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IX. Formen und Funktionen biblischer Bezüge in Sugers Schriften Wie die meisten lateinischen Autoren des Mittelalters flicht Suger zahlreiche Zitate aus der Vulgata und Anspielungen auf den biblischen Text in seine Schriften ein. Die Kenntnis der Bibel kann er auch bei seinen Lesern voraussetzen. Die Entlehnungen - seien es wörtliche oder abgewandelte Zitate oder auch Bezüge auf biblische Personen und Ereignisse - sollen teils die eigenen Darlegungen mit biblischer Autorität untermauern, teils haben sie auch die Funktion, Sugers Blickwinkel auf das, was er ausführt, indirekt und auf eher assoziative Weise deutlich zu machen: Suger unternimmt keine ausführliche Exegese des Bibeltextes, wie es Zeitgenossen in ihren Predigten oder auch in Traktaten tun, doch mit Hilfe des biblischen Bezugs erhält der Leser einen Deutungshinweis für Sugers eigene Ausführungen. Wie dies im einzelnen geschieht und ob daraus auch Hinweise zur Deutung des Baus zu entnehmen sind, soll in diesem Kapitel untersucht werden. Daneben sollen die Quellen seiner Kenntnisse im Bereich der typologischen Deutung aufgezeigt werden. 1. Das Bibelzitat zur Bestätigung der Argumentation Am Prolog zu De consecratione läßt sich Sugers Verfahren demonstrieren, mit Bibelzitaten seine Argumentation zu unterstützen. Diese Aufgabe der Zitate wird im Text dadurch verdeutlicht, dass Suger den Rückgriff auf ein Bibelwort selbst hervorhebt und das Zitat syntaktisch in den Argumentationszusammenhang eingliedert 1 . Suger beschreibt zunächst, wie diejenigen, die Anteil an der ewigen Herrlichkeit erlangen wollen, das irdische Leben gering schätzen 2 ; die Beschreibung dieser Grundhaltung, die in besonderer Weise Mönchen zukommt 3 , bedarf zwar keiner biblischen Rückversicherung, scheint aber sprachlich den Anklang an eine entsprechende Stelle im Kolosserbrief zu wahren: quae sursum sunt, sapite, non quae super terram. [..] Cum Christus apparuerit, vita vestra, tune et vos apparebitis cum ipso in gloria 4 . Die Zuversicht derer, die sich so verhalten, gründet auf einer Zusage Jesu, die Suger mit der Angabe "da Gottes eingeborener Sohn verspricht..", als Zitat kenntlich macht 5 . Im folgenden Satz führt Suger aus, dass die menschliche Natur ohne Gottes barmherzige Hilfe nicht einmal zu dem eben beschriebenen Streben fähig wäre; hier klingt bereits das Motiv an, das im weiteren Verlauf immer wieder verwendet wird - ohne Gottes Hilfe gelangt das Streben des Menschen nicht ans Ziel. Was hier allgemein mit der Wendung effectui mancipare umschrieben wird, thematisiert Suger später bei der Grundsteinlegung, wenn er um Gottes Beistand betet, "auf dass er den 1 z.B. durch die Konstruktion des Ablativus absolutus - promittente unigenito Dei filio (cons 2,18) - oder durch Verknüpfungen wie Unde (cons 4,24). 2 cons 2,5-23 3 s. hierzu die in 1.1 angeführten Aussagen Cassians 4 II Col 3,2; 3,4 5 promittente unigenito Dei filio : in patientia possidebitis animas vestras (Le 21,19) Brought to you by | St. Petersburg State University Authenticated | 93.180.53.211 Download Date | 12/16/13 12:40 AM

Suger von Saint-Denis (Untersuchungen zu seinen Schriften Ordinatio - De consecratione - De administratione) || IX. Formen und Funktionen biblischer Bezüge in Sugers Schriften

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IX. Formen und Funktionen biblischer Bezüge in Sugers Schriften

Wie die meisten lateinischen Autoren des Mittelalters flicht Suger zahlreiche Zitate aus der Vulgata und Anspielungen auf den biblischen Text in seine Schriften ein. Die Kenntnis der Bibel kann er auch bei seinen Lesern voraussetzen. Die Entlehnungen -seien es wörtliche oder abgewandelte Zitate oder auch Bezüge auf biblische Personen und Ereignisse - sollen teils die eigenen Darlegungen mit biblischer Autorität untermauern, teils haben sie auch die Funktion, Sugers Blickwinkel auf das, was er ausführt, indirekt und auf eher assoziative Weise deutlich zu machen: Suger unternimmt keine ausführliche Exegese des Bibeltextes, wie es Zeitgenossen in ihren Predigten oder auch in Traktaten tun, doch mit Hilfe des biblischen Bezugs erhält der Leser einen Deutungshinweis für Sugers eigene Ausführungen. Wie dies im einzelnen geschieht und ob daraus auch Hinweise zur Deutung des Baus zu entnehmen sind, soll in diesem Kapitel untersucht werden. Daneben sollen die Quellen seiner Kenntnisse im Bereich der typologischen Deutung aufgezeigt werden.

1. Das Bibelzitat zur Bestätigung der Argumentation

Am Prolog zu De consecratione läßt sich Sugers Verfahren demonstrieren, mit Bibelzitaten seine Argumentation zu unterstützen. Diese Aufgabe der Zitate wird im Text dadurch verdeutlicht, dass Suger den Rückgriff auf ein Bibelwort selbst hervorhebt und das Zitat syntaktisch in den Argumentationszusammenhang eingliedert1. Suger beschreibt zunächst, wie diejenigen, die Anteil an der ewigen Herrlichkeit erlangen wollen, das irdische Leben gering schätzen2; die Beschreibung dieser Grundhaltung, die in besonderer Weise Mönchen zukommt3, bedarf zwar keiner biblischen Rückversicherung, scheint aber sprachlich den Anklang an eine entsprechende Stelle im Kolosserbrief zu wahren: quae sursum sunt, sapite, non quae super terram. [..] Cum Christus apparuerit, vita vestra, tune et vos apparebitis cum ipso in gloria4. Die Zuversicht derer, die sich so verhalten, gründet auf einer Zusage Jesu, die Suger mit der Angabe "da Gottes eingeborener Sohn verspricht..", als Zitat kenntlich macht5. Im folgenden Satz führt Suger aus, dass die menschliche Natur ohne Gottes barmherzige Hilfe nicht einmal zu dem eben beschriebenen Streben fähig wäre; hier klingt bereits das Motiv an, das im weiteren Verlauf immer wieder verwendet wird -ohne Gottes Hilfe gelangt das Streben des Menschen nicht ans Ziel. Was hier allgemein mit der Wendung effectui mancipare umschrieben wird, thematisiert Suger später bei der Grundsteinlegung, wenn er um Gottes Beistand betet, "auf dass er den

1 z.B. durch die Konstruktion des Ablativus absolutus - promittente unigenito Dei filio (cons 2,18) - oder durch Verknüpfungen wie Unde (cons 4,24). 2 cons 2,5-23 3 s. hierzu die in 1.1 angeführten Aussagen Cassians 4 II Col 3,2; 3,4 5 promittente unigenito Dei filio : in patientia possidebitis animas vestras (Le 21,19)

