16
Feste und Feiern im Mittelalter Paderborner Symposion des Mediävistenverbandes Herausgegeben von Detlef Altenburg, Jörg Jarnut und Hans-Hugo Steinhoff T)b Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1991 1 5ýj ýýýg.

T)b - mgh-bibliothek.de · 2 JACQUEs HEERS, Fetes des fous et Carnavals (Paris 1983); deutsche Ausgabe: Vom Mummenschanz zum Machttheater. Europäisdie Festkultur im Mittelalter (Frankfurt/Main

  • Upload
    others

  • View
    3

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: T)b - mgh-bibliothek.de · 2 JACQUEs HEERS, Fetes des fous et Carnavals (Paris 1983); deutsche Ausgabe: Vom Mummenschanz zum Machttheater. Europäisdie Festkultur im Mittelalter (Frankfurt/Main

Feste und Feiern im Mittelalter

Paderborner Symposion des Mediävistenverbandes

Herausgegeben von Detlef Altenburg, Jörg Jarnut und

Hans-Hugo Steinhoff

T)b Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen

1991

1

5ýj ýýýg.

Page 2: T)b - mgh-bibliothek.de · 2 JACQUEs HEERS, Fetes des fous et Carnavals (Paris 1983); deutsche Ausgabe: Vom Mummenschanz zum Machttheater. Europäisdie Festkultur im Mittelalter (Frankfurt/Main

Spätmittelalterliche Festkultur im Dienste religiöser, politischer und sozialer Ziele

VON HARRY KIIHNEL

Das kollektive Denken mittelalterlicher Menschen vollzog sich weitgehend in quantitativen Kategorien. Diese »Mentalität des Numerischen« fand in vielen Bereichen des Alltags Anwen- dung und reflektierte gleichsam eine Wertordnung, der auch ein nicht unerheblicher Prestige- charakter zukam. Dies trifft für feierliche Einzüge von Kaiser und Königen, Landesfürsten und Erzbischöfen ebenso zu wie für die Abhaltung von Turnieren. Bei allen Festlichkeiten steht die Zahl des Gefolges und die der Pferde im Mittelpunkt des Interesses; das gleiche gilt für die von jedem Adeligen und Ritter aufgebotenen Stoffe und deren Farben. Festessen erfahren immer dann eine besondere Würdigung in den Quellen, wenn eine möglichst große Zahl von Teilnehmern nachgewiesen werden kann; bleibende Erinnerung wird einem solchen Festschmaus in der Historiographie dann zuteil, wenn die Speisenfolge möglichst die Zahl von 10 oder 12 Gängen übersteigt und sich das Gelage über mehrere Tage erstreckt'. Manifestation von Macht und Ansehen, Erhöhung des Sozialprestiges, aber auch Zusammengehörigkeitsge- fühl und gesellschaftliche Identifikation, durch Prunk und Opulenz zum Ausdruck gebracht, sind die erklärten Ziele einer solchen Festkultur2. Die Tendenz der Gesellschaft, in ständigem Konkurrenzdenken alles zu quantifizieren, spiegelt sich analog in der spätmittelalterlichen Historiographie. Die Höhe eines Kirchturms wie der des Straßburger oder Freiburger Münsters hinterläßt nachhaltigen Eindruck. Die Länge einer Brücke wie jene über den Zürichsee bei Rapperswil mit 2000 Fuß oder die Vielzahl der Brunnen in Bern verhalfen der jeweiligen Stadt zu außergewöhnlichem Ansehen.

Nicht minder waren Glocken ein Mittel der Repräsentation, und die jeweiligen Gewichts- angaben lassen erkennen, daß der Ehrgeiz der Städte darauf abzielte, die schwerste Glocke zu besitzen. Ähnliches gilt für für den Geschützguß, heben doch die Zeitgenossen mit Vorliebe

1 W. EDUARD MEAD, The English Medieval Feast (London 1967), S. 32ff.; S. 142-147; JOHANN JAKOB HASSLING (Hg. ), Der Gürzenich zu Köln (München 1955), S. 29 (18 Gerichte auf dem Reichstag zu Köln 1505); HELMUT HUNDSBICHLER, Reise, Gastlichkeit und Nahrung im Spiegel der Reisetagebücher des Paolo Santonino (1485-1487) (Diss. Wien 1979), 5.303-309. 2 JACQUEs HEERS, Fetes des fous et Carnavals (Paris 1983); deutsche Ausgabe: Vom Mummenschanz zum Machttheater. Europäisdie Festkultur im Mittelalter (Frankfurt/Main 1986), S. 12f., 22,26,248; PAUL HUGGER (Hg. ), Stadt und Fest. Zu Geschichte und Gegenwart europäischer Festkultur. Festschrift der Philos. Fakultät der Universität Zürich zum 2000-Jahr-Jubiläum der Stadt (Zürich 1987), S. 45 ff., 61 ff.; UwE SCHULTZ (Hg. ), Das Fest. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart (München 1988), S. 70ff., 127ff.; JACQUES HEERS, »Feste«, in: Lexikon des Mittelalters 4 (1989), Sp. 399-405; Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte 8,96. Lieferung (1987), Sp. 1432-1455; WINFRIED GEBHARDT, Fest, Feier und Alltag (=Europiische Hochschulschriften, Reihe 22,143, Frankfurt am Main-Bern 1987), S. 67-73.

Page 3: T)b - mgh-bibliothek.de · 2 JACQUEs HEERS, Fetes des fous et Carnavals (Paris 1983); deutsche Ausgabe: Vom Mummenschanz zum Machttheater. Europäisdie Festkultur im Mittelalter (Frankfurt/Main

72 HARRY RÜHNEL

die Anzahl der Pferde hervor, die zum Ziehen eines Geschützes benötigt wurden3. Bei einer Schießübung auf der Metzgerau bei Straßburg mußte ein großes Geschütz, genannt der »junge Rohraffe«, durch 225 Knaben in den Zeughof gezogen werden', ein Umstand, der in den

Annalen der Straßburger Barfüßer gerühmt wird. Wenngleich das äußere Erscheinungsbild von Festen die nahezu ausschließliche Aufmerk-

samkeit der Zeitgenossen erfährt, boten dessenungeachtet Feiern, Feste und Turniere Gele-

genheit zu wichtigen Entscheidungen politischer, religiöser und sozialer Natur. Wilwolt von Schaumburg, im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts ein weitgereister Turnierteilnehmer, ließ

in seiner Funktion als Hauptmann der Stadt Meran im April 1507 seine Erinnerungen durch

einen ihm nahestehenden Anonymus - wahrscheinlich durch den fränkischen Ritter Ludwig

von Eyb den Jüngeren - niederschreiben. Darin heißt es unter anderem über das Turnier von Heidelberg 1481: Was aber mer in solchm turnir ausgericht und gehandt wart, laß ich, dieweil

es zu hören verdrieslich oder nit von großem nutz, under wegen'. Politische Gespräche und Entscheidungen oder die Festlegung sozialer Verhaltensweisen

des Adels wurden äußerst selten für mitteilens- und wissenswert erachtet, so daß es einschlägi-

gen Schriftzeugnissen an informativen Aussagen mangelt. Dennoch waren Feste mit politi-

schen Intentionen häufig und stellten das Nebeneinander von Festen im kirchlichem Bereich, jahreszeitlich gebundenen Festen sowie solchen, die als bewußtes Instrument Verwendung fanden, unter Beweis.

Ein Paradigma einer politischen Machtdemonstration waren die Ritterspiele, die der

erwählte Erzbischof von Salzburg, Philipp von Spanheim, 1256 in Mühldorf/Bayern abhielt. Die Laufbahn Philipps hatte am böhmischen Königshof begonnen, 1236/37 wurde er zum Propst von Wischehrad und Kanzler des Königreiches Böhmen erhoben. Nach dem plötzli- chen Tod des Erzbischofs von Salzburg, Eberhardsll., wurde er 1247 als Schützling des Papstes Innozenz' IV. zum Prokurator der Salzburger Kirche bestellt; im April 1251 ließ er sich von Bischof Nikolaus in Prag zum Diakon weihen, während er die Priesterweihe kurzweg

ablehnte, um seine Ansprüche auf das Herzogtum Kärnten zu wahren. Papst Alexander IV.

stellte im April 1255 Philipp vor die Entscheidung, entweder innerhalb von sechs Monaten die Weihe zu empfangen oder widrigenfalls suspendiert zu werden6. Philipp antwortete mit der Verschleuderung von Dominikalien der Diözese, mit Brandlegung und Raubüberfällen. Zur Affirmation seiner Herrschaft und um den Stiftsadel für sich zu gewinnen, veranstaltete Philipp im bayerischen Mühldorf nach römischem Vorbild ein großartiges Quintanarennen,

3 ROLF SPRANDEL, »Handwerklich-technischer Aufschwung im Spätmittelalter. Seine Reflexe in der

zeitgenössischen Historiographie«; HARRY KÜHNEL, »Handwerk und Sachkultur im Mittelalter. Ein Resümee«, beide in: Veröffentlichungen des Instituts für mittelalterliche Realienkunde Österreichs 11 (=Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Phil. hist. Kl. 513, Wien 1988), S. 12,15f., 19,260f. 4 HERMANN LUDWIG, Deutsche Kaiser und Könige in Straßburg (Straßburg 1889), S. 170,226, Anm. 437. 5 ALWIN SCHULTZ, Deutsches Leben im 14. und 13. Jahrhundert, 2. Halbband (Wien-Prag-Leipzig 1892), S. 586f.; Die Geschichten und Taten Wilwolts von Schaumburg, hg. v. ADELBERT VON KELLER (Bibliothek des litterarischen Vereins in Stuttgart 50, Stuttgart 1859), S. 52; Katalog Württemberg im Spätmittelalter, bearbeitet von JOACHIM FISCHER, PETER AMELUNG und WOLFGANG IRTENKAUF (Stuttgart 1985), S. 75. 6 AUGUST JAKSCH, Geschichte Kärntens bis 1335 2 (Klagenfurt1929), 5.4,11; FRAhz MARTIN, Die Regesten der Erzbischöfe und des Domkapitels von Salzburg 1247-1343 1 (Salzburg 1928), Nr. 26,230,248.

