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Positionspapier der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel Juni 2004 Teilhabe und Unterstützung für Menschen mit Behinderung Aktuelle Entwicklungen und Perspektiven

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Positionspapier der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel

Juni 2004

Teilhabe und Unterstützungfür Menschen mit Behinderung

Aktuelle Entwicklungen und Perspektiven

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Inhalt

Gemeinschaft verwirklichen 4Vision für die Arbeit der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel

Vorwort 5

Woran orientieren wir uns in unserer Arbeit mit Menschen, die behindert sind 7

Jeder Mensch hat den Wunsch, ein gelingendes Leben zu führen Ressourcen wahrnehmen – Assistenz anbietenSelbstbestimmung fördernBeteiligungsformen entwickelnDas soziale Netz stärkenTeilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichenInklusion – Leben in der Gemeinde unterstützenGesundheit erhalten und fördernBildungswege gestaltenBerufliche Rehabilitation und Beschäftigung Tagesförderangebote für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf Tagesförderangebote für Seniorinnen und Senioren Unsere Arbeit wird von vielen unterstütztUnsere Kompetenzen und Möglichkeiten In Partnerschaften lernen

Gesellschaftliche Rahmenbedingungen 13

Unsere Angebote 17

Betheler Erklärung vom 4. Oktober 2003 19

Teilhabe und Unterstützung für Menschen mit BehinderungAktuelle Entwicklungen und PerspektivenPositionspapier der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel

Dieses Positionspapier wurde vomFachausschuss Behindertenhilfe derv. Bodelschwinghschen AnstaltenBethel erarbeitet:

Ottokar Baum Michael Conty Hans-Gerd Daubertshäuser Dr. Gudrun Dobslaw Ulrich Hentschel Reinhard Hinz Hans-Joachim Klamma Fred Köhler Rainer Nußbicker Ursula Roepell Prof. Dr. Michael Seidel Prof. Dr. Ingmar Steinhart Frank Thies Regine Weißenfeld Ulrich Wiggers Bernward Wolf

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Gemeinschaft verwirklichen – Vision für die Arbeit der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel

Unsere Vision ist das selbstverständliche Zusammenleben, das gemeinsame Lernen und Arbeiten aller Menschen inihrer Verschiedenheit: Mehr oder weniger gesunde, mehr oder weniger behinderte, mehr oder weniger leistungsfähi-ge, jüngere und ältere Menschen, Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft und religiöser Prägung sollen alsBürgerinnen und Bürger mit gleichen Rechten und Chancen in der Gesellschaft leben.

Unsere Vision gründet im christlichen Glauben und beruht auf der Achtung der unveräußerlichen Würde jedes einzel-nen Menschen als Geschöpf Gottes. Sie fordert Nächstenliebe, Solidarität und einen fairen Interessenausgleich imZusammenleben.

Qualifiziert helfenWir verstehen unsere Hilfeangeboteals Dienstleistungen und uns selbst alsDienstleisterinnen und Dienstleister.Wir achten das Selbstbestimmungs-recht der Menschen, die unsere An-gebote nutzen. Deshalb gewährleis-ten wir umfas-sende Wahl- und Mit-gestaltungsmöglichkeiten bei Art undUmfang unserer sozialen und gesund-heitlichen Dienstleistungen. Wir bie-ten Dienstleistungen von hoherQualität. Die uns zur Verfügungstehenden Ressourcen nutzen wir fürdie Umsetzung des bestmöglichenfachlichen Standards.

Orientierung gebenAls handelnde Kirche gründen wirunsere Arbeit auf den christlichenGlauben und christliche Werte.In der Begegnung mit dem einzelnenMenschen unterstützen wir Bedürf-nisse nach Wertorientierung, Sinn-suche und religiöser Orientierung.Dies prägt unser gemeinsames Lebenund Arbeiten ebenso wie die Gestal-tung unserer Bildungs- und Ausbil-dungsangebote.

Wir nehmen uns Zeit und Raum fürSeelsorge und Gottesdienst, dieFeiern des Kirchenjahres, das Erlebenvon Spiritualität. Wir setzen uns einfür eine menschliche Gesellschaft. Inunserem gesellschafts- und sozial-politischen Engagement sind wir be-sonders den Rechten und Bedürf-nissen der Menschen verpflichtet, dieam schwersten von Krankheit, Behin-derung, sozialer Benachteiligung undAusgrenzung betroffen sind.

Orte zum Leben gestaltenWir verstehen Bethel als Idee: Wirfördern die Integration von sozial be-nachteiligten Menschen und vonMenschen mit Behinderung und Er-krankungen an verschiedenen Ortenin der Gesellschaft und beteiligen unsan der Gestaltung der jeweiligen Ge-meinwesen. Wo es erforderlich ist,machen wir dazu eigene Angebote,kooperieren mit anderen Trägern oderberaten und unterstützen Initiativenvor Ort.

Zugleich verstehen wir Bethel alsModell. In unseren gewachsenenOrtschaften gestalten wir exempla-risch das Zusammenleben unter-schiedlicher Menschen: Menschen,die unsere Dienstleistungen in An-spruch nehmen, Menschen, die beiuns arbeiten, Menschen, die ausanderen Gründen in diesen Ort-schaften leben möchten. Hierbei er-möglichen wir die Mitwirkung allerbeteiligten Gruppen.

Dezember 2001

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VorwortGemeinschaft verwirklichen – auf Augenhöhe

Das selbstverständliche Zusammenleben, das gemeinsame Lernen und Arbeiten aller Menschen in ihrer Verschieden-heit – an dieser Vision orientieren wir uns in der Arbeit in den v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel.

Jeder Mensch wünscht sich ein erfülltes, gelingendes Leben. Damit ein Mensch seinen individuellen Weg finden undgehen und mitgestalten kann, braucht er Spielraum für eigene Erfahrungen; er braucht Gelegenheiten zu lernen undAlternativen auszuprobieren; er braucht die Möglichkeit der Wahl und der eigenen Entscheidung. - Jeder Mensch lebtin sozialen Beziehungen, nimmt Anteil am Leben anderer und gibt Anteil am eigenen Leben. Eine wesentliche Grund-lage dafür sind Vertrauen zu sich selbst und die Verlässlichkeit anderer Menschen, so dass jeder Einzelne seine Gabenund Möglichkeiten einbringen und seinen eigenen Ort in der Gemeinschaft finden kann.

Zugleich machen wir als Menschen die Erfahrung, dass unser Leben bruchstückhaft bleibt. Wir stoßen an Grenzen undwir setzen Grenzen. Wir sind angewiesen auf Gemeinschaft mit anderen und in unterschiedlicher Weise auch auf Un-terstützung und Hilfe. Wir erreichen nicht jedes Ziel, und wir werden unseren eigenen Möglichkeiten und anderenMenschen nicht immer gerecht.

Erfüllung, Gelingen unseres Lebens kann da spürbar werden, wo wir in dieser Offenheit das eigene Leben annehmenund bejahen können als ein Leben, das einzigartig ist und einen Sinn hat, wo wir die eigenen Gestaltungsmöglich-keiten nutzen und Gemeinschaft erleben. Dies realisiert sich in einer großen Vielfalt individueller Lebenswege. Der christliche Glaube bietet dafür Orientierung und Ermutigung.

Unsere Angebote richten sich an Menschen mit Lernschwierigkeiten ebenso wie an Menschen mit schwerer Mehrfach-behinderung oder anderen Beeinträchtigungen. Mit unseren Hilfen wollen wir sie dabei unterstützen und ihnenMöglichkeiten eröffnen, ihr Leben selbst zu gestalten und zu verantworten. Mit diesem Ziel entwickeln wir unsereAngebote. Wir sind auf dem Weg. Dabei wissen wir: Dass ein Leben gelingt, ist letztlich nicht planbar, es bleibt einGeschenk.

Im internationalen Recht und internationaler Politik sind die Rechte von Menschen mit einer Behinderung in den letz-ten Jahren deutlicher in den Blick gekommen. Eine Reihe von Staaten sind uns in ihrer rechtlichen Entwicklung und inder alltäglichen Ermöglichung von Teilhabe und Selbstbestimmung voraus. Jedoch hat es auch in unserer Gesellschaftin den vergangenen Jahren – trotz aller finanziellen und politischen Schwierigkeiten – eine ganze Reihe positiver Ent-wicklungen gegeben, die mehr Selbstbestimmung und Teilhabe von Menschen mit Behinderung ermöglichen. Dies nehmen wir zum Ausgangspunkt weiterer Entwicklungen.