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204 IX. Formen und Funktionen biblischer Bezüge in Sugers Schriften

guten Beginn des Gotteshauses mit einem guten Ende abschließe"6. Die Gewissheit, Gottes Erbarmen zu erfahren, wird im Prolog nun wiederum mit einem ausdrücklich gekennzeichneten Bibelzitat begründet: Unde legitur et misericordia eius super omnia opera eiui. Dieses Erbarmen erfährt der Mensch schon durch die Taufe, die Suger -wiederum mit einem Zitat8 - als Grund zur Dankbarkeit und zur Ehrfurcht darstellt. Damit hat er nun die beiden Motive anklingen lassen, auf die er sowohl in De consecratione als auch in De administratione immer wieder zurückkommt9 und die er in einem weiteren Schritt zum Anlass seines Berichts nimmt10. Die Wohltaten Gottes zu verschweigen, wäre ein Zeugnis unbegreiflicher Undankbarkeit; Suger beleuchtet dies mit einem weiteren Zitat, das eine bekannte biblische Szene in Erinnerung ruft. Es handelt sich um die Heilung der zehn Aussätzigen11, von denen nur einer - ein Samariter - zurückkehrt, um Jesus zu danken. Dass der Samariter die rühmliche Ausnahme bildet, ist ein für Sugers Aussage irrelevanter Aspekt, deshalb kürzt Suger das Zitat und gibt es im Sinne einer schrecklichen Verurteilung (et vocem illam terribiliter audiamus)12 wieder. Mit einem weiteren Zitat bündelt Suger seine Erfahrung göttlicher Wohltaten - er hat seinen Frieden bei Gott13 - und beschreibt damit die Haltung, in der er nun über Bau und Weihe der Kirche berichten will : er hat Gottes Güte bei der Ausführung seiner Vorhaben erfahren und darin bereits die Uberwindung der Kluft zwischen Gott und den Menschen erleben dürfen, und darüber zu schweigen, wäre undankbar. Damit sakralisiert er zum einen sein Thema, zum anderen begründet er seine Absicht, davon zu erzählen. Bei der argumentativen Verwendung von Zitaten14 kommt es manchmal zu einer Verflechtung von Textstellen, die ursprünglich nicht im selben Zusammenhang standen, so beispielsweise in De administratione an der Stelle, an der sich Suger für die Aufbietung möglichst kostbarer Altargeräte ausspricht15. Die Aufzählung der Gefäße übernimmt Suger aus I Mcc 1,23; dort werden sie jedoch im Zusammenhang mit der Plünderung durch Antiochus genannt. Suger spricht von den kostbaren Gefäßen aus dem Alten Testament im Blick auf ihre Verwendung beim Opfer von Böcken, Kälbern und Kühen und setzt sie in Relation zu den höheren Ansprüchen, die für die bei der Eucharistie zu verwendenden Gefäße gelten müssen. Der mit quanto magis

' cons 52,314s.; negativ reflektiert wird der Gedanke dort auch in der Sorge um den gedeihlichen Abschluss: cons 54,325s deperagendo solliciti, varietatem temporum, diminutionem personarum et mei ipsius defectum pertimescentes 7 cons 4 8 Tit 3,5 9 cons 21,152 tanto maiores gratiarum actiones pro tanti remedio; laboris opere pretium duximus rependendo re/erre-, cons 46,277ss pro gratiarum accione eo, quod tantillo tantorum regum et abbatum nobilitati succedenti tantum opus divina dignatio reservasset 10 cons 5, 37ss 11 Le 21,11-19 12 Vollständig lautet das Zitat: Non est inventus qui rediret et daret gloriam Deo, nisi hie aligena. 13 cons 7,43s., cf. Rm 5,1 14 - die in der bekannten Absicht kombiniert werden, einander im Sinne der Konkordanz argumentativ zu ergänzen -15 adm 232,1043ss

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2. Bibelzitate zur Stilisierung des eigenen Amtsverständnisses 205

hervorgehobene Rangunterschied beruht im Hebräerbrief, den Suger hierzu zitiert", auf der Funktion der Entsühnung, die im Opfertod Christi die Tieropfer des Alten Bundes überbietet.

2. Bibelzitate zur Stilisierung des eigenen Amtsverständnisses

Die von Suger verwendeten Bibelzitate eignen sich auch dazu, die Einschätzung seines Amtes und seiner in diesem Amt durchgeführten Reformen zu beleuchten. Hierbei stehen die Zitate nicht in einem argumentativen Zusammenhang, sondern evozieren biblische Szenen, die Sugers Selbstverständnis erkennen lassen. Gemäß der Benediktregel handelt der Abt im Kloster an Christi Statt17. Dieses Bewusstsein prägt auch Sugers Verständnis seines Amtes. Zu Beginn der Ordinatio erklärt er, worin er seine Aufgaben sieht: Dei omnipotentis servitio mancipatis providere, labores et certaminum sudores quibuscumque seu spiritualium seu temporalium remediis alleviare, victualibus, ne deficiant in via, sustentare18. Das darin verwendete Zitat aus dem Matthäusevangelium" steht im Kontext der Speisung der Viertausend -Jesus will die vielen Menschen, die am Galiläischen Meer bei ihm zusammengeströmt sind, nicht ohne Speise fortgehen lassen, "damit sie nicht auf dem Weg ermatten" -; in Sugers Verwendung des Zitats erweist sich die Sorge um die dem Abt anvertrauten Mönche als barmherziges Handeln Christi. In ähnlicher Weise stilisiert Suger die Beratung mit den Mönchen, zu der ihn die Benediktregel anhält20, in Anlehnung an die Perikope über die Emmaus-Jünger: "Nach einer gemeinschaftlichen Beratung mit unseren in rechter Weise ergebenen Brüdern, deren Herz durch Jesus brannte, während er mit ihnen auf dem Weg sprach.."21 Wie Jesus den Jüngern die Schrift deutet, so erschließt das Gespräch mit dem Abt den Brüdern die Gesichtspunkte, die bei der Umgestaltung der Kirche zu beachten sind. Damit setzt Suger nicht nur die Stilisierung seines eigenen Amtsverständnisses fort, sondern beleuchtet auch die Umbaumaßnahme als ein Geschehen, das in gleicher Weise dem Heilsplan Gottes folgt wie die Passion, deren Sinn den Jüngern in der Schriftauslegung verständlich wird.

In De administratione beschreibt Suger die Zustände im Dorf Guillerval, das zwar Saint-Denis gehört, aber in einem desolaten Zustand ist - es gibt keine Scheune, kein Herrenland, ja, nicht einmal für den Abt ein Haus, "wo er sein Haupt hätte hinbetten können"22. Diese Wendung steht im Lukasevangelium23 im Zusammenhang mit dem

16 Hbr 9,13s Si enim sanguis hircorum, et taurorum, et cinis vitulae aspersus inquinatus sanctificat ad emundationem carnis, quanto magis sanguis Christi.. 17 cf. Benedicti Regula, 2,2s. Christi enim agere vices in monasterio creditur, quando ipsius vocatur pronomine, dicente apostolo: accepistis spiritum adoptionis filiorum, in quo clamamus: ahha, pater; 63,13: abbas autem, quia vices Christi creditur agere, dominus et abbas vocatur, non sua adsumptione sed honore et amore Christi. 18 ord 2,3ss. " Mt 15,32 ne deficiant in via 20 Benedicti Regula, cap. 3; cf. Kap.V.l 21 cons 47,280-282; cf. Le 24,32 22 adm 58, 255ss. 23 Le 9,58 Et dixit illi Iesus: Vulpes foveas habent, et volucres caeli nidos: Filius autem hominis non habet ubi caput reclinet.

