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Samuel Gfeller TA(L)KING PLACES Schriftliche Masterthesis CAP, 2013

Ta(l)king Places

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Master thesis for MA CAP Contemporary Arts Practice at HKB, Bern

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Samuel Gfeller

TA(L)KING PLACES Schriftliche Masterthesis CAP, 2013

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung ____________________________________________________________________ 3  

Ausgangslage ______________________________________________________________________ 4  Interesse / Fragestellung _____________________________________________________________ 5  

Drei Beispiele _________________________________________________________________ 6  

"schizophonic dislocation", Dokumentation und referentielle Bezüge _________________________ 6  Samuel Gfeller – "Array of Coordinates" _________________________________________________ 8  Janet Cardiff & George Bures Miller – "FOREST (for a 1000 years)" _____________________________ 9  Peter Cusack – "Sounds from dangerous places" _________________________________________ 11  

Vom Ort zum Text _____________________________________________________________ 13  

akustische Kartographie _____________________________________________________________ 13  Topisches Theater __________________________________________________________________ 16  Erinnerungsorte ___________________________________________________________________ 18  

Vom Text zum Ort _____________________________________________________________ 21  

Sonic labeling _____________________________________________________________________ 21  projizierendes Hören _______________________________________________________________ 24  Acoustic Design ___________________________________________________________________ 27  

Akustische Heterotopien _______________________________________________________ 31  

Heterotopien nach Foucault _________________________________________________________ 31  Dislozierung als Strategie ____________________________________________________________ 33  Any place whatever – ein Schlusswort _________________________________________________ 37  

Literaturverzeichnis ___________________________________________________________ 40  

Zum Titelbild:

Mazen Kerbaj ist ein libanesischer Musiker und Comiczeichner. Während des Libanonkriegs 2006 enstand von ihm das Stück Starry Night mit

dem Untertitel „a minimalistic improvisation by: mazen kerbaj/trumpet, the israeli air force/bombs“. Es ist ein Field recordning, zu dem er mit

der Trompete dazu spielt.

Bildquelle Titelblatt: Mazen Kerbaj (http://electronicintifada.net/content/beirutis-drawn-diaries-how-can-i-show-sound-drawing/6152)

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Einleitung

Im Haus bin ich sicher, ich sitze, ich bin drinnen, die Wand bleibt stets in einem festen,

messbaren Abstand hinter mir, wenn ich versunken an meinem Tisch schreibe, lese, rede,

esse. Doch wenn ich hinaus gehe, weiss ich nicht, was da hinter meinem Rücken umgeht. Der

sanfte oder heftige Wind bewegt die Zweige und Blätter, erst in der Ferne, dann nah,

während Insekten mich begleiten oder verlassen. Kurz gesagt, Fauna und Flora, die Ströme

und Abstände nehmen den Raum nicht in derselben Weise ein wie die Geraden und rechten

Winkel der Baumeister im Haus.1

Seit geraumer Zeit, genauer seit der intensiveren Auseinandersetzung mit Klang im

Allgemeinen und besonders mit den Klängen, die uns Menschen alltäglich umgeben,

funktionieren meine Ohren anders. In meiner Körperwahrnehmung sind die Ohren wacher

und geschärft. Ausschlaggebend war dabei auch die Lektüre von „The Soundscape – Our

Sonic Environment and the Tuning of the world“ von R. Murray Schafer, der in seinem Buch

die Grundlagen für Arbeiten legt, bei denen die „Klanglandschaft“ eine Rolle spielen.

In meiner Beschäftigung als Klangkünstler arbeite ich seither oft mit „Field recordings“2, die

ich in Hörstücken, Klanginstallationen oder Begleitmusik für Theater und Performance

einsetze.

Meine Beobachtung dabei ist, dass die Wahrnehmung des Ortes – des Klangortes, von dem

die Aufnahme stammt – sich je nach Einsatz, Kontext und Komposition stark verändert.

Bei der Entwicklung meiner praktischen Masterarbeit habe ich angefangen mit Sprache zu

arbeiten, welche als weitere Ebene die Field recordings in der Komposition einer

Klanginstallation ergänzt.

Da sich viele Überlegungen in diesem Text auf die praktische Masterarbiet beziehen und auch

die Fragestellung daraus entstanden ist, soll in Kürze ihre Entstehung skizziert werden.

1 Michel Serres, Atlas, S. 69f 2 Als Field Recording bezeichnet man die Aufzeichnung von nicht eigens erzeugten Klängen, natürlichen

Schallereignissen oder vorgefundener Klanglandschaften ausserhalb eines Tonstudios. (Quelle: wikipedia.org)

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Ausgangslage

Im Herbst 2011 machte ich einen Soundwalk3, um Material für eine Klanginstallation

aufzunehmen. Unweit von Bern wanderte ich durch die ländliche Umgebung und folgte einer

Handlungspartitur, die ich mir zuvor zurechtgelegt hatte. Ich folgte dem Wanderwegnetz vom

Ausgangspunkt aus und entschied mich bei jeder Abzweigungen neu, welchem Weg ich

folgen wollte. In regelmässigen Abständen machte ich Field recordings der Umgebung,

dokumentierte die Orte photographisch und markierte die Koordinaten auf einer Landkarte.

Im Januar 2012 präsentierte ich das Material in der Installation „Array Of Coordinates“, die

unten genauer beschrieben wird. Für meine praktische Masterthesis geht es mir nun darum,

das Klangpotential der Landschaft und der Flurnamen weiter auszuschöpfen.

Dazu habe ich ein Versuchsfeld angelegt, in welchem die Beziehungen zwischen den

Flurnamen und den Orten in der Landschaft untersucht werden können. Das bereits

bestehende Klangmaterial – Field recordings, synthetische Klänge und gesprochene

Flurnamen – soll in dieser Versuchsanordnung um weitere Ebenen ergänzt werden.

Diese Ebenen sind textbasiert. Zum einen entstand Textmaterial, welches assoziativ um die

Flurnamen entwickelt wurde. Diese kurzen Texte wurden dann in der Landschaft am genauen

Ort des Flurnames aufgenommen und verschmolzen so mit dem Soundscape der

dazugehörigen Koordinate. Zum Anderen werden die Flurnamen etymologisch untersucht,

um weitere Textfragmente zu sammeln, die ihre Bedeutung und Herkunft beschreiben. Auch

diese Texte sollen in gesprochener Form in die Arbeit einfliessen.

In einem anderen Projekt erarbeitete ich zusammen mit einer Performerin ein Hörspiel für

eine Stadtführung, bei der die BesucherInnen mit Kopfhörern durch die Stadt und rund um

die Strafvollzugsanstalt Stammheim in Stuttgart geführt wurden. Ein zentrales Element für die

Entwicklung der Komposition, die aus synthetischen Klängen, Field recordings und gelesenen

Texten bestand, war die Verbindung, welche das Gehörte mit dem Ort, an dem es gehört

3 Der Begriff „Soundwalk“ bezeichnet einen Spaziergang, bei dem man sich besonders auf die Klänge eines Ortes

konzentriert.

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wurde, eingeht. Die Abkapselung der BesucherInnen durch die akustische Trennung von der

sie umgebenden Umgebung führt zu einer Verschiebung in der Wahrnehmung des Ortes. In

einzelnen Passagen wurde das Soundscape des Ortes zuvor aufgenommen und an der

gleichen Stelle im abgeschlossenen Hörraum über die Kopfhörer wieder abgespielt. Die

Differenzen in der Wahrnehmung eines transformierten Ortes durch die zeitliche

Verschiebung zwischen Aufnahme und dem Abspielen des Soundscapes machten die

Möglichkeiten von sich überlagernden Orten sichtbar. Diese sollen in dieser theoretischen

Arbeit untersucht werden.

Interesse / Fragestellung

In der Arbeit mit Field Recordings, komponierten Soundscapes und Sprache entsteht eine

Interaktion zwischen den verschiedenen Ebenen. Zu unterscheiden ist grundsätzlich die

Textebene von der reinen Klangebene, welche nicht aus Worten besteht und darum Dinge

nicht bei ihrem Namen nennen kann. Wie oben beschrieben, ist es Teil meiner praktischen

Arbeit, die Texte, welche aus der Landschaft entstanden sind, mit klanglichen Mitteln wieder

zur Landschaft resp. ihrem Soundscape in Bezug zu stellen. Die Zusammenhänge sollen nicht

nur zwischen dem Ort und dem Text entstehen, sondern auch zwischen dem Text und dem

„komponierten“ Ort, den man hört.

Bei diesem Prozess findet eine Re-Kontextualisierung statt, bei der ich als Klangkünstler in die

Rückkoppelungsschleife Ort – Text – Klang – Ort eingreiffen kann.

Ort Flurnamen, Assoziationen, Etymologie, Beschreibung Text

Text Wahrnehmung, Gestaltung, Codierung, Deutung Ort

Formal ist die Arbeit auf dieser Rückkoppelungsschleife aufgebaut. Sie soll im ersten Teil

untersuchen, wie ein Ort als Text lesbar wird, wie man aus ihm Text generieren kann und was

der sonst „stumme“ Ort erzählt. Die Mittel, die dabei erwähnt werden, sind die Verwendung

von Assoziationen und Beschreibungen aufgrund eines Besuches vor Ort, Flurnamen aus

Landkarten und deren Etymologie.

Der zweite Abschnitt geht vom Text aus und befasst sich mit der Wahrnehmung von

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Soundscapes und ihrer Gestaltung durch sprachliche Mittel. Wie kann die Aufnahme eines

Ortes codiert werden? Wie lässt sich die Wahrnehmung des Hörenden auf diesen oder jenen

Aspekt des Gehörten richten?

Meine These ist, dass in der Verwendung von Sprache als gestaltetes Element eine Interaktion

zwischen Text und Soundscape entsteht, die ein hohes kreatives Potential freisetzt. Besonders

akustisch geschlossene Räume erleichtern als heterotopische4 Orte das Spiel mit der

Wahrnehmung.