Mit diesem Papier beschreiben wir die Position der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel. Auf dieser Grundlageunterstützen wir Menschen mit Behinderung.

Bei den Betheler Aktionstagen, die wir im Zusammenhang des Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderung imOktober 2003 durchgeführt haben, haben sich viele Menschen mit der Situation behinderter Menschen und den Not-wendigkeiten weiterer Entwicklungen beschäftigt. Zum Abschluss der Tage haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmerdie „Betheler Erklärung“ verabschiedet (s. Seite 19). An der Formulierung waren Menschen mit und ohne Behinderungbeteiligt. Eine Reihe von Anregungen aus der Betheler Erklärung haben wir in diesem Positionspapier bereits aufge-nommen.

Wir wünschen uns das Gespräch über unsere Positionen mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, mit Angehörigen, mitexternen Fachleuten und insbesondere mit betroffenen Menschen. Auf diese Weise können wir unsere eigenen Kon-zepte weiter entwickeln.

Im Folgenden stellen wir im ersten Teil des Positionspapiers den aktuellen Stand unserer fachlichen Entwicklung dar,die auf den Grundsätzen menschlichen Miteinanders basiert, so wie sie in der Deklaration zu den Menschenrechtenoder auch in der Betheler Erklärung 2003 festgehalten sind. Die Umsetzung dieser Rechte bedeutet die gleichberech-tigte Teilhabe aller am Leben der Gemeinschaft.

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Die aktuelle sozial- und finanzpolitische Situation auf allen gesellschaftlichen Ebenen erfordert allerdings eine realisti-sche Abstimmung der Möglichkeiten, notwendige Unterstützungsleistungen anzubieten. Deshalb gehen wir im zwei-ten Teil des Positionspapiers auf diesen Aspekt gesondert ein.Im dritten Teil stellen wir unsere Angebote mit Kontaktadressen vor.

Am Ende finden Sie schließlich den vollständigen Text der Betheler Erklärung.

Der Fachausschuss Behindertenhilfe der v. Bodelschwingschen Anstalten Bethel hat dieses Positionspapier erarbeitet.Ich danke allen, die dazu beigetragen haben. – Der Vorstand der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel hat dieVorlage am 18. Mai 2004 beschlossen.

Bielefeld, im Juni 2004 Bernward Wolf, Vorstand

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Woran orientieren wir uns in unserer Arbeit mit Menschen, die behindert sind.

Jeder Mensch hat den Wunsch, ein gelingendes Leben zu führen Die Erwartungen, die unsere Klientinnen und Klienten1 an ihr Leben haben und ihre Vorstellungen davon, welcheUnterstützung sie brauchen, um ihren Zielen näher zu kommen, sind für uns handlungsleitend. Dabei sollen Menschenmit und ohne Behinderung möglichst ungehindert gemeinsam und nachbarschaftlich zusammenleben können. Wirbieten professionelle Hilfen an, wenn die Familie oder Freundinnen und Freunde eine notwendige Unterstützung dafürnicht in ausreichendem Maße leisten können. In diesem Sinne verstehen wir unsere Arbeit als Ergänzung zu bereitsvorhandenen Hilfen. Wir sehen sie in Verbindung mit dem Engagement vieler Menschen, die ebenfalls das gemeinsa-me Leben in der Gemeinde unterstützen möchten, beispielsweise durch bürgerschaftliches Engagement.

Die Inhalte und Methoden unserer Arbeit haben sich mit den gesellschaftlichen, gesetzgeberischen und auch fachli-chen Entwicklungen ebenfalls verändert. Der Paradigmenwechsel in der Behindertenhilfe von Fürsorge und Bevormun-dung hin zu einem rehabilitativen Grundverständnis und einer assistierenden Unterstützung wird von uns aktiv mitvollzogen. Dieser Entwicklungsprozess hält an und prägt unser fachliches und menschliches Handeln.

Wir bieten ein fachlich weit gefächertes Spektrum von Dienstleistungen, um den Klientinnen und Klienten dieUnterstützung zu bieten, die sie benötigen. Uns interessiert, ob sie unsere Angebote hilfreich erleben und welcheVeränderungsvorschläge sie haben. Ebenso sind die Leistungsvereinbarungen mit den Kostenträgern Grundlage unse-rer Arbeit. Die vereinbarten Dienstleistungen werden vertraglich festgehalten.

Wir unterstützen Klientinnen und Klienten bei der eigenen Suche nach Sinn und religiöser Orientierung. Wir tun diesauf der Grundlage unserer evangelischen Prägung. Unsere Dienste und Einrichtungen stehen jedoch nicht nur evange-lischen Christen offen, sondern wenden sich an alle Menschen, die unsere Angebote nutzen wollen.

Unsere Gesellschaft und damit auch die Behindertenhilfe unterliegen einem permanenten Wandel und sind Themenöffentlicher Diskussion, an der wir uns beteiligen. In diesem Zusammenhang nehmen wir aktiv Einfluss auf dieGestaltung des Rechtes und auf die Entwicklung des Marktes sozialer Dienstleistungen. Umgekehrt haben diese sichverändernden Rahmenbedingungen Auswirkungen auf die Realisierung unserer Ziele.

Ressourcen wahrnehmen - Assistenz anbietenFür die Umsetzung seiner ganz persönlichen Vorstellungen von einem gelingenden Leben bringt jeder Mensch einer-seits Ressourcen mit: Persönliche Erfahrungen und Fähigkeiten; darüber hinaus braucht er Unterstützung durch andereMenschen. In Ergänzung zu ihren individuellen Möglichkeiten benötigen Menschen mit Behinderung manchmalAssistenz, um ihre eigenen Vorstellungen vom Leben zu entdecken, zu entfalten und zu leben. Wir stellen mit ihnenzusammen den Bedarf an benötigter Hilfe fest und machen ihnen entsprechende flexible, Personen orientierte Ange-bote. Das setzt einen differenzierten und einfühlsamen Wahrnehmungs- und Aushandlungsprozess voraus, vor allem,wenn die Klientinnen und Klienten ihre Wünsche nicht selbst äußern können. Ein wichtiges Ziel ist deshalb für uns,barrierefrei kommunizieren zu lernen.

Selbstbestimmung fördernUnter Selbstbestimmung verstehen wir den Willen und auch die Möglichkeiten eines Menschen, sein Leben selbst zugestalten, eigenständige Entscheidungen zu treffen und so der ganz persönlichen Vorstellung von einem gelingendenLeben näher zu kommen. Deshalb wollen wir nur so viel Unterstützung wie nötig bzw. wie gewünscht leisten.

Selbstbestimmtes Handeln vollzieht sich in der Auseinandersetzung mit anderen Menschen. Der Sinn eines solchenProzesses besteht darin, dass Menschen eigenverantwortlich entscheiden und in der Beziehung zum Gegenüber undzur Gemeinschaft soweit wie möglich autonom handeln. Damit dies gelingen kann, treten wir dafür ein, dassMenschen sich in gegenseitigem Respekt begegnen und Spielräume und Grenzen miteinander aushandeln. Wir orien-tieren uns dabei an den Handlungsmöglichkeiten des einzelnen Menschen.

1 Da wir mit unseren Angeboten in einem Dienstleistungsverhältnis zu Menschen mit Behinderung stehen, wählen wir im Folgenden den Begriff „Klientin bzw. Klient“.In dieser Begrifflichkeit drückt sich das veränderte Rollenverständnis aus, das im Zuge der sozialpolitischen und fachlichen Weiterentwicklung für die Arbeit mitMenschen, die behindert sind, längst notwendig wurde.

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In dieser Weise im ständigen Austausch und Aushandeln mit den Klientinnen und Klienten zu bleiben, erfordert vonjedem – auch von uns als professionellen Begleiterinnen und Begleitern – die Bereitschaft zum Lernen und zurReflexion.

