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Struktur der Materie I f ¨ ur Physiklehrer - Skript zur Vorlesung - Prof. Dr. M. Kobel Institut f¨ ur Kern- und Teilchenphysik Text und Formelsatz: Kathrin Leonhardt

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Struktur der Materie Ifur Physiklehrer

- Skript zur Vorlesung -

Prof. Dr. M. Kobel

Institut fur Kern- und Teilchenphysik

Text und Formelsatz:

Kathrin Leonhardt

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INHALTSVERZEICHNIS 1

Inhaltsverzeichnis

1 Streuprozesse 31.1 Klassen der Streuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51.2 Wirkunsgquerschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

1.2.1 Klassische Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61.2.2 Quantenmechanische Bedeutung/ Rutherford-, Mottstreuung . . . . . . . 6

1.3 Luminositat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

2 Beschleuniger und Detektoren 132.1 Teilchenbeschleuniger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

2.1.1 Linearbeschleuniger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132.1.2 Kreisbeschleuniger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142.1.3 Alternativen mit ωHF = const. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152.1.4 Synchrotron . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152.1.5 Ubersicht uber Synchrotrons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

2.2 Teilchenidentifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182.2.1 Ionisation geladener Teilchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192.2.2 Elektromagnetischer Schauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192.2.3 Hadronischer Schauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

2.3 Detektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

3 Streuung an Kernen und Nukleonen 243.1 Streuung an Kernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

3.1.1 α-Streuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243.1.2 e− Streuung an Kernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

3.2 Streuung am ausgedehnten Target . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273.3 Elastische Streuung am Nukleon (p, n) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

4 Mathematisches Handwerkszeug 314.1 Naturliche Einheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

4.1.1 ”Ferrari-Konstante” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314.1.2 Planck-Skalen und Planck-Einheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324.1.3 Heaviside-Lorentz-Einheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324.1.4 Umrechnen zwischen Heaviside-Lorentz und SI . . . . . . . . . . . . . . . 33

4.2 Antimaterie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344.2.1 Dirac-Matrizen und Dirac-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344.2.2 Losungen der Dirac-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

4.3 Entdeckung des Positron . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394.3.1 Chiralitat von Teilchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

5 Das Standardmodell der Teilchenphysik 435.1 Ladungen und Wechselwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445.2 Die Bausteine und ihre Ladungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475.3 Zutaten fur unser Universum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

6 Experimentelle Bestatigung des Standardmodells 536.1 Vorhergesagte Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536.2 τ−Zerfalle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566.3 Hadronisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 576.4 Experimentelle Beobachtung der Quarks und ihrer Farbladung . . . . . . . . . . 586.5 Experimentelle Beobachtung ihrer Farbladung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

7 Hadronen und Kerne 607.1 Gebundene Quark-Systeme (Hadronen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607.2 Kernbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

A Anhang zu Streuprozessen 64

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INHALTSVERZEICHNIS 2

B Wichtige Relationen der relativistischen Kinematik 66

C Gruppenabkurzungen 66

D Paulimatrizen und Gell-Mann-Matrizen 67

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1 STREUPROZESSE 3

Motivation

In dieser Vorlesung sollen Grundkenntnisse in der Kern- und Teilchenphysik vermittelt werden.In der Schule bietet dieses Gebiet eine besonders gute Gelegenheit, das Interesse der Schuler ander Physik zu wecken.

Dem zugrunde liegt vor allem die menschliche Neugier nach dem Aufbau und dem Ursprungder Welt. Zum Aufbau der Materie stellen sich zwei Hauptfragen:

• Was sind die Bausteine der Materie? (siehe Abbildung 55 in Anhang A)

• Was sind die fundamentalen Krafte zwischen ihnen?

deren Antworten viele weitere Fragen nach sich ziehen, wie zum Beispiel:

• Warum gibt es gerade diese Teilchen?

• Warum haben sie gerade diese Massen?

• Was ist eine Kraft?

• Kann man die Krafte auf eine Urkraft vereinigen und damit die Physik auf wenige Prin-zipien reduzieren? (Abbildung 56 in Anhang A)

Die Frage der Urkraft zwischen den kleinsten Teilchen ist schließlich eng verknupft mit der Her-kunft und der Geschichte des Universums als Ganzes. (Abbildung 57 in Anhang A)Einen Teil der Fragen beantwortet das ”Standardmodell der Teilchenphysik”, das zusammen mitder Quantentheorie und der Relativitatstheorie zu den drei großen theoretischen Errungenschaf-ten der Physik des 20. Jahrhunderts zahlt.

1 Streuprozesse

Um den Aufbau der Materie zu untersuchen, wurden zuerst optische Betrachtungen durch-gefuhrt, wie zum Beispiel mit dem Mikroskop. Das Prinzip dieser Betrachtung beruht aufStreuprozessen. Die Photonen der Lichquelle werden am zu untersuchenden Objekt gestreutund anschließend vom Beobachter (Detektor) wieder aufgenommen (siehe Abbildung 1). DasAuflosungsvermogen von Mikroskopen liegt bei 1µm. Ganz analog, aber mit besserem Auflosungs-vermogen, konnen Streuversuche auch an Beschleunigern durchgefuhrt werden, indem manbeschleunigte Teilchen als Projektile verwendet. Dabei erreicht man Auflosungen von bis zu10−18 m.Tabelle 1 zeigt eine Ubersicht uber verwendete Projektile und dem resultierenden Auflosungs-vermogen.

Abbildung 1: Untersuchung eines Objekts durch Beobachtung vongestreuten Projektilen

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1 STREUPROZESSE 4

Projektil Auflosungsvermogen

Mikroskopsichtbares Licht(Photonen)

≈ 1µm

TeilchenstrahlenPhotonen, Elektronen,Neutrinos, ...

≈ 0, 001 fm = 10−18 m

Tabelle 1: Ubersicht zu Projektilen und Auflosungsvermogen

Die Ursache fur das begrenzte Auflosungsvermogen liegt in der Heisenbergschen Unscharfe-relation, die die prazise Bestimmung des Orts der Streuung an einem Teilchen einschrankt. DieHeisenbergsche Unscharferelation ist durch folgende Relation gegeben:

∆x ·∆p ≥ hwobei ∆~p = ~pnach − ~pvor der Impulsubertrag des Projektils auf das Zielobjekt (Target)

beschreibt, dessen Betrag ∆p maximal in der Goßenordnung von p liegen kann: ∆p ≤ p. Es giltdaher fur die bestmogliche Ortsbestimmung (Auflosung)1:

∆x ∼ hc

pc≈ 0, 2GeV · fm√

2mc2 · Ekin + E2kin

(1)

Dabei ergeben sich zwei Grenzfalle: die kinetische Energie ist entweder deutlich kleiner oderdeutlich großer als die Ruheenergie des Teilchens.

Ekin ≪ mc2: ∆x ≈ hc√2mc2 · Ekin

Ekin ≫ mc2: ∆x ≈ hc

Ekin

Je nachdem nimmt das Auflosungsvermogen also entweder ∝√Ekin oder ∝ Ekin ≈ E (linear)

zu.In der Teilchenphysik, die oft auch als Hochenergiephysik bezeichnet wird (mc2 ≪ Ekin), trittdementsprechend meistens der zweite Fall ein. Eine Ausnahme bilden α-Teilchen aus Kern-zerfallen als Projektile, die sich aufgrund ihrer großen Masse nicht-relativistisch bewegen.

1Die in Beziehung 1 verwendete Relation fur den Impuls

pc =q

2mc2 · Ekin + E2

kin

ergibt sich aus

pc =p

E2 − m2c4

=q

(E + mc2)(E − mc2)

=q

(Ekin + 2mc2)Ekin

=q

2mc2 · Ekin + E2

kin

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1 STREUPROZESSE 5

Fur Streuprozesse mit hoher Auflosung benotigt man

• hochenergetische Projektile, wodurch ein hoher Impulsubertrag ermoglicht wird, sodassdie prazise Bestimmung des Orts der Streuung, ∆x, wegen Beziehung 1 moglich ist(∆x≪ R).

• moglichst kleine und elementare Projektile, d.h. das Projektil muss deutlich kleiner als die”abzutastende” Struktur sein (r ≪ R).

Dabei stellt R die aufzulosende Große der Objektstruktur dar.

1.1 Klassen der Streuung

Man unterscheidet nach zwei verschiedenen Klassen von Streuprozessen, die elastische Streu-ung und die inelastische Streuung.

elastische Streuung:

die elastische Streuung ist folgendermaßen definiert:

a(pµa) + b(pµ

b )→ a(p′µa ) + b(p

′µb )

Dabei ist pµ = (E/c, px, py, pz) der Viererimpuls der Teilchen. Der Impuls der Teilchen nach derStreuung andert sich, die Energie dagegen bleibt gleich.

inelastische Streuung:

Impuls und Energie andern sich nach der Streuung, dabei kann entweder ein Teilchen angeregtwerden (b∗) und daraufhin in andere zerfallen oder die einfallenden Teilchen ergeben eineneinzigen angeregten Zustand, der daraufhin zerfallt. Entscheidend ist, dass ein Teilchen nurangeregt werden kann, wenn es eine Substruktur besitzt. Das heißt, dass die inelastische StreuungAufschlusse uber diese Substruktur geben kann.

a(pµa) + b(pµ

b )→ a(p′µa ) + b∗ → a(p

′µa ) + c(pµ

c ) + d(pµd )

a(pµa) + b(pµ

b )→ c(pµc ) + d(pµ

d ) + ...

Um aus den Streuprozessen physikalische Großen zu bestimmen, muss man immer die Vie-rerimpulse pµ der ein- und ausfallenden Teilchen messen.

1.2 Wirkunsgquerschnitt

Aus dem Wirkungsquerschnitt einer Streuung lassen sich Ruckschlusse ziehen auf:

• die Reaktionswahrscheinlichkeit, d.h. die Starke der Wechselwirkung

• die Dynamik der Streuung und damit auf die Eigenschaften der Wechselwirkung

• die Struktur des Targets und unter Umstanden die des Projektils2

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1 STREUPROZESSE 6

Abbildung 2: Veranschaulichung des differentiellen Wirkungsquerschnitts

1.2.1 Klassische Bedeutung

In der klassischen Betrachtung ist der Zusammenhang zwischen dem Stoßparameter b und demStreuwinkel Θ des Teilchens eindeutig. Mit dem infinitesimalen RaumwinkelbereichdΩ = sinΘdΘdφ und dem infinitesimalen Wirkungsquerschnitt dσ = bdbdφ ergibt sich fur dendifferentiellen Wirkungsquerschnitt

dΩ=

∣∣∣∣

b

sin Θ

db

∣∣∣∣

Dabei enthalt dΘ

dbdie wichtigste Information des differentiellen Wikungsquerschnitts. Sie be-

schreibt die Anderung des Streuwinkels bei Anderung des Stoßparameters und damit die Eigen-schaften des zu untersuchenden Targets und der Wechselwirkung mit dem Target.Der totale Wirkungsquerschnitt einer Reaktion ergibt sich aus der Integration des differentiellenWirkungsquerschnitts uber den gesamten Raumbereich:

σ =

dσ =

∫dσ

dΩdΩ

1.2.2 Quantenmechanische Bedeutung/ Rutherford-, Mottstreuung

Wahrend in klassischen Stoßprozessen der differentielle Wirkungsquerschnitt dσ

dΩoft nur von

den Winkeln Θ und φ abhangt, so ist er im Allgemeinen sowohl eine Funktion von den Winkelnals auch der gewahlten Anfangsbedingungen (wie zum Beispiel der Energie der Teilchen):dσ

dΩ= f(Θ, φ, E, ...).

Der totale Wirkungsquerschnitt lasst sich auffassen als das Produkt aus Reaktionswahrschein-lichkeit und einer effektiven Querschnittsflache des Targets.

σ ∼= (Reaktionswahrscheinlichkeit · (effektive Querschnittsflache des Targets)

hat also die Einheit einer Flache: [σ] = m2.Bei Streuung von Teilchen und Kernen sind typische Ausdehnungen von der GroßenordnungrProton ≈ 1 fm. Um keine unpraktischen hohen Zehnerpotenzen zu erhalten wird eine neueEinheit definiert.

1 barn = 1b = 10−28 m2

2Allerdings ist es meist unvorteilhaft ein Projektil mit Struktur zu benutzen, da sie die Trennung zwischenEigenschaften des Targets und des Projektils erschwert.

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1 STREUPROZESSE 7

Davon leiten sich die fur die Teilchenphysik typischen Großenordnungen der auftretendenWirkunsgquerschnitte ab:

1 nb = 10−37 m2

1 pb = 10−40 m2

1 fb = 10−43 m2

Als Beispiel sei hier die Streuung von einem Proton an einem Proton angefuhrt. Als Wir-kungsquerschnitt ergibt sich

σpp(Ep = 10GeV) ≈ 40mb ≈ 4 · 10−30 m2 ∼ r2proton · π

Dieser Wert entspricht ziemlich genau dem Wirkungsquerschnitt, den man bei einer effektivenTargetflache von r2Proton · π mit einer Reaktionswahrscheinlichkeit von 1 erwarten wurde.Bei der Streuung von einem Neutrino ν an einem Proton p dagegen ist der Wirkungsquerschnittwesentlich kleiner:

σνp(Eν = 10GeV) ≈ 70 fb

Das entspricht einer Reaktionswahrscheinlichkeit von ≈ 10−12. Warum diese Reaktionswahr-scheinlichkeit bei gleicher effektiver Targetflache so viel kleiner ist, liegt an der unterschiedlichenWechselwirkung zwischen Proton-Proton und Proton-Neutrino und wird in spateren Abschnittendes Skripts noch geklart werden.

Beispiel der Coulomb-Streuung

Als weiteres Beispiel soll hier die Coulomb-Streuung behandelt werden, die die Streuung zweiergeladener Teilchen an einander darstellt. Dabei wirkt zwischen ihnen die Coulomb-Kraft

FC =1

4πǫ0

Q1Q2e2

r2= αhc

Q1Q2

r2

wobei α die Sommerfeldsche Feinstrukturkonstante (Kopplungsparameter der elektromagneti-schen Wechselwirkung) ist:

α =e2

4πǫ0hc=

1

137, 036

Fur die Streuung mussen folgende Annahmen gemacht werden:

1. kein Targetruckstoß (d.h. MTarget →∞)

E′ = E aber ~p′ 6= ~p

2. keine raumliche Anderung des Targetspins

3. Brownsche Naherung, d.h. Z · α≪ 1↔ Z ≪ 137quantenmechanisch: ein- und auslaufende Wellen Ψ mussen ebene Wellen sein

4. Target und Projektil sind punktformig

Man unterscheidet weiterhin je nach Spin 3 des Projektils

• Spin 0 → Rutherford-Streuung• Spin 1/2 → Mott-Streuung

3Die messbare z-Komponente des Spin-Eigendrehimpuls von Teilchen ist in Einheiten von h gequantelt:sz = (0, 1

2, 1, 3

2, ...)h, Fermionen (z.B. e−, p) haben halbzahligen Spin; Bosonen (z.B. γ) haben ganzzahligen Spin

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1 STREUPROZESSE 8

In der klassichen Betrachtung hangt der Stoßparameter b wie folgt vom Ablenkwinkel Θ ab4:

b = αhcQ1Q2

2E· cot

Θ

2= f(Θ, E)

und es ergibt sich fur Projektile mit Spin 0 der differentielle Wirkungsquerschnitt zu

dΩ= b

sin Θdb

dΘ=(

αhcQ1Q2

2E

)21

4 sin4 Θ

2

=(

)

Rutherford

Das genau gleiche Ergebnis erhalt man erstaunlicherweise auch bei einer quantenmechanischenBerechnung.

Fur Projektile mit Spin 1/2 ergibt sich mit β = vc fur den differentiellen Wirkungsquerschnitt:

(dσ

)

Mott

=

(dσ

)

Rutherford

(

1− β2 sin2 Θ

2

)

Der halbzahlige Spin der Projektile macht sich bei der Streuung durch einen zusatzlichen Faktorbemerkbar, der fur kleine Geschwindigkeiten v

c ≪ 1 jedoch vernachlassigbar ist.

Fur β → 1 und Θ = 180, also fur Ruckwartsstreuung eines hochrelativistischen Teilchens,geht der differentielle Wirkungsquerschnitt der Mott-Streuung gegen 0. Das spiegelt die Tatsachewider, dass in elektromagnetischen Prozessen mit β = 1 die sogenannte Helizitat erhalten bleibenmuss.Die Helizitat h beschreibt die Relativstellung von Impuls und Spin uber

h = ~p·~s|~p|·|~s|

Bei Ruckwartsstreuung (Θ = 180) ergabe sich aus der Drehimpulserhaltung (siehe Abbildung3) eine maximale Anderung der Helizitat:

hin = −1 hout = +1

Abbildung 3: Impuls- und Spinstellung bei Ruckwartsstreuung

Die Beobachtung der Winkelverteilung des Streuprozesses laßt also Ruckschlusse auf die wir-kende Wechselwirkung hier auf die Helizitatserhaltung der elektromagnetischen Wechselwirkungzu.

4Eine Herleitung findet sich in [Gerthsen, Seite 672f.]

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1 STREUPROZESSE 9

1.3 Luminositat

Fur Streuexperimente gibt es im Wesentlichen zwei verschiedene Aufbaumoglichkeiten. Einer-seits kann man Experimente mit einem ”Fixed Target” durchfuhren, bei dem ein feststehendesTarget einem Teilchenfluss ausgesetzt wird, oder aber als ”Collider”, bei dem zwei Teilchen-strome aufeinander treffen. Dabei werden entweder N , die Zahl der Wechselwirkungen pro Zeit,

oder dN

dΩgemessen, woraus der Wirkungsquerschnitt σ bestimmt wird. Um die Struktur der

Teilchen und die Wechselwirkung des Prozesses genau zu vermessen, benotigt man eine großeReaktionsrate N .Wie gut ein gegebenes Experiment dafur geeignet ist, beschreibt eine neue Große, die Lumi-nositat, die nur vom Aufbau des Experiments, aber nicht von der zu untersuchenden Physikabhangig sein soll. Die Reaktionsrate ergibt sich als Produkt aus dieser Luminositat und demWirkungsquerschnitt.

