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Studienreise Bosnien & Herzegowina 10.-21. Mai 2012 1 Reisebericht Eine Reise auf den Balkan ist immer auch eine Reise in die Vergangenheit. Dies gilt insbesondere für Bosnien & Herzegowina. Das Land wurde durch den Bürgerkrieg Anfang der 90er Jahre am stärksten in Mitleidenschaft gezogen. 200.000 Menschen starben, Millionen wurden vertrieben. Die Spuren des blutigsten Konflikts in Europa seit dem zweiten Weltkrieg sind vielerorts noch immer sichtbar. 20 Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung und dem Beginn des Krieges haben wir Mitglieder der Jungen Europäischen Föderalisten und der Initiative Ostblick uns auf den Weg gemacht, das Land zu entdecken, von dem die meisten bislang nur aus den Medien gehört haben. Sarajevo, Srebrenica, Mostar, Banja Luka: Seltsam vertraut klingen diese Namen in unseren Ohren, verbinden wir sie doch mit Bildern und Berichten aus dem Fernseher ohne je dort gewesen zu sein. Seit dem Abkommen von Dayton vor 17 Jahren herrscht Frieden im Land. Bosnia- ken, Serben und Kroaten leben wieder mehr oder weniger zusammen. Das Miss- trauen sitzt zwar noch tief und offenbart sich bei Wahlen, wo viele Bosnier entlang der ethnischen Zugehörigkeit ihre Stimme vergeben. Die Korruption ist hoch und die

Studienreise Bosnien & Herzegowina 10.-21. Mai 2012 ... · Banja Luka & Travnik 13. Mai 2012 von Janis Kluge & Bartek Pytlas Der zweite Tag unseres Ausfluges nach Banja Luka begrüßte

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Studienreise Bosnien & Herzegowina 10.-21. Mai 2012

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Reisebericht

Eine Reise auf den Balkan ist immer auch eine Reise in die Vergangenheit. Dies gilt

insbesondere für Bosnien & Herzegowina. Das Land wurde durch den Bürgerkrieg

Anfang der 90er Jahre am stärksten in Mitleidenschaft gezogen. 200.000 Menschen

starben, Millionen wurden vertrieben. Die Spuren des blutigsten Konflikts in Europa

seit dem zweiten Weltkrieg sind vielerorts noch immer sichtbar. 20 Jahre nach der

Unabhängigkeitserklärung und dem Beginn des Krieges haben wir – Mitglieder der

Jungen Europäischen Föderalisten und der Initiative Ostblick – uns auf den Weg

gemacht, das Land zu entdecken, von dem die meisten bislang nur aus den Medien

gehört haben. Sarajevo, Srebrenica, Mostar, Banja Luka: Seltsam vertraut klingen

diese Namen in unseren Ohren, verbinden wir sie doch mit Bildern und Berichten aus

dem Fernseher ohne je dort gewesen zu sein.

Seit dem Abkommen von Dayton vor 17 Jahren herrscht Frieden im Land. Bosnia-

ken, Serben und Kroaten leben wieder mehr oder weniger zusammen. Das Miss-

trauen sitzt zwar noch tief und offenbart sich bei Wahlen, wo viele Bosnier entlang

der ethnischen Zugehörigkeit ihre Stimme vergeben. Die Korruption ist hoch und die

Studienreise Bosnien & Herzegowina 10.-21. Mai 2012

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wirtschaftliche Entwicklung kommt nur schleppend vorwärts. Trotzdem: die Ruinen

wurden abgetragen, neue Gebäude errichtet, Autos und Straßenbahnen rollen wie-

der über die frühere „Sniper Alley“ durch Sarajevo. Die Menschen versuchen ein

normales Leben zu führen, gehen arbeiten, einkaufen und amüsieren sich in der

Baščaršija, der wunderschönen Altstadt Sarajevos. Zahlreiche Bürgerinitiativen en-

gagieren sich für eine Aufarbeitung und Bewältigung der Vergangenheit, kämpfen für

ein multiethnisches Bosnien und weisen Wege für die Zukunft des Landes als Teil

der Europäischen Union. Mit einigen Aktivisten haben wir uns in verschiedenen Städ-

ten des Landes getroffen und schreiben in diesem Bericht über unsere Begegnungen

und Gespräche. Alle Teilnehmer der Studienreise haben Tagesberichte verfasst und

ihre persönlichen Gedanken festgehalten.

Dass Bosnien & Herzegowina mehr ist als der schreckliche Krieg, davon konnten wir

uns vor Ort überzeugen. Es dürfte wohl kaum ein Land in Europa so grün sein wie

dieses. Dichte Wälder, atemberaubende Schluchten, bizarre Felsformationen, rei-

ßende Flüsse und wunderschöne Landschaften. Eigentlich das Paradies auf Erden.

Vielleicht kann es dazu werden, wenn die Vergangenheit aufgearbeitet wird, die poli-

tische Klasse echte Reformen anstrebt und die ethnischen Gegensätze überwunden

werden.

Wir setzen auf die junge Generation und sind zuversichtlich, dass die Jugend Bosni-

en & Herzegowinas das Land vorwärts bringen und in die EU führen wird.

Marco Schwarz

Studienreise Bosnien & Herzegowina 10.-21. Mai 2012

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Ankunft in Bosnien & Herzegowina

10. Mai 2012

von Frederike Großmann und Lennart Wiedicke

Treffpunkt am Flughafen Tegel. 08:00 Uhr morgens. Immer noch zu früh. So gönnte sich,

wer brauchte, erst mal einen Kaffee. Als nach kurzer Zeit alle versammelt waren, ging es ans

Einchecken. Lange war’s her, dass man mit Lufthansa geflogen war und so wurde zunächst

der Zeitungsständer mit kostenloser Lektüre gestürmt. Nach kurzer Flugzeit blickten wir be-

reits auf eine unglaublich eindrucksvolle, wunderschöne gebirgige Landschaft, mittendrin

Sarajevo. Nach der Landung ging es vom recht kleinen Flughafen mit unserem Hab und Gut

entlang einer großen, von vielen Lastwagen befahrenen Straße über Kies und Schotter bei

30 Grad Hitze in Richtung Schüler-Helfen-Leben-Haus (SHL), wo wir unsere Unterkunft be-

zogen.

