Stufenweise Meditationsfolge Über Leerheit Khenpo Tsultrim Gyamtso

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  • Stufenweise Meditationsfolge ber Leerheit

    Von Khenpo Tsltrim Gyamtso Rinpoche.

    1994 Kagy-Dharma Verlag

    ISBN 3-89233-016-6

    Titel der englischen Ausgabe:

    Progressive Stages of Meditation on Emptiness

    Khenpo Tsltrim Gyamtso und Shenpen Hookham

    Bild der englischen Ausgabe

    Bearbeitet 2004 by David Lehmann

  • Inhalt

    Vorwort........................................................................................................................ 1 - Einfhrung...................................................................................................................- 3 - Drei Stufen in der Entwicklung von Erkenntnis........................................................- 3 - Drei Gebiete der Untersuchung...............................................................................- 3 - Drei Wege des Beseitigens von Zweifel...................................................................- 4 - Drei Texte als Grundlage.........................................................................................- 4 - Die Wichtigkeit der relativen Wahrheit.....................................................................- 5 - Absolute Wahrheit....................................................................................................- 6 - Stufenweise Meditationserfolge ber Leerheit.........................................................- 6 - Erstes Stadium: Shravaka...........................................................................................- 8 - Shravaka-Meditation ber die Abwesenheit eines Selbst........................................- 8 - Traumbeispiel........................................................................................................- 11 - Untersuchungsmethoden.......................................................................................- 12 - Fnf Aggregate......................................................................................................- 15 - 1. Aggregat der Form.............................................................................................- 15 - 2. Aggregat der Empfindung..................................................................................- 16 - 3. Aggregat des unterscheidenden Erkennens......................................................- 17 - 4. Aggregat der Geistesfaktoren............................................................................- 18 - 5. Aggregat der Primrbewusstseinsarten.............................................................- 21 - Endanalyse............................................................................................................- 24 - Ergebnis der Shravaka-bung...............................................................................- 25 - Meditationsverlauf..................................................................................................- 26 - Zweites Stadium: Chittamatra....................................................................................- 30 - Methode des Chittamatra.......................................................................................- 30 - Traumbeispiel........................................................................................................- 33 - Subjektive Natur der Zeit........................................................................................- 35 - Fehlende bereinstimmung...................................................................................- 36 - Lehrmeinung des Chittamatra................................................................................- 36 - Ergebnis des Chittamatra.......................................................................................- 42 - Untersuchungsmethoden.......................................................................................- 43 - Meditationsverlauf..................................................................................................- 44 - Drittes Stadium: Svatantrika-Madhyamaka................................................................- 46 - Methode des Svatantrika-Madhyamaka.................................................................- 46 - Traumbeispiel........................................................................................................- 50 - Untersuchungsmethoden.......................................................................................- 51 - Meditationsverlauf..................................................................................................- 54 - Viertes Stadium: Prasangika-Madhyamaka...............................................................- 57 - Methode des Prasangika-Madhyamaka.................................................................- 57 - Traumbeispiel........................................................................................................- 58 - Untersuchungsmethoden.......................................................................................- 60 - Grundlage, Weg und Ergebnis...............................................................................- 63 - Meditationsverlauf..................................................................................................- 63 - Fnftes Stadium: Madhyamaka Shentong.................................................................- 65 - Methode des Madhyamaka Shentong...................................................................- 65 - Absicht hinter der Unterweisung des Tathagata-Garbha.......................................- 68 -

  • Grundlage, Weg und Ergebnis...............................................................................- 69 - Lehre des Ratnagotra Vibhaga..............................................................................- 69 - Lehre des Mahayana-Sutralamkara.......................................................................- 71 - Lehre des Madhyanta-Vibhaga..............................................................................- 71 - I. Drei Seinsweisen.............................................................................................- 71 - II. Drei Arten der Leerheit...................................................................................- 72 - III. Drei Arten der Wesenlosigkeit.......................................................................- 73 - Begriffsloser Weisheitsgeist...................................................................................- 74 - Traumbeispiel........................................................................................................- 75 - Untersuchungsmethoden.......................................................................................- 75 - Meditationsverlauf..................................................................................................- 76 - Schlusswort...............................................................................................................- 77 -

  • Vorwort

    Zur englischen Ausgabe:

    Der Ehrwrdige Abt Khenpo Tsltrim Gyamtso folgte im Jahre 1977 der Bitte S.H. des 16. Karmapa, in Europa zu lehren. Innerhalb der Karma-Kagy-Schule zhlt er zu den Gelehrten mit dem profundesten Wissen und zu den aussergewhnlich verwirklichten Yogis. Er ist besonders angesehen fr die Weite seiner Sicht und die Klarheit seiner Dharma-Auslegungen.

    Im Jahr 1978 unterrichtete er in Europa die stufenweise Meditationsfolge ber Leerheit, und im Laufe der darauf folgenden Jahre lehrte er dieses Thema wiederholte Male bei mehreren Gelegenheiten in verschiedenen Lndern, unter anderem 1985 in Amerika. Er hatte mich im Jahr 1979 gebeten, seine Belehrungen, die er in jenem Jahr den Schlern des Kagypa-Institutes fr Mahayana-Studien (tib.: Kagy Tekchen Shedra) in Brssel gegeben hatte, in ein Buch zu fassen. Da die Umstnde mich zwangen, das Buch sehr schnell herzustellen, wurde es in vielerlei Hinsicht unzulnglich. Dennoch wurde es gut aufgenommen und unmittelbar in Franzsisch und Griechisch bersetzt. Der franzsische bersetzer Jerome Edou hatte durch Rcksprachen mit Khenpo Tsltrim Gyamtso Rinpoche die Mglichkeit, mehrere Punkte im Buch zu erweitern. Diese sind in der zweiten Ausgabe der englischen Version enthalten. Nach mehreren Jahren, die seit der ersten Ausgabe verstrichen sind, hat mir Khenpo Tsltrim Gyamtso Rinpoche zahlreiche Fragen beantwortet und mich gebeten, die Erklrungen in diese Ausgabe aufzunehmen. Ebenfalls sind mit seiner Erlaubnis einige Punkte enthalten, die in den Diskussionen zwischen mir, meinem Mann Michael Hookham und Khenpo Tsltrim Gyamtso Rinpoche in Brssel und Oxford 1984 und 1985 entstanden sind.

    Der vorliegende Text stellt aus diesen Grnden eine berarbeitete und erweiterte Fassung des ursprnglich transliterierten Seminars dar. Der ganze Text wurde umgeschrieben und anders gegliedert, um an geeigneten Textstellen das neue Material aufnehmen zu knnen, ohne dabei den Lesefluss zu stren. Ich hoffe, dass es mir in dieser Weise geglckt ist, in einer lesbaren Form alle Punkte der Belehrungen Khenpo Tsltrim Gyamtso Rinpoches klar und fehlerfrei wiederzugeben.

    Zustzlich wurden auch Diskussionen ber bliche westliche Ansichten eingearbeitet. Ich stellte fest, dass einige intelligente und auffassungsfhige Korrekturleser Schwierigkeiten hatten, eine Beziehung zum Thema herzustellen, weil sie sich - vom westlichen Denken geprgt - eine falsche Auffassung von Khenpo Tsltrim Gyamtso Rinpoches Aussagen bildeten. Da ich erlebt habe, dass derartige Fragestellungen oft an ihn gerichtet werden, habe ich versucht, Missverstndnisse zu umgehen, indem ich diese Fragen formuliert habe und aufzeige, in welchem Bezug sie zum Thema stehen. Im allgemeinen stellen die Textstellen, in denen auf die Perspektive westlicher Leute hingewiesen wird, meine eigenen Hinzufgungen dar.

  • Weiter sei erwhnt, dass in dieser Prsentation Khenpo Tsltrim Gyamtso Rinpoches viel vom Inhalt des Textes "Enzyklopdie des Wissens" (tib.: Shes bya kun khyab) stammt. Dessen Verfasser, Jamgn Kongtrul, war ein bedeutender Lehrer der Kagy-

  • Schule im spten 19. Jahrhundert. Er ist berhmt fr seine Bemhungen, Tendenzen zur sektiererischen Isolierung in den tibetisch-buddhistischen Schulen durch Herausstellung der allen Schulen gemeinsamen Grundlagen und Praktiken entgegenzuwirken.

    Shenpen Hookham

    Oxford, Mai 1986

    Zur bersetzerin:

    Bevor Shenpen Hookham dem Ehrwrdigen Khenpo Tsltrim Gyamtso Rinpoche im Jahre 1977 begegnete, hatte sie bereits 10 Jahre lang unter der Leitung von Kagy- Lamas studiert und praktiziert. Unter seiner Leitung widmete sie sich dann fr 9 Jahre dem Studium und wurde Mitglied der Kagy Tekchen Shedra (die 1978 von ihm gegrndet wurde). Von 1979-86 arbeitete sie an der Universitt in Oxford an einer Doktorarbeit, die sich mit der Lehre des Tathagata-Garbha, entsprechend der Shentong- Interpretation des Textes "Ratnagotravibhaga", beschftigt und die als Buch mit dem Titel "The Buddha within erschienen ist.

    Zur deutschen bersetzung:

    Khenpo Tsltrim Gyamtso Rinpoche hat whrend der Jahre seit der Herausgabe der englischen Version das Thema dieses Buches anhand von zahlreichen Texten und in gereimten Versen im Detail als auch in zusammengefassten Darstellungen erklrt. Vieles knnte davon in dieses Buch mit einbezogen werden. Doch da die Idee dieses Buches, eine kurze Prsentation der stufenweisen Praktiken und Lehren ber shunyatha (Leerheit) beibehalten werden soll, wurden in der deutschen bersetzung lediglich essentielle Dinge hinzugefgt. Auch wurden einige Textstellen nochmals mit ihm besprochen und mit seiner Erlaubnis sowohl Text- und Worterklrungen als auch Fussnoten hinzugefgt und abgendert. Darber hinaus bat er, die Erklrung des klishta-manah (der mit Strfaktoren verblendete Geist) korrekt wiederzugeben und den englischen Text auf Unklarheiten hin nochmals genau durchzuarbeiten. Da von ihm mehrfach betont wurde, dass es detaillierter Angaben bedarf, um erfolgreich ber die fnf skandhas (Aggregate) meditieren zu knnen, wurden diesem Kapitel zustzliche Erklrungen beigefgt.

  • Whrend eines lngeren Aufenthaltes in Deutschland wurden kritische Textstellen der englischen Fassung mit dem Gelehrten Khenpo Chdrak Tenpel Rinpoche, der am Nalanda-lnstitut fr hhere buddhistische Studien in Rumtek/Sikkim unterrichtet, eingehend diskutiert. Seine Erklrungen wurden der deutschen bersetzung in der Hoffnung einverleibt, zum Verstndnis des Themas beizutragen.

  • Einfhrung

    Der tibetische Begriff tong nyi gom rim (transliteriert: stong nyid sgom rim) bedeutet in etwa: stufenweise Meditationsfolge ber Leerheit. Das Ziel einer Reihe meditativer bungen ber einen speziellen Aspekt der Lehren Buddha Shakyamunis liegt darin, zunchst mit gewhnlichem, nur grob unterscheidendem Verstand Entwicklungsstufen zu durchlaufen, die zunehmend subtiler und geluterter werden, um schliesslich zu einer vollstndigen und vollkommenen Einsicht vorzudringen. Jede Entwicklungsstufe bereitet wiederum den Geist fr die nchste vor, indem jeder Schritt durch Kontemplation voll in das eigene Verstndnis integriert wird.

    Drei Stufen in der Entwicklung von Erkenntnis

    In der Entwicklung von Erkenntnis ist Meditation als die letzte der drei Entwicklungsstufen anzusehen.

    Die erste Stufe schliesst das interessierte Zuhren oder das Studieren der buddhistischen Lehre ein; dies sollte mit einem offenen und aufnahmebereiten Geist geschehen, der das, was gehrt oder studiert wurde, unverflscht aufnimmt. Die zweite Stufe umfasst den Verlauf der Reflexion; sorgfltig denkt man ber das Vermittelte nach, um die wahre Bedeutung der Aussage zu erhellen. Innerhalb der dritten Phase, und zwar der der Meditation, wird das neu erworbene Wissen in das eigene Sein oder in den Charakter integriert.