N = L · σ (2)

oder

dN

dΩ= L · dσ

Ihre Einheit ergibt sich zu [L ] =1

m2s. Anschaulicher ist die Darstellung als [L ] =

1

pb · Tag,

sie bedeutet, dass bei kontinuierlichem Experimentierbetrieb zum Beispiel mit einer Reaktions-rate von einem Ereignis pro Tag zu rechnen ist, wenn der totale Wirkungsquerschnitt σ = 1pbbetragt. Dabei ist

1

pb · Tag≈ 1035

1m2s ≈ 1031 1

cm2s

Lumonisitat fur ”Fixed Target”:

Abbildung 4: Aufbau beim ”Fixed Target”, wobei hier N1 = Na

bzw. N2 = Nb usw., entnommen aus [Povh et al.]

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1 STREUPROZESSE 10

Bei einem ”Fixed Target” ist eine der spezifischen Großen des Experiments der Fluss Φ dereinfallenden Teilchen

Φ =dN1

A · dt =dN1

dV· dx

dt= n1 · v1

wenn n1 := dN1

dVdie einfallende Teilchendichte im Volumenelement dV = A ·dx und v1 = dx

dtderen Geschwindigkeit ist.Damit ergibt sich die Reaktionsrate, klassisch als der effektiv bedeckte Flachenanteil A, zu:

N =dN1

dt

N2 · σA

= Φ ·N2 · σ

und somit durch Vergleich mit Formel 2 eine Luminositat von

LFT = Φ ·N2. (3)

Oft ist es allerdings so, dass man den einfallenden Fluss nicht genau kennt, da die Dichte n1

von der Ausdehnung des einfallenden Strahls abhangt und zusatzlich nicht ortlich konstant ist.

Dann lasst sich die Luminositat aus der Dichte der Streuteilchen im Target n2 =N2

V=

N2

A · dund der Dicke d des Targets berechnen:

LFT =dN1

dt· n2 · d.

Da man fur das Experiment eine hohe Reaktionsrate N benotigt und somit wegen Beziehung 2auch nach einer hohen Luminositat verlangt, ist es sinnvoll, die Anzahl der einfliegenden Teil-

chendN1

dtund die Dichte im Target n2 besonders groß zu wahlen.

Typische Werte fur ”Fixed Targets” ergeben sich aus den Eigenschaften des gewahlten Festkorpers,bei dem die Streuzentren zum Beispiel dessen Nukleonen (Protonen p oder Neutronen n) sind,deren Dichte n2 lasst sich aus der Dichte ρ des Festkorpers und der Avogadrozahl NA berechnen.Wahlt man zum Beispiel Eisen mit einer Dichte von ρ ≈ 8 g/cm3, so erhalt man:

n2 = ρ(g/cm3) ·NA ≈ 0, 5 · 1025

cm2

Fur die Elektonendichte gilt entsprechend ne = ρ ·NA · ZA . Mit folgenden weiteren Großen

dN1

dt≈ 2 · 1012

s , d = 1mm

erhalt man eine Luminositat von

LFT =1036

cm2s=

105

pb · Tag.

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1 STREUPROZESSE 11

Lumonisitat im ”Collider”:

Abbildung 5: Aufbau beim ”Collider”

Im anderen Fall, dem ”Collider”, konnen zum Beispiel in einem Speicherring mehrere Teil-chenbundel im Magnetfeld zirkulieren. Sie haben alle die Paketgroße N1, wahrend deren imGegensinn zirkulierende Partner die Paketgroße N2 haben. Die Teilchenbundel laufen mit einer

Umlauffrequenz von f =1

Tund haben einen Strahlquerschnitt5 von A = 4π ·∆x ·∆y. Wenn K

Pakete vorhanden sind, so ergibt sich ein Teilchenfluss von:

Φ = K · N1

A· f.

Damit erhalt man in Anlehnung an Formel 3:

LColl = Φ ·N2 = K · N1N2

A· f =

K

4π· N1N2

∆x∆y· f.

Es ist zu beachten, dass die Luminositat jetzt in den Teilchenzahlen N1 und N2 symmetrischist, da man nicht mehr zwischen Target und Projektil unterscheiden kann.Es ist allerdings schwierig die Anzahl der Teilchen zu messen. Der Strom der Teilchen dagegen,der aufgrund ihrer Ladung durch den Collider fließt, eignet sich zur Messung viel besser. Wennalle Teilchen eine elektrische Ladung von Q = 1 haben, so erhalt man einen Strom von

Ii = KeNif,

den man durch Induktion messen kann. Fur die Luminositat ergibt sich damit, ausgedrucktdurch die Strome

LColl =1

4πe2Kf· I1I2∆x∆y

.

Typische Werte fur den Large Electron-Positron Collider(LEP, 1989 - 2000 am CERN in Betrieb)N1 = N2 = 3 · 1011, K = 4, ∆x = 100µm, ∆y = 10µm, f = 104 Hz

=⇒ LLEP = 3 · 1031 1

cm2s= 3 · 1

pb · Tag

Im Vergleich fallt auf, dass die Luminositat LLEP im Collider LEP kleiner ist, als die Lu-minositat mit einem ”Fixed Target”. Fur einen Prozess mit einem Wirkungsquerschnitt vonσ = 1pb erwartet man nur 3 Ereignisse pro Tag, wahrend man beim ”Fixed Target” 1 Ereignispro Sekunde erwartet. Trotzdem eignet sich der Collider bei vielen Experimenten besser als dasFixed Target, da im Speicherring viel hohere Schwerpunktsenergien erreicht werden konnen.

5Die Werte ∆x und ∆y fur den Strahlquerschnitt konnen durch Abtasten des Teilchenstrahls mit einem Laserbestimmt werden. Dazu wird an geeigneten Stellen des Speicherrings das Streulicht des Lasers gemessen unddaraus der Strahlquerschnitt berechnet.

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1 STREUPROZESSE 12

Typische Werte fur den Large Hadron Collider (LHC, noch im Bau)Beim LHC wird die Anzahl der Teilchenpakete K wesentlich hoher sein als bei LEP, sodass maneine Luminositat von

=⇒ LLHC = 1033 bis 1034 1

cm2s

erwartet.

Abbildung 6: Ein moglicher haufiger Referenzprozess ist in eineme+e− Collider wie LEP zum Beispiel die haufig auftretende Streu-ung der e− und e+ unter kleinen Winkeln

Integrierte Lumonisitat:

Ein Problem fur die Luminositatsmessung ergibt sich aus der Zeitabhangigkeit der Variablen.Sowohl die Strome Ii, als auch die Querschnittsmaßen ∆x und ∆y variieren mit der Zeit undmussten standig neu gemessen werden. Man erreicht daher nur eine ungefahre Messung.

Desweiteren misst man oft die Zahl der Ereignisse N =Messdauer∫

0

Ndt und nicht die Reakti-

onsrate N . Aus diesem Grund wird analog zur Zahl der Ereignisse die sogenannte integrierteLuminositat L eingefuhrt:

L =

Messdauer∫

0

L (t)dt.

Somit ergibt sich mit dem Wirkungsquerschnitt

N = L · σ

Um bei einem seltenen Prozess den Wirkungsquerschnitt σselten zu bestimmen, geht man meist sovor, dass man die Luminositat uber einen Referenzprozess misst, der haufig vorkommt und dessenWirkungsquerschnitt σRef sehr gut bekannt ist. Da die Luminositat eine Große des Experimentsbzw. Aufbaus ist, gilt sie fur alle anderen Reaktionen auch. Somit ist es moglich, mithilfe der

Zahl der Ereignisse N den Wirkunsgquerschnitt σselten =N

Lzu bestimmen.

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2 BESCHLEUNIGER UND DETEKTOREN 13

2 Beschleuniger und Detektoren

2.1 Teilchenbeschleuniger

Literatur: [Gerthsen, Anhang A], [Berger, Kapitel 1.4]

Um neue, schwere Teilchen zu erzeugen, braucht man sehr hohe Energien (E > mc2). Ebensomochte man ein hohes Auflosungsvermogen erreichen, weswegen nach Formel 1

∆x ∼ hc

pc≈ 0, 2GeV · fm

pc

hohe Impulse (und zwar im GeV-Bereich) benotigt werden.Quellen solcher hochernergetischen Teilchenstrahlen sind zum einen dieKosmische Strahlung (auch Hohenstrahlung). Dabei treffen vorwiegend Protonen und Elektro-nen sehr hoher Energie auf die Erdatmosphare und verursachen dort einen sogenannten Teil-chenschauer. Es entstehen unterschiedliche Reaktionsprodukte (Neutronen, Protonen, geladeneund neutrale Pionen), die weiter zerfallen. Allerdings wird die Kosmische Strahlung nur seltenals Quelle hochenergetischer Strahlung verwendet, da die Reaktionsprodukte nicht vorhersagbarsind und sich ihre Energie schwer messen lasst. Aus diesem Grund lassen sich kontrollierte Expe-rimente nur schwer durchfuhren. Die Hohenstrahlung wird fur bestimmte Experimente dennochgenutzt, da die Reaktionsprodukte manchmal Energien besitzen, die heutzutage in Teilchenbe-schleunigern noch nicht erreicht werden.Eine andere Quelle fur hochenergetische Teilchenstrahlung sind dieTeilchenbeschleuniger6, bei denen man sowohl die Projektile, als auch deren Energien kontrol-lieren kann.

2.1.1 Linearbeschleuniger

Abbildung 7: Aufbau eines Linearbeschleuni-gers, entnommen von www.wikipedia.de

Der Linaerbeschleuniger wurde 1925 von Ising entwickelt. Geladene Teilchen werden darindurch elektrische Krafte in sogenannten Driftrohren der Lange li beschleunigt. Die Ladung derDriftrohren wird dabei mit Hochfrequenz fHF umgepolt, sobald das Teilchen innerhalb von ihnenist. Dadurch werden fur beschleunigte Elektronen Energien von bis zu Ee = 20 keV erreicht.Da sich das Teilchen am Anfang noch nicht-relativistisch bewegt, erreicht es nach der i-ten Rohreeine Energie von:

Ei = i ·Q · e · U = m/2v2i .

Somit ist die Geschwindigkeit proportional zu vi ∼√i und die i-te Rohre muss eine Lange von

li =vi

2fHF∼√i

fHF

6Es sei hier angemerkt, dass der Begriff Teilchenbeschleuniger eigentlich irrefuhrend ist, da die Teilchenschon nach kurzer Zeit eine Geschwindigkeit nahe der Lichtgeschwindigkeit erreicht haben und danach nur nochsehr langsam beschleunigt werden, aber immer mehr an Energie gewinnen.

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2 BESCHLEUNIGER UND DETEKTOREN 14

haben. Der Faktor 2 im Nenner von li erscheint dabei wegen der Umpolung der HochfrequenzfHF nach einer halben Periode. In den 90ern erreichte man am LEP damit typische Werte von

n · Ul∼ 5

MeV

m.

Das heißt nach einem Meter wurde das Teilchen auf E = 5MeV und nach 10 km auf E = 50GeVbeschleunigt.Heutzutage erreicht man ein Verhaltnis von

n · Ul∼ 30

MeV

m.

2.1.2 Kreisbeschleuniger

Da Linearbeschleuniger lange, gerade Strecken brauchen, um Teilchen hochenergetisch zu be-schleunigen, ergeben sich als Alternative die Kreisbeschleuniger, wie zum Beispiel das

Zyklotron:

Abbildung 8: Aufbau eines Zyklotrons, entnommenaus [Bethge]

Das Zyklotron wurde 1930 von Lawrence und Livingston entwickelt. Dabei wird das Teilchendurch ein elektrisches Feld beschleunigt und durch ein MagnetfeldB auf Kreisbahnen gezwungen.Dadurch werden keine langen, geraden Strecken zuruckgelegt, wodurch das Zyklotron viel kleinergebaut werden kann als der Linearbeschleuniger.Aus der Beziehung (gilt relativistisch und nicht-relativistisch)

p = Q · e · r ·B,

wobei Q die Ladung des Teilchens ist und r der Radius der Teilchenbahn, und dem relativisti-schen Impuls

p = βγmc = γmv

ergibt sich fur die Umlauffrequenz

ωHF =v

r=

p

γmr=QeB

γm.

Ein Problem stellt jetzt allerdings der zeitabhangige Faktor γ(t) dar, denn die Frequenz andertsich mit ω ∼ 1/γ(t) und man musste somit die Hochfrequenz standig andern, was technisch nurschwer losbar ist.Fur nicht-relativistische Teilchen allerdings, bei denen β ≪ 1 und γ = 1, ist das Zyklotron gutanzuwenden. Man kann dann die Zyklotronfrequenz

ωc = Qe

mB

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2 BESCHLEUNIGER UND DETEKTOREN 15

ohne großere Schwierigkeiten konstant halten kann. Nutzbar ist das vor allem fur schwere Teil-chen mit einer Masse von mc2 ≥ 1GeV, also fur Protonen p, Deuteronen d=(n+p), und Alpha-teilchen α (Heliumkerne). Dabei werden typische Energien von E ∼ 10− 100MeV erreicht. DasZyklotron findet heutzutage seine Anwendung in Krankenhausern zur Strahlentherapie.

2.1.3 Alternativen mit ωHF = const.

Um dem Problem der zeitabhangigen Umlauffrequenz aus dem Weg zu gehen, ist es einfacherzu fordern, dass wHF = const ist und

• l = l(γ) sich der Bahnumfang pro Umlauf andert → Microtron

• B = B(r) = B0(r) sin(ωt) das Magnetfeld abhangig vom Radius ist → Betatron

2.1.4 Synchrotron

Das Synchrotron wurde 1945 von McMillan und Veksler entwickelt und zeichnet sich dadurch aus,dass es eine standige Anpassung von B = B(γ) bei einem konstanten Kreisradius r gibt. Dadurchergibt sich fur hochrelativistische Teilchen (also β ≈ 1) uber p = QerB fur das Magnetfeld

B(γ) =p

Qer=γmc

Qer

Fur das Synchrotron erhalt man somit zusatzlich die Moglichkeit des Speicherns von hochener-getischen Teilchen, die durch Quadru- und Dipolmagnete in ihrer Bahn gehalten werden undmithilfe von elektromagnetischen Felder beschleunigt werden konnen (schematische Darstellungin Abbildung 9)7.Synchrotronbeschleuniger haben dabei einen Umfang von ca. 0, 3 km bis 30 km.

Abbildung 9: Aufbau eines Synchrotrons

2.1.5 Ubersicht uber Synchrotrons

In Tabelle 2 ist eine Ubersicht der Synchrotrons von 1980-2007 zusammengestellt. Der in Klam-mern geschriebene Wert gibt dabei die Energie des Teilchenstrahls in GeV wieder.

Der Kreibeschleuniger LEP II ist heutzutage das großte Synchrotron fur e+e− Kollisionenund wird es auch bleiben, da es fur Elektronen (und andere geladene Teilchen) eine Begrenzungder Energie gibt, die sie aufnehmen konnen. Der Grund liegt in der sogenannten Synchro-tronstrahlung8, die beschleunigte Ladungen abstrahlen und dadurch an Energie verlieren. Dasgeschieht uber eine Wechselwirkung mit dem elektromagnetischen Feld, wobei das Elektron ein

7Mehr Informationen sind uber http://www.physicsmasterclasses.org/exercises/erlangen/de/exp besch

/exp besch 07.html zu erhalten8Synchrotronstrahlung ist eine besondere Form der Bremsstrahlung.

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2 BESCHLEUNIGER UND DETEKTOREN 16

Deutsches Elektronen Conseil Europen pour Fermi National Stanford LinearLabor Synchrotron DESY la Recherche Nuclaire Accelorator Lab Accelorator Lab

(Hamburg) CERN (Genf) FNAL (Chicago) SLAC (Stanford)Teilchen

Doris (5 + 5) LEP I (45 + 45) PEP I (15 + 15)e+e− Petra (20 + 20) LEP II (100 + 100) ——— PEP II (3 + 9)

(bis 2000) (seit 1999)

e±p Hera (30 + 800) ——— ——— ———(seit 1990)

pp ——— SppS (300 + 300) TeVatron (1000 + 1000) ———(seit 1987)

pp ——— LHC (7000 + 7000) ——— ———(ab 2007)

Tabelle 2: Ubersicht der Synchrotrons von 1980-2007

Photon γ abstrahlt und diese Energie verliert (siehe Abbildung 10). Die abgestrahlte Leistungberechnet sich folgendermaßen:

P = 23

hc2

αm2

(dp

)2

wobei α = e2

4πǫ0hc ≈ 1137,036 die Kopplungsgroße des elektromagnetischen Feldes (auch Fein-

strukturkonstante) und τ = tγ die Eigenzeit9 des Teilchens ist. Die Leistung hat wie bei der

Dipolstrahlung PDipol ∼(

dQr

dt

)2

die typische Abhangigkeit der quadratischen Zeitableitung

und ist proportional zu 1/m2. Schwere Teilchen strahlen also weniger als leichte.

Abbildung 10: Synchrotronstrahlung

9Die Eigenzeit eines Teilchens ist die Zeit, die in seinem eigenen Bezugssystem vergeht. So sieht es von unseremRuhesystem zum Beispiel so aus, als ob ein Myon µ, wenn es sich relativistisch bewegt (also Ekin ≫ mc2), eineviel großere Lebensdauer hatte, bevor es zerfallt. In seinem eigenen Bezugssystem mit einer Eigenzeit von τ = t/γhat es aber trotzdem nur eine Lebensdauer von t = 2, 19 µs.

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2 BESCHLEUNIGER UND DETEKTOREN 17

Fur einen Kreisbeschleuniger ergibt sich fur die zeitliche Ableitung des Impulses:

∣∣∣∣

dp

∣∣∣∣= p · dϕ

dτ= pγ

dt=

p

Rvγ =

p

Rβγc =

p2

mR,

wobei die Beziehung fur die Bahngeschwindigkeit v = R · dϕ

dt= βc verwendet wurde , mit dϕ

dtder Winkelgeschwindigkeit, und fur den Impuls die Beziehung p = βγmc. In Abbildung 11 wirdder Zusammenhang verdeutlicht.Die Ableitung des Impulses nach der Eigenzeit τ ist also vom Quadrat des Impulses p abhangig.

dp

dτ∼ p2

Abbildung 11: Zusammenhang zwischen Winkel dϕund Impuls p

Bei einem Linearbeschleuniger dagegen gilt:

dp

dτ= c2

dp

dl

mit der Strecke dl = c · dτ . Hier ist die Ableitung des Impulses nach der Eigenzeit τ linear in p.