Page 4: T)b - mgh-bibliothek.de · 2 JACQUEs HEERS, Fetes des fous et Carnavals (Paris 1983); deutsche Ausgabe: Vom Mummenschanz zum Machttheater. Europäisdie Festkultur im Mittelalter (Frankfurt/Main

SPÄTMITTELALTERLICHE FESTKULTUR 73

das nach der empörten Aussage von Mitgliedern des Domkapitels 10000 Mark verschlungen hat'. Philipps Versuch, seine Macht und sein Ansehen zu demonstrieren, war ebensowenig erfolgreich wie sein neuerlicher militärischer Einfall in das Bistum, wenngleich viele Ministe- rialen, teils aus Furcht, teils in Hoffnung auf Beute, seine Partei ergriffen und sich Güter des Domkapitels aneigneten, obwohl bereits in der Person des Bischofs Ulrich von Seckau ein neuer Erzbischof gewählt worden war'.

Der Hoftag zu St. Veit in Kärnten, am 16. Oktober 1298 verbunden mit einem großen Turnier in Anwesenheit von mehr als 100 Rittern abgehalten, genoß als Festlichkeit einen besonderen Ruf, findet sich doch in den Veroneser Annalen eine ausführliche Eintragung. Im Andenken der Zeitgenossen blieb vor allem die zur Schau getragene Prunkentfaltung der herzoglichen Brüder Otto, Ludwig und Heinrich aus dem Hause der Meinhardiner lebendig, die damals von ihrem Onkel, Albert Graf von Götz, den Ritterschlag empfingen. »Die Bedeutung, welche die Herzoge dieser Festlichkeit als gleichsam staatspolitischen Akt geben wollten, geht noch aus der ein Menschenalter jüngeren Schilderung Johanns von Viktring hervor. Die Wahl des Ortes, St. Veit, die alte Kärntner Herzogstadt und Schauplatz der Gefangennahme Herzog Ludwigs 1292, beweist schon den demonstrativen Charakter des Schauspiels, das den Bewohnern jenes Teils der Territorien der Meinhardiner, in dem die Herrschaft der Herzoge am wenigsten gefestigt war, sinnfällig Macht und Möglichkeiten der Landesherren zum Ausdruck bringen sollte« (J. Riedmann). Der Zeitpunkt der Festlichkeit war sorgfältig gewählt, nämlich-wenige Monate nach dem durch die Meinhardiner entschei- dend geförderten Sturz König Adolfs und der Wahl des Schwagers, Albrechts I. von Öster-

reich, zum deutschen König. Der Hoftag manifestierte die Legalität der Herrschaft der Brüder über Kärnten, als deren Garant Albrecht II. auftrat und sieben Monate später durch Verlei- hung des Herzogtums an die Meinhardiner ihren Abschluß fand".

Die drei Kärntner Herzoge waren übrigens zu Pfingsten 1297 in Prag bei der mit großem Aufwand erfolgten Krönung König Wenzels II. und seiner Frau Guta, der Schwester Albrechts I., anwesend, ebenso der Erzbischof von Mainz, die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg sowie der Habsburger Albrecht I. Die Steirische Reimchronik (69458 ff. ) weiß zu berichten, daß beim Krönungsfest der Aufstand gegen König Adolf geplant wurde 10. Da die anwesenden Fürsten mit Adolfs Regierung unzufrieden waren, forderte Albrecht I. zum Krieg

7 MARTIN, Die Regesten der Erzbischöfe (wie Anm. 6), Nr. 251, S. 252,273. Das Quintanaspiel oder richtiger das Quintanastechen war ein Zielritt auf ein Objekt, das, sich trotz seiner verschiedenartigen Ausgestaltung auf die Grundform des palus zurückführen läßt; CLAUDIA FRÄSS-EHRFELD, Geschichte Kärntens, 1: Das Mittelalter (Klagenfurt 1984), S. 317,323 f.; NORBERT HUMBURG, Städtisches Fastnachts- brauchtum in West- und Ostfalen (=Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland 5, Münster 1976), S. 84f.; LEOPOLD KRETZENBACHER, »Ritterspiel und Ringreiten im europäischen Südosten«, in: Südost- Forschungen 22 (1963), S. 437-455. 8 MARTIN, Die Regesten der Erzbischöfe (wie Anm. 6), Nr. 254, S. 256,257; HARRY KÜHNEL, . Die gemalten Grabdenkmäler von Herzog Philipp von Kärnten und Heinrich Graf von Salm im Chor der ehemaligen Dominikanerkirche in Krems«, in: Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege 21 (1967), S. 103f. 9 JOSEF RIEDMANN, Die Beziehungen der Grafen und Landesfürsten von Tirol zu Italien bis zum Jahre 1335 (=Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Phil. hist. Kl. 307, Wien 1977), S. 288,290, Anm. 25. 10 URSULA LIEBERTZ-GRÜN, Das andere Mittelalter. Erzählte Geschichte und Geschichtskenntnis um 1300 (München 1984), 5.161.

Page 5: T)b - mgh-bibliothek.de · 2 JACQUEs HEERS, Fetes des fous et Carnavals (Paris 1983); deutsche Ausgabe: Vom Mummenschanz zum Machttheater. Europäisdie Festkultur im Mittelalter (Frankfurt/Main

74 HARRY KÜHNEL

gegen den König auf und stellte seine Nachfolge in Aussicht; König Adolf wurde im Juni 1298 von den Kurfürsten abgesetzt. Die kriegerische Auseinandersetzung fiel zugunsten Albrechts aus, wobei Herzog Heinrich von Kärnten in der wichtigen Schlacht bei Göll- heim in der Nähe von Worms auf habsburgischer Seite das erste Treffen führte und erfolgreich war". Das Krönungsfest wurde solcherart zur Keimzelle des Widerstands gegen den herrschenden König und zum auslösenden Moment eines politischen Umsturzes, des-

sen angestrebtes Ziel durch die beim Fest erzielte Solidarität der Fürsten realisiert werden konnte.

Herzog Rudolf IV. von Österreich, der Schwiegersohn Kaiser Karls IV., der ein außer- gewöhnliches Sendungsbewußtsein entwickelte und Religiosität, Kunst und Bildung als politische Manifestationen zu nützen verstand 12, hat im schweizerischen Raum, insbeson- dere in Basel, durch seine höfischen Feste den wirtschaftlich bedrängten Adel um sich geschart. Am großen Lehenhof vom Jänner 1361 in Zofingen verstand es Rudolf, Kampf- spiele und Festbetrieb mit landesfürstlicher Politik zu verbinden. Rudolf IV. gelang es, eine Reihe einflußreicher, führender Persönlichkeiten Luzerns und der Urschweiz für seine landesfürstlichen Interessen zu gewinnen, so daß es möglich schien, zum einen mit der Hilfe Luzerns noch einmal in den Waldstätten Fuß zu fassen, zum anderen aber Luzern nicht anders als Zürich zu behandeln. Luzern sollte zum Vorort der landesfürstlichen Territorialpolitik Rudolfs gemacht werden, sollte die Gelegenheit zu einem neuen Vorstoß in die Urschweiz bieten und dadurch eine Einflußnahme auf die eidgenössische Politik gewährleisten ".