Nachdem wir uns alle ein wenig im SHL-Haus eingerichtet hatten, die letzten Nachzügler der

Gruppe eingetroffen waren und wir ein schnelles Mittagessen genossen hatten, ging es auch

schon los ins Zentrum von Sarajevo. Nach etwa 20 Minuten Fahrt mit der auf den ersten

Blick recht maroden Tram durch die Randgebiete der Stadt, vorbei an von Einschusslöchern

übersäten Wohnblocks, trafen wir in der historischen Altstadt vor dem Büro von „Sarajevo

Insider“ unsere kompetente Stadtführerin. Von ihr erfuhren wir von der Ermordung Franz

Ferdinands, dem Thronfolger Österreich-Ungarns vor fast 100 Jahren, und dass der erste

Weltkrieg eventuell nicht ausgebrochen wäre, wenn nicht dessen Fahrer damals falsch ab-

gebogen wäre. In der Alt-

stadt zeigte sie uns den

blühenden Einfluss der

türkischen Besatzer, unter

deren Herrschaft Bosnien

400 Jahre lang bis zum

Berliner Kongress stand.

Ebenso blühten die eher

bedrückenden „Rosen von

Sarajevo“ in den Straßen –

rot markierte Spuren der

Granateneinschläge aus

Unser Domizil in Sarajewo: Schüler-Helfen-Leben-Haus im Stadtteil Ilidža

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der über dreijährigen Bela-

gerung Sarajevos im Bosni-

enkrieg von 1992 bis 1995.

Die Folgen des Krieges sind

bis heute nicht zu übersehen

– sie zieren das Stadtbild

und das Bewusstsein der

Menschen. Unsere Stadtfüh-

rerin selbst war zusammen

mit ihrer Familie nach

Deutschland geflohen.

Als wir gefühlt auch die letz-

te Ecke der beeindrucken-

den Altstadt gesehen hatten, fanden wir uns bald recht erschöpft in einer kleinen Lokalität,

einem ehemaligen Han - eine Unterkunft für Händler, die in die Stadt kamen - unter freiem

Himmel in den Gassen der Altstadt wieder, um den Abend in entspannter und geselliger

Runde ausklingen zu lassen.

Am Wendepunkt der Geschichte: An dieser Stelle wurde im Juni 1914 der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand erschossen, was den 1. Weltkrieg auslösen sollte

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Politik & Religion

11. Mai 2012

von Felix Mengel

Der erste volle Tag in Sarajevo begann mit dem ersten politischen Gespräch. Dennis Gratz

von der Partei Naša Stranka besuchte uns am Vormittag im SHL-Haus und stand Rede und

Antwort. Politisch ist die 2008 gegründete liberal-ökologische Partei nur lokal in Sarajevo von

gewisser Bedeutung, machtpolitisch spielt die explizit multiethnische Naša Stranka derzeit

kaum eine Rolle in Bosnien & Herzegowina. Dennis lieferte einen interessanten und umfas-

senden Rundumschlag zur politischen Situation im Land. Viele Punkte aus diesem Gespräch

sollten uns auch an den Folgetagen immer wieder begegnen: die sehr schwache Zivilgesell-

schaft, das Ausspielen der "Eth-

nizitätskarte", obwohl machtpoli-

tische Interessen im Vorder-

grund stehen, das fehlende Ver-

trauen in die regierenden Politi-

ker, die hohe Korruption, die

Perspektivlosigkeit der Wirt-

schaft, Verdrängung des Krie-

ges und die Frustration bei der

jüngeren Generation. Insgesamt

ein wirklich spannendes und

lebhaftes Gespräch, das uns für

die folgenden Tage rüstete.

Nach der Fahrt in die Altstadt (Baščaršija) ging es mit dem Besuch der Gazi Husrev Beg

Moschee sowie einem Gespräch mit einem Iman weiter. Die Moschee hatten wir am Vortag

schon bei der Führung kennengelernt, im Gespräch mit dem Iman ging es dann noch einmal

etwas vertiefter zum muslimischen Leben in Sarajevo. Von einer zunehmenden Zahl junger

Muslime aus Sarajevo begleitet, fand ein lebhafter Austausch statt. Nach eine kurzen Be-

sichtigung der Moschee selbst ging es dann noch in Begleitung einiger sehr freundlicher jun-

ger Muslime aus der Moschee zu einem nahegelegenen Kaffee, wo es ein ganz zünftig für

jeden eine Limonade und einen türkischen Kaffee gab. Im Anschluss reifte der Plan, zu ei-

nem nahegelegenen Aussichtspunkt am Rande der Altstadt zu gehen und dort angesichts

Im Gespräch mit Dennis Gratz (Mitte) von Naša Stranka

Studienreise Bosnien & Herzegowina 10.-21. Mai 2012

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des sehr schönen Sommerwet-

ters einen schönen Blick auf die

Stadt zu erhaschen. Der Ausblick

war sehr schön, das zuvor ge-

kaufte Bier bald alle und so ging

es später langsam zurück in die

Stadt, wo wir den Abend bei Bal-

kan-Küche und -Getränken aus-

klingen ließen.

Passend ausgestattet für den Moschee-Besuch

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Unterwegs in die Republika Srpska: Jajce & Banja Luka

12. Mai 2012

von Jochen Aulbach und Lukas Schulte

Per Bus fuhren wir am dritten Tag unserer Studienreise von Sarajevo nach Banja Luka, wo

wir auf halber Strecke eine Pause in Jajce einlegten. Neben dem Pliva-Wasserfall ist Jajce

vor allem für seine Festung und die Altstadt bekannt, die vor der Verleihung des Weltkultur-

erbe-Status steht. Bis Ende des 15. Jahrhunderts war Jajce Sitz der bosnischen Könige und

spielte auch bei der Gründung des Sozialistischen Jugoslawiens eine zentrale Rolle. Nach

einer ausgiebigen Stadterkundung mussten wir beim Mittagessen in einer idyllischen und

schattigen Cepvacinica nach

tapferem Kampf vor den

riesigen Mengen an Fleisch

kapitulieren.

Nach der Weiterfahrt nach

Banja Luka trafen wir uns

dort in einem Restaurant mit

dem Politiker Srdjan Ma-

zalica, Abgeordneter der

SNSD (Unabhängige Sozi-

aldemokraten) im Parlament

der Republika Srpska. Für

Mazalica steht Bosnien vor

der Bewältigung drei großer Aufgaben: die Mitgliedschaft in der NATO, die Umsetzung des

Finci/Sejdic -Urteils sowie die endgültige Abwicklung des Hohen Repräsentanten (OHR). Die

Dayton-Verfassung soll in ihren Grundsätzen beibehalten werden, da nur sie die Interessen

der Serben innerhalb Bosniens beschützen könne. Eine Verletzung der Verfassung bzw.

eine Änderung könnte eine Loslösung der Republika Srpska von der Föderation Bosnien und

Herzegowina notwendig machen. Eine Angliederung an Serbien werde in diesem Fall jedoch

nicht angestrebt, da im zentralistisch-organisierten Serbien die Eigenständigkeit der Republi-

ka Srpska nicht

Beliebtes Fotomotiv: Der berühmte Wasserfall von Jajce

Studienreise Bosnien & Herzegowina 10.-21. Mai 2012

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garantiert werden könne. Außerdem

betonte Mazalica, dass die Unab-

hängigkeitserklärung Bosniens im

Jahr 1992 illegal gewesen sei, da

die serbische Bevölkerung dieser

Erklärung nicht zugestimmt habe.