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206 IX. Formen und Funktionen biblischer Bezüge in Sugers Schriften

warnenden Rat Jesu, sich über den Ernst der Nachfolge keinen Illusionen hinzugeben - in der Situation des Abtes in dem heruntergekommenen Klosterbesitz wiederholt sich die Härte, die Jesus während seines Wirkens auf Erden begegnet. Heruntergewirtschaftete Ländereien oder Gebiete, die den Ubergriffen habgieriger Burgherren ausgesetzt sind, beschreibt Suger mit der im Alten Testament häufig anzutreffenden Bildlichkeit des Verdorrens; andererseits schildert er die Erfolge seiner wirtschaftlichen Reformarbeit mit Bildern des Bewässerns und der neuen Fruchtbarkeit, die im Alten Testament das Kommen des Messias vorwegnehmen. So evoziert sein Bericht über Vaucresson24 eine Perikope aus der Schilderung des künftigen Heils bei Jesaja: "Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme in dürrem Lande. Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnenquellen sein. Wo zuvor Drachen hausten, soll das Grün von Rohr und Schilf aufgehen."25

3. Biblischer Sprachgebrauch und Verfremdung durch Zitieren nach dem Gehör

Im Stundengebet und in zusätzlichen Lesungen begleitete der Text der Bibel die Mönche durch das Kirchenjahr und jeden einzelnen Tag. Durch dieses ständig wiederholte Hören war der Wortlaut so präsent, dass er nach dem Gehör zitiert werden konnte und in den Sprachgebrauch einging. Bei Sugers Gebrauch von Bibelzitaten zeigt sich dieser Einfluss dort, wo biblische Junkturen ohne deutlich erkennbare argumentative oder suggestive Funktion anklingen, z.B. bei der Kennzeichnung der Heiligen, die, "leuchtend wie die Sonne", in Gottes Nähe weilen26, oder bei der Übernahme der Wendung vom "Öl der Freude"27. Die Wiedergabe nach dem Gehör führt bisweilen zu einer Sinnverschiebung: Das Zitat aus Ps 138,16 -Imperfectum meum viderunt oculi tui - steht bei Suger im Zusammenhang der bedrückenden Vorstellung, mit dem begonnenen Werk nicht fertig zu werden und diesen Befund vor Gott beklagen zu müssen28, während der Psalmist damit das liebevolle Wachen Gottes über den Menschen noch vor dessen Geburt beschreibt: "Deine Augen sahen mich, als ich noch nicht bereitet war." Ein ähnlicher Fall folgt noch innerhalb desselben Satzes in De consecratione29: Suger verschränkt zwei Psalmzitate über die Gottesstadt auf dem Berg Zion30 und wendet

24 adm 50,215-53,225, bes. 53,223-225 Eapropter ibidem fratres nostros Deo deservire disposuimus, ut in cubilibus, in quibusprius dracones habitabant, oriatur viror calami et iunci. 25 Is 35,6s. quia scissae sunt in deserto aquae, et torrentes in solitudine. Et quae erat arida, erit in stagnum, et sitiens in fontes aquarum. In cubilibus, in quibus prius dracones habitabant, orietur viror calami et iunci. 26 cons 60,375s. quorum venerandi spiritus Deo omnipotenti sicut sol fulgentes assistunt - cf. Mt 13,34 Tunc iusti fulgebunt sicut sol in regno Patris eorum 17 cons 98,613s., cf. Hbr. 1,9 28 cons 57, 343s ne nobis conqueri Deo, imperfectum meum viderunt oculi tui, iure oporteret 29 cons 57,345ss instarque divinorum fundabatur exultationi universe terre, mons Syon latera aquilonis civitas regis magni, cuius in medio Deus non commovebitur, sed peccatorum incitamentis commotus odorifero penitentium holocausto placari etpropiciari non dedignabitur. 30 Ps 47,3 Fundatur exultatione universae terrae mons Sion, latera Aquilonis, Regis magni; Ps 45,6 Deus in medio eius, non commovebitur: adiuvabit eam Deus mane diluculo.

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4. Biblisch begründete Aussagen über die Kirche 207

den Satz Deus in medio eius, non commovebitur nicht, wie im Psalm vorgegeben, auf die Stadt Gottes an (sie wird fest bleiben, da Gott in ihrer Mitte ist), sondern auf das Verhalten Gottes31.

4. Biblisch begründete Aussagen über die Kirche

Das zuletzt betrachtete Zitat steht im Kontext einer summierenden Ubersicht über die Bauarbeiten am Chor von Saint-Denis. Suger stellt den neuen Chor als "Berg Zion" und "Stadt des großen Königs" dar32. Suger geht es in seiner assoziativen Verknüpfung der Zitate darum, den bekannten Gedanken von der Kirche als Stadt Gottes33, die zugleich das himmlische Jerusalem vor-abbildet, auf sein neues Bauwerk anzuwenden34. Die durch die eben beobachtete Sinnverschiebung bestimmte Aussage über Gott, der sich nicht erschüttern lasse, setzt er mit weiteren Anklängen an einen Psalm35 fort, um dann mit der Erwähnung des wohlriechenden Brandopfers zur Thematik des Opfers und damit zu Eucharistie und Altar überzuleiten. Der Altar mit den Reliquienschreinen kommt auf diese Weise in den Blick; über die Märtyrer, deren Reliquien hier verehrt werden, sagt Suger, dass sie "sich bereits als wohlriechendes Brandopfer Gott dargebracht haben"36. Seine Hoffnung, Gott werde sich durch das Opfer versöhnen lassen, gründet in der Berufung auf die Märtyrer und der Gewissheit ihrer Fürsprache. G. Bandmann37 hat nachgewiesen, dass der Kirchenbau im 11. Jahrhundert sich unter Rückgriff auf "das turmbewehrte kompakte architektonische Gebilde, die Burg", das "im wesentlichen den Begriff der Stadt ausfüllt", gewandelt habe, um die Idee der Himmelsstadt, des himmlischen Jerusalem, anschaulich zu machen. Die Folgerungen, die sich daraus für die Gestaltung der Eingangsseite der Kirche ergeben, legt er an Beispielen dar. Im Blick auf seine Ausführungen könnten Sugers Bemerkungen über die Frontseite seiner Kirche verstanden werden38. An der eben betrachteten Stelle hingegen zielt Suger mit seinen Worten über die Stadt Gottes nicht auf architektonische Merkmale, sondern verwendet die Formulierung bildlich für den Chor, in dem der Tempelbau ideell verwirklicht ist. Entscheidend dafür ist die

31 Der zweite Teil des Satzes {sed.. commotus... non dedignabitur) läßt erkennen, dass Suger zuvor dem Prädikat non commovebitur das Wort Deus als Subjekt zugeordnet hat. 32 M. Kramp, Kirche, Kunst und Königsbild, p.l 19, hebt hier hervor, dass Jerusalem dort erbaut sei, wo König David bestattet sei, und sieht eine Analogie zwischen dem Grab Davids und den Gräbern der französischen Könige; dies ist im Text jedoch nicht zu belegen. 33 s. dazu G. Bandmann, Die vorgotische Kirche als Himmelsstadt, in: Frühmittelalterliche Studien 6(1972) p.67-93, bes.p.71-74,p.81s. 34 M. L. Thérel, Comment la patrologie peut éclairer l'archéologie. A propos de l'Arbre Jessé et des statues-colonnes de Saint-Denis, in: Cahiers de Civilisation Médiévale 6 (1963), p. 145-158, hier p.152, stellt fest, Sugers Rolle als Bauherr werde an dieser Stelle entsprechend derjenigen des Königs Salomo stilisiert; zu Salomo s. u. . 35 Ps 50,19 U.21 Sacrificium Deo spiritus contribulatus: cor contritum et humiliatum, Deus, non despides. • Tunc acceptabis sacrificium iustitiae, oblationes et holocausta.. 36 cons 61,383s. qui se ipsos holocaustum odoriferum Deo optulerunt 37 G. Bandmann, op. cit., p.81s. 38 cons 16, adm 172

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208 IX. Formen und Funktionen biblischer Bezüge in Sugers Schriften

liturgische Funktion, die durch den Altar mit den Schreinen der Märtyrer definiert ist. Wie im Alten Testament die Stadt Gottes auf dem heiligen Berg der Ort der Gottesbegegnung ist, so erfüllt diese Aufgabe der Chor mit dem Altar, an dem die Eucharistie gefeiert wird und an dem die Heiligen in ihren Reliquien als Mittler zugegen sind. Die Vorstellung, dass die gebaute Kirche das himmlische Jerusalem abbildet39, bleibt dabei präsent, erfährt hier jedoch zugleich eine Zuspitzung: der Chor von Saint-Denis stellt den Antitypos der heiligen Stadt Jerusalem dar und nimmt auf diese Weise eine Zwischenstellung zwischen dem biblischen Vorbild und der Erwartung der Himmelsstadt ein. Suger folgt damit der Denkstruktur der "halbbiblischen Typologie"40, die, wie wir sehen werden, mehrfach in seinen Schriften erkennbar wird. Diese mit Assoziationen und Zitaten gestalteten Ausführungen greifen den biblischen Text über die Gottesstadt auf, um den sakralen Rang des Baus in der Gegenwart zu vermitteln41.

