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Streitkräfte der Vereinten Nationen Author(s): DIETRICH FRANKE Source: Archiv des Völkerrechts, 18. Bd., 2. H. (1979), pp. 149-181 Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40797802 . Accessed: 14/06/2014 14:53 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Archiv des Völkerrechts. http://www.jstor.org This content downloaded from 195.34.79.223 on Sat, 14 Jun 2014 14:53:06 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

Streitkräfte der Vereinten Nationen

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Streitkräfte der Vereinten NationenAuthor(s): DIETRICH FRANKESource: Archiv des Völkerrechts, 18. Bd., 2. H. (1979), pp. 149-181Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40797802 .

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Streitkräfte der Vereinten Nationen Entwicklung und aktuelle Probleme

Dr. iur. DIETRICH FRANKE Bonn

I. Einleitung

Die Charta der Vereinten Nationen ist auf das Ziel angelegt, die Anar- chie einzelstaatlicher Entscheidungszuständigkeit über die Anwendung be- waffneter Gewalt in den internationalen Beziehungen durch kollektive Ent- schließungs- und Aktionsformen zu überwinden und zentralen Organen der Staatengemeinschaft die Verantwortung für die Wahrung des inter- nationalen Friedens zu übertragen. Internationale Streitkräfte, die den Beschlüssen des Sicherheitsrates Wirksamkeit verleihen, sind integrierender Bestandteil des von der Charta angestrebten Sicherheitssystems. Anspruch und Wirklichkeit der Vereinten Nationen sind jedoch durch eine tiefe Kluft getrennt. Die entscheidenden Sicherheitsfunktionen des internationalen Sy- stems liegen weiterhin bei den Einzelstaaten und nur in einem sehr begrenz- ten Ausmaß haben die Vereinten Nationen es bisher vermocht, sich als eigen- ständigen Faktor zur Geltung zu bringen. Im einzelnen ist die Rolle der Vereinten Nationen auf dem Gebiet der Friedenssicherung einem ständigen Wandlungsprozeß unterworfen gewesen, dessen entscheidende Determinan- ten in den Veränderungen der internationalen Umwelt und in den wechseln- den Zielsetzungen der in der Organisation tonangebenden Mehrheiten lie- gen1. Geänderte Umweltbedingungen und wechselnde Kräftekonstellationen

1 Im Gegensatz zu einem rein normativen Verständnis, das die Charta als ein System von Reditssätzen aus sidi heraus zu begreifen sudit, wird in neueren Dar- stellungen die Umweltabhängigkeit der Organisation hervorgehoben. Das Redit der Vereinten Nationen wird in einer soldien Sidit zu einer abhängigen Variablen, deren Entwiddung durdh die Rahmenbedingungen des internationalen Systems und die Zusammensetzung der Mitgliedsdiaft bestimmt wird. Vgl. etwa die Darstellun- gen in /. L. Claude y The Changing United Nations, 1967; L. Gordenker (Hrsg.), The United Nations in International Politics, 1971; L. M. Goodrich, The United Nations in a Changing World, 1974; U. Scheuner , Die Vereinten Nationen als Faktor der internationalen Politik, 1976.

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in der Organisation selbst haben auf dem Gebiet der Friedenssicherung zur Entwicklung verschiedener alternativer Handlungsformen geführt, die das ursprüngliche System der Charta modifizieren und ergänzen. Die Er- scheinungsformen und Funktionen internationaler Streitkräfte in Charta und Praxis der Vereinten Nationen lassen sich bei Zurückführung auf ihre poli- tischen Rahmenbedingungen und Wirksamkeits Voraussetzungen als „Sy- steme" von relativer Geschlossenheit und Einheitlichkeit verstehen, die auf jeweils verschiedenen Grund Strukturen des kollektiven Entscheidungs- und Aktionsprozesses beruhen2.

In der folgenden Untersuchung geht es darum, einen Überblick über die Entwicklung und Funktionsweise der verschiedenen Aktionssysteme zu ge- winnen und ihre gegenwärtige Relevanz zu beurteilen (II). Die rechtlichen Kontroversen, die die Herausbildung dieser Systeme begleitet haben, sind dabei von wesentlicher Bedeutung, da die Praxis, um Legitimität und Dauer- haftigkeit zu entfalten, auf den rechtlichen Konsens der Mitglieder ange- wiesen ist. Der Schwerpunkt der Diskussion liegt seit langem bei den Peace- keeping Operationen, ihrer Wesensbestimmung und konkreten Ausgestal- tung, insbesondere bei der Wahrnehmung der Funktionen politischer Kon- trolle. Seit 1965 werden diese Fragen im Special Committee on Peace- keeping Operations erörtert, das von der Generalversammlung mit dem Ziel ins Leben gerufen wurde, einen Ausweg aus der durch die Peace- keeping Operationen ausgelösten Finanz- und Verfassungskrise zu finden und für zukünftige Operationen eine breite Konsensgrundlage zu sichern. In den letzten Jahren hat das Special Committee sich der Ausarbeitung eines1 Richtlinienentwurfes für Peace-keeping Operationen unter der Autori- tät des Sicherheitsrates zugewandt und in der Zeit von 1974 bis 1977 ver- schiedene Fassungen veröffentlicht3. Die Entwicklung dieses Richtlinienent- wurfes ermöglicht einen Überblick über die Fortschritte und Schwierigkeiten der Kodifikation, über den gegenwärtig erreichbaren Konsens und das Aus- maß der fortbestehenden Divergenzen (III).

2 Vgl. R. A. Falk, The United Nations: Various Systems of Operation, in: L. Gordenker (Anm. 1), S. 184 ff., ferner O. Young, The Intermediaries: Third Parties in International Crises, 1967, S. 116 f. Eine Systematisierung nadi Kon- sensformen unternimmt E. Haas, Collective Security and the Future International System, in R. A. Falk und C. E. Black (Hrsg.), The Future of the International Legal Order, Bd. I, Trends and Patterns, 1969, S. 226, 263 f., 275 f.

3 Vgl. näher unten S. 171.

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II. Verschiedene Systeme kollektiver Sicherheit und militärischer Maßnahmen in Charta und Praxis

der Vereinten Nationen

1. Das Sicherheitssystem der Charta (System 1)

Bei der Umschreibung der Handlungsbefugnisse des Sicherheitsrats nach Kapitel VII der Charta als Kern des Sicherheitssystems der Vereinten Nationen legten die Autoren der Charta das Leitbild der Siegerallianz des zweiten Weltkrieges zugrunde. Die kollektive Friedenssicherung sollte auf dem Zusammenwirken der Großmächte als ständiger Mitglieder des Sicher- heitsrates beruhen. Die Zusammenballung eines überlegenen militärischen Potentials und umfassender Zwangsbefugnisse beim Sicherheitsrat sollte künftige Aggressoren abschrecken und erforderlichenfalls ihre schnelle Aus- schaltung garantieren. Negativ war somit vorausgesetzt, daß die Vereinten Nationen Sicherheit nur durch, nicht gegen die Großmächte gewährleisten konnten. Für den Zerfall der Allianz und die Bildung neuer Fronten quer durch das Lager der Großmächte sieht die Charta keine institutionelle Lö- sung vor, verweist vielmehr in Art. 51 auf das traditionelle Mittel militäri- scher Verteidigungsbündnisse. Insofern verzichteten die Autoren der Charta auf den Versuch, das internationale System grundlegend umzugestalten, be- schränkten die Wirksamkeit der zentralisierten, kollektiven Friedenssiche- rung vielmehr auf den Fall eines möglichen Wiedererstarkens der gemein- samen Gegner und auf sonstige Fälle, bei denen die Großmächte sich auf eine gemeinsame Politik zu einigen vermochten.

Voraussetzung eines Eingreifens des Sicherheitsrats nach Kap. VII der Charta ist das einstimmige Votum der ständigen Sicherheitsratsmitglieder (vgl. Art. 27, III). Dem Handlungstyp nach handelt es sich bei den in Art. 39 angesprochenen „Maßnahmen" der Artikel 41 und 42 um „Zwangsmaß- nahmen" (enforcement measures). Der Begriff der Zwangsmaßnahmen ist in der Charta nicht näher definiert, doch wird man annehmen können, daß es sich bei den militärischen Zwangsmaßnahmen des Artikel 42 um die An- wendung militärischen Zwanges gegen Staaten oder Regierungen handelt, die nach den Feststellungen des Sicherheitsrats für eine Friedensbedrohung, einen Friedensbruch oder eine Aggression verantwortlich sind4. Umstritten ist, ob die Zwangsmaßnahmen des Sicherheitsrats Sanktionen im engeren Sinne sind, die einen Rechtsbruch des Adressaten, insbesondere eine Ver- letzung des Gewaltverbots des Artikel 2 Ziff. 4 zur Voraussetzung haben,

4 Zum Begriff der Zwangsmaßnahmen i. S. des Art. 42 vgl. die Ausführungen des Internationalen Gerichtshofes in seinen Gutaditen, Certain Expenses of the United Nations (Art. 17, paragraph 2, of the Charter), Advisory Opinion of 20 July 1962, International Court of Justice (ICJ) Reports 1962, S. 151 ff.. Siehe auch M. Bothey Streitkräfte internationaler Organisationen, 1968, S. 116 ff.

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oder ob es sich um politische Maßnahmen handelt, die der Sicherheitsrat nach seinem politischen Ermessen anordnen kann5.

Auch bei den Ausführungsbestimmungen der Artikel 43 ff. zur Verwirk- lichung des militärischen Sicherheitsapparats des Kap. VII tritt die Führungs- rolle der Großmächte deutlich hervor. Der Sicherheitsrat bedient sich bei der Planung und Durchführung militärischer Maßnahmen des Generalstabsaus- schusses, in dem die ständigen Sicherheitsratsmitglieder durch ihre General- stabschefs vertreten sind (Art. 47), als ausführenden Organs. Streitkräfte werden von den Mitgliedern aufgrund noch auszuhandelnder Sonderab- kommen mit dem Sicherheitsrat bereitgestellt (vgl. Art. 43 - 45). Diese Durchführungsbestimmungen sind unverwirklicht , geblieben. Der General- stabsausschuß, in dem auch die Verhandlungen über die Bereitstellung von Streitkräften geführt wurden, ist seit 1948 praktisch inaktiv6. Mit dem Auf- kommen des kalten Krieges waren die politischen Bedingungen für die Realisierung des Sicherheitssystems der Charta entfallen.

Gleichwohl sind diese Bestimmungen nicht obsolet geworden. Auch nach Wegfall ihrer politischen Voraussetzungen stellen sie das einzige System dar, dessen Legitimität von allen Mitgliedern anerkannt wird. So sehen insbe- sondere die Sowjetunion und Frankreich die Vorschriften des Kapitel VII als eine für alle militärischen Einsätze der Vereinten Nationen verbindliche abschließende Regelung an und halten die abweichenden Entwicklungen der Praxis für illegal oder unmaßgeblich. Die Mehrheit der Mitgliedsstaaten hingegen bestreitet den abschließenden Charakter der Regelung des Kap. VII und sieht insbesondere die Bestimmungen in Art. 43 f. über den Abschluß von Spezialabkommen und die Beteiligung de Generalstabsausschusses an militärischen Aktionen als fakultativ an7. Diese Kontroverse, in der es um

5 Eine umfassende Darstellung des Meinungsstandes enthält /. Arntz, Der Begriff der Friedensbedrohung in Satzung und Praxis der Vereinten Nationen, 1975, S. 26 ff.

6 Der Generalstabsausschuß tritt zwar weiterhin alle zwei Wochen zusammen, erörtert aber nicht mehr Sachfragen. - Zu den Verhandlungen im Generalstabs- ausschuß vgl. D. W. Bowetty United Nations Forces 1964, S. 12 ff. Mit Zukunfts- perspektiven befaßt sich R. C. Bruning, The United Nations Military Staff Com- mittee: Future or Failure? in: Revue de droit pénal militaire et de droit de la guerre 13 (1974), S. 35 ff.

7 Eine Gegenüberstellung der im Special Committee on Peace-Keeping Opera- tions hervorgetretenen Standpunkte findet sich in den Doc. A/AC. 121/L. 18 (23. 10. 1973), S. 15. Zusammenfassende Darstellungen der Position einzelner Staaten in der Peace-keeping Debatte finden sich in A. Karaosmanogluy Les actions militaires coércitives et non-coércitives des Nations Unies, 1970, S. 198 f. und /. Schärli, Friedenserhaltende Aktionen der Vereinten Nationen. Aspekte der Teilnahme für einen dauernd neutralen Staat, Diss. St. Gallen 1974, S. 155 ff. Ausführliche Untersuchungen der rechtlichen Problematik internationaler Streit- kräfte: D.W. Bowetty United Nations Forces, 1964; F.Seyerstedy United Nations Forces in the Law of Peace and War, 1966. Einen knappen Überblick bietet

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das Ausmaß der Mitwirkungs- und Kontrollrechte der Großmächte als stän- diger Sicherheitsratsmitglieder geht, begleitet die gesamte Praxis der Ver- einten Nationen. Keine der militärischen Operationen der Vereinten Natio- nen folgt dem speziellen Modell, das die Artikel 43 f. der Charta für inter- nationale Streitkräfte vorsehen. Als autorisierendes Organ tritt neben dem Sicherheitsrat bald die Generalversammlung hervor. Der Aktionstypus ver- schiebt sich von Zwangsmaßnahmen zunehmend auf Peace-keeping Opera- tionen, die der Zustimmung der Konfliktparteien bedürfen. Der General- sekretär erlangt als Oberbefehlshaber von Peace-keeping Streitkräften die Stellung eines weitgehend autonomen Exekutivorgans. Diese Entwicklungen der Praxis haben nur zum Teil eine unangefochtene, auf den rechtlichen Konsens aller Mitglieder gestütze Legitimität erreicht, die es rechtfertigen würde, von einer gewohnheitsrechtlichen Fortbildung der Charta zu sprechen8.