Fur hochrelativistische Teilchen mit E ≈ pc und β ≈ 1 ergibt sich fur die abgestrahlteLeistung nun:

PKreis =2

3αhc2

(1

mc2

)4E4

R2∼ E2

R2

(E

mc2

)2

≈(

1000MeV

100m

)2

·(

1000MeV

mc2

)2

PLin =2

3αhc2

(1

mc2

)2(dE

dl

)2

∼(

dE

dl

)2

≈(

10MeV

m

)2

Es ist deutlich zu erkennen, dass fur E ≫ mc2 beim Kreisbeschleuniger sehr viel mehrLeistung abgestrahlt wird als beim Lineabeschleuniger, PKreis ≫ PLin. Desweiteren ergibt sichbei einer festen Energie E und einem festen Radius R ein Verhaltnis zwischen Elektronen undProtonen von

PKreis(e−)

PKreis(p)=

(mp

me

)4

= 1013

Die Synchrotronstrahlung hat fur Elektronen einen sehr viel großeren Effekt als fur ProtonenFur Protonen ist die Synchrotronstrahlung sogar vernachlassigbar. Das zieht die Konsequenznach sich, dass in Synchrotrons die Energie der Elektronen nach oben hin begrenzt ist und sie

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2 BESCHLEUNIGER UND DETEKTOREN 18

durch die standige Abstrahlung von Synchrotronstrahlung nachbeschleunigt werden mussen.Der Energieverlust pro Umlauf, der dabei entsteht, lasst sich folgendermaßen berechnen:

∆E = P ·∆t = P · 2πRc

=4π

3αhc

(1

mec2

)4E4

R.

Mit hc = 200MeV · fm und der Elektronenmasse mec2 = 0, 5MeV ergibt sich

∆E = 0, 1MeV · E4(GeV)

R(m).

Das heißt, wenn man die Energie verdoppeln und den Energieverlust konstant halten mochte,dann muss man den Radius R um 24 = 16 vergroßern. Aus diesem Grund ist LEP II dergroßte Kreisbeschleuniger fur e+e− Kollisionen, den man realistisch bauen kann. Eine zukunf-tige Losung fur e+e− Collider werden deswegen Linear Collider sein, wie zum Beispiel der inPlanung stehende ILC (International Linear Collider), der aus zwei entgegengesetzten linearenBeschleunigern bestehen wird.

In der folgenden Tabelle 3 sind Zahlen zum Energieverlust von einigen Teilchenbeschleunigerngegeben.

E(GeV) R(m) ∆E(MeV) η = ∆E/E

Bessy (Berlin) 0,8 2 0,021

40000

Doris (Desy) 5 12 4,51

1000

LEP II (CERN) 100 3000 28001

35

Tabelle 3: Auflistung der Energieverluste fur Elektronen bei verschiedenen Synchrotrons

2.2 Teilchenidentifikation

Literatur: [Povh et al., Anhang 2: Detektoren], [Berger, Kapitel 1.5: Detektoren]

Um Aussagen uber ein Experiment machen zu konnen, mussen folgende Eigenschaften dererzeugten ”stabilen” Teilchen gemessen werden:

• Art des Teilchens

• Impuls p = eQ · r ·B (r ist der Krummungsradius)

• Energie

• Produktionsort

Mit der Bezeichnung ”stabile” Teilchen sind all jene gemeint, die im Detektor ankommenund messbar sind. Dazu ist es sinnvoll, die mittlere Fluglange zu bestimmen:

〈l〉 = βcγτ

wobei γ · τ der relativistischen Lebensdauer des Teilchens entspricht.

Wenn man annimmt, dass die Teilchen mindestens 3m zurucklegen mussen, um im Detektoranzukommen, dann ergibt sich mit der relativistischen Beziehung 〈l〉 = βγ ·3m eine Lebensdau-er von τ ≥ 10−8 s. Man kann also als Faustregel aufstellen:

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2 BESCHLEUNIGER UND DETEKTOREN 19

”Teilchen, die langer als 10 ns leben, sind (fur einen Teilchenphysiker) stabil”

Die instabilen Teilchen, die sofort zerfallen, bevor sie im Detektor ankommen, werden uber ihreZerfallsprodukte identifiziert. Die Identifikation selbst lauft hauptsachlich uber die dominanteWechselwirkung des Teilchens im Detektor und dessen Ladung ab. Folgende Tabelle 4 gibt eineUbersicht uber die charakteristischen Prozesse zur Identifikation von Teilchen.

WechselwirkungIonisation elektromagn. ”hadronischer” schwache

dE

dxSchauer Schauer Wechselwirkung

elektr. geladenQ 6= 0 µ± e± π±, K±, p, α ———

elektr. Neutral NeutrinosQ = 0 ——— γ K0

L, n ν

Tabelle 4: Welchselwirkungsprozesse zur Identifikation von Teilchen.

Es gibt keine elektrisch geladenen Teilchen, die im Detektor uber die schwache Wechselwir-kung sichtbar werden, da die elektrische Wechselwirkung sehr viel starker ist und sie deshalbdaruber gemessen werden. Weiterhin kann ein Teilchen mit einer elektrischen Ladung von 0 keineMaterie ionisieren.Die kleine Auswahl an Teilchen, die in der Tabelle vorkommen, sind Photonen γ, Elektronen e,Myonen µ, Neutrinos ν, Pionen π, Kaonen K, Protonen p, Neutronen n und Alphateilchen α.Hadronen (π, K, p, n, α, ...) sind Teilchen, die aus Quarks zusammengesetzt sind und damituber die elektromagnetische, die schwache und die starke Kraft wechselwirken konnen, wahrendLeptonen (e, µ, ν) nicht an die starke Kraft koppeln konnen und nur uber die elektromagnetischeund die schwache Kraft wechselwirken.In den folgenden Kapiteln werden die Prozesse beschrieben, uber die die Teilchen wechselwirkenkonnen und damit im Detektor sichtbar werden.

2.2.1 Ionisation geladener Teilchen

Wenn ein elektrisch geladenes Teilchen mit β · γ = pmc in Materie eindringt, dann ionisiert es

das Material und verliert dabei an Energie. Dieser mittlere Energieverlust lasst sich nach derFormel von Bethe-Bloch folgendermaßen berechnen:

−⟨

dE

dx

= 0, 30 · MeV · cm2

g· ρ · Z

A

Q2

β2·(

ln2βγ2mec

2

I− β2 − δ(βγ)

)

.

Der Einfluss der Materie wird durch die Dichte ρ, der Division aus Kernladung Z und Mas-sezahl A und des mittleren Ionisationspotentials I ≈ 10 eV ·Z beschrieben. Dabei entspricht derTerm ρ · ZA = 1

NA·ne der Elektronendichte des Materials. Der Term δ(βγ) ist die Korrektur nach

Sternheimer, die durch Polarisation entsteht.Es ist ersichtlich, dass der Energieverlust besonders fur kleine β und große Ladungen Q domi-niert.Die folgende Abbildung 12 zeigt die Abhangigkeit von lnβγ. Sie ist fur alle Teilchen gleich.

Sieht man sich dagegen die Abhangigkeit von ln p an, so erkennt man uber p = βγmc unddamit ln p = lnβγ+ lnmc, dass es eine Verschiebung proportional zur Masse des Teilchens gibt.So ergibt sich fur jede Masse ein spezifischer Energieverlust, sodass sich durch dessen Messungdas Teilchen identifizieren lasst, wie zum Beispiel Abbildung 13 zeigt. Dadurch erhalt man auchdie Moglichkeit, die Masse zu bestimmen, wenn man p und dE/dx misst. Allerdings ist dasaufgrund der Schnittpunkte in Abbildung 13 nicht immer eindeutig.

2.2.2 Elektromagnetischer Schauer

Ein weiterer Prozess uber den ein elektrisch geladenes Teilchen im Detektor wechselwirken kann,ist mit einem elektromagnetischem Schauer verbunden. Das Teilchen sendet dabei unter Vor-handensein eines externen Feldes ein Photon aus, dieses Photon kann dann wiederum in ein

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2 BESCHLEUNIGER UND DETEKTOREN 20

Abbildung 12: Abhangigkeit des Energieverlusts

Abbildung 13: Verschiebung des Energieverlusts in Abhangigkeit von der Masse

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2 BESCHLEUNIGER UND DETEKTOREN 21

Elektron-Positron Paar zerfallen. Diese beiden Prozesse (siehe Abbildung 14) finden abwech-selnd statt.

Abbildung 14: Prozesse des elektromagneti-schen Schauers; als Feynman-Diagramme dar-gestellt

Die charakteristische Große des Prozesses ist die Strahlungslange pro Strahlungsvorgang:

X0 ∝M

ρZ2,

wobei M die Masse des Teilchens und ρ und Z Eigenschaften des Materials sind. Damit ist derEnergieverlust des Teilchens pro Weg proportional zur Kernladung

dE

dx∝ Z.

Im Festkorper betragt die Strahlungslange einige Zentimeter. Der Detektor, der die Gesamtener-gie des Ausgangsteilchens uber diesen Prozess misst (und deswegen auch elektromagnetischesKalorimeter heißt), muss eine aus ersichtlichen Grunden Dicke von mehreren Strahlungslangend ∼ (15 − 25)X0 haben, aus einem Material mit hoher Dichte bestehen (Cu, Fe) und zudemlichtunempfindlich sein. Am Ende schließt sich ein Szintillator an, der die Photonen auffangt(siehe Abbildung 15)

Abbildung 15: elektromagnetischer Kalorimeter

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2 BESCHLEUNIGER UND DETEKTOREN 22

Beim Durchlaufen des Materials verliert das Teilchen an Energie und es ergibt sich folgendeAbhangigkeit:

〈E(x)〉 = E0 · e−x

X0 .

Die am Detektor gemessenen Strome sind proportional zur Anfangsenergie E0, die Messung der

Photonen am Szintillator ist proportional zum Energieverlust dE

dx.

Es ist interessant, dass der elektromagnetische Schauer hauptsachlich fur Elektronen undnicht zum Beispiel fur Myonen wichtig ist. Folgende Rechnung kann das verdeutlichen. Diekritische Energie, fur die gilt

(dEdx

)

Schauer>

(dEdx

)

Ionisation

∼ Z2 ∼ Z

ist in Eisen

Ec ∼M2

Z · 1 keV

10MeV, fur e± (Mc2 = 0.5MeV)

400GeV, fur µ± (Mc2 = 106MeV).

Das heißt, erst ab einer Energie von E = 400GeV wird der elektromagnetische Schauer auch furMyonen wichtig. Aber selbst dann zerfallen die entstandenen Photonen lieber in ein Elektron-Positron Paar als in ein Myon und ein Antimyon (siehe Abbildung 16).

Abbildung 16: Elektromagnetischer Schauer, einge-leitet durch ein Myon.

Als Ubersicht sei Tabelle 5 gegeben, aus der hervorgeht, dass bei heutigen Experimenten nurElektronen und Positronen einen elektromagnetischen Schauer hervorrufen konnen. Dadurch istes moglich e± im Kalorimeter klar zu identifizieren.

”stabile” Teilchen e± µ± π± (ud) K± (us) p (uud)Masse (MeV/c2) 0.5 106 140 500 938

Ec in Fe 10MeV 0.4TeV 0.8TeV 10TeV

Tabelle 5: Ubersicht zur kritischen Energie einiger Teilchen in Eisen.

Die einzige Fehlerinterpretation konnte entstehen, wenn ein Photon durch Umwandlung in einElektron-Positron Paar den Schauer in der Materie auslost. Ist die Energie des Photons allerdingskleiner als die doppelte Masse des Elektrons, sodass es nicht in ein Elektron-Positron Paarzerfallen kann, Eγ < 2mec

2 ∼ 1GeV, dann wechselwirkt das Photon uber den Photoeffekt oderden Comptoneffekt mit der Materie (siehe Abbildungen 17 und 18). Die Wirkungsquerschnitteder Prozesse fur das Photon sind in Abbildung 19 dargestellt.

2.2.3 Hadronischer Schauer

Ein hadronischer Schauer entsteht, wenn Teilchen, die aus Quarks bestehen (also Hadronen),vorhanden sind. Diese wechselwirken dann uber die starke Kraft mit den Kernen. (Teilchen, dienicht aus Quarks bestehen, nehmen an der starken Wechselwirkung nicht teil.) Der Prozess istsehr vielfaltig und es gibt sehr viele Moglichkeiten der Entstehungsprodukte,wodurch die Ablaufeein sehr unregelmaßiges Verhalten zeigen. Die folgende Abbildung 20 stellt eine Moglichkeit dar.

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2 BESCHLEUNIGER UND DETEKTOREN 23

Abbildung 17: Photoeffekt Abbildung 18: Comptoneffekt

Abbildung 19: Wirkunsgquerschnitte abhangig vonder Photonenergie Eγ

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3 STREUUNG AN KERNEN UND NUKLEONEN 24

Abbildung 20: Hadronischer Schauer

Fur einen hadronischen Schauer kann man ebenfalls eine Wechselwirkungslange definieren.Diese Lange ist proportional zum Inversen der Kernanzahl bzw. der Dichte des Detektors:

λHadr ∝1

nKerne∝ 1

ρDetektor

weswegen ein Detektor, der den hadronischen Schauer ausnutzt, auch hadronisches Kalorimetergenannt, typischerweise aus Blei PB, W oder U besteht.

2.3 Detektoren

Ein Detektor, der moglichst alle Teilchen einer Reaktion identifizieren soll, nutzt die verschiede-nen Wechselwirkungen aus und hat deswegen einen Zwiebelschalenaufbau wie folgende Tabelle6 und die Abbildung 21 zeigt. Die Teilchen werden dann aufgrund ihrer Spuren in den verschie-denen Detektorteilen sogenannten ”Pattern” identifiziert (Abbildung 22).

Detektor Zweckinnen Vertexdetektor Produktionsort ∆x ∼ 10µm

↓ Spurkammer in ~B-Feld Impuls ~p, dEdx in Gas

↓ elektromagnetischer Kalorimeter E fur e−, γ E fur π±, K±, p,↓ hadronischer Kalorimeter n, K0

L

außen Myonkammern µ− Identifikation

Tabelle 6: Aufbau eines Detektors.

3 Streuung an Kernen und Nukleonen

Literatur: [Povh et al., Kapitel 6, 7], [Bethge, Kapitel 10, 11], [Berger, Kapitel 5.2, 5.3]

3.1 Streuung an Kernen

3.1.1 α-Streuung

Wie in Kapitel 1 schon erwahnt, werden Streuprozesse durchgefuhrt, um die elementaren Bau-steine der Materie zu finden. Ein spezielles Experiment ist die α-Streuung, die 1911 von Ru-therford, Geiger und Marsden das erste Mal durchgefuhrt wurde. Dabei traf ein α-Teilchen (einHeliumkern) auf eine dunne Goldfolie und und wurde gestreut.

α+Au→ α+Au elastische Streuung

Es findet elastische Streuung statt, da die Masse der Goldatome sehr viel großer ist als diekinetische Energie der Alphateilchen:

MAu ≃ 150GeV/c2 ≫ Ekinα ≃ 6MeV.

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3 STREUUNG AN KERNEN UND NUKLEONEN 25

Abbildung 21: Zwiebelschalenaufbau eines De-tektors, hier der OPAL-Detektor am LEP

Abbildung 22: Querschnitt eines Detektorsmit Teilchenpfaden

Anschließend hat man die Winkelverteilung der gestreuten α-Teilchen gemessen. 1911 ging manvon kugelartigen, strukturlosen Atomen aus. Deshalb erwartete man eine gleichmaßige Win-kelverteilung hauptsachlich in Flugrichtung. Die Messung allerdings brachte ein uberaschendesErgebnis, bei der auch Streuung unter großen Winkeln stattfand. Das Ergebnis war konsistentmit den Aussagen des Rutherfordschen Wirkungsquerschnitts fur punktformige Streuzentren

(dσ

)

Rutherford

=

(

αhcQαQKern

4Eα

)21

sin4 Θ2

.

Es ergab sich demnach ein neues Bild des Atoms, bei dem sich ein punktformiges Streunzentrumin der Mitte des Atoms befinden musste, das man den Atomkern nannte.

Durch die Messung war es sogar moglich die Große des Streuzentrum zu r < 30 fm zu be-stimmen, was erstaunlich klein ist im Vergleich zum Atomradius.

1919 fuhrte Rutherford ein weiteres wichtiges Experiment durch. Er streute Helium inelas-

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3 STREUUNG AN KERNEN UND NUKLEONEN 26

tisch an Stickstoff, was zur ersten experimentellen Kernumwandlung fuhrte.

42He+ 14

7 N → 189 F

∗ → 178 O + 1

1H

Rutherford stellte die Hypothese auf, dass alle Kerne Wasserstoffkerne enthalten, was zur Ent-decktung des Protons fuhrte (Proton: griech., das Erste).

1920 wurde ebenfalls von Rutherford entdeckt, dass die Masse des Atoms im Allgeinen schwe-rer ist als die Ladungszahl multipliziert mit der Masse der Protonen MKern > Z ·MP . Dement-sprechend muss der Kern neben dem Proton noch einen weiteren schweren, neutralen Bausteinenthalten und das Neutron wurde postuliert. Die erste Vermutung war dabei, dass das Neutronein zusammengesetztes Teilchen aus Proton und Elektron ist, was sich allerdings als falsch erwies.

1932 wurde das Neutron durch den englischen Physiker Chadwick uber folgende Reaktionentdeckt:

42He+ 9

4Be→ 126 C + 1

0n

Bei der entstehenden energiereichen Strahlung handelte es sich nicht wie angenommen um Gam-mastrahlung, sondern um elektrisch neutrale Teilchen mit ungefahr der gleichen Masse einesProtons.Die Entdeckung des Neutrons ist ein gutes Beispiel, dass auch zu jener Zeit die aktuelle Physikin der Schule eine große Rolle spielte; so war das Neutron Bestandteil der Fragen im Abitur1939.

3.1.2 e− Streuung an Kernen

Kapitel 1 erklart, dass sich Strukturen besser mit strukturlosen Projektilen abtasten lassen.Aus diesem Grund werden fur Aussagen uber Kernstrukturen punktformige, hochenergetische(β → 1) Elektronen elastisch gestreut. Elektronen sind Teilchen mit einem Spin S = 1/2, sodassder Wirkungsquerschnitt nach Mott gilt.