Das Turnier aus Anlaß der Fastnacht im März 1454 in der Stadt Nürnberg reflektiert das Kräfteverhältnis zwischen der Reichsstadt und dem Markgrafen Albrecht Achilles von Brandenburg-Ansbach, zudem erhielten diese ritterlichen Spiele den Charakter eines festli- chen Abschlusses einer langandauernden Fehde, des sogenannten »Markgrafenkrieges«. Markgraf Albrecht Achilles hatte im Juni 1449 der Stadt Nürnberg einen Absagebrief geschickt, weil man dem ihm zustehenden kaiserlichen Landgericht Abbruch tue und Kon- rad von Heideck in den Dienst der Reichsstadt getreten war und begonnen hatte, mit deren Hilfe Eisenerz abzubauen. Die Kampfhandlungen wurden in der Form eines zermürbenden Kleinkrieges geführt, einige diplomatische Verhandlungen zur Beilegung des Konfliktes schlugen fehl. Unter Vermittlung Herzog Ludwigs von Bayern-Landshut wurde im April 1453 ein Friedensvertrag abgeschlossen, der die politische Selbständigkeit und die Hoheits- rechte Nürnbergs sicherte14. Im Februar 1454 wandte sich Markgraf Achilles an den Nürn- berger Rat, um in der Reichsstadt Fastnacht feiern zu können, und nach Gewährung von Sicherheit und Geleit fand am 3. März ein Stechen und ein scharfes Rennen statt, an denen

11 FRÄSS-EHRPELD, Geschichte Kärntens (wie Anm. 7), S. 363. 12 FERDINAND SEIBT, »Probleme eines Profils«; RUDERT FEUCHTMULLER, »Die Imitatio in den Stiftun- gen der Habsburger«, beide in: Kaiser KarlIV. Staatsmann und Mäzen, hg. von FERDINAND SEIBT (München 1978), S. 20,378ff., 382f., 385f. 13 WERNER MEYER, Hirsebrei und Hellebarde. Auf den Spuren des mittelalterlichen Lebens in der Schweiz (Olten/Freiburg i. Br. 1985), S. 288; ERNST KARL WIN-rER, Rudolph IV. von Österreich 2 (Wien 1936), S. 37-39. 14 GERHARD HIRSCHMANN, »Zeitalter des Markgrafen Albrecht Achilles«, in: Nürnberg - Geschichte einer europäischen Stadt, hg. von GERHARD PFEIFFER (München 1971), S. 116-118.

Page 6: T)b - mgh-bibliothek.de · 2 JACQUEs HEERS, Fetes des fous et Carnavals (Paris 1983); deutsche Ausgabe: Vom Mummenschanz zum Machttheater. Europäisdie Festkultur im Mittelalter (Frankfurt/Main

SPÄTMITTELALTERLICHE FESTKULTUR 75

von markgräflicher und nürnbergischer Seite je zwölf Helme beteiligt waren. Beide Parteien setzten je ein Kleinod als Preise aus. Der Abschluß des Krieges wird in Rüxners Turnierbuch von 1532 (fol. 158ff. ) als Anlaß des ausgewogenen Turniers erwähnt15.

Das Große Fest zu Freiburg, das auf Einladung von Albrecht VI. von Österreich in der Zeit

vom 3. bis B. Juli 1454 gefeiert wurde, war eine Huldigung an Herzog Philipp den Guten von Burgund, der sich auf der Rückreise von dem nach Regensburg einberufenen Reichstag befand, einer Versammlung der Könige und Fürsten Europas, die nach dem Fall von Konstantinopel für einen Heerzug gegen die Türken gewonnen werden sollten 16. Damals

waren in Freiburg außer dem Burgunderherzog noch jener von Österreich, die bayerischen Herzoge und die Pfalzgrafen Otto und Ludwig, Markgraf Albrecht Achilles von Branden- burg, die Markgrafen Karl und Bernhard von Baden und sechs weitere Fürsten anwesend. Mit ihrem Gatten Albrecht weilte auch die Markgräfin Mechtild - oder wie sie in den burgundi-

schen Quellen genannt wird Madame d'Austerice - in Freiburg. Einige Kriterien sprechen dafür, daß diese festliche Zusammenkunft dazu benutzt wurde, um Vorgespräche über die Gründung der Universität in Freiburg zu führen, und daß Albrechts Gattin Mechtild bei der Vorbereitung der Universitätsgründung eine große Rolle gespielt haben dürftet'. Zu diesem Zeitpunkt hatte AlbrechtVI. bereits Beziehungen zu dem damaligen Heidelberger Universi-

tätslehrer und späteren Gründungsrektor der Universität `Freiburg, Matthäus Hummel,

geknüpft. Ein Jahr später, seit dem 20. Juni 1455, ist dieser bereits als Rat im Kreise Albrechts

nachweisbar; geraume Zeit zuvor, am 20. April 1455, war bereits durch Papst Kalixtlll.

aufgrund einer Supplik Albrechts VI. die Genehmigung zur Universitätsgründung erteilt worden. Berücksichtigt man die längere Planung und Vorbereitung für eine solche Gründung,

muß der Erzherzog spätestens im Frühjahr 1455 die Vorlage des Gesuches in Rom veranlaßt haben 18. Das Große Fest implizierte nicht allein gesellschaftliche Veranstaltungen, darunter

ein Turnier, sondern war auch die Plattform zur Gründung einer Hohen Schule, die für den im Entstehen begriffenen-Territorialstaat eine Erhöhung des Prestiges bedeutete und zudem die Möglichkeit bot, Universitätsprofessoren als Ratgeber heranzuziehen.

Die städtische Fastnacht, die zuweilen im 15. Jahrhundert den Charakter eines disziplinier- ten und öffentlich finanzierten Volksfestes annahm, diente einige Male auch politischen -und wirtschaftlichen Zielen. Die vom Rat der Stadt Luzern 1477 ausgesprochene Einladung an die Untertanen und Ämter sollte im Rahmen eines Festes die Solidarität der Eidgenossen bekunden, denen es gelungen war, 'die Pläne des Burgunderherzogs Karls des Kühnen zum Scheitern zu bringen. Die delegierten Ausschüsse und Gesellschaften wurden mit Wein geehrt,

15 THoMAS Zorz, Adel, Bürgertum und Turnier in deutschen Städten vom 13. bis 15. Jahrhundert«, -in: Das ritterliche Turnier imn Mittelalter, hg. von JOSEF FLECKENSTEIN (Göttingen 1985), S. 470f.; HARRY KUHNEL, »Die städtische Fastnacht im 15. Jahrhundert. Das disziplinierte und öffentlich finanzierte Volksfest«, in: Volkskultur des europäischen Spätmittelalters, hg. von PETER DINZELBACHER und HANs- DIE"rER MUCK (Stuttgart 1987), S. 118. 16 HENNY GRÜNEISEN, Quellen über die Reise Herzog Philipps des Guten zum Regensburger Reichstag von 1454 (=Deutsche Reichstagsakten, Altere Reihe 19,1,1969), S. 160-193. 17 BERENT SCHWINEKÖPER, »Das >Große Fest( zu Freiburg (3. -8. Juli 1454)«, in: Geschichte, Wirtschaft, Gesellschaft. Festschrift für Clemens Bauer zum 75. Geburtstag (Berlin 1974), S. 83 f. 18 SCHWINEKÖPER, »Das )Große Fest' zu Freiburg« (wie Anm. 17), S. 86, Anm. 34; MICHAEL BOR- cOLTE, »Die Rolle des Stifters bei der Gründung mittelalterlicher Universitäten, erörtert am-Beispiel Freiburgs und Basels«, in: Basler Zeitschrift für Geschicht und Altertumskunde 85 (1985), S. 94f. '

Page 7: T)b - mgh-bibliothek.de · 2 JACQUEs HEERS, Fetes des fous et Carnavals (Paris 1983); deutsche Ausgabe: Vom Mummenschanz zum Machttheater. Europäisdie Festkultur im Mittelalter (Frankfurt/Main

76 HARRY KOHNEL

man bot allerlei Kurzweil und beglich die Kosten für Unterbringung und Verpflegung aus dem Stadtsäckel. -

Der Versuch zur Regelung eines ökonomischen Problems wurde bei der Fastnacht in St. Gallen 1484 durch eine Konstanzer Delegation unternommen. Die Gäste vom Bodensee baten die St. Galler Bürger, die Konstanzer Leinwand zu beschauen und die Bleiplombe mit dem Buchstaben G anzubringen. Auf diese Weise sollte der seit dem Konstanzer Konzil zum Erliegen gekommene Leinwandhandel wieder aktiviert werden, wobei die Konstanzer argu- mentierten, daß auch die Bürger von Bischofszell und Wil im Besitz eines solchen Privilegs

wären. Das Ansinnen wurde von St. Gallen abgelehnt-wie schon drei Jahre zuvor bei einem Freundschaftsbesucht in Konstanz 19.