Drei Beispiele

Vor der theoretischen Betrachtung des Themas sollen drei Beispiele dargestellt werden. Es

sind unterschiedliche Arbeiten, die als Anknüpfungspunkte für den weiteren Verlauf der

Überlegungen dienen sollen. Die Positionen spielen in verschiedener Weise mit Orten, deren

Soundscapes und der Überlagerung von Orten. Sprache oder auch komponierte Klänge

kommen in unterschiedlicher Art mit den Soundscapes in Berührung.

"schizophonic dislocation", Dokumentation und referentielle Bezüge

Diese drei Begriffe sind für die Beschreibung der folgenden Werke wichtig und sollen deshalb

kurz vorgestellt werden.

Der Begriff "schizophonic dislocation" stammt von R. Murray Schafer und bezeichnet die

Trennung zwischen einem Originalklang und dessen elektroakustischer Reproduktion in

einem Soundscape.5

Original sounds are tied to the mechanisms which produce them. Electroacoustic sounds are

copies and they may be reproduced at other times or places. Schafer employs this 'nervous'

4 Auch „Anders-Orte“. Siehe Kapitel „Akustische Heterotopien“ 5 vgl. http://www.sfu.ca/sonic-studio/handbook/Schizophonia.html

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word in order to dramatize the aberrational effect of this twentieth century development.6

Das Entfernen der Klänge von einem Ort ist nicht per se negativ, so wie Schafer es im Kontext

der akustischen Ökologie als Kritik formuliert. In installativen Arbeiten, Features, Hörspielen

und im Filmton begegnen wir entfremdeten Soundscapes jeden Tag und haben uns an sie

gewöhnt. Das Entfremden und Entwurzeln von Klangräumen ist längst zur kompositorischen

Strategie geworden. „schizophonic dislocation“ als Strategie sollte man klar von der

akustischen Dokumentation abgrenzen. Wenn beim Entfremden und Gestalten von Field

recordings der Bruch zwischen Original und Abbild gewünscht ist und darin ein kreatives

Potential ausgenutzt werden kann, so wird bei der Dokumentation nach der genauesten

Abbildung des Ortes und des Soundscapes gesucht. Die Verzerrung und Störung der

Wahrnehmung soll möglichst vermieden werden. So kann auch ein referentielles System

entstehen, bei dem für den Hörenden die Verbindung zwischen dem, was er hört, und dem,

was ursprünglich aufgenommen wurde, klar ist. Das Rauschen eins Bächleins löst beim

Hörenden das Bild eines rauschenden Bächleins und damit eine Vorstellung des Ortes, an dem

das Rauschen aufgenommen wurde, aus. Diese referentiellen Systeme führen dazu, dass

sprachliche Begriffe aus einem Soundscape heraus gehört werden können.

6 ebd.

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Samuel Gfeller – "Array of Coordinates"

Bild: Samuel Gfeller

Aus dem Material des in der Einleitung beschriebenen Soundwalks entstand im Januar 2012

eine Klanginstallation, die aus einem 8 - Kanal - Lautsprechertisch und einer den Tisch

umgebenden quadrophonischen Lautsprecheraufstellung bestand. Der Tisch, unter dessen

Tischfläche die Lautsprecher hingen, war gleichzeitig auch Projektionsfläche. Darauf waren

Photos und Kartenausschnitte zu sehen, die ineinander überblendeten.

Die Field recordings der besuchten Orte wurden unverändert als Basismaterial für die

Kompositionen verwendet und mit synthetischen Klängen ergänzt, wodurch sich die

ursprünglichen Klänge aus der Landschaft in Beziehung zu der künstlichen Ebene setzten. Der

Fokus der Wahrnehmung konnte sich in der Komplexität der Klangebenen verlieren, wurde

dahin gehend verunsichert, dass die Zuordnung der Klänge zu den Ebenen verschwamm.

Zu jedem Ort wurden die Flurnamen, die in einem gewissen Radius um seine Koordinate auf

einer Landkarte finden waren, extrahiert. Sie wurden geflüstert aufgenommen und auf dem

Lautsprechertisch abgespielt. So illustrierten sie die Klangporträts, schufen eine Verbindung

zwischen der Karte und den Klängen, gaben dem Blick des Besuchers eine Richtung, einen

Anhaltspunkt. Die komponierten Soundscapes erklangen meistens vom Lautsprechertisch,

doch von Zeit zu Zeit liess ein Zufallsgenerator die Kompositionen vom Tisch in den Raum

wandern, so dass ein immersives Klangerlebnis entstand. Der Aussenraum in der Landschaft

wurde mit dem Innenraum der Installation verbunden.

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Diese Arbeit steht als Beispiel dafür, wie komponierte Soundscapes in einem Raum

angeordnet werden können, der das Eintauchen in ein von Aussen stammendes Soundscape

ermöglicht. Mit der Verwendung von gesprochenen Flurnamen, die auf dem

Lautsprechertisch herumwanderten, entsteht eine zusätzliche Informationsebene, die den

Zuhörenden dazu anregt, Verbindungen zwischen den Flurnamen und dem Soundscape zu

suchen.

Janet Cardiff & George Bures Miller – "FOREST (for a 1000 years)"

Bildquelle: http://www.cardiffmiller.com/press/hires_images/forest%202.jpg

An der dOCUMENTA 13 in Kassel war in einem Wald in der Karlsaue eine Klanginstallation zu

sehen.

A remarkable thing about Janet Cardiff and George Bures Miller's utterly captivating sound

installation is how it blurs distinctions between site and art. You enter a clearing in the forest,

sit down on a wooden stump, and simply listen. Cardiff and Bures Miller's work incorporates

the actual forest into an audio composition emitted from more than thirty speakers.

Sometimes there is a near synchronicity of natural and mediated sounds, and it's tough to

discern what is live and what is recorded.

On a sunny day you hear the rustling breeze, but also the recording of a dramatically

escalating wind that sounds intensely real. You sonically register that a storm is

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approaching, even though your eyes tell you otherwise; when you hear a branch loudly snap

overhead (in the recording), you become instantly fearful and flinch. The recorded sounds

move in a sphere around you, and you feel as if you're in the shifting presence of history...7

Neben der Lautsprecher-Installation in dem Waldabschnitt standen beim Zugang zwei Tafeln

mit Texten, die denselben Titel wie die Installation trugen. Sie enthielten zwei kurze

Gespräche, die insofern mit dem Klangmaterial, das in der Installation abgespielt wurde, in

Zusammenhang standen, als dass sie auf das Warten und eine lange Zeitspanne hinweisen.

Section 1

J: You can hear the ocean today.

G: The tide must be coming in, or maybe it’s

just the wind or the highway.

J: How long are we going to wait?

G: I don’t know. 8

Section 2

J: Once upon a time, in a land far, far away,

lived a very normal woman in an apartment

surrounded by many other apartments and

no trees. One day she fell asleep and never

woke up.

A: Maybe she slept for a thousand years and a

prince came and found her and woke her up.

J: She just lay in bed. Nothing happened. She

just slept and slept. That’s the end. […]9

Man betritt die Installation mit diesen Gesprächen im Hinterkopf und hört eine

Aneinanderreihung von filmischen Klangkompositionen, die eine Reise durch die Zeit

darstellen sollen. Die Klänge hoben sich deutlich vom natürlichen Soundscape in der Karlsaue

ab und es entstand eine Verschmelzung mit dem abgspielten Ort. Interessant ist aber die Idee

der Überlagerung des vorhandenen Soundscapes mit fremden Soundscapes, welche den

bestehenden Ort stark verändert. Die Klänge, die aus den Lautsprechern kommen, schaffen

eine Klangkapsel, in der frei durch Zeit und Raum gereist werden kann. Durch den stark

7 http://www.cardiffmiller.com/artworks/inst/forest.html 8 http://www.deconcrete.org/category/invisible-cities/ 9 ebd.

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referentiellen Charakter der abgespielten Klänge fand dazu eine Einschreibung in den

vorhandenen Ort, an dem man sich als Besucher auch befindet, statt. Die Klänge einer

Schlacht rufen in der Vorstellung des Hörers Begriffe und Handlungsverläufe auf, die ähnlich

denen sind, die beim Lesen einer Beschreibung derselben Schlacht auftauchen würden.

Peter Cusack – "Sounds from dangerous places"

Bildquelle: http://sounds-from-dangerous-places.org/img/oil_fields/bibi-heybat_oilfield.jpg

Peter Cusack verfolgt in seiner Arbeit einen dokumentarischen Ansatz, den er als „sonic

journalism“ bezeichnet. „Sounds from dangerous places“ besteht aus zwei CDs, auf denen

Field recordings aus der Umgebung von Tschernobyl, Ölförderungsstätten am kaspischen

Meer und rund um Atomkraftwerke in Grossbritanien zu hören sind. Das Begleitbuch enthält

Texte und Bilder der Orte: Transkriptionen von Interviews mit Anwohnern, wissenschaftliche

Hintergrundinformationen und Porträts, die besuchte Orte beschreiben.

Sonic journalism is based on the idea that all sound, including non–speech, gives

information about places and events and that listening provides valuable insights different

from, but complimentary to, visual images and language. This does not exclude speech but

redresses the balance towards the relevance of other sounds. In practice field recordings

become the means to achieve this. Recordings can, of course, be used in many ways. In my

view sonic journalism occurs when field recordings are allowed adequate space and time to

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be heard in their own right, when the focus is on their original factual and emotional

content, and when they are valued for what they are rather than as source material for

further work as is often the case in sound art or music.10

Die meisten Aufnahmen, die zu hören sind, wirken auf den ersten Eindruck harmlos. Sie

schaffen ein genaues Abbild des Ortes, welches ohne weitere Informationen aber

austauschbar bleibt und in keiner Art auf die Gefährlichkeit des Ortes schliessen lässt.