    In gewisser Hinsicht ist man bei der Meditation um eine Umsetzung der erworbenen Erkenntnis bemht. Diese Erklrung entspricht dem tibetischen Wort gom (sgom), das in westlichen Sprachen meist als "Meditation" bersetzt wird. Sich in Meditation zu ben bedeutet nicht, dass man diese eines Tages vervollkommnet hat und nun imstande ist, eine perfekte Vorfhrung zu geben. Meditation ist Ausbung mehr im Sinne tatschlichen Tuns oder Seins im Gegensatz zum blossen Nachdenken.

    Drei Gebiete der Untersuchung

    Das gesamte buddhistische Lehrgebude gliedert sich in dieses dreifache Training von Lernen, Nachdenken und Meditation. Whrend sich buddhistische Schriftgelehrte konzentrativ dem Studium der Lehrmeinung Buddhas widmen, erlernen die Logiker konkrete, gltige Methoden der Erkenntnis und der Beweisfhrung - die Werkzeuge fr die Reflexion und fr die Kenntnis des Unterschiedes zwischen Wahrem und Falschem. Dieses Bemhen stimmt mit der Stufe der Reflexion berein. Yogis oder Meditierende sind diejenigen, die durch Lernen und Nachdenken das, was den Tatsachen entspricht, festgestellt haben und die nunmehr damit beschftigt sind, sich in der Kunst des Aufgebens ihrer Verblendung zu ben. Mittels logischer Beweisfhrung zu bestimmen, was wahr sein muss, ist eine Sache, doch die Welt auch tatschlich in dieser Weise zu sehen ist eine andere.

  • Wenn man sich in diesen drei Praktiken bt und die eine benutzt, um die andere zu verstrken, werden die Nebel der Verwirrung und die Wolken der Unkenntnis

  • schwinden. Kenntnis und Einsicht knnen dann ungehindert strahlen, wie die Sonne, die den Dunst der Morgendmmerung durchbricht.

    Drei Wege des Beseitigens von Zweifel

    Eine Person, die sich im Stadium des Lernens befindet, sollte Buddha Shakyamunis Aussagen in den Sutras und in den Kommentaren studieren und sich dabei den Erklrungen qualifizierter Lehrer, die die eigenen Zweifel klren knnen, anvertrauen.

    Im Stadium der Reflexion wird man weiterhin auf Gebiete stossen, die der Klrung bedrfen; die Anleitung durch einen Lehrer wird noch einmal notwendig sein. Wenn man intensiv ber die buddhistische Lehre nachdenkt, knnen hin und wieder erneute Bedenken entstehen. Dieser Vorgang muss solange wiederholt werden, bis man eine Gewissheit ber den Sinn und die Bedeutsamkeit des Gelehrten erlangt hat, was schwierig zu erreichen sein kann. Mit einer derartigen Sicherheit oder Vertrauen wird man imstande sein, mit dem Meditieren zu beginnen. Die Meditation dient der Einbung von Sichtweisen. Treten dabei erneut Zweifel und Verunsicherungen auf, sollte man sich wiederum dem Vorgang des Lernens und Nachdenkens zuwenden.

    Sobald alle Bedenken zerstreut sind, erfhrt man unmittelbar die wahre Bedeutung des Gelehrten, so dass sich die eigene Meditation stabilisiert - frei von Unschlssigkeit und Verunsicherung.

    Obwohl sich die Menschen darin unterscheiden, wieviel Zeit sie fr jedes Studium bentigen, so braucht jeder alle Stadien des Prozesses, um Befreiung zu erlangen. Meditation, ohne je den Unterweisungen aufmerksam gefolgt zu sein und ohne tief darber nachgedacht zu haben, ist blind. Studieren und Nachdenken ohne Meditation gleicht dem Zustand, Augen, aber keine Beine zu besitzen.

    Drei Texte als Grundlage

    Jeder Entwicklungsstufe liegen buddhistische Schriften zugrunde. Der tibetische Text "Juwelenschmuck der Befreiung" (tib.: Drags po thar gyan) von Gampopa (1079-1153, Grnder der monastischen Tradition der Kagy.pa) erklrt zum Beispiel die Wege und Stufen eines Bodhisattvas (skr., bodhi, Erleuchtung, sattva, Wesen) entsprechend den Mahayana-Sutras. Dieser Text, der von zahllosen Aspekten der relativen Wahrheit oder Wirklichkeit berichtet, wie karma (skr.: Handlung), Unbestndigkeit, Liebe und Mitgefhl, entspricht dem Stadium des Studierens. Anhand dieses Textes kann man durch systematisches Nachdenken eine stufenweise Meditationsfolge durchfhren. So kann man durch das Studieren dieses Textes ber den relativen Wahrheitsgehalt der Dinge ernsthaft nachdenken und darber meditieren.

    Der von Chandrakirti (8. Jh.), einem bedeutenden Vertreter der "Philosophie des Mittleren Weges" verfasste Text "Madhyamakavatara" (tib.:dBu ma la 'jug pa, Eintritt in den Mittleren Weg) beinhaltet eine logische Darstellung ber die uneingeschrnkt

  • gltige Wahrheit der Leerheit. Nach dem Studium dieses Textes kann man ber die absolute Wahrheit nachdenken und darber meditieren. Dieses Buch "Stufenweise Meditationsfolge ber Leerheit" ist mit der Absicht geschrieben worden, die Entwicklung der absoluten Leerheitserkenntnis des Meditierenden zu frdern.

  • Der Text "Mahayana-Uttara-Tantra-Shastra" (auch unter dem Sanskrit-Titel "Ratnagotravibhaga" bekannt; tib.: 'rGyudbla. ma'. Hchste Kontinuitt) geht zurck auf Maitreya (skr., "der Liebevolle", der fnfte, zuknftige Buddha dieses Zeitalters) . Er fhrt den Meditierenden in die Lehre ber tathagata-garbha (skr.. Buddhanatur) ein, die sich mit der Klaren-Licht-Natur des Geistes befasst.

    Dieser Text unterstreicht, dass man sein eigenes wahres Wesen unmittelbar erfahren haben muss, um die letztendliche Verwirklichung eines Buddhas (skr., der Erwachte) zu erreichen, ohne dass sich der mit Begriffen operierende Verstand darum bemht, von der Verblendung frei zu kommen oder einen erleuchteten Zustand herbeizufhren. Dieser Text lehrt, dass man die vollstndige Befreiung solange noch nicht erreicht hat, wie das volle Ausmass der Krfte des "erleuchteten Geistes" noch nicht Bestandteil der eigenen Erfahrung geworden ist. Dieses ist eine subtilere Unterweisung als die, die lediglich aufzeigt, dass alle Phnomene leer von einer Eigennatur sind. Sie sollte im Anschluss an die stufenweise Meditationsfolge ber Leerheit, die in diesem Buch in groben Zgen dargestellt wird, studiert und angewandt werden.

    Die Lehre ber Tathagata-Garbha, die im Text "Mahayana-Uttara-Tantra-Shastra" im berblick wiedergegeben wird, bildet die Grundlage sowohl fr das Verstehen als auch fr die Ausbung der Lehren des Vajrayana (mit "Vajra" ist etwas gemeint, das nicht zerstrbar ist; "Vajra-Fahrzeug", eine Schulrichtung des Buddhismus, die sich innerhalb des Mahayana-Buddhismus entwickelte) und insbesondere der Mahamudra-Lehre (wrtl.: "Grosses Siegel", eine der hchsten Lehren des Vajrayana). Diese Unterweisungen setzen voraus, dass der Praktizierende die vielfltigen Aspekte der relativen Wahrheit und die leere Natur aller Erscheinungen (skr.: dharma, tib.: chos) bereits verstanden hat und somit bereit ist, in der Klaren-Licht-Natur des Geistes, einfach wie sie ist, hier und jetzt, entspannt zu verweilen, wobei er alle Erlebnisse benutzt, um das gewonnene Verstndnis mehr und mehr zu erhellen.

    Die Wichtigkeit der relativen Wahrheit

    (skr.: samvrtisatya, tib.: km rdzob bdenpa)

    Das zuvor Erklrte macht deutlich, dass man als Vorbereitung zur stufenweisen Meditationsfolge ber Leerheit den "Juwelenschmuck der Befreiung" oder einen hnlichen Text studieren, darber grndlich nachdenken und meditieren sollte.

    Ohne die vielzhligen Aspekte der relativen Wahrheit oder Wirklichkeit richtig begriffen zu haben, kann Meditation ber Leerheit irrefhrend und sogar gefhrlich sein.

    Obwohl Verstndnis schnell entstehen mag, baut sich Stabilitt jedoch nur langsam auf. Die relative Wahrheit verhilft uns zu einer Sichtweise in Bezug auf das Leben und die Welt. Whrend diese mit unseren gewhnlichen Vorstellungen von Raum und Zeit bereinstimmt, ist sie uns fr das Erlangen des vollkommen erwachten Zustandes, der jenseits von diesen liegt, dienlich.

  • Die relative Wahrheit bildet die Grundlage der gesamten Unterweisungen Buddhas, da sie ein richtiges Verstndnis darber vermittelt, was aufzugeben und was zu kultivieren ist. Indem man negative Handlungen aufgibt und heilsame kultiviert, schafft man die notwendigen Bedingungen, damit Studieren, Reflektieren und Meditieren fruchtbar

  • werden. Auf diese Art und Weise, nmlich durch Beachten der relativen Wahrheit, kann die hchste, uneingeschrnkt gltige Wahrheit oder Wirklichkeit verwirklicht werden.

    Absolute Wahrheit

    (skr.: paramarthasatya, tib.: don dam bdenpa)

    Im Buddhismus bedeutet "absolute Wahrheit" oder "absolute Wirklichkeit" den Schlusspunkt der eigenen Analyse, in anderen Worten: das grundlegendste Element der Existenz oder Erfahrung.

    Als Beispiel mag ein Tontopf dienen. Ein Tpfer wrde ihn absolut gesehen als Ton bezeichnen, aber ein Wissenschaftler als eine Anhufung von Atomen. Prziser jedoch wrde er sagen, selbst die Atome bestnden aus subatomaren Teilchen, die sich im Raum bewegen. Doch auch dies wre lediglich eine grobe Annherung an die Wirklichkeit. Heutzutage knnen Atomteilchen nicht mehr przise festgelegt werden. Sie knnen nicht als dies oder das, als hier oder dort bestimmt werden; man muss sie in Wahrscheinlichkeitsbegriffen ausdrcken. Zweifellos werden sie von Wissenschaftlern im Laufe der Zeit wieder anders benannt werden.

    Auf die gleiche Art stellt sich die absolute Wahrheit den Praktizierenden in den verschiedenen Stadien ihrer bung jeweils anders dar. Genauso wie sich die absolute Wahrheit in der Erfahrung eines individuell Praktizierenden offenbart, geschieht dies historisch in der Weise, dass die buddhistischen Schriften als eine Abfolge zunehmend subtilerer Lehren auftreten.

    Stufenweise Meditationserfolge ber Leerheit

    In diesem Buch werden die Schlsselstadien buddhistischer Erfahrung ber Leerheitserkenntnis in fnf Stufen eingeteilt:

    1. Shravaka-Stadium 2. Chittamatra-Stadium 3. Svatantrika-Madhyamaka-Stadium 4. Prasangika-Madhyamaka-Stadium 5. Shentong-Madhyamaka-Stadium

    Diese Stadien werden zwar nach den buddhistischen philosophischen Schulen, die diese formulierten, benannt, aber tatschlich reprsentieren sie die Entwicklungsstufen eines Individuums im Verstehen der Leerheit.

  • Wir sind hier nicht daran interessiert, in scholastische und philosophische Debatten darber verwickelt zu werden, wie genau eine jede Schule ihr System im Detail ausgearbeitet hat. Wesentlich ist, dass diese Stadien fnf unmittelbar zu erkennende Etappen darstellen, die - ausgehend von einer groben Einsicht - zu zunehmend subtileren Verstndnisebenen fortschreiten.