Unterstützung kann auch bedeuten, den Schutz des Klienten oder der Klientin vor sich selbst oder den Schutz derMitmenschen zu gewährleisten. Denn Unterstützung zur Selbstbestimmung kann immer nur im sozialen Lebenskon-text verstanden werden. Die Grenzen der Selbstbestimmung sind dann erreicht, wenn die Gesundheit oder das Lebenvon Klienten und Klientinnen oder auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gefährdet ist. Die Auseinandersetzung mitdiesem Thema ist Teil der gesellschaftlichen Realität. Deshalb blenden wir die Erfahrungen mit aktiv ausgeübter undpassiv erlebter Gewalt sowie die Notwendigkeit, mit delinquentem Verhalten umzugehen, nicht aus, sondern machendies ausdrücklich zum Thema.

Wir stellen uns ausdrücklich auch der Begleitung solcher Menschen mit geistiger Behinderung, die mit Auflagen ausdem Maßregelvollzug entlassen werden. Hier werden die Grenzen der Selbstbestimmung für uns in besonderem Maßespürbar.

Wir legen Wert darauf, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Handlungssicherheit haben und berücksichtigen dabeiethische Gesichtspunkte. Die Bearbeitung der Biografien von Menschen, die zum Teil seit Jahrzehnten in unserenEinrichtungen leben, macht uns selbstkritisch im Blick auf unsere Vergangenheit und sensibel für heutiges Handeln.

Uns ist bewusst, dass die Beziehungen zwischen Anbietern von Hilfeleistungen und Klientinnen und Klienten auchdurch Abhängigkeiten geprägt sind. Weil das die Entwicklung von Selbstbestimmung erschwert, wollen wir Abhängig-keiten minimieren und Wahlmöglichkeiten eröffnen. Wir betrachten es als eine besondere Herausforderung, solcheAbhängigkeiten wahrzunehmen und uns damit auseinander zu setzen.

Beteiligungsformen entwickelnWir setzen uns dafür ein, dass Menschen mit Behinderung an Entscheidungsprozessen beteiligt werden, die ihre per-sönliche Lebensgestaltung, ihre gesellschaftlichen Aktivitäten und ihre politischen Präferenzen betreffen.

Da solche Prozesse sinnvoller Weise nicht immer von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern angestoßen werden können,bauen wir das Instrument des „Peer counceling“ auf, bei dem Menschen mit Behinderung sich gegenseitigUnterstützung und Beratung geben können.

Mit Hilfe des Beschwerdemanagements wurde darüber hinaus eine Möglichkeit geschaffen, die Abhängigkeit gegenü-ber Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu reduzieren. Unabhängige Personen nehmen Beschwerden von Menschen mitBehinderung entgegen und sorgen dafür, dass sie bearbeitet werden. Hierzu sehen wir uns auch auf der Grundlageder Qualitätsgrundsätze der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel und des Heimgesetzes verpflichtet.

Die Sicherung der Qualität unserer Dienstleistungen erfolgt auch dadurch, dass Menschen mit Behinderung an derGremienarbeit in ihrem direkten Wohnumfeld beteiligt werden. Neben den gesetzlich gesicherten Vertretungsgremien,wie den Heimbeiräten, ist unser Anspruch, Klientinnen und Klienten auch eine aktive Beteiligung mit Mitsprache- undAbstimmungsrecht in den Leitungsgremien der Einrichtungen zuzusichern.

Wir unterstützen Menschen mit Behinderung darin, ihre politischen Interessen sowohl individuell als auch kollektivselbst zu vertreten und sich aktiv an politischen Wahlen zu beteiligen. Für Menschen, die ihre Interessen nur einge-schränkt vertreten können, sehen wir es als unsere Aufgabe an, in Kooperation mit Angehörigen und gesetzlichenBetreuerinnen und Betreuer, die Anwaltschaft für sie wahrzunehmen, soweit sie das wünschen.

Das soziale Netz stärkenAngehörige und Vertrauenspersonen gehören zum Leben dazu, sie sind ein wichtiger Bestandteil der eigenenBiografie. Eltern haben in Bezug auf ihre Söhne und Töchter einen reichhaltigen Erfahrungsschatz, sie kennen ihreEntwicklungsgeschichte, ihre Vorlieben und ihre Wünsche. Eine besondere Verbundenheit zwischen Eltern undKindern, aber auch zwischen Geschwistern, bleibt meist das ganze Leben lang erhalten.

Bei minderjährigen Kindern haben die Eltern das Sorgerecht. Bei gravierenden Einschränkungen in der Entscheidungs-und Handlungsfähigkeit ihrer erwachsen gewordenen Söhne und Töchter bzw. ihrer Geschwister nehmen sie in vielen

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Fällen die gesetzliche Unterstützung wahr. In diesen unterschiedlichen Bezügen bleiben die Angehörigen für uns wich-tige Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner.

Die besondere Stärke der Familie sehen wir darin, dass sie eine Verbundenheit, eine emotionale Beziehung und Konti-nuität bieten kann, die niemand berufsmäßig zu leisten in der Lage ist.

Das Leben in einer stationären Einrichtung oder in ambulanter Betreuung mit professioneller Unterstützung bietetdemgegenüber für die Klientinnen und Klienten andere Möglichkeiten, Lernerfahrungen zu machen und ihr Lebenselbst in die Hand zu nehmen. Besonders wenn erwachsene Klientinnen und Klienten lernen möchten, außerhalb ihrerFamilie eine neue Lebensphase zu eröffnen, anstehende Aufgaben zu bewältigen, neue Kontakte zu knüpfen und imRahmen ihrer Möglichkeiten eigene Wege zu gehen, unterstützen wir sie dabei.

Dieser Prozess gelingt nur, wenn eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Angehörigen und unspraktiziert wird. Das setzt voraus, dass die Beteiligten über ihre unterschiedlichen Rollen sprechen, sie akzeptieren undZuständigkeiten klären. Die Verbindung unserer Klientinnen und Klienten mit ihrer Familie, den Verwandten und Be-kannten ist wichtig und wird von uns unterstützt. Manchmal gestalten sich Phasen in diesem Prozess der Zusammen-arbeit jedoch für beide Seiten schwierig, z. B. wenn Eltern und Angehörige andere Vorstellungen über ein selbstständi-ges Leben ihrer erwachsenen Kinder haben als die Söhne und Töchter selbst oder aber die Mitarbeiterinnen und Mit-arbeiter. In solchen Fällen fühlen wir uns den Wünschen und Möglichkeiten unserer Klientinnen und Klienten verpflich-tet und unterstützen sie in der Umsetzung ihrer Vorstellungen. Mit den Angehörigen suchen wir auch in schwierigenSituationen den Dialog.

Das bezieht sich auch auf andere wichtige Personen im Leben unserer Klientinnen und Klienten, wie beispielsweise,Freundinnen und Freunde, Partnerinnen und Partner, Kinder und Personen, die gesetzliche Betreuung wahrnehmen.

Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichenTeilhabe beinhaltet, dass jeder Mensch die vielfältigen, in der Gesellschaft gelebten Rollen und sozialen Kontaktewahrnehmen kann. Dies gilt für die Vorstellungen zur Gestaltung der individuellen Wohn- und Lebensbedingungenebenso wie für Selbstvertretungsmöglichkeiten, Mitbestimmung, Freizeit, Urlaub, soziale Beziehungen, Kultur,Weiterbildung, Gesundheit und auch die Beteiligung an Politik und Gesetzgebung.

Wir wollen, dass Menschen mit Behinderung zu allen Lebensbereichen einen umfassenden Zugang und uneinge-schränkte Nutzungsmöglichkeiten haben. Um dies zu erreichen, nutzen sie ihre eigenen sozialen Ressourcen (beispiels-weise Freunde oder Verwandte). Unser professionelles Angebot verstehen wir als Ergänzung zu diesen bestehendenHilfesystemen.

Im Vordergrund stehen für uns die Wünsche unserer Klientinnen und Klienten, die wir respektieren und ihreRealisierung soweit wie möglich und gewünscht unterstützen. Dies bezieht sich auf alle Bereiche des gesellschaftlichenLebens, vor allem auch Sport-, Kultur- und Freizeitangebote, die für alle Interessierten zugänglich sein sollen.

Inklusion - Leben in der Gemeinde unterstützenInklusion meint die uneingeschränkte Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Leben in der Gemeinschaft.Inklusion verlangt, die Bedingungen der Umwelt an die Bedürfnisse der betreffenden Personen anzupassen. In derpraktischen Umsetzung bedeutet dies für uns die Förderung des Zusammenlebens von Menschen mit und ohneBehinderung und die Beteiligung aller an den Aktivitäten in der Gemeinde. Dies betrifft alle sozialen Lebensbereicheund umfasst die gesamte Lebensspanne eines Menschen.