2. Die Überleitung von Funktionen kollektiver Sicherheit auf die Generalversammlung

(System 2)

Der Fehlschlag des Sicherheitssystems des Kapitel VII der Charta und die Lähmung des Sicherheitsrats durch den kalten Krieg führten bereits in den 40er Jahren zu einem allmählichen Anwachsen der Bedeutung der Generalversammlung als eines Organs zur Lösung praktischer Probleme der Friedenssicherung9. Im Koreakonflikt trat sie in vollem Umfang in die Funktionen des Sicherheitsrates ein. Die Uniting for Peace Resolution schließlich stellt einen umfassenden Versuch dar, neben dem Sicherheitssystem des Kap. VII der Charta ein zweites Netz der kollektiven Sicherheit zu spannen, das von der Generalversammlung getragen wird.

A. Skeikhy UN-Peace-keeping Forces. A Reappraisal of Relevant Charter Provi- sions, in: Revue Belge de droit international, Bd. VII (1971/72) S. 469 ff.

8 In der Literatur wird wiederholt den jeweiligen Erscheinungsformen der Praxis der Rang von Gewohnheitsrecht zuerkannt; so offenbar R. Bernhard in: Vereinte Nationen Jahrg. 13 (1965), S. 120 in Bezug auf UNEF und ONUC; ausdrücklich Bothe (Anm. 4), S. 86, in Bezug auf das Verfahren von UNFICYP. Wie schwierig es jedoch ist, in Bezug auf Peace-keeping Operationen zu einer allgemein geteilten opinio juris der Mitglieder zu finden, zeigen die endlosen Kontroversen über Grundsatzfragen im Special Committee on Peace-keeping Ope- rations. Will man hier überhaupt von Gewohnheitsrecht sprechen, so ist dies allen- falls in dem einschränkenden Sinne möglich, in dem der Delegierte Mexikos diesen Begriff gebrauchte: „A new form of customary law which hat not vet been accepted by all Member States", A/AC. 121/SR. 2, Ziff. 34 (22. 4. 1965).

9 Vgl. /. Delbruck, Die Entwicklung des Verhältnisses von Sicherheitsrat und Vollversammlung der Vereinten Nationen, Diss. Kiel 1964, S. 48 f.

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Die Verwicklung der Vereinten Nationen in den Koreakonflikt10, in dem die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion auf verschiedenen politischen Fronten standen, beruhte auf einer Entschließung des Sicherheitsrats, die nur durch einen zeitweiligen Sitzungsboykott des sowjetischen Delegierten möglich geworden war. Unter freizügiger Handhabung des Artikels 27, III der Charta mit seinem Erfordernis eines einstimmigen Votums der ständigen Mitglieder konnte der Sicherheitsrat in Abwesenheit des sowjetischen Dele- gierten auf Antrag der Vereinigten Staaten feststellen, daß es sich bei der nordkoreanischen Invasion in Südkorea um einen Friedensbruch handle und die Mitglieder auffordern, zur Zurückschlagung des Angriffs und zur Wie- derherstellung des internationalen Friedens und der Sicherheit Hilfe zu lei- sten11. Die in Korea eingesetzten internationalen Streitkräfte (vornehmlich solche der USA) wurden unter dem Oberkommando der Vereinigten Staaten als Agenten des Sicherheitsrats konstituiert. Als mit der Rückkehr des sow- jetischen Delegierten in den Sicherheitsrat dieses Organ infolge des Veto für weitere Entscheidungen ausfiel, stellte die Generalversammlung sich in die Lücke und erteilte anstelle des Sicherheitsrats dem UN-Oberkommando in Korea Direktiven12. Die eigentliche Bedeutung der Koreaaktion liegt weni- ger in der - bloß zufällig wiedergefundenen - Handlungsfähigkeit des Sicherheitsrates in einer internationalen Krisenlage als in dem konsequenten Ausbau der Generalversammlung zu einem Reserveorgan in Fragen der kollektiven Sicherheit.

Die Koreaaktion wirft viele Einzelprobleme auf. Handelte es sich um einen Fall kollektiver Selbstverteidigung (Art. 51 der Charta) oder um kollektive (Zwangs-)Maßnahmen im Sinne der Artikel 1 Ziff. 1, 39 und 42 der Charta? Die Anknüpfung des Sicherheitsrats an die Terminologie des Artikel 39, der über eine Verteidigung hinausgehende Auftrag zur Wieder- herstellung des internationalen Friedens und der Sicherheit „in der Gegend", also in ganz Korea, und schließlich der noch weiterreichende Auftrag der Generalversammlung an die internationalen Streitkräfte, die Wiedervereini- gung Koreas durchzuführen13, legen den Schluß nahe, daß es nicht um kollektive Selbstverteidigung ging, sondern um weiterreichende Zwangs- maßnahmen14. Können die Vereinten Nationen Konfliktlösungen im Zwangs- wege durchsetzen oder müssen sie sich darauf beschränken, der unmittel-

10 Zum Koreakonflikt: Attia, Les forées armées des Nations Unies en Coree et au Moyen Orient, 1963; Bowett aaO, S. 29 ff; L. M. Goodrich, Korea. A Study of US-Policy in the United Nations, 1956.

ii SC Res. 82 (1950), 25.6.1950; SC Res. 83 (1950), 27.6.1950; SC Res. 84 (1950), 7. 7. 1950.

12 Res. 376 (V), 7. 10. 1950. is Res. 376 (V), Ziff. 1 a, b und d. 14 So Bowett aaO, S. 32 f ; a. M. (kollektive Selbstverteidigung nach Art. 51)

Kelsen, Recent Trends in the Law of the United Nations, 1951, S. 936 ff.

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baren Friedensbedrohung zu begegnen, die politische Lösung des Konflikts aber den Parteien selbst und den Verfahren friedlicher Streitbeilegung (Kap. VI der Charta) überlassen15? Auch die Rechtsstellung der internationalen Streitkräfte in Korea gibt zu Fagen Anlaß. Reichte die äußerst lose institu- tionelle Verknüpfung der Streitkräfte mit den Vereinten Nationen, die sich auf die Bestimmung des Kampfauftrags durch Sicherheitsrat oder General- versammlung, auf die Benutzung der UN-Flagge und auf die Verleihung der Bezeichnung UN-Streitkräfte und UN-Oberkommando beschränkte, aus, um aus den Streitkräften der beteiligten Staaten Streitkräfte der Ver- einten Nationen zu machen? In Anbetracht der fehlenden Integration der Befehls- und Kommandostruktur in den Organisationsverband der Ver- einten Nationen und der Unterstellung der Truppen unter den Oberbefehl der Vereinigten Staaten von Amerika liegt die Annahme nahe, daß es sich in Wirklichkeit um Truppen der in Korea kämpfenden Staatenallianz unter Führung der Vereinigten Staaten handelte16. Ist es aber zulässig, daß die Zwangsbefugnisse, die die Vereinten Nationen mangels institutioneller Vor- kehrungen nicht selbst wahrnehmen können, an die Mitgliedsstaaten dele- giert werden17.

Mit der Uniting for Peace Resolution der Generalversammlung18 war der Versuch verbunden, die koreanische Improvisation gewissermaßen zu kodi- fizieren und die Generalversammlung förmlich als ein dem Sicherheitsrat gleichwertiges Organ der kollektiven Sicherheit zu inthronisieren. Die Reso- lution bestimmt, daß bei vetobedingter Unfähigkeit des Sicherheitsrats, seine „erstlinige" Verantwortung für die Sicherung des Weltfriedens wahr- zunehmen, die Generalversammlung sofort die Angelegenheit aufgreift, „um den Mitgliedstaaten geeignete Empfehlungen für Kollektivmaßnahmen ein- schließlich . . . des Einsatzes bewaffneter Gewalt ... zu machen". In deut- licher Anlehnung an das System der Speziai vertrage mit dem Sicherheitsrat nach Artikel 43 f. der Charta ist vorgesehen, daß die Mitgliedstaaten be- waffnete Kontingente für den Einsatz im Dienst der Vereinten Nationen auf Empfehlung des Sicherheitsrats oder der Generalversammlung bereit- halten. Ein „Ausschuß für Kollektivmaßnahmen" übernimmt in Anlehnung an den Generalstabsausschuß des Sicherheitsrates Koordinierungsfunktionen. Damit ist dem Anspruch nach ein dem System des Kapitel VII gleichwertiges Sicherheitssystem der Generalversammlung errichtet, das freilich nie die un-

15 Bedenken unter diesem Gesiditspunkt etwa bei Attiay aaO S. 167; L. Gross in American Journal of International Law (AJIL) Bd. 52 (1958), S. 163, 165. Um eine Rechtfertigung bemüht hingegen Goodrich aaO, S. 134 f.

i« So etwa Kelsen aaO, S. 936 f., 940; Bothe, aaO, S. 68. 17 Zum Problem einer Delegation von Zwangsbefugnissen bzw. einer Suspen-

dierung des Gewaltverbotes durch Resolutionen des Sicherheitsrates oder der Generalversammlung vgl. W. Kewenigy Gewaltverbot und noch zulässige Macht- einwirkung und Interventionsmittel, in: W. Schaumann (Hrsg.), Völkerrechtliches Gewaltverbot und Friedenssicherung, 1971, S. 175, 195 f., 198.

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bestrittene Legitimität des Sicherheitsratssystems erreicht hat19. Dieses Alter- nativsystem übernimmt den Leitgedanken der Legitimation kollektiven Zwanges durch Gemeinschaftsorgane, stellt ihn aber auf eine gänzlich andere Grundlage. An die Stelle des kollektive Legitimation und effektive Macht vereinenden Systems des Kapitel VII tritt das Prinzip der Legitimation durch Mehrheitsenscheidung, das nur dann mit Effektivität verbunden ist, wenn - wie in der Koreaaktion - eine Großmacht hinter der Mehrheit steht. System 2 bringt im Gegensatz zu den Intentionen der Charta die Gefahr mit sich, daß die Vereinten Nationen selbst als Partei in Großmacht- konflikte verwickelt werden. Diese Entwicklung stand unter dem Impuls der Vereinigten Staaten, die damals die Generalversammlung praktisch kontrol- lierten und sie konsequent als ein Instrument des kalten Krieges einsetzten. Die Generalversammlung hat jedoch in der Folge auf den Versuch verzichtet, den militärischen Sanktionsapparat der Uniting for Peace Resolution zu aktivieren. Bei der Ungarn- und Suezkrise 1956 wurde gar nicht erst vor- geschlagen, daß die Generalversammlung militärische Zwangsmaßnahmen ergreifen solle. System 2 hat sich damit als System der kollektiven Sicherheit ebenso schnell als überholt erwiesen wie System 1.

In der späteren Entwicklung der Friedenssicherungsfunktionen der Gene- ralversammlung ist eine andere Möglichkeit deutlicher hervorgetreten, daß nämlich Macht und Mehrheit auseinanderfallen und den Aktionen der Gene- ralversammlung damit die Effektivitätsbasis entzogen wird. Diese Entwick- lung trat ein, als in den 60er Jahren die inzwischen anders strukturierten Mehrheiten der Generalversammlung sich in der Bekämpfung der Kolonial- herrschaft und der weißen Minderheitsregime im südlichen Afrika ein neues Aufgabengebiet erschlossen und dabei die rechtlichen Kategorien der Frie- denssicherung gründlich veränderten. Es geht der Generalversammlung dabei nicht mehr primär um die Verhinderung internationaler Konflikte mit grenz- überschreitender Gewalt, sondern um eine Mobilisierung internationaler Sanktionsmechanismen zum Umsturz ungerechter Herrschaftsformen20. Cha- rakteristisch für diese Entwicklung ist das geringe Maß an Effektivität, das in einem Mißverhältnis zur Stärke des Engagements der Mehrheit der Gene- ralversammlung steht. Dieses Mißverhältnis ist darauf zurückzuführen, daß die westlichen Staaten dieser Praxis der Generalversammlung ihre politische

is GA-Res. 377 A (V), 3. 11. 1950. - Text auch: United Nations Yearbook Bd. 4 (1950), S. 193 ff.

19 Zur rechtlichen Problematik vgl. unten S. 157. 20 Zur Problematik dieser Entwicklung vgl. Arntz, aaO (Anm. 5), S. 134 f.;

/. Delbrücky Rechtsprobleme der Friedenssicherung durch Sicherheitsrat und Gene- ralversammlung der Vereinten Nationen, in: W. Ke wenig (Hrsg.), Die Vereinten Nationen im Wandel, 1975; Eckart Klein, Befreiungskämpfe und Dekolonialisie- rungspolitik der Vereinten Nationen: zu einigen völkerrechtlichen Tendenzen, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV) Bd. 36 (1976), S. 618 ff.

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Unterstützung versagen, während die Sowjetunion sie zwar in der Tendenz unterstützt, aber keine Neigung zeigt, sie im Sinne der Uniting for Peace Resolution mit militärischen Mitteln zu effek ti vieren. Kollektive Zwangs- maßnahmen militärischen Charakters zur Durchsetzung der Forderungen der Generalversammlung sind in dieser Variante von System 2 nicht vor- gesehen, die sich im wesentlichen als eine politische Aktionsform der antiko- lonialistischen Mehrheiten der Generalversammlung darstellt.