(dσ

)

Mott

=

(dσ

)

Rutherford

(

1− β2 sin2 Θ

2

)

=

(dσ

)

Rutherford

cos2Θ

2· E

E

[

1 + 2τ tan2 Θ

2

]

Hierbei beschreibt der Term E′

E

[1 + 2τ tan2 θ

2

]den Kernruckstoß. Man beachte, dass ein Streu-

winkel von Θ = 180 aufgrund der Helizitatserhaltung, verboten ist (siehe Kapitel 1.2.2). Ab-bildung 23 verdeutlicht die Kinematik.

Abbildung 23: Elektronenstreuung an Kern

Es ergibt sich ein Impulsubertrag von ~q := ~p − ~p′ und ein Energieubertrag ν := E −E′. Anstelle von Vektoren sollen aufgrund der relativistischen Berechnungen Vierervektorenbetrachtet werden:

qµ =(ν

c, ~q)

=

(E

c, ~p

)

−(E′

c, ~p′)

,

wobei sich aus der Kinematik fur die Energie der gestreuten Elektronen ergibt E′ = E(1 +2EM sin2 Θ

2 ). Somit ist der Impulsubertrag qµ = pµ − p′µ. Man beachte, dass E′ ≈ E ist, wenndie Energie der Elektronen sehr viel kleiner als die Masse Streuzentren E ≪ M ist oder der

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3 STREUUNG AN KERNEN UND NUKLEONEN 27

Streuwinkel gegen 0 geht Θ→ 0.Das Vierervektorquadrat ist nicht bezugssystemabhangig und damit invariant, das heißt, es ist inallen Bezugssystemen gleich. Es ergibt sich, dass das Impulsquadrat bei der elastischen Streuungimmer negatviv ist:

qµqµ = q2 =(ν

c

)2

− ~q2 = −4EE′

c2sin2 Θ

2,

weswegen das dimensionslose, ”skalierte”, ebenso invariante Impulsubertragsquadrat eingefuhrtwird

τ :=−q2eM2c2

.

Es ist zu erkennen, dass es bei kleinen q2 zur normalen Mottstreuung ohne Kernruckstoß kommt,das heißt, dass die Energie des Elektrons konstant bleibt E = E′. Fur das Impulsubertragsqua-

drat ergibt sich somit q2 = −(

2Ec

)2sin2 Θ

2 , wodurch der Wirkungsquerschnitt proportional zumInversen von q4 wird:

(dσ

)

Mott

=

(

αhcQ1Q22E

|qc|2)2

cos2Θ

2∝ 1

q4

3.2 Streuung am ausgedehnten Target

Mit seinen Energien und Auflosungen sah Rutherford nur punktformige Kerne. Die Entwicklungvon Hochenergie-Beschleunigern ermoglichte ahnliche Streuexperimente mit hoherer Energie unddamit großerer Auflosung. So ergab es sich, dass in der Winkelverteilung Interferenzmuster zuerkennen waren, die auf eine ausgedehnte Ladungsverteilung und damit eine innere Struktur desStreuzentrums schließen lassen. Fur die Ladungsdichte ρ(r) gilt:

ρ(r) = Q · e · f(r),

dabei ist Q die dimensionslose, elektrische Ladungszahl und f(r) die Ladungsverteilung.Somit ergibt sich ein modifizierter Wirkungsquerschnitt:

(dσ

)

ausgedehnt

=

(dσ

)

Mott

·∣∣F (~q2)

∣∣2

Der Faktor F (~q2) ist der sogenannte Formfaktor; er ist die Fouriertransformierte der Ladungs-verteilung10

F (~q2) =

f(r)ei/h·~q~rd3x

und gibt somit Hinweise auf die Struktur der Materie bzw. die Verteilung der Ladung in derMaterie. Abbildung 24 zeigt die Zusammenhange zwischen der Ladungsverteilung f(r) und derenFouriertransformierten, dem Formfaktor F (~q2), der in den Wirkungsquerschnitt eingeht. Manbeachte, dass ~q der Impulsubertrag ist.

Um Ruckschlusse auf die Struktur der Materie zu ziehen, misst man den Wirkungsquer-schnitt, ermittelt daraus den Formfaktor und berechnet uber Fouriertransformation die La-dungsverteilung.Fur die Streuung von Elektronen an Kernen kommt man zu folgendem Resultat. Abbildung 25zeigt den Formfaktor, Abbildung 26 die Ladungsverteilung von Kernen.

Kerne sind demnach Kugeln mit diffusem Rand, wie Abbildung 25 zeigt. Fur die Ladungs-dichte ergibt sich folgende Verteilung, sie wird auch als ”Fermi-Verteilung” bezeichnet:

ρ(r) =ρ0

1 + er−c

a

.

Dabei ist c die Ausdehnung des Kerns und a die Breite der Verschmierung (siehe Abbildung26). Wenn r ≪ c, dann reduziert sich die Ladungsdichte zu ρ(r) ≈ e−a/c. Typische Werte fur

10Eine genaue Herleitung findet sich zum Beispiel in [Povh et al., S. 55 ff.].

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3 STREUUNG AN KERNEN UND NUKLEONEN 28

Abbildung 24: Ladungsverteilungen und Formfaktoren von verschiedenen Streuzentren

Abbildung 25: Formfaktor von Kernen Abbildung 26: Ladungsverteilung im Kern

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3 STREUUNG AN KERNEN UND NUKLEONEN 29

Ausdehnung und Verschmierung von Kernen sind:

c = 1 fm ·A1/3

a = 0, 5 fm,

wobei A = N + Z die Anzahl der Nukleonen ist.Ein Formfaktor, der dem einer Kugel mit diffusem Rand ahnelt, deutet immer auf eine innereStruktur hin; so bestehen Kerne zum Beispiel aus Nukleonen. Die elastische Streuung ist somitdas perfekte Hilfsmittel, um herauszufinden, ob Nukleonen elementar sind.

3.3 Elastische Streuung am Nukleon (p, n)

Fur große Impulsubertrage |q| ∼MNc ∼ 1GeV/c wird neben der elektrischen auch die magneti-

sche Wechselwirkung wichtig. Das ~B-Feld des Projektils wirkt uber den Spin auf das magnetischeMoment µN ∼ e

MNdes Nukleons. Bei Kernen ist die Masse M so groß, dass das magnetische

Moment µ→ 0 verschwindet. µ berechnet sich folgendermaßen:

µ = g2

em

h2 =

12geµB , fur e− (µB Bohrsches Magneton)12gNµN , fur Nukleonen (µN Kernmagneton)

Der Faktor h/2 kommt vom Spin S = 1/2 · h, g ist der gyromagnetische Faktor, fur den mannach der Dirac-Theorie naiv fur punktformige Teilchen g = 2 erwarten wurde11. Aufgrund dergroßen Massenunterschiede zwischen Protont bzw. Neutron und Elektron, gilt µN ∼ 1

2000µB .

Es ergeben sich jetzt zwei Formfaktoren, die beide proportional zur Ladungsdichte sind.

elektrischer Formfaktor GE(q2) mit GE(q2 = 0) = Qmagnetischer Formfaktor GM (q2) mit GM (q2 = 0) = g/2

Der Beitrag von GM ist dabei GM ∼ (µNB)2 ∼(

12M q2

)2:= τ und fur den Wirkungsquerschnitt

ergibt sich fur Nukleonen die sogenannte Rosenbluth-Formel:

(dσ

)

N

=

(dσ

)E′=E

Mott

· E′

E

GE(q2) + τGM (q2)

1 + τ︸ ︷︷ ︸

A(q2)

+2τGM (q2)︸ ︷︷ ︸

B(q2)

tan2 Θ

2

Somit ist es jetzt moglich GE und GM aus dem ”Rosenbluth-Diagramm” (siehe Abbildung 27)zu bestimmen und damit Aussagen uber die elektrische und magnetische Ladungsverteilung zumachen. Diese Formfaktoren wurden 1956 zum ersten Mal von Hofstadter untersucht, der furdie Experimente ein festes Impulsubertragsquadrat verwendete.Fur das Proton kommt man zu folgenden Ergebnissen:

GPE(q2) =

GPM (q2)

gP /2=

1

1 + |q2|0,7 GeV2

was dem Formfaktor eines Dipols enstpricht. Durch Fouriertransformation ergibt sich die La-dungsdichte ρ(r) (siehe Abbildung 28).

Wenn man die Ladungsdichte wie folgt normiert

ρP (r)4πr2dr = QP = 1

ρn(r)4πr2dr = Qn = 0,

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3 STREUUNG AN KERNEN UND NUKLEONEN 30

Abbildung 27: Rosenbluth-Diagramm zur Bestimmung deselektrischen und magnetischen Formfaktors

Abbildung 28: Ladungsdichte des Protons (rechts) und des Neutrons (links)

Abbildung 29: normierte Ladungsdichte des Protons (rechts) unddes Neutrons (links)

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4 MATHEMATISCHES HANDWERKSZEUG 31

denn das Proton ist einfach elektrisch positiv geladen und das Neutron elektrisch neutral, soergeben sich fur die Ladungsdichten folgende Abbildungen 29.

Sowohl das Proton als auch das Neutron sind somit ausgedehnte Objekte mit einer diffusenLadungsverteilung und mussen eine Substruktur haben. Das Proton ist durchweg positiv geladen,im Neutron dagegen ist die positive Ladung in der Mitte und die negative eher am Rand, imGanzen aber ist es elektrisch neutral.Desweitern gilt:

GPM (0) = gp/2 = 2, 79 6= 1 und Gn

M (0) = gn/2 = −1, 91 6= 1,

was der Dirac-Theorie widerspricht. Proton und Neutron verhalten sich somit nicht wie punktformi-ge Teilchen; ein weiterer Hinweis auf eine Substruktur.Sei hier ein einmal vorgegriffen, dass Proton und Neutron aus jeweils drei Quarks bestehen undzwar Proton: (uud) und Neutron: (udd). Das Up-Quark hat eine Ladung von +2/3 ·e, das Down-Quark eine Ladung von −1/3 · e. Dann erkennt man an der normierten Ladungsverteilung desNeutrons, dass sich das Up-Quark im Mittel hauptsachlich in der Mitte aufhalt, wahrend dieDown-Quarks vorwiegend am Rand sind.

4 Mathematisches Handwerkszeug

4.1 Naturliche Einheiten

4.1.1 ”Ferrari-Konstante”

Zur Verdeutlichung der naturlichen Einheiten fuhren wir zunachst eine neue Kraft ein.

Def: 1 Schumacher [S] ist die Kraft, die einen Ferrari der Massem = 350 kg in 7 s von 0 auf 380 km/h beschleunigt.

Als Konsequenz wurde das Kraftgesetz folgendermaßen modifiziert werden

F = kF ·m · a

mit kF = 0, 2 · 10−4 S s2

kg m der Ferrari-Konstante, da dann

F = 0, 2 · 10−4 S s2

kg m· 350 kg · 100m/s

7 s= 1S

der neuen Kraftdefinition entspricht.Allerdings ist diese neue Kraftdefinition nicht sinnvoll, sondern uberflussig, da statt der De-finition von 1 Schumacher die Definition fur 1N = 1 kg m

s2 bereits existiert und damit fur dasKraftgesetz gilt F = m · a.

Somit stellt sich die Uberlegung, welche der folgenden ”Naturkonstanten” c, e, ǫ0, GN , h, µ0, kB ,me, ...

• sind vollig uberflussig, weil nur durch Einheitenwahl bedingt?

• fungieren als naturliche Skalen analog zu (kg,m, s)?

• sind ”wirkliche” Naturkonstanten, die (bisher) nicht aus anderen ableitbar sind?

Als Beispiel sei hier der Zusammenhang zwischen Temperatur und Energie zu nennen, dieeinander entsprechen, da die Temperatur allein uber die mittlere Bewegungsenergie von Teilchenfestgelegt ist.Als weiteres Beispiel kann die Ladung folgendermaßen umdefiniert werden 1C =

√kg m, sodass

ǫ0 uberflussig wird.

11Die Quantenelektrodynamik (QED) zeigt aber, dass das nicht exakt stimmt und fur das Elektron gilt g =2(1 + α

2π) mit α ≈ 1/137 der Feinstrukturkonstante.

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4 MATHEMATISCHES HANDWERKSZEUG 32

4.1.2 Planck-Skalen und Planck-Einheiten

Es existieren nur 3 naturliche Skalenkonstanten:c = 3 · 108 m/s︸ ︷︷ ︸

merken!

2πh = h = 6, 6 · 10−34 J s GN = 6, 7 · 10−11 m3

kg s2︸ ︷︷ ︸

nicht merken

Daraus lassen sich 3 fundamentale Skalen mithilfe der Quantenmechanik herleiten.

Planck-Lange xP =

GNh

c3≈ 10−35 m (4)

Planck-Zeit tP =xP

c=

GNh

c5≈ 10−43 s (5)

Planck-Energie EP =h

tP=

hc5

GN≈ 10−19 GeV(∼ 109 J) (6)

(

Planck-Masse MP =EP

c2=

hc

GN≈ 10−8 kg (7)

)

Das sind die 3 fundamentalen Skalen der Natur, jenseits derer fur einzelne Teilchen die heu-tige Physik versagt:

→ bei Abstanden < xP Teilchen wurde zu schwarzem Loch werden. Aller-dings kann man keine genauen Aussagen treffen, danoch keine Quantentheorie der Gravitation erfolg-reich entwickelt wurde.

→ bei Zeiten < tP Entspricht der Zeit direkt nach dem Urknall, fur diewir ebenfalls keine Antworten haben, da es noch kei-ne Quantentheorie der Gravitation gibt.

→ bei Energien > EP Große Vereinheitlichte Theorie (GUT), die ebenfallsnoch nicht entwickelt wurde.

Jenseits der Skalen konnen wir bis jetzt keine Aussagen treffen.

Planck-Einheiten: Alle Großen werden anstelle in (kg, m, s) in (xP , tP , EP ) gemessen, wo-durch sich die Dimensionen zu 1 reduzieren. So wird zum Beispiel der Ort x in Großen derPlanck-Lange xP gemessen.

x =x

xPt =

t

tPm =

m

MP

[x] = 1 [t] = 1 [m] = 1Dadurch ergeben sich fur die Planck-Skalen in Planck-Einheiten:

xP = 1 tP = 1 MP = 1

Mithilfe der Formeln 4 bis 6 fur die Planck-Skalen erkennt man, dass die 3 Skalenkonstantendurch die geschickte neue Einheitenwahl alle auf 1 gesetzt werden. Trotzdem sind sie nichtuberflussig.

ˆh = c = GN = 1

In der Teilchenphysik ist diese Einheitenwahl allerdings unpraktisch, da der typische Energiebe-reich von E ≈ 1− 1000GeV im Bereich ≈ (10−19 − 10−16)EP der Planck-Energie liegt.

4.1.3 Heaviside-Lorentz-Einheiten

Die Heaviside-Lorentz-Einheiten sind die naturlichen Einheiten der Teilchenphysik. Siewerden so gewahlt, dass ebenfalls gilt

h = c = 1

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4 MATHEMATISCHES HANDWERKSZEUG 33

allerdings gilt GN 6= 1. Desweiteren werden die Boltzmann-Konstante kB , die magnetische Feld-konstante µ0 und die elektrische Feldkonstante ǫ0 auf 1 gesetzt

kB = µ0 = ǫ0 = 1

Diese Einheiten sind jetzt uberflussig und ǫ0 · µ0 · c2 = 1 ist trivial.Zu h und c wird jetzt noch die 3. fundamentale Skala gebraucht, fur die die Energie [E] = GeVgewahlt wurde. Da h und c einheitenlos sind, haben alle Großen Einheiten von (GeV)n.

[E]p=E/c

= [p]E=mc2

= [m] = GeV

[x]∆p·∆x=h

= [1/p]t=x/c

= [t] = GeV−1

[F ]E=F·x

= [E][x]−1 = GeV2

[σ] = [x]2 = GeV−2

Nebenbemerkung:

Durch der Umdefinition der Ladung, was zu ǫ0 = 1 fuhrte, ergab sich [e] =√

kg m =[√

M · x]

.

Jetzt mit den neuen naturlichen Einheiten gilt fur die Einheit der Ladung [e] =[√

M · x]

=√

GeV ·GeV−1 = 1! Das gleiche Ergebnis erhalt man auch uber

αem =1

137, 036

SI=

e2

4πǫ0hc

nat. Einh.−−−−−−→ e2

→ e = 0, 303 in Teilchenphysik

Die Ladung eines Teilchens ist somit kein ”Stoff”, sondern eine Zahl ohne Einheit.

4.1.4 Umrechnen zwischen Heaviside-Lorentz und SI

Die drei Konstanten, die zum Umrechnen wichtig sind, sind folgende:

I: c = 3 · 108 m/s II: hc = 0, 2GeV · fm III: 1 eV = 1, 6 · 10−19 kg m2

s2

bzw. 1GeV = 109 · 1, 6 · 10−19 C · 1V = 1, 6 · 10−10 J

Um von den Heaviside-Lorentz-Einheiten in die SI-Einheiten umzurechnen, geht man folgen-dermaßen vor:

1. Man stimmt die Potenzen von kg ab (mit III.)

2. Man stimmt die Potenzen von s ab (mit I.)

3. Man stimmt die Potenzen m ab (mit II.)

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4 MATHEMATISCHES HANDWERKSZEUG 34

Das folgende Beispiel soll die Prozedur verdeutlichen:

GN =7 · 10−11 m3

kg s2= ? GeV

=7 · 10−11 m3

kg s2· 1, 6 · 10−10 kg m2

s2 GeV

=7 · 1, 6 · 10−21 m5

s4 GeV

=11 · 10−21 m5

s4 GeV

s4

(3 · 108 m)4

=1, 4 · 10−54 m

GeV

1

0, 2GeV · fm

=0, 7 · 10−38 1

GeV2GN in naturlichen Einheiten

=1

(1, 2 · 1019 GeV)2=

1

M2P

Die letzte Zeile leuchtet ein, wenn man bedenkt, dass MP =√

hcGN

und damit GN = hcM2

P

gilt,

und sowohl h als auch c in den naturlichen Einheiten 1 sind.

