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TAGEBUCH ensemble 4/13 38 Nachdem schon einige Streichquartette in dieser Rurik ihre Erlebnisse auf Reisen in ferne Länder be- schrieben haben, wollten wir dieses Mal eine andere Art von Ensemble begleiten und fragten das En- semble Flautando Köln. Dieses Blockflötenensemble ist eines der renommiertesten seiner Art und reiste nach China … Nachdem uns Konzertreisen in den asiatischen Raum in den vergangenen Jahren bereits nach Tai- wan und Südkorea geführt hatten, starteten wir im März 2013 zu unserer ersten Chinatournee. Wir ha- ben große Teile des riesigen Landes bereist und ne- ben Peking und Shanghai noch 10 weitere chinesi- sche Städte kennengelernt. Ein Tagebuch von Flautando Köln Reise ins Reich der Mitte Flautando Köln in China Flautando Köln am Flughafen in China. Foto: Flautando

TAGEBUCH Reise ins Reich der Mitte - flautando … 38-41.pdf · bussys „Children‘s Corner“ und vor allem „Youkali“, das Chanson von Kurt Weill, gesungen von Ursula, brachten

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Nachdem schon einige Streichquartette in dieserRurik ihre Erlebnisse auf Reisen in ferne Länder be-schrieben haben, wollten wir dieses Mal eine andereArt von Ensemble begleiten und fragten das En-semble Flautando Köln. Dieses Blockflötenensembleist eines der renommiertesten seiner Art und reistenach China …

Nachdem uns Konzertreisen in den asiatischenRaum in den vergangenen Jahren bereits nach Tai-wan und Südkorea geführt hatten, starteten wir imMärz 2013 zu unserer ersten Chinatournee. Wir ha-ben große Teile des riesigen Landes bereist und ne-ben Peking und Shanghai noch 10 weitere chinesi-sche Städte kennengelernt.

Ein Tagebuch von Flautando Köln

Reise ins Reich der MitteFlautando Köln in China

Flautando Köln am Flughafen in China.Foto: Flautando

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das man in ganz China trinkt. Und direkt gegenüberdem Konzertsaal befindet sich ein Lokal mit deutscherFahne und dem schönen Namen „Zur Bierstube“. ImKonzertsaal ein ähnliches Bild wie in Peking. Allgemeinist das Publikum in China sehr viel gemischter als inEuropa. Man sieht alle Altersgruppen, viele junge Fa-milien mit Kindern, Jugendliche und auch ältere Men-schen.

Die Konzerte werden als „concerts for citizens“ vom chi-nesischen Staat finanziell unterstützt, was es den The-atern ermöglicht, die Eintrittspreise so moderat zu gestal-

ten, dass viele Schichten angesprochen werden. Eine gro-ße Neugierde und ein Interesse an Kammermusik ist of-fensichtlich da, was sich auch in den Besucherzahlen wi-derspiegelte. Wir haben uns gefreut, bis zu 700 Besucherpro Konzert anziehen zu können, die sehr offen auf uns

und unsere Musik reagierten.Weiter von Quingdao nach Yantai, Wu-

han, Yi’an, Yichun, Chongquingm … Dienächste Stadt, das nächste Hotel … Auf-grund von Reisestrapazen und Müdigkeitscheint zunächst jede Stadt ähnlich: laut,groß und mitunter nicht besonders schön.

Doch schon auf den zweiten Blick er-kennt man Eigenheiten: Straßen manch-mal ohne Papierschnipsel oder Laub, dasandere Mal ganz das Gegenteil. MitSorgfalt hergerichtete Plätze, Skulpturenan Verkehrsinseln oder aber staubigeStraßen mit improvisierten Stromleitun-gen. Wir sahen gläserne, moderne Ge-bäude und auch Straßen mit großer Ar-mut. Es sind vor allem die Gegensätze, die

Die Vorbereitungen für diese Reise waren sehr span-nend für uns. Die Blockflöte hat als Instrument inChina keine Tradition und spielt auch im Konzert-

leben noch keine wirkliche Rolle. Darüber hinaus ist auchdie klassische Kammermusik grundsätzlich im Konzertle-ben Chinas noch nicht besonders etabliert. Mal einKlavierabend, vielleicht ein Streichquartett, aber andereFormationen sind noch weitestgehend unbekannt. Ver-breiteter sind Groß-Events, große Bühnenproduktionenmit vielen Darstellern und riesigen Bühnenbildern. DieMusik dazu kommt dann oft „aus der Konserve“.