Angesprochen auf Probleme mit der

Korruption erklärte Mazalica, dass

Korruption kein Tabu-Thema in

Bosnien sei. Der Präsident der Re-

publika Srpska Dodic (ebenfalls

SNSD) sei vor Gericht gestellt, aber

freigesprochen worden. Alltagskorruption z.B. in der Verwaltung stelle ein großes Problem

da. Die politische Kultur in Bosnien sieht Mazalica im Aufwind. Programmatisch setze sich

die SNSD für Investitionsprogramme in Wirtschaft und den Sozialsektor ein. Mazalica vertei-

digte auf mehrfaches Nachfragen die Bildungspolitik in Bosnien, die die ethnische Trennung

der Schülerinnen und Schülern in verschiedene Schulen bzw. Klassen vorsieht.

Nach dem Gespräch mit ihm spaltete sich unsere Gruppe in die Fußball-Ignoranten und die-

jenigen, die das DFB-Pokal-Endspiel zwischen dem Deutschen Meister Borussia Dortmund

und dem Rekordmeister und -pokalsieger Bayern München auch in Bosnien nicht verpassen

wollten. Nach kurzer Suche fanden wir in der Kneipenmeile Banja Lukas ein Lokal, dessen

Wirt nach dem verloren Tennisspiel eines zweitklassigen serbischen Spielers für uns auf Sky

umschaltete. Beschallt von nervtötender Dancemusik verfolgten wir gespannt auf dem

stummen Fernsehbild das torreiche Aufeinandertreffen der beiden besten deutschen Fuß-

ballmannschaften. Dieses wiederum spaltete auch unsere Gruppe in zwei unterschiedliche

Fanlager und ließ das eine davon etwas glücklicher zurück als das andere.

Der bosnisch-serbische Abgeordnete Srdjan Mazalica

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Banja Luka & Travnik

13. Mai 2012

von Janis Kluge & Bartek Pytlas

Der zweite Tag unseres Ausfluges nach Banja Luka begrüßte uns mit einem Wetterum-

schwung. Die Hitze des Vortages war verflogen. Stattdessen hingen über der Stadt dichte

Wolken, die uns einen kühlen Morgen mit Dauerregen bescherten. Trotzdem entschlossen

wir uns, wenigstens einen kleinen Rundgang durch die Stadt zu versuchen.

Obwohl die Stadt Banja Luka während der 1990er Jahre im Gegensatz zu Sarajevo kein

Kriegsschauplatz war, ist auch sie von den Auseinandersetzungen nicht verschont geblie-

ben. So wurden im Laufe des Krieges viele muslimische Architektursymbole im Rahmen eth-

nischer Säuberungen niedergerissen. Der erste Anhaltspunkt unserer Stadtbesichtigung war

die Wiederaufbaustätte der Ferhadija-Moschee. Einst galt das 1579 erbaute Gotteshaus mit

seinem 43m hohen Minarett als eines der beeindruckendsten Beispiele für osmanische Ar-

chitektur in Bosnien. Im Jahre 1993 wurde sie durch bosnisch-serbische Nationalisten ge-

sprengt und in der Folge durch die Behörden der Republika Srpska abgerissen. Der gesamte

Moscheekomplex wurde zu einem Parkplatz umgebaut. Seit 2001 dauern nun die Wieder-

aufbauarbeiten an, immer wieder begleitet von heftigen Protesten nationalistischer Serben.

Die Reise führte uns weiter in das Kastel von Banja Luka, eines der Wahrzeichen der Stadt,

das am linken Ufer des Flusses Vrbas gelegen ist. Wer das Gebäude errichtet hat, ist histo-

risch ungeklärt, allerdings lässt sich die Existenz dieser Burg in Banja Luka bis in die römi-

sche Zeit nachverfolgen. Wer die Burg heute besucht, findet zwischen den halb zerfallenen

Verteidigungsmauern einen – vor allem bei Regenwetter – etwas trostlos aussehenden

Spielplatz. Im Februar 2012 wurde ein Zuschuss aus der Mittel des Instruments der Heran-

führungshilfe der Europäischen Union (IPA) in Höhe von 2,5 Mio. Euro für die Rekonstruktion

und Revitalisierung der Burg genehmigt. Mehrere NGOs bleiben allerdings skeptisch bezüg-

lich der geplanten Umgestaltung des Kastels. Es wird befürchtet, dass dieser zentrale Treff-

punkt der Stadt und Ort des Zusammenkommens der Bewohner von Banja Luka sowie eine

Freifläche für Künstler und Musiker mit der Rekonstruktion, die unter anderen den Bau eines

Hotels und eines Untergrundparkplatzes vorsieht, zur Kommerzialisierung und Veränderung

des historischen Charakters der Burg führen wird. Deswegen fordern mehrere Vertreter der

Zivilgesellschaft eine öffentliche Debatte und mehr Bürgerbeteiligung bei den Rekonstrukti-

onsplanungen des Kastels.

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Auf dem Weg zurück nach Sarajevo machte die Gruppe einen kurzen Zwischenstopp in der

mittelbosnischen Stadt Travnik, dem Geburtsort des bosnischen Literaturnobelpreisträgers

Ivo Andrić. Travnik wuchs in Bedeutung während der ottomanischen Herrschaft, wurde zu

einem wichtigen Handels- und Diplomatie-Zentrum und zur Residenzstadt der bosnischen

Wesire. Nach dieser Zeit verlor Travnik seine zentrale Stellung.

Auch hier wurden unsere Versuche, die Stadt in einem gemütlichen Spaziergang zu erkun-

den, von einem Wolkenbruch vereitelt. Mehrere BosnonautInnen konnten allerdings in dem

kleinen, gemütlichen Cafe Lajpcig (Leipzig ist übrigens die Partnerstadt von Travnik) einen

sicheren und trockenen Hafen finden. Sie wurden trotz Überstrapazierens der räumlichen

Kapazitäten mit viel Gastfreundschaft empfangen und konnten bei leckerem Kaffee und Ku-

chen ihr nächstes „window of opportunity“ Richtung Reisebus abwarten. Andere versuchten

sich durch den Regenvorhang in die „Bunte Moschee“ Travniks zu retten. Während die

durchnässten Schuhe auf der kleinen Veranda warten mussten, konnten sich unsere Füße

auf den weichen Teppichen des Gebetsraumes etwas aufwärmen.