Durch unsere Arbeit möchten wir einen Beitrag zu einem vielfältigen Leben in der Gemeinde leisten und Menschenmit Behinderung darin unterstützen, dass sie am Leben in der Gemeinde teilnehmen können.

Noch vor einigen Jahren sind die v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel vorzugsweise der Anfrage nach stationärenAngeboten nachgekommen. Heute besteht unsere diakonische Antwort vor allem in gemeinwesenorientiertenAngeboten.

Für Menschen mit Behinderung ist der soziale Bezugsrahmen in der Gemeinde genauso wichtig wie für alle anderenMenschen auch. Befürchtungen und Ablehnung beispielsweise in der Nachbarschaft können diesen Prozess gefährden.

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Wir sehen unsere Aufgabe darin, Inklusion auf Wunsch zu fördern, indem wir beispielsweise die Kontakte zurNachbarschaft, zur Kirchengemeinde o.ä. gestalten helfen. Wir erfahren dabei viel Unterstützung, erleben aber auchWiderstände. Viele Befürchtungen basieren nicht auf konkreten Erfahrungen und können deshalb nur schwer durchAufklärung und positive Erfahrungen ausgeräumt werden.

Menschen leben und bewegen sich in verschiedenen Lebenswelten: Familie, Beruf, Freizeit usw. Wir können nicht alleHilfeangebote sicherstellen, aber wir achten darauf, dass das Angebot vielfältig ist. In solchen Fällen arbeiten wir gernund vertrauensvoll mit anderen Trägern und Anbietern zusammen.

Gesundheit erhalten und fördernGesundheit ist eine wichtige Voraussetzung von Teilhabe am Leben in der Gesellschaft. Der uneingeschränkte Zugangzu allen erforderlichen Leistungen der gesundheitlichen Versorgung – von Prävention über Heilung bis hin zur Rehabili-tation – ist ein grundlegendes Menschenrecht und muss auch für Menschen mit Behinderungen gewährleistet sein.

Menschen mit Behinderungen sind in einem besonderen Maße auf Leistungen der gesundheitlichen Versorgung ange-wiesen. Behinderungen sind nicht nur Einschränkungen der sogenannten funktionalen Gesundheit, sondern Menschenmit Behinderungen leiden häufiger als andere Menschen an komplexen Beeinträchtigungen ihrer Gesundheit, sind imLaufe ihres Lebens höheren Krankheitsrisiken ausgesetzt und werden durch zusätzliche Gesundheitsstörungen undKrankheiten bei der Bewältigung ihres Alltages besonders belastet. Die Gründe dafür, im besonderen Umfang aufgesundheitliche Leistungen angewiesen zu sein, sind vielfältig. Sie umfassen auch die oftmals begrenzten Fähigkeitenvon Menschen mit Behinderungen, eigenverantwortlich eine gesundheitsfördernde Lebensweise zu verwirklichen,sowie die Begrenzung ihrer individuellen wirtschaftlichen Möglichkeiten. Wir unterstützen Menschen mit Behinderun-gen darin, Gesundheit so gut wie möglich zu erhalten und zu fördern, die Folgen von Krankheit zu beseitigen oder zulindern und dem Fortschreiten von individuellen Behinderungen – wo möglich – vorzubeugen.

Die v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel blicken zurück auf eine lange Tradition beispielhafter sozialer und medizi-nischer Hilfen für Menschen mit Epilepsien. Dies erklärt, dass in einigen unserer Teilbereiche überdurchschnittlich vieleKlientinnen und Klienten, die an einer Epilepsie leiden und deshalb qualifizierte medizinische Begleitung benötigen,Hilfe gesucht haben.

Da Menschen mit Behinderungen oft in erheblichem Umfang auf pflegerische Hilfen angewiesen sind, gehört Pflegeselbstverständlich zum Spektrum unserer gesundheitsbezogenen Hilfen für Menschen mit Behinderungen. Dabei ver-stehen wir Pflege über die unmittelbare Handlungsebene hinaus auch als Prozess zwischenmenschlicher Begegnungund Beziehungsgestaltung. Das trifft insbesondere auf Menschen mit schwersten und mehrfachen Behinderungen zu. Wir gestalten Pflege als fachlich qualifizierte Hilfe in einem multiprofessionellen Hilfeprozess. Das schließt ein, dasspflegerische Maßnahmen auch von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit nichtpflegerischen Berufsqualifikationenübernommen werden. Damit sind erhebliche Anforderungen an die Qualitätssicherung der Pflege gestellt.

In einigen unserer Teilbereiche ergänzen und unterstützen integrierte ärztliche und therapeutische Angebote als inte-grale Elemente eines ganzheitlichen Hilfeprozesses die sozialen und pädagogischen Hilfen.

Auch über integrierte ärztliche und therapeutische Angebote hinaus unterstützen wir die Klientinnen und Klienten beider Erhaltung und Förderung ihrer Gesundheit, beispielsweise in der Gestaltung gesundheitsfördernder Lebens- undArbeitsbedingungen, in Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Gesundheitserziehung einschließlich vielfältigerzielgruppenspezifischer Sportangebote und bewegungstherapeutischer Maßnahmen bis hin zur Mitwirkung derv. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel am gesundheitspolitischen Diskurs auf verschiedenen Ebenen.

Angesicht der allgemein zunehmenden Lebenserwartung und der relativen Zunahme älterer Menschen mit und ohneBehinderung stellt die Unterstützung zum Erhalt und zur Förderung der Gesundheit eine erhebliche Herausforderungan die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dar. Vom Erfolg dieser Bemühungen hängen das Ausmaß gelingenderIntegration, Inklusion und Teilhabe und die Möglichkeiten selbstbestimmten Lebens dieser Menschen ab.

Bildungswege gestaltenAlle Menschen haben ein Recht auf lebenslange Bildung. Bildung vollzieht sich durch individuelles und gemeinsamesLernen mit dem Ziel der Selbstverwirklichung in sozialer Integration.

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Frühe Hilfen sind besonders lebenswichtig. Wir bieten interdisziplinär arbeitende Frühförderung für Kleinkinder mitBehinderungen oder Kinder, die in ihrer Entwicklung beeinträchtigt sind.

Jeder Mensch mit Behinderung hat das Recht auf eine schulische Förderung und Bildung, die sich an seinen individuel-len Stärken, Förderbedürfnissen, Interessen und seinem eigenen Lerntempo ausrichtet. Wir treten ein für das uneinge-schränkte Bildungsrecht von Menschen mit geistiger Behinderung. Es gibt keine untere Grenze der Bildungsfähigkeit,niemand ist ohne Gaben.

Wir gehen dabei auch ungewöhnliche Schul-Wege, entwickeln Formen ambulanter Schulpädagogik und schulischeBeratungsstrukturen für Menschen mit sonderpädagogischem Förderbedarf und bauen diese aus. Wir gehen unter-schiedliche Wege in der Organisation des Lernens von Menschen mit Behinderung und unterstützen ihre wohnortnaheBeschulung. Wir fördern Kooperationen zwischen unterschiedlichen Schulformen. Wir nutzen dabei verantwortlich dieFreiräume und Gestaltungsmöglichkeiten, die wir als freier Schulträger im Kontext des öffentlichen Schulsystemshaben.

Berufliche Bildung nimmt einen hohen Stellenwert ein. Sie beginnt bereits im berufsorientierenden oder berufswahl-vorbereitenden Unterricht unserer Schulen.

Wir treten für das Recht von Menschen mit Behinderung ein, eine berufliche Bildung, einen Arbeitsplatz oder einesinngebende Beschäftigung zu haben und bereiten sie darauf vor. Wir suchen für und mit den Menschen mitBehinderung individuelle Möglichkeiten der aktiven Teilhabe am Arbeitsprozess.

Wir bieten im Bereich der Erwachsenenbildung Menschen mit Behinderungen differenzierte Bildungsprogramme. Sieenthalten Kursangebote, die vergleichbar denen einer Volkshochschule sind und ein breites inhaltliches Spektrumabbilden. Weitere Schwerpunkte sind auch kurz- und längerfristige Fortbildungen in den Bereichen Selbstvertretung/Selbstbestimmung (z.B. für Heimbeiräte und Werkstatträte), integrative Studienreisen und auf Kommunikation undKreativität ausgerichtete Angebote.

