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Teil I: Weltordnung "Der Friedenszustand unter Menschen, die nebeneinander leben, ist kein Naturzustand (status naturalis), der vielmehr ein Zustand des Krieges ist, d.i. wenngleich nicht immer ein Ausbruch der Feindseligkeiten, doch immerwtihrende Bedrohung mit denselben. Er muJ3 also gestiftet werden; denn die Unterlassung der letzteren ist noch nicht Sicherheit dafiir, und ohne dass sie einem Nachbar von dem anderen geleistet wird (welches aber nur in einem gesetzlichen Zustan- de geschehen kann), kann jeder diesen, welchen er dazu aufgefordert hat, als einen Feind be- handeln"J. Nach dem kriegerischen 20. Jahrhundert mit seinen Millionen von Toten, Verwundeten und Vertriebenen hatte das 21. Jahrhundert sicher eine Friedensordnung verdienr. Allerdings ist niemand zu sehen, der eine solche Friedensordnung nicht nur konzipieren, sondern auch in die Realitat umsetzen konnte. Die UNO ist ohne eigene Streitkrafte hierfUr zu schwach, die Legitimationsgrundlage des Weltsicherheitsrates lasst durchaus zu wtinschen tibrig. Ob die gegenwartig diskutierte Reform der UNO, wenn sie denn zustande kommt, daran etwas andern wird, ist fraglich. Die USA waren zwar - zusammen mit ihren Verbtindeten - mach- tig genug, eine globale Friedensordnung durchzusetzen. Statt des sen verfolgen sie aber ihre eigenen imperialen Interessen. Eine Weltfriedensordnung auf der Basis der Menschenrechte und der Gleichberechtigung aller Nationen, die eine Unterwerfung des Empire Amerika unter diese Ordnung einschlieBen wUrde, passt nicht in das hegemoniale Konzept der USA. Zu erkennen sind bislang allerdings lediglich Umrisse einer neuen Weltordnung fUr das 21. Jahrhundert. Eines scheint jedoch bereits sieher zu sein. Neben den USA wird ein vermut- lich von China gefUhrtes Ostasien und moglicherweise ein GroBraum Eurasien - in Erwei- terung der heutigen EU urn Russland - eine zentrale Rolle spielen. Bei der Betrachtung der Weltordnung geht man traditioneller Weise von souveranen Staaten aus, die einen Teil ihrer Souveranitat auf internationale und gegebenenfa1\s auch auf supranationale Organisationen tibertragen haben. Allerdings bleibt bei dieser Sichtwei- se unberticksichtigt, dass es zum einen so gravierende Unterschiede zwischen den Staaten gibt, dass die (radikale) Schlussfolgerung nahe liegt, lediglich die Vereinigten Staaten ver- fUgten tiber die vo1\e Souveranitat, a1\e anderen Staaten hingegen mtissten mit einer abge- stuften Form von Souveriinitat vorlieb nehmen. Zum anderen ist zu bedenken, dass neben den Staaten neue Akteure als Global Player auf die Btihne getreten sind, wie z.B. internati- onale nichtstaatliche Organisationen (iNGOs), aber auch transnationale Konzerne, weltum- spannende Banken, Versicherungsgesellschaften und Finanzierungsfonds. Und drittens besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen Imperien einerseits und (gewohnlichen) Staaten andererseits. Dies hat umso nachhaltigere Folgen, wenn es sich - wie bei den USA - urn ein globales Imperium handelt. Da jedoch keinesfa1\s a1\e groBen Staaten imperialen Status haben und z.B. in Europa die relative Gleichgewichtigkeit der groBeren Staaten der Europaischen Union imperialen Ambitionen wenig Raum bietet, kommt fUr die Analyse machtiger Btindnisse, wie es die Europaische Union ist, das GroBraumkonzept in Betracht, I Kant 1794, S. 15 (Hervorhebungen von Kant seiber). 'Vgl. Voigt (Hrsg.) 2002.

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Teil I: Weltordnung

"Der Friedenszustand unter Menschen, die nebeneinander leben, ist kein Naturzustand (status naturalis), der vielmehr ein Zustand des Krieges ist, d.i. wenngleich nicht immer ein Ausbruch der Feindseligkeiten, doch immerwtihrende Bedrohung mit denselben. Er muJ3 also gestiftet werden; denn die Unterlassung der letzteren ist noch nicht Sicherheit dafiir, und ohne dass sie einem Nachbar von dem anderen geleistet wird (welches aber nur in einem gesetzlichen Zustan­de geschehen kann), kann jeder diesen, welchen er dazu aufgefordert hat, als einen Feind be­handeln"J.

Nach dem kriegerischen 20. Jahrhundert mit seinen Millionen von Toten, Verwundeten und Vertriebenen hatte das 21. Jahrhundert sicher eine Friedensordnung verdienr. Allerdings ist niemand zu sehen, der eine solche Friedensordnung nicht nur konzipieren, sondern auch in die Realitat umsetzen konnte. Die UNO ist ohne eigene Streitkrafte hierfUr zu schwach, die Legitimationsgrundlage des Weltsicherheitsrates lasst durchaus zu wtinschen tibrig. Ob die gegenwartig diskutierte Reform der UNO, wenn sie denn zustande kommt, daran etwas andern wird, ist fraglich. Die USA waren zwar - zusammen mit ihren Verbtindeten - mach­tig genug, eine globale Friedensordnung durchzusetzen. Statt des sen verfolgen sie aber ihre eigenen imperialen Interessen. Eine Weltfriedensordnung auf der Basis der Menschenrechte und der Gleichberechtigung aller Nationen, die eine Unterwerfung des Empire Amerika unter diese Ordnung einschlieBen wUrde, passt nicht in das hegemoniale Konzept der USA. Zu erkennen sind bislang allerdings lediglich Umrisse einer neuen Weltordnung fUr das 21. Jahrhundert. Eines scheint jedoch bereits sieher zu sein. Neben den USA wird ein vermut­lich von China gefUhrtes Ostasien und moglicherweise ein GroBraum Eurasien - in Erwei­terung der heutigen EU urn Russland - eine zentrale Rolle spielen.