Die rechtlichen Legitimationsgrundlagen der militärischen Zwangsmaß- nahmen von System 2 waren seit jeher äußerst zweifelhaft21. Der Eintritt der Generalversammlung in den Aufgabenbereich der kollektiven Sicherheit beruht auf einer Interpretation der Charta, die in Verschiebung der ur- sprünglichen Aufgabenverteilung Sicherheitsrat und Generalversammlung als gleichwertige, austauschbare Organe ansieht. Angelpunkt der rechtlichen Kontroversen ist Artikel 11 Ziff. 2 der Charta, wonach die Generalver- sammlung Fragen, die Maßnahmen (Englisch: „action") erforderlich machen, an den Sicherheitsrat verweist. Die Uniting for Peace Resolution behandelt Artikel 11 Ziff. 2 als eine reine Verfahrensvorschrift, die der Generalver- sammlung das Recht beläßt, nach erfolgloser Einschaltung des Sicherheits- rates selbst „Maßnahmen" einschließlich Zwangsmaßnahmen zu empfehlen. Entgegen einer im Schrifttum gelegentlich vertretenen Auffassung wird man bezweifeln müssen, daß die in der Uniting for Peace Resolution angelegte Erweiterung der Handlungszuständigkeit der Generalversammlung auf die Autorisierung von Zwangsmaßnahmen sich gewohnheitsrechtlich durchgesetzt hat22, jedenfalls soweit es sich um die Organisation militärischer Zwangs- maßnahmen handelt. Die Legitimität der Uniting for Peace Resolution ist immer wieder von verschiedenen Mitgliedern bestritten worden und in der Generalversammlung selbst haben die Anhänger der These, daß die General- versammlung auch militärische Zwangsmaßnahmen empfehlen könne, ständig an Boden verloren. Der Internationale Gerichtshof hat in seinem Gutachten über Beitragsleistungen zu Kosten von Friedenssicherungs-Operationen von 1962 die Auffassung vertreten, daß der Bereich der in Kapitel VII um- schriebenen Zwangsmaßnahmen („enforcement measures") in die ausschließ- liche Zuständigkeit des Sicherheitsrates falle23. Die Mehrzahl der Mitglieder hat sich diese Auffassung zu eigen gemacht; verschiedene Staaten haben

21 Zur reditlidien Problematik der Uniting for Peace Resolution und der Zwangsbefugnisse der Generalversammlung vgl. Karaosmanoglu aaO (Anm. 7), S. 256 f.; Arntz aaO (Anm. 5), S. 112 ff; Ph. Manin, L'Organisation des Nations Unies et le maintien de la paix-Le respect du consentement de l'État, 1971, S. 116 ff. ; Delbmck aaO (Anm. 9), S. 87 ff.

22 So y. Castañeda, Valeur juridique des resolutions des Nations Unies, in Recueil des Cours (RdC) Bd. 129 (1970 I), S. 205, 258, 277 ff.; ähnlich Delbrück aaO (Anm. 9), S. 109-11.

¿A Certain Expenses ot the United Nations (vgl. Anm. 4), ICJ Reports 1962, S. 164; dazu Archiv des Völkerrechts Bd. 10 (1962/63) S. 469 ff.

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sogar förmlich ihren früheren Standpunkt revidiert und ihre Unterstützung für die Uniting for Peace Resolution ausdrücklich widerrufen24. Auch die westlichen Länder, die die Aktivitäten der Generalversammlung im Bereich der Dekolonialisierung mit Unbehagen betrachtet haben, sind zu der Er- kenntnis zurückgekehrt, daß das ursprüngliche System der Charta mit seiner Betonung der Sonderrolle des Sicherheitrats „gesund" und realistisch sei25. In Anbetracht des teils ausdrücklichen, teils stillschweigenden Abrückens vieler Staaten von der Uniting for Peace Resolution und der bei den Groß- mächten jetzt wieder vorherrschenden Tendenz, wirkliche Sicherheitsfragen unter sich auszuhandeln und den Sicherheitsrat wieder als in erster Linie verantwortliches Organ zur Geltung zu bringen, wird man annehmen müssen, daß es sich bei dem Hineinwachsen der Generalversammlung in Zwangsfunktionen der kollektiven Sicherheit um eine vorübergehende Ent- wicklung handelte, die heute nicht mehr von der Rechtsüberzeugung der Mehrheit der Mitglieder getragen wird. Jedenfalls wird man System 2 in Fragen der kollektiven Sicherheit keine praktischen Realisierungschancen mehr beimessen können.

3. Die Peace-Keeping Operationen unter Führung des Generalsekretärs (System 3)

Nachdem das System der kollektiven Sicherheit sich in seiner ursprüng- lichen Form wie in der Ersatzlösung der Uniting for Peace Resolution als undurchführbar erwiesen hatte, bildete sich in den 50er und frühen 60er Jahren in den Peace-keeping Operationen ein grundlegend verschiedenes Aktionssystem heraus. Dieses System beruht nicht mehr auf dem Gedanken kollektiven Zwanges gegen Friedensstörer und Aggressoren, sondern sucht durch die Einschaltung der Vereinten Nationen in der Funktion eines neu- tralen, unparteilichen Dritten Konflikte zu dämpfen und zu lokalisieren. Internationale Streitkräfte üben daher in diesem System grundsätzlich keine Zwangsbefugnisse aus, sondern intervenieren auf der Grundlage der Zustimmung der Konfliktparteien als neutrale Pufferstreitkraft, als Ord- nungselement bei innerstaatlichen Konflikten oder in anderen Funktionen, die sich aus der Aufgabe der Friedenssicherung ergeben. Der Handlungs- schwerpunkt bei dieser Form der Krisenstrategie geht auf die Kräfte über, die die Rolle eines neutralen Dritten zu spielen vermögen: auf die mittleren

24 Ablehnend gegenüber der Uniting for Peace Resolution etwa Indien (A/AC. 121/SR. 4, Ziff. 2 (27. 4. 1965); Venezuela, A/AC. 121/SR. 5, Ziff. 24 (29. 4. 1965); Niederlande, A/6026, S. 8 (1.10.1965); Madagaskar, A/AC. 121/L. 15, S. 11 (14. 3. 1972). 25 Vgl. die Stellungnahme des niederländischen Delegierten vom 14. 6. 1966 in

der Arbeitsgruppe des Special Commitee on Peace-keeping Operations, A/AC. 121/WG/SR. 3, Ziff. 4 bzw. A/6414, Annex II (30. 9. 1966).

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und kleinen, insbesondere auf die blockfreien Staaten, und institutionell auf den Generalsekretär als unparteiliches, nur der Charta und den kon- kreten Weisungen der politischen Organe verpflichtetes Exekutivorgan. Die Supermächte und die anderen ständigen Sicherheitsratsmitglieder sind .grundsätzlich von der direkten Mitwirkung ausgeschlossen. Als autorisie- rende Organe treten Sicherheitsrat und Generalversammlung praktisch gleichberechtigt auf.

Diese Entwicklung wurde möglich, als sich mit dem Abflauen des kalten Krieges gelegentlich begrenzte gemeinsame Interessen der Großmächte an der Entschärfung lokaler Konflikte außerhalb ihres eigentlichen Macht- bereichs herausstellten, die Raum für die Einschaltung der Vereinten Na- tionen in der Funktion eines unparteilichen Dritten ließen. Die Organi- sation entwickelte dabei ein ganzes Arsenal von Handlungsformen, die sich institutionell auf das Amt des Generalsekretärs konzentrierten und von der Entsendung von UN-Repräsentanten an die Szene eines Konflikts bis zur Aufstellung militärischer Beobachtergruppen und zum Einsatz inter- nationaler Streitkräfte reichten26. Das Amt des Generalsekretärs erfuhr auf diese Weise eine erhebliche Einflußsteigerung; es begann sich als auto- nome politische Kraft zu entfalten und schien zum Kern einer autonomen internationalen Exekutivgewalt heranzuwachsen27. Während die mittleren und kleineren Staaten vornehmlich aus der Dritten Welt als die eigentliche Stütze dieses Systems hervortreten, tauchen die Großmächte gewissermaßen erst am Rande des Blickfeldes auf: als Lieferanten logistisch er Hilfsdienste, als politische Hintergrundakteure und - last, but not least - als Zahler.

Um die Funktion der Vereinten Nationen als eines unparteilichen Drit- ten zu sichern und sie vor einer direkten Verwicklung in den Konflikt zu schützen, war es notwendig, die tragenden Grundsätze der Peace-keeping- Operationen sorgsam eng zu definieren. Grundsätzlich handelt es sich demnach um Operationen auf freiwilliger Grundlage, die der Zustimmung

26 Zu den Bedingungen dieses Funktionswandels vgl. Young, The Intermedia- ries (Anm. 2), S. 135 f. Einen umf äsenden Überblick über die Entwiddung der Friedensbeobachtungsfunktionen der UN geben D. W. Wainhouse u. a., Internatio- nal Peace-Observation: A History and Forecast, 1966; zu den verschiedenen mili- tärischen Einsätzen der UN Wainhouse, International Peace-Keeping at the Cross- roads-National Support-Experience and Prospects, 1973; ferner /. Ballaloud, L'ONU et les opérations de maintien de la paix, 1971, und Schär H, aaO (Anm. 7). Zu Hammarskjölds Konzept der präventiven Diplomatie mit ihren verschiedenen Handlungsformen vgl. M. W. Zacher, Dag Hammarskjold's United Nations, 1970. 27 Vgl. in diesem Sinne die Ausführungen von E. Haas, Beyond the Nation

State, 1964, S. 95 f., 119 und R. W. Cox, The Executive Head: An Essay on Leadership in International Organization, in: International Organization Bd. 23 (1966), S. 205 ff. Diese Autoren weisen dem Amt des Generalsekretärs die Schlüs- selrolle bei der institutionellen Entwicklung der Organisation zu.

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der Konfliktparteien bedürfen, insbesondere der des „Gastlandes", auf des- sen Territoriium sie stationiert sind. Zwangsbefugnisse stehen diesen Streit- kräften jedenfalls im Prinzip nicht zu. Von ihren Waffen können sie nur in sehr engem Rahmen Gebrauch machen. Ihre Haltung ist grundsätzlich neutral, sie dürfen in den Konflikt nicht eingreifen und seinen Ausgang, nicht präjudizieren28. Bei strikter Beachtung dieser Grundsätze stellen sich Peace-keeping Operationen mehr als ein Hilfsmittel der Krisendiplomatie dar als ein militärisches Instrument.

Dieser neue militärische Handlungstypus wurde - nachdem in Form von UN-Beobachtertruppen schon Vorläufer mit Erfolg erprobt worden waren - in der Suezkrise 1956 mit der von der Generalversammlung autorisierten Aufstellung der United Nations Emergency Force in the Middle East (UNEF) erstmals verwirklicht29. UNEF schob sich (1956- 1967) in der Funktion einer Pufferstreitkraft zwischen die Armeen der Kontrahenten Israel und Ägypten und ermöglichte den Abzug der Trup- pen Frankreichs und Großbritanniens, die am Suezkanal gelandet waren. Die Grundsätze der freien Zustimmung der betroffenen Staaten, der Nicht- einmischung in die politischen Fragen des Konflikts und der Beschränkung des Waffengebrauchs auf reine Selbstverteidigung wurden während des elfjährigen Bestehens der Streitkraft strikt gewahrt. Bei der grundsätz- lichen Trennung des Aufgabenbereichs der Streitkraft von den Bemühun- gen um eine politische Konfliktlösung konnte UNEF zwar zu einer vor- übergehenden Entspannung der Situation beitragen, den Konflikt aber einer Lösung nicht näherbringen. Der problematische Aspekt des Zustim- mungsprinzips trat scharf hervor, als U Thant auf die Aufforderung der ägyptischen Regierung hin im Mai/ Juni 1967 die Positionen UNEFs räu- men ließ und damit eine gefährliche Situation schuf, die unmittelbar den militärischen Konflikt auslöste. U Thant begründete diese Entscheidung, die er eigenverantwortlich ohne Konsultierung des Sicherheitsrats oder der Generalversammlung traf, mit dem Hinweis auf die überragende Bedeu- tung des Zustimmungsprinzips: Da UNEF ägyptisches Territorium mit Zustimmung der Regierung Ägyptens betreten habe, könne sie dort auch nur so lange bleiben, wie diese Zustimmung fortbestehe30.

Nachdem Hammarskjöld die Grundprinzipien derartiger Operationen im Hinblick auf zu erwartende weitere Aktionen bereits 1958 in einem grundlegenden Erfahrungsbericht „kodifiziert" hatte31, schien sich 1960 in

28 Vgl. resümierend M. Wir ally, L' Organisation Mondiale, 1972, S. 483 ff., Ballaloud, aaO, S, 75 f.

29 Zu UNEF vgl. R. HigginSy United Nations Peacekeeping 1946-67, Docu- ments and Commentary, vol. I, The Middle East, 1969; Bowett aaO (Anm. 6), S. 90 ff.

so A/6730/Add. 3, Ziff. 24 (26. Juni 1967). si Report of the Secretary-General on UNEF Experience, 9.10.1958, A/3943;

GAOR, 13th Sess., Annexes, A. i. 65, S. 8-33.