Am späten Nachmittag in Sarajevo angekommen, ließ die Gruppe den Abend gemütlich bei

Wohnzimmergesprächen, Film und russischer Gitarrenmusik ausklingen. Wer sich etwas

später schlafen legte, konnte beim Blick aus dem Fenster Zeuge einer kleinen Sensation

werden: Sind wir an den heißen Vortagen noch mariniert in Sonnencreme von einem schatti-

gen Winkel in den nächsten geflüchtet, fielen nun plötzlich dicke Schneeflocken und verwan-

delten unsere Nachbarschaft in eine frühsommerliche Weihnachtslandschaft.

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Heinrich Böll Stiftung & Sarajevo Open Centre

14. Mai 2012

von Christian Beck & Wenke Henschel

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Krieg & Kultur

15. Mai 2012

von Susanne Schwarz & Christian Diemer

Während unserer Vorbereitungen zur Reise hat sich verschiedentlich gezeigt, dass gerade

Veteranenverbände eine wichtige Rolle in der politischen Kultur des Landes spielen. Wir

luden das CENTRU ZA NENASILNU AKCIJU (Center for nonviolant action, CNA)

http://nenasilje.org/o-nama ein, um mehr darüber zu erfahren. CNA ist eine Nichtregierungs-

organisation, die durch verschiedene Veranstaltungen eine Kultur des Dialogs und der Ge-

waltlosigkeit im ehemaligen Jugoslawien fördert und so einen aktiven Beitrag zur Versöh-

nung leistet. Ohne eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte gibt es keine Zu-

kunft, so die Überzeugung von CNA. Neben einem kurzen Abriss über das Selbstverständnis

der Organisation stellten uns Sandra Khusrawi und ihre Kollege Adnan Hasanbegović ihre

Arbeit mit Kriegsveteranen vor. In speziellen Trainings für ehemalige Kämpfer reflektieren

diese ihr eigenes Handeln und setzen sich intensiv mit der Sichtweise der Kriegsopfer ausei-

nander. Über ein solches Training ist ein beeindruckender Film entstanden, in dem die Vete-

ranen selbst zu Wort kommen und schildern, was in ihnen vorgeht. Der schmerzlichste Punkt

des Trainings ist eine Reise zu Orten, an denen Kriegsverbrechen begangen wurden. Der

Wunsch nach Frieden und einer besseren Zukunft für die junge Generation lässt trotz aller

Herausforderungen Hoffnung aufkommen. Das Gespräch mit Sandra und Adnan war durch

die Interviewsequenzen der Veteranen sehr anschaulich und hat einen Eindruck von der

Bedeutung des CNA geben.

Am Nachmittag teilte sich die

Gruppe dann auf. Einige besuch-

ten die Ausstellung des Histori-

schen Museums über die Belage-

rung Sarajewos. Der größere Teil

der Gruppe besuchte das Goe-

the-Institut der Stadt (s. u.).

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Von April 1992 an belagerte die bosnisch-serbische Armee fast vier Jahre lang die Stadt.

Während dieser Zeit verloren mehr als 11.000 Menschen ihr Leben, tausende wurden ver-

wundet und vertrieben. An all die damit verbundenen Schmerzen, Ängste und Entbehrungen

erinnert die kleine Ausstellung im Museum der Belagerung Sarajevos. Das Gebäude liegt

dicht an der so genannten „Sniper Ally“, wo Scharfschützen von den Hügeln aus das Stadt-

zentrum beschossen. Der kleine Flachbau erweckt den Eindruck als sei er in der Belagerung

arg in Mitleidenschaft gezogen worden und seither nicht renoviert worden. Wasser tropft

durch die Decken, Fenster sind kaputt, Kälte dringt in die Räume und der Fußboden ist stel-

lenweise löchrig. Kurzum, der passende Ort für eine Zeitreise in die frühen 1990er Jahre. Die

Ausstellung vereint persönliche Gegenstände, Zeitungsartikel, Bilder und vieles mehr zu ei-

ner Hommage an den Durchhaltewillen der Bürgerinnen und Bürger Sarajewos. Dabei ver-

zichtet die Ausstellung im Großen und Ganzen auf erläuternde Texte. Dem Besucher wird so

der beklemmende Eindruck der belagerten Stadt vermittelt.

Das Goethe-Institut liegt etwas außerhalb des Stadtzentrums am die Innenstadt durchque-

renden Fluss Miljacka in einem eher unscheinbaren Gebäude. Bei Ankunft unserer kleinen

Delegation fiel eine große Gruppe zumeist junger Bosnier auf, die vor dem Gebäude auf Ein-

lass warteten, wegen am selben Tag stattfindender Sprachprüfungen. Das personelle Auf-

gebot des Goethe-Instituts ist ebenfalls stattlich: neben dem stellvertretenden Institutsdirek-

tor, Dr. Heinrich Stricker, stehen noch zahlreiche einheimische MitarbeiterInnen aus unter-

schiedlichen Sparten für Auskünfte zur Verfügung.

Angesichts der draußen Wartenden erstaunt nicht, dass ca. 500–600 Personen pro Semes-

ter das Sprachkurs-Angebot des Instituts wahrnehmen, Kostenpunkt ca. 120 EUR. Die Moti-

vationen, Deutsch zu lernen, seien unterschiedlich. Neben der Rückkehrer-Generation

wachse umgekehrt eine Generation bosnischer „Fernsehkindern“ heran, die allein durch den

Konsum deutschen Fernsehens („RTL und KiKa“) nahezu „perfekt“ deutsch gelernt hätten.

Für nach Deutschland oder Österreich verreisende Mediziner und Krankenpfleger bestehen

spezialisierte Angebote. Darüber hinaus erfolgt über die sog. „Bildungskooperation Deutsch“

eine indirekte Betreuung der ca. 160.000 deutschlernenden Schüler des Landes, jährlich

zehn der insgesamt 600 bosnischen Deutschlehrer können mithilfe des Goethe-Instituts auf

Fortbildungen unterschiedlicher Dauer nach Deutschland geschickt werden.

Durch die historische Verbundenheit mit der k.u.k.-Monarchie sei allgemein die kulturelle

Kluft nicht allzu groß. Haupt-„Konkurrenz“ um Platz zwei bei den Fremdsprachen-Lernenden

(nach Englisch) sei überraschenderweise die Türkei. Ausgestattet mit reichlichen Geldmit-

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teln, ist es dem Yunus Emre Kulturinstitut möglich, u. a. durch kostenlose Türkischbücher in

der Region Türkischlernen sehr attraktiv zu machen. In der Kulturarbeit hingegen sei das

Goethe-Institut gemeinsam mit dem British Council am aktivsten.

Der Termin beim Goethe-Institut erwies sich als einer der wenigen, bei dem das Thema der

Entitäten und Ethnien nicht ständig im Zentrum stand: Für den Deutschunterricht ergäben

sich trotz des segregierten Bildungssystems quasi keine Unterschiede. Das vom Institut mit-

entwickelte Konzept „Kultur der Religionen“ indes, das einen interkonfessionellen Austausch

in der Schule anregen soll, sei nur in Tuzla und Sarajevo angenommen worden.