Bei der Betrachtung der Weltordnung geht man traditioneller Weise von souveranen Staaten aus, die einen Teil ihrer Souveranitat auf internationale und gegebenenfa1\s auch auf supranationale Organisationen tibertragen haben. Allerdings bleibt bei dieser Sichtwei­se unberticksichtigt, dass es zum einen so gravierende Unterschiede zwischen den Staaten gibt, dass die (radikale) Schlussfolgerung nahe liegt, lediglich die Vereinigten Staaten ver­fUgten tiber die vo1\e Souveranitat, a1\e anderen Staaten hingegen mtissten mit einer abge­stuften Form von Souveriinitat vorlieb nehmen. Zum anderen ist zu bedenken, dass neben den Staaten neue Akteure als Global Player auf die Btihne getreten sind, wie z.B. internati­onale nichtstaatliche Organisationen (iNGOs), aber auch transnationale Konzerne, weltum­spannende Banken, Versicherungsgesellschaften und Finanzierungsfonds. Und drittens besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen Imperien einerseits und (gewohnlichen) Staaten andererseits. Dies hat umso nachhaltigere Folgen, wenn es sich - wie bei den USA - urn ein globales Imperium handelt. Da jedoch keinesfa1\s a1\e groBen Staaten imperialen Status haben und z.B. in Europa die relative Gleichgewichtigkeit der groBeren Staaten der Europaischen Union imperialen Ambitionen wenig Raum bietet, kommt fUr die Analyse machtiger Btindnisse, wie es die Europaische Union ist, das GroBraumkonzept in Betracht,

I Kant 1794, S. 15 (Hervorhebungen von Kant seiber). 'Vgl. Voigt (Hrsg.) 2002.

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allerdings kaum in der von Carl Schmitt konzipierten Form, die eher auf die europaische Situation wahrend des Zweiten Weltkriegs zugeschnitten war. Schmitt selbst hatte 1939 den Gro13raum als einen konkreten, geschichtlich-politischen Gegenwartsbegriff bezeich­nee.

1 Grundsatze

Die Weltordnungspolitik wird von drei Prinzipien beherrscht, die in unterschiedlicher In­tensitat in verschiedenen Epochen zum Ausdruck kommen: Souveranitat, Hegemonie und Universalitat. Wahrend die Souveranitat auf der Existenz von Staaten grtindet, die diese Letztentscheidungskompetenz wahrnehmen, deutet Hegemonie auf die Existenz einer He­gemonialmacht - gegebenenfalls in Gestalt eines Imperiums - hin, die den anderen Staaten tiberlegen ist und diese zu dominieren versucht. Universalitat hingegen findet sich zu ver­schiedenen Zeiten, in Europa z.B. im Mittelalter als geistliche Herrschaft des Papstes tiber die Christenheit, die als jeder weltlichen Herrschaft tiberlegen interpretiert wurde. Eine neuere Form von Universalismus wird dem gegentiber heute - in Ankntipfung an die fran­zosische Erklarung der Menschen- und Btirgerrechte von 1789 - mit der "Herrschaft" der Menschenrechte begrtindet (Stichwort: UN-Menschenrechtsregime4), mit deren Hilfe Ein­griffe in die Souveranitat von Staaten legitimiert werden, die in ihrem Territorium gegen­tiber ihren eigenen bzw. fremden Btirgern Menschenrechte verletzen oder solche Rechts­verletzungen tatenlos hinnehmen.

1.1 Souvertinittit

"Die Souveranitat ist der Schnittpunkt des Politischen mit dem Juristischen, der Entschei­dung mit der Norm, der Macht mit dem Recht"s. Die theoretischen Grundlagen fur das Souveranitatsdenken wurden von Jean Bodin bereits vor 430 Jahren in seinen "Sechs Bti­chern yom Staat" (1576) gelegt6: "Unter der Souveranitat ist die dem Staat eigene, absolute und zeitlich unbegrenzte Gewalt zu verstehen [ .. .]"7. Danach bedeutet Souveranitat die hochste Befehlsgewalt im Staate8, sie ist Ausdruck der hochsten Macht, der Einheit und Unteilbarkeit. Souveran ist, "wer allen Untertanen das Gesetz vorschreiben kann, tiber Krieg und Frieden entscheidet, die Beamten und Magistrate im Lande ernennt, Steuern erhebt, von ihnen befreit, wen er will, und zum Tode Verurteilte begnadigt"9. Aus der Sou­veranitat des Monarchen wurde bereits im Verlauf der Verfassungsdiskussion im Anschluss an die Franzosische Revolution von 1789 die Souveranitat der Nation und schliel3lich die V olkssouveranitat lO •

J Schmitt 1991, S II. 4 Siehe Kapitel 7 5 Steiger 1966, S. 19. 6 Bodins Buch erschien vier Jahre nach der blutigen Bartholomausnacht vom 24. August 1572., 7 Bodin 1981, S. 205 (Buch I, Kap. 8) 'Bodin 1981, S. 19. , Bodin 1981, S. 285 f. (Buch I, Kap. 10). 10 Vgl. Bockenforde 1976, S. 42-64; Kielmansegg 1977; Grimm 1987, S 53-83.

