 80 StGB

sieht eine Strafdrohung von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe bzw 720 TS vor. Die oa

Strafrahmenreduktionen für Verbrechen bzw der Entfall eines Mindestmaßes sind bei

§ 80 StGB nicht einschlägig und es bleibt beim Strafrahmen der für Erwachsene

vorgesehen ist von bis zu einem Jahr FS oder bis zu 720 TS.

Die erweiterte Sanktionspalette sieht künftig eine Diversion gem § 7 JGG auch bei

Todesfolge vor, wenn der junge Erwachsene durch den Tod eines nahen Angehörigen

schwer psychisch beeinträchtigt ist und eine Bestrafung aus diesem Grund nicht geboten

erscheint. Die Diversionsarten sind so zu wählen, dass das weitere Fortkommen des

jungen Erwachsenen nicht erheblich erschwert wird und er im Falle einer Zahlung eines

Geldbetrages diese aus seinen eigenen Mitteln erbringen kann.

Page 57: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

Seite | 48

Bei Verhängung der Diversionsart der gemeinnützigen Leistung oder des Tatausgleichs

kann nunmehr auch ein Bewährungshelfer hinzugezogen werden, wenn es aus

spezialpräventiven Gründen geboten erscheint, oder der Sicherstellung der vollständigen

Schadensgutmachung dient.

Sollte eine Diversion nicht in Betracht kommen, zB weil der Getötete nicht ein naher

Angehöriger des jungen Erwachsenen ist, würden die Sanktionsmaßnahmen des

Schuldausspruchs ohne bzw unter Vorbehalt der Strafe nunmehr auch bei 18 bis 21

jährigen Straftätern Anwendung finden.

Da das Jugendgerichtsgesetz keine eigenen Regelungen für eine bedingte oder

teilbedingte Strafnachsicht enthält, sowohl nach aktueller Rechtslage als auch nach

künftiger Fassung nicht, bleiben im Falle einer Verurteilung mit Strafausspruch die

Bestimmungen der §§ 43 ff StGB für junge Erwachsene anwendbar.

8.3 Erwachsener

Bei der Aburteilung des Erwachsenen kommt künftig nur die Möglichkeit einer

Verhängung einer Geldstrafe iHv 720 TS hinzu. Ein diversionelles Vorgehen bleibt auf

Grund der Todesfolge bei Erwachsenen weiterhin ausgeschlossen.

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Seite | 49

9 Zusammenfassung

Wie schon mehrfach in dieser Arbeit erwähnt wurde, hört die Phase des

Heranwachsenden, die sogenannte Adoleszenzkrise, nicht mit Vollendung des 18.

Lebensjahres auf. Vielfach entscheidet aber gerade nur das Alter über die Anwendbarkeit

oder nicht Anwendbarkeit des Strafrechts, bzw einzelner Privilegien des JGG137. Es zeigt

sich ein besonders starker Anstieg der verübten Delinquenz zwischen dem 17. und dem

20. Lebensjahr, danach nimmt die Kriminalitätsbelastung bis zum 25. Lebensjahr deutlich

ab138.

Sinnvoller wäre es, die Rahmenbedingungen für Straftaten Jugendlicher bzw junger

Erwachsener anzugleichen und möglichst breit festzulegen und dem Richter seine

ursprüngliche Aufgabe, die Strafzumessung an den Einzelfall anzupassen,

zurückzugeben. Wenn dem Gericht ein großer Spielraum eingeräumt wird, kann er die

Strafzumessung besser auf den Einzelfall anpassen und angesichts der

spezialpräventiven Erfordernisse gezielt reagieren. Durch ein vorab festgesetztes

Grundkonzept, innerhalb dessen ein breites Reaktionsspektrum liegt, soll Willkür

entgegen gewirkt werden, eine gewisse Vorhersehbarkeit der Strafe bleibt gegeben.

Ein wie in Deutschland existierendes Heranwachsendenstrafrecht, bei dem im Einzelfall

entschieden wird, ob der junge Erwachsene nunmehr nach dem Jugendgerichtsgesetz

oder nach den Strafbestimmungen des Erwachsenenstrafrechts zu bestrafen sei, ist

abzulehnen. Besonderes Augenmerk ist auf die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit und

die Umstände der konkreten Tat zu legen139 besonders im Hinblick darauf, ob es sich um

eine typische Jugendverfehlung handelt. Da den Gerichten vielfach die notwendigen

entwicklungspsychologischen Kenntnisse oder teilweise sogar einfach nur die

notwendigen Informationen fehlen, haben sie für die Entscheidung, welches Recht zur

Anwendung kommt, Gutachten heranzuziehen. Um eine strafrechtliche Vorhersehbarkeit

zu gewährleisten, wäre es zu begrüßen, wenn auch für junge Erwachsene stets das

Jugendstrafrecht herangezogen würde und innerhalb der Bestimmungen des JGG, je

nach Einzelfall geurteilt würde. Der Exkurs ins deutsche Heranwachsendenstrafrecht soll

aufzeigen, dass eine Einzelfallbetrachtung, ob Jugendstrafrecht anwendbar ist oder nicht,

in der Praxis zu erheblichen Problemen führen kann.

137

Birklbauer, JSt 2011, 157, 164. 138

Miklau in FS Jesionek, 138. 139

Ostendorfer, ÖJZ 2003/7, 121 ff.

