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Reise durch Südosteuropa Oktober / November 2009 Susanne Hofer in Begleitung von Sebastian Sieber (Zürich - Belgrad) und Urs Hofer (Belgrad - Bukarest - Zürich) Unsere Reise führte durch verschiedene Länder Südosteuropas, von Kroatien über Bosnien-Herzegowina nach Serbien, mit einem einwöchigen Aufenthalt in Belgrad, dann durch Rumänien zur Schwarzmeerküste, derselben entlang nach Bulgarien, und über die Türkei, Griechenland und Italien zurück in die Schweiz. Meine Idee war, verlassene Häuser und Orte zu suchen und mich filmenderweise damit auseinanderzusetzen, mit Videokamera und Stativ Bilder von urbanen Räumen aufzunehmen, Entwicklungen und Zustände in verschiedenen Siedlungsformen festzuhalten. Mit diesem Plan im Kopf geht es Anfang Oktober ostwärts, Richtung Kroatien, im Dauerregen durch Oesterreich, keine Chance, die Kamera auch nur eine Minute aus dem Mobil rauszunehmen. Erst am Meer, in Rijeka, zeigen sich die ersten zaghaften Sonnenstrahlen und auch erste Motive für meine Kamera, wenn auch eher im landschaftlichen als im architektonischen Bereich. Auf Krk dann eine mehrtägige Pause, die Karstfelsen und die Wolkengebilde stehen im Wettstreit um die bizzarsten Formen und Farben - meine Vorstellung, Architektur als Hauptziel meines Projeks zu verfolgen, rückt weiter in den Hintergrund, vor allem als in Murter plötzlich fliegende Inseln vor meiner Kamera auftauchen. Versuche, meine Kamera auf verlassene Ferienhäuser und Siedlungen zu richten, scheitern an meinem Desinteresse, zu bekannt ist mir die Art von Adriaküstenarchitektur - umso imposanter die Natur und die Wetterstimmungen - ein Sturm, der das Pfeifer Mobil ordentlich durchrüttelt, bringt einen Temperatursturz von zehn Grad und grandiose Nachtaufnahmen. Ueber Imotzki, dem Grenzübergang nach Bosnien (dort an einem Samstagabend auf einem Hotelparkplatz inmitten von ausgehfreudigen und laut feiern- den Kroaten übernachtet) geht die Reise weiter durch das immer noch kriegsversehrte Mostar nach Sarajevo. Das Wetter verschlechtert sich dramatisch, der erste Schnee legt sich über Nacht aufs Dach des Pfeifermobils. Am Wegesrand würden viele Motive für meine Kamera liegen, verlassene Dörfer mit immer noch deutlich sichtbaren Spuren des Krieges... Eine Scheu hindert mich daran, die Kamera auszupak- ken und im Vorbeigehen menschliche Tragödien, die in den zerschossenen Häusern manifest sind, festzuhalten. Ein längerer Aufenthalt wäre nötig, um der Situation gerecht zu werden, doch das sehr schlechte Wetter und unsere Reiseplanung, die einen längeren Aufenthalt in Belgrad vorsieht, hindern mich daran, hier lange zu bleiben. Bei einem Stausee in Serbien eine verlassene Badeanstalt, unklar, ob nur für den Winter oder für immer geschlossen... Auf jeden Fall ein interessantes Motiv für meine Kamera und ein beschaulicher Uebernachtungsplatz. Der Schlaf wird von zwei Autoscheinwerfern unterbrochen, die mitten in der Nacht das Pfeifer Mobil umkreisen - folgenlos bleibt der nächtliche Besuch, und der Schlaf kommt nach einigen Stunden angespannten Lauschens in die stock- dunkle Nacht zurück. Wieso uns jemand nächtens einen Besuch abgestattet hat, bleibt ein Rätsel unter vielen auf dieser Reise.

