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„TECHNISCH HÄTTEN WIR DEN ZIELTERMIN 2015 ERREICHT“ Daimler gilt als Pionier bei Elektrofahrzeugen mit Brennstoffzelle. Schon 1994 stellte das Unternehmen den ersten Prototypen vor, 1999 folgte eine A-Klasse mit Brennstoffzellenantrieb und Tank im Sandwichboden. Während viele Wettbewerber in dieser Zeit die Lust an der Brennstoffzelle verloren hatten und ihre Budgets anderweitig einsetzten, arbeitete Daimler weiter. 2009 begann die Produktion der B-Klasse F-Cell, allerdings nur in einer Kleinserie. Im Interview mit der MTZ erklärt Dr. Christian Mohrdieck, verantwortlich für die Brennstoffzellenaktivitäten bei Daimler, wie es mit der Serienfertigung von Brennstoffzellenfahrzeugen weitergehen wird. Dr. Christian Mohrdieck , geboren 1960 in Niebüll, begann nach dem Studium der Physik 1989 seine Berufslaufbahn in der For- schung der Daimler-Benz AG in Frankfurt. 1995 übernahm er die Leitung des Vorstandsbüros Forschung und Technologie in Stuttgart. Ab 1999 war Mohrdieck bei DaimlerChrysler in den USA für die Abteilung Brennstoffzellensysteme zuständig. Zurück in Deutschland, wurde er Leiter des Bereichs Strukturwerkstoffe der DaimlerChrysler-Forschung und ab 2003 Leiter Alternative Energie- und Antriebssysteme. 2005 übernahm er die Leitung des Bereichs Brennstoffzellen-Antriebssystementwicklung. Ab 2006 war er zusätzlich verantwortlich für die Lithium-Ionen-Bat- terieentwicklung bei der Daimler AG und wurde 2008 Leiter der Brennstoffzellen- und Batterie-Antriebsentwicklung. Seit 2012 ist Mohrdieck Leiter des Bereichs Antriebsentwicklung Brenn- stoffzellensystem im Ressort Konzernforschung und Entwicklung Mercedes-Benz Cars der Daimler AG. Er hat damit die Verantwor- tung für die Brennstoffzellen-Antriebsaktivitäten der Daimler AG einschließlich der Kooperationen. TITELTHEMA INTERVIEW 642

„Technisch hätten wir den Zieltermin 2015 erreicht“

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„TECHNISCH HÄTTEN WIR DEN ZIELTERMIN 2015 ERREICHT“Daimler gilt als Pionier bei Elektrofahrzeugen mit Brennstoffzelle. Schon 1994 stellte das Unternehmen den ersten

Prototypen vor, 1999 folgte eine A-Klasse mit Brennstoffzellenantrieb und Tank im Sandwichboden. Während viele

Wettbewerber in dieser Zeit die Lust an der Brennstoffzelle verloren hatten und ihre Budgets anderweitig einsetzten,

arbeitete Daimler weiter. 2009 begann die Produktion der B-Klasse F-Cell, allerdings nur in einer Kleinserie. Im

Interview mit der MTZ erklärt Dr. Christian Mohrdieck, verantwortlich für die Brennstoffzellen aktivitäten bei Daimler,

wie es mit der Serienfertigung von Brennstoffzellenfahrzeugen weitergehen wird.

Dr. Christian Mohrdieck , geboren 1960 in Niebüll, begann nach dem Studium der Physik 1989 seine Berufslaufbahn in der For-schung der Daimler-Benz AG in Frankfurt. 1995 übernahm er die Leitung des Vorstandsbüros Forschung und Technologie in Stuttgart. Ab 1999 war Mohrdieck bei DaimlerChrysler in den USA für die Abteilung Brennstoffzellensysteme zuständig. Zurück in Deutschland, wurde er Leiter des Bereichs Strukturwerkstoffe der DaimlerChrysler-Forschung und ab 2003 Leiter Alternative Energie- und Antriebssysteme. 2005 übernahm er die Leitung