Berufliche Rehabilitation und Beschäftigung Arbeit ist auch für Menschen mit Behinderung eine unverzichtbare Voraussetzung für die gesellschaftliche Teilhabe.Für behinderte Menschen ist jedoch nicht jede Form der beruflichen Betätigung erschließbar, sie benötigen, bezogenauf ihre Behinderungen und Einschränkungen, besondere Unterstützungsleistungen.

Wir ermutigen Menschen mit Behinderung darin, ihre fachlichen Kompetenzen und beruflichen Wünsche zu erkennenund sie auch umzusetzen. Unser Ziel ist die Integration von Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt.Wenn das auch den Wünschen unserer Klientinnen und Klienten entspricht und sie einen Arbeitsplatz auf dem erstenArbeitsmarkt suchen oder bereits innehaben, bieten wir Beratung und Unterstützung durch den Integrationsfachdienstan.

Darüber hinaus bieten wir in Einrichtungen der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel differenzierte Arbeitsplätze inunterschiedlichen beruflichen Tätigkeitsfeldern an, die sich in Bezug auf die Rahmenbedingungen und dieArbeitsanforderungen flexibel gestalten lassen und den Erfordernissen und Wünschen jedes Einzelnen angepasst wer-den können. Arbeitsplätze finden sich in Betrieben (Außenarbeitsplätze), in der Integrationsfirma, wie auch in denWerkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM). Gerade auch Menschen mit schwerer Mehrfachbehinderungbieten wir die Möglichkeit, sich unter gezielter fachlicher Anleitung ihren Wünschen und Bedürfnissen entsprechendsinnvoll zu betätigen. Wir verstehen Werkstattarbeit als einen wechselseitig aufeinander bezogenen Prozess vonUnterstützungen in beruflicher Bildung, sozialen, therapeutischen, pflegerischen und psychologischen Angeboten undwirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung in Produktion bzw. Dienstleistung. Werkstattarbeit dient der beruflichenRehabilitation und Qualifikation. Mit der Werkstattarbeit werden aber auch produktive Leistungen erbracht. Für dasSelbstwertgefühl der Beschäftigten ist mit entscheidend, dass sie ökonomisch sinnvolle und effiziente Arbeit überneh-men und dafür angemessen entlohnt werden.

Eine besondere Herausforderung für die Werkstätten und Firmen stellt die Abkehr von den üblichen Refinanzierungendurch staatliche Kostenträger dar. Stagnierende Finanzierungsleistungen bei gleichzeitig steigenden Personalkostenführen dazu, dass zunehmend mehr Erlöse aus der Produktion erwirtschaftet werden müssen, um den gefordertenund gewünschten Qualitätsstandard weiter zu entwickeln.

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Die realitätsnahen Produktions- und Arbeitsbedingungen fördern zum einen das Selbstwertgefühl und dieIntegrationschancen der Menschen mit Behinderung. Auf der anderen Seite kann der damit verbundene Leistungs-und Produktionsdruck Menschen mit Behinderung nicht immer vollständig weitergegeben werden. Zudem wird eszunehmend schwieriger, Einfachstarbeiten für Menschen mit schweren geistigen Behinderungen einzuwerben und mitknapper werdenden Ressourcen die nötige Förderung und Pflege sicher zu stellen. Trotz dieser Rahmenbedingungen,denen wir uns stellen müssen, sind wir weiterhin darum bemüht, unserem Auftrag nach Integration von Produktivitätund Persönlichkeitsentwicklung jedes Einzelnen nachzukommen.

Tagesförderung für Menschen mit hohem UnterstützungsbedarfMenschen mit Behinderung im Erwerbsalter und einem sehr speziellem Hilfebedarf, die die Aufnahmekriterien für dieWfbM (§ 136 SGB IX) nicht oder noch nicht erfüllen, erhalten ein spezifisches Angebot, z.B. im Förder- und Arbeits-angebot eines Tagesförderverbundes. In eigenen Räumlichkeiten und Organisationseinheiten werden Menschen nachihren Möglichkeiten mit einfachen Arbeiten vertraut gemacht, mit denen sie einen sinnvollen und für sie selbst erfahr-baren Beitrag für die Gemeinschaft leisten. Das Ziel dieser Förderangebote ist die Anbahnung einer Aufnahme in eineWfbM.

Tagesförderangebote für Seniorinnen und SeniorenSpätestens mit der Erreichung des 65. Lebensjahres scheiden auch Menschen mit Behinderung aus dem Erwerbslebenaus. Wir bieten älteren Menschen die Möglichkeit der Tagesstrukturierung außerhalb der Wohneinrichtung an ver-schiedenen Standorten an. Das Angebot basiert auf einem gezielten heilpädagogischen Konzept. Im Wochenplanvermitteln regelmäßig wiederkehrende Bestandteile Sicherheit und Orientierung, variable Inhalte werden unter Berück-sichtigung der Interessen der Besucherinnen und Besucher gestaltet. Es werden Themen aufgegriffen, die die Interes-sen dieses Personenkreises berücksichtigen: Beschäftigung mit der eigenen Biographie, Erhalt von Kompetenzen undMobilität, Teilhabe am Leben. Das Angebot wird gern und in großem Umfang wahrgenommen.

Unsere Arbeit wird von vielen unterstütztWir verstehen unsere Angebote als Ergänzung zu den sozialen Ressourcen, die beispielsweise von Familie, Freundinnenund Freunden, Bekannten, Vereinsmitgliedern oder Menschen mit bürgerschaftlichem Engagement erbracht werden(s.o.). Nicht alle Menschen mit Behinderung haben ein soziales Bezugssystem, das sie zufrieden stellt. Deshalb sorgenwir dafür, dass Menschen mit Behinderung neben den vereinbarten „professionellen“ Angeboten auch den Kontaktmit Menschen finden, die sich freiwillig, „bürgerschaftlich“ engagieren und mit vielen Ideen die Teilhabe behinderterMenschen an der Gesellschaft unterstützen. Das Engagement und die Arbeit dieser „ehrenamtlichen“ Helferinnen undHelfer hat eine eigene Qualität und wird von uns unterstützt. Trotz zunehmend knapper werdender Ressourcen, dieunsere Handlungsspielräume einschränken, soll ehrenamtliche Arbeit nicht zu Kompensationszwecken eingesetztwerden.

Spenden helfen uns Standards zu halten und außergewöhnliche Projekte und Ideen umzusetzen, die aus denEntgelten nicht finanziert werden können.

Unsere Kompetenzen und MöglichkeitenHilfeangebote für Menschen mit Behinderung haben in den v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel eine langeTradition. Wir haben durch permanente Weiterentwicklung unserer Dienstleistungen einen hohen fachlichen Standardentwickelt. Wir machen differenzierte Angebote und bieten fachliche Kompetenz in multiprofessioneller Zusammen-arbeit. Wir sind in unserer Angebotsstruktur beweglich und flexibel im Hinblick auf die persönlichen Bedarfslagenunserer Klientinnen und Klienten.

Trotzdem werden wir unseren Zielen manchmal nicht gerecht. Die finanziellen Rahmenbedingungen, aber auch institu-tionelle Zwänge und persönliche Grenzen bestimmen unser Handeln.

Unser Vorhaben, Hilfeleistungen und Unterstützungsangebote immer stärker gemeinsam und „auf Augenhöhe“ aus-zuhandeln, beinhaltet ein verändertes Rollenverständnis für alle Beteiligten am Hilfeprozess: Der Klientinnen undKlienten, der Angehörigen, des sozialen Umfeldes und ebenso der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

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Um diesen Prozess zur Zufriedenheit aller Beteiligten zu gestalten, bedarf es der Reflexion unserer eigenen Ziele undBilder und unserer eigenen Verhaltensweisen, die wir in die Unterstützung eines behinderten Menschen mit einbrin-gen. Mit einem differenzierten Angebot der Fort- und Weiterbildung werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ge-schult. So werden die soziale und fachliche Kompetenz ständig weiter entwickelt.

Solche Veränderungen von Haltung und Verhalten brauchen auch Zeit: Im Prozess der Auseinandersetzung mit neuenKonzepten und im wechselseitigen Lernen stehen wir in mancher Hinsicht erst am Anfang der Entwicklung. Fehler zumachen ist natürlich und erlaubt und ermöglicht weitere Lernprozesse.