Susanne Hofer

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Reisebericht

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Page 1: Susanne Hofer

Reise durch Südosteuropa Oktober / November 2009Susanne Hofer in Begleitung von Sebastian Sieber (Zürich - Belgrad) und Urs Hofer (Belgrad - Bukarest - Zürich)

Unsere Reise führte durch verschiedene Länder Südosteuropas, von Kroatien über Bosnien-Herzegowina nach Serbien, mit einem einwöchigen Aufenthaltin Belgrad, dann durch Rumänien zur Schwarzmeerküste, derselben entlang nach Bulgarien, und über die Türkei, Griechenland und Italien zurück in dieSchweiz.

Meine Idee war, verlassene Häuser und Orte zu suchen und mich filmenderweise damit auseinanderzusetzen, mit Videokamera und Stativ Bilder von urbanen Räumen aufzunehmen, Entwicklungen und Zustände in verschiedenen Siedlungsformen festzuhalten.

Mit diesem Plan im Kopf geht es Anfang Oktober ostwärts, Richtung Kroatien, im Dauerregen durch Oesterreich, keine Chance, die Kamera auch nureine Minute aus dem Mobil rauszunehmen. Erst am Meer, in Rijeka, zeigen sich die ersten zaghaften Sonnenstrahlen und auch erste Motive für meineKamera, wenn auch eher im landschaftlichen als im architektonischen Bereich. Auf Krk dann eine mehrtägige Pause, die Karstfelsen und dieWolkengebilde stehen im Wettstreit um die bizzarsten Formen und Farben - meine Vorstellung, Architektur als Hauptziel meines Projeks zu verfolgen,rückt weiter in den Hintergrund, vor allem als in Murter plötzlich fliegende Inseln vor meiner Kamera auftauchen. Versuche, meine Kamera auf verlassene Ferienhäuser und Siedlungen zu richten, scheitern an meinem Desinteresse, zu bekannt ist mir die Art vonAdriaküstenarchitektur - umso imposanter die Natur und die Wetterstimmungen - ein Sturm, der das Pfeifer Mobil ordentlich durchrüttelt, bringt einenTemperatursturz von zehn Grad und grandiose Nachtaufnahmen.

Ueber Imotzki, dem Grenzübergang nach Bosnien (dort an einem Samstagabend auf einem Hotelparkplatz inmitten von ausgehfreudigen und laut feiern-den Kroaten übernachtet) geht die Reise weiter durch das immer noch kriegsversehrte Mostar nach Sarajevo.Das Wetter verschlechtert sich dramatisch, der erste Schnee legt sich über Nacht aufs Dach des Pfeifermobils. Am Wegesrand würden viele Motive fürmeine Kamera liegen, verlassene Dörfer mit immer noch deutlich sichtbaren Spuren des Krieges... Eine Scheu hindert mich daran, die Kamera auszupak-ken und im Vorbeigehen menschliche Tragödien, die in den zerschossenen Häusern manifest sind, festzuhalten. Ein längerer Aufenthalt wäre nötig, umder Situation gerecht zu werden, doch das sehr schlechte Wetter und unsere Reiseplanung, die einen längeren Aufenthalt in Belgrad vorsieht, hindernmich daran, hier lange zu bleiben.

Bei einem Stausee in Serbien eine verlassene Badeanstalt, unklar, ob nur für den Winter oder für immer geschlossen... Auf jeden Fall ein interessantesMotiv für meine Kamera und ein beschaulicher Uebernachtungsplatz. Der Schlaf wird von zwei Autoscheinwerfern unterbrochen, die mitten in der Nachtdas Pfeifer Mobil umkreisen - folgenlos bleibt der nächtliche Besuch, und der Schlaf kommt nach einigen Stunden angespannten Lauschens in die stock-dunkle Nacht zurück. Wieso uns jemand nächtens einen Besuch abgestattet hat, bleibt ein Rätsel unter vielen auf dieser Reise.

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In Belgrad schliesslich kann ich sehr viele Aufnahmen machen, die Stadt mit ihren Plattenbauten ist für mich sehr anregend, das Wetter ausnahmsweisenicht allzuschlecht, die Temperaturen angenehm, das Mobil an einem sicheren Ort geparkt und wir in einer Wohnung untergebracht - endlich Kleiderwaschen, duschen, an einem richtigen Tisch sitzen... eine willkommene Abwechslung nach zwei Wochen im Auto! Jeden Tag fahre ich mit dem mitgebrachten Velo in die Stadt, die Kamera aufnahmebereit.