5. Allegorese von Bauelementen

Es folgt eine Perikope, die ein in Sugers Kirche greifbares Architekturelement, die Säulen, einer Deutung unterzieht42 und zu einer weiteren Beschäftigung mit der Bildlichkeit des Bauens und ihrer geistlichen Auslegung überleitet. B. Reudenbach hat gezeigt, dass die spirituelle Deutung der Säulen im Blick auf die Apostel bereits von Hrabanus Maurus in seiner Schrift De universo vollzogen wird43; die Anzahl der Apostel biete einen schon in frühchristlicher Architektur nachweisbaren Ansatz für

39 - die Weiheinschrift von 1144 ist von diesem Gedanken geprägt, s. Kap. 1.2 sowie S. Linscheid-Burdich, Beobachtungen, p.ll4ss 40 - damit bezeichnet F. Ohly die Spannung zwischen einem Bezugspunkt im Alten Testament und seiner Entsprechung in der Gegenwart; cf. F. Ohly, Halbbiblische und außerbiblische Typologie, in: F. Ohly, Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung, Darmstadt 1977, p.361-400, bes. p.366s. 41 s. hierzu und zur folgenden Perikope auch G. Binding: Die neue Kathedrale. Rationalität und Illusion, in: G. Wieland (hg.), Aufbruch - Wandel - Erneuerung., Stuttgart - Bad Cannstatt 1995, p.211-235, bes. p.221; der Begriff der Abbildlichkeit ist jedoch unter dem Aspekt der Präfiguration, nicht im Sinne einer schrittweise nachvollziehbaren architektonischen Orientierung an einem Vorbild zu verstehen; cf. auch D. von Winterfeld: Gedanken zu Sugers Bau in St.-Denis, in: F. N. Steigerwald (Hg.), Martin Gosebruch zu Ehren, München 1984, p.92-107, hier bes. p.99s. 42 s. dazu G. Binding, Beiträge zum Architekturverständnis bei Abt Suger von Saint-Denis, in: G. Binding / Α. Speer (hg.), Mittelalterliches Kunsterleben nach Quellen des 11. bis 13.Jahrhunderts. Stuttgart 1993, p.184-207, hierp. 190s. 43 B. Reudenbach, Säule und Apostel, in: Frühmittelalterliche Studien 14 (1980), p.310-351, hier p.323 mit Hinweis auf Hrabanus Maurus, De universo 14,23, PL 111, col.404A; die Schrift des Hrabanus Maurus war Suger wahrscheinlich in der Bibliothek von Saint-Denis greifbar, cf. D. Nebbiai-dalia Guarda, La bibliothèque de l'Abbaye de Saint-Denis en France du IXe au XVIIIe siècle, Paris 1985: unter den Handschriften, deren Zuschreibung nach Saint-Denis wahrscheinlich ist (p.289-313), findet sich eine (Paris, B.N.lat 1761), die De universo enthält.

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5. Allegorese von Bauelementen 209

die sinnfällige Deutung44. Als weitere biblische Quelle zur Deutung der Zwölfzahl benennt Reudenbach die Aussage der Apokalypse, dass die Himmelsstadt auf zwölf Grundsteinen stehe, in die die Namen der Apostel eingeschrieben seien45, und weist auf Haimo von Auxerre hin, dessen ausführlicher Kommentar zu dieser Stelle möglicherweise Sugers Ausführungen beeinflusst hat. Haimo bezieht auch den Epheserbrief in seine Darlegung ein, den Suger im nächsten Satz zitiert46, und bietet den ausdrücklichen Hinweis auf die Zwölfzahl der Propheten, auf die Suger mit den Säulen der Seitenschiffe hinweist47. Den Charakter der Deutungsvermittlung hebt Suger durch die Verben significare und exponere hervor und leitet das Zitat aus dem Epheserbrief als biblischen Bezugspunkt mit der Wendung iuxta apostolum spiritualiter edificantem an. Mit dieser Wendung vom "geistlichen Bauen" greift er eine bekannte Metapher auf48 und nennt zugleich bereits einen der beiden Pole des Oppositionspaares aedificatio spiritualis · aedificatio materialis, auf das er in einem Einschub innerhalb des Zitats noch zurückkommen wird; zuvor jedoch nutzt er die Gelegenheit, die verbindende Funktion des summus lapis angularis49 zu erwähnen. Die Verbindung zweier Wände im Eckstein wird bereits von Hieronymus, später auch von Beda Venerabiiis auf die Vereinigung von Judenchristen und Heidenchristen in der Kirche gedeutet50; Suger lässt indessen nicht erkennen, dass er diese Sicht vermitteln will: mit Blick auf seine in cons 49 vorgetragenen Erwägungen scheint eine Deutung auf die Verbindung zwischen altem und neuem Bau plausibler, die Suger auch in der Weiheinschrift von 1144 thematisiert51. Dies wird bestätigt, indem Suger durch den eingeschobenen Zusatz sive spiritualis sive materialis das einigende Wirken Christi auch auf den materiellen Bau bezogen wissen will52. Die Relation zwischen materiellem und geistlichem Bau erläutert er nun in einer für das Verständnis seiner Tätigkeit höchst aufschlussreichen Weise; die Stelle ist folgendermaßen zu übersetzen53: "In dem Maße, in dem wir uns in ihm höher und passender zu bauen bemühen,

44 "Eine Folge von zwölf Säulen oder Pfeilern [..] bedeutet demnach das Apostelkollegium, das die Kirche stützt."B. Reudenbach, op. cit., p.343; Reudenbach zitiert auch Sugers Text und bemerkt dazu: "Dieser Text führt am konkreten Bauwerk die Gedanken aus, die lange vorher in der Schriftexegese entwickelt sind [..]." 45 p.344 mit Hinweis auf Ape 21,14 46 Haimo von Auxerre, Enarratio in Apocalypsin VII, PL 117, 1200B - 1201 A, s. dazu G. Binding, Der früh- und hochmittelalterliche Bauherr als sapiens architectus, 2.Aufl. Darmstadt 1998, p.291s. 47 cons 58,351s., cf. Eph 2,19-22 48 cf. Cassianus, Collationes XXIII, coll.24,6 p.680 1.15 [structura illa] aedificii spiritalis, cuius Paulus architectus est 49 Eph 2.20 50 s. dazu Belege bei G. Binding, wie nt. 41, p.324ss; die ausdrückliche Erwähnung der Wände zeigt, dass Suger in dieser Tradition steht und tatsächlich an einen Eckstein denkt; cf. dagegen G. Bandmann, Mittelalterliche Architektur als Bedeutungsträger. Berlin 1951 9.Aufl. Berlin 1990, p.64ss, wo Sugers lapis angularis als Schlussstein verstanden wird. 51 cf. adm 181,816s., cf. S. Linscheid-Burdich, Beobachtungen, p,114ss. 52 cons 58,357s in quo omnis edificado sive spiritualis sive materialis crescit in templum sanctum in Domino 53 - in Abwandlung der Ubersetzung in Speer / Binding (2000) -