    Im Allgemeinen sollte einem Praktizierenden eine Belehrung gegeben werden, die seiner Intelligenz und seiner Verstndnisebene entspricht. Mit Ausnahme von einzelnen, ausgesprochen begabten Praktizierenden, knnen die meisten Menschen nicht sofort

  • die usserst subtilen und tiefgrndigen Belehrungen begreifen und sich darin schulen. Stattdessen mssen sie durch eine Serie von Stufen fortschreiten und mit den grundlegendsten Lehren anfangen, genauso wie man mit der ersten Schulklasse beginnt und sich von dieser ausgehend stufenweise emporarbeitet. Am Beispiel eines komplexen technischen Gegenstandes kann man sich klarmachen, dass niemand erwarten wrde, die von Experten diskutierten Feinheiten verstehen zu knnen, ohne die Grundprinzipien studiert zu haben. Ebenso ist es sehr unwahrscheinlich, dass eine Person zu einem genauen Verstndnis der usserst tiefgrndigen Unterweisungen Buddhas gelangen kann, ohne durch die fortschreitenden Stufen der Belehrungen gegangen zu sein, die zu dieser Erkenntnis hinfhren. Man kann sich die stufenweise Meditationsfolge ber Leerheit als Stadien im Prozess der Gewinnung von Gold aus Erz vorstellen. Am Ausgangspunkt des Prozesses steht zuerst eine sehr grobe Bearbeitung, die nichtsdestoweniger sehr effektiv ist, woraufhin zunehmend feinere folgen, bis schliesslich das vollstndig gereinigte Gold selbst zum Vorschein kommt. Das Gold wird hier mit der absoluten Wahrheit der Leerheit verglichen.

    Ein weiteres Beispiel dafr, wie die Meditationsstufen eine Weiterentwicklung vom Groben zum Feinen darstellen, ist das einer Person, die angewiesen wird, eine auf einem Berg liegende Nadel zu finden. Als erstes bentigt sie, um die ungefhre Richtung zu finden, in der der Berg liegt, eine Karte mit einem grossen Massstab. Sobald sie den Berg gefunden hat, muss sie sich einer Karte mit kleinerem Massstab bedienen, um die exakte Stelle der Nadel entdecken zu knnen. Diese kann zum Beispiel in der Nhe eines Felsens liegen. Sobald sich die Person dorthin begibt, kann ihr der richtige Baum gezeigt werden, unter dem sich die Nadel befindet. Unter dem Baum angelangt, muss ihr die genaue Stelle gezeigt werden. Schliesslich muss die Person jedoch mit ihren eigenen Augen die Nadel entdecken. Durch die anfnglichen Stufen der Meditationsfolge wird man in hnlicher Weise immer nher an die wahre Erkenntnis der Leerheit herangefhrt, doch letztendlich ist es die eigene direkte Wahrnehmung, die die Leerheit schaut.

  • Erstes Stadium: Shravaka

    Shravaka-Meditation ber die Abwesenheit eines Selbst

    Die Sichtweise der Vaibhashika (wrtl.: derjenigen, die hauptschlich der Erklrung des "Mahavibhasha" folgender Partikularisten):

    Es kommt durch Zerstrung

    beziehungsweise gedankliche Analyse

    nicht mehr dazu,

    dass etwas als solches erfasst wird, (und zwar als)

    grobe Entitten und Bewusstseinskontinua;

    sie sind die konventionelle Wahrheit, Teilloses ist die absolute Wahrheit.

    Die Sichtweise der Sautrantika (wrtl.: derjenigen, die sich hauptschlich auf die Sutras, die Lehrreden Buddhas sttzen):

    Spezifisch Charakterisiertes, das fhig ist,

    absolut eine Funktion zu erfllen, und allgemein Charakterisiertes,

    das dazu nicht fhig ist.

    Man sollte nicht annehmen, dass die erste Meditationsfolge, die als Shravaka (skr., Hrer)-Stadium bezeichnet wird, weil sie den Kern des Shravaka-Fahrzeuges ausmacht, fr die anderen buddhistischen Fahrzeuge unwichtig sei: Milarepa (1052-1135), der grosse Vajrayana-Meister Tibets, lehrte einem seiner Schler, einem einfachen Schafhirten, die Shravaka-Meditiation ber das Nichtvorhandensein eines Selbst (skr.: anatman, tib.: bdag med), nachdem dieser Zeichen einer grossen, natrlichen meditativen Begabung gezeigt hatte. Es wird berichtet, dass er angewiesen wurde, sich auf eine kleine Buddhastatue zu konzentrieren. Fr die Dauer von einer Woche gelangte er, ohne den Zeitverlauf zu bemerken, in meditative Versenkung (skr.: samadhi). Als er aus dem Samadhi herauskam, kam es ihm vor, als ob er nur ein paar Sekunden lang meditiert htte.

    Im ersten Stadium bedenkt man noch nicht die Leerheit aller Phnomene, sondern nur

  • die Leerheit oder das Fehlen eines "Selbst" im Individuum. Das Wesentliche bei dieser Betrachtung liegt im Fixiertsein auf die Idee, dass man ein eigenstndiges, dauerhaftes, unabhngiges, wahrhaft existierendes Selbst habe, das die Hauptursache fr die gesamten eigenen Leidformen ist. Man braucht nicht eine ausdrcklich oder klar formulierte Vorstellung von einem "Selbst", um sich so zu verhalten, als htte man eins. "Selbst" bedeutet hier das implizierte Selbst, das man auch als inhrent im Verhalten eines Tieres erkennen kann. Tiere identifizieren sich genauso wie wir mit ihrem Krper und ihrem Bewusstsein und sind stndig auf der Suche nach krperlichem und geistigem Wohlergehen, indem sie versuchen. Unangenehmes zu meiden und Schmerz zu lindem.

    Sowohl Tiere als auch Menschen handeln auf eine Weise, als ob sie ein Selbst htten,

  • das es zu beschtzen und zu bewahren gelte; dieses Verhalten betrachtet man sowohl als automatisch und instinktiv als auch als normal. Sobald Schmerz oder Unbehagen entstehen, reagiert man automatisch mit dem Versuch, sie zu beseitigen. Sie gehren nicht zum Selbst, und die stillschweigende Folgerung daraus ist, dass das Selbst auf ganz natrliche Weise glcklich wre, wenn aller Schmerz und alles Leid beseitigt wren.

    Wenn wir jedoch versuchen, unser Verhalten in Bezug auf dieses "Selbst" zu analysieren, entdecken wir seltsamerweise, wie sehr wir uns im Unklaren darber befinden, um was es sich bei diesem "Selbst" nun wirklich handelt. Von nicht- buddhistischen Denkern wurde das Selbst verschiedentlich definiert als etwas, das sich im Gehirn, Blut oder Herzen befindet, das Eigenschaften wie eine wahre oder transzendentale Existenz innerhalb oder ausserhalb des Geistes oder des Krpers besitzt. Ein derartiges Selbst muss, um berhaupt irgendeinen Sinn zu haben, dauerhaft sein, denn wenn es in jedem Augenblick zugrunde gehen wrde, so wrde man sich nicht darum kmmern, was ihm im nchsten Augenblick zustossen knnte; es wre dann nicht mehr das eigene Selbst. Weiterhin muss es sich um etwas Einzelnes handeln, denn warum sollte man sich mehr Sorgen ber das eigene Selbst als ber das von irgendjemand anderem machen, wenn man keine separate Identitt htte? Ausserdem muss es unabhngig sein, denn sonst wrde kein Sinn in der Aussage liegen wie: Ich habe dies getan oder Ich besitze jenes. Ohne eine unabhngige Existenz gbe es niemanden, der die Handlungen und Erfahrungen als seine eigenen beanspruchen wrde.

    Wir alle reagieren so, als ob wir ein dauerhaftes, separates und unabhngiges Selbst htten und es unsere Hauptbeschftigung wre, es zu beschtzen und zu pflegen. Es handelt sich hierbei um eine gedankenlose Gewohnheit, die die meisten Menschen hchstwahrscheinlich nicht in Frage stellen oder zu erklren suchen. So ist all unser Leid mit dieser Hauptbeschftigung verbunden. Unser gesamter Gewinn und Verlust, unsere Freude und unser Schmerz entstehen aufgrund unserer derart engen Identifikation mit diesem vagen Gefhl von Selbstheit, das wir haben. Wir sind so sehr gefhlsmssig dann verwickelt und mit diesem Selbst verbunden, dass wir es als selbstverstndlich vorhanden annehmen.

    Der Meditierende spekuliert nicht ber dieses "Selbst". Er hat keine Theorien darber, ob es existiert oder nicht. Er bt sich stattdessen leidenschaftslos darin zu beobachten, wie sich sein Geist an die Idee von "Selbst" und "mein" klammert und wie sich all sein Leid aus dieser Anhaftung heraus entwickelt. Gleichzeitig forscht er sorgfltig nach diesem "Selbst". Er versucht, es von all seinen anderen Erfahrungen zu isolieren. Er will es finden und identifizieren, da es das Schuldige an all seinem Leid ist. Die Ironie ist, dass er nichts vorfindet, das dem "Selbst" entspricht, wie intensiv auch immer er danach sucht.

  • Westliche Menschen verwechseln oft "Selbst" in diesem Zusammenhang mit Person, Ego oder Persnlichkeit. Sie argumentieren, die Person, Persnlichkeit oder das Ego hielten sie nicht fr eine dauerhafte, separate und unabhngige Wesenheit. Dieses Argument geht am wesentlichen Punkt vorbei. Die Person, Persnlichkeit oder das Ego als solches stellt nicht das Problem dar. Man kann sie durchaus rational auf ihre

  • einzelnen Bestandteile hin untersuchen. Hierzu gibt es in der westlichen Tradition alle mglichen Verfahren. Die buddhistische Methode bedient sich der fnf skandhas (skr., Aggregate), der achtzehn dhatus (skr., Bestandteile) oder der zwlf ayatanas (skr., Tore oder Erlebnisgrundlagen der Wahrnehmung). Es geht nicht darum, ob die Person, Persnlichkeit oder das Ego eine wandelbare, zusammengesetzte Kette von Vorkommnissen ist, die durch zahlreiche, komplexe Faktoren bedingt wird, oder nicht. Jegliche verstandesmssige Analyse zeigt uns, dass dem so ist. Die Frage ist eher die, warum wir uns gefhlsmssig so verhalten, als sei unser Selbst dauerhaft, separat und unabhngig. Wenn wir folglich nach dem Selbst Ausschau halten, so ist es sehr wichtig, sich daran zu erinnern, dass es sich hier um eine emotionale Reaktion handelt, die wir untersuchen. Wenn man auf Ereignisse reagiert, als htte man ein Selbst, sich z.B. verletzt oder angegriffen fhlt, dann sollte man sich fragen, wer und was sich verletzt oder angegriffen fhlt.

    Sollten Sie nicht davon berzeugt sein, dass Sie sich emotional so verhalten, als ob Sie ein dauerhaftes, eigenstndiges und unabhngiges Selbst htten, dann ist es wichtig, sich mit dieser Frage erst einmal auseinanderzusetzen, bevor Sie dazu bergehen, sich mit der Doktrin des Nicht-Selbst zu befassen. Denken Sie grndlich ber Schmerz und Leid nach und fragen Sie sich selbst, wer oder was es ist, das da leidet. Wer hat Angst vor dem, was geschehen wird; wer fhlt sich schlecht wegen dem, was geschah; warum erscheint uns der Tod als eine derartige Drohung, wenn die Gegenwart mit jedem Moment entschwindet und kaum die Mglichkeit hatte, in Erscheinung zu treten? Sie werden feststellen mssen, dass Ihr Denken voller Widersprche, Unbestndigkeiten und unlsbarer Paradoxa ist. Das ist normal. Jeder (ausgenommen vielleicht der Geistesgestrte) hat im Sinne des gesunden Menschenverstandes einen Begriff davon, was oder wer er ist. Dies befhigt einen (mehr oder weniger), wie ein normales menschliches Wesen zu funktionieren.

    Trotzdem kann der Meditierende, wenn er seine Konzentration auf dieses "Selbst" richtet, es nicht finden. Nach und nach, ganz allmhlich dmmert es ihm, dass er es aus dem Grunde nicht vorfinden kann, weil es nicht existiert und niemals existierte. Es gibt einen gewaltigen emotionalen Widerstand gegen diese Erkenntnis. Deshalb dauert es lange Zeit, bis man ihn berwunden hat, aber wenn es einmal dazu gekommen ist, dann tritt unmittelbar ein Befreitsein von Verkrampfung und Leiden ein. Die Ursache dafr ist verschwunden. Sie wurde durch geistiges Haften an etwas hervorgerufen, das nicht existiert.

    Der Widerstand gegen diese Erkenntnis nimmt manchmal die Form von Irritation an. Man hat sich daran gewhnt, die Dinge vernunftgemss erklren zu knnen. Da das Erlebnis vom "Selbst" so direkt und in gewisser Hinsicht so offensichtlich ist, scheint es keinen Grund zu geben, es in das eigene rationale Erklren der Dinge mit einzuschliessen. Wenn man jedoch den Versuch unternimmt, sich darber Klarheit zu verschaffen, wird die ganze Sache so irritierend subjektiv, dass es den Anschein hat, als ob man zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis vorstossen knnte.