A lot of these sounds are terribly beautiful, not dangerous at all. Danger does not sound itself,

but sounds in ist absence what is there when it is too dangerous to be around. And so these

sounds do not offer an understanding of an analytical kind but expose the discrepancies, the

inability to judge and to know what danger is.11

Die Wahrnehmung der Gefahr entsteht in Kombination mit dem Text, wodurch die

Soundscape unglaublich aufgeladen werden. Die Wahrnehmung beim Zuhören aber auch die

Deutung von dem, was man hört, verändert sich aufgrund der Informationen aus dem Text.

Ich wage zu behaupten, dass dies mit dem Medium Bild weniger funktionieren würde, da an

den Ort nicht wirklich etwas passiert; die ihm eingeschriebene Geschichte und die damit

verbundene Abwesenheit von menschlichen Geräuschen wirken – im Sinne eines Kopfkinos –

genug.

Das Prinzip dieser Arbeit ist das Aufladen von Soundscapes durch geschriebene Texte zum

Ort, welche vorgängig oder während dem Hören gelesen werden können. Übertragen auf

Bilder könnte man die Funktion dieser Informationen mit derjenigen von Bildunterschrifen

gleichsetzen. Es findet also ein Labeling statt, welches auf die Wahrnehmung des Werks

Einfluss nimmt.

10 http://sounds-from-dangerous-places.org/sonic_journalism.html 11 Voegelin 2010, S. 159

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Vom Ort zum Text

akustische Kartographie

der alltag der kartographie bewegt sich zwischen kunstgriff und täuschung, […] weshalb die

darstellung einer landschaft, eines territorium in form einer karte oder eines planes immer

mit konzessionen verknüpft ist.12

Die Kartographie beschäftigt sich mit der Abbildung von Landschaften auf einer

zweidimensionalen, statischen Fläche, während die Landschaft – das Abgebildete – immer ein

dreidimensionaler Ort ist, der sich dazu konstant verändert.

Karten können deswegen nur einen Zustand eines Ortes repräsentieren, wobei vom

Kartographen eine Auswahl der Elemente getroffen werden muss, die auf der Karte

abgebildet werden sollen. Wie ist – zum Beispiel – der Bewuchs eines Orte, seine Steigung,

Erschliessung oder seine Bezeichnung. Der Klang eines Ortes wird auf herkömmlichen Karten

nicht abgebildet; ebensowenig wie seine Geschichte – also die Historizität des Ortes.

Die Einschränkungen in der Abbildung sind die Konzessionen, von denen das einleitende Zitat

spricht. Für das Anliegen dieser Arbeit ist das nicht-vorhanden-Sein von Klängen auf

Landkarten die schwerwiegendste Konzession, die, produktiv betrachtet, kreative Lösungen

und einen anderen Zugang zu klanglicher Abbildung verlangt.

Das Medium Klang ist sicher schwer auf einer Karte abzubilden, da durch die kurze Reichweite,

die Schallwellen im Gegensatz zu Lichtwellen haben, ein Herauszoomen aus dem Soundscape

– zum Gewinnen eines Überblicks – nicht möglich ist, respektive zu einer uniformen Mischung

aller Klänge oder in die Stille führt.

Nur von einzelnen Standpunkten lassen sich mit Hilfe von Field recordings sonographische

Erhebungen machen. Die Wahl der Mikrofone sowie die Qualität der Aufnahmegeräte haben

dabei einen grossen Einfluss auf die Detailtreue und Präszision der Aufnahme.

Um einem Ort auf diese Weise Text zu entlocken ist es darum naheliegend, die Klänge, die

man auf einer Aufnahme oder vor Ort hört, zu notieren, zu zählen oder in Kategorien 12 Staudinger 2009, S. 21

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einzuteilen. Dieses Vorgehen hat R. Murray Schafer als eine mögliche Art der Notation des

Soundscapes beschrieben und als Hauptinstrument zur Beobachtung des Soundscapes

verwendet. Er schlägt vor, das Soundscape bestehend aus keynote sounds, signals und

soundmarks13 in ihre einzelnen „sound events“ aufzuteilen und dann nach phyisikalischen

Charakteristiken, referentiellen Aspekten oder ästhetischen Qualitäten zu klassifizieren.14 Eine

solche Einteilung in Kategorien und Listen kann eine grosse Menge an Begriffen entstehen

lassen – so zu sagen eine Statistik des Klangortes.

Eine weitere Art der Notation ist das Abbilden von Klangquellen und der Radien ihrer

Reichweite auf Landkarten, wie sie in der folgenden Abbildung gezeigt wird. Als interessantes

Detail fällt auf, dass auf der Karte die Explosion eines Steinbruchs mit der Jahreszahl dieses

Ereignisses vermerkt ist. Die klangliche Abstraktion des Ortes auf einer Karte eröffnet

scheinbar die Möglichkeit, auch die klangliche Historizität eines Ortes zu notieren.

Bildquelle: http://www.interferencejournal.com/wp-content/uploads/2012/05/FVS3.jpg

13 Übersetzt könnte man sagen: Grundtöne, Signallaute und Orientierungslaute. Der Grundton eines Soundscapes

setzt sich aus Geographie, Klima, Flora und Fauna zusammen. Signallaute sind klar konturierte Laute. Meist sind

es Warnzeichen: Glocken, Pfeifen, Hörner und Sirenen. Sie können zu umfangreichen Codes organisiert sein,

jedoch kann sie der Empfänger dechiffrieren und verstehen. Orientierungslaute finden in einer Gesellschaft

besondere Beachtung. Sie charakterisieren das akustische Leben einer Gemeinschaft.

Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Soundscape 14 vgl. Schafer 1993, S. 133 - 148

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Beide Möglichkeiten, so wie sie Schafer beschreibt, laufen darauf hinaus, dass das Soundscape

sehr technisch und benennend untersucht wird. Sie entspringen einem Bedürfnis nach

räumlicher Orientierung – nach einem Überblick, welcher der Vielfalt und Differenziertheit des

Ortes wenig Rechnung trägt.

Whenever there is such a stress on the representational/relational aspect of nature recording,

the meaning of the sounds is diminished, and their inner world is dissipated.15

Eine produktive Durchmischung, wo das nüchterne Beschreiben der Klänge und ihre klare

Repräsentation – den Bezug auf ein „sound event“ dort draussen – gelingt, findet sich in den

Podcasts von Chris Watson für TOUCH RADIO16. Chris Watson bezeichnet sich als „sound

recordist“ und arbeitet unter anderem bei BBC-Dokumentarfilmen mit und gibt auch CDs mit

unbearbeiteten Field recordings von klanglich besonderen Orten heraus. In seinen Podcasts

beschreibt er während der Aufnahme vor Ort seine Eindrücke der Landschaft und des

Gehörten. Er selbst sagt: „Listening for me is a creative process. We spend most of our time in

a negative way, wasting energy blotting things out.“17

Seine Beschreibungen und Kommentare versuchen dem Ausblenden von Details entgegen zu

wirken und die Aufmerksamkeit des Zuhörenden auf diese zu lenken. Interessant finde ich mit

meinem Eindruck vom Hören dieser Podcasts, dass die Konzentration auf die Details eines

Soundscapes die Wahrnehmung des Ortes als Ganzes nicht stören. Die grossen Züge der

Klanglichkeit werden vielmehr bereichert und erweitert.

Die akustische Kartographie bietet also als Möglichkeiten zur Erzeugung von Texten die

genaue Protokollierung von Klangereignissen , eine visuelle oder möglicherweise auch

sprachlich beschriebene Karte mit der Hörbarkeit prägnanter Klänge in der Landschaft und die

Beschreibung der Eindrücke während der Aufnahme vor Ort an.

15 López 1999, S. 163 16 http://touchradio.org.uk 17 Chris Watson in: WIRE Magazin Ausgabe 318

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16

Topisches Theater

orte sind wie offene, begehbare bücher, jeder kann auf seine weise in sie eintauchen.18

Einen etwas anderen Ansatz für einen Zugang zu einem Ort und der Entwicklung von Text aus

einem Ort heraus verfolgt der österreichische Regisseur Andreas Staudinger. Er entwickelte

den Begriff „topisches Theater“, „weil er auch die literarische seite eines ortes, seine

formelhafte sprachwerdung und imaginative besetzung - und damit immer auch schon die

unbewusste rezeptionsseite - miteinbezieht.“19 Topisches Theater bezieht sich auf die

verschiedenen Ausprägungen von ortsspezifischen (site-specific) Arbeiten, bei denen der

geschlossene und weitgehend neutrale Theaterraum nach draussen – in die reale Welt –

verlegt wird. Damit verändert sich auch der Bezug zwischen dem Text und dem Ort einer

Aufführung. Während im herkömmlichen Theater meist von einem Text oder Stück

ausgegangen wird, wofür ein künstlicher Bühnenraum geschaffen wird, soll – so Staudinger –

beim ortsspezifischen Theater der Text direkt aus dem Ort der Aufführung entstehen.

„orte als symoblische "lektüreräume" zu sehen, erweitert das feld unserer wahrnehmungen

beträchtlich und stellt darüber hinaus einen historischen speicher par excellence dar.20“

Aus diesem historischen Speicher lässt sich Text zu einem Ort entwickeln. Eine mögliches

Vorgehen ist in der Ausgangslage dieser Arbeit kurz beschrieben.

Die Landschaft, ein Ort spricht demnach immer mit Worten, auch wenn die Worte auf einer

abstrahierten Repräsentation wie der Landkarte eingeschrieben sind. Flurnamen und

Ortsnamen berichten von der Fauna und Flora eines Ortes, ihrer landwirtschaftlichen oder

gesellschaftlichen Nutzung früher und heute, von historischen Begebenheiten. Diese Fakten

und Geschichten sind ein untrennbarer Bestandteil der Landschaaft und des Ortes und

können durch Recherche, Etymologie oder auch durch Assozieren zu textlich interessanten

Ergebnissen führen, welche eine Landkarte um weitere Ebenen erweitern.