4.2 Antimaterie

Literatur: [Griffiths, Kapitel 7.1 bis 7.4]

4.2.1 Dirac-Matrizen und Dirac-Gleichung

In den folgenden Abschnitten werden die naturlichen Einheiten mit h = c = 1 verwendet.Beim Ubergang von ”klassischen” Theorien zur Quantenmechanik mussen einerseits die Pois-sonklammern durch Kommutatoren A,B → 1

ih [A,B] und andererseits die klassischen Obser-vablen durch hermitesche Operatoren ersetzt werden.

klassisch −→ QM

Observable O −→ Operator Oψ = Oψ SI

E −→ E = i∂

∂tih∂

∂t

p −→ p = i

(

− ∂

∂x,− ∂

∂y,− ∂

∂z

)

− ih~∇

= −i~∇

Pµ = (E, ~p) −→ Pµ = i

(∂

∂t,− ∂

∂x,− ∂

∂y,− ∂

∂z

)

ih∂µ

=: i∂

∂xµ=: i∂µ

Pµ = (E,−~p) −→ Pµ = i

(∂

∂t,+

∂x,+

∂y,+

∂z

)

ih∂µ

=: i∂

∂xµ=: i∂µ

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4 MATHEMATISCHES HANDWERKSZEUG 35

Dabei ist in Oψ = Oψ : O der Operator, ψ die Wellenfunktion des Teilchens und O derEigenvektor der Eigenwertgleichung.Die Wellenfunktion eines freien Teilchens wird nichtrelativistisch durch die Schrodinger-Gleichungbeschrieben, die 1921 von E. Schrodinger formuliert wurde.

E =~p

2m→ − 1

2m∇2ψ(x, t) = i

∂tψ(x, t) (8)

In den meisten Fallen ist die Schrodinger-Gleichung eine lineare, partielle Differentialglei-chung zweiter Ordnung, die nur fur nichtrelativistische Probleme gultig ist.Die erste relativistische Gleichung fur freie Teilchen wurde 1926 von den Physikern Klein, Fockund Gordon aufgestellt.

PµPµ = E2 − ~p 2 = m2 → −∂µ∂µψ = m2ψ (9)

Die Klein-Fock-Gordon-Gleichung ist allerdings nur gultig fur Teilchen mit Spin 0, also furBosonen und somit nicht fur Fermionen wie zum Beispiel das Elektron. Desweiteren ergab sichein Problem mit der Wahrscheinlichkeitsdichte ρ. Mithilfe der Kontinuuitatsgleichung erhaltman ρ = 1

c2 (ψ∗∂tψ − ψ∂tψ∗). Setzt man fur die Wellenfunktion zum Beispiel ψ = F (~r)eiωt ein,

so erkennt man, dass die Wahrscheinlichkeitsdichte ρ nicht positiv definit ist, denn mit ψ istρ = −2ω|F |2 < 0, wenn ω > 0.1927 unternahm Dirac den Versuch einer Linearisierung der Klein-Fock-Gordon-Gleichung, dadie Probleme der Wahrscheinlichkeitsdichte in der zweiten Ordnung der Ableitungen auftraten.Dazu zerlegte er PµPµ −m2 in lineare Faktoren:

(PµPµ −m2

) != (γκPκ −m)

(γλPλ +m

), (10)

das heißt man sucht jetzt nach 4 geeigneten ”Zahlen”12 γν . Losung sind sogenannte ”hyperkom-plexe” Zahlen mit den Bedingungen

γκγλ = −γλγκ fur λ 6= κ

(γ0)2

= 14

(γ1)2

=(γ2)2

=(γ3)2

= −14,

wobei 14 die 4×4-Einheitsmatrix13 ist. Die Bedingungen kommen zustande, da das Quadrat derDirac-Gleichung der Klein-Fock-Gordon entsprechen soll, um den relativistischen Eigenschaftender Gleichung gerecht zu werden. Fur die ”hyperkomplexen” Zahlen finden sich jetzt verschiedeneMoglichkeiten, die einfachste Darstellung, die sogenannte Standarddarstellung, sind die 4 × 4-Dirac-Matrizen

γ0 =

1 0 0 00 1 0 00 0 −1 00 0 0 −1

=

1 0

0 −1

γi =

0 σi−σi 0

Dabei gilt γ0 = γ0 und γi = −γi.Die σi sind die Pauli-schen Spin Matrizen:

~σ = (σ1, σ2, σ3) =

((0 11 0

)

,

(0 −ii 0

)

,

(1 00 −1

))

12Es sind deshalb 4, da man mit Vierervektoren P µ arbeitet.

134 × 4-Einheitsmatrix: 14 =

0BB1 0 0 00 1 0 00 0 1 00 0 0 1

1CCA

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4 MATHEMATISCHES HANDWERKSZEUG 36

Es ist wichtig, dass die Gamma-Matrizen γµ = (γ0, ~γ) trotz des Indizes µ und der gultigenTransformation γµ = gµνγ

ν mit

gµν =

1 · · · 0

−1...

... −10 · · · −1

keine Vierervektoren sind. Das heißt sie transfomieren sich auch nicht wie Vierervektoren beimWechsel von Bezugssystemen, im Gegenteil, die Gamma-Matrizen sind in allen Bezugssystemengleich und damit invariant.Es ist allerdings moglich mithilfe der Gamma-Matrizen Vierervektoren zu konstruieren, wie zumBeispiel den 4er-Strom

jµ = (ρ,~j) = ψγµψ.

Dabei ist ψ die adjungierte Wellenfunktion ψ := ψ†γ0, mit ψ† der transponiert, konjugiertenWellenfunktion ψ† = (ψ∗)T .

Eine weitere wichtige Definition ist die Gamma-5-Matrix:

γ5 := iγ0γ1γ2γ3 =

(0 1

1 0

)

mit der Eigenschaft γ5 = −γ5.

Aus der Klein-Fock-Gordon-Gleichung erhalt man (siehe auch Formel 10)

(γµPµ −m) = 0 bzw. (γµPµ +m) = 0 (keine neue Information).

Mit der Ersetzung fur den Impuls in der Quantenmechanik Pµ = −ih∂µ ergibt sich daraus dieDirac-Gleichung:

iγµ∂µψ −mψ = 0 (11)

Die Dirac-Gleichung ist gultig fur Teilchen mit Spin 1/2, das heißt fur alle Fermionen wie zumBeispiel das Elektron. Sie ist eine Differentialgleichung fur die Wellenfunktion der Fermionen.

4.2.2 Losungen der Dirac-Gleichung

Zur Bestimmung der Losung sei die Dirac-Gleichung komponentenweise betrachtet

i∂t

1 01−1

0 −1

ψ1

ψ2

ψ3

ψ4

+ i∂x

0 11

−1−1 0

ψ1

ψ2

ψ3

ψ4

+ i∂y · · · −m

ψ1

ψ2

ψ3

ψ4

= 0.

Wie man erkennt, braucht man also 4-komponentige ”Dirac-Spinoren” als Wellenfunktionen.Diese 4 Komponenten haben nichts mit Vierervektoren bzw. den Dimensionen t, x, y, z zu tun!Als Losung gibt es 4 unabhangige Basis-Losungen, von denen samtliche Linearkombinationenebenfalls Losung sind.

Die Losungen fur ein ruhendes Teilchen, das heißt ~p = 0, wodurch sich Gleichung 11 auf(p0γ0 −m · 14)ψ = 0 reduziert, ergeben sich zu

ψA =√

2m

1000

e−imt, ψB =

√2m

0100

e−imt, ψC =

√2m

0010

eimt, ψD =

√2m

0001

eimt

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4 MATHEMATISCHES HANDWERKSZEUG 37

Das sind die 4 unabhangigen Losungen der Gleichung 11 fur ein ruhendes Teilchen. Der Wur-zelfaktor enspricht der Normierung, die Vektoren die Eigenvektoren der Gleichung und der Ex-ponentialfaktor enspricht der Phase, die proportional zur Masse ist. Es ist zu beachten, dass dieψA . . . nicht mit den ψ1 . . . zu verwechseln sind.Die Phase kann im SI-System folgendermaßen dargestellt werden:

e−imt → e−ih

mc2t = e−ih

Et = e−iωt

Mithilfe der Zeitentwicklung fur ψ

Eψ = i∂tψ

erhalt man die entsprechenden Energien der Losungen

EA = m, EB = m︸ ︷︷ ︸

>0

, EC = −m, ED = −m︸ ︷︷ ︸

<0

.

Fur Losung C und D sind die Energien dementsprechend kleiner Null, was unphysikalisch er-scheint. Jedoch sind alle 4 Basisvektoren A, . . . , D wichtig, da nur alle zusammen den Basisraumdarstellen. Aus diesem Grund sind auch die Ergebnisse mit negativer Energie physikalisch sinn-voll, wie sich spater zeigt.Da der Hamiltonoperator fur der Dirac-Gleichung fur ein ruhendes Teilchen mit dem Spinope-rator vertauscht, haben sie die gleichen Eigenvektoren und es gilt der Zusammenhang:

E > 0 : Teilchen (e−) mit Spin up ↑ ↔

1000

oder Spin down ↓ ↔

0100

E < 0 : Antiteilchen (e+) mit Spin up ↑ ↔

0010

oder Spin down ↓ ↔

0001

Mit der Dirac-Gleichung konnte somit eine Vorhersage fur Antimaterie gemacht werden, dadie Losung fur ein ruhendes Teilchen vier Komponenten enthalt: zwei fur Spin up/ down undzwei fur die Klassifizierung Teilchen/ Antiteilchen.Die allgemeine Losung ist viel komplexer. Zwar enthalt sie auch vier Komponenten und mankann klare Aussagen uber die Spin up oder down machen, jedoch ist es dann nicht mehr moglichzwischen den Anteilen fur Teilchen und fur Antiteilchen zu unterscheiden.

Dirac-Bild:Die wichtige Aussage der Dirac-Gleichung ist also, dass es Teilchen mit positiver und Teilchenmit negativer Energie gibt. Eine logische Schlussfolgerung ware, dass alle Teilchen mit EnergieE > 0 sofort in einen Zustand mit E < 0 fallen, da der energetisch gunstiger ware. Es kame zursogenannten Strahlungskatastrophe und es gabe somit keine Teilchen mit positiver Energie.Aus diesem Grund wurde das Dirac-Bild14 fur Elektronen entwickelt, das besagt, dass alle Ener-gien E < 0 schon besetzt sind - im sogenannten Dirac-See (siehe Abbildung 30). Da ElektronenFermionen sind, konnen sie diese Zustande aufgrund des Pauli-Prinzips nicht doppelt besetzen.Der Zustand in dem alle negativen Energien besetzt sind und alle positiven Zustande leer sind,wird von Dirac als Vakuum bezeichnet.Wenn eines der Elektronen mit negativer Energie mit ∆E = 2me angeregt wird und dadurchnach E > 0 ubergeht, dann bleibt im Dirac-See ein Loch zuruck. Dieses Loch hat jetzt einepositive Energie und eine positive Ladung und wird in der Dirac-Theorie als Positron, dem An-titeilchen des Elektrons, interpretiert. Genauso kann ein Elektron unter Abgabe eines Photonsin ein Loch fallen, wodurch sich Elektron und Positron ”vernichten” wurden.

14Das Dirac-Bild ist inzwischen uberholt, da man keine negative ”Grundladung” des Vakuums und damit auchkeinen Dirac-See misst.

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4 MATHEMATISCHES HANDWERKSZEUG 38

Desweiteren ist eine Vorhersage der Theorie, dass sich das Positron entgegengesetzt in t, alsoruckwarts in der Zeit, bewegt.

Abbildung 30: Dirac-See, in dem alle negativen Ener-gien von Elektronen schon besetzt sind

Feynman-Stuckelberg-Bild:Das Dirac-Bild wird heutzutage durch das Feynman-Stuckelberg-Bild ersetzt. Fur Losungenmit E < 0 wird der Viererimpuls umdefiniert, da man die Wellenfunktionen negativer Energieruckwarts in der Zeit laufen laßt.

Pµ → −Pµ

sodass

E → −E(> 0), ~p→ −~p = −γm, t→ −t

Im Feynman-Stuckelberg-Bild bewegt sich ein Antiteilchen mit E > 0 demnach vorwarts inder Zeit. Trotzdem wird in den Feynmandiagrammen das Symbol eines ruckwarts in der Zeitlaufenden Teilchens fur Antiteilchen verwendet (siehe Abbildung 31).Der Prozess γγ → e−e+ kann so uber zwei Moglichkeiten ablaufen (Abbildung 32)

Abbildung 31: Symbole fur Teilchen und Antiteilchenin Feynmandiagrammen

Dieser Prozess kann in einem Feynmandiagramm zusammengefasst werden (Abbildung 33),bei dem man keine Aussage mehr daruber machen kann, ob das Positron oder das Elektron alsinnere Linie propagiert ist.

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4 MATHEMATISCHES HANDWERKSZEUG 39

Abbildung 32: Prozess γγ → e−e+ uber zwei Moglichkeiten

Abbildung 33: Prozess γγ → e−e+ in einemFeynmandiagramm zusammengefasst

Heute Definition von Antiteilchen:

Zu jedem Teilchen (Fermionen und Bosonen) X(X0,X+,X−, . . . )existiert ein Antiteilchen Xc(X0,X−,X+, . . . ),

bei dem alle Ladungen (elektrische, schwache, starke) umgekehrtes Vorzeichen haben.(Damit haben alle additiven Quantenzahlen ein umgekehrtes Vorzeichen.)

Beispiele

Teilchen Antiteilchene− e+

µ− µ+

p (uud) p (uud)n (udd) 6= n (udd)

γ = γ ← alle Ladungen sind Null

4.3 Entdeckung des Positron

In Kapitel 4.2 wurde gezeigt, wie Dirac 1927-29 das Positron aus rein mathematischen Grundenpostuliert hat15. 1932 war es Carl D. Anderson moglich das Positron (”The positive electron”)experimentell nachzuweisen. In 1300 Nebelkammeraufnahmen konnte er 15 e+ ausmachen. Einedieser Aufnahmen ist Abbildung 34.

Die Nebelkammer ist mit einem ~B-Feld durchsetzt, wodurch alle geladenen Teilchen einegekrummte Spur hinterlassen. Desweiteren befindet sich in der Mitte eine Bleibplatte. Durchdiese Bleiplatte wird das Teilchen abgebremst, sodass der Radius kleiner wird. Das Teilchen inder Abbildung muss demnach von links unten gekommen sein. Da das ~B-Feld in die Bildebenehineinzeigt, muss es sich um ein positiv geladenes Teilchen handeln und kann kein Elektron seinund uber p = QerB konnte gezeigt werden, dass es genau die Ladung Q = +1 tragt.

15In derselben Situation wie damals befinden wir uns heute bezuglich der ”Supersymmetrie” (SUSY) wieder.Aus mathematischen Grunden wird postuliert, dass zu jedem Fermion zusatzlich ein Boson zugeordnet werdenmuss und umgedreht.

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4 MATHEMATISCHES HANDWERKSZEUG 40

Abbildung 34: Entdeckung des Positron in Nebelkammer mit Bleiplatte

Die Masse wird uber den Energieverlust in der Bleiplatte bestimmt. Man stellt eine Massen-hypothese M auf und berechnet daruber den Energieverlust.

PvorherM−→Ekin

vorher

PnachherM−→Ekin

nachher

∆E in Pb

Dann wird mithilfe der Abhangigkeit des Energieverlusts pro Weg (die Bleiplatte war ∆x = 6 cmdick) von βγ = P

M fur verschiedene Massenhypothesen M (siehe Abbildung 35) verglichen. Als

Abbildung 35: Bestimmung der Masse durch Massenhypotheseund Energieverlust eines Teilchens

Beispiel sei hier eine Massenhypothese von M = me ≈ 0, 5MeV genommen. Da me sehr kleinist, kann man naherungsweise annehmen E ≈ p. Fur die Energien ergeben sich

Ekinvorher = 62, 5MeV

Ekinnachher = 22, 5MeV

∆E = 40MeV

desweiteren gilt

βγvorher =63MeV

0, 5MeV= 126 βγnachher =

23MeV

0, 5MeV= 46

Anderson konnte somit zeigen, dass die Masse des Positrons abschatzbar ist nach mx ≤ mP

100 ≈10Mev, er konnte jedoch nicht genau zeigen, dass die Masse des Positrons der des Elektronsentspricht mx = me.

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4 MATHEMATISCHES HANDWERKSZEUG 41

4.3.1 Chiralitat von Teilchen

Die Helizitat von Teilchen ist folgendermaßen definiert:

h =~p · ~s|~p| · |~s| = ±1

Wenn Impuls und Spin in die gleich Richtung weisen, hat das Teilchen eine positive Helizitatund wenn sie entgegengesetzt ausgerichtet sind eine negative. Die Helizitat ist eine Observable,das heißt sie ist im Experiment aus Winkelverteilungen messbar. Allerdings ist sie vom Bezugs-system abhangig. Da sich ein Teilchen mit endlichen Masse nie mit c bewegen kann, ist es immermoglich es aus einem anderen Bezugssystem zu betrachten, fur das sich dann die Impulsrichtungandert. Die Spinrichtung bleibt gleich, wodurch sich die Helizitat andert.Die Chiralitat hangt eng mit der Helizitat zusammen. Sie wird defniniert uber:

Def: Ein Spinor heißt rechts-chiral (uR) bzw. links-chiral (uL), wenn

γ5uR = uR bzw. γ5uL = uL

↔ Chiralitat + 1 bzw. Chiralitat − 1

Zur Erinnerung, die Wellenfunktionen der Dirac-Gleichung sind 4-komponentige Spinoren, dieGamma-5-Matrix war folgendermaßen definiert γ5 := iγ0γ1γ2γ3 = ( 0 1

1 0 ), das heißt, sie ver-tauscht die 1. bzw 2. Komponente mit der 3. bzw. 4. Komponente eines Spinors.Die Chiralitat mithilfe der Gamma-5-Matrix soll nun anhand der allgemeinen Losung der Dirac-Gleichung diskutiert werden. Dabei werden folgende Abkurzungen verwendet:

~σ =

((0 11 0

)

,

(0 −ii 0

)

,

(1 00 −1

))

χ(1) :=

(10

)

χ(2) :=

(01

)

Die Losungen fur freie Teilchen sind ebene Wellen:

e−ipµxµ

= e−i(Et−~p~x) SI= ei/h (~k~r−ωt)

Fur die Losungen von Teilchen und Antiteilchen ergeben sich

Teilchen Antiteilchen

ψ(xµ, pµ) = u(pµ)e−ipµxµ

ψ(xµ, pµ) = v(pµ)e−ipµxµ

Allgemein

u1,2 =√E +m

χ(1, 2)

~p~σE+mχ

1,2

v1,2 =√E +m

~p~σE+mχ

(1, 2)

χ1,2

Man beachte, dass die u1,2 und v1,2 jeweils vier Komponenten haben.Betrachte man jetzt die Grenzfalle β → 0, das heißt p ∼ (0, 0, 0) und E ≈ m, und β → 1, das

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4 MATHEMATISCHES HANDWERKSZEUG 42

heißt hochrelativistische Teilchen mit E ≫ m und zum Beispiel p = pz = (0, 0, E):

β → 0 β → 1

u1 =√

2E

1000

u1 =√E

10

1E (pz · σ3)

(10

)

=√E

1010

u2 =√

2E

0100

u2 =√E

0−101

v1 =√

2E

0010

u2 =√E

1010

v2 =√

2E

0001

v2 =√E

0−101

Die Spinoren u1, v1 haben immer eine Helizitat von h = +1, die Spinoren u2, v2 dagegen immereine Helizitat von h = −1.