des Bereichs Brennstoffzellen-Antriebssystementwicklung. Ab 2006 war er zusätzlich verantwortlich für die Lithium-Ionen-Bat-terie entwicklung bei der Daimler AG und wurde 2008 Leiter der Brennstoffzellen- und Batterie-Antriebsentwicklung. Seit 2012 ist Mohrdieck Leiter des Bereichs Antriebsentwicklung Brenn-stoffzellensystem im Ressort Konzernforschung und Entwicklung Mercedes-Benz Cars der Daimler AG. Er hat damit die Verantwor-tung für die Brennstoff zellen-Antriebsaktivitäten der Daimler AG einschließlich der Kooperationen.

TITELTHEMA INTERVIEW

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Interview

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MTZ _ Die Serienproduktion Ihres Brennstoffzellenfahrzeugs wurde nun schon einige Male verschoben, zuletzt von 2015 auf 2017. Warum?MOHRDIECK _ Technisch hätten wir den Zieltermin 2015 definitiv erreicht. Aller-dings haben wir mit der Entscheidung für 2017 einige ganz wesentliche Effekte berücksichtigt. Das war zum einen die Frage nach der Infrastruktur, die aus unserer Sicht erst 2017 adäquat ausge-bildet sein wird. Zum anderen erleben wir, wie alle anderen Automobilher-steller auch, eine relativ angespannte Situation bezüglich der eingesetzten Mittel. Daher sind wir eine neue Koope-ration mit Ford und Nissan eingegan-gen, um eine deutlich größere Stückzahl zu erreichen als wir das 2015 alleine erreicht hätten. Beide Unternehmen hat-ten in dem Zeitraum ein eigenes Serien-fahrzeug angepeilt.

Was macht Sie sicher, den neuen Zieltermin einzuhalten?Das ist vor allem der aktuelle Stand der Technik, zudem haben wir in den letzten Jahren ein gutes Verständnis dafür gewonnen, welche Stellhebel wir für die notwendige Kostensenkung bedienen müssen. Dies wirklich zu verstehen, hat uns einige Zeit und Arbeit gekostet. Das System für 2017 existiert heute schon in einem frühen Musterstadium. Im Grunde ist die Technologie also festgelegt. Jetzt geht

es darum, die Komponenten zu erproben und reif für die Serie zu machen.

Welche Stückzahlen erwarten Sie?Wir erwarten über den Lebenszyklus des Brennstoffzellen-Fahrzeugprojekts, zusammen mit den Einheiten der Koope-rationspartner, Stückzahlen im sechs-stelligen Bereich. Ab dieser Stückzahl kann man von einer Großserienfertigung sprechen, und das ist auch eine Stück-

zahl, die Kostensenkungen erlaubt. Unter dieser Schwelle wäre es schwierig, signifi-kante Kostenreduktionen zu erreichen.

Was wird das Fahrzeug kosten, wenn es 2017 kommt?Wir halten einen Preis in der Region eines Dieselhybridfahrzeugs für realis-tisch. Allerdings wird der Preis natür-lich auch von Randbedingungen – wie der Attraktivität im Markt – bestimmt, die heute noch schwer vorhersehbar sind. Die Technologie ist reif für den Markt. Wir müssen aber auch wirt-schaftlich denken. Daher auch die Ent-scheidung gegen eine weitere Kleinflotte und für die Serienfertigung mit hohen Stückzahlen.

Welche Stellschrauben für Kostensenkungen sehen Sie?In Bezug auf den Antriebsstrang inklusive Tank sehen wir insgesamt drei große Kos-tensenkungspotenziale. Zum einen ist das natürlich die Wahl der Materialen, bei-spielsweise für den Brennstoffzellenstack. Etwa die Reduzierung der Membranbela-dung mit Katalysatorwerkstoffen spielt hier eine entscheidende Rolle. Zum ande-ren bietet die Vereinfachung oder sogar der komplette Wegfall von Komponenten im System weitere Potenziale. So konnten wir unter anderem die Systemrezirkula-tion und den Membranbefeuchter deutlich kostengünstiger darstellen. Als dritter Stellhebel ist noch die „Kompaktifizie-rung“ zu nennen, die zu erheblichen Material- und somit auch zu Kosten- und Gewichtseinsparungen führt.

