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Tabus in der Governance von Universitäten 9. Jahrestagung der Gesellschaft für Hochschulforschung „Tabus an der Hochschule“ TU Dortmund, Zentrum für Weiterbildung 25.06.2014 Dr. Bernd Kleimann Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung GmbH HIS-Hochschulentwicklung Hannover

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Tabus in der Governance von Universitäten

9. Jahrestagung der Gesellschaft für Hochschulforschung „Tabus an der Hochschule“

TU Dortmund, Zentrum für Weiterbildung 25.06.2014

Dr. Bernd Kleimann

Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung GmbH

HIS-Hochschulentwicklung

Hannover

2 Fußzeilenbereich für Titel oder Datum

Inhalt

1. Bausteine eines organisationssoziologischen Tabu-Begriffs

2. Drei Tabus in der Governance von Universitäten

3. Fazit

3 Fußzeilenbereich für Titel oder Datum

Substantiv und Adjektiv

Herkunft aus polynesischem Sprachraum

Bedeutungsambiguität

Übernahme als Lehnwort

„Meistererzählung“ bei Frazer und Freud

1. Tabu-Begriff

4 Fußzeilenbereich für Titel oder Datum

1. Tabu-Begriff

„Wie ich zuvor schon beobachtet habe, kommt dem Wort Tabu große Bedeutung zu; […]

wenn eine bestimmte Speise verboten ist oder etwas nicht benutzt werden darf, sagen

sie, dass diese Sache Tabu sei; sie erzählen uns, dass, falls der König das Haus eines

anderen betrete, dieses Haus Tabu werde und von seinem Besitzer nie mehr bewohnt

werden könne; wo immer er reise, gebe es deshalb bestimmte Häuser für seinen

Empfang […].“ (James Cook 1777; zit. nach Kraft 2004, S. 32f.)

5 Fußzeilenbereich für Titel oder Datum

1. Tabu-Begriff

„Es konnte zum dauerhaften Ausschluss aus der Gemeinschaft kommen, was einer

existenziellen Gefährdung entsprach. So kann es nicht verwundern, dass die panikartige

Angst bei einem Tabubruch gegebenenfalls sogar zu einem psychogenen Tod führen

konnte. In anderen Fällen ermöglichten Reinigungsriten eine Wiederaufnahme des

Tabubrechers in die Gemeinschaft.“ (Kraft 2004: 34)

6 Fußzeilenbereich für Titel oder Datum

Arbeitsdefinition:

Tabus sind unausdrückliche, sanktionsbewehrte

Verbotsnormen, deren Funktion in der Sicherung sozialer

Ordnung besteht.

1. Tabu-Begriff

7 Fußzeilenbereich für Titel oder Datum

1. Tabu-Begriff

Norm = kontrafaktisch stabilisierte, enttäuschungsresistente Erwartung mit Sanktionsdrohung (Luhmann 1969)

Verbotsnorm = „Meidungsgebot“ (Kraft 2004)

Artikulationsverbot: Tabu als „Axiom“ (Pelinka 1994), „undenkbarer“ Sachverhalt (Setzwein 1997), „Vorurteilsgewissheit“ (Rudas 1994)

Tabubruch als zeitliche, sachliche, soziale Ausnahme

Situations- und Zeitindex von Tabus

Tabus in allen Sozialsystemen

Sprachtabus (Schröder 1997) und Tattabus (Schröder 2003, Zöllner 1997)

Tabus in allen möglichen thematischen Feldern

unterschiedliche Verbotsintensitäten

8 Fußzeilenbereich für Titel oder Datum

1. Tabu-Begriff

Formale Entscheidungs-prämissen

Informelle Entscheidungs-prämissen

Gebots normen

explizit Satzungen, Ordnungen wie z.B. Grund-, Prüfungs-, Besoldungs-ordnung etc.

Kultur kollegialer Unterstüt-zung innerhalb einer Status-gruppe

implizit Decken des Fehlverhaltens von KollegInnen

Verbots- normen

explizit Befangenheitsregeln bei Beru-fungsverfahren

Explizite Vermeidung von „Kampfabstimmungen“ in Gremien

implizit Tabus wie z.B. professorale

Nichtangriffspakte

Organisationssoziologische Adaption

9 Fußzeilenbereich für Titel oder Datum

2. Drei Tabus in der Governance von Universitäten

10 Fußzeilenbereich für Titel oder Datum

Tabu 1

Auflösung einer Universität durch ihren

staatlichen Träger

2. Drei Tabus in der Governance von Universitäten

11 Fußzeilenbereich für Titel oder Datum

Jahr Universität †

1792 Straßburg

1794 Stuttgart

1797 Bonn

1798 Köln, Mainz, Trier

1800 Ingolstadt

1803-06 Bamberg, Dillingen,

Fulda

1809 Helmstedt, Rinteln,

Paderborn, Altdorf

1810 Innsbruck, Salzburg

1811 Frankfurt/Oder

1817 Erfurt, Wittenberg,

Herborn

1818 Duisburg, Münster

Ʃ 22

Krise des Universitätssystems um 1800

12 Fußzeilenbereich für Titel oder Datum

Tabu 1

Auflösung einer Universität durch ihren staatlichen Träger

2. Drei Tabus in der Governance von Universitäten

Unklare Erfolgsparameter

Politische Konfliktvermeidung und Legitimationssicherung

Wert der Bildung

Pfadabhängigkeit

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Tabu 1

Auflösung einer Universität durch ihren staatlichen Träger

2. Drei Tabus in der Governance von Universitäten

Tabu 2 Entscheidungen durch die Universitätsleitung gegen massiven Widerstand (insbesondere) der Professoren