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Teil I: Weltordnung 27

Seither wird SouveraniHit in einem demokratischen Staat regelmaBig als Volkssouve­ranitat verstanden. Bereits in der Erklarung der Menschen- und Btirgerrechte yom 26. Au­gust 1789 wurde proklamiert: "Der Ursprung aller Souveranitat liegt seinem Wesen nach beim Volke. Keine Korperschaft, kein Einzelner kann eine Autoritat austiben, die nicht ausdrticklich hiervon ausgeht". Allerdings ist das Volk selbst nur beschrankt handlungsfa­hig, so dass die Volkssouveranitat der Organisation bedarf. Der Gedanke liegt daher nahe, in konsequenter Anwendung der Rechtsstaatskonzeption aus der Staatssouveranitat eine "Rechtssouveranitat" zu entwickeln, wie dies Hugo Krabbe 1906 in seiner Schrift "Die Souveranitat des Rechts" getan hat: "Die Theorie des Staatssouveranitat hat ihren Grund in der Vorstellung, dass die Gewalt in einem personlichen Befehlsrecht wurzele. Die Theorie der Rechtssouveranitat beruht auf dem Gedanken einer unpersonlichen, den Rechtsnormen eigenen GewaIt"Il. Hans Kelsen hat diesen Gedanken in seiner Reinen Rechtslehre zur Vollendung gebracht12. Damit korrespondiert die herrschende deutsche Verfassungstheorie, die Volkssouveranitat lediglich als Pramisse der geltenden Verfassung versteht, der zuneh­mend selbst "Souveranitat" zugeschrieben wird. "Demokratische Willensbildung wird [ ... ] durch die Interpretation ,souveraner', vorgegebener VerfassungsinhaIte ersetzt" 13. Das Volk "schafft erst den Verfassungsstaat oder schafft ihn ab, steht aber jedenfalls nicht in­nerhalb des Verfassungsstaates, so dass die These: 1m Verfassungsstaat gibt es keinen Sou­veran, unbertihrt bleibt,,14.

1.2 Hegemonie

Heinrich Triepel hat Hegemonie in seinem gleichnamigen Buch als "Ftihrungsverhaltnis zwischen einem Staate und einem oder mehreren anderen Staaten" definiert l5 . In seiner Skala der Machtgrade unterscheidet er verschiedene Stufen, die mit bloBem Einfluss begin­nen und mit Herrschaft enden. Hegemonie ist ein auBenpolitisches FtihrungsverhaIten, mit dem auf Dauer ein be stirn mender Einfluss auf die andere Seite ausgetibt werden S01l16. Voraussetzung ist die Anerkennung einer "Werttiberlegenheit": "Mindestens in einem poli­tisch wichtigen Werte, in militarischer, in wirtschaftlicher, in allgemein kultureller Bezie­hung ist jeder hegemonische Staat dem Gefolgsstaate tiberlegen"l7. Diese Oberlegenheit muss allerdings auch a\lgegenwartig sein. Dabei ist raumliche Distanz zumindest hinder­lich, spieIt aber im Zeichen der globalen Echtzeit-Kommunikation eine deutlich geringere Rolle. War es in frtiheren Zeiten die Prasenz der Hegemonialmacht in Gestalt von Festun­gen und AuBenposten auf dem Territorium des Gefolgsstaates, so sind es heute gegebenen­falls exterritoriale MilitarstUtzpunkte, Kulturinstitute, Kreditkartenanbieter (z.B. Amexco) und Intemetprovider (z.B. AOL), Genussmittel (z.B. Coca Cola), sportliche Erfolge und Mode, Filme, Femsehserien und Musikstticke, welche den Hegemon im Bewusstsein der Menschen in den Gefolgsstaaten allgegenwartig erscheinen lassen. Spielte damals das His­sen der Fahne des Hegemons eine besondere Rolle, so ist heute der Gebrauch bestimmter

II Krabbe 1906. S. 47. 12 Kelsen 1967. 13 Vgl. Maus 1991, S. 137-150 [140). 14 Kriele 1980, 113. 15 Triepel1961, S. 125. 16 Triepel1961, S 40. 17 Triepel1961, S. 154.

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Logos, welche die Prasenz des Hegemons verkorpern, weitgehend an dessen Stelle getre­ten l8 .

Triepel weist - unter Bezugnahme auf Rudolf Smend - darauf hin, dass Hegemonie nicht nur ein Machtmittel, sondern auch ein Mittel der Integration ist, denn Hegemon und Gefolgsstaat( en) bilden eine Einheit. In dem dadurch begrtindeten Schutz vor totaler Un­terwerfung liegt - nach Triepel - zugleich die sittliche Rechtfertigung der Hegemonie. Allerdings neigt der Hegemon dazu, seine Ftihrungsrolle zu tiberdehnen und in Herrschaft zu verwandeln. Denn ,jede Hegemonie entspringt dem Machtstreben eines an sich Machti­gen, genauer dem Willen, die Macht zu erweitern"19. Die Motive sind dabei nicht entschei­dend, es kann blo13er Machttrieb sein, kriegerischer Instinkt, das Bedtirfnis nach strategi­schen Sttitzpunkten oder nach wirtschaftlichen Vorteilen. Auch beim Gefolgsstaat gibt es verschiedene mogliche Motive flir die Anlehnung an den machtigen Staat. Dies kann, muss aber nicht unbedingt der Schutz vor einem machtigen Gegner sein. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage, wie sich Hegemonie und Souveranitat zueinander verhalten. Da Triepel sogar einen Staat, der einer auslandischen Herrschaft unterworfen ist, noch als sou­veran ansieht, namlich als letzte, schlechthin entscheidende Instanz flir seine Staatsbtirger, erscheint es als folgerichtig, dass nach seiner Ansicht der Souveranitatsbegriff flir hegemo­niale Verhaltnisse tiberhaupt keine Rolle spielt20 . Damit schie13t er jedoch tiber das Ziel hinaus. Das Hegemonialverhaltnis kann vertraglich festgeschrieben sein, z.B. in Gestalt eines Militarbtindnisses unter Ftihrung der Hegemonialmacht (NATO), es kann als hege­monialer Vorbehalt in den Verfassungen der Gefolgsstaaten niedergelegt sein (Art. 9 der japanischen Verfassung, Grundgesetz von 1949) und es kann rein inforrnell ausgestaltet sein.