ChiralitatGrenzfall β → 1

γ5 · u1 =√E

0 0 1 00 0 0 11 0 0 00 1 0 0

1010

=√E

1010

= u1Chiralitat +1Helizitat +1

γ5 · u2 =√E

0−101

= −u2Chiralitat -1Helizitat -1

γ5 · v1 = v1Chiralitat +1Helizitat +1

γ5 · v2 = −v2Chiralitat -1Helizitat -1

Fur β = 1, also fur ein Teilchen mit Lichtgeschwindigkeit, ist die Chiralitat und die Helizitatdemnach identisch.

Grenzfall β → 0

γ5u1 =√

2E

0010

6= a · u1

ergibt keinen Eigenvektor zu γ5. Fur Teilchen mit β → 0 ist demnach keine Chiralitat definiert.

Jeder Spinor, der im allgemeinen keine wohldefinierte Chiralitat besitzt, lasst sich in einenlinks-chiralen und einen rechts-chiralen Anteil vollstandig zerlegen.

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5 DAS STANDARDMODELL DER TEILCHENPHYSIK 43

uL :=1

2(14 − γ5) · u (u)L := u · 1

2(14 + γ5) = (uL)

uR :=1

2(14 + γ5) · u (u)R := u · 1

2(14 − γ5) = (uR)

uL + uR = 14 · u uL + uR = 14 · u

wobei u := u†γ0 der adjungierte Spinor zu u ist.

Dass uL wirklich linkschiral ist, lasst sich leicht beweisen.

γ5uL =1

2γ5(14 − γ5) · u =

1

2(γ5 − 14) · u = −uL

Es ist interessant, dass die Natur (insbesondere in der schwachen Wechselwirkung) oftmalsreine chirale Zustande und keine Mischungen herstellt, wie zum Beispiel beim Neutronzerfall

n → p+ e−L + νCR

Hier ist das Elektron links-chiral und das Antineutrino νc (das c steht fur charge conjugate) istrechts-chiral.

In den meisten Fallen (wenn β 6= 1) ist die Chiralitat nicht messbar. Nur wenn β = 1 ist dieHelizitat eindeutig messbar und die Chiralitat und Helizitat identisch.Fur reine Chiralitatszustande aber hat die Messung der Helizitat folgende Erwartungswerte.

β → 0 Allgemein β → 1Chiralitat Chiralitat Chiralitat

Helizitat uR uL Helizitat uR uL Helizitat uR uL

+1 1/2 1/2 +11 + β

21−β

2 +1 1 0

-1 1/2 1/2 -1 1−β2

1+β2 -1 0 1

Helizitat hat nichts mehr mitChiralitat zu tun

Chiralitat und Helizitatvollkommen gekoppelt undidentisch

Man ist damit in der Lage die Helizitaten von Teilchen bestimmter Chiralitat zu berechnen,die bei einer Reaktion erzeugt wurden. Zum Beispiel im weiter oben besprochenen Neutronzerfall:

n → p+ e−L + νCR

Die Energie des Neutrinos betragt einige MeV und die Masse einige meV wodurch sich ergibt:

Eν ∼ MeV, mν = meV → γ =E

c≈ 109 → β =

1− 1

γ2≈ 1− 1

2γ2= 1− 0, 5 · 10−18

das heißt, wenn das Neutrino rechts-chiral ist, hat nur eins von ∼ 1018 Neutrinos eine Helizitatvon h = −1, alle anderen haben eine Helizitat von h = +1.

5 Das Standardmodell der Teilchenphysik

(1928 - 1961 - 1973)

Das Standardmodell der Teilchenphysik ist in der Lage die ”atomare” Materie und derenWechselwirkung im Universum seit t ≈ 10−13s nach dem Urknall zu beschreiben.Sie basiert auf folgenden Theorien (und ist ebenso bedeutend):

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5 DAS STANDARDMODELL DER TEILCHENPHYSIK 44

• Quantenmechanik

• spezielle Relativitatstheorie

• Lagrange-Formalismus

• Noether-Theorem uber Symmetrien und Erhaltungsgroßen

5.1 Ladungen und Wechselwirkungen

Es gibt wenige fundamentale Wechselwirkungen (WW) (die Gravitation wird hier aufgrund ih-rer kleinen Auswirkung auf die betrachteten Großenordnungen vernachlassigt), die zwischen denBausteinen der Materie wirken. Sie werden, bezogen auf den Urknall, folgendermaßen eingeord-net:

t ≤ 10−12 s nach Urknall t ≥ 10−12 s nach Urknall

-hyperschwache WW-linkshandige schwache WW

elektroschwache Mischung/

+Symmetriebrechung

-elektromagnetische WW-schwache WW

-starke WW -starke WW

In der Zeitspanne von t ≤ 10−12 s nach Urknall gab es demnach die hyperschwache, die linkshandi-ge schwache und die starke Wechselwirkung. Anschließend erfolgte die elektroschwache Mischungmit einer Symmetriebrechung zwischen der hyperschwachen und die linkshandig schwachen, wo-durch sich die heute wirkenden Krafte, die elektromagnetische und die schwache Kraft, bildeten.Die starke Kraft blieb unverandert. Die Wechselwirkungen sind verantwortlich fur:

KRAFTE ⊕ PRODUKTION VON TEILCHEN ⊕ UMWANDLUNG VON TEILCHEN

Das Standardmodell enthalt folgende Axiome (die alle aus dem Lagrange-Formalismus be-weisbar sind):

• Teilchen spuren eine WW dann, wenn sie die entsprechende Ladung besitzen. (Demnachist Ladung der Grund, warum es Wechselwirkungen gibt.)

• Eine Ladung ist eine feste Eigenschaft des Teilchens (oder ist nicht definiert).Sie verhalt sich additiv, das heißt Q(p+ e−) = Q(p) +Q(e−),und bleibt (wenn sie definiert ist) in allen Prozessen erhalten16.Desweiteren tritt die Ladung nur gequantelt auf undist ein dimensionsloses mathematisches Objekt (das nicht notwendig eine Zahl sein muss).

• Zu jeder Ladung gehort eine Symmetriegruppe, die von den Ladungsoperatoren erzeugtwird.

16Es existieren nur vier Großen, die immer erhalten bleiben. Das sind die Ladung, der Impuls, der Drehimpulsund die Energie. Bleibt eine Ladung bei einem Prozess nicht erhalten, so ist sie bei Teilchen nicht definiert, alsBeispiel sei hier die schwache Ladung genannt.

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5 DAS STANDARDMODELL DER TEILCHENPHYSIK 45

Den letzten Punkt kann man in Analogie zu den komplexen Zahlen betrachten:

jede Zahl mit |a| = 1 ↔ jede unitare n× n Matrixaa∗ = 1 UU+ = 1n

ist darstellbar alsa = eiΘ U = eiH = 1 + iH + 1/2(iH)2 + . . .

mit θ ∈ R, Θ∗ = Θ mit H einer Matrix, H+ = H

Jede Symmteriegruppe besitzt dabei die Erzeugenden Ta (a = 1, . . . ,m) mit einer MatrixH =

∑ma=1 = Θa · Ta, wobei die Θa ∈ R so etwas wie Drehwinkel darstellen. Durch die Wahl

von Θa kann man jedes beliebige Gruppenmitglied Ubel = eiH erzeugen.

Tabelle 7 auf der nachsten Seite gibt eine Ubersicht zu den Symmetriegruppen, deren Elementenund Erzeugenden fur die verschiedenen Wechselwirkungen, die in der Teilchenphysik betrachtetwerden. Daraus ableitend setzen sich die Wechselwirkungen aus zwei U(1)-Gruppen, einer SU(2)-und einer SU(3)-Gruppe zusammen. Das heißt, die elektromagnetische und die hyperschwacheWechselwirkung (beides U(1)-Gruppen) enthalten nur eine Erzeugende Q bzw. Y , mit der die

Gruppenelemente via eiΘQ bzw. eiΘY erzeugt werden. Mochte man zum Beispiel die Ladung deslinkshandigen down-Quarks (dL) erhalten, so wird der Ladungsoperator darauf angwandt undman erhalt die Ladung als Eigenwert:

QdL = −1/3 dL

Ebenso erhalt man die schwache Hyperladung des linkshandigen down-Quarks:

Y dL = 1/6 dL

Es sei hier angemerkt, dass die hyperschwache Wechselwirkung in dieser Form nur 10−12 s nachdem Urknall existiert hat und heutzutage zusammen mit der linkshandigen schwachen Wechsel-wirkung zur schwachen Wechselwirkung vereint ist.

Die linkshandige schwache Wechselwirkung hat mit einer SU(2)L Gruppenstruktur, die gleicheSymmetriegruppe wie ein (halbzahliger) Spin. Sie enthalt drei Komponenten I1, I2 und I3, diekeine Ortsvektorstruktur (x, y, z) darstellen sollen. Wie in der Quantenmechanik ublich kann man

nur den Betrag und 1 Komponente von ~IW messen, die anderen Informationen sind verschrankt.~IW nennt man auch schwachen Isospin und man wahlt gewohnlich dessen 3. Komponente zurMessung. Fur die SU(2) benotigt man 3 Erzeugende, um den Raum vollstandig darzustellen. Eswurden dazu die τi gewahlt, die die Paulimatrizen σi (Spinmatrizen, siehe Quantenmechanik-vorlesung bzw. Anhang D) enthalten. Wieder ist es moglich, die 3. Komponente der schwachenLadung des linkshandigen down-Quarks zu bestimmen:

τ3

(0dL

)

=

(1/2 00 −1/2

)(0dL

)

= −1

2

(0dL

)

und daraus folgt, dass die schwache Ladung des linkshandigen down-Quarks folgenden Wert hat:

I3W (dL) = −1/2

Die starke Wechselwirkung, die uber die Farbladung vermittelt wird, besitzt eine SU(3)C-Struktur. Es existieren daher 8 Erzeugende λ1,...,8, die Gell-Mann-Matrizen (siehe Anhang D).Die Matrizen λ3 und λ8 sind die einzigen mit Diagonalstruktur. Aus ihnen berechnet sich dieFarbladung, indem man beide Eigenwerte (zum Beispiel des linkshandigen down-Quarks) be-rechnet und diese dann als Diagramm darstellt. Der Farb-Vektor eines beliebigen Quarks (hierdes linkshandigen down-Quarks) sieht folgendermaßen aus

drotL

dblauL

dgrunL

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5D

AS

STA

ND

AR

DM

OD

ELL

DE

RT

EIL

CH

EN

PH

YSIK

46

Wechselwirkung Ladung Symbol Symmetriegruppe Elemente m Erzeugende

elektromagnetisch elektrische Q U(1)Q eiΘQ 1 Q

hysperschwach schwache Hyperladg. Y U(1)Y eiΘY 1 Y

IW = τ1 = σ1/2

linkshandig schwach schwache Lad. = (IW1 , IW

2 , IW3 ) SU(2)L ei 3

a=1Θaτa 3 τ2 = σ2/2

τ3 = σ3/2

stark Farbladung C SU(3)C ei 8

a=1Θaλa 8 λ1, . . . , λ8

Tabelle 7: Ubersicht zu den Symmetriegruppen, deren Elementenund Erzeugenden

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5 DAS STANDARDMODELL DER TEILCHENPHYSIK 47

sodass sich der Eigenwert in Bezug auf die λ8-Matrix folgendermaßen bestimmen lasst :

λ8

00

dgrunL

=1√3

1 0 00 1 00 0 −2

00

dgrunL

= − 2√3

00

dgrunL

Eingetragen in das λ3 − λ8-Diagramm, ergibt sich die Farbstruktur:

Abbildung 36: Farbladung gebildet aus den Eigenwerten von λ3 und λ8

Aus den in den Symmetriegruppen enthaltenen Symmetrien erfolgt nach E. Noether dieLadungserhaltung, anders ausgedruckt: wenn die Lagrangedichte L invariant ist gegen eineTransformation von eiH , so bleibt die Ladung erhalten.Das Bestreben der Natur diese Symmetrien auch lokal und nicht nur global zu erhalten ist dieUrsache der Wechselwirkung. Dabei bedeutet lokal, dass die die Natur versucht die Ladungzu erhalten, auch wenn man zum Beispiel die Phade uberall andert. Um das zu bewerkstelligenbraucht sie fur jede Wechselwirkung ein Botenteilchen (Eichbosonen, zum Beispiel das Photon γ),das dann naiv gesprochen die geanderte Phase mitnimmt. So werden, um den Phasenwert unterlokaler Anderung der Eichung nicht zu andern, Eichbosonen ausgesendet bzw. aufgenommen.Die Sensitivitat auf die Umeichung ist proportional zur Ladungszahl (zum Beispiel Q), dieHaufigkeit der Aussendung dieser Eichbosonen bestimmt die Starke der Wechselwirkung (zumBeispiel e = 0, 3).

5.2 Die Bausteine und ihre Ladungen

• alle Bausteine sind Fermionen (das heißt Spin s = 1/2)

• nur die chiralen Zustande haben definierte Ladungen (noch ungeklart, warum dies so ist)→ es ergeben sich ”Ladungseigenzustande” und ”Wechselwirkungseigenzustande”

Tabelle 8 auf der folgenden Seite zeigt eine Ubersicht uber die Materiebausteine mit ihren Ei-genschaften, aus denen die Welt aufgebaut ist. Die Bausteine sind unterteilt in Familien I, IIund III einerseits und andererseits in Leptonen und Quarks.

Leptonen sind Teilchen, die keine Farbladung besitzen und dadurch nur an der elektroma-gnetischen, der hyperschwachen und der linkhsandig schwachen Wechselwirkung teilnehmen. Siesind unterteilt in Elektron (e), Myon (µ) und Tauon (τ) und deren dazugehorigen Neutrinos (νe,νµ und ντ ). Wie in den vorigen Kapiteln (insbesondere Kapitel 4.3.1) beschrieben, kann jederSpinor in einen links- und einen rechtschiralen Anteil zerlegt werden und so sind auch hier zumBeispiel das linkschirale Elektron eL und das rechtschirale Elektron eR aufgelistet. Sie sind ins-besondere deshalb einzeln aufgefuhrt, da nur linkschirale Teilchen an der linkshandig schwachen

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5D

AS

STA

ND

AR

DM

OD

ELL

DE

RT

EIL

CH

EN

PH

YSIK

48

Materie AntimaterieI II III |~IW | IW

3 Q Y W c I II III |~IW | IW3 Q Y W c

(

νeL

e−L

) (

νµL

µ−

L

) (

ντL

τ−

L

)

1/2

1/2

(

+1/2

−1/2

)

0

−1

−1/2

−1/2

0

0

(

e+R

νceR

) (

µ+R

νcµR

) (

τ+R

νcτR

)

1/2

1/2

+1/2

−1/2

+1

0

+1/2

+1/2

0

0

νeR

e−R

νµR

µ−

R

ντR

τ−

R

0

0

0

0

0

−1

0

−1

0

0

νceL

e+L

νcµL

µ+L

νcτL

τ+L

0

0

0

0

0

+1

0

+1

0

0

(

uL

d′

L

) (

cL

s′L

) (

tL

b′L

)

1/2

1/2

(

+1/2

−1/2

)

+2/3

−1/3

1/6

1/6

r/g/b

r/g/b

(

d′

R

uR

) (

s′RcR

) (

b′RtR

)

1/2

1/2

+1/2

−1/2

+1/3

−2/3

−1/6

−1/6

r/g/b

r/g/b

uR

d′

R

cR

s′R

tR

b′R

0

0

0

0

+2/3

−1/3

+2/3

−1/3

r/g/b

r/g/b

d′

L

uL

s′LcL

b′LtL

0

0

0

0

+1/3

−2/3

+1/3

−2/3

r/g/b

r/g/b

Tabelle 8: Bausteine der Materie mit ihren Eigenschaften

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5 DAS STANDARDMODELL DER TEILCHENPHYSIK 49

Wechselwirkung teilnehmen konnen, wahrenddessen das rechtschiralen untersagt ist (deswegenhaben diese jeweils eine linkshandig schwache Ladung von Null).Neutrinos sind Teilchen, die weder eine Farb- noch eine elektrische Ladung haben. Sie wech-selwirken daher nur uber die linkshandig schwache Kraft und die hyperschwache Kraft. DieLadung der hyperschwachen Kraft setzt sich aus der elektrischen und der linkshandig schwachenzusammen: Y W = Q − IW

3 . Da die rechtschiralen Neutrinos weder eine linkshandig schwacheLadung noch eine elektrische Ladung haben, so ist auch ihre hyperschwache Ladung Null undsie nehmen an keiner der Wechselwirkungen teil. Aus diesem Grund ist es bis heute ungeklart,ob sie existieren oder nicht, da man sie in keiner Weise nachweisen kann.Die linkhsandigen Leptonen bilden jeweils ein Dublett in Bezug auf die dritte Komponente derlinkshandg schwachen Ladung, wonach die Familien ausgerichtet sind. Wie weiter oben im Textbeschrieben, haben die Leptonen keine Farbladung, sodass die Farbladung c (c fur colour) gleichNull ist.