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210 IX. Formen und Funktionen biblischer Bezüge in Sugers Schriften

in dem Maße werden wir durch uns selbst belehrt, dass wir in geistlicher Weise zu einer Wohnung im Heiligen Geiste mit auferbaut werden" - das bedeutet, dass Suger dem Bauvorgang eine Erkenntnisvermittlung zuerkennt: die Zusage, die der Epheserbrief gibt, kann sich derjenige, der für Gott baut, durch den Vollzug des Bauens selbst erschließen, das materielle Bauen gedeiht zur geistlichen Unterweisung. Diese Erkenntnis lässt sich auch auf eine andere Stelle in De consecratione anwenden, die ein Bibelzitat über einen Vorgang aus dem Bereich des Bauens einbezieht, die Perikope über das Fundament im Westteil54. Suger unterscheidet zwischen der materiellen und der geistlichen Qualität des Fundaments, ehe er die entsprechende Stelle aus dem Ersten KorintherbrieP5 zitiert. Die Erwähnung der Festigkeit ruft zugleich eine andere Bibelstelle ins Gedächtnis, die mit dem Bild des Bauens auf Felsen die Sicherheit dessen, der Gottes Weisungen folgt, veranschaulicht56. Indem Suger berichtet, wie er im Fortgang der Bauarbeiten immer mehr die Erfahrung machen konnte, dass es ihm an nichts fehlte57, wird der materielle Bauvorgang zu einer Gelegenheit, das Vertrauen auf Gott in immer umfassenderer Weise bestätigt zu sehen. Darin bewährt sich die Qualität des geistlichen Fundaments.

6. Salomo als Typos

Nachdem wir bisher beobachtet haben, wie Suger mit verschiedenen als Zitate greifbaren Bibelstellen verfährt, wenden wir uns nun der Gestalt des Königs Salomo zu, den Suger selbst erwähnt, ohne mit direkten Zitaten über ihn zu sprechen. Als weiser König und als Erbauer des Tempels in Jerusalem, der über große Reichtümer verfügte und damit für eine prachtvolle Ausstattung des Tempels sorgen konnte, ist Salomo immer wieder als Beispielfigur für große Bauherren betrachtet worden58. So zieht Aimon von Fleury (gest. nach 1008) in der Vita sancii Abbonis einen Vergleich zwischen den Ornamenta ecclesiae ab eo facta und den Kostbarkeiten, die Salomo zum Schmuck des Tempels aufbot; Salomos Reichtümer erscheinen dabei als unerreichbar, doch wird am Wirken Abbos die gleiche Intention, das Gotteshaus nach bestem Vermögen zu schmücken, hervorgehoben59. Auch Suger betrachtet sein Wirken an der

54 cons 16 551 Cor 3,11 56 Mt 7,24s Omnis ergo qui audit verba mea haec, et facit ea, assimilabitur viro sapienti, qui aedificavit domum suam supra petram, et descendit pluvia, et venerunt flumina, et irruerunt domum illam, et non cecidit: fundata enim erat super petram. 57 cf. Kap. VIII. 1 58 Zahlreiche Beispiele und ihre Deutung finden sich bei G. Binding, wie nt.41, p. 349-356 59 Aimon von Fleury, Vita sancti Abbonis, cap. 15, PL 139, col.405s.: Non abhorrere a recto laudis creditur genere, si ea quae sub ipso vel per ipsum ad ornatum domus Dei, quae est ecclesia, gesta sunt, noster explicit sermo, maxime cum inter Salomoniaca praeconia praecipue laudetur, quod templum Domini magnificis exstruxerit impensis. Et quamvis eius tenues copiae divitiis nequeant locupletis Salomonis adaequari, tamen quae prout pauper quem regebat locus tempusque malignum persuasere acta sunt, silentio non sunt digna obnubilari. - "Es ist glaubhaft, dass es der rechten Art des Lobes nicht abträglich ist, wenn unsere Darlegung das, was unter seiner Leitung oder durch ihn selbst zum Schmuck des Gotteshauses (das ist die Kirche) geleistet wurde, ausführt, vor allem weil, wenn man Salomos Ruhm verkündet, besonders gelobt wird,

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6. Salomo als Typos 211

Kirche in Relation zu Salomos Tempelbau60; die Stelle in De consecratione ist häufig unter dem Aspekt der Vorbildrolle besprochen worden". Damit ist nicht eine Übernahme architektonischer Details, sondern der Einsatz kostbarer Materialien gemeint. Für Sugers Verständnis ist indessen noch ein weiterer Aspekt wichtig, der mit seiner von der Tradition der Typologie geprägten Sichtweise zusammenhängt. Hierfür ist eine Bibelstelle heranzuziehen, die Sugar zwar nicht zitiert, der aber die gleiche Vergleichstruktur zugrundeliegt wie Sugers conferre de minimis ad maxima. Im Matthäus-Evangelium ermutigt Jesus die Jünger, die Sorge für ihr leibliches Leben mit seinen Bedürfnissen getrost Gott zu überlassen, und illustriert dies mit einem Vergleich zwischen Salomos Pracht und der Schönheit der Lilien auf dem Feld62. Parallelisiert man diese Aussage mit Sugers Vergleich der beim Bau verfügbaren Mittel, ergibt sich die Aussage, die Suger mit dem Konditionalsatz erzielt: Salomo ist nicht prächtiger gekleidet als die Lilien, Salomos Mittel für den Tempel sind nicht in höherem Maße hinreichend als die für Saint-Denis, denn in allen Fällen ist Gott der Geber; Salomos Tempel und der Bau in Saint-Denis haben denselben Urheber63. In De administratione findet sich ein weiterer Bezug auf den Tempelbau: mit der bereits in De consecratione zu findenden Bitte um ein gutes Ende seines Bemühens64

verbindet Suger die flehentlich vorgetragene Hoffnung, "derjenige, der Anfang und Ende ist, [..] möge [..] nicht denjenigen als einen Mann der Blutschuld von der Erbauung des Tempels verweisen, der diese Erbauung innezuhaben sich selbst mit ganzem Gemüt mehr wünschte als die Schätze Konstantinopels zu besitzen"65. Die Stelle ist u.a. von M. Kramp stark psychologisierend gedeutet worden66; Kramp bemüht sich um eine korrekte Rekonstruktion der biblischen Bezugspunkte, übersieht jedoch, dass in Sugers Worten mehrere nach dem Gehör zitierte Bibelstellen mitschwingen und der Zusammenhang, dem sie entnommen sind, auch an anderen Stellen seiner Ausführungen aufscheint. Um einer einseitigen Deutung im Sinne eines Schuldkomplexes vorzubeugen, soll das Geflecht der Bibelstellen, die Sugers Aussage bestimmen, kurz betrachtet werden.

dass er den Tempel des Herrn mit großartigen Aufwendungen erbaut hat. Und obwohl seine bescheidenen Mittel mit den reichhaltigen Schätzen Salomos nicht zu vergleichen sind, verdient doch das, was hier getan wurde - nach dem, was das arme Kloster, dem er vorstand, und die neidische Zeit geboten scheinen ließen ! -, dass es nicht von der Wolke des Stillschweigens verdunkelt werde." 60 com 18 U.19 61 z.B. von Simson, Die gotische Kathedrale, p,139s.; M. Kramp, Kirche, Kunst und Königsbild, p.70 62 Mt 6,28s. Et de vestimento quid solliciti estisf Considerate lilia agri quomodo crescunt: non laborant, neque nent. Dico autem vobis, quoniam nec Salomon in omni gloria sua coopertus est sicut unum ex istis. 63 Das bemerkt bereits von Simson, loc.cit., verweist jedoch sogleich wieder auf die Vorbildrolle des Tempels für die Abteikirche. 64 cons 52, 314s. 65 adm 164,723ss 66 M. Kramp, Kirche, Kunst und Königsbild, p.70; Kramps Tendenz, Sugers Ausführungen auf einen Schuldkomplex des Abtes zurückzuführen, ist auch aus seinen Darlegungen p.66s. zu entnehmen, ohne dass ihm ein plausibler Nachweis gelingt.