14 Fußzeilenbereich für Titel oder Datum

Tabu 1

Auflösung einer Universität durch ihren staatlichen Träger

2. Drei Tabus in der Governance von Universitäten

Tabu 2 Entscheidungen durch die Universitätsleitung gegen massiven Widerstand (insbesondere) der Professoren

zeitliche Exzeptionalität:

„Das macht man lieber nicht. Das könnte man zur Not mal in einem Einzelfall machen, aber selbst da ungern.“ (Interview 19)

15 Fußzeilenbereich für Titel oder Datum

Tabu 1

Auflösung einer Universität durch ihren staatlichen Träger

2. Drei Tabus in der Governance von Universitäten

Tabu 2 Entscheidungen durch die Universitätsleitung gegen massiven Widerstand (insbesondere) der Professoren

Sachliche Wichtigkeit: Formale Weisungen sind etwas, „[…] was wir auch gar nicht wollen, denn es läge mir fern, sozusagen einem Kollegen vorzuschreiben, was er zu tun und zu lassen hat. Das kann man nur im Konflikt machen, wenn es also gar nicht mehr anders geht.“ (Interview 9)

16 Fußzeilenbereich für Titel oder Datum

Tabu 1

Auflösung einer Universität durch ihren staatlichen Träger

2. Drei Tabus in der Governance von Universitäten

Tabu 2 Entscheidungen durch die Universitätsleitung gegen massiven Widerstand (insbesondere) der Professoren

Sachliche Wichtigkeit/argumentative Stützung: „Das kann bei Berufungsverhandlungen sein, das kann aber auch bei bestimmten finanziellen Entscheidungen sein. Aber ich würde in jedem Fall meine Entscheidung sehr wohl begründen und transparent machen, warum ich so entscheide. Ich würde probieren, das zu vermeiden, dass es willkürlich aussieht.“ (Interview 14)

17 Fußzeilenbereich für Titel oder Datum

Tabu 1

Auflösung einer Universität durch ihren staatlichen Träger

2. Drei Tabus in der Governance von Universitäten

Tabu 2 Entscheidungen durch die Universitätsleitung gegen massiven Widerstand (insbesondere) der Professoren

Partielle soziale Akzeptanz: „Das Gesetz würde ja rein theoretisch fast diktatorische Möglichkeiten eröffnen, das muss man nüchtern sehen. Sie müssen auch bestimmte Dinge manchmal gegen […] Meinungsführer, gegen Fakultäten durchsetzen, aber das dürfen nur Ausnahmefälle sein. Ansonsten müssen Sie diese Leute einbinden.“ (Interview 19)

18 Fußzeilenbereich für Titel oder Datum

Tabu 1

Auflösung einer Universität durch ihren staatlichen Träger

2. Drei Tabus in der Governance von Universitäten

Tabu 2 Entscheidungen durch die Universitätsleitung gegen massiven Widerstand (insbesondere) der Professoren

Zeitliche Exzeptionalität, sachliche Wichtigkeit, soziale Akzeptanz: der Präsident ist „ […] vielleicht so etwas wie, wie ein Pate. So, jetzt können wir an die Mafia denken, die meine ich jetzt natürlich nicht, obwohl es vielleicht auch ein Element hat, nämlich im Ernstfall auch wirklich entscheiden zu müssen. Wir können nicht nur palavern, das geht nicht. Aber wir müssen sicherstellen, dass das, was passiert, auch von möglichst breiten Teilen getragen wird. Ein Präsident muss diese Kommunikation organisieren, er muss ein Gefühl dafür kriegen: Ist das jetzt die Linie, die getragen wird, die aber auch gleichzeitig die richtige ist, entspricht das den Stärken der Universität, die sie es vielleicht von sich gar nicht weiß […].“ (Interview 27) Das Gesetz würde ja rein theoretisch fast diktatorische Möglichkeiten eröffnen, das muss man nüchtern sehen. Sie müssen auch bestimmte Dinge manchmal gegen […] Meinungsführer, gegen Fakultäten durchsetzen, aber das dürfen nur Ausnahmefälle sein. Ansonsten müssen Sie diese Leute einbinden.“ (Interview 19)