  • Statt den Geist im tatschlichen Erleben dieses Paradoxons ruhen zu lassen, wird man ber die Unfhigkeit, keine stichhaltige Erklrung zu finden fr das, was das "Selbst" ist, frustriert und irritiert. Es ist wichtig, davon Kenntnis zu nehmen und sich dessen bewusst

  • zu sein. Sollte man jedoch versuchen, diese Irritation einfach aus dem eigenen Geist zu verdrngen, wird man niemals eine tiefe Erkenntnis vom Nichtvorhandensein des "Selbst" haben.

    Das Festhalten an der Vorstellung von einem "Selbst" ist vergleichbar damit, dass man sich der Vorstellung hingibt, ein Stck Seil im Dunkeln sei eine wirklich vorhandene Schlange. Sobald das Licht angeschaltet wird und man sieht, dass dort keine Schlange ist, verschwinden Furcht und Leiden, die dadurch entstanden, dass man die Schlange fr wirklich hielt. Sie existierte von Anfang an nicht, und somit war es ganz einfach das Haften an dieser Vorstellung, die Leid hervorrief, und nichts anderes. Die Weisheit, die das Nicht-Selbst erkennt, gleicht dem enthllenden Licht, durch das die Schlange als ein Stck Tau identifiziert werden kann.

    Um dem eigenen Leid endlich ein Ende zu setzen, gilt es nichts Wichtigeres zu erkennen als die Tatsache, dass man Krper und Geist gedankenlos Attribute zumisst, die sie einfach nicht haben, wenn man sich so herhlt, als ob Krper und Geist ein dauerhaftes, separates und unabhngiges Selbst darstellten. Im gesamten Strom psychischer und physischer Erscheinungen, die unsere Erfahrung von Krper und Geist ausmachen, gibt es nichts, das die Eigenschaft einer getrennten, unabhngigen, dauerhaften Existenz hat. Alles befindet sich im Wandel, ist Son einem Augenblick zum anderen vergnglich, und insofern kann nichts davon "Selbst" sein. Es ist unser eigenes, zhes Bemhen, das die Vernderlichkeit der krperlichen und geistigen Aggregate so behandelt, als ob es anders wre, und nur aus diesem Grund werden sie zu einem unaufhrlichen Strom von Leid (skr.: duhkha).

    Die Erkenntnis, dass das " Selbst" nicht existiert, ist der erste Schritt, die leere Natur aller Erscheinungen zu verstehen. Aus diesem Grunde behandelt die erste Lehrrede Buddhas die "Drei Kennzeichen des Daseins", nmlich Leid, Vergnglichkeit und Nicht- Selbst. Keine der ; physischen oder psychischen Komponenten eines Individuums ist das "Selbst", da sie vergnglich sind, und was vergnglich ist, bedingt Leid.

    Traumbeispiel

    Buddha benutzte oft, um seine Lehre ber Leerheit zu veranschaulichen, das Beispiel vom Traum. Diese Illustration kann mit zunehmender Verfeinerung in jedem Stadium der stufenweisen Meditationsfolge ber Leerheit angewandt werden. Sie dient als ein gutes Beispiel um aufzuzeigen, wie die beiden Wahrheiten oder Wirklichkeiten - die konventionelle und die absolute - ineinandergreifen. Im Traum besteht das Gefhl, eine Person mit Krper und Geist zu sein, die in einer Welt von Dingen lebt, von denen man sich - je nachdem, wie sie auftreten -angezogen oder abgestossen fhlt. Solange man nicht erkennt, dass es sich um einen Traum handelt, erscheinen alle diese Dinge als wirklich, und man empfindet darber Freude oder Leid.

  • Beispielsweise mag man trumen, von einem Tiger gefressen oder von Feuer verbrannt zu werden. In der absolut gltigen Wirklichkeit gibt es niemanden, der aufgefressen oder verbrannt wird, aber noch unter dem Einfluss des Traumes mag man wirklich leiden, so als ob es sich zugetragen htte. Dieses Leiden entsteht einfach durch die Tatsache, dass man sich selbst mit der Person im Traum identifiziert. Sobald man sich dessen

  • bewusst wird, dass es nur ein Traum ist, so ist man frei zu denken: Es macht nichts, es ist nur ein Traum - in Wirklichkeit geschieht mir nichts, selbst dann, wenn der Traum nicht aufhrt. Die Person, die im Traum litt, entstand lediglich als eine vorbergehende Erscheinung; sie war von der Bedingung abhngig, sich des Traumes nicht gewahr zu sein. Sie besass kein separates, unabhngiges, dauerhaftes Selbst.

    Intellektuelles Verstehen ist jedoch nicht ausreichend, um sich von der stark verwurzelten Gewohnheit freizumachen, sich an den eigenen Geist und Krper als ein getrenntes, unabhngiges und dauerhaftes Selbst zu klammem. Man muss den Strom des eigenen geistigen und krperlichen Erlebens wiederholte Male untersuchen und ber das Vorgefundene oder Nichtaufzufindende nachdenken, bis man vollstndig berzeugung und Sicherheit erlangt hat. Ist man von dem, was zutrifft, berzeugt, dann muss man meditieren, indem man den Geist in diesem neu entdeckten Wissen verweilen lsst, bis schliesslich die von gewohnheitsmssigen Gedankenmustem verursachten Schleier aufgelst sind. An diesem Punkt entsteht die unmittelbare, unmissverstndliche Erkenntnis vom Nichtvorhandensein des Selbst, und es ist diese echte Erfahrung, die tatschlich vom Leiden befreit.

    Untersuchungsmethoden

    Instinktiv identifizieren wir uns mit unserem Krper und unserem Geist. Obwohl unsere ganze Vorstellung von diesem "Selbst" und von "mein" usserst vage und verwirrt ist, haften wir emotional sehr stark an diesen an. Sind wir krank, so sagen wir beispielsweise: Ich bin krank, und dennoch ussern wir im nchsten Atemzug: Mir tut nmlich der Kopf weh. Aber was meinen wir damit? Wollen wir damit sagen, dass das "Ich" eine Sache ist und der Kopf eine andere? Oder sind wir der Meinung, dass der Kopf das "Ich" ist? Mit diesen sehr gngigen, gewhnlichen Vorstellungen vom "Ich", und zwar vom "Ich", dem Handelnden, oder vom "Ich", dem Erlebenden, sollte man seine Untersuchung beginnen.

    Stellen Sie sich beispielsweise vor, dass Ihnen Gliedmassen oder Organe entfernt oder transplantiert wrden. Wenn man das Herz eines anderen verpflanzt bekme, wrde dieser Eingriff das "Ich" wirklich beeinflussen? Natrlich denken wir, dass das "Ich" (der Erlebende oder der Handelnde) nun ein neues Herz erhalten hak Dabei stellt man sich aber nicht vor, dass in das "Ich" als solches ein neues Herz transplantiert wurde. Wie weit lsst sich dieser Gedankenprozess fortfhren? Bei der Betrachtung der Krperteile und Organe wird ziemlich klar, dass das "Ich" eine separate Entitt ist.

    Doch wie steht es mit dem Gehirn? Angenommen, das Gehirn eines anderen Menschen wrde einem in den Schdel verpflanzt werden. Wrde dies das "Ich" beeintrchtigen? Man msste sich fragen, ob "Ich" (der Erlebende oder der Handelnde) tatschlich das Gehirn eines anderen gebrauchen und doch noch dieselbe Person bleiben knnte. Man msste sich fragen, ob sich einige der Handlungen, die vom jetzigen "Ich" bestimmt werden, von den Handlungen des "Ichs" der Person, der das Gehirn entnommen wurde, unterscheiden liessen. Selbstverstndlich kann man das Ergebnis einer derartigen

  • Transplantation nicht wissen, falls sie berhaupt jemals vollzogen werden kann; doch unwillkrlich spren wir, wie wichtig es ist, zu wissen, ob das "Ich" hierdurch beeinflusst werden knnte oder nicht.

  • Obwohl dies so wichtig erscheint, befinden wir uns immer noch im Unklaren darber, was dieses "Ich" sein knnte. Man mag sich fragen, ob es vielleicht nur ein kleiner, lebenswichtiger Teil des Gehirns ist. Wenn man jedoch hierber nachdenkt, kommt man zu dem Ergebnis, dass man emotional nicht an der Idee eines winzigen Mechanismus in den eigenen grauen Gehirnzellen haftet. Wenn diese Zellgruppe fr all unser emotionales Anhaften verantwortlich wre, dann wre es doch leicht, sie zu entfernen und mit ihr alles Leiden. Weder brauchte das Dasein einen bestimmten Sinn, noch htte das menschliche Leben einen besonderen Wert. Es gbe keine Notwendigkeit, sich mit einem Dasein voll Leiden und Frustration herumzuplagen. Eine derartige Anschauung erscheint uns jedoch als gnzlich nihilistisch und erniedrigend. Das "Ich" fhlt, dass es eine grssere Bedeutung hat.

    Das "Ich", an dem wir gefhlsmssig haften, scheint einen Schritt zurckzutreten und das Leben zu betrachten, indem es Erfahrungen einschtzt und wnscht. Leiden zu vermeiden. Wir erleben oder behandeln das "Ich" nicht auf die gleiche Art, wie wir mit einem Krperteil umgehen, zum Beispiel mit dem Gehirn. Unserem allgemeinen Wissen nach, das wir von anderen bernommen haben, befindet sich das Gehirn im Kopf. Physisch kann es lokalisiert, berhrt und gemessen werden.

    Es hat eine gewisse Beziehung mit dem Geist, denn sobald unser geistiger Zustand wechselt, kann oft eine Vernderung im Gehirn entdeckt werden. Jedoch was auch immer Wissenschaftler ber das Gehirn herausfinden, ber die Beziehung zwischen Geist und Gehirn knnen sie nur Teilaussagen machen. Sie knnen es sich anschauen, in es eindringen und messen, um Fakten ber die Aktivitt des Gehirns herauszurinden, doch wie wollen sie wissen, was der Geist erlebt, wenn er auf diese oder jene Art und Weise beschftigt wird? Beispielsweise knnen sie in der Lage sein, etwas ber die Strke der Aktivitt auszusagen, die in der einen oder anderen Region des Gehirns vor sich geht, wenn sich die Person die Farbe Rot vorstellt. Aber wie knnen sie wissen, dass die Person wirklich "Rot" erlebt? Die Person selbst kennt zweifellos die Natur ihrer Erfahrung. Sie mag sie rot nennen oder auch nicht. Sie mag sie vielleicht berhaupt nicht bezeichnen. Sie wird niemals wissen, ob jemand anders jemals irgend etwas in der Weise erlebt wie sie selbst, sogar dann, wenn jeder darin bereinstimmt, das Erlebnis, das er hat, mit demselben Wort zu bezeichnen. Wer anders als der Erlebende selbst kann wissen, wie er irgend etwas erlebt? Ein Wissenschaftler kann behaupten, das Gehirn funktioniert so, als ob es die Farbe Rot erleben wrde, weil das Gehirn so reagiert, wie es immer reagiert, wenn Menschen Rot erleben. Wer wird wissen, ob sie in irgendeinem speziellen Fall recht haben oder nicht? Nur der Erlebende selbst kann dessen gewiss sein. Der Wissenschaftler beruft sich auf gut belegte Vermutungen. Gewisse Theorien werden als erwiesen angesehen, weil sie Ereignisse sehr gut zu erklren scheinen.

    Der hauptschliche gedankliche Vorstoss des Buddhismus hat jedoch mit Theorien nichts zu tun. Er baut auf Erfahrung. Er befasst sich insbesondere mit der Erfahrung

  • vom Leiden. Der Buddhismus hat entdeckt, dass die Erfahrung vom Leiden stets mit einem starken emotionalen Haften an ein vages Gefhl von einem "Selbst" verbunden ist. Der Buddhismus wendet somit seine Aufmerksamkeit dieser starken emotionalen Reaktion zu, die mit der Empfindung einer Entitt verbunden ist, und fragt danach, wie

  • dieses "Selbst" tatschlich erfahren wird. Wo wird das "Ich" erfahren?

