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BerWissGesch 5 (1982): Dokumentation und Information 241
lieh Archiv und Bibliothek (in der Török utca 12), deren vornehmlich aus aufgelösten Ordens-, Instituts- und Privatbibliotheken stammende Bestände an Büchern, Zeitschriften und Manuskripten mittlerweile auf über 100 000 Bände angewachsen sind.
Wie fast stets bei derartigen internationalen Zusammenkünften ist indes der wesentliche Ertrag auch dieses Kongresses sicherlich in den vielen erstmals geknüpften Kontakten beziehungsweise erneuerten und vertieften Begegnungen, namentlich mit Kollegen aus den Ostblock-Ländern, zu sehen - im nicht zuletzt durch die ungezwungene Atmosphäre geförderten persönlichen Gespräch also, zu dem die im Anschluß an die Vortragsveranstaltung vom 3. bis 5. Oktober durchgeführte dreitägige Rundreise nochmals reichlich Gelegenheit bot und das in dieser Form erst wieder allläßlich des nächsten IGGPKongresses, 1983 in Washington, möglich sein wird.
Prof. Dr. Peter Dilg Institut ftir Geschichte der Pharmazie Roter Graben 10 D-3550 Marburg/Lahn
Tagungsbericht über die Lelluerfortbildungsveranstaltung ,Geschichte der Physik' vom 5.10.81 bis 7.10.81 in Kaiserslautem
Die diesjährige Fortbildungsveranstaltung an der Universität Kaiserslautern (Fachbereich Physik) vom Staatlichen Institut für Lehrerfort- und -Weiterbildung des Landes Rheinland-Pfalz war der Thematik ,Geschichte der Physik' gewidmet. Die örtliche Tagungsleitung lag in den Händen von Prof. Dr. Hansjörg Jodl und StD Karl Heinz Munzinger. Die Tagung wurde von etwa 60 Physiklehrern der Sekundarstufe n besucht und umfaßte täglich vier anderthalbstündige Vorträge mit anschließender Diskussion. Ein ausführlicher Tagungsbericht wird in der Zeitschrift Der Physikunterricht (Heft 2/1982) abgedruckt werden.
Den ersten Fachvortrag hielt Prof. Dr. F. Hund (Universität Göttingen) über ,,Zugänge zur Quantentheorie in historischer Sicht". Dabei wurde referiert, wie es aus historischer Sicht drei Hinweise auf die Quantentheorie gibt, die in drei sich ablösenden Hauptphasen der Entwicklung der Quantentheorie einmündeten. Das Studium der Tieftemperatureigenschaften zeigte den Physikern die Fundamentalwirkung h auf. Diese erste Phase der Quantentheorie im Zeitraum von 1900 bis 1913läßt sich mit dem Stichwort ,Quantenstatistik' umreißen. Der zweite experimentelle Hinweis kam von den Linienspektren der Atome. Die zweite Phase der Quantentheorie, 1913 beginnend, ftihrte zu einer Atomdynamik auf der Grundlage des Korrespondenzprinzips und darüber hinaus durch mehrfache Berücksichtigung des Kombinationsprinzips der Spektren zur Quantenmechanik. Die Ubertragung des Dualismus auf die Materie durch L. de Broglie leitete 1926 die dritte Phase ein.
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Für die anwesenden Teilnehmer war es erlebnisreich über die Entstehung der Quantenmechanik von jemandem informiert zu werden, der an deren Entwicklung maßgeblich beteiligt war.
Der zweite Fachvortrag wurde von Prof. Dr. U. Hoyer (Universität Münster) unter dem Titel "Ludwig Boltzmann und das Grundlagenproblem der Quantentheorie" gehalten. Es wurde dargelegt, daß das Boltzmannsche Prinzip, als der Klassischen Physik zugehörig, einen der Eckpfeiler der Planckschen Quantentheorie darstellte. Nachdem zunächst begründet wurde, daß sich die Plancksche Strahlungstheorie ohne Bruch mit der klassischen Physik durch konsequentes Festhalten am Atomismus der Materie aus dem Boltzmannschen Prinzip ergibt, wurde die Vermutung motiviert, daß die Fundamente der Wellenmechanik in der Boltzmannschen Statistik einerseits und im Atomismus andererseits zu suchen sein könnten. Es wurden statistische und stochastische Axiome und Postulate angegeben, aus denen sich die Wellenmechanik ohne Widerspruch mit den Prinzipien der klassischen Physik herleiten ließe.