Staudinger versteht solche Künstler-Kartographien als Gegenmodelle zu Arbeit der etablierten

18 Staudinger 2009, S. 27 19 ebd. S. 15 20 ebd. S. 16

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Kartographie, wobei durch „selbstgemachtes Mapping“ vorgebahnte Wege verlassen werden

können und der Künstler sich als „Pfadfinder“ querfeldein durch eine neue Kartographie

bewegt. 21 Das Ziel eine solchen Vorgehens ist es, „örtliche textgewebe aller art in ihrer

komplexität lesbar und dadurch in weiterer folge szenisch gestaltbar zu machen, die dem

gewöhnlichen benutzer eines ortes entgehen, da er drinnen, inmitten dieses ortes lebt und

längst aufgehört hat, mit allen sinnen das ihn umgebende wahrzunehmen.“22

Staudinger leitet seinen Ansatz von semiotischen Prinzipien nach Ferdinand de Saussure ab.

Die in der Semiotik verwendete Unterscheidung zwischen „langue“ – dem Komplex von

Regeln und Konventionen einer Sprache – und „parole“ – die praktizierte Sprache, in der diese

Regeln angewandt werden – überträgt er auf die Wahrnehmung und die szenische

Umsetzung eines Ortes. Er sagt, dass „wie der leseakt [...] der Raum erst durch die Praktiken

eines bestimmten Ortes erzeugt“23 werde.

So kann ein Ort wie eine Sprache erlernt werden, in dem man ihn betritt und sich seine

Regelhaftigkeit und seine Konventionen aneignet. In der räumlichen Realisierung des Ortes

lässt sich der Leseakt erkennen, in dem verschiedene Positionen des Ortes in Interaktion

treten können und miteinander zu kommunizieren beginnen.

Auf die Arbeit mit Soundscapes und Fieldrecordings übertragen, heisst das, dass durch das

aufmerksame Hören vor Ort eine Art klangliche Grammatik erarbeitet werden kann, die als

Regelsystem die Vorgänge und Logik innerhalb eines Soundscapes erfasst. So können über

das Beschreiben, Benennen und Klassifizieren von Klangereignissen hinaus, klangliche

Situationen und Atmosphären erschlossen werden.

beim lesen, beim entziffern von orten geht es also nicht nur um die einzelnen dinge, die man

wahrnimmt, sondern um das ganze, um die grammatik, um das, was man empfindet, wenn

man sich an einen ort begibt: die sich aus den buchstaben entwickelnden wörter und sätze,

anders gesagt, die situationen, die atmosphären.24

21 vgl. Staudinger 2009, S. 23 22 ebd. S. 25f 23 ebd. S. 28 24 ebd. S. 32

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Erinnerungsorte

Als dritte Möglichkeit, Orte sprechen zu lassen, soll direkter auf die Wahrnehmung eines Ortes

und des Abspeichern eines gehörten Soundscapes in der Erinnerung eingegangen werden.

Hildegard Westerkamp schreibt in ihrem Text „Speaking from Inside the Soundscape“25 davon,

dass eine wichtige Funktion des Soundscapes die bewusste Wahrnehmung der Gegenwart ist.

The soundscape voices the passing of time and reaches into every moment of our personal

and professional lives. It reaches right into this place and this moment of time, becoming a

lived soundscape for all of us in this room.26

Was uns klanglich an einem Ort umgibt, wird in ihrer Sichtweise zum gelebten Soundscape

aller vor Ort Anwesenden. Dadurch wird es sich auch als Erinnerung in die Gedächtnisse dieser

Personen einschreiben. Die Erinnerung an ein Soundscape ist neben der sonographischen

Aufzeichnung die einzige Möglichkeit, dieses über eine längere Zeitspanne zu konservieren.

What we hear merges with what we remember, partly because sounds are fading away just

as soon as we begin to hear them and partly because sounds can live in the memory for

many years.27

Wie sieht das aus, wenn man diese beiden Formen der Speicherung (Erinnerung und Field

recording) nebeneinander stellt? Die Stärke der Konservierung als Field recording liegt in der

hohen Präzision und Beständigkeit, da sie sich das Gespeicherte – also Aufgenommene – nicht

mit der Zeit verändern wird, wogegen sich die Erinnerung an ein Soundscape mit

fortschreitender Zeit verfremden kann oder Lücken bekommt. Die Stärken einer akustischen

Erinnerung kann sein, dass Details, auf die man sich an einem klanglich interessanten Ort

konzentriert hat, erhalten werden können, die in einer Aufnahme schlecht zu hören sind oder

25 Westerkamp 2009, S. 143 - 152 26 ebd. S. 143 27 Toop 2010

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die sich durch einen gerichteten Fokus auf spezielle Aspekte des Soundscapes ergeben

haben.

Eine Problematik beim Aufnehmen von Field recordings sieht Westerkamp in der räumlichen

Trennung zwischen der Person, welche die Aufnahme macht, und dem sie umgebenden,

„natürlichen“ Soundscape.

The recordist is separated from the original direct aural contact with the soundscape,

especially from the spatial dimensions of closeness and distance, from the ability to locate

the sound accurately. […] it feels like access, like closer contact, but it is in fact a separation, a

shizophonic situation. Soundscape recordists exist in their own sound bubbles and hear their

surroundings differently from others who are in the same place. They are like foreigners or

outsiders […].28

Dies heisst – übertragen auf die Verwendung von Field recordings in Klanginstallationen oder

elektroakustischen Kompositionen – dass im Klangraum, der betreten wird, die

Wahrnehmung anders funktioniert, weil die Abbildung des Soundscapes durch den

technischen Vorgang des Aufnehmens und der Tatsache, wie Mikrofone, Lautsprecher und

Kopfhörer funktionieren, verzerrt wird. Was hier als Problem oder Nachteil beschrieben ist,

wird sich im abschliessenden Teil dieser Arbeit als durchwegs produktive Strategie erweisen,

wenn es um die Überlagerung von Orten mit anderen Orten geht.

Zur dieser Verzerrung der Aufnahme von Orten sagt Westerkamp:

Environmental sound is a type of language, a text. And the technology through which we

transmit the sound has its own language, its own process. If we truly want to reveal

meanings with recorded environmental sound and draw the listener inside these meanings,

then we must transmit precise information and demystify processes obscured by

technology.29

28 Westerkamp 2009, S. 148 29 ebd. S. 149

Page 20: Ta(l)king Places

20

Ist man sich dieser Verschleierung bewusst, eröffnet sich ein möglicher Umgang damit darin,

die Verzerrungen auf sprachlicher Ebene zu thematisieren. Daraus kann Text entstehen, der

einerseits den Ort direkt betrifft und beschreibt, aber gleichzeitig auch aus der Perspektive der

„sound bubble“ erzählt. Dazu ein Beispiel:

„TAPE: Urban rumble, then voice: “ … and I can’t hear the barnacles in all their tinyness. It

seems too much effort to filter the city out.“

Urban rumble, low frequencies slowly get filtered out.

“Luckily we have bandpass filters and equalizers. We can just go into the studio and get

rid of the city, pretend it’s not there. Pretend we are somewhere far away.“

A dense texture of high-frequency sounds.

“These are the tiny, the intimate voices of nature, of bodies, of dreams, of the

imagination.“

High-frequency sounds fade out.“30

Wenn man die ursprüngliche klangliche Wahrnehmung als „Erinnerungsraum“ bezeichnet, in

dem ein Soundscape konserviert und später als sprachliche Äusserung wieder abgerufen

werden kann, ohne durch technische Prozesse verfremdet zu werden, unterstreicht dies die

Bedeutung und das Potential entmystifizierender Texte.

Relearning to hear and decipher the soundscape like a new language; treading carefully with

curiosity and openness, aware that as recordists we remain outsiders; always attempting to

engender a naked, open ear; these may be the ways for the composer to continue who wants

to speak from inside the soundscape and at the same time transmit a genuine ecological

consciousness.31

Die Erinnerung an einen Ort einerseits, die Beschreibung der technischen Prozesse

andererseits sind weitere Möglichkeiten einer sprachlichen Konstruktion zu einem Ort.

30 Westerkamp 2009, S. 150 31 ebd. 151

Page 21: Ta(l)king Places

21

Vom Text zum Ort

Nachdem also die verschiedenen Strategien zum Gewinnen von Sprache und Texten aus

einem Soundscape oder von einem Ort untersucht und gesammelt wurden, geht es nun

darum, die Denkrichtung umzukehren und zu untersuchen, wie Text und Sprache auf den Ort

einwirkt. Wie einleitend bemerkt, stehen dabei die Begriffe Wahrnehmung, Gestaltung,

Codierung und Deutung im Zentrum.

Sonic labeling

„Sonic labeling“ bezieht sich auf die Bildunterschriften und Kommentare, die bei visuellen

Kunstwerken gang und gäbe sind. Ihre Funktion kann sehr unterschiedlich sein. Sie liefern

Hintergrundinformationen, sollen den Betrachter eines Bildes auf gewissen Details hinweisen,

stellen eine Verbindung zu anderen Kunstwerken oder einem theoretischen Überbau her,

regen die Phantasie an oder schaffen einen Kontext. In der Musik, gerade bei zeitgenössischen

Werken oder medienkünstlerischen Arbeiten, steht für den Rezipienten oft ein Programmtext

zur Verfügung, der die Funktion des Beschreibens und Kontextualisierens übernimmt.