    Im Gehirn mag vielleicht die Antwort sein. Jedoch bentigt man keine Kenntnis ber das Gehirn, um Leiden zu erfahren. Auch ein Kind oder ein Hund leiden. Sie haben keine Theorien ber das "Selbst", doch ihr Verhalten deutet daraufhin, dass sie ein Gefhl von "Selbst" haben. Wenn sie es nicht htten, warum wrden ein Kind oder Hund, welche in dem einen Augenblick existieren, sich um Kind oder Hund sorgen, welche im nchsten Augenblick existieren? Sicherlich deshalb, weil das Kind oder der Hund des nchsten Augenblickes in ihrer Vorstellung unbewusst immer noch im gewissen Sinne "sie selbst" sind und verschieden von irgend jemand anderem. Sobald sie sich einer Gefahr fr ihr Leben oder Wohlergehen ausgesetzt sehen, weichen sie davor zurck. Unbewusst denken sie, dass "sie" dieser Bedrohung entgehen und ihre Existenz irgendwo an einem angenehmeren Platz fortsetzen knnten; dies zeigt, dass sie das Gefhl besitzen, eine unabhngige Existenz zu haben.

    Man knnte argumentieren, dass das Zurckweichen vor unangenehmen Reizen von lebenden Organismen niederer Formen einfach eine mechanische Reaktion sei, genauso wie sich Bume im Wind wiegen. Das mag fr primitive Lebensformen zutreffen, doch hat es keine Beziehung zu dem Problem des Leidens berhaupt. Wenn wir lediglich komplexe mechanische Einrichtungen wren, dann knnte man argumentieren, dass Leid - objektiv gesehen - keine Rolle spielen wrde. Das wre eine ausserordentlich verarmte Einstellung zum Leben und eine nicht sehr berzeugende.

    Man knnte glauben, dass wir mit unserer Aussage, Leiden werde im Gehirn erfahren, eigentlich meinen, dass es im Geist erlebt wird. Da man (in der modernen westlichen Gesellschaft) automatisch annimmt, dass sich der Geist im Gehirn lokalisieren lsst, und da die eigene Vorstellung vom Geist sowieso sehr vage ist, scheint kein grosser Unterschied darin zu liegen, ob wir vom Geist oder vom Gehirn sprechen. Sie knnen jedoch nicht synonym sein, selbst wenn letztendlich entdeckt wrde, dass sie vom gleichen Stoff oder von gleicher Natur sind. Um die Frage, was wir eigentlich unter Geist verstehen, kommen wir nicht herum. In unserem gewhnlichen, alltglichen Sprachgebrauch gehen wir damit usserst vage und ungenau um. Es hat manchmal den Anschein, als ob wir uns mit unserem Geist identifizieren, beispielsweise mit der Aussage, glcklich oder traurig zu sein. Obwohl wir meinen, der Geist ist glcklich oder traurig, machen wir wirklich keinen Unterschied zwischen unserem "Selbst" und unserem Geist. Nichtsdestoweniger hren wir uns Dinge sagen wie: Ich konnte meinen Geist nicht kontrollieren. Gelegentlich ussern wir auch: Ich konnte mich nicht kontrollieren, so als ob man zwei "Selbst" bessse. Hier scheint es sich um den gleichen Mangel an Klarheit zu handeln, der uns einmal veranlasst, so zu sprechen, als ob das "Selbst" der Geist wre, und das nchste Mal, als ob das "Selbst" den Geist bessse.

    An diesem Punkt mag man versucht sein, damit zu beginnen, ber die Natur des

  • Geistes und ber die des Selbst zu spekulieren. Vielleicht wird man ins Philosophieren geraten und ber Aussagen wie: Ich denke, also bin ich nachdenken. Da jedoch Ich bin lediglich ein Gedanke ist, ist das Einzige, dessen wir wirklich sicher sind, die Erfahrung von Gedanken. Somit ist das einzige sichere Mittel, mit dessen Hilfe wir herausfinden knnen, um was es sich bei dieser Erfahrung wirklich handelt, sie so

  • genau und leidenschaftslos wie mglich zu erleben. Folglich luft die Vorgehensweise des Shravaka auf die Untersuchung von Erfahrung hinaus, und zwar, indem man sich ihrer in jedem Moment in hohem Masse bewusst ist.

    Fnf Aggregate

    Um diese Untersuchung so ausfhrlich und systematisch wie mglich durchzufhren, haben buddhistische Lehrmeister Erfahrung in eine Anzahl umfassender Kategorien angeordnet. Eine dieser Kategorien wird auf Sanskrit als die "fnf skandhas" bezeichnet, was wrtlich "fnf Anhufungen" oder "fnf Bndel" bedeutet. Bei leidenschaftsloser Betrachtung treten unsere gesamten Erfahrungen von einem Augenblick zum anderen als isolierte, unpersnliche Ereignisse auf. Nach ihrem Erscheinen, das so schnell vonstatten geht, dass es simultan zu sein scheint, sind wir emotional involviert und produzieren ein ganzes Drehbuch zum Thema "Selbst" gegen "die Welt" oder "die Anderen".

    Die fnf Aggregate bestehen jeweils als ein Bndel aus vielen Phnomenen hnlicher Art, die sich stndig im Wandel befinden. Sie konstituieren das, was allgemein als "Persnlichkeit" oder "Selbst" angesehen wird. Es handelt sich hier um eine physische Komponente und vier geistige Komponenten:

    1. Aggregat der Form 2. Aggregat der Empfindung 3. Aggregat des unterscheidenden Erkennens 4. Aggregat der Geistesfaktoren 5. Aggregat der Primrbewusstseinsarten

    Der Ablauf der Skandhas bringt ununterbrochen karmische Wirkungen hervor, die wiederum Anlass zu weiteren Auswirkungen sind. Karma sowie die grundlegende Unwissenheit (skr.: avidya, tib.: ma rig.pa, wrtlich: nicht erkennen) und Begierde, die alle Anhufungen durchziehen, verursachen das Entstehen dieser fnffachen Struktur.

    1. Aggregat der Form

    (skr.: rupaskandha, tib.: gugs.kyi phung.po)

    "Form" bezieht sich sowohl auf die Krperlichkeit des Objektes, das erfahren und wozu ein Kontakt hergestellt werden kann, wie die vier Elemente von Erde, Feuer, Wasser, Luft, auf die grobe feinstoffliche Qualitt des Objektes von Form, Gestalt, Farbe, Klang, Geruch, Geschmack, Tastbarem, als auch auf die Krperlichkeit des Subjektes, den Krper, seine fnf Sinnesorgane und Sinnesfhigkeiten von Gesichts-, Gehr-, Geruchs- , Geschmacks- und Tastsinn. Der Formskandha bezieht sich also auf den Krper der Person und auf die Umwelt. Wir nehmen als selbstverstndlich an, dass es eine Welt

  • "da draussen" jenseits unserer Sinne gibt und dass unser Krper daran teilhat. Unser Krper erscheint dem Geist als eine einzelne, solide, von seiner Aussenwelt unabhngige Wesenheit. Mit dieser Vorstellung haften wir am intensivsten am Krper als dem "Selbst", pflegen und hegen ihn und versuchen, ihn vor Gefahren zu beschtzen.

  • Sobald wir uns zur Meditation niedersetzen, sind es zuerst der Krper und seine Umgebung, die unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Somit knnen wir unsere analytische Untersuchung, die man auf verschiedene Weise durchfhren kann, auch an dieser Stelle beginnen: Ich sitze hier, weil mein Krper hier sitzt. Ist jenes "Ich" deshalb der Krper? Man knnte den Krper systematisch untersuchen, indem man sich Glied fr Glied und Organ fr Organ und Zelle fr Zelle vornimmt:

    Ist meine Hand "Ich"? Bin ich noch "Ich" ohne meine Hand? Ohne meine Beine? Ohne den einen oder anderen Krperteil oder dieses oder jenes Organ?

    Auch der Krper, an dem wir als "Selbst" haften, muss als solcher aufzufinden sein. Was ist "der Krper" eigentlich? Ist der Arm der Krper, der Bauch, die Brust? Wo befindet sich "der Krper" zwischen seinen Krperteilen?

    Was ist ein Krperteil, zum Beispiel die Hand? Ist sie ohne Finger immer noch eine "Hand"? Ohne Haut? Ohne Knochen? Ohne Fleisch? Wenn man sie in dieser Weise zerlegt hat, wird man feststellen, dass "die Hand" lediglich ein passender Begriff fr ihre spezielle Funktion ist. Ein Ding wie "Hand" existiert nicht als solches. Das gleiche gilt fr den Krper, fr jeden Krperteil, bis zur kleinsten Zelle, zum kleinsten Atom und zum winzigsten subatomaren Teilchen, wie es Wissenschaftler nur zu gut kennen. Je eingehender man untersucht, desto mehr Teile wird man finden. Nachdem jeder Partikel eine Bezeichnung erhalten hat, wird man entdecken, dass sich jedes Teilchen wiederum spaltet. Der Prozess ist endlos.

    Untersucht man den Krper in dieser Weise, mag man zu dem Schluss gelangen, dass "Ich" und "Krper" dem Geist als "Ich" und "Krper" erscheinen, doch nicht objektiv von sich aus existieren und lediglich geeignete Konzepte sind, um mit der Welt und seiner Erfahrung umzugehen. Sie haben eine gewisse relative Wirklichkeit, aber sie sind nichts Absolutes. In konventioneller Hinsicht sind sie ein Strom von Ereignissen, die wir als "Ich" oder "Krper" identifizieren und etikettieren. Von diesem "Ich" und "Krper" kann jedoch nicht behauptet werden, dass sie eine unvernderliche, separate und unabhngige Existenz haben. Wenn der Krper eine derartige Seinsweise htte, knnten wir ihn als das "Selbst" bezeichnen, aber er hat sie nicht. Wie intensiv wir auch immer danach suchen werden, wir werden sie niemals vorfinden. Der Krper ist nicht das "Selbst" und das "Selbst" ist nicht der Krper. Selbstverstndlich lsst sich die gleiche Betrachtung auch auf das Gehirn anwenden.

    2. Aggregat der Empfindung

    (skr.: vedanaskandha, tib.: tshor.wa iphung.po)

    Der erste Berhrungsmoment der fnf Sinne mit einem Objekt, die individuell seine jeweilige Qualitt auf eineunmittelbare Art und Weise wahrnehmen, geschieht durch die Dynamik des Aggregates der Form, gefolgt vom zweiten Moment, dem der Empfindung.

  • Im Aggregat der Empfindung sind alle krperbezogenen Gefhle oder Erlebnisse der fnf Sinne - Auge, Ohr, Nase, Zunge und Haut enthalten sowie auch die geistigen Empfindungen. Grundstzlich liegt der Empfindung die dualistische Differenzierung der Dinge zugrunde. Sobald der Geist mittels der Sinne mit einem Objekt Kontakt aufnimmt, taucht die differenzierte Gefhlsreaktion von angenehm oder unangenehm auf, wobei

  • die Tendenz entsteht, anziehende Erfahrungen beibehalten zu wollen und von abstossenden frei zu werden. Eine unbeteiligte oder indifferente Empfindung ist die dritte Reaktionsmglichkeit auf ein Sinneserlebnis hin.

    Die Empfindungen des Ich-haftenden Geistes dienen als Grundlage fr die in Handlungen resultierenden so genannten "drei Gifte" des Geistes:

    begehrendes Anhaften, Abneigung und Unwissenheit. Die vollstndigen Ergebnisse dieser Handlungen reifen wiederum am Aggregat der Empfindung, nmlich positive Taten in der Empfindung von Freude, negative in der von Schmerz und indifferente in neutralen Empfindungen.

    Wenn wir den fnf Sinnen und dem Geist die drei Grundarten von angenehmer, unangenehmer oder neutraler Empfindung hinzurechnen, ergeben sich achtzehn Empfindungsmglichkeiten.

    Beispielsweise meditieren wir und fhlen uns dabei wohl und mchten so verweilen, oder wir fhlen uns unwohl und mchten aufstehen. Die dritte Mglichkeit ist, dass uns weder die eine noch die andere Empfindung kmmert. Wir erleben stets eines dieser drei Gefhle, weil jeder Wahmehmungsmoment von einem dieser drei begleitet ist.

    Da es sich um ein Bndel von vielzhligen, sprunghaft wechselnden Empfindungsmomenten handelt, kann das "Selbst" nicht damit identifiziert werden, weil keines von ihnen die dauerhafte Eigenschaft besitzt, nach der wir suchen.