Die Quarks, die den anderen Teil der Bausteine bilden, sind ebenfalls in Familien und Du-bletts eingeteilt. So bilden das up- und das down-Quark ein Dublett, sowie das charm- und dasstrange-Quark und das top- und das bottom-Quark. Die Quarks nehmen an allen Wechselwir-kungen teil, sodass sie ebenfalls eine Farbladung (rot, grun oder blau) tragen. Auffallig ist, dassihre elektrische Ladung nicht ganzzahlig, sondern entweder 2/3 oder 1/3 betragt. Die Differenzder elektrischen Ladung innerhalb der Dubletts aber betragt immer 1. Die rechtchiralen Quarksnehmen wie auch die rechtschiralen Leptonen nicht an der linkshandig schwachen Wechselwir-kung teil, weswegen deren Ladung dort Null ist.Es ist auffallig, dass die down-, strange- und bottom-Quarks gestrichen sind. Die Ursache liegtdarin, dass die in der Tabelle eingetragenen Zustande die Ladungseigenzustande und nicht dieMasseneigenzustande (die ungestrichen dargestellt werden) sind. Dieser Umstand wird spater indiesem Kapitel noch eingehender beschrieben.

Der bis jetzt vorgestellte Teil der Tabelle entspricht der Materie. Desweiteren existiert dieAntimaterie (siehe Kapitel 4.2), die den zweiten Teil der Tabelle darstellt. Um von der Materieauf Antimaterie zu kommen, muss eine Ladungsumkehr C vorgenommen werden. Dabei werdenalle Vorzeichen der verschiedenen Ladungen (linkshandig schwache, elektrische, hyperschwache,starke) umgekehrt. So sind es jetzt die linkschiralen Antineutrinos (zum Beispiel νc

eL, c steht fur

conjugate), die an keiner Wechselwirkung teilnehmen und demnach nciht nachgewiesen werdenkonnen.

Eine wichtige Eigenschaft bei Wechselwirkung zwischen Teilchen ist, dass die Ladungen derAnfangs- und Endprodukte in der Summer immer erhalten bleiben mussen. So ist jetzt ersicht-lich, dass der Prozess n(udd)→ p(udu) uber Abstrahlung eines Elektrons nicht moglich ist. WieAbbildung 37 verdeutlicht, bleibt die dritte Komponente der linkshandig schwachen Ladungnicht erhalten.

Abbildung 37: Neutron geht nach Proton uber Abstrahlung eines Elektrons

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5 DAS STANDARDMODELL DER TEILCHENPHYSIK 50

Stattdessen muss der Prozess n(udd) → p(udu) uber die Abstrahlung eines Elektrons undeines rechtschiralen Elektron-Anti-Neutrinos (siehe Abbildung 38) geschehen da dann die dritteKomponente der linkshandig schwachen Ladung sowie alle anderen Ladungen erhalten bleiben.

Abbildung 38: Neutron geht nach Proton uber Abstrahlung eines Elektronsund eines rechtschiralen Elektron-Anti-Neutrinos

Wie weiter oben im Text bereits erwahnt befinden sich Teilchen in Ladungseigenzustandenoder in Masseneigenzustanden. Der Ladungszustand ist dabei meist eine Superposition aus meh-reren Eigenzustanden sein. Er hat daher keine definierte Masse und keine definierte Lebensdauer,dafur aber definierte Ladungen. Manchmal wird er auch Wechselwirkungszustand genannt, da esder Zustand ist, der mit einem anderen Teilchen wechselwirkt. Der Masseneigenzustand dagegenwird eingenommen, wenn sich das Teilchen ausbreitet. Dabei hat es sowohl definierte Lebensdau-er als auch definierte Masse, die Ladung ist nicht definiert. Wenn eine Messung vorgenommenwird, dann misst man beispielsweise den Masseneigenzustand des Elektrons, der sich aus einerSuperposition von Ladungseigenzustanden zusammensetzt wie Tabelle 9 und Tabelle 10 zeigen.

MassenEZ Masse m/MeV MassenEZ (Neutrinos) Masse m/MeV

|e−〉 = |e−R〉+ |e−L 〉 0, 5 |ν1〉 = |ν1L〉+ |ν1R〉 oder |ν1〉 = |ν1L〉+ |νc1R〉 10−7 − 10−9

|µ−〉 = |µ−R〉+ |µ−

L 〉 106 |ν2〉 = |ν2L〉+ |ν2R〉 oder |ν2〉 = |ν2L〉+ |νc2R〉 10−7 − 10−8

|τ−〉 = |τ−R 〉+ |τ−L 〉 1777 |ν3〉 = |ν3L〉+ |ν3R〉 oder |ν3〉 = |ν3L〉+ |νc3R〉 10−7

Tabelle 9: Masseeigenzustande der Leptonen

MassenEZ Masse m/MeV MassenEZ Masse m/MeV

|u〉 = |uL〉+ |uR〉 3 |d〉 = |dL〉+ |dR〉 6|c〉 = |cL〉+ |cR〉 1300 |s〉 = |sL〉+ |sR〉 100|t〉 = |tL〉+ |tR〉 170000 |b〉 = |bL〉+ |bR〉 4200

Tabelle 10: Masseneigenzustande der Quarks

In der Tabelle 8, Tabelle der Bausteine der Materie, sind die Wechselwirkungs- beziehungs-weise Ladungszustande der Teilchen eingetragen. Ein Blick darauf zeigt, dass die Massenei-genzustande der geladenen Leptonen und des up-, charm- und top-Quarks aus Ladungseigen-zustanden aufgebaut sind. Die Neutrinos und dagegen und auch das down-, strange und bottom-Quark setzen sich nicht aus den Ladungseigenzustanden zusammen. Die Eigenzustande erreichtman uber Matrizen aus den Masseneigenzustanden:

d′

s′

b′

=

0, 98 0, 23 ≈ 00, 24 0, 98 0, 06≈ 0 ≈ 0 1

dsb

d′

s′

b′

= VCKM

dsb

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5 DAS STANDARDMODELL DER TEILCHENPHYSIK 51

Daraus ist ersichtlich, dass der Ladungszustand des down-Quarks (uber die CKM-Matrix)eigentlich eine Superposition aus den Massenzustanden des down-, des strange- und des bottom-Quarks ist:

|d′〉 = 0, 98 · |d〉+ 0, 23 · |s〉+ 0, 004 · |b〉Das Gleiche gilt auch fur die Neutrinos:

νe

νµ

ντ

=

0, 8 0, 6 ≈ 00, 4 0, 6 0, 70, 4 0, 6 0, 7

ν1ν2ν3

νe

νµ

ντ

= VPMNS

ν1ν2ν3

Wieder sind die Ladungseigenzustande, so zum Beispiel des Elektron-Neutrinos, eine Super-position aus den Neutrinos ν1, ν2 und ν3.

νe = |ν1〉+ |ν2〉+ |ν3〉

Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass die Masseneigenzustande keine definierte La-dungen (zum Beispiel hyperschwache Ladung Y W ) haben.

5.3 Zutaten fur unser Universum

Die folgende Abbildung 39 soll die Zusammensetzung unseres Universums, also die Bausteinemit deren Wechselwirkungen darstellen.

Die Abbildung ist in zwei Abschnitte unterteilt. Wie schon in Abschnitt 5.1 erklart, be-trachtet man die Zeitspanne t < 10−12 s, in der die starke, die hyperschwache, die linkshandigeschwache Wechselwirkung existierten, und die Zeitspanne t > 10−12 s, in der die starke, dieschwache und die elektromagnetische Kraft wirken. Der bergang erfolgte uber eine Symmetrie-berechung, die den Teilchen ihre Masse gab, mit elektroschwacher Mischung, einer Mischung derKopplungsstarken: 1

e2 = 1g2

W

+ 1g2

Y

.

Als Input, um unsere heutige Welt darzustellen, braucht man nur die Informationen, dass es 3Familien gibt, die Ladungszustande aus Quarks und Leptonen bestehen, die Wechselwirkun-gen den Symmetrien SU(3)C⊗SU(2)L⊗U(1)Y folgen und dass durch die Symmetriebrechung12 weitere Massen und Mischparameter hinkamen. Mit diesen Informationen kann mandas gesamte Standardmodell aufbauen. Fur ein Universum mit Informationsaustausch brauchtman im Ubrigen mindestens eine U(1)−Gruppe. Die Bosonen der U(1) konnen nicht mit sichselber wechselwirken (das ist eine Eigenschaft der U(1)), und sich somit ungehindert ausbreiten.Ohne eine U(1) gabe es kein Licht, damit keine Lebensvorgange und keine Informationsausbrei-tungen.Die hyperschwache Wechselwirkung hatte das Boson B, die linkshandig schwache die BosonenW1, W2, W3. Infolge der elektroschwachen Mischung haben sich die Bosonen auf folgendeWeise gemischt:

|γ〉 = cos θW |B〉+ sin θW |W3〉 (12)

|Z0〉 = − sin θW |B〉+ cos θW |W3〉 (13)

|W+〉 = 1/√

2 (|W1〉 − i|W2〉) (14)

|W−〉 = 1/√

2 (|W1〉+ i|W2〉) (15)

Die W und das Z Boson haben durch die Symmetriebrechung Masse erhalten, wahrend dasPhoton masselos ist.

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5 DAS STANDARDMODELL DER TEILCHENPHYSIK 52

Abbildung 39: Zutaten fur unser Universum

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6 EXPERIMENTELLE BESTATIGUNG DES STANDARDMODELLS 53

6 Experimentelle Bestatigung des Standardmodells

6.1 Vorhergesagte Prozesse

Im Standardmodell entstehen in der Lagrangedichte L durch die Forderung der lokalen Eich-symmetrie in SU(3)C ⊗ SU(2)L ⊗ U(1)Y Terme, die die Wechselwirkungen zwischen Materiedarstellen. Diese Wechselwirkungen werden durch Botenteilchen (”Eichbosonen”) vermittelt wer-den. Tabelle 6.1 stellt eine Ubersicht uber die Bosonen und deren Eigenschaften.

WW Ldg. WwStarke Eichbosonenbei q2 = (100GeV)2 t < 10−12 s m(GeV) t > 10−12 s m(GeV)

elektrom. Q e = 0, 3 - - γ 0hyperschw. Y gY = 0, 36 B 0 und

W3 0 Z0 91, 2linkshandig (IW

1 , IW2 , IW

3 ) gw = 0, 63 W2 0 W+ 80, 4W1 0 W− 80, 4

stark r,g,b gS = 1, 22 g1, ..., g8 0 g1, ..., g8 0

Wieder wurde in der Tabelle eine Trennung zwischen t < 10−12 s und t > 10−12 s vorgenom-men und es ist zu erkenne, wie sich die Bosonen der U(1)Y und der dritten Komponente derSU(2)L uber die elektroschwache Mischung zu Photon und Z-Boson mischen, beziehungsweisedie erste und zweite Komponente der SU(2)L zu W+ und W− mischen (siehe Beziehung 12 bis15). Die Haufigkeit der Wechselwirkung zwischen Materie hangt vom Kopplungsparameter derKraft ab.

Def: Kopplungsparameter

αem =e2

4π≈ 1

137αW =

g2W

4π≈ 1

30αS =

g2S

4π≈ 1

8

Die Kopplungsparameter sind abhangig vom Impulsubertrag. So sinkt, wie in Abbildung??(Folie fehlt) zu sehen ist, der Wert von αS , der Kopplungsparameter der starken Kraft jegroßer der Impulsubertrag wird. In einer ”Großen Vereinheitlichten Theorie” (GUT = GrandUnified Theory) sollten sich bei entsprechend großen Impulsubertragen die Kopplunsparameterder starken, schwachen und elektromagnetischen Kraft zu einem Parameter vereinheitlichen.

Die elektroschwache Mischung, die schon mit den Beziehungen 12 bis 15 behandelt wurde,macht eine Vorhersage uber das Verhaltnis der Kopplungsparameter zueinander.Das Photon und das Z-Boson sind eine Drehung des B-Bosons und des W3:

|γ〉 = cos θW |B〉+ sin θW |W3〉|Z0〉 = − sin θW |B〉+ cos θW |W3〉

Als mathematische Vorhersage erhalt man als Aussage uber den Drehwinkel (Weinbergwinkel):

tan θW =gY

gW

Man erhalt aus der Mischung weitere Eigenschaften:

• Das Photon koppelt nicht an das Neutrino, das fur das Neutrino gilt: Q = IW3 + Y = 0

und das γ nur an die elektrische Ladung koppelt.

• gW sin θW = gY cos θW =: e, wobei e fur die elektrische Elementarladung steht

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6 EXPERIMENTELLE BESTATIGUNG DES STANDARDMODELLS 54

• MW = MZ cos θW

Die letzte Eigenschaft ist eine Vorhersage der elektroschwachen Mischung, die bis auf 0, 04%experimentell getestet wurde.Durch die Mischung zu den W-Bosonen ergeben sich folgende Quantenzahlen:

I3W Q Y

|W+〉 = 1/√

2 (|W1〉 − i|W2〉) +1 +1 0

|W−〉 = 1/√

2 (|W1〉+ i|W2〉) -1 -1 0

Als besondere Eigenschaft der W-Bosonen ergibt sich damit, dass es an die schwache Ladungkoppelt und damit, wie die obige Beziehung zeigt, auch an sich selbst. Fur das Gluon ist die-se Selbstwechselwirkung, da es eine starke Farbladung tragt, auch moglich, wahrenddessen dasPhoton nicht mit sich selbst in Wechselwirkung treten kann.

Jeder Wechselwirkungsterm lasst sich, wie schon am Anfang des Kapitels angedeutet, in derLagrangedichte L durch einen ”Vertex” innerhalb jeder Familie darstellen.

Abbildung 40: Darstellung eines Vertices in einem Feynmandiagramm

An den Vertices gilt:

• Erhaltung aller Ladungen

• Erhaltung von (E, ~p)

→ Daraus folgt zwingend, dass geladene Eichbosonen (W±, g1 . . . , g8) die Teilchenladungandern.

Eine Ubersicht bildet die nachste Abbildung (Abbildung 41). Sie zeigt, wie Quarks undLeptonen der 1. Familie ihre Ladung verandern, wenn sie mit den Kraften zugrundeliegendenBosonen wechselwirken.

Quarks andern ihre Farbe durch Austausch von ”farbigen” Gluonen, sie andern den schwa-chen Isospin durch Austausch von W+,W− Bosonen und lassen alle Ladungen unverandertdurch Wechselwirkung mit Z0 und dem Photon. Leptonen andern ebenfalls den schwachen Iso-spin durch Austausch der W-Bosonen, konnen jedoch ihre Farbe nicht andern, da sie keineFarbladung haben. Desweiteren kann das Neutrino naturlich nicht mit dem Photon wechselwir-ken, sondern behalt nur durch Wechselwirkung mit dem Z0 seine Ladungen unverandert.Abbildung 42 verdeutlicht, die Erhaltung aller Quantenzahlen an einem Vertex:

Es soll noch einmal hervorgehoben werden, dass an einem Vertex die Energie-Impuls-Beziehungund die Quantenzahlen erhalten bleiben mussen. Fur innere Linien in Feynmandiagrammen da-gegen gilt im Allgemeinen:

q2 = E2 − p2 6= m20

Das heißt, dass Teilchen auf inneren Linien nicht unbedingt ihre nominelle Masse haben mussen.Diese Eigenschaft macht sich zum Beispiel im Wirkungsquerschnitt von e+e− → µ+µ− bemerk-bar. Der Prozess kann uber Austausch eines Photons oder eines Z-Bosons stattfinden, die eine

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6 EXPERIMENTELLE BESTATIGUNG DES STANDARDMODELLS 55

Abbildung 41: Anderung der Ladung von Leptonen und Quarks bei Wechsel-wirkung mit Bosonen

Abbildung 42: Erhaltung der Quantenzahlen an einem Vertex

innere Linie im Feynmandiagramm darstellen. Abbildung 43 zeigt den Wirkunsgquerschnitt furdiesen Prozess.

Abbildung 43: Wirkunsgquerschnitt fur den Prozess e+e− → µ+µ− uber γ undZ0

Der Peak im Wirkunsgquerschnitt liegt genau bei der Masse des Z-Bosons (mZ = 91, 2GeV),da bei dieser Schwerpunktsenergie die ”Herstellung” eines Z’s am wahrscheinlichsten ist. Jedochkann auch bei einer Schwerpunktsenergie von ECM < 91, 2GeV stattfinden, da das erzeugteZ-Boson auf einer inneren Linie zwischen den Elektronen und Myonen vermittelt. Aus diesemGrund muss es nicht mit seiner nominellen Masse erzeugt werden, sondern auch mit geringererEnergie. Das Z hat somit auch Anteil am Wirkunsgquerschnitt bei Energien < 91, 2GeV. SolcheTeilchen auf inneren Linien nennt man auch virtuelle Teilchen

Die erzeugten Teilchen der außeren Linien mussen dagegen ihre ”echte” Masse haben. Ausdiesem Grund kann der Prozess in Abbildung 42 eigentlich nicht stattfinden. Da jedes Expe-

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6 EXPERIMENTELLE BESTATIGUNG DES STANDARDMODELLS 56

riment auch die Moglichkeit haben muss im Ruhesystem stattzufinden, ist es unmoglich einW-Boson einer Masse von mW = 80, 4GeV von einem up-Quark einer Masse mu = 4, 5MeV.Wenn das W-Boson aus einem d-Quark des Neutrons danach wieder in ein Elektron und einElektronantineutrino zerfallt (wie in Abbildung 44), so ist der Prozess moglich, da das W sichdann auf einer inneren Linie befindet. Das ist der normale Beta-Zerfall.

Abbildung 44: Beta-Zerfall, bei dem das W-Boson auf einer inneren Linie ist

Schließlich soll noch eine letzte wichtige Eigenschaft von Vertices erlautert werden: jeder Ver-tex darf beliebig gedreht werden unter der Beachtung, dass man bei Zeitumkehr einen Teilchen-Antiteilchen-Austausch vornehmen muss. Abbildung 45 soll das verdeutlichen.