In dem dritten Fachvortrag sprach Dr. W. Kaiser (Universität Mainz) unter dem Thema "Strukturen der Physik im Wandel: Erhaltungssätze - Extremalprinzipien - Invarianzeigenschaften" Wissenschaftshistorisches unter didaktischer Perspektive an. Es wurden zunächst die begrifflichen Schwierigkeiten im Vorfeld der Formulierung des Energieerhaltungssatzes herausgearbeitet. Im Referat wurde dargelegt, wie sich aus verschiedenen Wurzeln heraus eine Formulierung des Energieerhaltungssatzes herauskristallisierte. Der Status der Energieerhaltung als theoretisches Argument wurde exemplarisch an einem historischen Beispiel aus der Elektrodynamik dargestellt. Mehr noch, so wurde gezeigt, sind Erhaltungssätze, Extremalprinzipien und Invarianzeigenschaften in ihrer Rolle ftir die heutige Physik von solcher Art, daß sie bei Aufgabe oder Bedrohung wissenschaftliche Revolutionen initiieren können. Die didaktische Perspektive des Referates warf die Frage auf, ob die Geschichte der Erhaltungssätze schon als solche eine didaktische Möglichkeit darstellt oder erst indirekt durch den Aufweis von übergreifenden, wissenschaftstheoretisch bestimmten Merkmalen. Die Frage wurde dahingehend beantwortet, daß die bloße Geschichte ihrer Komplexität wegen didalctisch nicht verwertbar ist, daß aber ihr Status als ,Metagesetz' den strukturierenden Charakter der Erhaltungssätze zu erläutern vermag.
In zwei aufeinanderfolgenden Referaten trug Dr. J. Teichmann (Deutsches Museum) über "Die Rekonstruktion historischer Modelle und Experimente ftir den Unterricht" und über "Astronomie, Physik und Meßtechnik in ihrer Wechselbeziehung" vor. Aus einem reichhaltigen Fundus wurde an exemplarisch ausgewählten Beispielen rekonstruierter historischer Modelle gezeigt, wie sich historische Experimente mit Gewinn in den Unterricht integrieren lassen, da eine Reihe der Modelle im Selbstbau herstellbar ist. Die Geschichte der Physilc erwies sich in dem illustrativ dargebotenen Referat als didaktischer Steinbruch, dem viele nutzbare Ideen entnommen werden können. In dem zweiten Referat wurde die kultur- und bildungsträchtige Komponente der Geschichte der Physik an der Wechselbeziehung zwischen Astronomie, Physik und Meßtechnik ver.deutlicht. Durch die illustrierte Darstellung erhielten die wissenschaftshistorischen Informationen ftir die Zuhörer unterrichtspraktische Relevanz.
Unter dem Titel "Kann man Physik nur historisch wirklich verstehen?" ging Prof. Dr. W. Jung (Universität Frankfurt) der Frage nach der didaktischen Funktion der Wissenschaftsgeschichte im Unterricht nach. Der Referent zog aus der an Beispielen belegten Tatsache, daß sich der historische Prozeß rückblickend immer als eine innerwissenschaftliche Theoriendynamik und als eine solche der Phänomenproduktion im Rahmen einer Hierarchie systematischer Abhängigkeiten darstellt, die Folgerung, daß es keine Belege für die Aussage gibt, daß man physikalische Erkenntnisse nur historisch wirklich ver-
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stehen könne. Das Verstehen physikalischer Aussagen geschehe durch die systematische Exposition der Fakten und der theoretischen Zusammenhänge, aber nicht durch historische Berichte und Zeugnisse. Auf die didaktische Ambivalenz des Historischen eingehend, wurde anband von Beispielen belegt, daß historische Studien das Physiklernen je nach Sachlage erschweren, aber auch ein tieferes Verständnis erzeugen können, welches mit Gewinn weitergegeben werden kann, ohne explizit auf das Historische zu rekurrieren. Dabei sind es nicht die historischen Detailfragen, etwa Prioritätsfragen, sondern die ideenträchtigen Fragen der Verbindung von Physik und allgemeiner Geschichte, welche, bislang kaum in Angriff genommen, Gewinn bringen könnten. Abschließend wurde die Literatur zum Thema vorgestellt und kommentiert. In der anschließenden Diskussion wurden die wichtigen Bezüge zwischen Lerntheorie und Historie näher beleuchtet.