Warum kooperieren Sie mit Nissan und Ford?Dafür gibt es mehrere Gründe. Durch die Kooperation ergeben sich zum einen natürlich eindeutige Kostenvorteile auf Stückkostenebene. Ein weiterer positiver Effekt ist die Drittelung des Aufwands bei den Entwicklungsmitteln. Es ist jedoch nicht so, dass ein Partner Auf-tragsarbeit für die zwei anderen macht. Jede der drei Firmen hat langjährige Kompetenzen bei Brennstoffzellen ange-sammelt, die sich sehr gut ergänzen. Ein weiterer Vorteil ergibt sich in Bezug auf die Zulieferindustrie. Ein gemeinsames Projekt und das entsprechende Kommit-tent von drei Automobilherstellern gibt dieser ein hohes Maß an Planungssicher-heit. Ebenso senden wir so ein sehr viel deutlicheres Signal an die Infrastruktur-partner. Das ist viel überzeugender, als wenn nur ein OEM die Gespräche zu In frastrukturmaßnahmen führt.

Was erwarten Sie von der Politik?Ich wünsche mir von der Politik die Fest-legung technologieneutraler Anforderun-gen. Auch wünsche ich mir weiterhin eine Förderung neuer Technologien. Hier hat Deutschland aus meiner Sicht eine Vorreiterrolle eingenommen. Im jetzigen Stadium der Brennstoffzellenentwick-lung wäre es sehr wichtig, auch KMUs zu unterstützen. Denn ein großer Beitrag zur Kostenreduktion des Brennstoffzel-lensystems muss von den Komponenten-herstellern kommen. Hier könnten För-derprojekte helfen, Zulieferer, die häufig aus ganz anderen Branchen kommen, an die spezifischen Anforderungen der

„2017 wird die Wasser -

stoff-Infrastruktur adäquat

ausgebildet sein.“

Mohrdieck erwartet über den Lebenszyklus des Brennstoffzellen-Fahrzeugprojekts Stückzahlen im sechsstelligen Bereich

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Interview

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Automobiltechnik heranzuführen. Ein weiteres Thema ist der Aufbau der Infra-struktur. Mit einer Public-Private-Part-nership wie H2 Mobility haben wir einen guten Weg gefunden, alle Partner an einen Tisch zu bringen, auch die Politik. Glücklicherweise wurden in Deutschland für die ersten Wasserstofftankstellen Förderungen in die Wege geleitet und für künftige in Aussicht gestellt.

Wie realistisch ist das Ziel, 2017 ein flächendeckendes Wasserstoff-Tankstellennetz für Ihre Kunden anbieten zu können?Wenn das, was aktuell in der Planung ist, umgesetzt wird, ist es realistisch. Sicher-lich wird das Tanken von Wasserstoff dann noch nicht überall flächendeckend

möglich sein, aber in den Hauptballungs-zentren schon. Die 20 Tankstellen, die wir mit Linde zusammen aufbauen, werden wir so platzieren, dass man ab 2017 zur Einführung unserer Brennstoffzellenfahr-zeuge schon durch Deutschland fahren kann. Genau deshalb drängen wir auf die Umsetzung des Programms. Darüber hin-aus gibt es auch in anderen Ländern Ini-tiativen, wie England, Italien, Österreich und Skandinavien. Diese Planungen müs-sen allerdings auch umgesetzt werden. Das ist kein Selbstläufer, sondern man muss auch mit Nachdruck daran arbeiten.