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212 IX. Formen und Funktionen biblischer Bezüge in Sugers Schriften

Dass nicht David, sondern erst sein Sohn Salomo den Tempel bauen wird, soll der Prophet Nathan im 2. Buch Samuel dem König mitteilen67; an dieser Stelle geht es jedoch nicht um Schuld, sondern eher um eine Auszeichnung, die dem Hause David zugesagt wird. Der Tempelbau wird hier neben anderen Beweisen der Huld Gottes genannt, und David reagiert auf diese Zusage mit erstaunter Dankbarkeit: Quis ego sum, Domine, et quae domus mea, quia adduxisti me hucusqueñ Auf diese Stelle werden wir noch zurückkommen. Die markante Formulierung vir sanguinum69 steht, wie Panofsky zutreffend festgestellt hat, im Zusammenhang mit der Verfluchung Davids durch Simei, nachdem David vor Absalom fliehen musste70. Neben den genannten Stellen gibt es noch zwei weitere biblische Belege dafür, dass der Bau des Tempels nicht David, sondern Salomo übertragen wird; im ersten (I Par 17,4s.) weist Gott den Gedanken eines solchen Baus zurück, weil er seit dem Auszug Israels nicht in einem festen Haus habe wohnen wollen, und gibt dann seine Zusage für den Bau, den Davids Sohn ausführen soll71; im zweiten spricht David selbst und verkündet dem Volk, dass er als vir bellator, der Blut vergossen habe, nicht von Gott für die Aufgabe des Bauens erwählt worden sei. Die Vorstellung der Blutschuld verbindet sich mit der Person Davids jedoch in besonderer Weise durch die im 2. Buch Samuel mitgeteilte Episode, in der David den Feldherrn Uria absichtlich einer besonders gefährlichen Situation aussetzt, um nach dessen so verschuldetem Tod die Witwe zu seiner Frau machen zu können72. Das Bewusstsein dieser schweren Schuld prägt auch die Formulierungen des Vierten Bußpsalms, der als Psalmus David, cum venit ad eum Nathan Propheta, quando intravit ad Bethsabe bekannt ist: Libera me de sanguinibus Deus, Deus salutis meae.P Dieser häufig gebetete Psalm hat die konnotative Verbindung zwischen David und der Wendung vir sanguinum sicherlich verfestigt, ohne dass Einzelheiten der Schuld beim Beten des Psalms jeweils reflektiert werden müssen. Zwar spricht Suger in der Ordinatio davon, dass das frühere Vorgehen mit bewaffneter Hand sein Gewissen belaste74, doch beurteilt er die Maßnahme in De administratione eher als erfolgreich

67 II Sm 7,12ss Cumque completi fuerint dies tui, et dormieris cum patribus tuis, suscitabo semen tuum post te, quod egredietur de utero tuo, et firmabo regnum eius, et ipse aedificabit domum nomini meo, et stabiliam thronum regni eius usque in sempitemum. 68 II Sm 7,18; eine ähnliche Formulierung gebraucht David bereits in I Sm 18,18, als er erfährt, dass er Sauls Tochter heiraten soll: Quis ego sum, aut quae est vita mea, aut cognatio patris meae in Israel utfìam gener regis? 69 adm 164,725 70 II Sm 16,7 - Panofsky, Abbot Suger, p. 149. Kramp, der die Stelle nach eigenem Bekunden mit Hilfe der Angabe Panofskys nicht finden konnte, möchte hier einen Forschungsirrtum korrigieren, hat aber offensichtlich übersehen, dass die beiden Samuel-Bücher auch als Liber primus Regum bzw. Liber secundus Regum bezeichnet werden. Die Konsultation der Vulgata hätte ihm das Auffinden der Stelle ermöglicht. 711 Par 17,11, mit ähnlichen Formulierungen wie II Sm 7,12 72 II Sm 11 und 12 73 Ps 50,16 74 ord 5,26ss - s. dazu M. Kramp, op.cit., p.67

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6. Salomo als Typos 213

durchgeführte Reform75. Wenn er darum betet, nicht als ein vir sanguinum von der Erbauung des Tempels verwiesen zu werden, handelt es sich nicht, wie Kramp76

meint, um "Sugers exakte Angaben", es liegt vielmehr eine umschreibende Anspielung auf David vor, an dessen Person hier nicht sein Königtum hervorgehoben werden soll, sondern die Tatsache, dass ihm der ersehnte Bau des Tempels versagt bleibt. Mit diesem Aufschieben für einen Späteren wird die Wendung des vir sanguinum verbunden. Wenig später betont Suger, er schätze sich glücklich, das tarn sanctum, tarn gloriosum, tarn famosum opus ausführen zu können, weil Gott "durch so langes Aufschieben das, was geschehen sollte, für unsere Zeit und unser Bemühen aufbewahrt hat"77: damit beschreibt er eine Situation, die derjenigen Salomos ähnlich ist, denn was seinen Vorgängern versagt blieb, darf er nun tun. Darin liegt das Gegenbild zu der oben in seiner Bitte reflektierten Befürchtung. Seine Freude darüber drückt Suger in Wendungen aus, die von den dankbaren Äußerungen Davids inspiriert sind: Quis enim ego sum aut que domus patris mei, qui tarn nobile, tarn gratum edificium vel inchoasse presumpserim vel perfecisse speraverim71. Hier liegt nun keine "beinahe anmaßend zu nennende 'Doppelidentifikation' mit David und Salomo gleichzeitig"79

vor, sondern Suger deutet durch assoziativ kombinierte Anspielungen seine Rolle ähnlich wie diejenige Salomos: durch Gottes Güte kommt ihm die Gelegenheit zu, seine Kirche als nobile und gratum edificium bauen zu können und nicht den Schmerz erleben zu müssen, dass diese Aufgabe für einen anderen aufgespart wird. Suger ist - so sehr er sich auch als sündigen Menschen der Erlösung bedürftig weiß - überzeugt, göttliche Gnade nicht nur später als Lohn seines Bemühens um die Kirche, sondern bereits im Vollzug des Bauens selbst zu erfahren. Die Gelegenheit dazu ist schon Gnadenerweis.

7. Bibelexegese und Sugers ornamenta ecclesiae

In seinem grundlegenden Aufsatz "Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter" hat F. Ohly gezeigt, wie die Bibelexegese des Mittelalters zwischen Personen und Ereignissen des Alten und des Neuen Testaments eine Beziehung im Sinne von Präfiguration und Erfüllung beobachtet und biblische Geschehnisse nach den verschiedenen Sinnschichten des sensus spiritualis deutet80. Die Bildprogramme der Reliefplatte am Hauptaltar in Saint-Denis sowie die Medaillons des "Anagogischen Fensters" sind nach diesen Prinzipien angelegt; indem Suger sie beschreibt und die tituli vorstellt, nimmt er Bezug auf biblische Ereignisse und ihre Exegese.