Die Frage stellt sich nun, wie dieses Labeling im Zusammenhang mit Field recordings und der

Wahrnehmung eines Ortes funktioniert. Dazu ist zu beachten, welche Informationen neben

einem grundsätzlichen Eindruck und einzelnen klanglichen Ereignissen in einem Soundscape

transportiert werden können:

However field recordings convey far more than basic facts. Spectacular or not, they also

transmit a powerful sense of spatiality, atmosphere and timing. This applies even when the

technical quality is poor. These factors are key to our perception of place and movement and

so add substantially to our understanding of events and issues. They give a compelling

impression of what it might actually be like to be there. Sound is our prime sense of all–

around spatiality and listening gives us a point of ear. It enables us judge how far we are

from the events and to ask how we might feel and react in the circumstances. 32 32 http://sounds-from-dangerous-places.org/sonic_journalism.html

Page 22: Ta(l)king Places

22

Was durch ein Labeling in Form von Sprache grundsätzlich passiert, ist ein verbessertes

Verständnis für den Ort.

The interpretation of sound certainly benefits from a knowledge of context in the same way

that captions and titles enhance photographs.33

Eindrückliches Beispiel dafür sind zwei Field recording von Peter Cusack, bei dem man ihn in

einem Raum herumgehen hört. Man hört deutlich, dass der Boden mit Dingen bedeckt ist –

herumliegendes Glas ist deutlich zu erkennen – von draussen hört man Vogelgezwitscher und

die Rufe eines Kuckucks.

Der Text, den man dazu im Buch finden kann, ist Folgender:

Bildquelle: Peter Cusack – Sounds from dangerous places, S. 27

Diese Information und die daraus folgende klare Verortung des Soundscapes lässt den Ort um

ein Vielfaches plastischer erscheinen. Das Wissen darüber, dass es sich um einen verlassenen

Kindergarten handelt, verleiht diesen recht kurzen und eigentlich harmlosen Field recordings

auch eine gewisse Tragik, da man greifbar die Abwesenheit alles Menschlichen und

Trostlosigkeit heraushören kann. Was man hört, wird durch die Information codiert und

aufgeladen. So ändert sich die Interpretation des Ortes und die Phantasie wird angeregt.

33 http://sounds-from-dangerous-places.org/sonic_journalism.html

Page 23: Ta(l)king Places

23

Peter Cusack records dangerous places to produce a sense of place through sound. [...] I’m in

the place of his construction that is not the place either but an interpretative fantasy created

between the heard and the seen, in the woods somewhere, far away from what we know.34

Cusack sieht in seiner Vorgehensweise eine extreme Dichotomie zwischen der ästhetischen

Ausstrahlung eines Ortes und dem effektiven Wissen um die Gefahren vor Ort.35

Diese Dichotomie als sprachliches Phänomen lässt hier den Bezug zur Semiologie mit der

Unterscheidung zwischen „langue“ und „parole“ zu. In dem Fall wird unter „langue“ das

literarische und recherchierte Wissen über einen Ort verstanden und unter „parole“ dessen

ästhetische Klanglichkeit.

Es scheint also klar, dass diese Art der Wahrnehmung eines Ortes anders funktioniert, als in

einer visuellen Abbildung, was gerade durch die begleitendens Texte noch verstärkt wird.

Voegelin formuliert deshalb folgende Herausforderung für phonographische Praktiken.

If phonography is to bring to us a different understanding from that acheived by

photographic documentation, then it has to find a truth in its own material, in sound, that

offers us an affective and immersive knowing of places and things, rather than detached

reading of its textual quality or source.36

Ich denke, dass diese Dichotomie genau so gut auch produktiv genutzt werden kann und das

immersive Wissen über einen Ort nicht zwingend vom recherchierten Wissen über ihn

abgegrenzt werden muss. Vielleicht liegt gerade in der Verbindung von Sprache und Ort ein

gestalterisches Potential verborgen, das für Arbeiten mit Soundscapes und Sprache genutzt

werden kann.

34 Voegelin 2010, S. 156f 35 vgl. http://sounds-from-dangerous-places.org/index.html

36 Voegelin 2010, S. 213

Page 24: Ta(l)king Places

24

projizierendes Hören

Das Festival Neue Musik Rümlingen lief 2011 unter dem Thema „Drinnen vor Ort“. Das Festival

zeichnet sich damit aus, dass es immer wieder Werke in der ländlichen Umgebung aufführt

und so die Verbinung zwischen der Landschaft und verschiedensten Formen von Musik sucht.

Die eingeladenen KomponistInnen dieser Ausgabe des Festivals wurden beauftragt, Texte für

vier ausgewählte Orte zu verfassen. Die BesucherInnen konnten mit der Publikation, in der

diese Texte erschienen, die Orte erwandern und dort imaginierte Kompositionen hören. Diese

sollten in erster Linie innerlich zu hören sein und durch die geschriebenen Konzepte oder

Texte der KomponistInnen inspieriert werden. Diese Anregung der Phantasie wird in dem

„Hör-Wanderbuch“ als Klangimagination bezeichnet, welche „nichts Abstraktes ist, wie man

vielleicht meinen könnte, sondern vielmehr etwas sehr Konkretes, das aber nur im Kopf und

Körper des Imaginierenden besteht, in konkreter Gestalt und individueller Wirklichkeit.“37

Ein Konzept zu diesem projizierenden Hören stammt von Hans Wüthrich aus dem Jahr 197938.

Er weisst darauf hin, dass unser Gehör nicht nur ein empfangendes Organ ist, sonder auch

selber Klänge produzieren kann, welche in der Lage sein sollen, „sogar tatsächlich Klingendes

zu übertönen“39.

Unter den Umständen betrachtet, dass wir Menschen in der Lage sind, uns an Klänge über

eine lange Zeit zu erinnern und ihre Klanglichkeit darunter nicht zwingend leidet, könnte

dieser Ansatz durchaus funktionieren. Diese Art des Komponierens ausschliesslich mit dem

Medium der Sprache als Inspirationsquelle für Klänge ist bestimmt anspruchsvoll, da die

Kontrolle über das klangliche Ergebnis als Ganzes losgelassen werden muss.

37 Festivalprogramm Rümlingen 2011, S. 27 38 vgl. ebd. S. 9 39 ebd. S. 9

Page 25: Ta(l)king Places

25

Die folgenden Beispiele zeigen, wie die KomponistInnen mit der Aufgabe umgegangen sind:

Manos Tsangaris (Lokalteil Homberger Fluh):

Ablinger Fluh

Ein Ablinger steht oben an der Homberger Fluh.

Es wendet seinen Kopf (mit Hut)

In drei unterschiedliche Richtungen zum Ermessen,

(Dreyfuss…Rausch…Bestimmung).

Danach setzt er die Landschaft.

Wir werden eingeladen, sie zu betrachten:

Ein Blick auf die vor uns liegende Kette aus Kämmen.

Ein anderer steil nach oben: wandelbarer.

Einer ins Erdinnere.

(Bitte verstehen Sie das als „Hinübergetragenes“ – ein Bild: das Innere. Wer kann es

ermessen, wenn niemand hineingelangt, sondern einzig in ausgesparte Kanäle, die dann

uns enthalten… ein Aussenkörper innerhalb von… aber immer von hinnen.)

Die Koordinaten spiegeln, verdoppeln sich.

Wir, das Ablinger, ich… in vierter Dimension,

an der Homberger Fluh laufen sie zusammen,

und – was unmöglich erscheint –

wir versetzen uns ineinander.

Das ist artifizielles Entsetzen.

Das wäre sonst für keinen Preis zu haben.

Hier ist das Ablinger Nadelör,

Tor zur Welt, die genau hier zusammentrifft. 40

Tsangaris versucht in seinem Gedicht einen assoziativen Zugang zu dem Ort zu schaffen, der

40 Programmheft Festival Rümlingen 2011

Page 26: Ta(l)king Places

26

durch das Erzgeugen einer Stimmung die Wahrnehmung des Ortes verändern könnte.

Ablinger selbt wählt einen anderen Ansatz und geht davon aus, dass durch ein „Etikett“, das er

an einem Ort anbringt und mit dem er zum Betreten des Tunnels auffordert, der Klang des

Ortes als Komposition wahrgenommen wird.

Peter Ablinger (Lokalteil Tunnel bei Rümlingen)

Peter Ablinger

einen Tunnel passieren

passing a tunnel

Das Stück versteht sich als Hinweisstück, nicht als Anweisung; frau kann es tun, muss

aber nicht. Auch der Text allein, bzw. die Vorstellung davon ist bereits das Stück. 41

Das letzte Beispiel spricht ganz konkret von einer Musik, die sich der Komponist vorstellt. Als

Besucher kann man dadurch in die Vorstellung des Komponisten eintauchen und versuchen,

diese Klänge im Soundscape zu hören.

Patrick Frank (Lokalteil Wisenberg)

Die Wiese

[...]

VI. Die Wiese

Ich stelle mir eine Musik vor, die gleichzeitig künstlich und alltäglich ist. –

die gleichzeitig atonal und tonal ist. –

die gleichzeitig neu und alt ist. –

die gleichzeitig die Masse und die Klasse bedient. –

die gleichzeitig Kopie und Original ist. –

die gleichzeitig schlecht und gut komponiert ist. –

die gleichzeitig würdevoll und erbärmlich ist. –

die gleichzeitig reel und virtuell ist. –

die gleichzeitig langweilig und spannend ist. –

41 Programmheft Festival Rümlingen 2011

Page 27: Ta(l)king Places

27

Ich stelle mir eine Musik vor, die gleichzeitig Musik und Theorie ist. –

Nun stehe ich da, vor der Wiese, die so unschuldig und toxisch vor sich hin vegetiert,

und sinniere über Kunst und Musik. Ohne Musik, ohne Bühne, ohne Inszenierung. Real.42

Der Ansatz des Festivals setzt aber voraus, dass der Einfluss, den Sprache auf die

Wahrnehmung eines Klangortes haben kann, indem sie ihn durch imaginierte Klänge

ergänzen kann und dadurch aus einer individuellen, rein subjektiven Weise komponiert,

funktioniert.

Acoustic Design

Etwas allgemeiner gefasst und weniger experimentell ist die Absicht, die R. Murray Schafer in

„The Soundsscape and the Tuning of the World“ formuliert.