Kultur aus Deutschland, dabei nicht (nur) deutsche Kultur, nach Bosnien zu bringen und

bosnische Kultur und Kulturträger nach Deutschland, ist neben der Sprachvermittlung Kern-

aufgabe des Goethe-Instituts. Auf die Frage, inwieweit sich in diesem Rahmen ein Beitrag

zur interethnischen Verständigung leisten lasse, wird deutlich, in welch kleinen Schritten ge-

arbeitet werden muss. Auf direkte Ansprache des Problems werde wohlweislich verzichtet,

am ehesten sei eine Brücke durch Sachthemen herzustellen, „auf Deutschlehrer-

Fortbildungen kommen die ganz gut miteinander klar“. Allerdings gebe es Bestrebungen der

Angehörigen Deutschlehrer-Verbandes in der Republika Srpska, sich vom Landesverband

abzuspalten, man vermute, aufgrund Drucks von oben. Jüngst habe man ein Jazztrio aus

einem deutschen, einem französischen und einem bosnischen Musiker eingeladen, das solle

auch zeigen: Deutschen und Franzosen ist es gelungen, ihre Feindschaft beizulegen.

Schließlich gebe es in der Landessprache unzählige deutsche Lehnwörter, Relikt der k.u.k.-

Vergangenheit und des Gastarbeiter-Austauschs, auch dies gesamt-jugoslawische Verbin-

dungen, in denen das Deutsche – so Stricker – durchaus als Vehikel wirken könne.

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Srebrenica – Zwischen Aufbruch und Lähmung

16. Mai 2012

von Markus Hurnik & Felix Brannaschk

Im Juli 1995 endete auf brutalste Art und Weise mitten in Europa in Srebrenica das Leben

von über 8000 Menschen, vorranging Männer und Jungen. Das größte Massaker auf euro-

päischem Boden nach dem 2. Weltkrieg verübt durch bosnische Serben unter ihrem Anfüh-

rer Ratko Mladić fand innerhalb von drei Tagen vor den Augen der internationalen Öffentlich-

keit statt. Knapp 17 Jahre nach dieser Gräueltat besuchen wir die Gedenkstätte Potočari bei

Srebrenica. Von Sarajevo aus fahren wir ca. 3 Stunden durch Täler, über Berge, durch nicht

näher definierbare Vegetation, unterbrochen von einigen Dörfern und Siedlungen in Richtung

Norden nach Srebrenica. Niemand weiß so genau, was einen dort erwartet. Eine touristisch

vermarktete Gedenkstätte, ein Ort der Abschreckung, ein paar Grab- und Gedenksteine, …?

Angekommen in Potočari lässt sich auf den ersten Blick nicht genau ausmachen, um was es

sich nun genau bei der Gedenkstätte handelt. Auf der linken Seite befindet sich ein großer

ehemaliger Fabrikkomplex, wo auch die UN 1995 einen ihrer Stützpunkte hatte. Rechts vom

Bus sieht man über Mauern hinweg tausende von weißen Grabsteinen hervorstechen, au-

ßerdem zwei Militärjeeps mit EU-Flagge, die vor dem Eingang parken. Rechts vom Bus ste-

Jedes Jahr am 11. Juli werden weitere identifizierte Opfer des Massakers von Srebrenica in der Gedenkstätte in Potočari bestattet

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hen zwei entspannt wirkende bosnische Polizisten, die sich nett mit der Dame vom Souvenir-

laden unterhalten. Und dann sind da noch wir, mit unserem weißen Reisebus.

Nach einem ersten kurzen Überblick am Eingangsbereich empfängt uns Hasan Hasanovic.

Hasan hat soeben die Soldaten der EU-Mission verabschiedet und bittet uns nun unter dem

Dach einer Art „Freiluft-Moschee“ auf dem Friedhofsgelände Platz zu nehmen. In den kom-

menden zwei Stunden berichtet uns Hasan detailliert und lebendig über die Ereignisse vor

17 Jahren. Er selbst zählt zu den sehr wenigen männlichen Überlebenden des Massakers.

Auch sein Vater und sein Zwillingsbruder wurden damals umgebracht. Hasan berichtet von

all den furchtbaren Ereignissen in der Stadt, die man auch überall zu lesen bekommt, nur

dass er alles hautnah selbst miterlebt hat: 1992 Kriegsausbruch und Flüchtlingsströme aus

dem Umland nach Srebrenica, 1993 scheinbar sichere UNO-Sicherheitszone, Blauhelmsol-

daten ohne Befugnisse

in der Stadt, 11. Juli

1995 Angriff auf

Srebrenica, Muslime,

die ins UN-Lager

strömen, fehlgeschla-

gene Versuche der

UNO, den Angriff

durch Luftschläge ab-

zuwenden und

schließlich der Ab-

transport der Be-

wohner von Srebrenica durch bosnische Serben, um eines der größten Verbrechen seit dem

II. Weltkrieg zu begehen.

Was uns am meisten zu schaffen macht, ist, dass diese dreitägige fabrikmäßige Tötung vor

den Augen der UN-Soldaten und damit vor den Augen der Weltöffentlichkeit stattfand. Vor

dem UNO-Gelände wurden am 11./12. Juli die Männer und Jungen von ihren Frauen und

Müttern getrennt und auf Lastwagen Richtung Tod verfrachtet. Die Pässe und Ausweißpa-

piere der Menschen wurden verbrannt. Die übrig gebliebenen Frauen wurden wenig später

nach Tuzla auf bosnisches Gebiet gebracht. Innerhalb von wenigen Tagen war Srebrenica

„ethnisch sauber“. Hasan überlebte nur, da er sich wie viele andere auch nach dem Ein-

marsch der Serben in die umliegenden Wälder flüchtete. Drei Tage ohne Schlaf, Essen und

kaum Wasser!

Hasan Hasanovic konnte aus dem belagerten Srebrenica fliehen

Studienreise Bosnien & Herzegowina 10.-21. Mai 2012

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Nach dem Gespräch mit Ha-

san besichtigen wir das

ehemalige Gelände der UNO-

Truppen, wo uns in den ehe-

maligen Fabrikhallen ein Do-

kumentarfilm gezeigt wird.

Anschließend treffen wir un-

sern Dolmetscher und Guide,

der uns zu den „Müttern von

Srebrenica“ bringt. Mit dem

Bus geht es ein kleines Stück

außerhalb des Ortes und auf

einmal ab von der Straße auf

kleine Feldwege und Brücken.

Alles kein Problem für unseren Reisebus, der wie ein außerirdisches Objekt in dieser Umge-

bung gewirkt haben muss. Man fühlt sich in diesem Moment als Tourist etwas fehl am Platz.