In Partnerschaften lernenVernetzung ist für unsere Arbeit ein wichtiger Ausgangspunkt. Wir verstehen unsere Angebote vor dem Hintergrundbereits vorhandener Unterstützungssysteme, seien sie privater oder professioneller Art. An einer Kooperation undErgänzung von Unterstützungsleistungen sind wir sehr interessiert.

Wir pflegen partnerschaftliche Beziehungen zu Trägern der Behindertenhilfe in andern Ländern Europas und darüberhinaus und entwickeln verbindliche Kooperationen. Im fachlichen und freundschaftlichen Austausch erfahren wirgegenseitig hilfreiche Anregungen. Unsere Klientinnen und Klienten unterstützen wir dabei, die internationalenPartnerschaften mit zu gestalten.

Gesellschaftliche Rahmenbedingungen

Mit unseren aktuellen Angeboten wie mit deren fachlicher Weiterentwicklung sind wir eingebunden in die gesell-schaftlichen Rahmenbedingungen und deren Veränderungen. Die Verteilungskämpfe um Sozialleistungsressourcenzwischen gesellschaftlichen Gruppen gewinnen an Schärfe. Die Bereitschaft der Gesellschaft zu solidarischem Lasten-ausgleich und zur Eröffnung von Chancengleichheit wird immer wieder in Frage gestellt. Bewusstsein und Verantwor-tung brauchen neue Impulse.

Ebenso werden die Globalisierung und die fortschreitende Harmonisierung innerhalb der Europäischen Union in vielfäl-tiger Weise die weitere Entwicklung der Sozialleistungssysteme und der Unterstützungsangebote für Menschen mitBehinderung beeinflussen.

Wir setzen uns dafür ein, dass Menschen mit Behinderung nicht aus dem Blick geraten. Wir beteiligen uns an derEntwicklung sinnvoller Zukunftsstrategien unter Berücksichtigung der begrenzten Budgets für die Rehabilitations- undTeilhabeleistung für Menschen mit Behinderung, damit Menschenwürde gewahrt und selbstbestimmte wie gleichbe-rechtigte Teilhabe im gesellschaftlichen Leben jedem Bürger und jeder Bürgerin unseres Landes möglich wird. Da Stan-dards und Qualität der Arbeit mit Menschen, die behindert sind, originär im Zusammenhang mit politischen Grund-rechten gesehen werden müssen und politischen Entscheidungsprozessen unterworfen sind, ist u. E. an der Steuer-finanzierung der Behindertenhilfe festzuhalten.

Gesetzliche GrundlagenDie für die Behindertenhilfe relevanten gesetzlichen Grundlagen in Deutschland ändern sich in vielen Bereichen positiv.Gerade in den letzten Jahren hat es eine Fülle von Initiativen gegeben, die die Rechtsposition behinderter Menschenim Sinne der Umsetzung von umfassenden Bürger- und Teilhaberechten stärken (z.B. Gleichstellungsgesetzgebung,SGB IX etc.).

Sie nimmt damit internationale Entwicklungen in Politik und Recht auf2.

Diese Rechtsentwicklung wird von uns ausdrücklich begrüßt. Sie muss jedoch noch Eingang in den Alltag finden, dennFortschritte in der Verwirklichung der Menschenrechte können letztlich nicht an Gesetzestexten und politischen Erklä-rungen gemessen werden, sondern an den Teilhabe- und Entwicklungsmöglichkeiten, die sich Menschen in ihrem

2 Vgl. „UN-Standardregeln“: Standard Rules on the equalisation of opportunities for persons with disabili-ties – Standardregeln zur Herstellung von Chancengleichheit fürMenschen mit Behinderungen”Declaration of Rome 2003 der European Association for Mental Health in Mental Retardation

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konkreten Lebensumfeld bieten. Da stehen die positiven Entwicklungen des Rechts auf vielfache Weise in Spannungzum wachsenden Kostendruck in der Eingliederungshilfe. Die Umsetzungsprozesse werden Jahre andauern, so dassdie Auswirkungen noch nicht abschließend beurteilt werden können.

So sind auch die politisch gewollten Entwicklungen von Hilfeansätzen, die auf das Individuum bezogen sind und Insti-tutionen so weit wie möglich abbauen sollen, nur zu begrüßen; dazu gehören die individuelle Hilfeplanung, das per-sönliche Budget und die Stärkung des Vorrangs ambulanter Hilfen. Nicht immer zielen diese Aktivitäten jedoch aufeine tatsächliche Weiterentwicklung von Unterstützungs- und Assistenzarrangements für Menschen mit Behinderung.Vielfach dominiert das Interesse an Kosteneinsparungen. Dadurch werden sinnvolle und notwendige Entwicklungenentwertet und behindert.

Dieser Widerspruch kennzeichnet die gegenwärtige Situation.

Finanzielle RahmenbedingungenDie Rehabilitations- und Teilhabeleistungen für Menschen mit Behinderung finden kostenmäßig ihren deutlichstenNiederschlag in der sozialhilfebasierten Eingliederungshilfe. Vor allem die demographische Entwicklung unsererGesellschaft und die positiven Auswirkungen des medizinisch-technischen Fortschrittes, die eine spürbar höhereLebenserwartung für Menschen mit Behinderung bewirken, führen bis auf Weiteres zu einem deutlichen Anstieg derZahl der Menschen mit Behinderung, die auf Unterstützung angewiesen sind. Zum ersten Mal in der Geschichte derBundesrepublik wird nach den Krankentötungen im Dritten Reich die Population der behinderten Menschen vollstän-dig sein und erreicht damit zahlenmäßig ihren Höhepunkt. Danach wird sie einhergehend mit dem Sinken der gesamt-gesellschaftlichen Bevölkerungszahl abnehmen3.

Die langfristig katastrophale Lage der kommunalen Haushalte schlägt auf die Finanzierung von notwendigenLeistungen für Menschen mit Behinderung durch: sowohl Bausteine der kommunalen Daseinsfürsorge, wie beispiels-weise die Unterstützung für Selbsthilfeinitiativen oder Beratungs- und Begegnungsstellen und ebenso klassischeLeistungen der Eingliederungshilfe, unterliegen einem blockierenden Spardiktat. Gründe liegen vor allem in der unaus-gewogenen Verteilung von Versorgungspflichten zwischen den staatlichen Ebenen und ihrer finanziellen Ausstattungim Rahmen der Bund-/Länder- und Gemeindefinanzierung. Der Abbau dieser niedrigschwelligen, gemeinde-integrier-ten Unterstützungssysteme (z.B. auch kirchlicher!) birgt die Gefahr, eine weitere umfassende Integration und Teilhabefür Menschen mit Behinderung zu erschweren oder zu verhindern.

Die primären Sozialleistungssysteme wie Kranken-, Arbeitslosen-, Renten- und Pflegeversicherung geraten ihrerseits inFinanzierungskrisen.

Die für die Eingliederungshilfe zuständigen Sozialhilfeträger suchen erkennbar nach Steuerungs- und Begrenzungs-möglichkeiten im Blick auf den erheblichen Anstieg der Sozialhilfeausgaben für die Eingliederungshilfe. Eine Verschie-bung von auf Sozialhilfe basierenden Versorgungslasten von der Eingliederungshilfe in die vorgelagerten Systeme istweitgehend ausgeschlossen. Vielmehr ist mit einer Rückverweisung oder Aufhebung von bislang dort verankertenSonderleistungen für Menschen mit Behinderung zu rechnen.

Aktuell ist folgende Entwicklung zu beobachten:

• erheblicher Rationalisierungsdruck auf die Träger der Einrichtungen und Dienste,• verschärfter Wettbewerb zwischen den Anbietern,• nachhaltige Bestrebungen zu Standardabsenkungen und Leistungsabbau.

Dieser Trend wird sich in Zukunft noch verstärken.