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Seite | 50

An dieser Stelle kann festgehalten werden, dass jede altersorientierte Grenzziehung ein

Akt kriminalpolitischer Wertung ist und im Hinblick auf die stets unterschiedlich

fortgeschrittene Entwicklung des einzelnen jungen Straftäters problematisch zu bewerten

ist140.

Die Jugendgerichtsnovelle, die derzeit im Begutachtungsverfahren beim NR liegt, kommt

einer angemessenen Beachtung der jungen Erwachsenden im Strafrecht näher. Zu

begrüßen ist der Vorrang der Spezialprävention, der nunmehr auch bei jungen

Erwachsenen vorherrschend ist. Die Novelle idF 148/ME XXV.GP bleibt im Bereich der

Strafzumessung hinter den Erwartungen zurück. Der Gesetzgeber hat lediglich die

Strafrahmengrenzen schwerer Verbrechen junger Erwachsener an die der Jugendlichen

angeglichen und den generellen Entfall eines festgesetzten Mindestmaßes nunmehr auch

für junge Erwachsene vorgesehen. Wünschenswert wäre eine nahezu Angleichung der

Strafgrenzen für junge Erwachsene an die der Jugendlichen, da die Bedürfnisse junger

Erwachsener sich stark an denen der Jugendlichen orientieren.

Die Anwendbarkeit der Diversion des § 7 JGG bringt für junge Erwachsene erhebliche

Vorteile. Eine Todesfolge eines Angehörigen schließt nicht mehr zwangsläufig die

Diversion aus. Dies geht dem Verein Neustart in seiner Stellungnahme zum

Begutachtungsentwurf nicht weit genug, er fordert eine zweifache Ausdehnung des

§ 7 JGG. Einerseits den Entfall der ausschließlichen Anwendung der Diversion bei Tod

eines Angehörigen, denn oftmals sind Jugendliche bzw nunmehr auch junge Erwachsene

nicht mit der Familie unterwegs und bei verübten Delikten des § 80 StGB kommen meist

Freunde oder Bekannte ums Leben. Bei schwerer psychischer Betroffenheit durch den

fahrlässig verursachten Tod eines Freundes wäre auch die Anwendbarkeit der Diversion

gem § 7 JGG in solchen Fällen erwünscht. Sobald ein Naheverhältnis zum Opfer

bestanden hat, wäre eine schwere psychische Belastung gegeben und ein diversionelles

Vorgehen wäre vertretbar. Desweiteren wird die Ausdehnung der diversionellen

Erledigungsmöglichkeit auch für Erwachsene, bei persönlicher Betroffenheit durch den

Tod eines nahen Angehörigen, in § 198 Abs 2 StPO erwünscht141.

Schon der Bericht der Expertenkommission zur Prüfung der staatlichen Reaktionen auf

strafbares Verhalten in Österreich vom März 2004 hat treffend erkannt, dass ein

gänzlicher Ausschluss der Diversion bei Todesfolge aus dem § 198 StPO beseitigt

werden sollte, zumal die Anwendung ohnehin aus Gründen der Generalprävention nur auf

140

Ostendorfer, ÖJZ 2003/7, 121 ff. 141

1/SN-148/ME XXV.GP, 8.

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Ausnahmesituationen, wie zB bei der leicht fahrlässigen Tötung eines nahen Angehörigen

durch einen Verkehrsunfall, beschränkt wäre142.

Dem kann inhaltlich gänzlich zugestimmt werden, wobei unter Berücksichtigung der oa

Gründe nicht ausschließlich eine Beschränkung auf nahe Angehörige vorzunehmen ist.

Es ist nicht nachzuvollziehen, warum jemand, der ohnehin schon durch die Verursachung

des Todes eines nahen Angehörigen oder einer ihm nahestehenden Person schwer

psychisch betroffen ist, in der Hauptverhandlung alles erneut durchleben muss und,

obwohl die Tat einen geringen Handlungsunwert aufweist, vorbestraft wird. Das

widerspricht den heute vorherrschenden Präventionserfordernissen der General- und

Spezialprävention.

Die StGB Novelle des BGBl I 112/2015 bringt im Hinblick für die Diversionsanwendungen

bei Erwachsenen insofern eine Erleichterung, dass nunmehr Diversion bei Straftaten zur

Anwendung kommen kann, die auf Grund ihre Eigenzuständigkeit in die schöffen- bzw

geschworenengerichtliche Zuständigkeit fallen. § 198 Abs 2 nF stellt nunmehr auf die

Strafdauer – nicht mehr als fünf Jahre Freiheitsstrafe – und nicht mehr auf die gerichtliche

Zuteilung ab. Ein Umdenken bei den Anwendungsvoraussetzungen und eine Ausdehnung

der Diversion wären im Hinblick auf die diversionelle Erledigung bei Todesfolge auch für

Erwachsene wünschenswert.

Bleibt abzuwarten, was aus dem Begutachtungsentwurf 148/ME XXV.GP in das JGG bzw

StGB übernommen wird. In der aktuellen Fassung des Entwurfes stellt die Novelle eine

erhebliche Reaktionserweiterung für junge Erwachsene dar.

142

Bericht der Expertenkommission, ÖJZ 2004/35, 553.

Page 61: Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei

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