Angekommen am Haus, relativ neu und groß, werden wir empfangen und sofort auf zwei

Räume verteilt, wo große Tische eingedeckt sind. Und dann geht es los: Eine Platte mit Es-

sen folgt der nächsten Schüssel gefolgt von wieder einer Platte usw. usw. Irgendwann ist der

Tisch voll, aber unsere Gastgeberin lässt sich davon nicht beirren und bringt munter noch

drei weitere Nachtischteller. Ein echtes Festmahl!

Nach dem Essen versammeln wir uns alle zusammen im großen Wohnzimmer. Drei ältere

Frauen und eine ca. 40-Jährige stehen und sitzen nun vor uns. Es ist schwierig, ins Ge-

spräch zu kommen. Alle der Frauen haben ihre Männer bzw. auch Kinder verloren. Sie wis-

sen zum Teil bis heute nicht, was mit ihnen passiert ist und wo deren Überreste sich befin-

den. Der Schmerz und die Wut auf die Verbrecher schwingen in jedem Satz mit. Was klar

wird ist, dass sich nach dem physischen Genozid nun ein psychischer Genozid vollzieht: Die

bosnisch-serbischen Offiziellen leugnen bis heute das Massaker („Im Krieg gab es auf allen

Seiten Tote.“). Daher gibt es auch keine Mithilfe, noch eventuelle Massengräber ausfindig zu

machen, um Überlebenden die Überreste ihrer ermordeten Männer zu übergeben. Diese

Ungewissheit, gepaart mit mangelhafter Anerkennung des Erlittenen muss furchtbar sein.

Auch 17 Jahre nach dem Genozid konnten noch immer nicht alle Opfer gefunden und identifiziert werden (Foto aus der Gedenkstätte Potočari)

Studienreise Bosnien & Herzegowina 10.-21. Mai 2012

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Die Frauen sind seit 2003 wieder

in Srebrenica, denn erst seit

2001/2002 konnten Muslime zu-

rück in ihre Heimat. Die Stadt ist

bis heute von dem Genozid ge-

zeichnet, die Einwohnerzahl wei-

terhin niedrig und die Wirtschafts-

lage ist alles andere als rosig.

Auch seinen alten Status als Kur-

ort konnte die Stadt nicht halten,

der Massenmord prägt nach wie

vor den Alltag.

Das Gespräch dauert ca. eine

Stunde. Was dabei neben dem Traurigen in Erinnerung bleibt, sind die zwei kleineren Kin-

der, die kreuz und quer durch unsere Gruppe rannten, sämtliche Töne ihres elektrischen

Spielzeugs zum Vorschein brachten und ihre Verwandten auf Trapp hielten. Ein besseres

Bild konnte es wohl nicht geben: das Gespräch über das furchtbare Schicksal der Erwach-

senen und gleichzeitig die Zukunft und Hoffnung durch die Kinder.

Gegen 17.00 Uhr verlassen wir wieder Srebrenica und machen uns erneut auf gen Sarajevo.

Es war sicher der bewegendste Tag der Reise.

Wer über das Thema mehr erfahren möchte, dem empfehlen wir die hervorragende und er-

greifende BBC Dokumentation „A Cry from the Grave“:

www.youtube.com/watch?v=Fliw801iX84

Studienreise Bosnien & Herzegowina 10.-21. Mai 2012

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OSCE & Besichtigung des Parlaments von Bosnien & Herzegowina

17. Mai 2012

von Hannah Schwarz und Richard Döbler

Am Donnerstag besuchten wir mit unserer Truppe in Sarajevo die "Organization for Security

and Co-Operation in Europe: Mission to Bosnia and Herzegovina" (Organisation für Sicher-

heit und Zusammenarbeit in Europa; www.oscebih.org). Pünktlich um 10:00 ging es nach

einem kurzen Security Check los und wir wurden im Konferenzraum von Maja Maricic, die

sich selbst als "Press Assistant, Press and Public Information Unit" vorstellte, und ihren Mit-

arbeitern freundlich empfangen. Maja erläuterte den interessierten Teilnehmern mit einer

Powerpoint Präsentation kurz den Aufgabenbereich und die Geschichte des OSCE, und gab

ein wenig Hintergrundwissen bzgl. des Bezuges zu Bosnien und Herzegowina.

Danach gab Suad Salkic, der seine Position als "National Political Officer, Policy and Plan-

ning Unit" erklärte, einige Einblicke in das Mandat des OSCE, die Vorgeschichte und die

momentane politische Entwicklung vor Ort. Suad bezog sich dabei besonders auf die

Schlussakte von Helsinki von 1975 und die Charta von Paris für ein neues Europa von 1990,

denn mit dem Zusammenbruch der Sowjet-Union war es klar, dass ein blockübergreifendes

internationales Abkommen über die Schaffung einer neuen friedlichen Ordnung in Europa

notwendig ist. Mit dem Abschluss des Abkommens von Dayton 1995 begann dann schließ-

lich auch die Mandatsarbeit des OSCE in Bosnien bzgl. der Umsetzung der politischen und

wirtschaftlichen Ziele.

Danach bekamen wir von Stefania Koskova, "Head of Community Engagement Section,

Human Dimension Departement", einige Einblicke in die Arbeit des OSCE mit den Menschen

vor Ort. Hauptaugenmerk hierbei sind die verschiedenen Probleme mit den Entitäten und

den drei Volksgruppen; den Bosniaken, den Kroaten und den Serben. In diesem Bereich

möchte das OSCE besonders in dem Gebiet der Bürgerrechte, den lokalen Stadtverwaltun-

gen, dem ländlichen Raum, dem Parlament und in der Bildung noch viel erreichen.

Den letzten Teil übernahm dann schließlich Marta Valinas, "Legal Adviser, Human Dimensi-

on Departement", die die rechtlichen Aspekte beleuchtete. Hierunter fallen unter anderem

die Kriegsverbrecherprozesse, die Angelegenheiten der verschiedenen Minderheiten, die

Sicherstellung fairer Wahlen, die Unabhängigkeit der Justiz, Bekämpfung der Korruption und

vieles mehr.

Studienreise Bosnien & Herzegowina 10.-21. Mai 2012

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Anschließend gab es für die Bosnonauten die Möglichkeit Fragen zu stellen, was von einigen

auch rege in Anspruch genommen wurde. Viele der Fragen drehten sich um Jugendarbeit,

Minderheitenrechte, interreligiöse Angelegenheiten sowie Pressefreiheit und Kooperation,

die vom OSCE-Team auch kompetent beantwortet wurden. Gegen 11:30 war die Debatte

beendet und unsere Balkan-Expediteure verabschiedeten sich mit Gastgeschenken aus

Deutschland und machten sich bereit für den Besuch des Parlaments.