Die politische Zielsetzung von Fastnacht und Turnieren wird besonders deutlich bei zwei Festen, der Fastnacht zu Offenburg im Jahre 1483 und dem Turnier von Regensburg 1487. Kurfürst Philipp von der Pfalz hatte eine Einladung zu einem dreitägigen Turnier am Fastnachtsonntag 1483 ausgesprochen, der der Adel zahlreich Folge leistete, in der Mehrzahl

aus dem Südwesten des Reiches. Das Offenburger Turnier gestaltete sich zu einer Reaktion des Adels auf Veränderungen an der West- und Ostgrenze des Reiches und speziell im Oberrheingebiet. Der dadurch bei der politischen Führungsschicht hervorgerufenen Unsi-

cherheit versuchte man beim Turnier durch Konsultationen gegenzusteuern. Eugen Hillen- brand hat den überzeugenden Nachweis erbracht, daß »Fragen von brennender Aktualität«, die das Reich, die Landesherrschaft und die bürgerliche Selbstverwaltung betrafen, Anlaß zur Fastnacht von Offenburg waren20. Zum einen befand sich das Haus Habsburg und damit die Reichsherrschaft in einer tiefenýKrise, die dazu geführt hatte, daß der ungarische König Matthias Corvinus gegen Wien zog und den Kaiser zur Flucht aus seiner Residenz nach Innsbruck zwang. Die politische Ohnmacht bestätigte auch der Vertrag von Arras vom Dezember 1482, mußte doch Maximilian I. auf die Regentschaft in den Landen Marias von Burgund und auf die Vormundschaft über seine Kinder verzichten. Zum anderen war ein Streit um ein neues Konzil ausgebrochen, verkündete doch Erzbischof Andreas ZamometiE im Münster zu Basel die Einberufung eines allgemeinen Konzils. In dieser gespannten Situation sprach der Pfalzgraf die Einladung in jenen Teil seines Herrschaftsgebietes aus, der Basel am nächsten lag. Ebenso traten im regionalen Bereich am Jahresende 1482 wichtige Veränderun- gen ein, die den Adel zwangen, die Territorialpolitik aufeinander abzustimmen und Konsul- tationen zu pflegen21. »Die große Fastnacht in Offenburg bot mehr als das bunte Bild spätmittelalterlicher Adelskultur, mit schimmernden Ritterrüstungen und schwingenden Fah- nen. Ritterliche Schaukämpfe und höfische Gesellschaftsrituale waren nur das Spiel an der Rampe. Im Hintergrund hinter der von Mone gerügten Luxusfassade, vollzog sich das

spannungsreiche Ringen der Führungsschichten um ernsthafte politische Ziele«22.

19 LEO ZEHNDER, Volkskundliches in der älteren schweizerischen Chronistik (=Schriften der Schweizeri- schen Gesellschaft für Volkskunde 60,1976), S. 323,8.10; S. 257,3.4.; FRIEDRICH WIELAND, Das Konstanzer Leinengewerbe (=Konstanzer Rechtsquellen 2, Konstanz 1950), S. 15-39, bes. 38. 20 EUGEN HILLENBRAND, »>Die große faßnacht zu Offenburg( im Jahre 1483«, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 131 (1983), S. 271-288. 21 HILLENBRAND, »>Die große faßnacht zu Offenburg<« (wie Anm. 20), S. 274f., 277; Zorz, »Adel, Bürgertum und Turniere in deutschen Städten« (wie Anm. 15), S. 469. 22 HILLENBRAND, »>Die große faßnacht zu Offenburg<« (wie Anm. 20), S. 287f.

Page 8: T)b - mgh-bibliothek.de · 2 JACQUEs HEERS, Fetes des fous et Carnavals (Paris 1983); deutsche Ausgabe: Vom Mummenschanz zum Machttheater. Europäisdie Festkultur im Mittelalter (Frankfurt/Main

SPÄTäIITTELALTERLICHE FESTKULTUR 77

Die Stadt Regensburg erlebte im 14. Jahrhundert durch Handelsbeziehungen nach Italien und nach dem Osten eine Prosperität, die im Laufe des 15. Jahrhunderts verloren ging, vor allem durch die mächtige Konkurrenz von Nürnberg und Augsburg. In dieser mißlichen Wirtschaftslage suchte der Rat der Stadt die Unterstützung Herzog Albrechts IV. von München, und in dem am 13. Juli 1456 abgeschlossenen Vertrag unterwarf sich Regensburg der Herrschaft des Herzogs, woran sich gewisse Hoffnungen knüpften, plante doch Albrecht IV. die Verlegung der Residenz von Straubing nach Regensburg und die Gründung einer Universität. Abermals war es ein Turnier, das diese neue politische Situation manife- stierte. Zu Maria Lichtmeß 1457 fand über Drängen des Rates von Regensburg im Beisein der Herzöge Albrecht und Georg des Reichen ein großes Turnier statt 23, gleichsam als Zeichen der politischen Identität zwischen Regensburg und dem neuen Landesherren und der Bekun- dung einer neuen Solidarität, zugleich ein Spiegel der veränderten Machtverhältnisse. Die zahlreiche Ritterschaft (230 Helme) sowie der Glanz des Turniers waren Propagandamittel für die Veranstalter und die neuen Souveräne24.

Als »politisches Schauspiel« kann man jenen Festakt apostrophieren, bei dem in Venedig in Form eines Schauspiels eine Seeschlacht nachvollzogen wurde. Herzog BogislausX. von Pommern trat 1497 eine Pilgerreise nach Jerusalem an; das von den Venezianern bereitgestellte Pilgerschiff wurde bei Modon von türkischen Seeräubern angegriffen, und der Herzog mußte sich mit einem Bratspieß verteidigen. Der mörderische Kampf fand in Italien und Deutschland

große Beachtung, selbst 1519 hat noch Ludwig Tschudi aus Glarus auf seiner Pilgerreise davon

erzählen gehört''. Die Einzelheiten des Kampfes mußten in Venedig bald bekannt geworden sein, wurde doch der im Kampf mit den Türken siegreiche Herzog nach seiner Rückkehr vom Dogen mit großen Ehren empfangen und die blutige Seeschlacht in ein Schauspiel umfunktio- niert. Empfang und Schauspiel werden als politisches Instrumentarium eingesetzt: Der Sieg über die Ungläubigen ruft ein christliches Wir-Gefühl hervor und demütigt die Besiegten, gleichzeitig standen handfeste wirtschaftliche Interessen auf dem Spiel, weil die Venezianer im östlichen Mittelmeer ungestört Handel treiben wollten und auch aus den Pilgerreisen erhebli- che Gewinne gezogen haben. Da die Türken durch den Überfall den Frieden gebrochen hatten, wird dieses Unrecht im Schauspiel öffentlich angeprangert und zugleich das Ansehen und die Unabhängigkeit Venedigs hervorgehoben. Bogislaus X. wurden noch zahlreiche Ehrungen zuteil, wurde er doch durch Papst AlexanderVI. empfangen und durch Verleihung eines Herzoghutes und eines goldenen Schwertes ausgezeichnet. Maximilian I. ließ ihm ein golddurchwirktes Gewand übersenden, die deutschen Studenten in Bologna und die Unterta- nen des Herzogs bereiteten diesem in Stettin einen feierlichen Empfang. Bogislaus galt als Symbol des christlichen Selbstwertgefühls26. Venedig verfügte übrigens über ein reichhaltiges Repertoire von Veranstaltungen, um jeweils Macht, solidarische Bande oder politische Absichten zu visualieren. Schon im Sommer 1469 war in Form einer Prozession ein Sieg über die Türken gefeiert worden, und 1485 inspirierte der Friedensschluß mit dem Königreich

23 ZoTz, »Adel, Bürgertum und Turnier in deutschen Städten (wie Anm. 15), S. 469f. 24 Vgl. MAURICE KEEN, Das Rittertum (München-Zürich 1987), S. 323. 25 REINHOLD RÖHRICHT, Deutsche Pilgerreisen nach den: Heiligen Lande (Innsbruck 1900, Neudruck München 1967), S. 192f. 26 HARRY KUHNEL, »Integrative Aspekte der Pilgerfahrten, in: Europa 1500, hg. von FERDINAND SEIBT und WINFRIED EBERHARDT (Stuttgart 1986), S. 503f., 506.

Page 9: T)b - mgh-bibliothek.de · 2 JACQUEs HEERS, Fetes des fous et Carnavals (Paris 1983); deutsche Ausgabe: Vom Mummenschanz zum Machttheater. Europäisdie Festkultur im Mittelalter (Frankfurt/Main

78 HARRY KÜHNEL

Ungarn die Karnevalsspiele; 1494 marschierte die fahnenschwingende Jugend Venedigs in

einer Parade mit, um der Freude über eine siegreiche Auseinandersetzung mit den Ungläubi-

gen Ausdruck zu geben27. Die Türkengefahr gab übrigens auch den Anstoß zum berühmten Fasanenfest von Lille 1454.