75 adm 37,170ss - es handelt sich um seine Maßnahmen im Vexin; s. dazu R.. Grosse, Saint-Denis zwischen Adel und König. Die Zeit vor Suger (1053-1122), Stuttgart 2002, p. 30ss. 76 op. cit.,p.67 77 adm 176,794ss 78 adm 177,797ss, cf. I Sm 18,18; II Sm 7,18; die Bibelzitate werden hier miteinander verschränkt, wie wir es schon oben beobachten konnten. 79 - so Kramp, op. cit., p.71 -80 F. Ohly, Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter, in: id., Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung, Darmstadt 1977, p.1-31

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214 IX. Formen und Funktionen biblischer Bezüge in Sugers Schriften

Die große Altartafel bietet drei Szenenpaare81, in denen unter dem Thema der Eucharistie verschiedene Szenen des Neuen Testaments ihren Vorbildern im Alten Testament zugeordnet sind82. Die ersten drei tituli gehörten vermutlich zu drei Reliefs mit Christusdarstellungen, die jeweils über der entsprechenden alttestamentlichen Szene (mit titulus) angeordnet waren. Die inhaltliche Rekonstruktion des heute verlorenen Bildes kann jeweils mit Hilfe einer innerhalb des titulus als Signal fungierenden Formulierung gesichert werden, die eine biblische Szene in Erinnerung bringt83. Für den mittelalterlichen Betrachter des Reliefs hatte diese signalhafte Formulierung sicher in weit höherem Maße die Wirkung, den zugrundeliegenden Bibeltext zum Klingen zu bringen, so dass sich für ihn eine Synthese ergab, die Anstoß zur meditatio sein konnte84. Suger teilt die Verse offenbar in der Reihenfolge mit, die sich beim Lesen von links nach rechts, beginnend mit der Christus zugehörigen oberen Reihe, ergab. Nach dem Prinzip von Typos und Antitypos bilden dann die Szenen bzw. Verse 1 und 4 (adm 221,1000 und 1003), 2 und 5 (adm 221,1001 und 1004) sowie 3 und 6 (adm 221, 1003 und 1005) jeweils ein Paar. Mit den unteren tituli der beiden äußeren Paare (links adm 221,1003: Abraham opfert den Widder statt seines Sohnes Isaak; rechts adm 221,1005: die Kundschafter kehren aus dem Lande Kanaan mit der Traube an der Tragstange zurück) werden zusätzlich die beiden eucharistischen Substanzen vergegenwärtigt: die Wendung Christi caro weist auf den im Brot dargebotenen Leib Christi, mit der Traube (botrus) wird ein Bezug zum Wein hergestellt, während die betreffenden Szenen zugleich auf einer anderen Beziehungsebene ihrer Erfüllung in einer neutestamentlichen Szene zugeordnet bleiben85. Die der Zuordnung zugrundeliegende Deutung hat eine lange Tradition, die auch in Saint-Denis bekannt war, z.B. durch die Sermones des Caesarius von Arles, die Bestandteil der abendlichen Lesungen in der Abtei86 waren; hier findet sich die Differenzierung zwischen Gottheit und Menschheit Christi, die in der Gestalt Isaaks und im Widder zeichenhaft vermittelt werde87 -

81 adm 221,1000-1005 82 cf. hierzu Linscheid-Burdich, Beobachtungen, p.130-133 83 Der "Hosanna"-Ruf des Volkes evoziert den Einzug Jesu in Jerusalem (Mt 21,8), mit dem Signalwort cena entsteht vor dem Auge des Lesers das Bild des Letzten Abendmahls (Mt 26,26ss), die Wendung ferre crucem weist auf Jesus, der das Kreuz nach Golgotha trägt (Io 19,17); die Wendung quod Abram pro prole litat deutet auf das Opfer des im Gesträuch gefundenen Widders (Gn 22,13), die Gaben von Brot und Wein treten mit der Wendung Melchisedech libat ins Bild (Gn 14,18ss), und beim Lesen des Satzes botrum vede ferunt werden die Kundschafter mit der Traube sichtbar (Nm 13,24). 84 s. dazu oben, Kap. VI.3 85 wie vor, p.133 86 cf. D..Ph..Schmitz, Les lectures du soir à l'abbaye de Saint-Denis, in: Revue Bénédictine 44 (1932), p. 147-149, hierp.148 87 Caesarius von Arles, Sermones, ed. G. Morin, Turnhout 1953, CCSL 103; Sermo 84,cap.5: Potest tarnen de beato Isaac et de ilio ariete etiam sic intellegi, ut in beato Isaac significata sit divinitas, in ariete Christi humanitas, et quia in passione non divinitas sed humanitas crucifixa ereditar, ideo non Isaac sed aries immolatur.

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7. Bibelexegese und Sugers ornamenta ecclesiae 215

später wird sie durch Hildebert von Lavardin wieder aufgegriffen88; eine andere Predigt belegt die Entsprechung zwischen dem Tragen der schweren Traube an der Stange und Christus am Kreuz89. Das mittlere Bild- bzw. Verspaar setzt das Opfer des Melchisedech und das Letzte Abendmahl zueinander in Beziehung, wie es u.a. bereits in der Schrift De ecclesiasticis officiis Isidors von Sevilla geschieht90. Die bewundernde Freude an der Erkenntnis der Heilsordnung, die sich in der Einsicht in die Zusammengehörigkeit der typologischen Paare erschließt, vermittelt Sugers Formulierung quod allegoriarum iocundarum iubare resplendet91. Dass Suger exegetische Kenntnisse auch bei seinen Lesern voraussetzt, ist seiner Beschreibung des Kreuzfußes und des dazu gehörenden Schaftes zu entnehmen, die er für den großen goldenen Kruzifix fertigen ließ; die Angabe, es sei "die Geschichte des Heilands mit dazu dargestellten allegorischen Zeugnissen"92 auf dem Schaft zu sehen, verweist mit traditionellen Formulierungen93 auf das Prinzip der heilsgeschichtlich bestimmten Zusammenstellung von Bildszenen, das auch auf der Altartafel wirksam ist; während dort jedoch die tituli der Reliefs eine Erschließung des Bildinhalts

88 Hildebert von Lavardin bzw. von Le Mans, Bibelepigramme, edd. A. B. Scott / D . F. Baker / A. G. Rigg, The Biblical Epigrams of Hildebert von Le Mans. A Critical Edition, in: Medieval Studies 47 (1985), p.272-316; Epigr. 50.1.7s.: Hic tamen est aries, non infans sacrificatus;/ sic Christi caro, non deitas in cruce passa. - cf. Linscheid-Burdich, Beobachtungen, p.130, 133 89 Caesarius von Arles, op. cit., Sermo 107, cap. 3 Haec, inquam, uva in ligno suspensa duorum defertur obsequio, quae nobis utique, sicut iam dictum est, duorum testamentorum repraesentatur oraculis, quae in ligno crucis pependit, cuius vinum in pretium nostrum passionis expressione profluxit. Hanc uvam duo deferunt inserto vecte pendentem. 90 Isidor von Sevilla, De ecclesiasticis officiis, ed. C. W. Lawson, Turnhout 1989 (CCSL 113), lib.1,cap.18 (De sacrificio): Sacrificium autem, quod a Christianis deo offertur, primum Christus dominus noster et magister instituit quando commendavit apostolis corpus et sanguinem suum priusquam traderetur, sicut et legitur in evangelio: accepit, inquit, Iesus panem et calicem et benedicens dédit eis. Quod quidem sacramentum Melchisedech rex Salem figuraliter in typum corporis et sanguinis Christi primus obtulit, primusque mysterium tanti sacrificii imaginarle idem expressit, praeferens similitudinem domini et salvatoris nostri Iesu Christi sacerdotis aeterni, ad quem dicitur: tu es sacerdos in aetemum secundum ordinem Melchisedech. 91 adm 220,995s.; cf. Hrabanus Maurus, Commentariorum in Ecclesiasticum libri decern,lib. 10 cap.30 PL 109 col.1115 C: et bene arcum dicit refulgere inter nebulas gloriae, quia in obscuritate allegoriae relucet splendor divinae sapientiae 92 adm 211,949ss 93 cf. Hilarius Pictaviensis, Tractatus super psalmos, Tract. Psalmi CXVIII littera XII lamed, PL 9, col.582 C-D: arduum autem atque difficile est intelligere Dei testimonia [..] et ultra praesentis cognitionis scientiam eorum intelligentia procedit. De testimoniis vero iam in psalmi exordio tractavimus. Per haec enim praesentia legis testimonia testimoniorum aeternorum cognitio praestatur, Hilarius Pictaviensis, De trinitate libri duodecim, lib. 1 PL 10 col.40 A: omnibus legis ac prophetarum testimoniis ita demonstratis,...; lib.5 col. 129 A: ex legis et prophetarum testimoniis fideles munierit; Iohannes Cassianus,«W.14,ll:s«/ ut hoc ipsum quod astruere nitimur, aliquo clarius pandatur exemple, unum legis testimonium protulisse sufficit