Der politische Druck auf die Eingliederungshilfe steigt und die Behindertenhilfe wird schon lange nicht mehr als eineAufgabe behandelt, die die Gesellschaft um der Menschenwürde willen wahrnimmt und finanziert und deshalb nichternsthaft in Frage stellt, sondern wie ein betriebswirtschaftlicher Kostentreiber mit zum Teil verzichtbaren Leistungen.Immer differenziertere Abrechnungen, immer mehr Statistiken, immer umfangreichere Berichte und fragwürdige

3 Zu Beginn des Jahres 2002 befanden sich rund 162.000 behinderte Menschen in stationärer Betreuung. Bis 2007 wird sich diese Zahl auf 190.000 erhöht haben. Diesentspricht einer Steigerung um 17 %. Bis zum Ende des Jahres 2002 erhielten rd. 40.000 behinderte Menschen ambulante Hilfen in betreuten Wohnformen. Bis 2007wird mit einer Erhöhung auf 54.000 Personen gerechnet, was einer Steigerung um 35 % entspricht. Diese Schätzungen gehen zurück auf Angaben der überörtlichenSozialhilfeträger.Die Kosten für Eingliederungshilfe werden sich bis 2007 noch einmal um annähernd ein Drittel erhöhen, sofern alle Neuzugänge stationär betreut würden.

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Transparenzforderungen prägen den Verkehr zwischen Leistungserbringern und Leistungsträgern. Obwohl „mehrMarkt“ und mehr Deregulierung gefordert werden, wachsen paradoxerweise die staatlichen Steuerungs- und Kontroll-impulse, was zu Mehraufwand auf staatlicher Seite, aber auch auf Seiten der Träger führt und das Gesamtsystemweiter verteuert.

Zukünftige EntwicklungenSichere Prognosen über den weiteren Gang der Entwicklung scheinen derzeit kaum möglich – außer, dass die durch-schnittlich zur Verfügung stehenden materiellen Ressourcen für jeden Menschen mit Behinderung mit Sicherheit deut-lich sinken werden.

Dabei lassen sich einige Entwicklungsrichtungen erkennen, die zwar nicht kurzfristig, aber wahrscheinlich doch auflange Sicht die Finanzierung der Assistenz für Menschen mit Behinderung bestimmen werden:

1. Vom pauschalen Entgelt zum differenzierten MarktpreisDie heute vielfach noch übliche Praxis, für stationäre / teilstationäre Hilfen relativ pauschale Entgelte(fortgeschrieben aus Selbstkostendeckungszeiten) abzurechnen, wird sich wesentlich zu einer Berechnung wan-deln, die exakt nach Hilfeempfänger und tatsächlicher Leistung differenziert und sich an marktüblichenPreisstandards orientiert.

2. Von der Kalkulation des Inputs zum Nachweis der WirksamkeitBisher orientiert sich das abgerechnete Gesamtentgelt weitgehend an den kalkulierten Personal- und Sachkosten.Zukünftig wird für die Leistungsempfänger (oder ihre Finanziers) bestimmend sein, welchen konkreten Eingliede-rungs- oder Rehabilitationserfolg der Anbieter zu einem definierten Preis realisieren kann. Für die Sozialleistungs-träger wird es nicht mehr darauf ankommen, wie viel Personal mit welcher Qualifikation eingesetzt wurde, sondernwie wirksam die vereinbarte Maßnahme gewesen ist, insbesondere ob das Ziel der erfolgreichen Befähigung für einLeben in offener Hilfe mit größtmöglicher Selbständigkeit und Eigenverantwortung erreicht worden ist.

3. Von Einzelleistungen unterschiedlicher staatlicher Sozial- und Rehabilitationsträger zur Leistungsgewährung aus einer Hand für umfangreiche TeilhabeleistungenDie heutige Zersplitterung in der Zuständigkeit der Leistungsgewährung wird sich zu einer Leistungsgewährung auseiner Hand entwickeln, womit gleichzeitig eine noch stärkere (Macht-)Position mit erweiterten Steuerungsmöglich-keiten gegenüber den professionellen Anbietern verbunden sein wird.

4. Von der allgemeinen Leistungsvereinbarung mit Sozialhilfeträgern zur individuellen Leistungsbeziehung mit dem Klienten bzw. der Klientin Landesrahmenverträge und Leistungsvereinbarungen mit den Sozialleistungsträgern werden ihre Bedeutung verlie-ren, da die individuelle Vertragsbeziehung zum Klienten und zur Klientin in den Mittelpunkt rücken wird. DieKlientin bzw. der Klient (oder die Bevollmächtigten) werden die Auswahl ihrer/ seiner Leistungen mittels einespersönlichen Budgets oder einem (steuerfinanzierten) Eingliederungsgeld überwiegend selbst vornehmen undeigenverantwortlich gestalten.

5. Von der Objektförderung zur SubjektförderungDie sozialpolitisch erwünschte und fachlich überzeugende Entwicklung zu personenbezogenen Budgets wird denÜbergang bringen von der Objektförderung zur Subjektförderung. Da staatliche Förderung bisher wesentlich inImmobilien (Objekte) floss, konnte nur dort und mit dem von der Einrichtung gestellten Personal der Bedarf befrie-digt werden. Zukünftig wird mit der Förderung des Hilfeempfängers dieser in die Lage versetzt, sich Ort, Zeit undPersonal der von ihm benötigten Assistenz selbst auszusuchen.

6. Von der starren Aufteilung zwischen ambulanten, teilstationären und stationären Hilfen zu einem durchlässigen Angebot unterschiedlicher ModuleDie bisherige Aufteilung in verschiedene Hilfeformen wird aufgegeben werden zugunsten differenzierter Hilfe-module, die weitgehend individuell zusammengesetzt bzw. gemischt werden können. Die „Verpreislichung“ derModule wird sich am Markt orientieren und wird landeseinheitlich vereinbart.

7. Von der Komplexleistung aus einer Hand zu Dienstleistungsmodulen verschiedener Anbieter Die bisher vorherrschende Angebotsform einer umfassenden Leistung aus einer Hand unter dem Aspekt derGanzheitlichkeit ergab für Einrichtungen und Dienste die Notwendigkeit, vollständige Hilfesysteme auf Dauer

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vorzuhalten, wobei das Finanzierungssystem dies ausdrücklich unterstützte. Die zukünftige Modularisierung derAngebote ermöglicht die Auswahl der jeweils benötigten Elemente nach Qualität und Preis bei unterschiedlichenAnbietern im Rahmen vollständiger regionaler Hilfeensembles.

8. Von der langfristig angelegten ganzheitlichen Betreuung zu flexibel und kurzfristig vereinbarten individuell ausgesuchten DienstleistungenAus der auf Langfristigkeit und Beständigkeit aufgebauten Betreuung und Förderung, insbesondere in stationärenEinrichtungen, resultierte ein hohes Maß an Planungssicherheit und dauerhafter ökonomischer Absicherung. DerKlient bzw. die Klientin, die verstärkt auf den Vorrang der Selbsthilfe verwiesen werden, können ihr individuellzusammengestelltes „Dienstleistungsmenü“ (aufgrund eines knapp gehaltenen personenbezogenen Budgets)künftig sowohl kurzfristig verändern als auch flexibel zwischen den verschiedenen Anbietern wechseln, was denAnbietern eine permanente Ressourcen- und Kapazitätsanpassung abverlangt.

9. Von der fachlich dominierten Hilfegewährung ohne Mitspracherecht zum vollständigen Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsempfänger In der Arbeit mit Menschen, die behindert sind, hat in den vergangenen 30 Jahren einen enormen fachlichenFortschritt in medizinischer und pädagogischer Hinsicht erfahren. Dies führte zu einem erheblichen Bedeutungs-zuwachs der Professionellen bei einer gleichzeitig gesellschaftlich noch nicht entwickelten Mitsprache der Be-troffenen. In Zukunft wird sich dieses Blatt wenden zugunsten einer Dominanz des Wunsch- und Wahlrechts derLeistungsempfänger, die – ggf. mit Hilfe ihrer Betreuerinnen und Betreuer - zu den „Architekten“ ihres eigenenbedarfsgerechten Assistenzsettings werden, unabhängig von den Ansichten, Einschätzungen und Kapazitätenprofessioneller Einrichtungen und Dienste.

10. Von der Vorrangstellung der Freien Wohlfahrtspflege zum Wettbewerb am SozialmarktGerade die Aufgabe der Behindertenhilfe wird seit Jahrzehnten schwerpunktmäßig von der Freien Wohlfahrts-pflege wahrgenommen. Die Angleichung der Arbeits- und Wettbewerbsbedingungen innerhalb des (europäischen)Sozialmarktes kann zu einem deutlichen Vordringen auch privater Anbieter in dieses Marktsegment führen undeinen bisher nicht gekannten Konkurrenzdruck auslösen.