Herzog Philipp der Gute hatte in geradezu verschwenderischer Weise als Ausdruck seines Ranges und seiner Würde - nach Rückkehr vom Reichstag in Regensburg, der sich gleichfalls mit der Bekämpfung der Türken befaßt hatte - zu einem Festbankett eingeladen. Ein Jahr nach der Einnahme Konstantinopels durch die Türken hegte Philipp von Burgund Kreuzzugspläne. Der fast sechzig Jahre alte Philipp legte das Gelübde ab, Mann gegen Mann mit dem Großtürken zu kämpfen, wenn es diesem behebe (LA MARCHE, Estat de la maison, II, 27,382)28. Die

anwesenden ritterlichen Gäste ließ er bei dem lebenden und mit einer goldenen Halskette behangenen Fasan beschwören, herausragende Taten gegen die Türken zu vollbringen. Zuvor hatte ein nach Art der Sarazenen gekleideter Riese die Halle betreten. »Er führte einen Elefanten,

auf dem eine weinende Frau saß - die Heilige Kirche - und ihre Unterdrückung durch die Ungläubigen beweinte« (M. Keen). Trotz des extravaganten Zuschnitts mangelte es nicht an seriösen Intentionen, auch wenn Philipp der Gute keinen Kreuzzug antrat. Dem sorgfältig geplanten Versuch einer ernsthaft ins Auge gefaßten Unternehmung sollte »ein Höchstmaß an schlagartigem Aufsehen« verliehen werden. Daß es sich nicht um eine leere Geste handelte, beweisen verschiedene Maßnahmen wie Einhebung von Steuern zur Deckung der Kriegskosten

und Versuche, die Probleme der Musterung, des Transports und des Nachschubs zu lösen29. Einer der letzten großen Fürstenhochzeiten des Abendlandes, der Landshuter Hochzeit

von 1475, kommt offensichtlich weitgehende politische und religiöse Bedeutung zu. Dies geht aus der staatsmännischen Rede hervor, die Markgraf Albrecht Achilles von Brandenburg in seiner Funktion als Hofmeister hielt. »Es sei eine Fügung Gottes, sagte er, daß das Brautpaar aus so weiter Ferne zusammengekommen sei, und er wünsche, daß diese Ehe der Christenheit und dem Reich zum Nutzen gereichen möge« (Erich Stahleder). Mit diesen Worten spielte der Markgraf auf die Bedrohung des Abendlandes durch die Türken an, und beide Länder, Bayern und Polen, sollten später entscheidend am Kampf gegen den Islam beteiligt sein. Die Anwesenheit Kaiser Friedrichs III. verlieh der Hochzeit den Status eines Staatsaktes. Er hatte diese Verbindung nach Kräften gefördert30, weil die Bekämpfung der Türken sein besonderes Anliegen war.

27 EDWARD MUIR, Civic Ritual in Renaissance Venice (Princeton 1981), S. 211,238; vgl. HEERS, Vom Mummenschanz zum Machttheater (wie Anm. 2), S. 22,222,344. 28 JOHAN HUIZINGA, Herbst des Mittelalters. Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden, hg. von KURT KaSTER (Stuttgart 1987), S. 109, 410, Anm. 17,442; Vgl. ERNST SCHUBERT, König und Reich. Studien zur spätmittelalterlichen Verfassungs- geschichte (Göttingen 1979), S. 346. 29 KEEN, Das Rittertum (wie Anm. 24), S. 326-328; HORST FUHRMANN, Einladung ins Mittelalter (München 1987), S. 249. 30 SEBASTIAN HIERETH, »Der wiederentdeckte Originalbericht des Klosterschreibers Hans Seybold über die Landshuter Hochzeit 1475 vom Jahre 1482«, in: Verhandlungen des Historischen Vereins für Niederbayern 102 (1976), S. 115-118; DERS., »Herzog Georgs Hochzeit zu Landshut im Jahre 1475«, in: Landshut in Wort und Bild 2 (Landshut 1965), 5.117; ERICH STAHLEDER, »Die Landshuter Hochzeit von 1475. Ein Familienfest der deutschen Aristokratie am Ende des Mittelalters«, in: Ausstellungskatalog Aus dem adeligen Leben im Spätmittelalter. Die Skaliger in Oberitalien und in Bayern (=Veröffentlichungen

zur Bayerischen Geschichte und Kultur 12, München 1986), S. 57.

Page 10: T)b - mgh-bibliothek.de · 2 JACQUEs HEERS, Fetes des fous et Carnavals (Paris 1983); deutsche Ausgabe: Vom Mummenschanz zum Machttheater. Europäisdie Festkultur im Mittelalter (Frankfurt/Main

SPÄTMITTELALTERLICHE FESTKULTUR 79

Jede Gesellschaft behauptet sich durch das Fest31, sei es der Adel oder die städtische Bürgerschaft, wobei Festlichkeiten auch die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse widerspie- geln. Der durch seinen Reichtum und seine Feste berühmte Heinrich der Erlauchte, Markgraf von Meißen und Landgraf von Thüringen, lud 1263 zu einem Turnier nach Nordhausen, an dem Ritter aus dem ganzen Reich teilnahmen. Dieses höfische Turnier bot die Möglichkeit, »seine Macht und Opulenz zu zeigen« U. Fleckenstein), ließ er doch auf dem Turnierplatz einen künstlichen Baum mit goldenen und silbernen Blättern errichten, die den Siegern als Preise winktenS2. Die scheinbare Verschwendung, die Freigebigkeit und prunkvolle Ausstat- tung wurde als angemessene Verwendung des adeligen Vermögens erachtet, und sie war eine lohnende Investition, um seine dignitas zur Geltung zu bringen, sich aber auch des Dienstes von Leuten zu versichern, von deren loyaler Unterstützung man abhängig war33. Die Anwesenheit einer großen Zahl von Rittern als Zuschauer verlieh diesem Turnier den Charakter eines honorabile spectaaulum und war Maßstab für Macht und Reichtum.

Die Ritterschaft scheint sich in wachsendem Maße der Herausforderung bürgerlichen Reichtums bewußt gewesen zu sein. Die ansteigende Popularität städtischer Turniere unter dem Stadtpatriziat, besonders in den Niederlanden und im Reich, läßt das eifrige Bemühen der bürgerlichen Führungsschicht erkennen, »ihre Wertschätzung ritterlicher Tugenden und verfeinerter Ritterlichkeit zu demonstrieren« (M. Keen)31. Die Einladung der Magdeburger kunstabelen, der bruderschaftlich zusammengeschlossenen nicht verheirateten Söhne der reichen Kaufleute, zum Gralsfest um 1280 vor den Toren der Stadt galt in erster Linie den Jünglingen in Goslar, Hildesheim, Braunschweig, Quedlinburg und Halberstadt, also der Jugend von Hansestädten, wie W. Störmer nachgewiesen hat, und stellt das Bemühen um eine einheitliche Haltung in der Handelspolitik unter Beweis35. Das selbstbewußte Patriziat feierte unter Anleitung des höfisch gebildeten und literarisch tätigen Brun von Schönebeck36 nach dem Vorbild ritterlicher Dichtung eine Tafelrunde - auf dem Festplatz wurde ein Baum gesetzt, dar hangen der kunstabelen sdiilde an, de in dein grale weren -, und dies nach bewährtem Muster zu Pfingsten und in ritterlicher Verkleidung37. Dieses erste Bürgerturnier, das in Deutschland bezeugt ist3S, stellt das Bemühen der jungen Kaufleute aus den genannten Städten dar, die Ritterschaft zu üben. Die starke erotische Dimension eines Turniers, das den höfischen Sittenkodex mitbestimmte und dem Ritter die Anerkennung des Liebesdienstes brachte, fehlte beim Magdeburger Gralsfest keineswegs, wurde aber zu wörtlich genommen,

31 HEERS, Vom Mummensdianz zum Machttheater (wie Anm. 2), S. 221. 32 JOSEF FLECKENSTEIN, »Das Turnier als höfisches Fest im hochmittelalterlichen Deutschland«, in: Das ritterliche Turnier im Mittelalter, hg. von JosEF FLECKENSTEIN (Göttingen 1985), S. 242f. 33 KEEN, Das Rittertum (wie Anm. 24), S. 331 f. 34 KEEN, Das Rittertum (wie Anm. 24), S. 140; SCHUBERT, König und Reich (wie Anm. 28), S. 345. 35 WILHELM STÖRMER, »König Anus als aristokratisches Leitbild während des späteren Mittelalters«, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 35 (1972), S. 961. 36 LunwiG WOLFF, »Das Magdeburger Gralsfest Bruns von Schönebeck«, in: Niederdeutsche Zeitschrift für Volkskunde 5 (1927), S. 204-206. 37 Die Ritteridee in der deutschen Literatur des Mittelalters: Eine kommentierte Anthologie, hg. von JÖRG ARENTZEN und UwE RUBERG (Darmstadt 1987), S. 212ff., Nr. 83; S. 273. 38 WOLFGANG MOHR, »Mittelalterliche Feste und ihre Dichtung«, in: Festschrift für Klaus Ziegler (Tübingen 1968), S. 58f.; HUMBURG, »Städtisches Fastnachtsbrauchtum in West- und Ostfalen« (wie Anm. 7), S. 89.