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216 IX. Formen und Funktionen biblischer Bezüge in Sugers Schriften

ermöglichen, bietet Sugers Text hier keinen Aufschluss über Einzelheiten des Bildprogramms an der columna Auf die Medaillons der Fenster und ihre titoli hingegen geht Suger ausführlicher ein. Da hier nicht, wie auf der Altartafel, zwei Szenen mit ihren begleitenden Versen einander zugeordnet sind, sondern jeweils ein Bild zusammen mit seinem titulus denselben komplexen exegetischen Gedanken vermittelt, fügt Suger für den Leser von De administratione zusätzlich einen Hinweis auf den jeweiligen Bildinhalt hinzu95. Bilder und Beischriften des "Anagogischen Fensters" verbildlichen den Grundgedanken der typologischen Exegese, nach dem das Verständnis der Bibel sich in Christus erschließt: die Auslegung der Heiligen Schrift wird in das Bild eines Mahlvorgangs gefasst96, die Entschleierung des Moses verbildlicht die durch Christus gewonnene Erkenntnis97, durch den Kreuzestod Christi wandelt sich die Bundeslade zum Altar98, Christus in seiner Doppelnatur als unbesiegbarer Löwe und Opferlamm erschließt im Entsiegeln des Buches den Plan der Heilsgeschichte99. Auf den Aspekt der steigernden Erfüllung des Alten Testaments im Neuen sind alle diese Szenen hingeordnet. Dagegen bieten die Darstellungen des Moses-Fensters einzeln identifizierbare Szenen aus dem Leben des Moses100,.die thematisch verbunden sind durch den Bezug auf die biblische Gestalt, in der über den Litteralsinn hinausführenden Deutung durch die titoli jedoch auf unterschiedliche Aspekte verweisen. Zwei der titoli setzen Altes und Neues Testament zueinander in Beziehung und wahren dabei die Nähe zu Bibelzitaten, die diese Beziehung mit höchster Autorität beglaubigen. Im Lukas-Evangelium wird berichtet, wie Jesus nach seiner Auferstehung den Jüngern erscheint und sie an seine Worte erinnert: Haec sunt verba, quae locutos sum ad vos, cum adhuc essem vobiscum, quoniam necesse est impleri omnia, quae scripta sunt in lege Moysi, et Prophetis et Psalmis de mem. Das Verständnis des Alten Testaments als Ankündigung des Neuen102 wird steigernd ergänzt durch die Aussage des Johannes-Evangeliums:

54 Überlegungen hierzu sind u.a. von N. Morgan unter Berücksichtigung eines maasländischen Kreuzfußes entwickelt worden, cf. Ν. Morgan: The Iconography of twelfth century Mosan enemels, in: Rhein und Maas 2, S.263-275, Resümé von R. Hausherr S.275-278, cf. bes. p.266; der Kreuzfuß selbst ist als Exponat G 17 in Rhein und Maas 1, p.154 abgebildet und beschrieben von D. Kötzsche. 95 cf. Linscheid-Burdich, Beobachtungen, p.134-144 96 wie nt.95, p. 134-137 97 wie nt.95, p. 137s. 98 wie nt.95, p. 138s. 99 wie nt.95, p. 139s. 100 Den Bildinhalt gibt Suger jeweils selbst an: adm 269,1192 In alia vitrea, ubi filia Pharaonis invenit Moysen in fiscella-, adm 270,1195 In eadem vitrea, ubi Moysi Dominus apparuit; adm 271,1198s. Item in eadem vitrea, ubi Pharao cum equitatu suo in mare demergitur; adm 272,1202 Item in eadem, ubi Moyses exaltat serpentem eneum; adm 273, 1205 In eadem vitrea, ubi Moyses accipit legem in monte. 101 Le 24,44 102 P. Bloch, Typolgische Kunst, in: P. Wilpert, R.. Hoffmann (Hg.), Lex et Sacramentum im Mittelalter, Berlin 1969 (Miscellanea Mediaevalia 6), p.127-142, hier p.127

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7. Bibelexegese und Sugers ornamenta ecclesiae 217

quia lex per Moysen data est, gratia et Veritas per Iesum Christum facta esr103. Die im 2. Korintherbrief vorgefundene Gegenüberstellung von littera und spiritusm ist schon von Paulinus von Nola, Prosper Aquitanus und Hildebert von Lavardin als Antithese von lex und gratia gedeutet worden105; diese übernimmt Suger in seinem titulus zum Empfang der Gesetzestafeln106. In ähnlicher Weise formuliert Suger den in adm 272,1203s. mitgeteilten titulus unter Rückgriff auf biblische Vorlagen. Den Vergleich zwischen der Erhöhung der ehernen Schlange und der eigenen Erhöhung am Kreuz zieht Jesus selbst im Johannes-Evangelium107. Suger scheint jedoch die im Buch Numeri berichtete Geschichte über die eherne Schlange108 mit dem Bericht über das im Buch Exodus zu findende erste Wunder des Moses vor Pharao zu vermischen109; Vorlage für die Verknüpfung zwischen der Schlange aus der Exodus-Erzählung und dem Kreuz Christi könnte eine Predigt des Caesarius von Arles sein: in Verbindung mit der biblisch motivierten Gleichsetzung von Schlange und Klugheit (Mt 10,16) wird dort der in eine Schlange verwandelte Stab des Moses als Vorausdeutung auf den Kreuzesstab verstanden110. Die im Buch Exodus zu findende Fähigkeit, die dracones der ägyptischen Zauberer zu verschlingen, überträgt; nun Suger auf die eherne Schlange. Die übrigen drei tituli des Moses-Fensters sind nicht der Spannung zwischen Typus und Antitypus gewidmet, sondern erschließen die jeweils dargestellte Szene unter der Perspektive einer der Sinnschichten des sensus spiritualis. So wird die Tochter des Pharao, die den Moses im Körbchen findet, allegorice auf die Kirche gedeutet, während in den beiden anderen Szenen (brennender Dornbusch und Versinken des Ägypterheeres im Roten Meer) Aussagen über das Leben des Gläubigen erkannt werden - hier deutet Suger das Geschehen nach dem sensus moralis.

103 Jo 1,17 1<M Π Cor 3,6 qui et idoneos nos fecit ministros novi testamenti: non littera, sed spirita: littera enim occidit, Spiritus autem vivificai. 105 mit Belegstellen hierzu Linscheid-Burdich, Beobachtungen, p. 143s. 106 adm 273 107 Jo 12,32 ut ego si exaltatus fuero a terra omnia traham ad me ipsum; auf diese Vorgabe weist auch P. Bloch, op. cit., p.127, hin. 108 Nm 21,8 Et locutus est Dominus ad eum: Fac serpentem aeneum, et pone eum pro signo: quem cum percussus aspexerit eum, vivet. 109 Ex 7,8ss; cf. Ex 7,12 Proieceruntque singuli virgas suas, quae versae sunt in dracones: sed devoravit virga Aaron virgas eorum. 110 Caesarius von Arles, Sermones (CCSL 103); sermo 99, cap.l Quod autem virga proicitur, et fit draco vel serpens, et dévorât Aegyptiorum serpentes, serpens pro sapientia ponitur, sicut scriptum est: estote prudentes sicut serpentes; idcirco virga Moysi, id est, crux Christi, postea quam ad terras descendit, id est, postea quam ad credulitatem et fidem hominum venit, conversa est in sapientiam, et tantam sapientiam, quae omnem Aegyptiorum, id est huius mundi sapientiam devoraret.

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