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der Kongokrise32 eine Gelegenheit zu bieten, das System nunmehr auch in einer postkolonialen Krise innerhalb eines Landes der Dritten Welt zur Anwendung zu bringen und so eine entscheidende Erweiterung des Auf- gabenbereichs der Vereinten Nationen zu bewirken. Die Problemlage der Opération des Nations Unies au Congo (ONUC; auch United Nations Force in the Congo) ONUC war jedoch grundsätzlich von der UNEFs verschieden. Im Kongo ging es nicht - wie bei UNEF - um die räumliche Trennung der Konfliktparteien durch Bildung einer internationalen Puf- ferstreitkraft, sondern um eine Vielzahl von Aufgaben, die teils im inter- nationalen, teils im innerstaatlichen Bereich lagen. Zunächst hatte ONUC den Auftrag, durch Wiederherstellung der inneren Ordnung im Kongo den Abzug belgischer Truppen zu ermöglichen, die zur Rettung belgischer Staatsangehöriger interveniert waren. Weiter mußte ONUC sich mit der Aufgabe befassen, gegenüber sezessionistischen Regungen insbesondere in der Provinz Katanga die Einheit des Landes zu wahren. Mit dem Zusam- menbruch der einheitlichen Zentralgewalt fiel ONUC zunehmend die eigenverantwortliche Wahrnehmung innerstaatlicher Sicherheitsfunktionen zu, die normalerweise staatlichen Militär- und Polizeigewalten obliegen. Schließlich mußte im Interesse der Lokalisierung des Konflikts der Kongo gegen die militärische Einmischung dritter Staaten abgeschirmt und mußten die ausländischen militärischen Elemente ausgewiesen werden, die sich in den Dienst insbesondere der Provinzregierung von Katanga gestellt hatten. Bei dieser Aufgabenfülle erwiesen sich die am Leitbild von UNEF aufge- stellten Grundsätze schnell als zu eng. Unter bürgerkriegsartigen Bedingun- gen und konfrontiert mit einer umfassenden Staats- und Regierungskrise begann ONUC, sich in steigendem Maß über das Erfordernis der Zustim- mung der Konfliktparteien hinwegzusetzen und weitreichende Befugnisse zu einem einseitigen Vorgehen ohne Absprache mit den Parteien zu be- anspruchen. Das Prinzip der Nichteinmischung wurde im Verlauf der Operation weitgehend aufgegeben, das Prinzip der Selbstverteidigung wurde durch polizeiartige Schutz- und Eingriffskompetenzen erweitert und überlagert. Der Sicherheitsrat autorisierte in zwei Resolutionen ausdrück- lich den Einsatz bewaffneter Gewalt zur Verhinderung eines Bürgerkriegs und zur Ausweisung des ausländischen Militärpersonals und der Söldner im Dienste Katangas33. So glitt der ONUC aus der Funktion einer neu- tralen, mit Zustimmung der Konfliktparteien operierenden Sicherungs- truppe allmählich in einen Zwischenbereich autoritativer Handlungsformen

32 Zur Kongooperation vgl. Bowett aaO (Anm. 6), S. 153 ff; Gendebien, L'inter- vention des Nations Unies au Congo 1960 - 1967; Hoskyns, The Congo Since Inde- pendence, 1965; Le fever y Uncertain Mandate - Politics of the UN Congo Opera- tion, 1967; B. Urquharty Hammarskjöld, 1972; D. Franke, Die UN Operation im Kongo, Diss. Bonn 1978.

33 SC Res. 161 (1961) vom 21. 2. 1961 und SC Res. 196 (1961) vom 24. 11. 1961.

11 ArchVR 18/2

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und schließlich mit der militärischen Niederwerfung der Sezessionsbewegung in Katanga in den Bereich echter Zwangsmaßnahmen im Sinne des Artikel 42 der Charta hinüber34. Die theoretischen Grenzen des Konzepts der Peace-keeping Operationen als Zustimmungsoperationen ohne Einmi- schungs- und Zwangscharakter waren damit gesprengt; wie schon bei der Koreaoperation kam es zu einer Verquickung der militärischen Maßnah- men mit den Bemühungen um eine politische Lösung des Konflikts35.

Die Folge der weitreichenden Eingriffe ONUCs in den kongolesisch- innerstaatlichen Bereich und in die Interessensphären verschiedener Mit- gliedsstaaten war, daß die Kongooperation starke politische Widerstände auf den Plan rief und so trotz erfolgreicher Bewältigung der gestellter Auf- gaben eine tiefgreifende Krise des gesamten Systems der Peace-keeping Operationen auslöste. Die Sowjetunion, sekundiert von Frankreich, ver- weigerte die Beteiligung an den von der Generalversammlung auf die Mit- glieder umgelegten Kosten für UNEF und ONUC. Die Finanzkrise ihrer- seits war nur Symptom grundlegender Meinungsverschiedenheiten hinsicht- lich der Ausübung der Funktion politischer Kontrolle über Peace-keeping Operationen36. Weitere Aktionen - so United Nations Temporary Execu- tive Authority (1964 - 66) - waren nur möglich, weil die Parteien selbst die Kosten trugen und ihre Absprachen praktisch nur noch von der Gene- ralversammlung ratifizieren ließen. Die Kongooperation stieß aber auch auf die Bedenken viele mittlerer und kleinerer Staaten, die über die Mög- lichkeit weitreichender Eingriffe von „ Friedens trappen" in den Bereich der staatlichen Souveränität beunruhigt waren. Diese Auseinandersetzungen mündeten in eine umfassende Debatte über die rechtlichen Prinzipien von Peace-keeping Operationen ein. Die Problemschwerpunkte der Diskussion betreffen den Umfang der selbständigen Entscheidungsbefugnisse des Gene- ralsekretärs, die Bedeutung des Zustimmungskriteriums bei Peace-keeping Operationen sowie die Rolle der Generalversammlung als autorisierenden Organs.

34 Im Sinne eines Hinübergleitens in den Bereich des Art. 42 auch Bothe aaO (Anm. 4), S. 122; Karaosmanoglu aaO (Anm. 7), S. 248; L. Gross, Domestic Juris- diction, Enforcement Measures and the Congo, in: Australien Yearbook of Inter- national Law 1965, S. 137, 148 ff ; Ü. Scbeuner, Aufgaben- und Strukturwandlungen im Aufbau der Vereinten Nationen, in: W. Kewenig (Hrsg.), Die Vereinten Natio- nen im Wandel, 1975, S. 201.

35 Rechtliche Bedenken daher bei Delbrück aaO (Anm. 20), S. 150 f. Vgl. dazu näher Franke aaO (Anm. 32), S. 203 ff.

36 Zum Finanz- und Verfassungskonflikt über die Finanzierung von Peace- keeping Operationen vgl. /. G. Stoessinger u.a., Finanzing the United Nations System, 1964, S. 100 ff. und neuerdings H. Depp, Die Finanzierung von Friedens- sicherungsaktionen der Vereinten Nationen, Diss. Köln 1976. Zu den verschiedenen Phasen des Konflikts und den einzelnen Finanzierungsmethoden auch /. Martinez, Le financement des opérations de maintien de la paix de l'Organisation des Nations Unies, in: RGDIP Bd. 81 (1977), S. 103 ff.

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Das Zustimmungskriterium hat - wie auch die grundsätzliche Beschrän- kung des Waffengebrauchs von Peace-keeping Streitkräften auf reine Selbstverteidigung - die Funktion, Peace-keeping Operationen von Zwangsmaßnahmen abzugrenzen. Der Verlauf der Kongooperation zeigt, wie leicht diese Grenze verwischt wird und autoritative- und Zwangsele- mente in eine Operation einfließen können, wenn das Erfordernis der Zu- stimmung der Konfliktparteien zur Stationierung und Mandatsausübung nicht beachtet wird. Die rechtliche Bedeutung des Zustimmungsprinzips liegt auf zwei Gebieten: einmal wird im Verhältnis zu den Parteien, deren Recht auf Souveränität und Selbstbestimmung respektiert wird, die Ope- ration auf eine vertragliche oder quasivertragliche Grundlage gestellt37. Vom inneren Verfassungsrecht der Organisation her gesehen ist das Zu- stimmungsprinzip in mehrfacher Hinsicht bedeutsam. Nach der Auffassung des Internationalen Gerichtshofes, die die Mehrheit der Mitglieder der Vereinten Nationen sich zu eigen gemacht hat, kennzeichnet das Zustim- mungskriterium im Rahmen des Artikel 11 der Charta eine Kompetenz- schranke, die den Handlungsbereich der Generalversammlung von dem ausschließlich dem Sicherheitsrat vorbehaltenen Bereich der Zwangsmaß- nahmen nach Kapitel VII abgrenzt88. Es handelt sich um ein notwendiges (organisationsverfassungs-Jrechtliches Kriterium von Peace-keeping Ope- rationen unter der Autorität der Generalversammlung39. Im einzelnen ist die genaue rechtliche Einordnung der Peace-keeping Operationen dabei allerdings streitig. Verschiedene Staaten wollen sie dem Bereich der fried- lichen Streitbeilegung (Kapitel VI der Charta) zuordnen, der sowohl dem Sicherheitsrat wie der Generalversammlung offensteht40. Andere Staaten betonen das Erfordernis einer dynamischen Auslegung der Charta41 oder sprechen von einer (gewohnheitsrechtlichen) Fortbildung42. Vereinzelt wird gefordert, die Peace-keeping Operationen durch Satzungsänderung im Wege der Aufnahme eines Zusatzkapitels „VI 1/2" förmlich in der Charta

37 Zu den versdiiedenen reditlidien Funktionen der Zustimmung vgl. Bothe aaO (Anm. 4), S. 128 ff.

38 Certain Expenses ot the United Nations (Anm. 4 u. 23), ICJ Reports, 1962, S. 164 f.

39 Vgl. aus dem Schrifttum zu dieser Frage Manin aaO (Anm. 21), S. 101 ff. 40 So etwa die Stellungnahmen der Delegierten von Mexiko, A/AC, 121/SR.2, Ziff. 44 (22.4.1965); Schweden, A/AC. 121/SR.3, Ziff. 6 (23.4.1965); Kanada, ebd., Ziff. 19; Japan, ebd., Ziff. 40; Nigeria, A/AC. 121/SR. 6, Ziff. 3-6 (6. 5. 1965); Argentinien, ebd., Ziff. 25.

41 Vgl. im Special Committee on Peace-Keeping Operations etwa die Stellung- nahmen der Delegierten von Jugoslawien, A/AC. 121/SR. 3, Ziff. 37 (23.4. 1965); Spanien, A/AC. 121/SR. 4, Ziff. 18 (27.4.1965); Venezuela, A/AC. 121/SR. 5, Ziff. 25 (29. 4. 1965).

42 Vgl. die Stellungnahme des mexikanischen Delegierten vom 22. 4. 1965, zitiert in Anm. 8.

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zu verankern43. Entscheidend ist, auch als Abgrenzungskriterium gegenüber System 2, daß die Beschränkung der Aktionen der Generalversammlung auf Zustimmungsaktionen von der Mehrheit als rechtlich notwendig an- erkannt worden ist.

Bei Peace-keeping Operationen unter der Autorität des Sicherheitsrats ist eine solche rechtliche Notwendigkeit der Beschränkung auf Zustim- mungsaktionen nicht festzustellen, da der Sicherheitsrat im Rahmen von Kapitel VII der Charta über umfassende Befugnisse zu einseitig-verbind- lichen Anordnungen und Zwangsmaßnahmen verfügt44. Die organisations- verfassungsrechtliche Bedeutung des Zustimmungsprinzips wird von den- jenigen Staaten bestritten, die, wie die Sowjetunion und Frankreich, auf der Alleinzuständigkeit des Sicherheitsrates für militärische Aktionen jeder Art bestehen und Kapitel VII insoweit als eine abschließende Regelung an- sehen45. Auch diese Staaten haben allerdings inzwischen das Zustimmungs- prinzip als Wesensmerkmal von Peace-keeping Operationen anerkannt. Die neuere Praxis hat die Gültigkeit des Zustimmungsprinzips wiederholt be- stätigt. Der Richtlinienentwurf des Special Committee on Peace-keeping Operations über Operationen unter der Autorität des Sicherheitsrates hebt die Pflicht zur vollen Zusammenarbeit mit den Parteien und gebührenden Berücksichtigung der Souveränität des Gastlandes ausdrücklich als tragen- den Grundsatz hervor46. Insoweit kann man inzwischen wohl von einer gewohnheitsrechtlichen Festlegung sprechen. Damit wird ein Rückgriff auf die umfassenden Befugnisse des Sicherheitsrats zu einseitig-verbindlichen Festsetzungen und Zwangsmaßnahmen nicht ausgeschlossen, doch kann dies nicht mehr - wie bei ONUC - im Rahmen einer „normalen" Peace- keeping Operation geschehen. Von der rechtlichen Machtfülle des Sicher- heitsrats her gesehen handelt es sich hier um eine pragmatische Selbstbe- schränkung, die im Verhältnis zu den Parteien die Akzeptanz der Sicher- heitsratsbeschlüsse erleichtert und im Verhältnis der Sicherheitsratsmitglie- der untereinander eine gemeinsame Beschlußfassung in kontroversen Fällen überhaupt erst ermöglicht.

Während also das Zustimmungsprinzip als leitendes Prinzip von Peace- keeping Operationen sich als dauerhaft und konsensfähig erwiesen hat, haben die beiden anderen wesentlichen Elemente von System 3 - die Doppelzuständigkeit von Sicherheitsrat und Generalversammlung und die selbständige Stellung des Generalsekretärs als Oberkommandierenden -

« So Brasilien, vgl. A/AC. 121/SR. 4, Ziff. 24 (27. 4. 1965) und A/AC. 121/ L. 15, S. 3 (17. 3. 1972).

« Vgl. Manin aaO (Anm. 21), S. 12 ti. 45 Vgl. die Stellungnahme des sowjetischen Delegierten in A/AC. 121/SR. 8,

Ziff. 17 (25. 5. 1965) und die Erklärung des französischen Delegierten in A/AC. 121/SR. 7, Ziff. 6 (17. 5. 1965).