Page 11: T)b - mgh-bibliothek.de · 2 JACQUEs HEERS, Fetes des fous et Carnavals (Paris 1983); deutsche Ausgabe: Vom Mummenschanz zum Machttheater. Europäisdie Festkultur im Mittelalter (Frankfurt/Main

80 HARRY KÜHNEL

wurde doch die schöne Frau Feie, eine Dame von zweifelhaftem Ruf, als Preis ausgesetzt39 Die Ritterschaft reagierte auf diese bürgerliche Entwicklung, »indem sie das Prinzip der Turnierfähigkeit als ständisches Prinzip zur Anerkennung brachte« U. Fleckenstein)40. Künf- tig wurden nur Ritter, die ihre Abstammung belegen konnten, zu Turnieren zugelassen, und seit dem Ende des 13. Jahrhunderts fertigten Herolde Listen über die Wappen derer an, die an einem Turnier teilnehmen wollten41. Für die Söhne der Bürgerschaft war die Tafelrunde von Magdeburg hingegen die Demonstration einer wirtschaftlichen und sozialen Einheit.

Der soziale und politische Hintergrund von Turnieren wird bei jenem von Schaffhausen des Jahres 1436 recht deutlich, besitzen wir doch vom kastilianischen Edelmann Pero Tafur eine eingehende Schilderung. Über den Zweck der Turniere berichtet der weitgereiste Spanier: »Die Edelleute leben beständig in ihren Burgen und festen Häusern, und wenn sie sich nicht zu solchen Gelegenheiten versammeln könnten, so würden sie weder unter sich noch mit den Gesetzen des Rittertums bekannt. Ferner dienen die Turniere dazu, daß die Edelleute gezüchtigt werden, die ein schlechtes und unehrenhaftes Leben führen. Dann werden da Freundschaften geschlossen unter denen, die anderswo im Streit lagen. Da wird über Heiraten verhandelt und werden solche abgeschlossen. Und endlich, weil sie zwischen verbündeten Städten sitzen, halten sie Rat darüber, wie sie leben und sich den Städten und den mächtigen Orten gegenüber verhalten sollen«42. Gezüchtigt werden jene, die eine Witwe oder verheira- tete Frau beleidigt haben, von einer Dame übel gesprochen oder sie verleumdet haben, aber auch jene, die Vermögen oder Besitz eines Kindes an sich genommen oder aus Geldgier eine Bürgerliche geheiratet haben. - Bestraft wird auch, wer sich mit Städtern gegen Edelleute verbündet hat43. Das Turnier erhielt somit die Funktion eines innerständischen sozialen Regulativs, das gegen Ende des 15. Jahrhunderts noch eine weitere Differenzierung und Erweiterung erfuhr, stellt man etwa Vergleiche mit dem Turnier zu Heidelberg von 1482 an 44

Es gab aber auch willkommene Anlässe, Feste zur gesellschaftlichen Selbstdarstellung

umzufunktionieren. Für den Zeitraum von 1401 - mit einigen Unterbrechungen - bis 1450 sind für die Stadt Hildesheim regelmäßige Ausgaben zur Fastnacht für Musiker, Boten, Wächter, Baumeister, Gäste und Licht - verzeichnet. An den Umzügen der Schauteufel beteiligten sich nur Angehörige des gehobenen Bürgerstandes, Gilden und Zünfte waren ausgeschlossen. Das vom Bürgermeistersohn Henning Brandis verfaßte Diarium zum Jahre 1474 erwähnt die einheitliche, jährlich neu anzufertigende Kostümierung, die Begleitung der

39 Zorz, »Adel, Bürgertum und Turniere in deutschen Städten« (wie Anm. 15), S. 491 f. 40 JOSEF FLECKENSTEIN, »Das Turnier als höfisches Fest« (wie Anm. 32), S. 255; DERS., »Zum Problem der Abschließung des Ritterstandes«, in: Historische Forschungen für Walter Schlesinger (1974), S. 269ff. 41 KEEN, Das Rittertum (wie Anm. 24), S. 139f. 42 KARL STEHLIN, »Ein spanischer Bericht über ein Turnier in Schaffhausen im Jahr 1436«, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 14 (Basel 1915), S. 167. 43 KARL STEHLIN/RUDOLF THOMMEN, »Aus der Reisebeschreibung des Pero Tafur, 1438 und 1439«, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 25 (Basel 1926), S. 81 f.; WALTER SCHAUFELBERGER, Der Wettkampf in der alten Eidgenossenschaft (Bern 1972), S. 47f. 44 H. WIRTH, »Das Turnier zu Heidelberg«, in: Archiv für Geschichte der Stadt Heidelberg 1 (1868), S. 222f. Als Gründe für Züchtigung werden angeführt: Meineid, Flucht im Kampf, unehrenhafte Handlungen gegenüber Frauen und Jungfrauen, Wucher, Fürkauf, Straßenraub, Mord, Ehebruch und Zerstörung einer Kirche. Diese Auflistung läßt die zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Adels unschwer erkennen.

Page 12: T)b - mgh-bibliothek.de · 2 JACQUEs HEERS, Fetes des fous et Carnavals (Paris 1983); deutsche Ausgabe: Vom Mummenschanz zum Machttheater. Europäisdie Festkultur im Mittelalter (Frankfurt/Main

SPÄTMITTELALTERLICHE FESTKULTUR 81

Spielleute und den gemeinsamen Besuch des Gottesdienstes, und zwar in Anwesenheit des Rates und mit Empfang in Bürgerhäusern und auf dem Rathaus4S. Ähnliche Verhältnisse sind in Münster nachzuweisen, wo die in der Annen-Brüderschaft zusammengeschlossenen Bür-

gersöhne alljährlich zur Fastnacht prächtige einheitliche Kleidung verabredeten, anfertigen ließen und bei den Umzügen trugen. Nicht minder waren die weitgehend aus der städtischen Kasse finanzierten Fastnachtsumzüge in Lübeck kein zweckfreies kollektives Vergnügen,

sondern dienten vielmehr als Stütze der sozialen und politischen Macht der städtischen Oberschicht. Die hierfür notwendigen hohen Kosten riefen bei der übrigen Bevölkerung Gefühle des Neids und selbst des Hasses hervori6 und legen Zeugnis dafür ab, daß nicht alle sozialen Gruppen damit einverstanden waren, daß die Mächtigen versuchten, die Stadt durch das Fest zu regieren.

Das am 15. und 16. November 1508 auf dem Marktplatz zu Wittenberg ausgetragene Turnier, unterbrochen von einem Bankett mit Tanz, besitzt teilweise noch spätmittelalterli- chen Charakter, teils trägt es bereits Züge des Humanismus. Aus der Schilderung des kursächsischen Hofpoeten Georgius Sibutus weiß man, daß dem von Lukas Cranach in drei Holzschnitten dargestellten Turnier tags darauf ein festlicher Akt in der Schloßkirche folgte, bei dem Christoph Scheurl die ruhmvolle Gründung der Universität Wittenberg und des damit verbundenen Stiftes durch die sächsischen Kurfürsten behandelte, ebenso die Ausstat-

tung der Stiftskirche mit Kunstwerken, ganz im Sinne des Humanismus47. Turnier und Festakt bildeten gleichsam den prunkvollen Rahmen für die Verherrlichung des Kurfürsten Friedrich von Sachsen und seines mitregierenden Bruders Herzog Johann. Die spätmittelalter- liche Selbstdarstellung erfuhr auf diese Weise eine Umwandlung in eine humanistisch-höfische Repräsentation.

Eminent gesellschaftliche und politische Bedeutung kam in der alten Eidgenossenschaft den Schützenfesten zu. Die verbündeten Städte begannen um die Mitte des 15. Jahrhunderts

mit gegenseitigen Festbesuchen, so etwa eine Züricher Abordnung, die 1456 auf dem Wasserweg nach Straßburg kam - mit dem Ziel, dass solche friintlicie beruofung nit allein umb des schießens, sondern auch anderer früntlicher gespreche halb so diser schwebenden löuf (wegen) vorhanden, auch besdieen sin sollt -, oder die Einladung der Züricher Schützengilde

an jene von Luzern im Jahre 147245. Solche Feste förderten das Zusammengehörigkeitsgefühl

und den Gemeinschaftssinn. »Gegenseitige Besuche« - so formuliert Ludwig Schmugge - »der Talschaften und verbündeten Orte trugen zur helvetischen Integration bei und förderten das

gegenseitige Verständnis«49. Da diese Feste stets auch Anlaß zu athletischen Kämpfen wie Springen, Steinstoßen und Wettlaufen waren, trugen sie zur Wehrhaftigkeit der Bürgerschaft

45 KÜHNEL, »Die städtische Fastnacht« (wie Aran. 15), S. 119. 46 HUMtsURG, Städtisches Fastnachtsbrauchtum in West- und Ostfalen«, (wie Anm. 7), S. 55-57,61; RÜDIGER KROHN, Der unanständige Bürger. Untersuchungen zum Obszönen in den Nürnberger Fast- nachtspielen des 15. Jahrhunderts (Kronberg/Ts. 1974), S. 89. 47 DIETER KOEPPLIN%TILMAN FALK, Lukas Cranaci. Gemälde, Zeichnungen, Druckgraphik 1 (Basel- Stuttgart 1974), S. 192f., 219, Nr. 96, S. 227f., Nr. 110, S. 264, Nr. 164. 48 AUGUST EDELMANN, Schützenwesen und Schützenfeste der deutschen Städte vom 13. bis zum 18. Jahrhundert (München 1890), S. 109; SCHAUFELBERGER, Der Wettkampf in der alten Eidgenossenschaft (wie Anm. 43), S. 54. 49 LUDWIG SCHMUGGE, »Feste feiern wie sie fallen - Das Fest als Lebensrhythmus im Mittelalter«, in: Stadt und Fest, hg. von PAUL HUGGER (wie Anm. 2), S. 80f.