In dem Fachvortrag "Erwin Schrödinger in Amerika" von Dr. K. von Meyenn (Universität Stuttgart) wurde den Teilnehmern ein gelungener Einblick in die Werkstatt des Wissenschaftshistorikers gegeben. Es wurde deutlich, wie sorgfältige, aber mühsame Arbeit am Detail wissenschaftshistorische Erträge erbringt, die in einer klareren Sicht historischer Ereignisse einmünden. Inhaltlich wurde den Zuhörern ein klareres Bild der Person Erwin Schrödingers gezeichnet und die Bedeutung von Reisen europäischer Wissenschaftler nach Amerika ftir den Entstehungsprozeß einer amerikanischen Physik dargelegt. Persönliche Erinnerungen von F. Hund ergänzten dies und rundeten ab.
Der zweite Tagungstag endete mit einer Medienschau (Unterrichtsfilme, Literatur) zum Thema Geschichte der Physik.
·In dem Fachvortrag "Geschichte der Physik im Rahmen der Lehrer aus- und -Weiterbildung" begründete Prof. Dr. W. Kuhn (Universität Gießen) noch einmal die Zielrichtungen, unter denen Wissenschaftsgeschichte vom Didaktiker sinnvoll betrieben werden kann. Die möglichen Erträge wissenschaftshistorischer Forschung für Didaktik und Unterricht wurden in sieben Thesen gebündelt dargestellt. Dabei wurde besonderer Wert auf die in wissenschaftstheoretischer Absicht bestimmte Beschäftigung mit der Physikgeschichte gelegt, weil dadurch erst ein tieferes Verständnis grundlegender physikalischer Begriffsund Theorienbildung und damit ein volles Verständnis der Physik erreicht wird. Auf die Unterrichtssituation bezogen, stellt sich die Hauptfrage nach der Art, in der Wissenschaftsgeschichte betrieben werden soll. Es wurden konkrete Realisierungsmöglichkeiten ausgeführt, wobei der historische Weg als Fingerzeig und nicht als Vorlage aufgefaßt wird. Es wurden weiterhin überzeugende Argumente für eine fruchtbare Beschäftigung mit der Wissenschaftsgeschichte in der Lehreraus-und -Weiterbildung vorgetragen.
Prof. Dr. H. Harreis (Universität Duisburg) gab in seinem Referat "Zur Geschichte der Zeitmessung und eine Möglichkeit zur Darstellung im Unterricht" zunächst einen historischen Längsschnitt. Die Geschichte der Zeitmessung ist nicht nur kulturhistorisch und technikgeschichtlich von großem Interesse, sondern auch physikalisch. Für die unterrichtliche Realisierung wurde ein Wandbild zur Geschichte der Zeitmessung vorgestellt. Dieses zeigt die Uhrenentwicklung in einem doppelt-logarithmischen Raster, wobei die historische Zeitskala gegen die Meßgenauigkeit aufgetragen ist. Es wurde deutlich, daß sich am Thema Zeitmessung viel unterrichtrelevante Physik treiben läßt.