Studienreise Bosnien & Herzegowina 10.-21. Mai 2012

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Die Brücke über die Neretva: Ein Besuch in Mostar

18. Mai 2012

von Christiane Barnickel und Sebastian Tomczak

Strahlender Sonnenschein läutete – nach Schnee und Regen der letzten Tage – unsere Aus-

flugs- und Freizeittage ein, mit denen wir die Reise abschließen würden. Frühmorgens schäl-

ten wir uns aus unseren ‚gemütlichen‘ Betten, um per Zug nach Mostar zu fahren. Allein die

Reise (von Mostar ganz zu schweigen) entschädigte für das frühe Aufstehen. An dieser Stel-

le sei ein kurzer Exkurs in das bosnisch-herzegowinische Eisenbahnsystem erlaubt. In Er-

mangelung eines Mehrklassensystems bei der ŽFBH (Željeznice Federacije Bosne i Her-

cegovine), einer der beiden staatlichen Eisenbahngesellschaften, kamen wir in den Genuss,

in einem historischen 1. Klasse-

Waggon aus Beständen der schwe-

dischen Staatsbahn zu reisen; ei-

nem Geschenk Schwedens an den

Staat Bosnien, woran durch eine

kleine Messingtafel erinnert wird.

Dieser Wagen verzückte insbeson-

dere durch seine Holzvertäfelung

sowie die angenehme Beleuchtung

mit nackten, ohne Lampenschirm an

der Wagendecke angebrachten

Glühbirnen. (Ein Ambiente, das aufgrund des Glühbirnenverbotes in der EU, welches sogar

die Einfuhr entsprechender Leuchtmittel durch Verordnung (EG) 245/2009 zur Durchführung

der Richtlinie 2005/32/EG verbieten und folglich strafbar macht, leider nur noch sehr selten in

Westeuropa zu finden ist.) Vor Fahrtantritt empfiehlt es sich, sich mit den örtlichen Beförde-

rungsbedingungen vertraut zu machen. Die wichtigsten Regeln seien hier – ohne Gewähr –

kurz aufgeführt: 1. Das Rauchen ist in den Wagenübergängen erlaubt. 1a) Die Zigarettenkip-

pen sind auszulöschen und durch die dafür vorgesehenen Schlitze auf die Bahngleise zu

entsorgen. 1b) Einheimische dürfen zwecks besserer Belüftung während des Rauchvor-

gangs die Fronttüre des Waggons öffnen; Nicht-Einheimische dürfen dies nicht. 2. Alkohol-

konsum ist erwünscht und wird entsprechend gefördert. Es sollte dabei bevorzugt auf die von

der Servicekraft feilgebotenen Getränke zurückgegriffen werden. Da es hier jedoch zu Lie-

ferengpässen und langen Wartezeiten kommen kann, wird Selbstversorgung ebenfalls gebil-

Studienreise Bosnien & Herzegowina 10.-21. Mai 2012

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ligt. 3. Das Ablegen bestrumpfter Füße auf den Sitz wird mit Geldbußen bis zu 30 KM ge-

ahndet. 4. Diskussionen oder Gespräche mit dem Zugbegleiter sind – wenn überhaupt – nur

aussichtsreich, sofern sie in dessen Muttersprache geführt werden.

Strahlend blauer Himmel und grüne Landschaft auf einer der schönsten Bahnstrecken Europas

Wir fuhren also in diesem charmanten Zug gen Südwesten und genossen den wunderbaren

Ausblick auf Berge, grüne Wälder und strahlendblaue Flüsse. Beeindruckt von der Schönheit

der Umgebung sammelte sich der Fotografie-affine Teil unserer Gruppe an den Fenstern.

Ein Wettbewerb um die besten Schnappschüsse entbrannte und stieß bei so manchem mit-

reisenden Einheimischen wohl auf leichtes Unverständnis. Der weniger enthusiastische Teil

der Gruppe versank derweil in den riesigen Sesseln des Zuges, um ein wenig Schlaf nach-

zuholen. Nach guten drei Stunden Fahrt erreichten wir den Bahnhof von Mostar, wo uns un-

ser Stadtführer Mirko bereits erwartete.

Gemeinsam mit ihm machten wir uns alsbald auf, die Stadt zu erkunden und erfreuten uns

an seinen ausschweifenden Erläuterungen. Das wohl beeindruckendste – und auch bekann-

teste – Monument der Stadt ist die Stari Most, die alte Brücke, welche die beiden Ufer der

Studienreise Bosnien & Herzegowina 10.-21. Mai 2012

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Neretva verbindet. Die 1566 unter ottomanischer Herrschaft errichtete Steinbrücke zählt zum

UNESCO-Weltkulturerbe und besticht durch ihre Konstruktion, die völlig auf Strompfeiler

verzichtet. Für die Stadt erhielt sie besondere Bedeutung, da sie neue Handelswege ermög-

lichte und so zur Prosperität der Stadt beitrug. Neben den Vermächtnissen dieser Epoche

findet sich eine Reihe von Gebäuden, welche die österreichisch-ungarische Herrschaft be-

zeugt als auch solche, deren Architektur an die Sozialistische Föderative Republik Jugosla-

wien erinnert. Ähnlich wie in Sarajevo bietet also auch ein Spaziergang durch Mostar die

Möglichkeit, „im Raume die Zeit zu lesen“ (Karl Schlögel).

Das Wahrzeichen Mostars: Die im Bosnien-Krieg zerstörte und 2004 wieder aufgebaute Brücke über die Neretva

Zurück aber zur Brücke: Um zu ihr zu gelangen, durchschreitet man vom Bahnhof aus zu-

nächst ein Viertel, das architektonisch stark durch die k.u.k-Zeit geprägt wurde – die Gebäu-

de weisen heute leider teils recht große Kriegsschäden auf, wodurch sich unser Stadtführer

zu der Bemerkung hinreißen ließ, sie befänden sich im selben Zustand wie Franz Ferdi-

nand... Im weiteren Verlauf durchquert man den muslimischen Teil mit seiner beeindrucken-

den Moschee. Nach Überquerung der Neretva nähert man sich dem hauptsächlich kroatisch

bewohnten Bereich der Stadt, in dem sich gleichwohl eine Vielzahl an Gotteshäusern ver-

schiedener Religionen finden lässt (laut Mirko gibt es in Mostar Angehörige aller Religionen -

Studienreise Bosnien & Herzegowina 10.-21. Mai 2012

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nur der Buddhist sei letztes Jahr gestorben). Die geografische Nähe zeugt von einem Zu-

sammenleben der Religionen, das wohl seit dem Krieg in dieser Form nicht mehr existiert;

zumindest wurde uns diese ethnische Segregation von mehreren Seiten, sowohl in Mostar

als auch außerhalb, bestätigt. Vor dem Krieg hingegen, so Mirko, sei Mostar eine ethnisch

gemischte und überaus liberale Stadt gewesen.