Page 13: T)b - mgh-bibliothek.de · 2 JACQUEs HEERS, Fetes des fous et Carnavals (Paris 1983); deutsche Ausgabe: Vom Mummenschanz zum Machttheater. Europäisdie Festkultur im Mittelalter (Frankfurt/Main

82 HARRY KÜHNEL

nicht unerheblich bei, überdies erfreute sich neben den Schießwettbewerben vor allem der Glückshafen, eine Art Lotterie, größter Beliebtheit. Die Armbrustschützen von Straßburg haben in ihrer Einladung an Bürgermeister und Rat von Lübeck 1473 mit Stolz auf den Wert der Preise sowohl für das Schießen wie für den Glückshafen in der Höhe von 800fl. bzw.

392 fl. hingewiesen50. In Schwäbisch-Gmünd hat sich ein Gemälde erhalten, das solche Preise für das Büchsenschießen des Jahres 1480 überliefert: zwei silbervergoldete verdeckte Becher

mit Fuß, neun Silberbecher mit vergoldetem Rand und zahlenmäßig nicht eruierbare silberne Schalen-". In Parenthese sei vermerkt, daß es bei diesen Schießwettbewerben auch zu Unfällen kam. 1485 wurde in Nürnberg eine junge Frau, die zusah, vom Kaufmann Prawnengel

unbeabsichtigt in den Hals getroffen und starb nach vier Wochen. Da aber schießen, rennen, stechen und stainwerfen freie Ritterspiele sind, ging der Schütze straffrei aus52. Die Schützen- feste in der Eidgenossenschaft dienten oftmals der Versöhnung, so zum Beispiel im Jahre 1447,

als die Züricher die Eidgenossen nach dem Zürichkrieg zu einem fastnächtlichen Schützenfest

einluden53. Das Freischießen von Zürich im Jahre 1504, das letzte große Volksfest der alten Eidgenossenschaft vor der Glaubensspaltung, wurde zur Aussöhnung mit den Süddeutschen

nach dem Schwabenkrieg veranstaltet, wobei es sowohl ein Armbrust- wie ein Büchsenschie- ßen gab, verbunden mit einem Glückshafen. Der politische Hintergrund tritt besonders deutlich beim Schützenfest in Zürich 1526 hervor, wollten doch Zürich und St. Gallen ihre

politische und religiöse Verbundenheit nachdrücklich dokumentieren". Gemeinsames Feiern der Schweizer Städte stiftete kollektive Identität und hat solcherart . mehr für ein gesamt- schweizerisches Nationalbewußtsein getan als das Pergament der Bundesbriefe«55.

Zur Zeit des Konstanzer Konzils hat ein Turnier besonders von sich reden gemacht, das

am 20. März 1415 zwischen dem Herzog Friedrich von Österreich und Friedrich Grafen von Cilli auf dem Usserfeld außerhalb der Stadtmauern abgehaltene Gestechsb, das politisch- religiöse Brisanz erhalten sollte. Papst Johannes XXIII., durch den 1411 zum deutschen König

erwählten Sigmund von Ungarn zu einer Synode auf deutschem Boden überredet, kam keineswegs in redlicher Absicht nach Konstanz, sondern trug sich mit dem Gedanken, nach Avignon zu reisen, um dem dort residierenden Gegenpapst BenediktXIII. entgegenzutreten und dessen Bestrebungen in Italien entgegenzuwirken. Bei seinem feierlichen Einzug in Konstanz, begleitet von neun Kardinälen, Vertrauten und Anhängern, versuchte Johan-

nesXXIII. sein rechtmäßiges Papsttum und seine Vormachtstellung zu demonstrieren S7. Da JohannesXXIII. vom künftigen Konzil in Konstanz aber um seine Stellung fürchten mußte,

50 GEORG STEINHAUSEN, Deutsche Privatbriefe des Mittelalters 2 (Berlin 1907), Nr. 58, S. 171-176. 51 HARTMUT BOOCKMANN, Stauferzeit und spätes Mittelalter. Deutschland 1125-1517 (Berlin 1987), S. 365. 52 SCHULTZ, Deutsches Leben im 14. und 15. Jahrhundert (wie Anm. 5), S. 444. 53 SCHMUGGE, »Feste feiern wie sie fallen« (wie Anm. 49), S. 82. 54 MARTIN BRUNDI, URSULA JECKLIN UND GEORG JÄGER, Geschichte der Stadt Chur 2 (Chur 1986), S. 236f.; ZEHNDER, Volkskundliches in der älteren schweizerischen Chronistik (wie Anm. 19), S. 233, Anm. 1 und 2; S. 236. 55 MEYER, Hirsebrei und Hellebarde (wie Anm. 13), S. 286. 56 GUSTAV FISCHLER, »Das Turnier Herzog Friedrichs von Österreich auf dem Konstanzer Konzil«, in: Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde NF 1 (1923/25), S. 122ff., 126f. 57 ELISABETH VAVRA, »Te deum laudamus - Kirchliche Feiern zur Zeit des Konstanzer Konzils (1414-1418)«, in: SCHULTZ (Hg. ), Das Fest. Eine Kulturgeschichte (wie Anm. 2), S. 129f.

Page 14: T)b - mgh-bibliothek.de · 2 JACQUEs HEERS, Fetes des fous et Carnavals (Paris 1983); deutsche Ausgabe: Vom Mummenschanz zum Machttheater. Europäisdie Festkultur im Mittelalter (Frankfurt/Main

SPÄTMITTELALTERLICHE FESTKULTUR 83

hatte er mit Herzog Friedrich von Österreich in Meran und dem Markgrafen von-Baden eine Vereinbarung getroffen, daß beide ihm ein jederzeitiges Verlassen des Konzils gewährleisten sollten5B. Die Durchführung des Turniers vor den Stadtmauern lenkte, die Aufmerksamkeit des Königs, der Fürsten und Konstanzer Bürger ab. Der Papst benützte die Gelegenheit zur Flucht, ohne den jungen, politisch unerfahrenen Herzog ins Vertrauen zu ziehen, so daß dieser von dem Ereignis offensichtlich überrascht worden ist. Die Unterstützung dieser Flucht durch Herzog Friedrich war zweifelsohne töricht und führte zur Verhängung der Reichsacht und in der Folge davon zum Verlust vieler Städte und Landesteile. König Sigmund, brutal und rücksichtslos in seinem Vorgehen, kam es darauf an, aus der Verwertung der eroberten österreichischen Länder möglichst hohen Nutzen zu ziehen und den Herzog, seinen einstigen Nebenbuhler um die Königskrone, möglichst tief zu demütigen. Die Unterwerfung des Herzogs vor dem König am 3. Mai wurde als Staatsaktion, als politisches Schauspiel insze-

niert. Die Demütigung erfolgte vor den Augen der Gesandten jener italienischen Republiken, die Sigmund beeindrucken wollte; die Begegnung mit dem Herzog war dermaßen geschickt arrangiert, daß sie den Eindruck der Zufälligkeit hinterließ".

Im Rahmen des Konstanzer Konzils fanden eine Vielzahl von außerordentlichen Festen statt, sei es in Form von Kirchenfesten oder Prozessionen, die die Bestrebungen und Erfolge des Konzils signalisierten; zudem boten sie dem Konstanzer Bürgertum auch die Möglichkeit, die religionspolitischen Entscheidungen als christliches Erlebnis nachzuvollziehen. Diese meist in kostbarer Kleidung und mit Gepränge vollzogenen Prozessionen - die »Wanderthea- ter der Geistlichen«, wie es Jacques Heers formulierte - verfehlten ob der Pracht nie ihre Wirkung, nicht zuletzt deshalb, weil auch die Bürger der Stadt und die anwesenden Gäste die durch das Konzil repräsentierte Christenheit verkörperten60. Ein solches in das Konzil eingebettetes Fest war die Überreichung der »Goldenen Rose« durch Papst Johannes XXIII. an König Sigmund, offensichtlich um das Wohlwollen des eigentlichen Herrn des Konzils zu gewinnen, wohl aber auch in Würdigung der großen diplomatischen Leistungen des Königs. Die Zeremonie der Übergabe vollzog sich am 5. März im Münster. Und nach der meß do gieng unser hailiger vater der bapst in die Pfallentz uf den ercker und mit ihm der kung und vil cardinal, ertzbisdiof und bisdiof und siben fürsten, und bot man den roßen heruß, das in menglich sechen modit, und gab der bapst den segen darmit61. Daraufhin ritt der König mit der Goldenen Rose in der Hand mit den Kurfürsten, Fürsten, Grafen, Rittern und Knechten durch die Stadt als Demonstration der ihm zuteil gewordenen Ehrung und stiftete die Rose auf dem Fronaltar des Münsters62.