In den vergangenen Jahren sind in vielen StädtenChinas aber große Theater und Konzerthäuser entstan-den, die oft auch einen Saal für kleinere Produktionenhaben (im Schnitt 800–1200 Plätze), und die Kammer-musikkultur ist insgesamt im Aufschwung. Daher habenwir uns sehr über die innovative Idee und Vision derAgentur Eurovista aus Peking gefreut, uns, FlautandoKöln, ein in China unbekanntes Kammermusikensemblemit einem unbekannten Instrumentarium, für gleich 12Konzerte zu verpflichten. Eurovista hat auch die Orga-nisation und Koordination der gesamten Tour übernom-men, und das übrigens perfekt! Wir haben selten eineKonzertreise erlebt, wo alles so reibungslos lief und füralles so gut und umsichtig gesorgt war. Zum Teil habenwir riesige Distanzen zwischen den einzelnen Konzertor-ten zurücklegen müssen, mal mit dem Flugzeug, mal mitder Bahn oder mit Autos. Nie gab es eine Panne imAblauf, immer waren alle Fahrer pünktlich zur Stelle,und immer waren alle in jeder erdenklichen Weise umunser Wohl bemüht.

Das Eröffnungskonzert fand im Beijing-Tianqiao-Theaterin Peking statt. Dass wir in einem chinesischen Theaterhinter der Bühne auf unseren Auftritt warteten, merktenwir u. a. auch daran, dass der Pausengong ein wohlklin-gendes Tamtam war, das uns sofort in eine andere Weltversetzte. Das chinesische Publikum war jedoch zunächsteinmal insgesamt sehr viel unruhiger, als wir es ausDeutschland kennen, es ist auch nicht üblich, die Handysauszuschalten! Etwas befremdlich war es für uns schon,beim Blick von der Bühne in den dunklen Saal mehrerevom Handy- oder Labtopbildschirm beleuchtete Gesich-ter zu sehen. Es werden ungeniert Spiele gespielt, E-Mailsgecheckt, es wird gechattet … Was auch immer – auch inseiner ureigensten Funktion, zum Telefonieren, wird dasHandy während des Konzertes gerne schon mal benutzt. Dieses Bild zeigte sich uns in allen 12 Städ-ten. Wenn dann die Bildschirme aber nachund nach ausgeschaltet wurden und dieAufmerksamkeit sich offensichtlich derMusik zuwandte, war das natürlich einesehr direkte Bestätigung, dass wir unserPublikum erreicht hatten. Sehr im Ge-dächtnis geblieben ist uns ein ungefähr 10-jähriger Konzertbesucher in der erstenReihe, der, mit seinem Labtop auf demSchoß, mit offenem Mund und wippendenFüßen dasaß, und ganz vergaß den Com-puter aufzuklappen …

Früh um 5 Uhr ging es am nächsten Tagweiter nach Quingdao, einer ehemaligendeutschen Kolonie. Hier wird übrigensnoch nach altem Rezept ein Bier gebraut,

Immer eine besondere Freude: das Essen.Foto: Flautando

Autogrammjägerin.Foto: Flautando

Beeindruckende Leuchtreklame zur Ankündigung eines Konzerts.Foto: Flautando

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uns immer wieder aufmerksam werden ließen. Ein hoch-glanzpoliertes Nobelmarken-Geschäft direkt nebeneinem kleinen, schmutzigen Lädchen, in dem billige Plas-tikeimer und aus Lumpen selbst hergestellte Wischmopsverkauft werden.

Manchmal werden uns die Städte von unseren Reise-begleiterinnen als Kleinstädte angekündigt. Für chinesi-sche Verhältnisse mag das so sein, sie haben „nur“ 4Millionen Einwohner und nicht um die 20 Millionen wieShanghai oder Chongqing. Für uns Deutsche fühlt es sichzunächst dennoch nicht kleinstädtisch an. Je länger wirjedoch unterwegs sind, spüren wir auch selbst die unter-schiedliche Atmosphäre einer 4- oder einer 20-Millionen-Stadt. Unvergessen sind für uns beispielweise die faszinie-renden Ausblicke bei der Fahrt durch die nächtlichebeleuchtete Riesenmetropole Chongqing von der Kon-zerthalle zum Hotel.