Im Anschluss daran besichtigten wir weitere Sehenswürdigkeiten der faszinierenden Stadt,

um nach einem stärkenden Mittagessen einen Vertreter des Vereins Abrašević

(www.okcabrasevic.org) zu treffen. In einem

Hinterhof befindet sich ein recht großes Ju-

gend- und Kulturzentrum. Wir sprachen über

das Konzept, das sich bemüht, verschiedenen

Künstlern, Musikern und sonstigen Aktiven

Raum für ihr Engagement zu bieten sowie

über besondere Probleme, die sich bei der

Finanzierung und Ausrichtung der unterschied-

lichsten Veranstaltungen ergeben. Dennoch

scheinen die dort zusammengeschlossenen

Personen durch ihren Esprit einige Hürden zu

überwinden und stellen so eine wertvolle Be-

reicherung für das kulturelle und zivilgesell-

schaftliche Leben der Stadt dar. Denn offen-

sichtlich bietet die Organisation einige Frei-

räume und springt in die Bresche, insbesonde-

re bei kulturellen Angeboten, die von öffentli-

cher Seite nicht bereitgestellt werden. Ethnische Gegensätze, so unser Gesprächspartner,

spielen bei Abrašević überhaupt keine Rolle.

Nach dem Gespräch nutzten einige von uns die verbliebene Zeit, um kleine oder große Ein-

käufe zu erledigen und abends ging es zurück mit dem Zug nach Sarajevo.

Minarett und Kreuz in Mostar – Die Spannungen zwischen den Religionsgemeinschaften dauern an

Studienreise Bosnien & Herzegowina 10.-21. Mai 2012

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Wildwasser-Rafting auf der Neretva

19. Mai 2012

von Christopher Paulsen

Zum Ende unserer Bosnienreise gab es noch einen absoluten Höhepunkt. Die Rafting Tour

auf der Neretva. Bevor es jedoch aufs Wasser ging gab es noch reichlich Stärkung in Form

von unglaublich riesigen Platten mit leckeren gegrillten Köstlichkeiten. Das Essen sollte ne-

ben der Stärkung jedoch noch einen anderen Zweck erfüllen, wie wir beim Anziehen der Ne-

opren Anzüge feststellten. Sie waren alle sehr weit geraten und so hatten nur die kräftigen

unter uns den Vorteil, in den Genuss der isolierenden Wirkung zu kommen. Immerhin hatte

die Neretva deutlich unter zehn Grad Celsius. Wir eröffneten die Rafting-Saison mit der freu-

digen Überraschung, dass wir im Mai noch Schmelzwasser aus den Bergen im Fluss hatten

und die Neretva so an einigen Stellen zur reißenden Bestie wurde. Diese Bestie krallte sich

bei einem besonders heftigen Ritt eines unserer Boote und brachte dieses zum Kentern.

Zum Glück wurde niemand verletzt, das Essen konnten wir wieder einfangen, die Bilder ret-

ten und nach einer Pause guckte die Kenter-Mannschaft schon wieder viel zuversichtlicher

aus der Wäsche. Neben den Stromschnellen war auch die Landschaft atemberaubend. Wir

paddelten durch die Schluchten, die der Fluss mit seiner enormen Kraft in den Felsen gegra-

ben hat. Wir bewunderten die Felswände, die kleinen Wasserfälle, die Flora, die Fauna und

die traumhaft schönen kleinen Stände.

Studienreise Bosnien & Herzegowina 10.-21. Mai 2012

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Die SpaziergängerInnen von Sarajevo

20. Mai 2012

von Enrico Kreft

Und so rasch geht ein beinahe zweiwöchiger Bosnienaufenthalt vorüber. Nur die Flüsse Ne-

retva, Zeljeznica, Vrbas oder Bosna haben eine höhere Fließgeschwindigkeit als die vergan-

gene Zeit. Diesen letzten Sonntag verbrachten wir ruhig, denn das anstrengende Programm

mit einer abenteuerlichen Bahnfahrt nach Mostar, einem aufschlussreichen Gespräch bei der

OSCE, einem politischem Aufenthalt in Banja Luka, einer verstörenden Besichtigung von

Sebrenica, einem nicht ungefährlichem Rafting oder reichlich interessanten Informationen

über die Arbeit politischer Stiftungen, diversen Eindrücken und jeder Menge mal mehr mal

weniger schmackhaften Cevapcici (er-)füllten uns.

Zudem begleiteten uns sehr wechselhafte Wetterlagen: Hochsommer, Winter, Herbst und

zum Schluss wieder Sommer, so dass viele von uns ganz im Sinne Friedrich Schillers ihren

Sonntag mit einem Spaziergang zur Vrelo Bosne begonnen. In diesem öffentlichen weitläufi-

gen Park direkt am Fuße des Igmans gelegen entspringt der Fluss Bosna, nach dem ein Teil

des Landes benannt ist.

Wir waren natürlich nicht allein dort, denn die Bürgerinnen und Bürger Sarajevos nutzten im

Kreise ihrer Familie den Sonntag ebenfalls zu einem Ausflug, um dort zu flanieren, zu pickni-

cken, zu spielen, zu toben, zu lesen oder einfach zu entspannen. Dieser sonntägliche Aus-

flug ist bei bosnischen Familien sehr beliebt; und wer es eilig hat, nutzt einen der zahlreichen

Fiaker, die am Eingang des Parks warten. So wird man nicht nur rasch zur Quelle transpor-

tiert, sondern vermeidet galant in Pferdemist zu treten. Im Winter wird der Berg Igman gern

zum Skifahren genutzt; sind doch einige Anlagen, die noch anlässlich der Olympischen Win-

terspiele Anfang der 80er gebaut worden sind, wieder in Betrieb.

Einige wollten noch dem ein oder anderen Schnäppchen wie einer Kaffeemühle oder viel-

leicht noch weiteren Glühbirnen hinterherjagen - ja, die (nicht alle, aber ein paar) Geschäfte

sind in Bosnien-Herzegowina auch sonntags geöffnet. Andere statteten dem Tunnelmuseum

in der Nähe des Flughafens Sarajevo einen Besuch ab. Während der Belagerung Sarajevos

konnten über diesen Tunnel die Bewohner mit dem Nötigsten heimlich versorgt werden.

Studienreise Bosnien & Herzegowina 10.-21. Mai 2012

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Abends ließen einige ihren Aufenthalt noch in der Stadt ausklingen. Andere wiederum gingen

nach Ilidza, um sich an die Zeljeznica mit Pivo sowie ein paar Snacks zu setzen - vor einigen

Tagen noch lernten wir Ilidza, das seit der römischen Zeit als Kurort bekannt ist, wegen sei-

ner Thermalquelle sehr schätzen. Extreme Lagen gehören wohl zu diesem wundersamen

Land.