Hinter dem Begriff „Acoustic Design“ verbirgt sich die Aufforderung an Komponisten,

Architekten und Raumplaner, das Soundscape eines Ortes als gleichberechtigt zu der

visuellen Gestaltung eines Ortes zu anerkennen und auch zu gestalten. Dieser ökologische

Grundgedanke baut er auf verschiedene Prinzipien auf, die den Respekt für den auditiven

Sinn, das Bewusstsein des symbolischen Gehalts eines Klangs und das Wissen über dir Zyklen,

Tempi und Rhythmen des Soundscapes betreffen.43

Ansetzten kann akustisches Design daher bei der Gestaltung von Räumen, Plätzen und

Städten, wobei zum Beispiel darauf geachtet werden soll, dass Nachhallzeiten und Diffusion in

einem Raum so gestaltet werden, dass die man sich gut unterhalten kann, ohne durch einen

verwaschenen Nachhall und viele Schallreflexionen gestört wird. Dabei ist die Unterscheidung

zwischen einem „lo-fi“-Soundscape und einem „hi-fi“-Soundscape ein wichtiges Konzept. „Lo-

fi“ bezeichnet hier einen geringen dynamischen Abstand zwischen dem „Hintergrundlärm“

(keynote) und den diskreten Klängen (signals und soundmarks), die für die menschliche

Orientierung und Kommunikation wichtig sind. „Lo-fi“-Soundscapes tendieren zum

Verwischen von Klängen, haben eine konstante Kontur und einen niedrigen

42 Programmheft Festival Rümlingen 2011 43 vgl. Schafer 1993, S. 238.

Page 28: Ta(l)king Places

28

Informationsgehalt, wogegen in einem „hi-fi“-Soundscape diskrete Klänge ohne Verwischung

und Übertönung durch „Hintergrundlärm“ klar zu hören sind. Der Wunsch nach mehr „hi-fi“-

Soundscapes ist der Grundpfeiler des Anliegens der akustischen Ökologie und soll aus den

Hörenden heraus entstehen. Schafer setzt ein hohes Mass für Gehörbildung – „Ear Cleaning“44

voraus, ein Bewusstsein überhaupt für das uns umgebende Soundscape.

Ob diese klar Ausrichtung der akustischen Ökologie und die damit verbundene Abwertung

eines „lo-fi“-Soundscapes auch als Ansatz für einen produktiven Umgang mit Fieldrecordings

haltbar ist, steht in Frage. Die klare und differenzierbare Hörbarkeit von Klangereignissen ist

nicht immer gewünscht und sollte daher neutral betrachtet werden. Gerade wenn

Aufnahmen von Soundscapes in Kompositionen und Installationen eingesetzt werden, muss

der Anspruch auf ein „hi-fi“-Soundscape in der Umsetzung losgelassen werden und auch die

Qualität eines „lo-fi“-Soundscape beachtet werden.

The notions of schizophonic dislocation and displacement attempt to identify the allure of

the site in its ambiguous plasticity. It is this general plasticity that is exploited in

phonographic practices not restricted to the documentation, preservation and

representation of place.45

Für die Gestaltung von Klangräumen und damit für das Anliegen dieser Arbeit ist die

Vermutung interessant, dass das Soundscape eines Ortes wie eine grosse Komposition, an der

alle Menschen als Autoren beteiligt sind, funktioniert. Die Einflussnahme auf die Klänge vor

Ort, aber auch auf deren Wahrnehmung sind demzufolge möglich.

Die Wahrnehmung des Ortes kann durch eine bestimmte Einstellung des Hörers beeinflusst

werden, bei der diese durch das Lesen oder Hören von Text hervorgerufen werden kann.

Ein Beispiel dafür sind die verschiedenen Hörübungen oder Hörstücke der amerikanischen

Komponistin Pauline Oliveros, die unter dem Titel „Deep Listening“ erschienen sind.46

44 vgl. Schafer 1993 S. 208 45 Schrimshaw 2011 46 siehe: Pauline Oliveros: Deep Listening – A Composer’s Sound Practice, iUniverse, 2005.

Page 29: Ta(l)king Places

29

Schafer beschreibt weiter ein utopisches Soundscape, welches die Musik als Vorbild hat – bei

dem alle Klänge von der Telefonklingel bis zum Rollgeräusch eines Zuges durchkomponiert

und nach funktionalen und ästhetischen Kriterien untersucht wurden.47

We have also sound-houses, where we practise and demonstrate all sounds and their

generation. We have harmony which you have not, of quartet-sounds and lesser slides of

sounds. Divers instruments of music likewise to you unknown, some sweeter than any you

have, with bells and rings that are dainty and sweet. We represent small sounds as great and

deep, likewise great sounds extenuate and sharp; we make divers tremblings and warblings

of sounds, which in their origin are entire. We represent and imitate all articulate sounds and

letters, and the voice and notes of beasts and birds. We have certain helps which, set to the

ear, do further the hearing greatly; we also have divers strange and artificial echoes,

reflecting the voice many times, and, as it were, tossing it; and some that give back the voice

louder than it came, some shriller and some deeper; yea, some rendering the voice, differing

the letters or articulate sound from that they receive. We have all means to convey sounds in

trunks and pipes, in strange lines and distances.48

Dieses Zitat zeigt ein mögliches utopisches Soundscape auf, wie es auch Schafer gemeint

haben könnte. Ein Möglichkeit zur Realisierung davon, sieht er in der Form von sogenannten

„soniferous gardens“49.

Diese sollen so angelegt werden, dass sie – wenn sie in einer Stadt liegen – vom „lärmenden“

Soundscape abgetrennt werden, um eine „kultivierte Klanglandschaft“ zu beherbergen.

Landschaftskomposition in einem neutralen Umfeld, welches von den Elementen des Gartens

bespielt wird.

47 vgl. Schafer 1993, S. 244f 48 Francis Bacon, The New Atlantis, in: Nick Collins & Julio d‘Escriván, The Cambridge Companion to Electronic Music,

Cambridge University Press, 2007, S. 7 49 soniferous = carrying or producing sound (Quelle: http://www.yourdictionary.com/soniferous)

Page 30: Ta(l)king Places

30

With good reason then do we insist on the necessity today to throw the emphasis back to the

acoustically designed park, or what we might more poetically call the soniferous garden.

There is but one principle to guide us in this purpose: always to let the nature speak for itself.

Water, wind, birds, wood and stone, these are the natural materials which like trees and

shrubs must ne organically molded and shaped to bring forth their most characteristic

harmonies.50

Diese mögliche Gestaltung eines Soundscapes führt zu der Frage, was genau bei der

Komposition einer Installation oder eines Hörstückes mit dem Ort passiert – einerseits mit

dem Ort, von dem ein aufgenommenes Soundscape stammt, aber auch mit dem Ort in der

Wahrnehmung des Betrachtenden, wenn er sich innerhalb der Installation befindet.

Für mich ist an der Stelle wichtig zu betonen, dass es eine Abgrenzung zwischen

elektroakustischen Kompositionen im Allgemeinen und der Komposition mit Soundscapes

gibt. Komponieren mit Soundscapes ist in dem Fall mit der Absicht gekoppelt, einen

Klangraum zu gestalten, der mehr oder weniger mit einem Aussenraum in Verbindung steht.

Man könnte auch sagen, dass es um das Spannungsfeld Aussenraum – Innenraum geht, in

dem sich eine Komposition, Installation oder ein Hörstück positioniert.

50 Schafer 1993, S. 247

Page 31: Ta(l)king Places

31

Akustische Heterotopien

Wie kann nun die Wahrnehmung eines Ortes transportiert durch Field recordings in einer

Klanginstallation oder auch ganz allgemein in einer elektroakustischen Umsetzung beeinflusst

werden? Die theoretische Grundlage dazu soll das Konzept der Heterotopien von Michel

Foucault sein, welches er in einem Radiovortrag 1966 zum ersten Mal vorgestellt hat. Es wird

darum gehen, wie andere Orte – Anders-Orte – entstehen, was ihre Charakteristiken sind, wie

sich diese im Kontext von Soundscape und Sprache anwenden lassen und wie sich das

Konzept der Heterotopien als kompositorische Strategie nutzbar machen lässt.

Heterotopien nach Foucault

Die von Schafer beschriebene utopische Landschaftskomposition soll, wie oben beschrieben,

einen Gegenraum zu der uns umgebenden klanglichen Umwelt schaffen. Foucault sieht

Gegenräume als die Grundidee seines Begriffs der Heterotopie. Er grenzt Heterotopien aber

klar von utopischen Orten ab. Utopische Orte sind nicht lokalisierbar, haben keinen realen Ort,

an dem sie stattfinden, keine zeitliche Einordnung und sind in der Phantasie der Menschen

und den „Zwischenräumen“ der Worte zu finden.51

Dennoch glaube ich, dass es [...] Utopien gibt, die einen genau bestimmbaren, realen, auf

einer Karte zu findenden Ort besitzen und auch eine genau bestimmbare Zeit, die sich nach

dem alltäglichen Kalender festlegen und messen lässt.52

Beispielsweise zeigt er dies an Orten auf, die der kindlichen Phantasie entspringen, wie dem

Dachboden, auf dem ein Indianerzelt aufgestellt ist, dem Ehebett der Eltern, welches zum

Meer wird, auf dem man mit einem Schiff fahren kann, oder auf dem man in den Tag zur

Nacht macht, wenn man sich unter den Laken als Geist bewegt.53

51 vgl. Foucault 2013, S. 119 52 ebd. S. 119 53 Foucault 2013, S. 120

Page 32: Ta(l)king Places

32

Solche „ganz andere Orte“ sind also Heterotopien, bei denen nach Foucault die folgenden

Grundsätze feststellbar sind:

Jede Gesellschaft schafft sich Heterotopien, die äusserst vielfältige Formen annehmen

können. So gab es in vielen prä-industriellen Gesellschaften bestimmte Orte, an denen sich

Personen, „die sich einer biologischen Krisensituation befinden“54 – „Krisenheterotopien“ für

Jugendliche in der Pubertät oder Frauen während der Geburt. Heutzutage könnte man eher

von „Abweichungsheterotopien“ sprechen, die von der Gesellschaft an ihren Rändern

unterhält und zu denen Sanatorien, psychiatrische Anstalten oder Gefängnisse gehören. Diese

Funktion einer Heterotopie für die Gesellschaft kann sich über die Zeit wandeln, wodurch sich

Heterotopien auflösen können oder ersetzt werden, was an der Entwicklung der Friedhöfe, die

früher als intergrale Bestandteile einer Stadt ohne feierliche Beteutung galten und erst nach

und nach zu einem Ort des Gedenkens wurden, gezeigt werden kann.