1. 3 Universalism us

Der Gegensatz zum Universalism us ist nach Max Weber und Talcott Parsons der Partikula­rismus. Universalismus strebt nach AligemeingUltigkeit ethischer bzw. rechtlicher Werte (Stichwort: Menschenrechte). Die westlichen Werte, flir die - nicht zuletzt durch die UN­Charta - weltweite Gtiltigkeit postuliert wird, beruhen auf Aufklarung, Liberalismus, Indi­vidualismus, Humanismus und Wertrelativismus. Daraus ergeben sich bestimmte Anforde­rungen an die in der UNO zusammen geschlossenen Staaten, die nicht immer leicht zu erflillen und bei weitem nicht tiberal! auf der Welt realisiert sind. Dazu gehort neben dem staatlichen Gewaltmonopol vor allem Rechtssicherheit, demokratisches Wahlrecht, Schutz der Privatsphare sowie Meinungs- und Pressefreiheit. Von der Magna Charta des Jahres 1215 tiber die Bill of Rights von 1689, die amerikanische Verfassung von 1788 und die franzosische Verfassung von 1791 lasst sich eine Linie ziehen zur UN-Charta und zu der Allgemeinen Deklaration der Menschenrechte. Mehrfach wurde die Errichtung einer uni­versalistischen Weltordnung in Angriff genommen, nach dem Ersten Weltkrieg durch die Grtindung des Volkerbundes, der jedoch alsbald scheiterte und nach dem Zweiten Welt­krieg durch die Grtindung der UNO. Ausgangspunkte waren jeweils Erklarungen amerika-

18 Allerdings kann die Fahne, bzw. deren Farben und Zeichen, durchaus in solche Logos einbezogen werden (z.B auf T-Shirts etc.). 19 Triepel1961, S. 175. 20 Triepe/ 1961, S 143.

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nischer Prasidenten. 1918 war es Woodrow Wilson mit seinen 17 Punkten, die der kunftigen Ordnung zugrunde liegen sollten. 1941 war es Franklin D. Roosevelt mit seiner Atlantik­Charta, in der er - gemeinsam mit GroBbritannien - fur Amerika erklarte, dass es keine territoriale Veranderungen wUnsche, "die nicht im Einklang mit dem Willen der betreffen­den Volker stehen"21.

1.3.1 Durchsetzung der Menschenrechte

Wichtigster Inhalt einer universalistischen Weltordnung sind Menschenrechte als "Schutz­und Entwicklungsrechte, die bedingungslos fur aile Menschen an allen Orten gelten"22. Mit ihrer Hilfe soli der Mensch vor physischer und psychischer Gewalt geschUtzt werden. Aus der Sicht der Weltordnungspolitik sollen Menschenrechtsnormen der neuen Weltordnung moralische Orientierung bieten23 . Es ist also kein Zufall, dass die UNO neben ihrem traditi­onellen Aufgabenbereich, der Sicherung und Wiederherstellung des intemationalen Frie­dens, eine neue Aufgabe in den Vordergrund rUckt, den Schutz und die Durchsetzung der Menschenrechte. Es liegt aber auch auf der Hand, dass sich daraus leicht eine moralische Abwertung solcher Staaten ergeben kann, die nicht in der Lage oder nicht Willens sind, in ihrem Staatsgebiet fur die Durchsetzung der Menschenrechte zu sorgen. Handelt es sich urn funktionsfahige Staaten, dann werden sie unter Umstanden in die Rolle von "Schurkenstaa­ten" gedrangt, die allerdings zumeist wegen anderer "Verfehlungen", wie Aufbau eines eigenen Atomprogramms etc., ins Visier des Empire Amerika geraten sind. Handelt es sich urn schwache oder gar gescheiterte Staaten, dann wird die Losung oft in einer "humanitaren Intervention" der UNO, einer Koalition unter FUhrung der USA oder des Empire Amerika gesehen, mit der die "gute Ordnung" wieder hergestellt werden soil, in Extremfallen fuhrt das allerdings zu UNO- oder NA TO-Protektoraten, wie z.B. Kosovo, bei denen ein Ende der militarischen (und zivilen) Besetzung nicht abzusehen ist.

1.3.2 Ausdehnung der Freiheit?

Bereits im Marz 2002 wurden die funf so genannten Schurkenstaaten, namlich Iran, Irak, Nordkorea, Libyen und Syrien, in dem US-amerikanischen Grundsatzdokument zur milita­rischen Nuklearstrategie (Nuclear Posture Review) als mogliche Ziele eines Nuklearschlags bezeichnet. In seiner Rede zur Lage der Nation im Januar 2005 hat US-Prasident George W. Bush unter dem Motto "Die beste Chance fur den Frieden ist die Ausdehnung der Frei­heit!" die bislang bekannte Achse des B6sen noch erweitert. Neben Iran und Syrien, denen er die UnterstUtzung von Terroristen vorwarf, gerieten nun zum ersten Mal mit Saudi­Arabien und Agypten zwei Lander ins Visier, die bislang zu den traditionellen "Freunden" Amerikas gehort hatten. Zu offensichtlich waren aber saudische Geschaftsleute im Umfeld des Konigshauses an der Finanzierung von al-Qaida beteiligt. Zudem wird den Saudis vor­geworfen, dass die BUrger kein Recht haben, ihre Regierung frei zu wahlen. Und in Agyp­ten wird bemangelt, dass dort die Notstandsgesetze ununterbrochen seit fast einem Viertel-

21 Atlantik-Charta Yom 14. August 1941, ZifT. 2. 22 Sturm a 2000, S. 39-45 [39]. 2l Kersting 2005, S 4.

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jahrhundert in Kraft sind und die demokratischen Rechte der BUrger auf diese Weise seit Jahrzehnten erheblich eingeschrankt werden. Oem iranischen Volk riefBush zu, dass Ame­rika an seiner Seite stehen wUrde, wenn es urn seine Freiheit kampfen sollte24 . Nordkorea, das vor all em wegen seiner Atomwaffen und Tragerraketen zu den "Bosen" gerechnet wird, spielte allerdings in Bushs Rede nicht mehr die wichtigste Rolle.

Schaubild 4: Vier Lander des Mittleren Ostens im Visier

Iran Syrien Saudi-Arabien Agypten Einwohnerzahl 69,0 Mill. 18,0 Mill. 258Mill. 76,1 Mill.