46 Vgl. Art. 9 des Richtlinienentwurfs, zitiert in Anm. 94.

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sich nicht als gesicherte Grundsätze durchsetzen können. Einer der Haupt- angriffspunkte der Opposition gegen System 3 war vielmehr die weitrei- chende Handlungsautonomie, die der Generalsekretär als Oberbefehlshaber von Peace-keeping Streitkräften für sich beanspruchte. Er formulierte all- gemeine Rechtsregeln für Aufstellung und Einsatz internationaler Streit- kräfte und legte die speziellen Mandate von Sicherheitsrat oder General- versammlung in weitgehender Selbständigkeit aus47. Er führte die Ver- handlungen mit dem „Gastland" und den an der Operation beteiligten Staaten, in denen die Grundsätze der Operation festgelegt wurden, und schloß die erforderlichen Abkommen. Nachdem bei UNEF noch die Gene- ralversammlung den Kommandeur der Truppe ernannt hatte, ging auch diese Funktion bei ONUC auf den Generalsekretär über, der sich auch bei der Ernennung des sonstigen politischen und militärischen Führungsperso- nals freie Hand vorbehielt. Wichtige Einzelentscheidungen mit weittragen- den Konsequenzen traf er ohne Konsultierung der ständigen Sicherheits- ratsmitglieder. Eine gewisse politische Koordinierung mit den „aktiven" Staaten erfolgte in den bei UNEF und ONUC errichteten Advisory Com- mittees, die allerdings nur beratende Funktion hatten und den General- sekretär politisch nicht entlasten konnten48. Im übrigen fand - vor allem bei ONUC - die politische Koordinierung mit maßgeblichen Staaten und Staatengruppen in formlosen Konsultationsprozessen statt, wobei die Ver- einigten Staaten in kritischen Phasen der Kongooperaion als eigentlicher spiritus rector hervortraten49. Diese Herauslösung des Entscheidungs- bereichs aus den offiziellen UN-Organen und seine Verlagerung auf infor- melle Kanäle mußte den Widerstand derjenigen Staaten auf den Plan rufen, die ausgeschlossen waren und deren Interessen nicht berücksichtigt wurden. So weisen Frankreich und die Sowjetunion noch heute auf die Kongoopera- tion hin, wenn sie auf der Notwendigkeit einer strikten Kontrolle des Sicherheitsrats über alle Aspekte friedenserhaltender Operationen be- stehen50. In der noch zu besprechenden neueren Entwicklung sieht der Generalsekretär sich daher wieder auf die Funktion eines weisungsabhän- gigen Organs ohne selbständigen Entscheidungsspielraum zurückgedrängt.

Auch die Generalversammlung hat die ihr im Rahmen von System 3 verbliebenen Befugnisse zur Autorisierung von militärischen Operationen ohne Zwangscharakter nicht behaupten können. Obgleich diejenigen Staa-

47 Vgl. Soubeyrol, Aspects de la fonction interprétative du Secretaire général de l'ONU lors de l'affaire du Congo, in: RGDIP Bd. 70 (1965), S. 565 ff.

48 Zur Stellung des Advisory Committees bei UNEF und ONUC vgl. Schärli aaO (Anm. 7), S. 291 ff.

49 Besonders aufschlußreich insoweit R. Hilsman, To Move a Nation, 1967, Kap. 17-19.

50 Vgl. etwa die Stellungnahmen des sowjetischen Delegierten in A/AC. 121/ SR. 54, S. 14-16 (15. 6. 1972) und des französischen Delegierten in A/AC. 121/ SR. 62, S. 7 (4. 1. 1974).

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ten, die die Rolle der Generalversammlung gewahrt sehen möchten, nach wie vor die Mehrheit bilden dürften, sind die Großmächte in der Praxis dazu übergegangen, das Handlungsmonopol des Sicherheitsrats wiederher- zustellen. Im Special Committee on Peace-Keeping Operations scheint eine Art stillschweigender Konsens der Großmächte zu bestehen, die Rolle der Generalversammlung aus den Kodifizierungsbemühungen auszuklam- mern51, was die mittleren und kleineren Staaten hinnehmen müssen. So finden sich im Special Committee zwar wiederholt Stellungnahmen mittle- rer und kleinerer Staaten, daß auch die Generalversammlung zur Autori- sierung von Peace-keeping Operationen zuständig sei52, doch befassen sich die Verhandlungen über Richtlinienentwürfe nur mit Peace-keeping Ope- rationen unter der Autorität des Sicherheitsrates53. Obwohl System 3 unter den Mitgliedern der Vereinten Nationen noch eine starke Anhängerschaft findet, wird es wirksam von einem im Entstehen begriffenen System über- lagert, das wieder eindeutig auf der politischen Führungsrolle der Groß- mächte und dem Primat des Sicherheitsrats beruht. Die Ursachen dieses Übergangs zu einem neuen System wird man in der politischen Krisenan- fälligkeit von System 3 und in den wachsenden Gemeinsamkeiten der Großmächte sehen, die direkte Absprachen erleichtern und die Zwischen- schaltung eines Dritten - sei es des Generalsekretärs oder einer vermitteln- den Staatengruppe - entbehrlich machen. Auch war die Gruppe der kleineren, mittleren und blockfreien Staaten viel zu uneinheitlich, um gegenüber den Blöcken die Rolle einer dritten Kraft spielen zu können. Man wird daher System 3 mit seinem relativen Zurücktreten der Groß- mächte, der alternierenden Verwendung von Sicherheitsrat und General- versammlung als beschlußfassender Organe und der politischen Führungs- rolle des Generalsekretärs als autonomen Exekutivvorgangs keine Entwick- lungschancen mehr beimessen.

4. Die Rückkehr der Peace-keeping Operationen unter die enge Kontrolle des Sicherheitsrats

(System 4)

Bereits in der Zypernaktion (UNIFICYP, seit 1964) und noch deutlicher mit den UN-Streitkräften auf dem Sinai (UNEF II, seit 1973) und dem

51 Vgl. etwa die Darlegung des amerikanisdien Standpunktes in A/8676, Annex, S. 4 (3. 4. 1972) und die Erläuterungen des US Delegierten Sdiaufele in A/AC. 121/ SR. 54, S. 21 (15. 6. 1972).

«2 Etwa Brasilien, A/AC. 121/L. 15, S. 3-4 (17.3.1972); Jugoslawien, ebd. S. 16-19 (12.4.1972); Japan, A/AC. 121/L. 15, Add. 1, S. 5-7 (28.4.1972); Obervolta, A/AC. 121/L. 15, Add. 2, S. 6-7 (5.5.1972); Afghanistan, A/AC. 121/SR. 68 (23.11.1976).

53 Vgl. näher unten S. 172.

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Golan (UNDOF, seit 1974) deutet sich eine Rückkehr der Peace-keeping Operationen unter die enge Kontrolle des Sicherheitsrats an. Dieser Trend setzt sich, soweit bisher ersichtlich, auch bei der Interimstruppe im Libanon (UNIFIL) fort, die der Sicherheitsrat im März 1978 errichtet hat. Die Führungsrolle der Großmächte tritt wieder deutlicher hervor, der Hand- lungsspielraum des Generalsekretärs wird rigoros beschnitten. Zwar bleibt formal seine Stellung als Oberbefehlshaber der Streitkräfte unangetastet, doch muß er eine wachsende, bis ins Detail gehende Kontrolle des Sicher- heitsrats hinnehmen. Damit deutet sich eine teilweise Wiederannäherung an System 1 an, wenn sich auch die Handlungsformen weiterhin grund- legend von den Zwangsmaßnahmen des Kap. VII unterscheiden und auf Zustimmungsaktion beschränkt bleiben.

Die UN-Streitkraft in Zypern54 war in ihrer Aufgabenstellung mit ONUC durchaus vergleichbar. Es ging darum, durch die Gegenwart einer internationalen Streitkraft am Konfliktherd die bürgerkriegsähnliche Lage zu entschärfen und interventionsbereite Staaten von einem Eingreifen ab- zuhalten. Während ONUC sich jedoch bei der Ausführung des Mandats unter Berufung auf den verbindlichen Charakter der Sicherheitsratsbe- schlüsse bald vom Erfordernis der Zustimmung der Parteien gelöst hatte, wurde die Zustimmung der zypriotischen Regierung vom Sicherheitsrat bei der Errichtung UNFICYPs als konstituierendes Moment deutlich her- vorgehoben55. Im Gegensatz zum Kongo war hier jedoch - jedenfalls bis zur türkischen Landung - nicht die nationale Einheit durch sezessioni- stische Tendenzen bedroht, vielmehr bedrohten die Zentralisierungswünsche der griechischen Mehrheit die autonomen Rechte der türkischen Minder- heit. Auch im Verhältnis zur türkisch-zypriotischen Minderheit wurde - in deutlichem Gegensatz zum Vorgehen ONUCs gegen Katanga - das Zu- stimmungserfordernis beachtet, wenn auch nicht in Vertragsform fixiert. Die Handlungsbefugnis der Streitkraft beschränkte sich grundsätzlich auf Maßnahmen im Einvernehmen mit den Konfliktparteien. Der Einsatz von Waffengewalt wurde strikt auf ein enges Konzept der Selbstverteidigung beschränkt. UNIFICYP war dabei eher geneigt, militärische Stellungen zu räumen, als sich in einen bewaffneten Konflikt mit den Parteien einzu- lassen. Bei diesem eng begrenzten Aufgabenverständnis konnte UNFICYP weder die Versuche griechisch-zypriotischer Gruppen zu einer gewaltsamen Verschiebung des status quo noch die Landung türkischer Truppen zum Schutz der türkischen Bevölkerungsgruppe verhindern. Eine so konzipierte Streitkraft ist im wesentlichen ein Instrument der präventiven Diplomatie.

54 Zur UN-Operation in Zypern vgl. Stegengay The United Nations Force in Cyprus, 1968; Karaosmanoglu aaO (Anm. 7), S. 107 f; B alialo ud, L'opération des Nations Unies à Chypre, in: RGDIP Bd. 80 (1976), S. 130 ff.

s» SC Res. 186 (1964) vom 4. 3. 1964, Ziff. 4.

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Sie mag durch ihre Gegenwart beruhigend und entspannend wirken, so- lange die Parteien daran interessiert sind, kann aber kein Eigengewicht als politischer oder gar militärischer Faktor entfalten.

In der Verteilung der politischen Verantwortung zwischen den Organen blieb bei UNFICYP die Rolle des Generalsekretärs als Oberkommandie- renden mit weiten Vollmachten zwar formell gewahrt, doch zeigte er sich im Gegensatz zur Kongooperation äußerst vorsichtig und zurückhaltend beim Gebrauch seiner Befugnisse und ließ keinerlei Aktivismus mehr er- kennen. Die Kontrolle durch die ständigen Sicherheitsratsmitglieder wurde schon dadurch verstärkt, daß das Mandat UNFICYPs zunächst alle drei, später dann alle sechs Monate verlängert werden mußte, während UNEF und ONUC noch ein zeitlich unbegrenztes Mandat erhalten hatten.

Bei UNEF II und UNDOF, die wieder dem Modell der Pufferstreitkraft folgen, treten die Tendenzen zur Verstärkung der Mitwirkungsrechte der Parteien einerseits und zur Rückverlagerung operativer Entscheidungsbe- fugnisse vom Generalsekretär auf den Sicherheitsrat andererseits noch deut- licher hervor.

UNEF II wurde am 26. Oktober 1973 förmlich konstituiert56, nachdem zunächst auf der Grundlage eines Grundsatzbeschlusses des Sicherheitsrates vom 25. Oktober 1973 die Parteien in Verhandlungen mit dem General- sekretär eingetreten waren und insbesondere Ägypten seine förmliche Zustimmung zur Stationierung einer UN-Streitkraft gegeben hatte. Im ägyptisch-israelischen Truppenentflechtungsabkommen vom 18. Januar I97457 wurde der Aufgabenbereich von UNEF II präzisiert, wobei im Wege der Parteiabsprache auch Regelungen über die Zusammensetzung der Streitkraft (Ausschluß von Truppen der ständigen Sicherheitsratsmitglie- der) getroffen wurden. UNEF II stellt sich damit im wesentlichen als Be- standteil eines von den Parteien ausgehandelten Vertragswerkes dar, auf dessen Inhalt der Sicherheitsrat keinen direkten Einfluß hatte und lediglich nachträglich akzeptierte. Noch deutlicher tritt der beherrschende Charakter der Parteiabsprachen bei UNDOF hervor. Syrien und Israel handelten zu- nächst im Mai 1974 ein Truppenentflechtungsabkommen aus und sprachen sich dabei über Aktionsgebiet, Mandat, Truppenstärke und Stationierungs- dauer UNDOFs ab, vereinbarten auch, daß der Generalsekretär Oberkom- mandierender sein solle58. Erst dann wurde der Sicherheitsrat zum Vollzug des perfekten Abkommens eingeschaltet59. Dieser Vorrang der Parteien- position und Verzicht des Sicherheitsrats auf einen Gebrauch seiner Befug- nisse zu einseitig- verbindlicher Regelung führt dazu, daß die halbjährig

5« SC Res. 341 (1973). Zur Errichtung von UNEF II vgl. im einzelnen Martin, L'ONU et la guerre du Moyen Orient, AFDI Bd. 19 (1973), S. 538 ff.

S7 Doc. S/11198 & Add. 1, Text in UNM Feb. 1974, S. 8-11. 5» Doc. S/11302 & Add. 1, Text in UNM June 1974, S. 26-28. 5» SC Res. 350 (1974), 31. 5. 1974.