Die beiden letzten Referate waren der Unterrichtspraxis gewidmet. Dr. G. Lind (Institut für Pädagogik der Naturwissenschaften, Kiel) zeigte unter dem Thema "Fallstudien zur Wissenschaftsgeschichte, eine Reihe von Unterrichtseinheiten für die S II" eine Möglichkeit unterrichtlicher Realisierung von Wissenschaftsgeschichte auf. Eine Fallstudie zur Geschichte der Optik und eine weitere zur Entdeckung des Energieerhaltungssatzes wurden eingehender ausgeführt. Ein umfangreicher Reader von Originalarbeiten und Quellentexten bildet die Grundlage des über ein Halbjahr projektierten Unterrichts. Aus dem Studium der Originaltexte extrahieren Schüler einen eigenen Forschungsbericht. Die Er-
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probung in mehreren Klassen führte zu unterschiedlichen Ergebnissen. Bei einem Unterricht nach Fallstudien kommt den Texten die Fachautorität zu. Der Lehrer muß weitgehend zurücktreten. Die veränderte Lehrerrolle bereitete Schwierigkeiten. Darüber hinaus sind Fallstudien sehr zeitintensiv und die physikalischen Inhalte können nicht in dem erforderlichen Umfang behandelt werden.
In dem abschließenden Bericht "Die unterrichtliche Situation - ein kritischer Erfahrungsbericht" von StD K. H. Munzinger (Studienseminar Kaiserslautern) wurde die Unterrichtspraxis beleuchtet. Dazu wurden die Einsatzmöglichlceiten historischer Aspekte im Physikunterricht zusammengestellt und auf ihre Brauchbarkeit hin untersucht. Das Erfahrungsspektrum weist dabei Positives wie Negatives auf. Es wurde darauf hingewiesen, daß die Geschichte der Physik eine der vielen Komponenten des Physildernens ausmacht. Ein ausschließlich an der Historie orientierter Physikunterricht ginge sicher an den Interessen der Schüler vorbei. Das abschließende Gespräch bestätigte im wesentlichen die geschilderten Erfahrungen.
Ohne hier eine Bewertung der einzelnen Fachvorträge vorzunehmen, kann doch eine solche ftir die Tagung als ganze abgegeben werden. Diejenigen Lehrer, welche als Tagungsergebnis fertige, direkt im Unterricht einsetzbare Unterrichtseinheiten erwarteten, wurden sicher enttäuscht. Durch eine dreitägige Tagung über eine so komplexe und vielschichtige Thematik können die Lehrer nicht zu einem sachgerechten und fundierten Unterricht befähigt werden, der wtssenschaftshistorische Aspekte adäquat einbindet. Nach Aussage der Tagungsleitung lag das Ziel in der Sensibilisierung der Lehrer ftir die Geschichte der Physik. Dieses Ziel ist zweifellos erreicht worden. Es wurde deutlich. daß die Wissenschaftsgeschichte viel didaktisches Potential in sich birgt. Allen, die sich auf der Tagung sensibilisieren ließen, bot die Tagung viele Wegweiser für weitere Betätigungsmöglichlceiten. Dies ist sicherlich durch die breitbandige und gute Programmgestaltung ermöglicht worden. Die Möglichkeit zum verstärkten Erfahrungsaustausch der Teilnehmer untereinander durch IUeingruppenarbeit wäre wünschenswert gewesen; auch im Hinblick auf eine Rückmeldung an die Referenten. Abgesehen von der Funktion der Wissenschaftsgeschichte für die fachdidaktische Forschung und dieLehreraus-und -Weiterbildung muß die Wissenschaftsgeschichte den Unterricht im Klassenzimmer erreichen und hier ihre eigentliche Bewährungsprobe bestehen, und gerade da liegt vieles im argen. So konnte auch die Tagung dem Lehrer nur unzureichende Hinweise an die Hand geben, um das didaktische Potential im Unterricht freizusetzen. Da eine Lösung nicht auf der Hand liegt, besteht die Vermutung, daß die Funktion der Wissenschaftsgeschichte in Fachdidalctik und Unterricht verborgener und komplexer ist als allgemein angenommen1
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Vgl. hierzu J. Leisen: Wissenschaftsgeschichte in der Fachdidaktik und im Unterricht der Physik. Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 4 (1981), 155-162.
J osef Leisen Staatliches Eichendorff-Gymnasium Friedrich-Ebert-Ring 26 D-5400 Koblenz