Politisches Schiitisch- Laizistisch- Absolutistisch Autoritar (Not-

System fundamentalistisch autoritar regierte Monar- standsgesetze seit

(Ayatollahs) (Bath-Partei) chie 1981) Waffenlieferungen

Wohlwollende Finanzierung Bin

Nein (aber: ein-Unterstiitzung

an libanesische Duldung militan-

Ladens? (zahlrei-zelne Terroristen

Hisbollah und che Terroristen des Terrorismus

palastinensische ter Palastinenser-

saudischer Her-agyptischer Her-

TerrorgrupQCn gruppen

kunft) kunft)

Menschenrechts- politische politische Gefan-

Brutale politische verletzungen Gefangene

gene, Bestrafung Gefangene

Folterungen Atomprogramm

Atomwaffen konnte zu Atom- Vorlaufig nicht Vorlaufig nieht Vorlaufig nieht waffen mhren

(Ouelle: eigene Ausarbeitung in Anlehnung an dpa-Grafik 0504)

2 Akteure

Als Akteure der Weltordnungspolitik werden bei genauerer Betrachtung neben den Staaten, die nach wie vor eine bedeutende Rolle spiel en, auch wenn ihnen in transnationalen und nichtstaatlichen Organisationen zum Teil einflussreiche Konkurrenten erwachsen sind, Imperien und GroBraume sichtbar. Staaten und Imperien haben zwar die gleichen Herr­schaftsfunktionen auszuUben, sie unterscheiden sich aber grundlegend in der Herrschaftslo­gik, in den Herrschaftsgrenzen und in den Herrschaftstechniken2S •

24 Vgl. Newsweekvom 31.1.2005, S. 16-25 Beck / Grande 2004, S. 89 f.

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Teil I: Weltordnung 31

Schaubild 5: Akteure der Weltordnungspolitik

Imperien Gr08riiume Staaten

Legitimati-Besonderes Verhaltnis

Geschichts-zur Geschichte / zu Souveranitat

on Gott

philosophische Idee

Ziele Politische Autonomie,

Nationales Interesse, Imperiales Interesse

internationale (gleich-Interesse gleich universelles ggf. okonomische

berechtigte) Kooperati-Weltinteresse Autarkie

on

Sicherheit und innere Wohlstand und Stabili-

Schutz der Staatsbiirger

Garantie Stabilitat des Imperi-

tat der Region, Vertei-im Rahmen der Verfas-

urns, Schutzschirm flir sungs- und Rechtsord-Vollzug Verbiindete

digung nach auBen nung

Imperium, ggf. andere Reich (VRS 1. Ord-

Regierung Akteure nung) sowie Staaten

Staaten als "Satelliten" (VRS 2. Ordnung)

(government)

Global agierende Streitkrafte zur Ab-Verteidigung des

Harte Streitkrafte, Weltwah- schreckung raumfrem-

Staats- bzw. Biindnis-Macht

rung, beherrschende der Machte, regionale gebiets (Militarbiind-

Stellung in der Welt- okonomische Vorherr-Mittel wirtschaft schaft

nis), Exportkraft

Globale Ausstrahlung, Regionale Ausstrah- Wissenschaft, Kunst,

Weiche populare Weltkultur, lung (wirtschaftlich Architektur, Literatur,

Macht Fiihrerschaft in der WeltOffentlichkeit

oder militarisch) Mode

Welt einschlieBlich GroBraum, Staatsgebiet,

Dimension Weltmeere und Welt-raum ggf. "Vorfelder" ggf. Nachbarn

Raum Unverletzlichkeit der

Grenzen eigenen Grenze, Recht Nichtinterventions- Schutz der

zur Oberschreitung prinzip Staats grenzen fremder Staatsgrenzen

(Quelle: Eigene Ausarbeitung) (VRS = Volkerrechtssubjekt)

Eine Sonderrolle spieIt dabei wegen seiner global en Ausrichtung das Empire Amerika, das deshalb im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Ob Europa selbst ein - womoglich kosmo­politisches - Imperium ist, erscheint allerdings als fraglich. Eher zeichnet sich in Europa und Asien die Entstehung von GroBraumen ab, die noch nicht die ideologische Durch­schlagskraft von Imperien erreicht, aber deutlich mehr Macht akkumuliert haben, als dies den beteiligten Einzelstaaten moglich ware.

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32 Teil I: Weltordnung

2.1 1mperien

" ... , wei! f .. } Liebesgeschichten lmperien gleichen: wenn der Gedanke, auf dem sie gebaut sind, untergeht, so gehen sie mit ihm unter ,,26

Imperien hat es bereits lange vor dem Imperium Romanum gegeben, wenn dieses auch Europaem und Amerikanem zumeist vor Augen steht, wenn sie iiber das "Imperium der Angse7" oder das "Empire Amerika28" reden und schreiben29 • Als Imperium lasst sich eine OroBmacht definieren, welche die AuBenpolitik von Staaten in einer bestimmten Region (regionales Imperium) oder aber weltweit (globales Imperium) zu bestimmen versucheo. Die Frage, wie sich SouveraniHit und Imperium zueinander verhalten, lasst sich zunachst so beantworten, dass imperiale Machtausiibung stets die Souveranitat der hiervon betroffenen Staaten einschrankt oder sogar - im Faile des Protektorats - ganz aufhebt. Auf einer ge­schichtsphilosophischen Ebene gehen Michael Hardt und Antonio Negri dariiber hinaus und behaupten, dass Souveranitat eine neue Form angenommen habe, die sie Empire nen­nen. Diese neue Form vereinige in sich "eine Reihe nationaler und supranationaler Orga­nismen, die eine einzige Herrschaftslogik eine 1". Es versteht sich von selbst, dass imperien (in dem von mir gemeinten Sinne) zugleich die Einflussnahme von Konkurrenten verhin­dem wollen. Ihre (unangreifbare) militarische Starke flihrt dazu, dass sie den Einsatz milita­rischer Oewalt als normales und legitimes Mittel der AuBenpolitik verstehen32• Die von ihnen hergestellte Verbindung eines universe lien Weltinteresses mit einem essentiellen imperialen Interesse33 rechtfertigen Imperien in aller Regel durch ihr besonderes Verhaltnis zur Oeschichte und zu 00tt34 .