Nach einer sehr interessanten Woche in Belgrad und vielen ausserordentlich herzlichen Begegnungen mit den Bewohnern dieser Stadt, fährt das PfeiferMobil, inzwischen zärtlich Detlef genannt, weiter ostwärts.Wunderbare Landschaften durcheilend, der Donau entlang, beim Portile de Fier zum rumänischen Ufer wechselnd und durch herbstliche, nass tropfendeLaubwälder nach Transsilvanien fahrend, immer wieder dokumentationswürdiges Material findend. Die Temperaturen sinken erneut, Bukarest erstarrt ineiner für diese Saison untypischen Kältewelle. Wacker schultere ich trotzdem die Kamera und halte Bilder des dortigen Stadtumbaus fest, die von kom-plett aufgerissenen Strassenzügen, Bauschutthalden, mit Plastik eingehüllten Trompe-l’oeil-Hausfassaden bis zu modernsten Videowänden reichen.

Nach Bukarest geht die Reise weiter ans Schwarze Meer, bei Constanta finden wir den weit und breit einzig offenen Campingplatz, mit Velo und Kamerawerden die verlassenen Feriensiedlungen abgeklappert, meist alles neblig und allein bevölkert von wilden Hunderudeln, Zeugen der UmsiedelungspolitikCeausescus. Südlich von Constanta die aus sozialistischer Zeit stammenden Ferienorte Neptun, Saturn, Venus, Olimp und Jupiter - allesamt in den 1970erJahren errichtete Ferienresorts, teils mit abblätterndem Charme, teils neu aufgemotzt. Eine eigenartige und unheimliche Erfahrung, leere Gebäude, wildeHunde und hie und da misstrauisches Wachpersonal. Ein Ferienprospekt lässt den Sommer am Schwarzen Meer vor dem inneren Auge lebendig werden - Horden von wetttrinkenden Touristen, die sich anden Hotelpools und am Strand aalen - was für ein Gegensatz zur winterlichen Leere und Melancholie!Die Aufnahmen werden gut, wir sind allein - unser einziger Sozialkontakt besteht aus einem rumänischen Ehepaar, das uns zu sich in ihren Camper ein-lädt - fast dasselbe Modell, aber üppigst ausgestattet mit Deckchen und Teppichen - an diesem Abend lernen wir das Wort "norog" auf verschiedensteWeise und wanken spät zurück zum Detlef.

Der Küste entlang nach Bulgarien: Die Auswüchse eines rücksichtslosen Massentourismus sind hier in vollster Blüte, durch die Verlassenheit der Resortsumso sichtbarer in ihrer Abstraktheit: Absolut leere Hotelanlagen - in der Saison ist in house alles möglich und all inclusive - an absurden Orten, teils ohneMeeresanschluss, sondern mitten in Landwirtschaftszonen. Wie Augentäuschungen nehmen sie sich aus - viele der Resorts sind noch im Bau, und werdenwahrscheinlich für immer im Bau bleiben, bereits wieder verfallende Bauruinen sind Zeuge davon. Verlassene Bungalowsiedlungen erzählen von einer ver-gangenen, bescheideneren Art von Tourismus, rührend klein wirken die Häuschen neben den gigantischen Investitionsobjekten.

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Die Reise zurück, über einen kleinen Zipfel der Türkei, durch Griechenland, erweist sich trotz der weiten Strecke als sehr angenehm. Mit derLastwagenfähre Polaris, inmitten von syrischen und libanesischen Vierzigtönnern nach Italien übergesetzt - und dort, im Camperland, von freundlichstenMenschen zu den grossartigsten Uebernachtungsgelegenheiten geführt. Schönstes Herbstwetter begleitet uns durch die Abruzzen, während wir ein paarTage Ferien geniessen und als Gipfel der Wellness in Firenze im Stadtcamping übernachten.