Das Sich-Bewegen durch die Städte war auch sehr ver-schieden. Manchmal spürte man eine Direktheit undOffenheit im Umgang, trotz Enge und Geschäftigkeit inden Straßen. Ein anderes Mal wirkte die Stadt anonym.Wir stellten Vergleiche mit deutschen Städten an …

Zu den besonderen Bildern gehören die Chinesin, dieauf dem Bürgersteig ihr Gemüse in einem Bottich wäscht,die kartenspielenden älteren Leute am Straßenrand, dasAusruhen im beliebten Hocksitz, überladene Fahrrad-karren und all die improvisierten Problemlösungen imStraßenalltag.

Zurück zu den Konzerten: Präsentiert haben wir unserProgramm „Kaleidoskop“, ein sehr gemischtes Pro-gramm mit Musik vom Mittelalter bis zur Gegenwartund mit vielen unterschiedlichen Stilen (Barock, Folklore,ein kleiner Ausflug in den Impressionismus und zu KurtWeill, mittelalterliche Spielmannstänze …). Wir hattenfast 35 verschiedene Blockflöten mitgebracht und er-gänzt wurden diese noch durch den Gesang unseresMitglieds Ursula Thelen. Nach dem ersten Musikblockwurde das Publikum zunächst durch Ursula begrüßt. Siehatte ein paar chinesische Sätze vorbereitet, von denenjeder mit freudigstem großem Applaus honoriert wurde.Von Susanne Hochscheid gab es dann an verschiedenenStellen noch eine englische Moderation für das Publikum,die von unseren chinesischen Reisebegleiterinnen Sissi undLi übersetzt wurde. An dieser Stelle sei noch kleiner Ex-kurs gestattet. Ohne diese beiden Frauen wären wir in

vielen Situationen oftmals völlig hilflos gewesen! Es istschon eine besondere Erfahrung, sich durch ein Land zubewegen, in dem man sich, bis auf wenige Worte, kaumverständlich machen kann, da eben doch nicht jederEnglisch spricht. Gespräche mit Bühnenarbeitern oder ander Hotelrezeption, Erklärungen bei der Speisekarte, dasBesorgen fehlender Kleinigkeiten, Kaufberatung im Tee-laden … Ein großes Dankeschön an Sissi und Li, die uns injedem Moment hilfreich zur Seite standen und auch nochversuchten uns in unserer knappen Freizeit so viel wiemöglich von Land und Leuten zu zeigen.

Besonders geliebt hat das chinesische Publikum dieMusik von Johann Sebastian Bach! Während der großen„Fantasie und Fuge“ c-Moll herrschte immer Ruhe undandächtige Stille. Die Arrangements von Sätzen aus De-bussys „Children‘s Corner“ und vor allem „Youkali“, dasChanson von Kurt Weill, gesungen von Ursula, brachtensogar regelmäßige Bravorufe hervor. Etwas schwierigerwar der Zugang zu Musik des 16. und 17. Jahrhunderts,während uns nach Vivaldi und irischer Folklore wiederviele strahlende Gesichter anblickten.

Große Freude, Gelächter und Mitklatschen gab esdann immer bei unserer Zugabe, einem wunderbaren„Czardas“-Arrangement unseres Kollegen und Freundesvom belgischen Flanders Recorder Quartet, Joris vanGoethem. Es ist gespickt mit verschiedenen musikalischenZitaten wie dem „Radetzky“-Marsch, die zu einigen ko-mödiantischen Einlagen einladen und jedes Mal dafür

sorgten, dass wir unter stürmischem Applaus (und mitherrlichen Blumensträußen) die Bühne verließen. DieseBlumen allerdings wurden uns leider meist hinter derBühne sofort wieder abgenommen und für den nächstenAnlass verwahrt … Beim ersten Mal waren wir noch etwasirritiert, gewöhnten uns aber schnell daran. Da wir sowie-so am nächsten Tag fast immer sofort weiterreisten undmit den Blumen ein Transportproblem gehabt hätten,war es im Prinzip auch genau richtig so.