Urn ihr Herrschaftsgebiet kontrollieren zu konnen, tendieren sie dazu, "unterschiedli­che Mitgliedschaftsformen und -rechte zwischen den einzelnen Territorien und den jewei­ligen Herrschaftsunterworfenen" - zum Beispiel in Form von Zentrum-Peripherie­Beziehungen zu etablieren 35. Oder genauer: "Imperiale Machtausiibung ist nach einem System von Kreisen und Ellipsen geordnet, die vom Zentrum zur Peripherie auseinander laufen. Mit diesen Kreisen und Ellipsen verandert sich auch die Art und das MaB der Selbstbindung imperialer Macht. 1m Zentrum, im eigentlichen Kemland des Imperiums, ist sie am starksten, und hier gleicht sie dem, was flir die Selbstbindung der Macht in Staaten gilt. Zur Peripherie hingegen nimmt sie immer we iter ab, ohne dass damit gegen die Funk­tionsprinzipien imperialer Ordnung verstoBen wiirde,,36. Meist werden die Begriffe "Impe­rium" oder "Empire" mit "Weltreich" gleichgesetzt. In diesem Sinne besaB OroBbritannien im 18. und 19. lahrhundert ein maritimes, also auf die Beherrschung der Meere gestiitztes Weltreich, das British Empire. Auch der UdSSR war es kurzfristig (1945 bis 1989) gelun-

26 Kundera 1984, S 155. 27 Barber 2003. 28 Empire Amerika 2003. 29 Vgl "Rhodes 2003, S 131-154. 10 Vgl Ikenberry 2004, S. 144-154. 11 Hardt I Negri 2003, S. 10, 195 ff. 12 Vgl Kagan 2003, S. 34. 13 Vgl Schmitt 1991, S. 37 am Beispiel von Art. 8 des Biindnisvertrages GroBbritanniens mit Agypten vom 26.08.1936 zum Schutz des Suezkanals. 34 Munkler 2003, S. 104-125 [110]. 3S Beck I Grande 2004, S. 93. 36 Munkler 2003. S. 112 f.

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Teil I: Weltordnung 33

gen, mit ihren so genannten Satellitenstaaten (Bulgarien, DDR, Polen, Rumanien, Tsche­choslowakei, Ungam37) das Sowjetimperium zu errichten, das einen groBen Teil der Erde umfasste und seit den erfolgreichen Weltraummissionen ("Sputnik" 1957) auch in den Orbit vorstieB. Spatestens mit dem Ende des Ersten Weltkriegs und mit dem siegreich be­endeten Zweiten Weltkrieg wurde die GroBmacht USA zunachst zur Weltmacht und dann zur Supermacht. Der Dbergang von der Hegemonialmacht zum globalen Imperium begann mit dem Ende des Ost-West-Konflikts, wurde jedoch erst in der Amtszeit von George W. Bush fUr viele sichtbar. Mit der Nationalen Sicherheitsstrategie des lahres 2002 wurde dann auch schriftlich zum Ausdruck gebracht, dass aus dem System der prinzipiellen Gleichord­nung der Staaten ("Westfalische Ordnung") eine hierarchische Weltordnung geworden ist, in der das Empire Amerika dartiber entscheidet, "ob die Souveranitat von Staaten aufrecht erhalten oder suspendiert wird,,38.

2.2 GroJ3raume

Der Begriff "GroBraum" ist vor allem durch Carl Schmitt bekannt geworden, der darunter einen zusammen hangenden Leistungsraum verstand, "wie er zu einem geschichtserfUllten und geschichtsmaBigen Reich gehort,,39. Eine solche Geschichtsbezogenheit ist besonders bei dem franzosischen Geohistoriker Fernand Braudel zu finden, der den Mittelmeerraum als eine "historische Personlichkeit" apostrophiert hat40. In einer polyzentrischen Welt, die sich ihres Sinns und ihres Gesetzes (Nomos) nicht mehr bewusst ist, bilden sich GroBraume als raumliche Ordnungselemente heraus41 . Dabei handelt es sich urn geografisch abgrenz­bare Raume mit einer geschichtsphilosophischen Idee, wie z.B. Europa42. Ein solcher GroB~ raum mtisse dann allerdings auch volkerrechtlich oberhalb von Staaten angesiedelt sein. Ausgangspunkt der geopolitischen Argumentation war flir Schmitt die Monroe-Doktrin des lahres 1823, die den Europaem jede Intervention auf den amerikanischen Kontinent verbot. Das Besondere an dieser Botschaft des US-Prasidenten James Monroe sah Schmitt in der damit verbundenen Raumvorstellung43 . Typisch flir einen GroBraum sollte ein Reich sein, das von mehreren Staaten umgeben ist, die Volkerrechtssubjekte von minderer Wertigkeit sind. "Das Reich ist nicht einfach ein vergroBerter Staat, so wenig wie der GroBraum ein vergroBerter Kleinraum ist"44. Die Reiche sollten die fUhrenden und tragenden Machte in einem GroBraum sein und daher eine Volkerrechtssubjektivitat ersten Ranges haben. Vier Arten von Rechtsbeziehungen sind hierbei - nach Schmitt - denkbar45 :

1. zwischen den GroBraumen, 2. zwischen den fUhrenden Reichen dieser GroBraume, 3. zwischen den Volkem innerhalb eines GroBraumes, 4. zwischen den Volkem verschiedener GroBraume.

'7 Dazu geh6rte zeitweilig auch Albanien, das sich jedoch spater nach China hin orientierte. " Masala 2004a, S. 63-86 [63]. "SchmiIl1991, S. 76. 40 Braudel1986. 4\ Vgl. Sprenger 1996, S. 57. 42 Zu den Europavorste!1ungen in der Zeit von 1923 bis 1955: McCormick 2003, S. 133-141. 4J Y gl. Blindow 1999. 44 Schmi1l1991, S. 67. 45 Schmitt 1991, S. 62.

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Interventionen "raumfremder Machte" sind grundsatzlich ausgeschlossen. "Der Zusam­menhang von Reich, Gro13raum und Nichtinterventionsprinzip ist grundlegend,,46. FUr Schmitt sind Reich und Imperium nicht nur nicht dassel be, sondern sie sind nach seiner Ansicht nicht einmal miteinander vergleichbar. Eine Kombination von Imperium und Gro13-raumordnung, an sich eine reizvolle Idee, verbietet sich daher, denn: "Reich, Imperium, Empire sind nicht dasselbe und von inn en gesehen untereinander nicht vergleichbar"47.