58 KARL AUGUST FINK, »Das Konzil von Konstanz. Seine welt- und kirchengeschichtliche Bedeutung«, in: ULRICH RICHENTAL, Das Konzil zu Konstanz, Kommentar und Text bearbeitet von OTTO FEGER (Konstanz 1964), S. 12. 59 ULRICH RICHENTAL, Das Konzil zu Konstanz (wie Anm. 58), S. 191, Anm. 118 und 119, S. 195, Anm. 128, S. 196, Anm. 131. 60 WILHELM MATHIESSEN, Ulrich Richentals Chronik des Konstanzer Konzils«, in: Annuarium Historiae Conciliorum 17 (1985), S. 175f. 61 ULRICH RICHENrAL, Das Konzil zu Konstanz (wie Anm. 58), 5.186f., Anm. 106 und 107. 62 Die Verleihung der Goldenen Rose war seit dem 12. Jahrhundert gebräuchlich und stellte eine Ehrung vor allem von Fürsten und anderen hervorragenden Persönlichkeiten durch den Papst dar. Graf Eberhard im Bart von Württemberg erhielt zum Beispiel eine solche durch Papst Sixtus IV.; ULRICH RICHENTAL,

Page 15: T)b - mgh-bibliothek.de · 2 JACQUEs HEERS, Fetes des fous et Carnavals (Paris 1983); deutsche Ausgabe: Vom Mummenschanz zum Machttheater. Europäisdie Festkultur im Mittelalter (Frankfurt/Main

84 HARRY KÜHNEL

Eine organisierte Prozession vermittelte stets eine visuelle Vorstellung vom Zusammenhalt

weltlicher und geistlicher Würdenträger, sie ließ zudem die Stärke der solidarischen Bande

sichtbar werden. Am 23. April 1433 kam es auf dem Konzil zu Basel zu einer feierlichen Prozession, an der der 1433 zum Kaiser gewählte Sigmund, alle Kardinäle und das gesamte Konzil teilnahmen: es wurden christliche Einigkeit und Selbstvertrauen demonstriert. Voraus-

gegangen war eine kirchenpolitische Auseinandersetzung zwischen Vertretern des Basler Konzils, das sich als höchstes Repräsentationsorgan der Kirche verstand, und Papst Eugen IV., der mit der Bulle Quoniam alto vom 18. Dezember 1431 das Konzil aufzulösen versuchte. Mit diplomatischem Geschick war es den Baslern gelungen, die Forderungen des Konzils dem Papst abzuringen. Dieser mußte in juristisch klarer Form feststellen, daß »das Allgemeine Konzil von Basel seit seiner Eröffnung rechtmäßig bestanden und legitim fortgeführt wurde« (Werner Krämer, S. 227f. ). Zugleich mit seinem Einlenken hatte Eugen N. fünf Präsidenten für das Konzil ernannt, um seine Position in Basel zu stärken. Die Anerkennung aller vom Papst delegierten Präsidenten - dank des Eingreifens von Kaiser Sigmund - machte den

geringen politischen Spielraum des Konzils deutlich und war auslösendes Moment für die feierliche Prozession als christliche Selbstdarstellung. Realisten erkannten aber schon damals, daß sich der Erfolg des Konstanzer Konzils nicht wiederholen lassen würde6,.

Ein Gottesdienst am Grabe der hl. Elisabeth im Jahre 1326 in Marburg sei als Beispiel religiös- politischer Demonstration, als Exempel besonderer Verzahnung von Religion und Politik im Mittelalter abschließend erläutert. König Ludwig der Bayer veranlaßte ein Zusammentreffen

namhafter Adeliger an diesem heiligen Ort, bei dem der hessische Amtmann in Marburg, Johann

von Dembach, Burggraf Friedrich IV. von Nürnberg - einer der wichtigsten Anhänger König Ludwigs -, der Marburger Deutschordenskomtur Kuno von Dudelsdorf, Landgraf Otto von Hessen, Markgraf Ludwig von Brandenburg und Graf Johann I. von Ziegenhain zugegen waren. König Ludwig wollte die Teilnehmer an diesem kirchlichen Akte dauerhaft an sich binden, um für die Auseinandersetzung mit Papst Johannes XXII. Stärke und Rückhalt zu gewinnen. Dieses Ziel

vermochte er aber nicht zu erreichen, weil sich der Graf von Ziegenhain ebenso wie Landgraf Otto

von Hessen dem Papst zuwandte 64. Dieses Ereignis wurde geraume Zeit später, etwa 1330/40, zum Andenken an dieses festliche Treffen künstlerisch verewigt, besteht doch die Bekrönung des Gitters

um den Elisabethschrein aus den Figuren König Ludwigs und der erwähnten Adeligen, getrennt von Musizierenden, allesamt in Blech geschnitten und farbig gefaßt6S. Diese Darstellung läßt auf ein Fest schließen, zu dem auch Musikdarbietungen gehörten als Ausdruck einer ritterlich-höfischen Kultur

mit politischer Intention 66,

Das Konzil zu Konstanz (wie Anm. 58), S. 54, Anm. 17, S. 187, Anm. 106; BERNHARD SCHIMMELPFENNIG, Artikel »Goldene Rose«, in: Lexikon des Mittelalters 4 (1989), Sp. 1545. 63 ANDREA GATrARO VON PADUA, Tagebücher des Venetianischen Gesandten beim Konzil zu Basel (1433-1435) (=Basler Jahrbuch 1885, hg. von ALBERT BURCKHARDT und RUDOLF WACKERNAGEL), S. 35f.; WERNER KRÄMER, »Die ekklesiologische Auseinandersetzung um die wahre Repräsentation auf dem Basler Konzil«, in: Der Begriff der Repraesentatio im Mittelalter, hg. von ALBERT ZIMMERMANN (= Miscellanea Mediaevalia 8, Berlin-New York 1971), S. 225,227f. 64 HANS JOACHIM VON BROCKHAUSEN, »Eine religiös-politische Demonstration am Grabe der hl. Elisa- beth beim Deutschen Orden zu Marburg, 1326«, in: Studien zur Geschichte des Preußenlandes. Festschrift für Erich Keyser (Marburg 1963), S. 42-45. 65 HARTMUT BOOCKMANN, Der Deutsche Orden (München, 2. bearb. Aufl. 1982), S. 293 f., Abb. 5/6. 66 HORST FUHRMANN, Einladung ins Mittelalter (wie Anm. 29), S. 248.

Page 16: T)b - mgh-bibliothek.de · 2 JACQUEs HEERS, Fetes des fous et Carnavals (Paris 1983); deutsche Ausgabe: Vom Mummenschanz zum Machttheater. Europäisdie Festkultur im Mittelalter (Frankfurt/Main

SPÄTMITTELALTERLICHE FESTKULTUR 85

Spätmittelalterliche Feste boten zwar vordergründig Zerstreuung und Gelegenheit zum Ausbrechen aus dem Alltag, dem gewohnten Lebensrhythmus, insbesonders bei Turnieren, die

zumeist als sportliche Spektakel verstanden wurden, die am Rande von einem volkstümlichen Fest begleitet waren. Waffenübungen dieser Art dienten aber oftmals als Vehikel für politische und soziale Ziele, spiegelten die jeweiligen Machtverhältnisse und unterstrichen die integrativen Kräfte einer bestimmten Solidargemeinschaft. Die beabsichtigte Wirkung war durch den Öffentlichkeitscharakter solcher Feste gewährleistet, fanden doch Stechspiele und Turniere stets auf dominanten Plätzen in der Stadt vor großem Publikum und geladenen Gästen statt. Die Fastnacht erweckte zumeist den Eindruck eines zweckfreien kollektiven Vergnügens, wurde aber gerne zum Anlaß genommen, politische und wirtschaftliche Fragen einer Lösung zuzuführen. Die organisierten Prozessionen der Geistlichkeit brachten die sinnliche Erfahrung eines Festes

am deutlichsten zur Geltung und vermittelten eine visuelle Vorstellung von der Struktur der Kirche sowie der Macht und Kraft der christlichen Gemeinschaft. Das politische Schauspiel hingegen wie jenes von Venedig 1497 gehörte zu dem reichhaltigen Repertoire von Veranstaltun-

gen, das die Seerepublik hervorgebracht hatte, um Macht, solidarische Bande oder politische Absicht zu signalisieren.