    3. Aggregat des unterscheidenden Erkennens

    (skr.: samjnaskandha, tib.: 'du shes.kyi phung.po)

    Beim Akt des Erkennens handelt es sich um ein Zusammentreffen von mehreren Umstnden. Er beruht auf intakten Sinnesorganen, Sinnesobjekten und dem gerade zuvor versiegten Moment einer der sechs Primrbewusstseinsarten (s. fnftes Skandha), wodurch ein neuer Gewahrseinsmoment entstehen kann. Die Ttigkeit des Skandha der Empfindung beginnt mit dem ersten Kontakt eines Objektes. Durch diese Berhrung entwickelt sich Erkennen. Ein Erkennungsmoment erfasst die Kennzeichen eines Objektes und hat sowohl die Funktion, ein Objekt von anderen Objekten zu unterscheiden als auch die Objekte als dieses oder jenes zu identifizieren.

    Ein Erkennen kann korrekt oder fehlerhaft sein. Die gesamten Strfaktoren des Geistes sowie auch die daraus resultierenden negativen Handlungen, sei es auf der Ebene des Krpers, der Rede oder des Geistes, geschehen auf der Grundlage fehlerhaften

  • Erkennens oder Beurteilens, und zwar deshalb, weil die Aggregate flschlich als eine Entitt, als ein "Selbst" identifiziert werden.

    Die sechs Mglichkeiten des Erkennens, die mit den sechs Primrbewusstseinsarten assoziiert sind, begleiten ebenfalls jeden Gewahrseinsmoment. Wenn man eine Farbe sieht, beispielsweise Blau, erkennt man diese als blau; versprt man ein Kribbeln, nimmt man diese Empfindung deutlich wahr; oder wenn man das Gerusch eines startenden Autos hrt, kann man diesen Laut zuordnen. Das gleiche lsst sich auf Geruch und die anderen Sinne anwenden. Whrend unseres gesamten Wachzustandes erleben wir, wie

  • ein unablssiger Strom von Erkennen, Unterscheiden und Beurteilen durch unsere Sinne fliesst. Entweder hren wir einer bestimmten Sache zu, oder wir betrachten etwas, identifizieren einen Gegenstand mit unserem Tastsinn als angenehm oder unangenehm, schmecken oder riechen etwas, oder es entsteht ein Bild von einem Objekt in unserem Geist. Whrend der Meditation mag man die Ein- und Ausatmung wahrnehmen, Gedanken und Erinnerungen fliessen im Geist, oder wir werden zweier Stimmen gewahr und erkennen sie deutlich als die einer Frau und die eines Mannes.

    Obwohl wir annehmen, dass es das eigene Selbst ist, das diese Dinge erkennt und unterscheidet, so denken wir doch nicht, dass diese Ttigkeit des Geistes das "Selbst" ist. Keines von ihnen trgt das Kennzeichen von "Selbst", da keines dauerhaft ist.

    4. Aggregat der Geistesfaktoren

    (skr.: samskaraskandha, tib.: 'du.byed.kyi phung.po)

    Whrend der Ablauf der Skandhas weiter fortschreitet, wird das Zusammenkommen von Ursachen und Umstnden immer vielschichtiger. Beim vierten Aggregat handelt es sich um den Geist, der sich selbst aktiviert und die Eigenschaft hat, sich teilweise auf eine besitzergreifende Weise auf die Objekte hinzubewegen und sich mit ihren charakteristischen Merkmalen auseinanderzusetzen. Diese Bewegung, die sich gnzlich auf ein Objekt einlsst, geschieht vom Hauptgeist (tib.: gtso sems) aus und ist von ihm abhngig, wie die Wellen die Bewegung des Flusses selbst sind. Sie werden "geistige Ereignisse" oder "Geistesfaktoren" (skr.: caitta, tib.: sems byung) genannt.

    Die Sanskrit-Bezeichnung samskara hat die spezifische Bedeutung von "Anlage" im Sinne von geistigen Spuren, die von ehemaligen Handlungen verblieben sind und die das gegenwrtige Denken und Verhalten bedingen. Beim tibetischen Begriff 'du byed dreht es sich generell um geistige Formationen jedweder Art, die in den anderen Aggregaten nicht enthalten sind.

    Geistesfaktoren, von denen es unzhlige gibt, werden allgemein in 51 Hauptaspekten beschrieben, die hier nur zusammenfassend erklrt werden. Sie konditionieren mit ihrer Vielfalt von positiven, negativen und neutralen psychischen Neigungen den sogenannten Charakter einer Person oder die Persnlichkeit.

    Die 51 Geistesfaktoren sind in sechs Funktionsgruppen unterteilt:

    1. Fnf so genannte "allgegenwrtige Geistesfaktoren" haben die Funktion, das Erfassen eines Objektes berhaupt erst mglich zu machen. Jeder Gewahrseinsmoment der Primrbewusstseinsarten wird von diesen Faktoren gemeinsam begleitet. Der Geistesfaktor Absicht spielt die Hauptrolle in jeder Aktivitt. Er involviert den Hauptgeist und die mit dem jeweiligen

  • Gewahrseinsmoment zusammenhngenden Geistesfaktoren mit dem Objekt. Alle Handlungen, seien sie geistiger, sprachlicher oder krperlicher Art, hngen von der Triebkraft des Geistesfaktors Absicht ab, in anderen Worten: er bildet die Basis fr die karmische Ttigkeit. Mit dem Geistesfaktor Kontakt ist das Zusammentreffen von einem Primrbewusstsein, dem entsprechenden Sinnesorgan und dem Sinnesobjekt, das das Entstehen der drei Empfindungsarten verursacht, gemeint. Der Geistesfaktor Aufmerksamkeit richtet

  • den Geist auf die besonderen Attribute eines Objekts. Die Geistesfaktoren Empfindung und Erkennen sind ebenfalls stets notwendig, um einen geistigen Fokus auf das Objekt zu ermglichen. In dieser fnffachen Anordnung der Skandhas werden sie jedoch ihrer Bedeutsamkeit wegen separat als die Aggregate von "Empfindung" und "Erkennen" aufgefhrt.

    2. Die Funktion der fnf "vom Objekt berzeugten Geistesfaktoren" ist es, sich Gewissheit ber das Objekt zu verschaffen, indem sie durch Nachforschen die besondere Eigenschaft des Objektes feststellen. Der Geistesfaktor Aspiration hat Interesse an einem Objekt und wnscht, es zu erreichen, berzeugung kennt die Qualitt einer Sache, Vergegenwrtigung beobachtet ein Objekt und behlt die Kontinuitt des ursprnglich Erkannten bei, Konzentration bringt den Geist dazu, sich kontinuierlich einsgerichtet auf das Objekt zu richten, und der Geistesfaktor Intelligenz, die Durchdringungskraft des Geistes, hat die Funktion, die subtilen Unterscheidungen der Objekte zu ermitteln.

    Sowohl bei der ersten als auch der zweiten Gruppe, der allgegenwrtigen und der vom Objekt berzeugten Geistesfaktoren, handelt es sich um grundlegende, selbstttige Eigenschaften des Geistes, die, da sie selber keine eigene Qualitt besitzen, sowohl positiv als auch negativ beeinflusst werden knnen.

    3. Diejenigen geistigen Faktoren, die aufgrund ihrer eigenen Natur heilsam sind, in Frieden und Wohlergehen sowohl fr einen selbst als auch fr andere resultieren, sind "positive geistige Ereignisse", von denen es elf Hauptaspekte gibt. Der Geistesfaktor Hingabe und Vertrauen, mit den Aspekten von berzeugung, Klarheit und Sehnen, ist die Grundlage fr die Entwicklung von positivem Bemhen und wirkt als direktes Gegenmittel gegen Misstrauen. Der Geistesfaktor Selbstachtung bewirkt, dass man sich aufgrund persnlicher Besinnung von negativem Verhalten zurckhlt. Beim Geistesfaktor Rcksichtnahme handelt es sich um die Besinnung, die anderen keinen Schaden oder keine Enttuschung bereiten mchte. Der Geistesfaktor Entsagung hat die Funktion, sowohl begehrendes Anhaften an den Erscheinungen zu verhindern als auch aktiv entgegenzuwirken. Hasslosigkeit ist ein Geisteszustand, der frei von der Absicht ist zu verletzen und das Entstehen von Hass tatschlich berwindet. Beim Geistesfaktor frei von Verblendung handelt es sich um die klare und genau arbeitende Qualitt des Geistes, die als Gegenmittel gegen Verblendung wirkt. Positiver Enthusiasmus ist ein Geistesfaktor, der dadurch bestimmt wird, dass er Freude am Erlangen geistiger Tugenden hat und Trgheit aufhebt. Der Geistesfaktor Geschmeidigkeit befhigt den Geist zur Flexibilitt, beseitigt Schwere und Trgheit. Mit dem Geistesfaktor Achtsamkeit oder berlegtheit ist die grundlegende, vor negativen Einflssen schtzende Qualitt des Geistes gemeint sowie die, die positive Eigenschaften bewahrt und kultiviert. Gleichmut ist ein Geistesfaktor, der den Geist in Balance bewahrt, frei von Dumpfheit und

  • Erregung. Dem Geistesfaktor Gewaltlosigkeit mangelt jegliche Absicht zu schaden, er ist eine Form von Mitempfinden.

    4. Es gibt sechs "grundlegende Strfaktoren" des Geistes (skr.: mula-klesha, tib.: rtsa nyen), die fr jede Form von Leid und Unzufriedenheit verantwortlich sind.

  • Der Geistesfaktor begehrendes Anhaften berbewertet das Attraktive an Sinnesobjekten, haftet daran und mchte sie erlangen. Der Geistesfaktor rger berbewertet den abstossenden Aspekt von Sinnesobjekten, whlt den Geist auf und sucht Schaden zuzufgen. Der Geistesfaktor Stolz berbewertet die eigenen Qualitten oder Errungenschaften und verursacht, dass man sich anderen gegenber arrogant verhlt. Der geistige Strfaktor Unwissenheit gilt als die nhrende Wurzel aller vorhandenen Strfaktoren. Er wird definiert als der unwissende Aspekt des Geistes, der sich ber die Natur eines Objektes im Unklaren befindet. Der Geistesfaktor Zweifel zhlt dann zu den grundlegenden Strfaktoren, wenn die Art des Zweifelns den Geist beunruhigt, verwirrt und die Entwicklung geistiger Tugenden hemmt, insbesonders der Zweifel ber Karma und die beiden Wirklichkeiten. Der Geistesfaktor strende Sichtweise, wie extreme, Entitt-fixierte, intellektuell falsch formulierte Sichtweisen, ist die Grundlage fr alle inkorrekten Ansichten in Bezug auf die Wirklichkeit.

    5. Die folgenden zwanzig "sekundren Strfaktoren", die den Geist aufwhlen und Schaden fr einen selbst und andere herbeifhren, sind Erweiterungen der "grundlegenden Strfaktoren", insbesondere von begehrendem Anhaften, rger und Unwissenheit. Die Definition des ? Geistesfaktors Wut ist der Wunsch, anderen unmittelbar Schaden zuzufgen, sei es krperlich oder sprachlich. Beim Geistesfaktor Rachsucht handelt es sich um die Absicht, Mglichkeiten zu finden, um erhaltenen Schaden zu vergelten. Verdrngung ist ein Strfaktor des Geistes, der eigene Fehler aufgrund von Anhaftung oder negativer Absicht nicht eingestehen will. Der Geistesfaktor Gehssigkeit trgt das Verhalten anderer nach und ussert verletzende Worte. Neid ist ein Strfaktor des Geistes, der es nicht ertragen kann, wenn er beispielsweise Qualitten oder den Besitz anderer sieht. Der Geistesfaktor Geiz wird dadurch bestimmt, dass er unfhig ist, eigene Sachen wegzugeben. Heuchelei ist ein Geistesfaktor, der aufgrund von Anhaftung andere tuschen will. Der Geistesfaktor Unehrlichkeit hat ebenfalls die Absicht, ein falsches Bild von sich zu geben und andere irrezufhren, indem er die eigenen Fehler vertuscht. Der Geistesfaktor Selbstgeflligkeit ist ausschliesslich um den eigenen Krper und die eigenen Errungenschaften besorgt. Der Geistesfaktor Boshaftigkeit hat die Punktion, andere herabzusetzen und ihnen Schaden zuzufgen. Skrupellosigkeit ist ein Strfaktor des Geistes, der ohne jeglichen Selbstrespekt vor keinem Fehlverhalten zurckschreckt. Der Geistesfaktor Rcksichtslosigkeit schreckt vor keinem Fehlverhalten in Bezug auf andere zurck und fhrt dazu, dass andere ihre Achtung vor einem verlieren. Geistiger Stumpfsinn ist ein unempfindlicher Geistesfaktor, der sich nicht klar und eindeutig auf ein Objekt ausrichtet und Krper und Geist schwer macht. Aufgrund von begehrendem Anhaften erlaubt der Strfaktor geistige Erregung dem Geist nicht, an einem positiven Objekt zu verweilen, sondern lsst ihn umherschweifen. Der Geistesfaktor mangelndes Vertrauen weist kein Verlangen nach religisen Werten auf und besitzt keinen Respekt vor dem, was wert des Vertrauens ist. Die Definition des Geistesfaktors Faulheit ist Unlust an heilsamen Handlungen, motiviert durch Anhaftung an weltlichem Vergngen. Gewissenlosigkeit ist ein Geistesfaktor, der ungehalten das zu tun wnscht, wonach es ihn verlangt, ohne den Geist vor Fehltritten zu bewahren. Vergesslichkeit ist dann ein Strfaktor, wenn er den Geist zu negativen Objekten abschweifen lsst und seine heilsame

  • Ausrichtung vergisst. Aufgrund von Begierde, rger oder Unwissenheit zerstrt der Geistesfaktor Abgelenktsein die Konzentration, die positiv ausgerichtet ist. Mangelnde Selbstbeobachtung setzt sich unzureichend mit dem eigenen Verhalten auseinander.