2.3 Staaten

Die offizielle Weltordnungspolitik geht nach wie vor von souveranen Staaten aus, die sich als Gesamtheit zur UNO, in Teilen - gegebenenfalls regional organisiert - aber auch zu anderen Organisationen zusammengeschlossen haben. Volkerrechtlich wird die Fiktion aufrecht erhaIten, dass aIle souveranen Staaten grundsatzlich gleiche Rechte hatten. Dies entspricht der Idee des Staates und der staatlichen Souveranitat48 . Tatsachlich sind aIler­dings deutliche, zumindest graduelle Abstufungen in der Souveranitat der einzelnen Staaten zu erkennen, die insbesondere mit der wirtschaftlichen, politis chen und militarischen Starke zusammenhangen, aber durchaus auch "weiche Faktoren", wie Kultur, Ansehen, Akzep­tanz, Ausstrahlungskraft etc. umfassen konnen. Insofern spricht man heute - im Gegensatz zum 19. Jahrhundert - nicht mehr von Gro13machten, vielmehr sind die ehemaligen europa­ischen Gro13machte zu Mittelmachten herabgesunken, die ihr Heil weniger in Alleingangen als in Kooperation mit anderen Mittelmachten in der Europaischen Union suchen. Ihnen steht das Empire Amerika gegenUber, das bereits seit langerer Zeit aus dem Kreis der Staa­ten herausgewachsen war. Europa ist mit den USA nach wie vor verbUndet, die Interessen­unterschiede zwischen beiden Seiten werden aber immer deutlicher.

Dass Imperien und Staaten verschiedenen Gesetzma13igkeiten unterliegen, bleibt so­lange unschadlich, als eines der Imperien in einer Bedrohungssituation als "wohlwollender Hegemon" erscheint49, dessen "selbstlosem" Schutz gegen ein aggressives anderes Imperi­um sich jeder Einzelstaat anvertrauen kann. Hegemonie bedeutet jedoch stets FUhrung und letztlich bestimmenden Einflussso, so dass die Hegemonialmacht bei Nachlassen oder Weg­fall der Bedrohung bald als lastig empfunden wird, wei I sie die Handlungsfreiheit der "be­schUtzten" Staaten einschrankt. DarUber hinaus zeigt das Imperium sein wahres Gesicht, sobald es urn des sen Einbindung in eine internationale, also von Staaten verabredete Ord­nung und urn die Einhaltung der Regeln dieser Ordnung auch bei zuwider laufenden Inte­ressen des Imperiums geht. Konkurrenten (Stichwort: China) werden nach Moglichkeit klein gehaIten, urn nicht spater mit deren gewachsenem Machtpotenzial konfrontiert zu werden. Imperien setzen ihren Legitimationsanspruch absolut, sie gestehen also weder anderen Imperien, noch gar anderen Staaten gleiche Legitimitat zu. Zwar stell en sie - ge­gebenenfalls unter Mitwirkung Anderer - Spielregeln auf, auf deren Einhaltung durch die Staaten sie dringen. Sie selbst halten sich an diese Regeln aber nur, wenn und soweit dies den eigenen imperialen Interessen entspricht. 1m Faile zuwider laufender eigener Interessen

46 Schmitt 1991, S. 49. 47 Schmitt 1991, S. 50. 48 Vgl. Miinkler 2003, S. 106. 49 Vgl. Kagan 2003. 50 Triepel1961, S. 40.

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Teil I: Weltordnung 35

werden die Spielregeln entweder entsprechend modifiziert, bis sie "passen", oder aber be i­seite geschoben.

3 Weltordnungspolitik

Wer sind nun die maBgeblichen Akteure einer solchen Weltordnungspolitik? Betrachtet man diese intemationale Ordnungsbildung unter den Gesichtspunkten von Integration und Symmetrie, dann ergibt sich die folgende Vierfeldermatrix.

Schaubild 6: Varianten intemationaler Ordnungsbildung

Integration / Symmetrisch Asymmetrisch Symmetrie

Integriert Weltstaat;

Empire supranationale Integration

Westfalisches System der inter-

Nicht integriert nationalen Politik;

Hegemoniale Ordnung Intergouvernementale Koopera-

tion (Ouelle: Beck / Grande 2004, S. 95)

Besonders privilegierte Akteure der Weltordnungspolitik sind Imperien, von denen das globale Empire Amerika wiederum eine Sonderstellung einnimmt. Denn wahrend regionale Imperien, wie z.B. China, Ordnungsaufgaben vor allem in ihrer Region wahmehmen, iiben die USA diese Funktion weltweit aus. Insofem k5nnte man Ostasien auch als GroBraum definieren, der durch das Reich China dirigiert wird. Die iibrigen Akteure sind supranatio­nale Organisationen wie die EU und vor allem Staaten mit mehr oder weniger globalem "Gewicht". Antonio Negri und Michael Hardt gehen in ihrem Buch "Empire" sogar noch einen Schritt weiterSI • Sie sehen das Empire nicht mehr an die USA gebunden, sondem als globale Form von Herrschaft, das jegliche Raum- und Zeitgrenzen sprengt. Es kennt weder ein Zentrum, noch ein AuBen, es umfasst die gesamte Welt und versteht sich als ewig. Da­mit lasst sich zumindest eine Tendenz der gegenwartigen Weltordnung sehr gut erklaren, namlich dass Kriege in diesem "Empire" den Charakter von PolizeimaBnahmen annehmen, die gegen "unrechtmaBig" handelnde Staaten (Stichwort: "Schurkenstaaten") gefUhrt wer­denS2•

1m Vordergrund des Interesses steht hier das Empire Amerika, das sich dadurch aus­zeichnet, dass es sich im Besitz der "g5ttlichen Wahrheit" befindet. Es entscheidet, was "gut" und was "b5se" ist. Dabei versteht es sich von selbst, dass "God's own country" immer auf der Seite des Guten steht. Das "ermachtigt" das Imperium, die Regeln nicht nur fUr die anderen vorzugeben, sondem auch eigenst1tndig und unabhangig dariiber zu ent­scheiden, ob es sich selbst an diese Regeln halten will. Zugleich achten die USA peinlich genau darauf, dass kein Land Vorgaben, wie das Verbot von Massenvemichtungswaffen, die Begrenzung der Riistung, insbesondere von Interkontinentalraketen, missachtet, die vom Imperium als essentielle Sicherheitsfragen betrachtet werden. Tatsachlichen und ein-