Heterotopien bringen an einem Ort auch mehrere Räume zusammen, die eigentlich

unvereinbar sind.55

So bringt das Theater auf dem Rechteck der Bühne nacheinander eine ganze Reihe von Orten

zur Darstellung, die sich gänzlich fremd sind. Und das Kino ist ein grosser rechteckiger Saal,

an dessen Ende man auf eine zweidimensionale Leinwand einen dreidimensionalen Raum

projiziert.56

Am Beispiel der Bibliothek lässt sich ein weiterer Grundsatz der Heterotopien aufzeigen. Diese

stehen oft in Verbindung mit zeitlichen Brüchen, Schnitten in der Zeitachse, was sich bei der

Bibliothek daran äussert, dass dort Ideen und Wissen versammelt wird, wodurch so zu sagen

die Zeit angehalten wird und sich die Dinge bis ins Unendliche ansammeln.

Abschliessend erwähnt er das System der Öffnung und Abschliessung, die Heterotopien

begleitet. Es muss also eine Art „Eingangs- oder Reinigungsritual“ geben, um von der realen

Welt in den Ander-Ort, den die Heteropie darstellt, zu gelangen.

54 Foucault 2013, S.121 55 vgl. ebd. S. 122 56 ebd. S. 122

Page 33: Ta(l)king Places

33

Im Kern funktionieren Heterotopien auf zweierlei Weise, „indem sie eine Illusion schaffen,

welche die gesamte übrige Realität als Illusion entlarvt, oder indem sie ganz real einen

anderen realen Raum schaffen, der im Gegensatz zur wirren Unrordnung unseres Raumes eine

vollkommene Ordnung aufweist.57

Die Verbindung zwischen dem Konzept der Heterotopien und der Frage nach der

Gestaltbarkeit von akustischen Räumen in Installation oder anderen Formen ist nun

naheliegend. Sie sind komponierte Räume, Anordnungen im Raum, die nach gewissen

Gesetzmässigkeiten funktionieren und einen mehr oder weniger abgeschlossenen Anders-Ort

bilden, den man betreten kann. In der Verwendung von aufgenommenen Soundscapes, deren

Aufnahme oft zeitlich zurück liegt ist auch der Grundsatz der zeitlichen Brüche erfüllt.

Dislozierung als Strategie

The soundscape voices the passing of time and reaches into every moment of our personal

and professional lives. It reaches right into this place and this moment of time, becoming a

lived soundscape for all of us in this room.58

„Schizophonic dislocation“, das Entwurzeln von Klängen aus ihrem ursprünglichen Kontext

und die Re-Kontualisierung in einer komponierten, räumlichen Anordnung schaffen eine

Überlagerung des Ortes – einen Anders-Ort im Sinne Foucaults. So lässt sich die akutische

Heterotopie als kompositorische Strategie nutzbar machen, wenn man dabei das Bild vor

Augen hat, dass der Innenraum einer Klanginstallation zu einem neutralen Ort wird, von dem

aus verschiedenste Bezüge, Linien in der Zeit und im Raum gemacht werden können.

Soundscapes von anderen Orten und aus anderen Zeiten formen so einen heterotopischen

Ort, der zugleich klar lokalisierbar aber auch mobil ist. Etwas plakativ gesagt: Eine Kapsel, mit

der man durch Raum und Zeit reisen kann – ähnlich der Vorstellung einer „sound bubbles“, in

57 Foucault 2013, S. 125 58 Westerkamp 2009. S. 143

Page 34: Ta(l)king Places

34

der sich schon die Person bei der Aufnahme eines Soundscapes befindet.bei Hildegard

Westerkamp. Schrimshaw beschreibt diesen Vorgang treffend als „Nesting“.

The schizophonic dislocation [...] through the use of field recordings allows for a recursive

nesting of places that tends towards their abstraction: a room, place or site temporarily

reconstructed within another by means of electroacoustic architectonics.59

In dieser Verschachtelung von Orten und Zeiten öffnen sich viele Möglichkeiten der

Gestaltung und der Wahrnehmung. Schrimshaw sieht für Komponisten ein produktives

Potential darin, die Bandbreite zwischen einer orts-treuen Abbildung (site-specific) und einer

abstahierten Umsetzung von Orten zu untersuchen – so zu sagen die Wände der Schachteln

zu durchbrechen oder durchsichtig erscheinen zu lassen..60

Da laut Foucault eine Heterotopie von einer Gesellschaft erschaffen werden kann, lässt sich

die Frage stellen, ob im Vorgang, dass Besucher in einer Ausstellung zusammen kommen und

zum Beispiel eine Klanginstallation als solche wahrnehmen und betreten, schon die

Voraussetzung für eine Heterotopie erfüllt ist. Wenn ja, wird die Installation zu einem Ort mit

einer gesellschaftlichen Funktion – in dem Fall die Absicht sich auf einen Klangraum

einzulassen und sich seinen Gesetzmässigkeiten auszusetzen.

Genau diese Umdeutung lässt sich in am Beispiel der eingangs beschriebenen Stadtführung,

zu der ich als Musiker beigezogen wurde, zeigen. Die Gruppe von Besuchern bewegte sich mit

Kopfhörern durch den Aussenraum. Der Raum innerhalb der Kopfhörer war komponiert und

führte durch den Einsatz von Texten, die das Bewegen durch den Raum thematisierten, zu

einer veränderten Wahrnehmung des Aussenraums. Da alle Besucher dasselbe hörten und so

als Gruppe zusammengehalten wurden, enstand für die Zeit der Führung eine wenn auch

kurzlebige Norm, sich von der „normalen“ Wahrnehmung des Aussenraums zu verabschieden

und sich darauf einzulassen, den Ort durch die Einflüsse des Gehörten hindurch zu sehen.

Die Sprache – Fragen, Erinnerungen daran, wie der Ort früher war, oder poetische

Betrachtungen – schaffte als Mittel der Kommunikation in der Gruppe eine Umdeutung und

59 Schrimshaw 2011 60 vgl. ebd.

Page 35: Ta(l)king Places

35

Codierung des Aussenraums.

Each recorded work – whether a sound document, nature recording, or a soundscape

composition – itself becomes an entirely new soundscape experience, heard in a new context

and a new location. For the recordist/composer, it is lifted out of a remembered and lived

time and a more or less familiar place into the entirely new, often unknown place and time of

its reproduction. For the listener, it has been lifted out of unknown, unlived time in a foreign

or perhaps remembered place into a living moment in a more or less familiar place.61

Auch die Arbeit „Sounds from Dangerous Places“ von Peter Cusack kann auf Heterotopien hin

untersucht werden. Die Informationen, die das Begleitbuch zu den Soundscapes liefert,

gestalten den Hörraum und laden ihn inhaltlich auf. Die Überlagerung des Ortsklangs mit dem

gehörten Soundscape ist hier nur der erste Schritt in der Rezeption. Der zweite findet in

Gedanken und aufgrund der Texte und Fragen statt und führt den Hörenden näher an das

Erlebte des „sound recordist.“

Die Namensgebung eines Ortes kann ebenso stark auf den Ort einwirken und im Sinne des

topischen Theaters die Rückkoppelung des vorher wahrgenommenen Ortes in Form von

Sprache zur Bildung eines neuen Raumes darstellen.

namen, benennungen lassen eine eigene "poetische geographie" entstehen, die zum reisen

einlädt, sie konstruieren einen raum überhalb des ortes. gleichzeitig kann durch das

benennen eines ortes, dessen name sich nicht kongruent zu ihm verhält, ein ort definiert oder

von seiner definition befreit werden. durch einen namen ändert sich das Verhältnis vom

benannten. der prozess der namensgebung (vor allem der umdeutung) und das daran-

teilhaben-lassen kann eine form des künstlerischen umgangs mit orten sein.62

Dies ist genau einer der Ansätze, den ich meiner Installation „Array of Coordinates“ verfolgt

61 Westerkamp 2009, S. 151 62 Staudinger 2009, S. 16

Page 36: Ta(l)king Places

36

habe, indem ich die Landschaft mit Flurnamen überlagerte, die das Verhältnis und die

Wahrnehmung des Soundscape veränderten.

Die zeitlichen Brüche, die mit Heterotopien einher gehen, sind bei der Arbeit mit Field

recordnings immer dann eine Gegebenheit, wenn nicht spezifisch die Soundscape eines

anderen Ortes „live“ – also genau in dem Moment – überragen wird.

Die Tatsache, dass aufgenommene Klänge immer Kopien sind und an anderen Orten und zu

einer anderen Zeit reproduziert werden können63, lässt sich auf der sprachlichen Ebene

ebenfalls nutzen, wie das folgende Beispiel von Hildegard Westerkamp zeigt. Sie hebt darin

nicht nur das Soundscape als Heterotopie heraus, sondern auch als Heterochronie – was der

Fachbegriff für Brüche oder Überlappungen auf der Zeitachse.

TAPE: Camel sounds audible underneath and between spoken sentences. ‚At this moment it’s

November 28, 1992. I’m riding on a camel in the desert near Jaisalmer in Rajasthan, India. Yet

at this moment it’s June 22, 1993. I’m riding on the airwaves together with my camel. On

102.7 FM, Vancouver Co-operative Radio, CFRO. This is Wireless Graffiti, live from the

Vancouver East Cultural Center. My name is Hildegard Westerkamp and this is ‚From the

India Sound Journal’.