    6. Die letzte Gruppierung der Geistesfaktoren umfasst die vier variablen geistigen Zustnde Schlaf, Reue, allgemeine Untersuchung und detaillierte Prfung eines Objektes, die, abhngig von der eigenen Motivation, vorteilhaft, nachteilig oder neutral sein knnen.

    Obwohl wir geistige Formationen oder Ereignisse in keiner Weise als das "Selbst" betrachten, tendieren wir dennoch dazu, unser "Selbst" mit dem zu identifizieren, was wir uns als unsere Persnlichkeit vorstellen. Sobald ein Teil unserer Persnlichkeit kritisiert wird, reagieren wir gefhlsmssig in der Annahme, dass wir (unser Selbst) kritisiert worden seien. Wenn man jedoch die Beschaffenheit der eigenen Persnlichkeit sehr sorgfltig und leidenschaftslos untersucht, wird man feststellen, dass diese weitaus unbestimmbarer ist als der Krper. Beim Krper war man sich wenigstens soweit gewiss, welche Krperteile ihn ausmachen, obschon keiner von ihnen als das "Selbst" identifiziert werden konnte. Bei der Persnlichkeit hat man es jedoch mit einem Strom von sich stndig wandelnden Formationen und Ereignissen zu tun. Man neigt dazu, bestimmte, mehr oder weniger konstante Eigenschaften dieses Stromes als Kennzeichen einer individuellen Persnlichkeit auszuwhlen, und wenn sie sich manifestieren, fhlt man, dass die Person sie selbst ist. Sobald sich bei ihr ganz andere Charakterzge offenbaren (wiederum in einer mehr oder weniger konstanten Form), so sprechen wir von ihr als von jemandem, bei dem sich ein Wandel der Persnlichkeit vollzogen hat. Wir sagen von ihr, dass sie nicht in ihrer richtigen geistigen Verfassung oder zeitweilig verwirrt ist und so weiter. Stillschweigend folgern wir hieraus, dass es da eine Person oder "Selbst" geben muss, die sich von der gegenwrtigen Persnlichkeit oder ihrem geistigen Zustand unterscheidet. Und genau dieses "Selbst" ist es, das wir zu einer Untersuchung heranziehen. Es ist eindeutig nicht die Persnlichkeit oder irgendeiner der Geistesfaktoren, die es (das Selbst) ausmachen, da keines von ihnen ein separates, unabhngiges, dauerhaftes Element aufweist, das als "Selbst" bezeichnet werden knnte.

    5. Aggregat der Primrbewusstseinsarten

    (skr.: vijnana skandha, tib.: mam shes kyiphungpo)

    Die Primrbewusstseinsarten im Kontinuum einer Person werden "Primrbewusstsein" oder "Hauptgeist" genannt, um sie von den Sekundrbewusstseinsformen, den Geistesfaktoren, zu unterscheiden, die die Arten des Primrbewusstseins stndig begleiten und ihren Einfluss ber die Gesamtheit des Geistes ausben.

  • "Geist" wird definiert als etwas, das leer und klar ist und die Fhigkeit des Erkennens besitzt. Leerheit und Klarheit bezieht sich auf seine lichte, nicht-materielle Natur, die dem offenen Raum hnlich ist, jedoch ungleich diesem bewusst Dinge erfassen kann. Entsprechend der buddhistischen berlieferung ist "Geist" ein vielfaches Phnomen. Er wird im Lehrsystem des Shravaka als sechsfach beschrieben, und zwar in fnf sinnlich erfassenden Primrbewusstseinsarten und in einer geistigen. Bei den

  • Primrbewusstseinsarten der Sinne handelt es sich um die fnf Wahrnehmungen der Sinne: Die Sehwahrnehmung erlebt die Eigenart einer Form durch die so genannten "Sinneskrfte" oder Fhigkeiten der Augen. Die Hrwahrnehmung erlebt die Eigenart eines Klanges durch die Sinneskrfte der Ohren. Die Geruchswahrnehmung erlebt die Eigenart eines Geruchs durch die Sinnesfhigkeit der Nase. Die Geschmackswahrnehmung erlebt die Eigenart eines Geschmacks durch die Sinnesfhigkeit der Zunge. Die Wahrnehmung des Krpers registriert die Eigenart eines Reizes durch die Fhigkeit des Haut- und Tastsinns, der den ganzen Krper durchzieht.

    Die fnf Sinneswahrnehmungen stimmen mit dem ersten Wahrnehmungsmoment der fnf Sinne berein, die die Natur ihres Objektes auf eine unmittelbare Weise erkennen, d.h. ohne sich gedanklich mit dem erfassten Gegenstand auseinanderzusetzen, denn weder die Sinne noch die Sinneswahrnehmungen besitzen intellektuelle Fhigkeiten. Sie werden mit einer Person verglichen, die zwar sehen kann, aber stumm ist.

    Die Voraussetzung fr das Entstehen der fnf Sinneswahrnehmungen sind u.a. unversehrte Sinnesorgane und die entsprechenden Objekte der Sinne. Das Entstehen des sechsten, geistigen Primrbewusstseins ist nicht von einem psychischen Sinnesorgan abhngig, sondern von der sensorischen Information, die es von den verschiedenen Sinneswahrnehmungen empfngt. Das geistige Bewusstsein kann sich mit einem Sinnesbewusstsein einlassen, zum Beispiel an einem angenehmen Geruch haften, doch ihm fehlt der direkte Kontakt mit dem usseren Objekt. Das, was das geistige Primrbewusstsein erlebt, sind Phnomene, die von geistiger Natur sind. Sobald eine der Sinneswahmehmungen ein Objekt aus seinem natrlichen Zusammenhang mit dem Ganzen ausschnitthaft aussondert, bermittelt sie in einem Bruchteil von Sekunden dieses Bild an das geistige Primrbewusstsein, das sich im darauffolgenden Augenblick eine begriffliche Vorstellung davon macht, indem es diese Information mit seiner eigenen, subjektiven Projektion davon vermischt, sie als "angenehm" oder "unangenehm" usw. bezeichnet. Die begriffliche Erfassungsweise des Primrbewusstseins befindet sich in einem stndigen Irrtum, da sie von individuellen Eindrcken ausgeht und der Seinsweise des Objekts nicht mehr entspricht. Das geistige Primrbewusstsein wird mit einer Person umschrieben, die usserst scharfsinnig und redegewandt, jedoch blind ist.

    Es ist jedoch falsch anzunehmen, dass es sich beim Aggregat der Primrbewusstseinsarten um sechs Entitten handelt. Das visuelle Primrbewusstsein ist ein Strom von temporr erfassten Momenten von Formen und Farben aller Ausmasse und Schattierungen und die Hrwahrnehmung eine Ansammlung vernommener Momente jeglicher Klangart wie laute und leise, hohe und tiefe Klangmomente usw. Die Geruchs-, Geschmacks- und Krperwahrnehmung besteht aus aufeinanderfolgenden, wahrgenommenen Augenblicken verschiedenartigster Gerche, Geschmacksnuancen und Berhrungsempfindungen. Und beim klaren, usserst unbestndigen geistigen Primrbewusstsein handelt es sich um eine Fluktuation von Momenten geistiger Wahrnehmung. Im Buddhismus bezieht sich also der Begriff "Primrbewusstsein" auf einen einzigen dieser Erlebnismomente.

  • Wenn wir ber die zuvor aufgelisteten vier Skandhas nachdenken, mag man das Gefhl nicht loswerden, dass hinter diesen ein ihnen gemeinsames Kontinuum, eine Art

  • Bewusstheit oder Erkennendes liegt. Wir sind vielleicht sogar dazu geneigt, es als den Geist selbst anzunehmen, der mit den in ihm auftretenden Ereignissen nicht identisch ist. Mglicherweise vermuten wir, dass es nun wirklich das ist, war wir mit "Ich" oder "Selbst" meinen. Es scheint sich um eine unwandelbare, separate, unabhngige Bewusstheit zu handeln, die die Grundlage unserer gesamten Erfahrung ist. Sie ist das "Ich, der Macher". Diese Idee gilt es sorgfltig zu untersuchen.

    Im allgemeinen stellen wir uns unser Leben und unsere Erfahrung als etwas Dahinfliessendes vor, als eine Art Strmung innerhalb von Zeit und Raum. Man hat das Gefhl von Anfang und Ende, und ein Ereignis folgt auf das andere. Obwohl wir einen Erfahrungsmoment nicht als etwas betrachten, der Ecken um sich herum hat, haben wir trotzdem das Gefhl, dass er irgendwo endet, denn sonst wrde er einfach mit allem anderen verschmelzen. Unsere Erfahrung und unser Gefhl von "Selbst" ist demnach eindeutig von Zeit und Raum begrenzt. Es msste also im Bereich des Mglichen liegen, Raum und Zeit in die kleinsten mit den Sinnen zu erfassenden Teilchen und in den kleinsten wahrnehmbaren Zeitmoment zu zerlegen. Um sicherzugehen, dass auf der Suche nach einem fortdauernden und separaten Selbst kein Aspekt bersehen wird, versucht man in der Shravaka-Herangehensweise des kleinsten wahrnehmbaren Erfahrungsmomentes gewahr zu werden.

    Dabei wird man herausfinden, dass jeder Augenblick der Erfahrung zwei Aspekte hat. Wenn er diese beiden Aspekte nicht htte, knnte er schwerlich als ein Erfahrungswert zhlen. Und was sind diese beiden Aspekte? Erstens muss es etwas geben, das erlebt, und zweitens etwas, das erlebt werden kann. In anderen Worten: es gibt stets etwas, das erkennt und etwas, das erkannt wird. Wenn eines dieser Elemente fehlen wrde, knnte keine Erfahrung zustande kommen. Der Sanskrit-Begriff fr diese kleinsten zu erfassenden Momente des Gewahrseins, die in Abhngigkeit von ihren korrespondierenden, flchtigen Objekten des Gewahrseins auftreten, ist vijnana (tib.: mam shes). Die Silbe vi bedeutet in etwa partiell oder geteilt. Beim wahrnehmenden Geist handelt es sich dementsprechend um ein partielles oder geteiltes Wissen. Im Gegensatz zu dieser Bezeichnung bedeutet der Sanskrit-Begriff jnana (tib.: ye shes. Ursprngliches Wissen) ganz einfach nur Wissen oder Weisheit. In den spteren Stadien der Meditationsfolge ber Leerheit bekommt der Unterschied zwischen jnana und vijnana grosse Bedeutung.