51 Negri / Hardt 2002, S. 12 f. 52 Vgl. Kerner 2004, S. 203.

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36 Teil I: Weltordnung

gebildeten Bedrohungen begegnet das Imperium gegebenenfalls mit vorbeugenden Militiir­schlagen (Stichwort: "preemptive strikes"). Die vor allem von der UNO reprasentierte Vol­kerrechtsordnung gerat damit in eine Zwangslage. Wie soli sie darauf reagieren, dass das Imperium wichtige internationale Vereinbarungen, wie das Statut von Rom zur Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs oder die UN-Klimarahmenkonvention, boykottiert? Es besteht die Gefahr, dass andere Staaten diesem Negativbeispiel folgen und die Volker­rechtsordnung dam it - zumindest langfristig - untergraben wird. Eine Anpassung an die tatsachlichen globalen Machtverhiiltnisse wiirde andererseits aber das Ende der Idee einer fUr aile gleichermaBen verbindlichen Rechtsordnung bedeuten. Es kommt hinzu, dass im Gefolge der Globalisierung viele Staaten mit groBten wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert und die Menschen durch Existenzangst verunsichert sind. Die Globalisie­rungsgegner organisieren sich global (Stichwort "attack"), sie riisten nicht nur zum ideolo­gischen Kampf gegen den Weltkapitalismus, sondern sie demonstrieren auch trotz massi­ven Polizeiaufgebots am Ort des Weltwirtschaftsforums53 und versuchen, weltweit die Unterstiitzung der Menschen zu gewinnen.

4 AIte und neue Weltordnungen

Auch in fruheren Jahrhunderten hat es Ordnungsvorstellungen fUr die damals bekannte Welt gegeben, sie waren aber in aller Regel auf ein Reich oder einen Kontinent begrenzt. Die Entdeckung der "Neuen Welt" hat dieser Vorstellungjedoch, iiber den engen Horizont Europas und der angrenzenden Territorien hinaus, eine reale Globaldimension verliehen. Die empirisch bestatigte Gewissheit, dass die Erde eine Kugel ist, eroffnete nicht nur der Fantasie, sondern auch dem Tatendrang von Forschern und Entdeckern, Konquistadoren und Kolonisatoren neue Moglichkeiten.

4.1 Entdeckung der Neuen Welt

Die Entwicklungsgeschichte von raumbezogenen Weltordnungspolitik-Entwiirfen beginnt fUr die abendlandische Welt mit der Entdeckung Amerikas durch Christoph Columbus im Jahre 1493. Auf der Suche nach der Westpassage nach Indien stieB er auf die Kleinen An­tillen, die er fUr Indien ("West Indies") hieIt. Durch die sich anschlieBende Entdeckung und Eroberung der Neuen Welt wurde die Grundlage fUr die europaischen Imperien Portugal und Spanien gelegt. Riesige Liindereien, eine groBe Zahl von Menschen und unermessliche Schatze wurden in Besitz genommen und riicksichtslos ausgebeutet. Angesichts der gewal­tigen Landmasse des siidamerikanischen Kontinents, die sie unter sich aufteilten, erschien die Basis der beiden iberischen Konigreiche als winzig. Obwohl die Welt durch den Schiedsspruch des Papstes 1493 auf diese beiden Machte aufgeteilt wurde, fanden sich bald andere europaische Staaten, die ihren Anteil an der Beute beanspruchten. Hollander und Franzosen, vor aHem aber die Briten forderten die spanische Seemacht heraus, bis der spa­nische Konig Philipp 11. 1588 seine Armada, die immerhin aus 130 Schiffen, 2500 Kano­nen, 7000 Seeleuten und 17000 Soldaten bestand, nach England schickte. Die spanische Flotte wurde jedoch bei einem Sturm fast vollstandig zerstOrt. Fiir Spanien bedeutete dies

53 Dieses wird regelmliBig in Davos veranstaltet.

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Teil I: Weltordnung 37

das Ende, fur GroBbritannien den Beginn als Weltmacht. Seit dem 18. Jahrhundert war Britannien die beherrschende Seemacht ("Britannia rules the waves"), die nun ihrerseits versuchte, aile anderen Staaten als potenzielle Konkurrenten von ihrem Kolonialbesitz fern zu halten. Das britische Imperium umfasste Territorien auf fast allen Kontinenten, so dass zu deren Schutz eine riesige Flotte erforderlich war.

4.2 Aufstieg Amerikas zum Empire

Erst im Verlauf des 20. Jahrhunderts begannen die USA, die sich bereits 1783 endgUltig aus der Kolonialherrschaft GroBbritanniens befreit hatten, dem britischen Empire den Rang abzulaufen. Mit dem Eintritt der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg im Jahre 1941 begann der unauthaltsame Aufstieg des Empire Amerika, parallel dazu vollzog sich der Niedergang des britischen Empire. Aus dem Zweiten Weltkrieg gingen nur mehr zwei­zudem auBereuropaische - Sieger hervor: die USA und die Sowjetunion. Aile anderen waren faktisch Verlierer, auch wenn es den Briten und schlieBlich auch den Franzosen gelang, sich in der Rolle von Siegermachten am Besatzungsregime in Deutschland zu betei­ligen, standige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates zu werden und den Status von Atom­machten zu erlangen. Der einzige ebenbUrtige Widerpart der Vereinigten Staaten war aller­dings das Sowjetimperium, das mit seinen verbunkerten Interkontinentalraketen mit Atom­sprengkopfen die USA empfindlich treffen, spater sogar vernichten konnte. Sein Zusam­menbruch hat 1989 der bipolaren Weltordnung ein Ende bereitet. Nach ersten Gehversu­chen der nunmehr einzigen globalen Supermacht, die sich mit ihren VerbUndeten abzu­stimmen bereit schien, zeigt das Empire Amerika jetzt sein wahres Gesicht.