Desert ambience fades out, then fades up again.

‚Camelvoice November 1992, here in Vancouver, June ’93 at the Vancouver East Cultural

Centre on Co-op Radio, riding the airwaves, disembodied from the sand, the heat, its voice.

Where is the camel at this moment? Where is it eating? Who is riding it, recording its voice,

photographing its body? Where is it now, reproduced many times all over this … uhm …

global village? Is it still the same camel chewing and digesting loudly in the village of Sam,

Rajasthan?

Tape fades.64

So wird der Ort und das Kamel, von dem sie spricht, zu einem mehrschichtigen, variablen Feld,

63 vgl. sfu.ca/sonic-studio/handbook/Schizophonia.html 64 Westerkamp 2009, S. 150

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welches aus verschiedenen Blickwinkeln und Richtungen untersucht werden kann. Hier lässt

sich eine Parallele zur Klanginstallation von Cardiff & Miller erkennen, die den Ort im Wald mit

Hilfe von Klang als Gedankenraum der Besucher durch verschiedene Zeitalter transportiert

haben.

Die Situationen, die durch Gestaltung eines Ortes erzeugt werden können, führen zu einem

mit ihnen verbundenen Potential und – wie Staudinger es bezeichnet – zu einem

„multifokalen Feld“: „vom rein physisch determinierten ort (festgeschrieben, fixiert, aktuell)

hin zu einem diskursiven vektor (ungebunden, fliessend, virtuell)65. Die Sprache als die Art der

menschlichen Kommunikation spielt dabei ihre Rolle beim Schaffen eines Kontextes um und

von Bezügen zwischen verwendetem Klangmaterial und der Wahrnehumung durch den

Zuhörer.

Any place whatever – ein Schlusswort

Sound is one of the properties through which we build strategies for maintaining a physical

connections to the environment in flux, a way of becoming social. […] we listen to the sound

of ourselves, our presence, and the way it connects from moment to moment with shifting

environments, and we hear, often without consciously listening, the fluctuations of those

environments […].66

Die zu Beginn vorgestellte Rückkopplungsschleife zwischen Ort und Text – seines Potentials

zur Entwicklung von Texten und deren Einflüsse auf die Wahrnehmung des Ortes – soll nun

zum Schluss kurz rekapituliert werden.

Es haben sich verschiedene Möglichkeiten eröffnet, wie ein Ort „gelesen“ werden kann.

Beschreibungen, ihm in Karten eingeschriebene Begriffe (Flurnamen), Assoziationen und

Hintergrundinformationen sind einige dieser Möglichkeiten. Der Ansatz des topischen

Theaters geht noch weiter und vermutet eine Grammatik an einem Ort, die man durch

65 Staudinger 2009, S. 19 66 Toop 2010

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sorgfältige Recherche erkennen kann.

Die Sprache hat umgekehrt auf die Wahrnehmung des Ortes einen Einfluss, wie die

Ausführungen zu projizierendem Hören und Sonic Labeling besonders gezeigt haben.

Auffallend ist sicher, dass immer wieder der Aspekt des Wahrnehmens im „Jetzt“ , der damit

verbundenen Kontextualisierung in einem realen oder transportierten Raum aufgetaucht ist.

In den Worten von Andreas Staudinger und Hildegard Westerkamp heisst das:

beim topischen theater ist der zuseher ein mitgeher, ein beteiligter, seine persönliche

erfahrung und die damit verbundenen entscheidungs- und handlungsmöglichkeiten, seine

eigenverantwortlichkeit steht im zentrum […] – kurz: seine leiblichkeit in einen neuen,

ungewohnten kontext versetzen und mit seinem ganzen körper wahrnehmen.67

The soundscape voices the passing of time and reaches into every moment of our personal

and professional lives. It reaches right into this place and this moment of time, becoming a

lived soundscape for all of us in this room.68

Für das Arbeiten und Komponieren mit Soundscapes und Field recordings kann ganz

offensichtlich die Sprache als kompositorisches Mittel dazu beitragen, die Wahrnehmung im

Moment und auch des Raumes zu beeinflussen, wenn nicht sogar neue Räume zu schaffen.

Was Schrimshaw im folgenden Zitat also zu der Musik zuschreibt, liesse sich auch zur Sprache

sagen.

Opposed to the homogeneity of non-place, the shift from the specifics of place to the abstract

generality of space addresses a generative potential in sonority that is exposed only where

sound is not limited to representation but considered according to a primary displacement or

deformation. Put into practice by artists working with the problem of site and sound is the

capacity for sound to create, reconfigure and modulate space, presenting an acoustic spatial

practice that does not solely entail a documentation of place but a production of space.69

67 Staudinger 2009, S. 31f 68 Westerkamp 2009, S. 143 69 Schrimshaw 2011

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Ich möchte dies an einem letzten Beispiel aufzeigen. Das Stück „Any place whatever“ von

Asher 70 zeigt einen produktiven Umgang mit der Problematik des „lo-fi“- und „hi-fi“-

Soundscapes, indem er die Hintergrundgeräusche der Field recordings als Möglichkeitsfeld

bezeichnet, aus dem Klänge auftauchen und wieder verschwinden können.71

Übertragen auf die Wahrnehmung und den Ansatz sie mit Sprache zu steuern, kann so aus

einem homogenen Soundscape durch das Richten der Wahrnehmung und der Deutung des

Gehörten Zusammenhänge erzeugt werden und der Fokus der Hörenden auf gewisse Details

gelenkt werden. Wie ein Reiseführer einen durch ein Land führt und Hinweise und

Anregungen erteilt, so kann dies die Sprache auch in anderen, geschlossenen Räumen, die

ihre eigenen Gesetzmässigkeiten haben. Da ergibt sich eine interessante Parallele anhand des

Bildes des Gartens, welches nicht nur bei Schafer als Ort eines utopischen Soundscapes

auftaucht, sondern auch bei Foucaults Heterotopien das Paradebeispiel für das Überlagern

von Orten ist. Schafer sagt, dass der Garten für den „Acoustic Designer“ ein Ort sein kann, den

er unabhängig und abgeschottet von der Aussenwelt gestalten kann, indem er Regeln

aufstellt (In Schafers „soniferous garden“ sollten die Klänge zum Beispiel die Dynamik der

menschlichen Stimme nicht überschreiten) und Klänge oder Stille bewusst platziert werden.

Der „soniferous garden“ ist auch ein Ort, an dem Menschen zusammen kommen, um dort

Musik zu machen und Klänge bewusst wahrzunehmen. Sie schaffen so zu sagen eine

gesellschaftliche Übereinkunft für den Ort und machen ihn so zu einem heterotopischen Ort.

Für Foucault ist der Garten das älteste Beispiel einer Heterotopie, in der beispielhaft die

gesamte Vegetation der Welt angeordnet wurde. Begehbar und wahrnehmbar aus

verschiedenen Perspektiven und Winkeln.72

„It is to this place that the weary may come seeking nothing but the simplicity of the ultimate

music on the other side of this world, the silence at the center of which may be heard

theringing of the great orbs of the Music of the Spheres.“73

70 Various, 2008. Audible Geography. Room 40: EDRM416 (Link siehe Literaturverzeichnis) 71 vgl. Schrimshaw 2011 72 vgl. Foucault 2013, S. 122f 73 Schafer 1993, S. 252

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Literaturverzeichnis

- Cusack, Peter: Sounds from Dangerous Places, ReR Megacorp, 2012 (CD & Buch).

- Foucault, Michel: Schriften zur Medientheorie, Suhrkamp, 2013.

- Hollings, Ken: Chris Watson – Defying the Wilderness, WIRE, Ausgabe 318, November 2010.

- López, Francisco: Blind Listening; in: Rothenberg, David & Ulvaeus, Martha (Hrsg.): The Book of Music &

Nature, Wesleyan University Press, 2009. S. 163 - 168

- Meyer, Thomas & Jeschke, Lydia (Red.): Drinnen vor Ort – Festival Rümlingen 2011, PFAU-Verlag, 2011.

- Rothenberg, David & Ulvaeus, Martha (Hrsg.): The Book of Music & Nature, Wesleyan University Press, 2009.

- Schafer, R. Murray: The Soundscape: Our Sonic Environment and the Tuning of the World, Inner

Traditions/Bear, 1993.

- Schrimshaw, Will: Any Place Whatever: Schizophonic Dislocation and the Sound of Space in General,

Interference Journal Issue 2, 2011. interferencejournal.com/articles/a-sonic-geography/any-place-whatever

- Serres, Michel: Atlas, Merve, 2005.

- Staudinger, Andreas: Pirsch: Materialien für ein topisches Theater, Kaiser, 2009.

- Toop, David; Ghosts in the Shell; in: English, Lawrence: Site-Listening: Brisbane, ROOM40, Dezember 2010

(CD & Buch)

- Voegelin, Salomé: Listening to Noise and Silence, Continuum, 2010.

- Westerkamp, Hildegard: Speaking from Inside the Soundscape; in: Rothenberg, David & Ulvaeus, Martha

(Hrsg.): The Book of Music & Nature, Wesleyan University Press, 2009. S. 143 - 152

Links:

sounds-from-dangerous-places.org/sonic_journalism.html

sounds-from-dangerous-places.org/index.html

sfu.ca/sonic-studio/handbook/Schizophonia.html

cardiffmiller.com/artworks/inst/forest.html

deconcrete.org/category/invisible-cities/

port-magazine.com/music/place-chris-watson-sound-recordist

http://de.wikipedia.org/wiki/Soundscape

interferencejournal.com/articles/a-sonic-geography/any-place-whatever

https://soundcloud.com/interference_journal/asher-any-place-whatever/

alle Links verfügbar im April 2013