    Das Endergebnis dieser ziemlich langen Diskussion ber die Bedeutung des Primrbewusstseins im Buddhismus ist, dass man sich bei der Untersuchung der Vermutung, die fortlaufende Bewusstheit hinter der gesamten eigenen Erfahrung sei das "Selbst", auf den Strom der Vijnanas beziehen muss. Man mag in dieser Weise den Geist nicht so tief analysiert haben, doch solange man eine gewhnliche Vorstellung von Zeit und Raum akzeptiert, muss die Natur des Bewusstseins, wie oben beschrieben, zerlegbar sein. Da ausserdem jeder Moment des Gewahrseins auf ein anderes Objekt gerichtet ist, ist jeder wahrnehmende Augenblick separat und verschieden. Ob es sich um ein Gewahrsein von Form oder um ein geistiges Bild handelt, es ist, welcher Art auch immer es sein mag, von irgendeinem anderen wahrnehmenden Moment, der zuvor

  • auftaucht oder dabei ist, nach diesem zu entstehen, vllig verschieden. Der vorhergehende Moment ist verschwunden, und der Augenblick, der auf ihn folgt, existiert noch nicht. Aus diesem Grunde kann es sich beim Primrbewusstsein einzig und allein

  • um etwas Flchtiges handeln, und ein derartig rasch vorberziehendes Phnomen kann niemals geeignet sein fr den Titel "Selbst". Somit kann der Geist oder die Bewusstheit, die sich hinter unserer gesamten Erfahrung zu befinden scheint, ebenfalls nicht als das "Selbst" bestimmt werden.

    Endanalyse

    Wenn das Selbst des Individuums konkret existieren wrde, dann msste es, wie zuvor beschrieben, ein von anderen Erscheinungen separates und E unabhngiges Phnomen sein, unabhngig zum Beispiel von Ursachen oder seinen Teilen. Demzufolge msste es mit den fnf physisch-psychischen Komponenten gnzlich identisch oder vollkommen verschieden davon sein - eine andere Lsung zu dieser Problemstellung gibt es nicht.

    Wenn wir die erste Mglichkeit untersuchen, werden wir deutlich zur berzeugung gelangen, dass unser Ich-Gefhl, an dem wir haften, kein fnffaches, sondern ein einzelnes ist. Es kann sich also beim "Selbst" nicht um die fnf Aggregate handeln. Wenn das "Selbst" die fnf Aggregate wre, dann msste es demzufolge fnf "Selbst" geben. Darber hinaus bedienen wir uns im gewhnlichen Sprachgebrauch der fnf Anhufungen in einer besitzenden, erfahrenden und kontrollierenden Weise. Wir sprechen von "unserem" Krper, "unserem" Geist und "unseren" Gefhlen, die wir im Griff haben. Dieses zeigt deutlich, dass das Selbst des Individuums etwas anderes als die fnf Aggregate sein muss und nichts mit ihnen gemein haben kann.

    Wenn das "Selbst" jedoch von den Skandhas vollkommen verschieden wre, msste sich das dann klar herauskristallisieren, sobald wir die fnf Erfahrungsgruppen abgelegt haben. Wenn wir uns jedoch unserer krperlichen und geistigen Komponenten entledigen wrden, dann wrde von uns nichts mehr brig bleiben. Das "Selbst" kann also nicht getrennt von den fnf Aggregaten existieren.

    Am Ende unserer Analyse kommen wir zum Ergebnis, dass das Selbst einfach ein vages und zweckdienliches Konzept ist, das wir mal hier und mal dort auf einen Strom von Erlebnissen projizieren; das Selbst besteht weder in sich noch aus sich selbst. Man mag den Wunsch hegen, das Selbst als eine Art Kontinuitt von strmenden krperlichen und geistigen Erlebnissen, die die Persnlichkeit ausmachen, aufrechtzuerhalten. Dieser Art von Selbst fehlen die Kennzeichen von etwas Dauerhaftem, Abgetrenntem und Unabhngigem. Jedoch auch dieser wiederholte Versuch, das Selbst neu zu definieren, ermglicht uns nicht im geringsten, unser emotionales Verhalten zu erklren. Der Buddhismus geht in seiner Aussage nicht so weit, den Menschen zu sagen, was sie glauben sollen - dass sie z.B. ein "Selbst" oder kein "Selbst" haben. Er sagt vielmehr aus: Wenn man sich die Art und Weise anschaut, in der wir leiden, denken und emotional auf das Leben reagieren, so sieht es so aus, als ob wir glauben, dass es ein "Selbst" gibt, das dauerhaft, separat und unabhngig ist; wenn man die Sache genau untersucht, so kann man trotzdem kein derartiges "Selbst" isolieren oder vorfinden. Die Skandhas sind, um es in anderen Worten auszudrcken, leer (skr.: shunya, tib.: stong.pd) von einem "Selbst".

  • Diese Schlussfolgerung ist sehr wichtig fr das korrekte Verstndnis der Leerheit. Das Phnomen an sich wird nicht geleugnet! Selbstverstndlich gibt es eine Person, die von

  • Krper und Geist abhngig ist, die in Handlungen verwickelt ist und das Ergebnis ihres Tuns erfahren wird. Deshalb ist auch nichts gegen ein gesundes Gefhl von Identitt einzuwenden! Sobald wir jedoch untersuchen, wie dieses Selbst existiert, dann stimmt die Endanalyse mit dem festen Bild, das wir von uns haben, nicht mehr berein. Wir haften an etwas, das nicht existiert! Dieses begrenzte, emotional verhaftete Wirklichkeitsbild wird durch unsere geistigen Muster und Gewohnheiten der Gedanken genhrt und gestrkt.

    Darber hinaus fhren die Handlungen, die man in dem Glauben ttigt, dass es sich um das "Selbst" handelt, das da agiert, dazu, die "Welt" zu schaffen, in der man sich befindet. In anderen Worten: Auch wenn im absoluten Sinne kein Selbst besteht, muss man doch auf der relativen Ebene die Ergebnisse seiner vergangenen guten und schlechten Handlungen erfahren.

    Der Vergleich mit einer Kerzenflamme kann diese Aussage veranschaulichen. Man kann beispielsweise sagen: Diese Flamme hat den ganzen Tag gebrannt. Im uneingeschrnkt gltigen Sinne jedoch gibt es keine Flamme, die den ganzen Tag gebrannt hat. Die Flamme war von einem Moment zum anderen niemals dieselbe. Es gab berhaupt keine separate, unabhngige, dauerhafte Flamme. Es existiert kein Ding wie "eine Flamme" als solche, aber dessen ungeachtet ist es trotzdem sinnvoll, von der Flamme zu sprechen.

    Whrend der Meditation ber die Leerheit der physisch-psychischen Aggregate betrachtet man diese einfach als das, was sie sind; sie besitzen keine solide Eigenschaft und haben keine absolute Existenz. Keines dieser Aggregate kann als das dauerhafte, unabhngige, separate "Selbst" identifiziert werden, ihre Verbindung ist nicht das "Selbst" noch existiert in ihnen ein derartiges "Selbst". Es ist hnlich wie in einem Traum, in dem man beispielsweise die Qual erfhrt, verbrannt oder von einem Tiger verfolgt zu werden: Das ganze Leiden, das damit verbunden ist, verschwindet, sobald man feststellt, dass die Person im Traum nicht man selbst ist. Auf die gleiche Weise wird das gesamte Leiden, das durch die Annahme entstand, die Skandhas seien das "Selbst", abidingen, sobald man seine Aufmerksamkeit nach innen auf das Nichtvorhandensein des "Selbst" in den Skandhas richtet.

    Dann kann der Geist mit vollkommenem Vertrauen und Gewissheit friedvoll im leeren Raum ruhen. Alle subtilen Zweifel werden sich durch eine derartige Meditation erschpfen, und der Geist vermag natrlich in der Leerheit zu verweilen.

    Ergebnis der Shravaka-bung

    Die Ursache fr all unsere Leiden ist unser instinktives, emotionales Haften oder Festklammem an der vagen Vorstellung eines "Selbst". Aus der Vorstellung eines "Selbst" resultiert die von "Anderen". Wenn der "Andere" durch seine Verhaltensweise

  • unser "Selbst" stabilisiert, schenken wir ihm unsere Zuneigung und suchen seine Nhe. Wenn jedoch der "Andere" durch sein Verhalten unsere "Ich-Struktur" bedroht, weisen wir ihn von uns ab. Dem "Anderen", der weder unser Selbst stabilisiert noch bedroht, stehen wir gleichgltig gegenber. Nur aus dieser Interaktion von "Selbst" und "Anderen" entstehen die drei Gifte von Begierde, Abneigung und Verblendung. Es gibt

  • viele Formen der Begierde - Habgier, Neid und Geiz sind darin Inbegriffen. Hass kann die Form von Eifersucht, rger und Verdruss annehmen, Verblendung umfasst geistigen Stumpfsinn, Dummheit und Verwirrung. Aus diesen unheilsamen geistigen Zustnden resultieren die dadurch motivierten Handlungen und ihre Ergebnisse. Deren Resultate, denen man nicht entkommen kann, solange man sich mit dem leidenden "Selbst" identifiziert, nehmen jegliche Form von Leid an.

    Aus diesem Grunde verbleibt als einziger Weg, um das eigene Leiden zu beseitigen, das Nichtvorhandensein des "Selbst" zu verstehen. Der Weisheitsgeist, der Nicht-Selbst erkennt, gleicht dem Licht, das die Dunkelheit beseitigt. Genauso wie Finsternis nicht in Helligkeit bestehen kann, kann Leiden im Licht des Weisheitsgeistes nicht fortdauern.

    Wo immer Leiden vorkommt, muss auch Haften am "Selbst" vorliegen. Wo auch immer Haften am "Selbst" besteht, muss Unwissenheit ber Nicht-Selbst vorhanden sein. Es gibt nur eine einzige Mglichkeit, Leidsituationen ein Ende zu setzen: die Ignoranz, die die Ursache fr das Haften am Selbst ist, zu beseitigen.

    Die Tilgung von Leiden ist demnach das Ziel des Shravakas, und dieses Ziel nennt er nirvana (skr.. Verlschen). Der Shravaka ist weder darum bemht, auch das Leiden aller anderen lebenden Wesen zu beseitigen, noch versucht er, den erwachten Zustand des Buddha zu erreichen. Er verfgt weder ber die Vision, das Verstndnis, noch ber das notwendige Vertrauen, um derartig motiviert zu sein. Sein Ziel ist relativ bescheiden. Es handelt sich dabei schlicht um die Beseitigung der Ursache fr sein eigenes Leiden. Man kann jedoch nicht behaupten, seine Leerheitserkenntnis sei nicht ausreichend tiefgrndig. Es heisst, dass sie mit der eines Bodhisattvas vom ersten bis zum sechsten Bhumi korrespondiert. Sie beseitigt die Schleier der Ignoranz und der Verwirrung, die tiefere und subtilere Ebenen der Leerheit so unerreichbar machen. Indem man nicht mehr an der irrigen Auffassung von einem inhrenten, natrlich existierenden "Selbst" in den Skandhas festhlt, bereitet man damit auch den Weg fr die "hheren Fahrzeuge", deren Ziel es ist, nicht nur das eigene Leiden, sondern auch das aller Wesen zu beseitigen.

    Meditationsverlauf

    Wenn man Belehrungen ber die stufenweise Meditationsfolge ber Leerheit erhlt, hat man zwar hufig zu wenig Zeit, um ber eine Stufe ausreichend meditieren zu knnen, bevor man mit der nchsten bekannt gemacht wird, doch ist es von grsserem Vorteil, sich jede Etappe einzeln vorzunehmen und sich darin solange zu schulen, bis man zu einer eindeutigen Erfahrung vorgedrungen ist, die die Theorie des Nicht-Selbst besttigt.

    Die Fhigkeit, ber Leerheit zu meditieren, erwirbt man sich durch bung in den drei Stufen der analytischen, alternierenden und stabilisierenden Meditation. Die erste Stufe der analytischen Meditation dient dazu, ein klares und tiefes Verstndnis der Leerheit zu gewinnen. Die philosophische Debatte, die in einigen Schulen einen bedeutenden Teil der buddhistischen Ausbildung ausmacht, ist ebenfalls eine Form der analytischen

  • Meditation. Fr denjenigen, der sich als Anfnger in der Meditation betrachtet, ist diese untersuchende Vorgehensweise usserst wichtig.

    Bei der stabilisierenden Meditationsstufe, die von jeglicher gedanklichen Ttigkeit frei ist, handelt es sich um die eigentliche Meditation, in der jedoch nur ein Gebter lange

  • konzentriert zu verweilen vermag.

    Der mit der Praxis Beginnende bedient sich ausgiebig der zweiten Stufe, wobei er geschickt die analytische Meditation mit der stabilisierenden abwechselt. Sollte sich der Meditierende hauptschlich und ausgiebig allein der Analyse bedienen, wird sein Geist von Gedanken bewegt bleiben, doch falls er die analytische Meditation nicht durchfhren und nur die stabilisierende Meditationsstufe kultivieren sollte, besteht die Gefahr, dass er das Interesse am Ergrnden der Dinge verliert und sein Geist dumpf und unscharf werden kann.