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stattfindenden Verhandlungen über die Verlängerung der Stationierung gelegentlich von den Parteien dazu benutzt werden, ihre Zustimmung mit zusätzlichen politischen Forderungen an den Sicherheitsrat zu verknüpfen60.

Wurde der Generalsekretär bei UNEF II und UNDOF auch traditions- gemäß und entsprechend den Absprachen der Konfliktparteien wieder zum Oberbefehlshaber ernannt, so wurde seine Position vom Sicherheitsrat doch inhaltlich sehr stark eingeschränkt. Hatte er bei ONUC und UNFI- CYP noch freie Hand in der Ernennung des Kommandeurs gehabt, so erfolgte bei UNEF II und UNDOF die Ernennung erst auf das ausdrück- lich Placet des Sicherheitsrats61. Auch in die Entscheidungen über die Zu- sammensetzung der Streitkräfte, die früher dem Generalsekretär obgelegen hatten, schaltete der Sicherheitsrat sich jetzt ein. Bei UNEF II wurde die Zusammensetzung nach inoffiziellen Konsultationen der Sicherheitsrats- mitglieder durch Konsensus vom Sicherheitsrat beschlossen62, bei UNDOF legte der Generalsekretär dem Sicherheitsrat jede die Zusammensetzung betreffende Einzelmaßnahme zur Entscheidung vor63.

Die Streitkraft im Libanon (UNIFIL) schließlich wurde vom Sicherheits- rat ausdrücklich im Hinblick auf das Ersuchen der libanesischen Regierung konstituiert. UNIFIL soll „den Abzug der israelischen Streitkräfte be- stätigen, den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit wie- derherstellen und der Regierung des Libanon helfen, die Wiedereinsetzung ihrer tatsächlichen Autorität in diesem Gebiet zu gewährleisten"64. Diese Mission dürfte sich außerordentlich delikat gestalten, da UNIFIL nicht nur mit den Regierungen des Libanon und Israels und der von den Ver- einten Nationen anerkannten Palästinenserorganisation (PLO) zu tun hat, die dem Einsatz der Friedenstruppe zugestimmt haben65, sondern mit einer

60 So der (erfolgreidie) Versudi Syriens, die Mandatsverlängerung UNDOFs mit der Einladung der PLO zur Diskussion im Sidierheitsrat zu verbinden. Vgl. L. Gross y Voting in the Security Council and the PLO, in: AJIL 1976, S. 470 f.

61 Bei UN Lr II wurde ein informelles Treffen des Sicherheitsrates anberaumt, um über die Ernennung des Kommandeurs zu entscheiden, vgl. die Darstellung des sowjetischen Delegierten in A/AC. 121/SR. 62, S. 3-4 (4. 1. 1974). Bei UNDOF holte der Generalsekretär jeweils die Zustimmung zur Ernennung bzw. Ablösung des Kommandeurs ein, vgl. UNM June 1974, S. 55; S/11595; S/11750 (9. 7. 1975).

02 Vgl. Manin aaO (Anm. 60), S. 550, Anm. 21. 63 Vgl. UNM June 1974, S. 20-21 und 24-25; S/11595; S/11768 (22. 7. 1975). m SC Res. 425 (1978), Ziff. 3 (19. 3. 1978), Übersetzung aus Zeitschrift Vereinte

Nationen 1978, S. 69. Ebenfalls am 19. 3. 1978 nahm der Sicherheitsrat die weitere Resolution Res. 426 (1978) an, die den Bericht des Generalsekretärs vom 19. 3. 1978 über die Durchführung von Res. 425 (1978) billigte und das Mandat vorbehaltlich erneuter Beschlußfassung durch den Sicherheitsrat auf sechs Monate begrenzte.

65 Die Bereitschaft der PLO zur vollen Zusammenarbeit bei der Durchführung der Res. 425 (1978) wurde dem Generalsekretär von Arafat zugesichert, vgl. vor- läufig Information Service, UN Office at Geneva, WS/861, S. 26 (21. 4. 1978).

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Vielzahl von bewaffneten Gruppen, die sich einer klaren Zuordnung zu den von den Vereinten Nationen anerkannten Autoritäten entziehen und der internationalen Streitkraft ablehnend gegenüberstehen. Eine Aus- dehnung des Zustimmungserfordernisses auch auf solche Gruppen würde die effektive Mandatsausübung wesentlich erschweren oder gar unmöglich machen, während andererseits ein Vorgehen etwa gegen den Widerstand radikaler Palästinensergruppen ähnliche Probleme aufwerfen würde wie die polizeiartigen Eingriffskompetenzen, die ONUC für sich beansprucht hatte. Ein eindeutiges Bild läßt sich hier noch nicht gewinnen, doch deutet die Anweisung des UNIFIL-Oberkommandos an das französische Kontin- gent, nach den Zusammenstößen mit radikalen Palästinensergruppen zu- nächst die Patrouillen einzustellen, auf ein sehr zurückhaltendes Mandats- verständnis hin66. Zur Kompetenzverteilung zwischen Sicherheitsrat und Generalsekretär ist zu bemerken, daß die Entscheidungen über die Zu- sammensetzung der Truppe wieder vom Sicherheitsrat auf Vorschlag des Generalsekretärs getroffen werden67, während der Kommandeur vom Generalsekretär ernannt wurde, freilich unter Vorbehalt der Zustimmung des Sicherheitsrates68.

Nach einer längeren Phase des Experiments und der Krise haben die Peace-keeping Operationen sich damit zu einem zunehmend fest um- rissenen Handlungstyp entwickelt. Das Prinzip der Alleinzuständigkeit des Sicherheitsrats für die Autorisierung und Leitung von Peace-keeping Operationen erscheint als gesichert .Mit Eingriffen der Generalversamm- lung nach dem Muster von UNEF und ONUC ist nicht mehr zu rechnen. Der Generalsekretär hat sich zwar als Exekutivorgan behaupten können, aber nur um den Preis einer rigorosen Einschränkung seiner selbständigen Handlungsbefugnisse. Das gegenwärtige Verfahren, wonach der Sicherheits- rat auch in Detailfragen selbst entscheidet, kann nur eine Übergangslösung sein. Im einzelnen stehen die endgültigen Konturen dieses Systems jedoch noch nicht fest. Die weitere Entwicklung wird hier vom Verlauf der Kodi- fizierungsbemühungen des Special Committee on Peace-keeping Operations abhängen, die die Peace-keeping Operationen nach Abschluß der Phase der Improvisation und des Experiments auf feste Grundlagen stellen sollen.

5. Mögliche weitere Systeme

Mit der Rückkehr der Peace-keeping Operationen unter die enge Kon- trolle des Sicherheitsrats ist die Entwicklung der Praxis vorläufig abge-

66 Eine zuverlässige UN-Dokumentation liegt nodi nidit vor. Vgl. aber Der Spiegel No. 20 vom 15. 5. 1978, S. 180 f.

o? Vgl. UN Informationen Service, WS/859, S. 2 (24. 3. 1978). Zur Zusammen- setzung von UNIFIL vgl. vorläufig WS/862, S. 1 (14. 4. 1978).

es Vgl. vorläufig UN Information Service, WS/863, S. 6 (21. 4. 1978).

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schlössen. Das schließt nicht aus, daß veränderte Konstellationen in der internationalen Politik und neue Bedürfnisse der Friedenssicherung zur Bildung neuer Aktionssysteme führen, die sich wieder vom Leitbild der reinen Zustimmungsaktion fortbewegen und autoritative- und Zwangs- elemente wieder stärker hervorheben. Zu denken wäre daran etwa im Zusammenhang mit den Bemühungen um eine dauerhafte Friedensregelung im Nahen Osten, die feste internationale Garantien erforderlich machen könnten. Ein zukünftiger Einsatz von Truppen verschiedener ständiger Sicherheitsratsmitglieder kann, wie die Verwendung eines französischen Kontingents im Rahmen von UNIFIL verdeutlicht, im Gegensatz zum bis- herigen Dogma künftig nicht ausgeschlossen werden. Auch könnten stär- kere Absicherungen gegen eine einseitige Aufkündigung der Stationierung durch das „Gastland" erforderlich werden. Auch in anderen Konflikten kann auf längere Sicht der Einsatz einer internationalen Ordnungsmacht mit weitreichenden Befugnissen erforderlich werden (etwa bei einem größe- ren Rassenkonflikt in Südafrika). Solche Truppen würden sich in wesentlich höherem Maße am Leitbild des Chartasystems mit seiner Führungsrolle der Großmächte auch bei Durchführung militärischer Aktionen orien- tieren müssen als die bisherige Praxis. Auf längere Sicht könnte sich damit das ursprüngliche System der Charta wieder als zukunftsträchtig erweisen.

III. Die Bemühungen des Special Committee on Peace-keeping Operations um eine Kodifizierung der

Grundsätze der Peace-keeping Operationen

Von den verschiedenen dargestellten Systemen militärischer Operationen der Vereinten Nationen ist lediglich das ursprüngliche System der Charta (System 1) von unbestrittener rechtlicher Legitimität. System 2 und 3 (das System der Uniting for Peace Resolution und das „klassische" System der Peace-keeping Operationen unter der selbständigen Leitung durch den Generalsekretär) haben Anlaß zu erbitterten rechtlichen und politischen Auseinandersetzungen unter den Mitgliedern gegeben. System 4 (Rückkehr der Peace-keeping Operationen unter die enge Kontrolle des Sicherheits- rates) wird zwar von einem breiten Konsens getragen, hat aber noch nicht zu seiner endgültigen Form gefunden.

Das Special Committee on Peace-keeping Operations ist bemüht, die jahrelangen Kontroversen über die militärischen Einsätze der Vereinten Nationen durch eine von allseitiger Zustimmung getragene Kodifizierung der Grundsätze von Peace-keeping Operationen zum Abschluß zu bringen. Das Kommittee wurde am 18. Februar 1965 von der Generalversammlung ins Leben gerufen, um einen Ausweg aus der durch ONUC ausgelösten

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Finanz- und Verfassungskrise der Vereinten Nationen zu finden und das Problem der Peace-keeping Operationen in all seinen Aspekten zu unter- suchen69. Bei den tiefgreifenden Divergenzen der Mitglieder konnte das Committee zunächst lediglich in immer neuen Berichten70 den Streitstand referieren sowie die von Jahr zu Jahr dringender auf einen Fortschritt und endlichen Abschluß der Arbeiten drängenden Generalversammlung um Aufschub ersuchen. Ansätze zu wenigstens partiellen Lösungen wurden erst sichtbar, nachdem das Special Committee sich unter Ausklammerung kon- troverser Grundsatzfragen auf die Ausarbeitung spezieller „Modelle" oder Richtlinienentwürfe für bestimmte Aktionstypen beschränkte.

Im Jahre 1968 einigte die Arbeitsgruppe (Working Group) des Special Committee, in der die entscheidenden Verhandlungen stattfinden, sich auf die Untersuchung von „United Nations military observers established or authorized by the Security Council for observation purposes pursuant to Council resolutions"71 und legte Ende 1969 den schematischen Aufriß eines „Modell" 1" über Beobachtergruppen auf der Grundlage von Sicher- heitsratsresolutionen vor72. In fünf der acht Kapitel dieses Modells konnte ein ein verständlicher Text gefunden werden; die drei Kapitel über Auf- stellung, Leitung und Kontrolle, über rechtliche und über finanzielle Ab- machungen blieben unvollendet.

In einem neuen Anlauf widmetet das Special Committee sich ab 1972 der Aufstellung von Richtlinien für Peace-keeping Operationen unter der Autorität des Sicherheitsrats. Nachdem die Arbeitsgruppe zunächst eine Liste von zwölf „responsibilities to be exercised directly by the Security Council in the prompt establishment, direction and control of Peace- keeping operations" aufgestellt hatte73, konnte das Special Committee 1974 einen Richtlinienentwurf mit dreizehn - überwiegend alternativ ge- faßten - Artikeln mit dem Titel „Draft articles of guidelines for United Nations Peace-keeping operations under the authority of the Security Council and in accordance with the Charter of the United Nations" vor- legen74. 1976 erschien dieser Richtlinienentwurf überarbeitet unter Neu-

6» A/Res. 2006 (XIX), 18. 2. 1965. Zur Arbeit des Special Committee vgl. Balla- loud aaO (Anm. 26), S. 165 ff., 217 ff., Ballaloud, L'observation militaire dans le système des Nations Unies, in: RGDIP Bd. 78 (1974), S. 399 ff. Vgl. auch Martin aaO (Anm. 21), S. 77 f., 94 f., 124 f. Zur Position einzelner Staaten Salarli aaO (Anm. 7), S. 155 ff.

™ Vgl. A/5915 & Add. 1, 15.6.1965; A/5916 & Add. 1, 31.8.1965; A/6414, 30.9.1966; A/6654, 17.5.1967; A/6815, 14.9.1967; A/7131, 2.7.1968; A/7742, 3. 11. 1969; A/8081, 1. 10. 1970; A/8550, 3. 12. 1971; A/8888, 13. 11. 1972; A/9236, 21.11.1973; A/9827, 31.10.1974; A/10366, 18.11.1975; A/31/377, 23.11.1976; A/32/394, 2. 12. 1977.

™ A/7131, 2. 7. 1968. 72 A/7742, Appendix (3. 11. 1969). ™ A/9236, Annex IL Appendix (21. 11. 1973Ì. 74 A/9827, Annex, Appendix (31. 10. 1974).

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fassung der Artikel 1 - 475, 1977 wurde die zur Zeit letzte Fassung ver- öffentlicht76. Dieser Entwurf, der den Streitstand und den erreichten Kom- promiß wiederspiegelt, soll im folgenden erläutert werden.