Die Reichweite bei vorgegebener Größe des Tanks ist maßgeblich durch den Speicherdruck des Wasserstoffs bestimmt. Ist 700 bar die Grenze, oder wird man auf höhere Drücke gehen?Derzeit haben sich die Automobilunter-nehmen auf 700 bar als Quasi-Standard verständigt, und es gibt keine Bestrebun-gen, das zu ändern. Zudem halten wir höhere Drücke auch nicht für sinnvoll. 700 bar stellt das Optimum zwischen gravimetrischer und volumetrischer Spei-cherdichte dar. Wenn man den Druck erhöht, muss man die Tankwand deutlich dicker und den Tank selbst damit auch schwerer machen. Ein zweiter Kontra-punkt ist das Realgasverhalten von Was-serstoff. Bei höherem Druck nimmt die Speicherdichte nur unterproportional zu, eine weitere Druckerhöhung wird immer aufwendiger, ohne dass der Nutzen im gleichen Umfang zunimmt.

Welche Lehren aus der Kleinserienfertigung der B-Klasse mit Brennstoffzelle haben Sie für die Großserie gezogen?Insbesondere auf Seiten des Stacks haben wir gelernt, uns intensiv mit der Prozess-technologie zu beschäftigen. Verfahren, wie das Beschichten von Membranen oder das Aufbringen von Katalysatoren, waren bisher bei anderen Komponenten im Auto nicht üblich. Wir greifen heute wo immer möglich auf bekannte Techno-logien zurück, die ihre Automobiltaug-lichkeit schon bewiesen haben. Beispiel-weise ist die Bipolarplatte nun ein gepress-tes Edelstahlbauteil statt eine gefräste Kohleplatte. Wir haben gesehen, dass

Fertigungstechnologien früh im Prozess erprobt werden müssen, um Fehler zu er-kennen, denn die Fehlerbilder sind andere als gewohnt. Elektrochemische Vorgänge sind grundlegend anders als mechanische oder thermodynamische, wie sie im Ver-brennungsmotor stattfinden. Beim Testing geht es weniger um den typischen Fahr-zeugdauerlauf als um eine ereignisorien-tierte Erprobung, also beispielsweise wie viele Kaltstarts die Brennstoffzelle absol-viert hat.

Wird die Testphase dadurch wieder länger?Die Testlandschaft ist zwar eine andere, länger wird die Testphase nach unserer Erfahrung aber nicht. Die Lebensdauer der Brennstoffzelle wird durch ihre Che-mie unter anderem von einer zeitlichen Komponente bestimmt, und vor zehn Jahren lagen uns im Gegensatz zu heute noch keine Raff-Faktoren für beschleu-nigte Tests vor, um abschätzen zu kön-nen, was nach 5000 Betriebsstunden passiert. Um diese Extrapolation durch-führen zu können, mussten die Tests erst kalibriert werden.

Der Sandwichboden der A- und B-Klasse war Teil des Sicherheitskonzepts für Ihr Brennstoffzellenfahrzeug. Welches Packaging verfolgen Sie nach Wegfall der Plattform?Bei den neuen Fahrzeugkonzepten wer-den die Tanks ähnlich wie bei einem Erdgasfahrzeug in der Nähe der Hinter-achse untergebracht. Die Brennstoffzelle selbst, die ja auch im Sandwich unter-gebracht war, haben wir inzwischen so klein gemacht, dass sie gemeinsam mit dem dazugehörigen System eine zum Vierzylinder-Dieselmotor vergleichbare Kontur hat und somit in den Bauraum eines Verbrennungsmotors passt. Wir sind also nicht mehr auf den Sandwich-boden angewiesen. Zudem schaffen wir in Bezug auf das Crashverhalten Analo-gien zum Verbrennungsmotor. Bei einem Crash kommt es darauf an, Energie auf- und Beschleunigungen wegnehmen zu können. Die Kontur der Brennstoffzelle wurde durch die entsprechende Anord-nung weicher und harter Bauteile optimal angeordnet.

Herr Dr. Mohrdieck, herzlichen Dank für das Gespräch.

„Ein Preis in der Region

eines Dieselhybridfahrzeugs

ist realistisch.“

Branchenfremde Zulieferer von Brennstoffzellen müssen besser an die automobilspezifischen Anforderungen herangeführt werden, fordert Mohrdieck

INTERVIEW: Richard BackhausFOTOS: Uli Regenscheit

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