19 Fußzeilenbereich für Titel oder Datum

Tabu 1

Auflösung einer Universität durch ihren staatlichen Träger

2. Drei Tabus in der Governance von Universitäten

Tabu 2 Entscheidungen durch die Universitätsleitung gegen massiven Widerstand (insbesondere) der Professoren

Kollegialitätsnorm (professoraler Anspruch in Bezug auf Information, Anhörung, Mitentscheidung)

Verteilung formaler Macht

Informelle Einflusspotenziale der Professorenschaft

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Tabu 1

Auflösung einer Universität durch ihren staatlichen Träger

2. Drei Tabus in der Governance von Universitäten

Tabu 2 Entscheidungen durch die Universitätsleitung gegen massiven Widerstand (insbesondere) der Professoren

Tabu 3 Sprachtabu: der Machtbegriff in den Rollenselbst-beschreibungen von Präsidenten

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Tabu 1

Auflösung einer Universität durch ihren staatlichen Träger

2. Drei Tabus in der Governance von Universitäten

Tabu 2 Entscheidungen durch die Universitätsleitung gegen massiven Widerstand (insbesondere) der Professoren

Tabu 3 Sprachtabu: der Machtbegriff in den Rollenselbst-beschreibungen von Präsidenten

„[…] also das mit der Macht ist ja so eine Sache, ja. Mein Gott, was ist schon Macht. Pff. Macht ist sicher nicht, dass Sie eine Sache durchsetzen - und [man] sie dann nicht pflegt, weil es die Menschen nicht mögen. Im Vorfeld muss das Feld bereitet sein. Und dann spielt Macht auch schon keine Rolle mehr. Wenn Sie wirklich mächtig sind, überzeugen Sie die Leute, in welcher Weise auch immer.“ (Interview 25)

22 Fußzeilenbereich für Titel oder Datum

Tabu 1

Auflösung einer Universität durch ihren staatlichen Träger

2. Drei Tabus in der Governance von Universitäten

Tabu 2 Entscheidungen durch die Universitätsleitung gegen massiven Widerstand (insbesondere) der Professoren

Tabu 3 Sprachtabu: der Machtbegriff in den Rollenselbst-beschreibungen von Präsidenten

„Präsidenten haben keine Macht. Das wird zwar, wenn man so eine Präsidialhierarchie hat, wird das so gesehen, aber stellen Sie sich vor, ich sage: jetzt ist Krieg, und keiner geht hin, ja. […] Die Macht sitzt bei denen, die hier rumsitzen, und nicht bei mir. Ich kann nur versuchen, wie so ein Dirigent das ein bisschen zu orchestrieren.“ (Interview 24)

23 Fußzeilenbereich für Titel oder Datum

Tabu 1

Auflösung einer Universität durch ihren staatlichen Träger

2. Drei Tabus in der Governance von Universitäten

Tabu 2 Entscheidungen durch die Universitätsleitung gegen massiven Widerstand (insbesondere) der Professoren

Tabu 3 Sprachtabu: der Machtbegriff in den Rollenselbst-beschreibungen von Präsidenten

„Alleine können Sie selbst mit einer großen Macht des Präsidenten nicht alles durchdrücken und wollen Sie vielleicht auch gar nicht, ich will es jedenfalls nicht.“ (Interview 28)

24 Fußzeilenbereich für Titel oder Datum

Tabu 1

Auflösung einer Universität durch ihren staatlichen Träger

2. Drei Tabus in der Governance von Universitäten

Tabu 2 Entscheidungen durch die Universitätsleitung gegen massiven Widerstand (insbesondere) der Professoren

Tabu 3 Sprachtabu: der Machtbegriff in den Rollenselbst-beschreibungen von Präsidenten

„Ja, als Präsident hat man relativ viel Befugnisse. Man ist aber gut beraten, relativ dosiert damit umzugehen. Ich glaube, Macht ist ein falscher Begriff an einer Universität. […] Macht funktioniert an einer Universität nicht. Ich habe es da deutlich lieber, authentisch und mit eigener Überzeugung voranzugehen und die Leute mitzunehmen, indem die sagen: Jawohl, das nehmen wir ihm ab. Das ist der deutlich bessere Prozess. Ab und zu muss man allerdings auch seine Macht mal ausspielen […].“ (Interview 21)

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3. Fazit

hohes Maß an normativer Informalität und viele Tabus auf unterschiedlichen Ebenen in Universitäten

Funktion von Tabus u.a.: Stabilisierung sozialer Ordnung angesichts unauflösbarer Widersprüche

Tabubegriff als Analyseinstrument für informelle normative Erwartungsstrukturen im Hochschulbereich

26 Fußzeilenbereich für Titel oder Datum

Dr. Bernd Kleimann Deutsches Zentrum für Hochschul- und

Wissenschaftsforschung GmbH

HIS-Hochschulentwicklung Goseriede 9

30159 Hannover

E-Mail: [email protected] www.his-he.de

Vielen Dank für Ihr Interesse