Abbildung 45: verschiedene Feynmandiagramme durch Drehen der Vertices

6.2 τ−Zerfalle

Da das τ -Lepton das schwerste Lepton ist, ware anzunehmen, dass der Zerfall nach Abildung 46moglich ist, da einerseits die Ladung erhalten wird und andererseits das τ in leichtere Teilchenzerfallt. Tatsachlich ist der Vertex jedoch nicht erlaubt, da er eine Anderung der Familie bedeutenwurde (III. Familie geht uber in II. oder I.), was im Standardmodell verboten ist. Wie schon inKapitel 6.1 beschrieben, vermittelt dasW±-Boson zwischen dem Lepton und seinem zugehorigenNeutrino, wahrenddessen der Ubergang zwischen den Leptonen τ, µ, e nicht moglich ist.Der Zerfall findet daher nach Abbildung 47 statt.

Abbildung 46: Verbotener Zerfall, da sich die Familieandert

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6 EXPERIMENTELLE BESTATIGUNG DES STANDARDMODELLS 57

Abbildung 47: erlaubte Zerfallskanale des τ -Leptons

Das τ -Lepton wandelt sich uber Abstrahlung eines W-Bosons in ein τ -Neutrino um. Das W-Boson zerfallt daraufhin in ein Lepton und das zugehorige Lepton-Neutrino oder in ein Quark-Antiquark-Paar unter Beachtung der Isospin- und Ladungserhaltung. Der Zerfall in ein schweresQuark-Antiquark-Paar, wie das charm- und das strange-Quark ist aufgrund der kleineren Massedes τ -Leptons nicht moglich, da das die Energie-Impulserhaltung verletzen wurde.Der Prozess findet uber die schwache Wechselwirkung statt, weshalb die Kopplungskonstan-te den Wert gW = 0, 63 hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein W-Boson abgestrahlt wird, istproportional zu q2/m2

w)2, also umgekehrt proprtional zur Masse des Bosons. Somit ist jetztauch ersichtlich, weshalb die schwache Wechselwirkung trotz der großeren Kopplungskonstanteseltener statfindet als die elektromagnetische. Die elektrogmagnetische Wechselwirkung ist vielwahrscheinlicher, da die Photonen eine Masse von 0 haben. Aus Abbildung 47 ist zu erkennen,dass der Prozess stattfindet, obwohl das W-Boson nicht bei seiner nominellen Masse erzeugt wer-den kann. Die Ursache ist die naturliche Breite des Bosons, wie schon in Kapitel 6.1 beschrieben.Je geringer die Energie des Prozesses dabei ist, desto unwahrscheinlicher ist auch der Prozessuber Abstrahlung eines W’s. Demnach ist die Lebensdauer des Ausgangprodukts im Zerfall umso großer, wie Tabelle 6.2 zeigt.

Zerfall q2 Lebensdauer

n→ p e− ν (2MeV)2 15 minµ→ e ν ν (100MeV)2 2µsτ → e ν ν (2GeV)2 0, 2 pst→ b e+ νc (170GeV)2 10−25 s

6.3 Hadronisierung

Wie weiter oben in diesem Skript beschrieben, durfen Quarks aufgrund ihrer Farbladung nichtungebunden auftreten, sondern bilden Hadronen. Um diesen Prozess der Hadronisierung be-schreiben zu konnen, ist es hilfreich das Kraftgesetz der starken Wechselwirkung naher zu be-schreiben.

Auf der nachsten Seite ist eine Gegenuberstellung der elektromagnetischen Wechselwirkungund der starken gegeben. Das elektromagnetische Potential hat die Eigenschaft, dass man dieFelder von 2 Ladungen bei einer gewissen Entfernung trennen kann. Das Potential der starkenWW dagegen bewirkt, dass man Quarks nicht trennen kann. ”Confinement” begrenzt die Quarksin Hadronen auf ∝ 1 fm. Die Feldliniendichte wird immer großer, sodass es zur Bildung von qqPaaren kommt.Bei Betrachtung des typischen Zahlenwerts der Coulombkraft der starken Wechselwirkung:

a

r=

140MeV

1 fm=

1, 4 · 102 · 106 · 1, 6 · 10−19 J

10−15 m= 2 · 104 N

fallt auf, dass allein schon der Zusatzterm mit einer Gewichtskraft von zwei Tonnen auf der Erdedie Quarks aneinander zieht.

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6 EXPERIMENTELLE BESTATIGUNG DES STANDARDMODELLS 58

Elektromagnetische WW Starke WW

streut γ’s in alle Richtungen Gluonen strahlen selbst wieder Gluonenab

Dichte der γ’s im Abstand r → Dichte nimmt mit 1/r2 ab

∝ 1

4πr2∝ 1 + ǫr

4πr2

Coulombkraft

FC =e2Q1Q2

4πr2FS = αs

c1c2r2

+a

r

= αemQ1Q2

r2

Dadurch ergibt sich fur das Potential:

Vem = −αemQ1Q2

rVS = −αS

c1c2r

+ κ lnr

r0

(mit αem = e2

4π )

6.4 Experimentelle Beobachtung der Quarks und ihrer Farbladung

Tief unelastische Lepton-Nukleon-Streuung (DIS - Depp Inelastic Scattering)

Wahrend bei der elastischen Streuung das Elektron am ausgedehnten aber gleichformig aus-gedehnten Proton mit einem Dipolformafaktor proportinal zu ∝ 1

q4 gestreut wird, streut esbei der inelastischen Streuung an den einzelnen Quarks im Proton. Dadurch kann das Protonangeregt werden, indem sich eine Spinrichtung der Quarks umdreht, und zum Beispiel in das∆(1232MeV) ubergehen.

p(↑↑↓)→ ∆(↑↑↑)Andererseits kann durch die inelastische Streuung auch die Bindung zwischen den Quarks aur-brechen und es kann so zur Hadronenbildung kommen.

Bei der inelastischen Streuung, die Aussagen uber den ”Inhalt” des Protons macht, findetman als Bausteine der Nukleonen 3 Valenzquarks und einen ”See” aus Gluonen und weiterenQuarkpaaren.

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6 EXPERIMENTELLE BESTATIGUNG DES STANDARDMODELLS 59

Abbildung 48: elastische und inelastische Streuung

Ein moglicher Weg, der Aussagen uber den Aufbau von Teilchen macht, geht uber die Struk-turfunktion F (x, q2), die man aus Messdaten extrahieren kann. Eine kontinuierliche Funktionfuhrt zu einem punktformigen Teilchen. Das q in F (x, q2) steht dabei fur den Impulsubertrag derStreuung, das x fur den Impulsanteil eines Partons am Gesamtimpuls. Dabei kann ein Partonein Valenzquark, ein Gluon oder ein Seequark sein, also ein beliebiges Teilchen des Protons.

6.5 Experimentelle Beobachtung ihrer Farbladung

Zerfall des W-Bosons bzw. PhotonsBetrachtet man den Zerfall von W-Bosonen in Leptonen oder Quarks (siehe Abbildung 49 oben),so ist festzustellen, dass der Zerfall in Quarks dreimal so haufig stattfindet wie in Leptonen. Bei-de koppeln mit der gleichen Starke an das W-Boson, was implizieren wurde, dass der Zerfallin Leptonen genauso haufig stattfinden sollte wie in Quarks. Ein experimentell beobachteterUnterschied vom Faktor drei kann mithilfe der Quarkladung erklart werden. Da die Quarks ex-akt drei verschiedene Farbladungen annehmen konnen, existieren drei mogliche, unterschiedlicheEnduzustande der Quarks. Der Zerfall des W-Bosons in Quarks ist daher dreimal so haufig.Der gleiche Sachverhalt bei dem Ubergang wie in Abbildung 49 unten dargestellt erkennen.Elektron und Positron annihilieren zum Photon, was wiederum in ein Paar von Leptonen oderQuarks ubergehen kann. Die Kopplungsstarke und damit die Haufigkeit des Zerfalls ist proprtio-nal zur Ladung beider beteiligter Fermionen. Jedoch lasst es sich experimentell nachweisen, dassder Ubergang in Quarks aufgrund ihrer Farbladung dreimal so haufig stattfindet.

Abbildung 49: Ubergangswahrscheinlichkeit durch Anzahl der Farbladungen

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7 HADRONEN UND KERNE 60

7 Hadronen und Kerne

7.1 Gebundene Quark-Systeme (Hadronen)

In den 50er und 60er Jahren erfolgte die Hadronenentdeckung uber Blasenkammeraufnahmen.Aufgrund der großen Anzahl unterschiedlicher Hadronen (uber 100), war zu erkennen, dass sieunmoglich Elementarteilchen sein konnten. Jedoch war es moglich sie einem Schema, ahnlich demPeriodensystem der Elemente, anzuordnen. Dies war historisch der Hinweis auf ihre Substruktur,die Quarks. 1963 schlugen Gell-Man und Zweig eine Anordnung anhand von zwei Kriterien vor.Einerseits anhand von Massengruppen, ahnlich der Atomphysik, bei der die Aufteilung uber denstarken Isospin erfolgte (siehe Zusammenhang 16), andererseits uber die Lebensdauer, in derenZusammenhang die Seltsamkeit (strangeness) steht.

IS3

(pn

)+ 1

2− 1

2

Σ+

Σ0

Σ−

+10−1

(16)

Wie in Zusammenhang 16 angedeutet, gruppierte man Hadronen mit ahnlichen Massen, wiebeispielsweise das Proton und Neutron, bzw. Σ+, Σ0, Σ−. Ihre Unterteilung erfolgte nach derdritten Komponente des starken Isospins, wodurch Gruppen entstanden, die dem Spintriplettahnlich sind. Die Gruppierung anhand der Lebensdauer erfolgte uber die Beobachtung, dass furmanche Ubergange die Herstellungswahrscheinlichkeit eines Teilchens proportional zur dessenZerfallswahrscheinlichkeit ist (Abbildung 50 oben), wahrend andere Teilchen eine Zerfallswahr-scheinlichkeit haben, die einige Großenordnungen kleiner ist als ihre Herstellungswahrscheinlich-keit (Abbildung 50 unten). Heute weiß man, dass letzteres mit der Anzahl der s-Quarks in einemHadron zusammenhangt. CKM-Matrix Zusammenhang Kapitel 6.1

Abbildung 50: Illustration der Abhangigkeit der Zerfallsdauer vonder Anzahl der s−Quarks.

Das Meson K0 und das Hadron Λ0 aus Abbildung 50 haben eine sehr große Zerfallswahr-scheinlichkeit. Beide haben ein s−Quark als Bestandteil. Wie in Kapitel 6.1 beschrieben, ver-mittelt das W−Boson zwischen Quarks einer Familie. Da das c−Quark allerdings mit einerMasse von mc1.27GeV schwerer ist als das s−Quark (ms = 0.1GeV), ist der Ubergang nichtmoglich. Stattdessen ist aufgrund Nichtubereinstimmung von Massen- und Eigenzustanden derUbergang in ein u−Quark moglich (siehe Abbildung 51). Wie in Kapitel 5.2 beschrieben, kann

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7 HADRONEN UND KERNE 61

der Masseneigenzustand des s−Quarks uber die CKM-Matrix, VCKM , dargestellt werden:

|s〉 = Vus|d′〉+ Vcs|s′〉.

Dabei sind Vus und Vcs die Eintrage der CKM-Matrix und |d′〉 beziehungsweise |s′〉 die La-dungseigenzustande der Quarks. Die Kopplung an das W−Boson erfolgt jeweils uber gW , den

Abbildung 51: Zerfall dess−Quarks uber ein W−Boson.

Kopplungsparameter der schwachen Wechselwirkung. Die geringe Wahrscheinlichkeit des Pro-zesses und damit die hohe Lebensdauer der Hadronen mit s−Quarks liegt im Propagator desW−Bosons, 1

q2−m2

W

. Der Parameter q steht dabei fur die Energie des Prozesses, mW fur die Mas-

se desW−Bosons. Durch die Kleinheit der Masse des s−Quarks im Vergleich zurW−Bosonmassewird dieser Faktor zu einem großen Unterdruckungsfaktor des Prozesses.Mithilfe der Große der Lebensdauer von bestimmten Baryonen ließen sich die Teilchen in einMuster (siehe Abbildung 52 oben) einordnen. Das Muster ergab sich aus der dritten Kompo-nente des starken Isospins (I3

S) und der ”Seltsamkeit”. Daraus ließ sich schlussfolgern, dass esdrei Teilchen gibt, aus denen die K und π Mesonen bestehen. Diese Teilchen wurden als d−, u−und s−Quark und ihren Antiteilchen identifiziert. Unter der Annahme, dass Mesonen immer ausTeilchen und Antiteilchen bestehen, kann man die drei Quarks nach der dritten Komponentedes starken Isospins und der ”Seltsamkeit” anordnen, wie in Abbildung 52 unten zu sehen. FurBaryonen, die aus drei Quarks oder drei Antiquarks bestehen, lasst sich ein ahnliches Schemafinden. Damit war es moglich Voraussagen uber die Existenz von Teilchen zu treffen, becor sieentdeckt wurden. Ein Beispiel ist das ω (sss), das aufgrund der drei s−Quarks eine sehr langeLebensdauer hat.

7.2 Kernbindungen

Zur Untersuchung von Kernbindungen kann man Vergleiche zur Molekulphysik anstellen. Dabeigibt es folgende Bindungsarten:

• Ionenbindung

• van der Waals Bindung (Dipol-Dipol Bindung)

• kovalente Bindung (gemeinsame Orbitale)

Ubertragen auf einen Kern wurden somit folgende Kernbindungen moglich sein:

• ”Ionenbindung” (Kernbaustein gibt Quark an anderen Baustein ab→ ware viel zu stark

• ”van der Waals Bdg.” Dipole mit Farbladungen, → ware viel zu schwach

• ”kovalente Bdg.” Proton und Neutron uberlappen sich, Quarks nicht eindeutig zuzuordnen,tauschen Quarks aus → am wahrscheinlichsten

Verglichen mit Abbildung 53 ware die ”kovalente” Kernbindung aquivalent mit einm Austauschvon Pionen (Yukawa 1934). Durch den dauernden Austausch von Pionen, was eigentlich einemAustausch von Quarks entspricht, wird somit die Bindung verursacht. Abbildung 54 zeigt dasPotential der Kernbindung.

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7 HADRONEN UND KERNE 62

Abbildung 52: Schema, in das sich die K und π Mesonen einordnen lassen.

Abbildung 53: Kernbindung durch standigen Pionenaustausch.

Abbildung 54: Potential der Kernbindung.

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LITERATUR 63

Literatur

[Berger] Christoph Berger: Elementarteilchenphysik, Springer-Verlag, Berlin, 2.Auflage, 2006.

[Bethge] Klaus Bethge, Gertrud Walter, Bernhard Wiedemann:Kernphysik. Eine Einfuhrung,Springer-Verlag, Berlin, 2. Auflage, 2001.

[Coughlan, Dodd] Guy D. Coughlan, James E. Dodd, Ben Gripaios: The ideas of Particle Phy-sics, An introduction for scientists, Cambridge University Pr., 2006.

[Gerthsen] Helmut Vogel: Gerthsen Physik, Springer Verlag, 19.Auflage, 1995.

[Griffiths] David Griffiths: Introduction to Elementary Particles, Wiley-VCH, New York, 1987.

[Povh et al.] Bogdan Povh, Klaus Rith, Christoph Scholz: Teilchen und Kerne, Springer-Verlag,Berlin, 7. Auflage, 2006.

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A ANHANG ZU STREUPROZESSEN 64

A Anhang zu Streuprozessen

Abbildung 55: Aufbau der Materie: Darstellung der Großenordnungen, bereit-gestellt vom Deutschen Elektronen Synchrotron DESY

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A ANHANG ZU STREUPROZESSEN 65

Abbildung 56: Vereinigung der Krafte, bereitgestellt vom Deut-schen Elektronen Synchrotron DESY

Abbildung 57: Evolution des Universums, bereitgestellt von der Universitat Erlangen

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B WICHTIGE RELATIONEN DER RELATIVISTISCHEN KINEMATIK 66

B Wichtige Relationen der relativistischen Kinematik

Wichtige sich zu merkende Relationen sind:

hc = 0, 2GeV · fm = 200MeV · fm

sowie die relativistischen Beziehungen

E2 = p2c2 +m2c4 Ekin = E −mc2 p = βγmc

mit γ =1

1− β2und β =

v

c

m ist dabei immer als die (Ruhe)masse des Teilchens zu verstehen. Die relativistische Massemrel = γm wird im vorliegenden Skript nie verwendet. Die daraus folgende Beziehung

E = mrelc2

besagt nur, dass die relativistische Masse Energie in anderen Einheiten darstellt.

In der folgenden Tabelle (Tabelle 11) werden wichtige Zusammenhange aufgefuhrt, die sichaus den relativistischen Beziehungen ergeben.

γ =E

mc2βγ =

p

mc

γ − 1 =Ekin

mc2γ2 = β2γ2 + 1

Tabelle 11: wichtige relativistische Zusammenhange

woraus folgt, dass γ, βγ und γ − 1 also E, p und Ekin in Einheiten der Masse messen.

C Gruppenabkurzungen

Fur Gruppen werden folgende Abkurzungen verwendet.

• U(n) = alle unitaren n× n Matrizen (U+U = 1n)

• SU(n) = alle unitaren n× n Matrizen mit detU = 1

• O(n) = alle orthogonalen n× n Matrizen (OTO = 1n)

• SO(n) = alle orthogonalen n× n Matrizen mit detO = 1

(unitar bedeutet, dass gilt: U+U = 1n, wobei U+ = (U∗)T die transponierte, konjugiertkomplexe Matrix zu U ist)

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D PAULIMATRIZEN UND GELL-MANN-MATRIZEN 67

D Paulimatrizen und Gell-Mann-Matrizen

Die Paulimatrizen werden folgendermaßen dargestellt:

σ1 =

(0 11 0

)

σ2 =

(0 −ii 0

)

σ3 =

(1 00 −1

)

die Gell-Mann-Matrizen auf diese Weise:

λ1 =

0 1 01 0 00 0 0

λ2 =

0 −i 0i 0 00 0 0

λ3 =

1 0 00 −1 00 0 0

λ4 =

0 0 10 0 01 0 0

λ5 =

0 0 −i0 0 0i 0 0

λ6 =

0 0 00 0 10 1 0

λ7 =

0 0 00 0 −i0 i 0

λ8 = 1√3

1 0 00 1 00 0 −2