Um mit unseren Freunden die Heimkehr zu feiern, organisieren wir ein kleines Fest auf der Zürcher Allmend mit Schinken aus Italien und dem wunderba-ren Grill...Noch ein letztes Mal die Wärme der Heizung und den lieb gewordenen Wohnraum geniessend.Am nächsten Tag reinigen wir den Detlef innen und aussen; blitzend und glänzend, als wäre er nie durch Schlamm und Morast gefahren (und in derTürkei von einem Bauern mit seinem Traktor aus ebendiesem wieder gezogen worden) wird er in Ebikon abgegeben.

Das Pfeifer Mobil war ein treuer und äusserst patenter Begleiter - anfangs konnte ich mir nicht vorstellen, all die verschiedenen Features, vom Gasgrill biszur Dusche wirklich zu nutzen... aber all der Komfort war willkommen und angesichts der spärlich vorhandenen und meist geschlossenen Campingplätzeauch sehr notwendig. Die Qualität der Strassen lässt je östlicher desto mehr nach, das Navigationsgerät verschwindet mangels Informationsgehalt und Glaubwürdigkeit imHandschuhfach, und die Route wird täglich neu bestimmt - Man lässt sich auf Neues ein, vergisst den ursprünglichen Plan der Reise, recherchiert vor Ort,lässt sich leiten von Unvorhergesehenem... Sich daran gewöhnen, dass ein rotweisser Detlef in kleinen rumänischen Dörfern wie ein Mondfahrzeugwirkt... dass ein Camper in diesen Gebieten zu dieser Jahreszeit sowieso Aufsehen erregt, mehr als einem lieb sein kann...

Ich empfand die knapp zwei Monate dieser Reise als sehr intensiv, man lebt stark in der Gegenwart, Grundsätzliches wird wichtig - wo gibt es einensicheren Platz zum Uebernachten, führt diese Strasse irgendwo hin oder wird sie wieder zur wilden Schlammpiste? Wo gibt es den nächstenLebensmittelladen, wo den nächsten Bancomaten, kann in diesem Land irgendwo Gas nachgefüllt werden? Gibt es überhaupt Verkehrsregeln, wo umGottes Willen kann die Thetford- Kassette entleert werden? Die Art des Reisens ist faszinierend, überall, auch an den wildesten und unheimlichsten Orten sein Haus dabeizuhaben und die Kochsendungen von SarahWiener auf arte zu verfolgen, hat etwas eigentümlich abstraktes. Die langen Nächte tun ihr übriges, um sich manchmal wie in einer geschlossenenRaumkapsel zu fühlen.

Man muss sich auf Neues einlassen, auf Leute zugehen, offen sein für spontane Aenderungen der Pläne... Das Sehen wieder lernen, sich treiben lassen,das Wetter als bestimmenden Faktor akzeptieren...

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Es war eine sehr spannende, anspruchsvolle Reise in eine Gegend, die mir bis anhin vollkommen unbekannt war und die mir Eindrücke erlaubte, die ichmit einer anderen Art des Reisens nie gehabt hätte. Ich wollte Orte, die ihrer ursprünglichen Funktion temporär oder für immer enthoben sind, untersu-chen und auf spielerische Weise neu nutzen. Das Pfeifer Mobil hat mir erlaubt, solche Orte zu bereisen und meine Arbeit in diesem Themenfeld weiterzu-entwickeln. Ich konnte meine (Video-) Materialsammlung, bestehend aus Aufnahmen verlassener Häuser und Orte erweitern und verdichte dieses Material jetzt, beimir im Atelier, zu neuen und spannenden Kompositionen.

Herzlichen Dank für diese wunderbare Zeit!Susanne Hofer, Dezember 2009

Einige der auf dieser Reise aufgenommenen Videosequenzen werden in der Installation „Inner and Outer Spaces“ mit John Wolf Brennan imKunstmuseum Luzern zu sehen sein. (5. Februar 2010 - 15. April 2010).

Alle Fotos ©Urs Hofer