Bereits aus dem Titel des Richtlinienentwurfs lassen sich die wichtigsten Meinungsverschiedenheiten herauslesen: besagt die Bezugnahme auf „künf- tige" Peace-keeping Operationen unter der Autorität des Sicherheitsrats in Verbindung mit der Bezugnahme auf die Satzungskonformität, daß die früheren Operationen, insbesondere diejenigen unter der Autorität der Generalversammlung, satzungswidrig waren?77 Bei näherer Betrachtung der Richtlinien schrumpft der Bestand der allgemein akzeptierten Bestimmun- gen auf Vorschriften von mehr formaler Bedeutung, während die Alter- nativvorschläge zu den inhaltlich wichtigsten Bestimmungen das tatsäch- liche Ausmaß der fortbestehenden Meinungsverschiedenheiten wieder- spiegeln. Der Richtlinienentwurf beginnt in Artikel 1, Abs. 1 mit dem Grundsatz: („The Security Council has the authority over the establish- ment, direction and control of peace-keeping operations.") Die Klammern um diesen Satz zeigen, daß er nicht allgemein akzeptiert ist. Die soziali- stischen Länder verbinden mit dieser Formel den Gedanken einer aus- schließlichen Verantwortlichkeit des Sicherheitsrats78. Demgegenüber wol- len die westlichen und afro-asiatischen Länder in ihrer Mehrzahl Aussagen über die Zuständigkeit der Generalversammlung vermeiden79. Auch stößt der Grundsatz einer direkten Lenkung („direction") durch den Sicher- heitsrat auf die Einwände verschiedener Staaten, die nur von einer loseren Aufsichtsfunktion („supervision") des Sicherheitsrats sprechen wollen80. Hier zeigt sich das Fortbestehen der alten Meinungsunterschiede darüber, ob Peace-keeping Operationen in Anlehnung an das Leitbild des Kap. VII der unmittelbaren Kontrolle des Sicherheitsrats unter maßgeblicher Be- teiligung der Großmächte an den operativen Entscheidungen unterstehen

7* A/31/337, Annex, Appendix I (23. 11. 1976). 7« A/32/394 (2. 12. 1977), Annex II, Appendix I. 77 Vgl. audi die Einleitungsbestimmung, wonach „The aim of the present draft

guidelines is to ensure, by the acceptance of principles and the institution of methods, that peace-keeping operations shall be used in the common interest of the United Nations". Bekanntlich war einer der wesentlichen sowjetischen Einwände gegen die Operationen unter System 3, insbesondere die Kongooperation, daß diese Aktionen nicht im Gesamtinteresse der Vereinten Nationen, sondern zugunsten partikularer Sonderinteressen, insbesondere der USA, geführt worden seien. So der sowjetische Delegierte Malik in A/AC. 121/SR. 54, S. 14-16 (15. 2. 1972). 78 Vgl. etwa die Stellungnahme des polnischen Delegierten in A/AC. 121/SR. 68 (23.11.1976), S. 2-3.

7» Vgl. etwa die Erklärung der Delegierten von Pakistan in A/AC. 121/SR. 68 (23.11.1976), S. 8-9; der USA in A/AC. 121/SR. 54 (15.6.1972); Kanadas in A/SPC/152, Annex, Ziff. 1 (10. 10. 1972).

so Vgl. die Stellungnahmen der Delegierten von Italien, A/AC. 121/SR. 68 (23.11.1976), S. 6-7 und Nigeria, A/AC. 121/SR. 61 (14.6.1973), S. 3-4.

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sollen, oder ob der Generalsekretär als Exekutivorgan einen Entscheidungs- spielraum behält. Artikel 1, Abs. 2 zählt zwölf „Responsibilities to be exercised directly by the Council" auf: „1. Authorisation; 2. Definition of purpose and mandate; 3. Kind of advice and assistance required by the Council; 4. Duration and related questions; 5. Financial arrangements; 6. Size (magnitude); 7. Authorisation for appointment of deputy comman- ders; 8. Ultimate direction and control during the operation; 9. Subse- quent alterations; 10. Agreements with contributing countries (model agreement and changes thereto); 11. Agreements with host country (in- cluding model status of forces agreement and changes thereto); 12. Appro- val of a roster potential commanders". Diese Liste ist nicht abschließend, vielmehr wurden mangels Übereinstimmung bereits 1973 aus dieser Liste ausgeklammert: „1- Manner of termination; 2. Composition; 3. Support facilities; 4. Appointment of commander81. Bei UNEF II hatte der Sicher- heitsrat selbst in sieben der zwölf Punkte des Artikel 1, Abs. 2 entschieden (Punkt 1, 2, 4, 5, 6, 8, 9), auch Punkt 2 und 4 der ausgeklammerten Fragen (Zusammensetzung der Streitkraft, Ernennung des Kommandeurs) wurden vom Sicherheitsrat selbst geregelt82. Während die sozialistischen Staaten diese Praxis unmittelbarer Sicherheitsentscheidungen als Grundlage der weiteren Entwicklung ansehen88, besteht bei den westlichen Ländern Zu- rückhaltung, da sie für eine Beibehaltung selbständiger Handlungsbefug- nisse des Generalsekretärs eintreten.

Unproblematisch in ihrer unspezifischen Allgemeinheit sind die Grund- sätze des Artikels 2, wonach der Sicherheitsrat „may . . . decide to delegate its authority over aspects of pease-keeping operations" und des Art. 3, wo- nach „In matters of peace-keeping all authority shall be exercised in con- formity with relevant decisions of the Security Council". Streitig ist je- doch der Umfang der Kontrollrechte des Sicherheitsrats gegenüber dem zur Ausführung berufenen Exekutivorgan, insbesondere im Hinblick auf die Interessenwahrung der Großmächte durch ein Mitspracherecht bei operativen Einzelentscheidungen. Die insbesondere von der Sowjetunion geforderte institutionelle Verankerung der Mitwirkung der ständigen Sicherheitsratsmitglieder bei der Lenkung von Peace-keeping Operationen ließe sich durch eine Reaktivierung des Generalstabsausschusses (Art. 47 der Charta) oder durch die Errichtung eines besonderen Hilfsorgans des Sicherheitsrates erreichen.

Art. 4 des Richtlinienentwurfs sieht bei zukünftigen Peace-keeping Operationen fakultativ („may") die Errichtung eines als Hilfsorgan nach

si Vgl. A/9236, Annex II, Appendix (21. 11. 1973). 82 Vgl. oben S. 167. 83 Vgl. die Stellungnahmen des sowjetisdien Delegierten in A/AC. 121/SR. 62,

S. 3-4 (4. 1. 1974) und des polnischen Delegierten in A/AC. 121/SR. 66, S. 4-6 (22. 12. 1975).

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Artikel 29 der Charta konzipierten Ausschusses vor, der den Sicherheits- rat bei der Ausübung seiner Funktionen unterstützen soll84. Über das Ver- fahren und die Beschlußfassung in diesem Ausschuß, in dem die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats vertreten sind, besteht inzwischen Überein- stimmung85, nicht aber über seine Aufgaben. Während er nach sowjetischen Vorschlägen echte Lenkungs- und Weisungsbefugnisse haben und den Generalsekretär weitgehend in seinen Funktionen ablösen soll86, wollen ihm etwa die Vereinigten Staaten lediglich Konsultativfunktionen nach der Art der Advisory Committees von UNEF I und ONUC und eine Mittler- stellung zwischen Sicherheitsrat und Generalsekretär zubilligen87. Die Mehrheit der Staaten steht einem solchen Ausschuß eher skeptisch gegen- über, soweit seine Einführung operative Entscheidungen dem Veto unter- werfen und damit die wirksame Durchführung von Peace-keeping Opera- tionen beeinträchtigen würde. Es wird daher betont, daß die Bildung des Ausschusses nicht obligatorisch sei und den Entscheidungsspielraum des Generalsekretärs nicht übermäßig einschränken dürfe88.

Neben dieser Möglichkeit der Einsetzung eines jeweils ad hoc zu bilden- den Sonderorgans nach Artikel 4 sieht der Richtlinienentwurf in Artikel 5 entsprechend den Forderungen der Sowjetunion und Frankreichs auf Be- achtung der Vorschriften des Kap. VII der Charta vor, daß der Sicher- heitsrat dem Generalstabsausschuß (Art. 47 der Charta) Verantwortung

84 Art. 4, Abs. 1 lautet: „The Security Council may, at the time of establish- ment of a peace-keeping operation, decide to establish a committee under Article 29 of the Charter in order to assist the Council in the performance of its func- tions. The committee shall be directly responsible to the Security Council".

85 Gemäß Art. 4 Abs. 2 setzt er sich aus je fünf Vertretern der ständigen Sicher- heitsratsmitglieder, der nicht ständigen Sicherheitsratsmitglieder und der mit Personal an der Operation beteiligten Staaten zusammen. Weitere Teilnahme- staaten können eingeladen werden (Abs. 4), der Generalsekretär nimmt an den Beratungen teil (Abs. 5), die nach Bedürfnis bzw. auf Antrag der Mitglieder, des Generalsekretärs oder des Gastlandes stattfinden (Abs. 6). Der Ausschuß unter- breitet dem Sicherheitsrat Berichte und Empfehlungen (Abs. 7). Entscheidungen in Verfahrensfragen erfolgen nach dem Mehrheitsprinzip, in Sachfragen ist Einstim- migkeit erforderlich (Abs. 8).

8« Vgl. die sowjetischen Stellungnahmen in A/8669, S. 4 (20.3.1972); A/AC. 121/SR. 54, S. 16-19 (15. 6. 1972); A/AC. 121/SR. 64, S. 10 (20. 12. 1974). (20. 12. 1974).

S7 Vgl. A/8676, S. 3-4 (3.4.1972); A/AC. 121/SR. 54, S. 22 (15.6.1972); A/AC. 121/SR. 68, S. 11 (23. 11. 1976).

88 Vgl. die Stellungnahmen der Delegierten von Sierra Leone in A/AC. 121/ SR. 55, S. 6 (7. 8. 1972); Nigeria, A/AC. 121/SR. 61, S. 3-4 (14. 6. 1973); Öster- reich, A/AC. 121/SR. 64, S. 8 (20.12.1974); Afghanistan, ebd., S. 9 und A/AC. 121/SR. 68, S. 8-9 (23. 11. 1976); auch Italien in A/31/377 (23. 11. 1976), Annex, S. 19.

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delegieren kann89. An den Entscheidungen des Generalstabsausschusses sind gemäß Artikel 47 der Charta die Vertreter der ständigen Sicherheitsrats- mitglieder beteiligt, doch können auch andere Staaten, insbesondere Staa- ten mit Truppenkontingenten, eigeladen werden. Der Erwähnung des seit 30 Jahren inaktiven Generalstabsausschusses konnte sich im Hinblick auf die einschlägigen Regelungen der Charta kein Staat wiedersetzen, doch haben insbesondere die Vereinigten Staaten zum Ausdruck gebracht, daß sie von seiner Beteiligung an Peace-keeping Operationen nichts halten90.

Diese grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten über die Kontroll- dichte der Aufsichtsorgane des Sicherheitsrats, die in den früheren Ent- würfen zu Artikel 6 (Stellung des Generalsekretärs), Artikel 7 (Bericht der Exekutivorgane an den Sicherheitsrat, Instruktionen) und Artikel 8 (Er- nennung und Verantwortlichkeit des Kommandeurs) noch in Gestalt zahl- reicher Alternativformulierungen deutlich sichtbar waren, sind in der letzten Entwurfsfassung durch auslegungsfähige Formulierungen zum Teil überbrückt.

Von den drei Alternativfassungen des Artikels 6 des Richtlinienent- wurfes gehen zwei von der exekutiven Leitung der Peace-keeping Opera- tionen durch den Generalsekretär aus, während die dritte ihn entsprechend sowjetischen Vorstellungen dem Hilfsorgan des Sicherheitsrats nach Artikel 4 oder 5 unterstellt („The Secretary-General is in charge of the implemen- tation of peace-keeping operations, receiving guidance from a subsidiary- body of the Security Council"). In diesen Meinungsverschiedenheiten über die Stellung des Generalsekretärs liegt der Kern der fortbestehenden Di- vergenzen. Artikel 7 baut auf diesen Meinungsverschiedenheiten auf, wenn er Berichterstattungspflichten und Weisungsabhängigkeit des Generalsekre- tärs oder jeden Hilfsorgans gegenüber dem Sicherheitsrat vorsieht. Artikel 8 enthält zur Frage der Ernennung des Kommandeurs zwei alternative Fassungen: entweder Ernennung durch den Generalsekretär (mit Zustim- mung des Sicherheitsrats) oder - entsprechend sowjetischen und franzö- sischen Vorstellungen - Ernennung durch den Sicherheitsrat selbst (auf Vorschlag des Generalsekretärs). Nachdem bei UNEF II und UNDOF der Kommandeur vom Generalsekretär jeweils erst auf Grund formlosen Konsenses des Sicherheitsrats ernannt worden war91, erfolgte bei UNIFIL die Ernennung durch den Generalsekretär vorbehaltlich der Zustimmung des Sicherheitsrats92. Die praktische Bedeutung der Kontroverse zu

89 Vgl. die Stellungnahmen der Sowjetunion in A/8669, S. 2 (20.3.1972); der Tschechoslowakei in A/AC. 121/L. 15, Add. 2 (3. 5. 1972). Positiv zu einer Reakti- vierung des Generalstabsausschusses und seiner Beteiligung an Peace-keeping Ope- rationen auch Kanada, A/SPC/152 (10. 10. 1972). Eine Gegenüberstellung der Standpunkte findet sich in A/AC. 121/L. 18, S. 9-10 (23. 1. 1973).