Die Konzertsäle waren immer sehr besonders in ihrerBauweise. Entweder gigantisch und pompös mit großenSäulen und Freitreppen oder sehr futuristisch in Kugel-oder anderen ausgefallenen Formen. Beeindruckendwar die fantastische Akustik der meisten! Selbst in demgrößten der Säle mit 1.500 Plätzen wurde der Klangunglaublich gut getragen und waren Feinheiten bis in dieletzten Reihen zu hören. Lediglich in drei der älterenTheater mussten wir mit einer leichten Verstärkung unse-rer Instrumente spielen.

Probleme hingegen bereiteten uns die Temperaturenin den Konzertsälen! Im südlichen China gibt es meist kei-

TAGEBUCHAm Bahnhof: Flautando Köln mit Begleiterin.Foto: Flautando

Auf der Bühne.Foto: Flautando

ne Heizung, alles wird über die Klimaanlage geregelt. Dadiese aber oft erst angestellt wurde, wenn wir zur An-spielprobe kamen, führte es dazu, dass wir während desKonzertes auf einer kalten Bühne mit zusätzlichem kal-ten Gebläse saßen, was weder für uns noch für die Instru-mente gut erträglich war und leider auch nicht ganzohne Folgen blieb (diverse Halsentzündungen). DiesesProblem konnte trotz intensiven Insistierens bis zumSchluss nicht gelöst werden.

Vieles könnten wir noch erzählen!China ist ein sehr besonderes Land,natürlich auch mit einer anderenMentalität, anderen Sitten und Ge-bräuchen. Nicht alles war für unsimmer im ersten Anlauf nachvollzieh-bar, was aber für die Chinesen umge-kehrt wahrscheinlich genauso in un-seren Breitengraden gilt. Das kleinsteBeispiel sind da vielleicht unsereTrinkgewohnheiten. In China ist esüblich, von morgens bis abends heißesWasser zu trinken. An allen öffent-lichen Orten gibt es Zapfanlagen mitgereinigtem Wasser, das man sichheiß in eine Thermoskanne füllenkann. Wir lieben es, heißes Wasser zutrinken! Wir hätten allerdings zumFrühstück auch gerne mal einenguten Kaffee bekommen … was nicht immer möglichwar. Besondere Erheiterung löste dann aber immer wie-der unser abendlicher Wunsch aus, nach dem Konzertnoch ein, wenn möglich sogar kaltes Bier zu trinken. Bier?Kalt? Das warf in manchen Hotels Probleme auf undnicht selten lief dann ein hilfsbereiter Hotelangestellternoch zum nächsten geöffneten Laden. HilfsbereiteAngestellte und anderes Personal gibt es in China aller-

dings ausreichend. Es ist keine Seltenheit, beim Betreteneines Lokals von acht in traditionelle chinesischeGewänder gekleideten Angestellten mit einer tiefenVerbeugung begrüßt zu werden. Die einzige Aufgabedieser Menschen während ihres gesamten Arbeitstages istdann ausschließlich diese Tätigkeit.

Das Essen haben wir SEHR geschätzt. Dadurch, dasswir in so verschiedenen Landesteilen unterwegs waren,

konnten wir immer andere regionaleSpezialitäten kosten. Immer unglaub-lich lecker und dazu noch sehr liebevollangerichtet und dekoriert. Natürlichmussten wir uns an die zunächst unge-wohnte Kost und vor allem die Schärfegewöhnen, die die Speisen in einigenRegionen mit sich bringen, waren aberimmer wieder begeistert und fasziniertvon der Vielfalt und dem Geschmack.Lediglich die gegrillten Seidenraupensowie die frittierten Hühnerkrallenhaben wir dann doch verschmäht …

Alles in allem haben wir vieles liebengelernt und viele Eindrücke undAnregungen mit nach Hause genom-men. Eine erneute Einladung derAgentur, weitere Konzerte in China zuspielen, steht bereits für das Jahr 2015fest. Wir freuen uns schon jetzt auf wei-

tere Begegnungen mit diesem großen, wunderbarenLand und seinen Menschen!

Danken möchten wir nicht nur dem Team, das dieseReise organisiert hat, sondern auch dem Goethe-

Institut für die Unterstützung der Flüge.

www.flautando-koeln.de

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Probe der Moderationmit Übersetzerin.Foto. Flautando

Immer wieder optische Diskrepanzen:modernste Konzertsäle vor

Hochhauskulisse.Foto: Flautando