»o A/8676, Annex, S. 3 (3. 4. 1972). »i Vgl. Anm. 70. 92 Vgl. Anm. 68.

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Artikel 8 erscheint damit als gering, doch kommt darin ein Konflikt von Grundsatzpositionen zum Ausdruck. In der Frage der Verantwortlichkeit des Kommandeurs spricht der jetzige Entwurf des Artikel 8 nur noch vage von einer „Zusammenarbeit" mit dem Hilfsorgan des Sicherheitsrates93, während in den früheren Fassungen die Alternative einer direkten Wei- sungsabhängigkeit gegenüber dem besonderen Exekutivorgan des Sicher- heitsrats scharf neben der Alternative der Verantwortlichkeit gegenüber dem Generalsekretär stand. Eine inhaltliche Einigung wird man in der Zusammenarbeitsformel nicht sehen dürfen, da das grundsätzliche Ver- hältnis von Generalsekretär und Hilfsorgan noch nicht geklärt ist.

Artikel 9 des Richtlinienentwurfs hebt in seiner jetzt von Alternativ- formeln gereinigten Fassung die tragenden Grundsätze von Peace-keeping Operationen noch einmal zusammenfassend hervor:94 Notwendigkeit vollen Vertrauens und voller Unterstützung seitens des Sicherheitsrats; Pflicht zur vollen Zusammenarbeit mit den Parteien, insbesondere der Re- gierung des Gastlandes, unter gebührender Berücksichtigung seiner Souve- ränität; die Truppen funktionieren als integrierte und effiziente militä- rische Einheiten, handeln in völliger Unparteilichkeit. Die Bedeutung der Bewegungsfreiheit jeder Einheit ohne Rücksicht auf ihre Nationalität wird in Hinblick auf Schwierigkeiten bei UNDOF besonders hervorgehoben.

Bemerkenswert ist, daß das Prinzip der ausgeglichenen geographischen Zusammensetzung der Streitkräfte, eine Forderung der Sowjetunion, in Artikel 10 des Entwurfs unwidersprochene Anerkennung gefunden hat, während der Hinweis auf die Effektivität der Truppe als weiteres leitendes Prinzip offenbar auf Widerspruch stößt und daher in Klammern steht. Streitig ist auch, ob die Auswahl und die Ablösung der Kontingente durch Übereinkunft zwischen dem Gastland und dem Sicherheitsrat erfolgen soll oder durch Entscheidung des Generalsekretärs, wenn auch in Über- einstimmung mit dem Gastland und dem Sicherheitsrat.

Einen Fortschritt gegenüber den früheren Finanzierungskontroversen stellt Artikel 1 1 des Richtlinienentwurfs dar95, worin zunächst eine Kosten-

93 „The Commander shall co-operate (through appropriate channels) with the subsidiary body which the Security Council may establish to assist the Council".

94 Art. 9 des Richtlinienentwurfs lautet: „It is essential that throughout the conduct of a United Nations peace-keeping operation it shall have the full con- fidence and backing of the Security Council. Such forces must operate with the full co-operation of the parties concerned, particularly of the goverment of the host country, due account being taken of its sovereignty. Such forces must function as integrated and efficient military units and act with complete objectivity. It is also of utmost importance to secure freedom of movement for each unit irrespec- tive of its nationality."

95 Art. 11 des Richtlinienentwurfs lautet: „The costs of peace-keeping operations authorized by the Security Council shall be considered as expenses of the Organi- zation, to be borne by the members in accordance with Article 17, paragraph 2,

12 ArchVR18/2

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Verteilung durch die Generalversammlung gemäß Artikel 17, Ziff. 2 der Charta vorgesehen ist. Die Klammern um die nachfolgenden Bestimmun- gen über eine anderweitige Kostenregelung durch den Sicherheitsrat deuten jedoch das Fortbestehen alter Meinungsverschiedenheiten an. Bekanntlich hatten insbesondere die Sowjetunion und Frankreich die finanzielle Be- teiligung an den von der Generalversammlung gemäß Artikel 17 Ziff. 2 festgesetzten Kosten für UNEF 1 und ONUC mit der Begründung ver- weigert, daß diese Aktionen satzungswidrig seien und die Festsetzung der Kosten für militärische Aktionen zu den ausschließlichen Prärogativen des Sicherheitsrates nach Kapitel VII der Charta gehöre. Für lange Zeit er- schien das bei UNFICYP gewählte Verfahren einer Finanzierung auf frei- williger Grundlage als einzig möglicher Ausweg, bis sich bei UNEF II ein Durchbruch ereignete und der Sicherheitsrat ohne Einspruch Frankreichs und der Sowjetunion der Formel im Bericht des Generalsekretärs zu- stimmte, daß es sich um Kosten nach Maßgabe des Artikels 17 handle96. Die Festsetzung und Verteilung der Kosten für UNIFIL ist Gegenstand einer Sondersitzung der Generalversammlung gewesen97. Offenbar wollen aber die Sowjetunion und Frankreich die Möglichkeit einer anderweitigen Regelung durch den Sicherheitsrat offenhalten. Die traditionell von der Sowjetunion verfochtene These, daß nicht die Organisation, sondern der „Aggressor" die Kosten zu tragen habe98, ist neuerdings auch von Syrien, Albanien und Libyen aufgegriffen worden, um sich der Beteiligung an den Kosten von UNEF II und UNDOF zu entziehen99. Auch China verweigert die Beteiligung an den Kosten, da es sich bei UNEF II und UNDOF um konzertierte Aktionen der Supermächte handle100. Hier zeigt sich, daß das Finanzierungsproblem im wesentlichen politischer Natur ist. Man wird bezweifeln müssen, daß es möglich ist, den Grundsatz obligatorischer Ko- stenumlegung auf die Mitglieder durdi die Generalversammlung als un- bedingt verpflichtende Regel durchzusetzen.

Weitere Kontroversen betreffen schließlich die verbesserte Vorbereitung von Peace-keeping Operationen durch Abkommen mit potentiellen Ent-

of the Charter of the United Nations (or any other methods of financing which the Security Council may decide) (unless decided otherwise)."

»e Vgl. SC Res. 341 (1973), deren Ziff. 1 den Bericht des Generalsekretärs vom 27. 10. 1973 billigt (S/11052/Res. 1).

»7 Vgl. vorläufig UN Information Service, WS/863, S. 1-2 (21. 4. 1978). 98 Vgl. etwa die Stellungnahme des sowjetischen Delegierten Ferorenko in A/AC. 121/SR. 1, Ziff. 13 (26.3.1965) und neuerdings des sowjetischen Dele- gierten Trojanowski anläßlich der Errichtung von UNIFIL, S/PV 2074, S. 13 (19. 3. 1978).

99 Vgl. den Bericht der 5. Kommission der Generalversammlung vom 15. 12. 1974, Teil III, A/9825/Add. 2, Ziff. 11.

loo Vgl. S/PV 1752 (27. 10. 1974), S. 6. Entsprechend auch wieder bei UNIFIL, vgl. S/PV 2074, S. 11 (19. 3. 1978).

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sendestaaten über die Bereitstellung von Truppeneinheiten auf Abruf und über die Errichtung von Trainingsprogrammen. Es handelt sich hier um ein Anliegen insbesondere der skandinavischen Länder und anderer Staaten, die als besonders aktiv an Peace-keeping Operationen beteiligte Mitglieder ihre bisher auf nationaler Ebene getroffenen Anstrengungen innerhalb eines internationalen Rahmens koordiniert wissen möchten. Während die Sowjetunion derartige Verträge als Abkommen im Sinne des Artikel 43 der Charta ansieht, halten die Vereinigten Staaten eine Bezugnahme auf Artikel 43 für verfehlt, da es sich bei den Operationen des Richtlinienent- wurfs nicht um die in Kapitel VII der Charta geregelten Zwangsmaßnah- men handle101. Entsprechend ist in den beiden Alternativentwürfen des Artikel 12 des Entwurfs entweder von „agreements unter Art. 43" oder einfach von „Preparedness agreements" die Rede.

Ob bei diesen Meinungsverschiedenheiten die langen und mühsamen Arbeiten an einer Kodifizierung der Grundsätze von Peace-keeping Ope- rationen schließlich von Erfolg gekrönt sein werden, ist noch ungewiß. Nachdem es inzwischen gelungen ist, in verschiedenen Einzelbestimmungen Formulierungskompromisse zu finden, bleibt als harter Kern der Streit um die Handlungsautonomie des Generalsekretärs. Im Special Committee breitet sich eine gewisse Entmutigung und Verärgerung über die kompro- mißlose Haltung der Großmächte aus102. Angesichts der verhärteten Posi- tionen kann hier mit einer inhaltlichen Einigung kaum gerechnet werden. Zu erwarten ist allenfalls ein Formelkompromiß, der für alle Auslegungen offen ist und die bei der Formulierung des Textes ausgeklammerten Aus- einandersetzungen auf die Ebene der Durchführung verlagert. Man sollte daher die Bedeutung eines erfolgreichen Abschlusses der Kodifizierungsar- beiten nicht überschätzen. Abgesehen davon, daß ein von Einstimmigkeit getragener Resolutionstext inhaltlich in den entscheidenden Punkten not- wendig vage und unbestimmt sein müßte, bliebe die Frage nach der Zu- lässigkeit alternativer Handlungsformen weiterhin unentschieden. Der Entwurf beendet insoweit alte Kontroversen nicht und schließt neue Ent- wicklungen nicht aus. Er kann daher nur die Bedeutung eines vorläufigen, formalen Abschlusses der bereits überwundenen politischen Krise haben, in die die Vereinten Nationen infolge der Peace-keeping Operationen geraten waren. Eine endgültige und abschließende Lösung der Problematik frie- denserhaltender militärischer Aktionen ist auch von einer Kodifikation nicht zu erwarten.

loi Vgl. die Gegenüberstellung der Standpunkte in A/AC. 121/L. 18, S. 15 (23. 1. 1973).

102 Vgl. etwa die Stellungnahmen der Delegierten von Brasilien in A/AC. 121/ SR. 70, S. 2-3 (21. 6. 1977) und des ägyptischen Delegierten in A/AC. 121/SR. 71, S. 3, 4 (5. 12. 1977).

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IV. Ergebnis.

Die Vereinten Nationen sind eine umweltabhängige Organisation. Auch im Aufgabenbereich der Friedenssicherung durch internationale Streit- kräfte gehen die wesentlichen Impulse von den Mitgliedern aus, die in wechselnden Mehrheitsverhältnissen und verschiedenen weltpolitischen Konstellationen jeweils andersartige Erwartungen an die Organisation herantragen. War das ursprüngliche System der Charta (System 1) geprägt von der Allianz der Siegergroßmächte des zweiten Weltkrieges, die durch den im Sicherheitsrat koordinierten Einsatz überlegener militärischer Macht künftige Friedensbrecher abschrecken und ausschalten wollten, so gestalte- ten in den 50er Jahren die Vereinigten Staaten die Generalversammlung zu einem Reserveorgan der kollektiven Sicherheit um, das sich im Interesse des kalten Krieges verwenden ließ (System 2). Inzwischen hat unter ge- änderten Mehrheitsverhältnissen die Generalversammlung ihren Interes- senbereich wesentlich verändert und das Primat in Sicherheitsfragen an den Sicherheitsrat zurückgegeben. Nach einer vorübergehenden Phase relativen Gleichgewichts zwischen den Blöcken, in der die Organisation unter Füh- rung des Generalsekretärs ein relativ hohes Maß an Autonomie erlangte und in den Peace-keeping Operationen ein neuartiges Instrument der Krisendiplomatie entwickelte (System 3), haben nunmehr die Supermächte in mißtrauischer Kooperation die Peace-keeping Streitkräfte unter ihre Regie genommen (System 4). Das äußerst begrenzte Maß der Bereitschaft zur Zusammenarbeit ermöglicht dabei zur Zeit lediglich reine Konsens- operationen, die der vollen Kooperation der Parteien bedürfen, doch sind in der Zukunft Aktionen autoritativen Charakters nicht von vorneherein auszuschließen (System 5).

Nach einer längeren Phase der Kontroversen und stets neuer Anläufe, verbunden mit alsbald eintretender Stagnation, nähern sich nunmehr die Verhandlungen im Special Committee on Peace-keeping Operations einem entscheidenden Punkt. Entweder es gelingt, den seit Jahren diskutierten Richtlinienentwurf für Peace-keeping Operationen unter der Leitung des Sicherheitsrates alsbald abzuschließen, oder die Arbeit des Special Com- mittee droht endgültig im Sande zu verlaufen. Sollte der Abschluß der Arbeiten an dem Richtlinienentwurf gelingen, so wären die mit der Entwicklung der Peace-keeping Operationen verbundenen Krisen und Kontroversen zu ihrem förmlichen Abschluß gekommen. In Anbetracht der fortbestehenden grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten unter den Großmächten ist dabei nur ein Formelkompromiß zu erwarten, der Streit- fragen ausklammert oder durch offene Formulierungen überdeckt. Die weitere Entwicklung wird dadurch jedoch nicht ausgeschlossen. Überhaupt haben die Staaten und insbesondere die Großmächte sich in der Praxis stets

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pragmatischer gezeigt, als ihre hartnäckig verteidigten Grundsatzpositionen vermuten ließen. Das Gelingen oder Mißlingen der Arbeit des Special Committee on Peace-keeping Operations ist daher gegenüber der mehr empirisch orientierten, flexiblen Praxis von zweitrangiger Bedeutung.

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