Selbstverständlich ist nicht damit zu rechnen, dass alle aufgezeigten Trends gleichzeitig und in vollem Umfang zurGeltung kommen. Einige werden sich im Laufe der Jahre abschwächen, andere kommen hinzu. Dabei gilt es, aufmerk-sam darauf zu achten, dass die Rechte von Menschen mit Behinderung nicht beeinträchtigt und ihre Möglichkeiten zuTeilhabe, Selbstbestimmung und Zufriedenheit nicht eingeschränkt, sondern weiter entwickelt werden.

Die insgesamt wirksamen Trends werden allerdings - so ist die heutige Einschätzung - einen tief greifenden strukturel-len, organisatorischen und ökonomischen Veränderungsprozess unter den Anbietern verursachen. Dabei wird derUmstrukturierungsprozess von Komplexeinrichtungen zu regionalen Anbietern von gemeinde-integrierten, dezentralenund individuellen Wohn- und Beschäftigungsmöglichkeiten mit differenzierten Rehabilitations- und Assistenzleistungenungebrochen weitergehen, verbunden mit dem Wettbewerb um hohe Qualität und günstige Preise.

Die Landschaft der Dienste und Assistenzleistungen für Menschen mit Behinderung wird in 20 Jahren mit großerWahrscheinlichkeit anders aussehen als heute. Der Bedarf für diese Dienste wird unzweifelhaft jedoch vorhanden sein.Für die bestehenden Dienste und Einrichtungen wird es daher darauf ankommen, ob sie sich in ihren Strukturen,Angeboten und Kapazitäten auf die kommenden Veränderungen einstellen werden, sich in einer offenenKonkurrenzsituation mit privaten und freigemeinnützigen Anbietern wirtschaftlich behaupten können und denAnsprüchen der Kunden auf Selbstvertretung und Teilhabe gerecht werden.

Vor diesem Hintergrund sind Schritte auf unsere Vision „Gemeinschaft verwirklichen“ hin realistisch und zielgenau zuplanen und umzusetzen. Dabei genießen folgende Aktivitäten Vorrang, die• die eigene profilierte Interessenvertretung von Menschen mit Behinderung und ihren Vertrauenspersonen unter

stützten;• die Transparenz über die Lage von Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft herstellen;• die selbstverständliche Begegnungs- und Erfahrungsräume für Menschen mit und ohne Behinderung verankern,

um gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen;• die bürgerschaftliches Engagement fördern und aktiv einbeziehen;• die eine finanzierungs- und unterstützungsadäquate neue Gestaltung von Leistungsprozessen fördern;• die einen Rückbau bürokratischer Hemmnisse bei der Anpassung und Weiterentwicklung personenzentrierter Hilfen

ermöglichen.

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Unsere Angebote

ÜberblickIn den v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel erhalten viele Menschen mit Behinderung ein auf ihren persönlichenBedarf abgestimmtes Angebot an Unterstützung im privaten und beruflichen Alltag. Art und Ausmaß der Behinderungspielen dabei keine Rolle.

Spezielle fachliche Schwerpunkte bieten wir für Menschen mit Epilepsieerkrankung, Menschen mit Autismus undMenschen mit erworbenen Hirnschädigungen.

Die Hilfeangebote für Menschen mit Behinderung sind in den letzten 10 Jahren stark differenziert und dezentralisiertworden. Das bedeutet die schrittweise Abkehr von einer großen und zentral geführten Institution hin zu kleineren undauf die individuellen Bedürfnisse zugeschnittenen Angeboten. Die Erfahrung hat gezeigt, dass diese Form der Unter-stützung den Menschen mit Behinderung weitaus mehr Perspektiven für ein selbstbestimmtes Leben eröffnet.

Unsere Hilfen und Dienste sind in verschiedenen Regionen Nordrhein-Westfalens, aber auch in anderen Bundesländernvertreten:

• in der Region östliches Westfalen • in der Region westliches Westfalen• in Berlin- Brandenburg• im Rheinland

Zurzeit erhalten rund 6300 Menschen mit Behinderung ambulant, teilstationär und stationär Unterstützung durch uns.Sie erhalten Hilfen, die auf ihre Bedürfnisse und ihren Bedarf abgestimmt sind.

Zu unseren Angeboten zählen:

• Ambulante Unterstützung von Menschen mit Behinderung, die in ihrer eigenen Wohnung leben,• stationäre Wohnangebote in Wohngruppen, in Paarwohnungen oder auch in Einzelwohnungen,• stationäre Unterstützung von Müttern bzw. Eltern mit Behinderungen und ihren Kindern,• stationäre Unterstützung für Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen,• stationäre Kurzzeitbetreuung/-pflege,• Tagesförderstätten,• Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen• Berufliche Ausbildung• Maßnahmen zur beruflichen Integration• Arbeitsmöglichkeiten und Arbeitsstätten• Frühförderung für Kinder im Vorschulalter,• Schulische Erziehung und Bildung,• Beratungsstellen,• Familienentlastende Dienste,• Organisierte Freizeit- und Kulturangebote, • Fortbildungsmöglichkeiten, • (therapeutische) Dienste (Medizin, Psychologische Beratung/Therapie, Musiktherapie, Logopädie, Sport-

und Bewegungstherapie).

In der Vernetzung mit anderen Diensten und Einrichtungen verfügen wir auch über Angebote der Gesundheitsver-sorgung, die speziell auf die Interessen von Menschen mit Behinderungen ausgerichtet sind:

• Sozialpädiatrisches Zentrum an der Kinderklinik• epilepsiespezifische Versorgung.

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Kontaktadressen für die Stiftungsbereiche:

Unsere Angebote sind in vielen Regionen zu finden. Die jeweiligen Kontaktadressen für die Regionen können Sie dernachstehenden Tabelle entnehmen. Dort erhalten Sie weitere Informationen zu den örtlichen Angeboten.

Region KontaktadresseGeschäftsführung Telefon Fax E-Mail Internet

Ostwestfalen

Westl. Westfalen,Ruhrgebiet,Siegerland

Rheinland

BerlinBrandenburg

Berlin

StiftungsbereichBehindertenhilfeMaraweg 933617 Bielefeld

StiftungsbereichVor OrtVon-der-Tann-Str. 3844143 Dortmund

In der Gemeindeleben gGmbH*Erkrather Str. 10740233 Düsseldorf

Hoffnungstaler Anstalen Lobetal e. V.16321 Lobetal

Ev. KrankenhausKönigin ElisabethHerzberge gGmbH& Gemeindepsychia-trischer Verbund undAltenhilfe GPVAgGmbHHerzbergstr. 7910365 Berlin

0521 144-3080

0231 534250-107

0211 6020788

03338 66100

0521 144-4594

0231 534250-109

0211 6020734

03338 66102

[email protected]

[email protected]

[email protected]

[email protected]

www.igl-duesseldorf.de

www.behinderten-hilfe-bethel.de

* gemeinsame Tochter der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel und der Diakonie Düsseldorf

030 54722101 030 54722126 www.keh-berlin.de

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Betheler Erklärung

Im Rahmen des Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderungen fanden in den v. Bodelschwinghschen AnstaltenBethel vom 1. – 5. Oktober 2003 die Betheler Aktionstage statt. Kooperationspartner für diese Veranstaltung war derBundesverband Evangelische Behindertenhilfe. In diesem Zusammenhang wurde die Betheler Erklärung verfasst. Es habensich daran annähernd 500 Menschen mit und ohne Behinderung aus zwölf europäischen Staaten beteiligt (Belgien, Däne-mark, Frankreich, Großbritannien, Italien, Niederlande, Österreich, Polen, Schweiz, Ungarn, Weißrussland und Deutschland).Sie richtet sich an alle Mitmenschen in Europa. Die Betheler Aktionstage standen unter dem Motto „Gemeinschaft verwirkli-chen – Auf Augenhöhe“. Das sind unsere Thesen:

1. Alle Menschen sollen unabhängig vom Ausmaß ihrer Behinderung über ihr Leben selbst bestimmen. Das muss für alle Menschen in Europa Wirklichkeit werden.

2. Jeder Mensch ist eine eigene Persönlichkeit. Wir haben mehr gemeinsam, als uns unterscheidet. Nicht alleMenschen achten uns. Es muss mehr Möglichkeiten der Begegnung geben, damit alle Menschen lernen, sichzu respektieren.

3. Alle Menschen wollen selbstständig leben. Über notwendige Unterstützung bestimmen wir selbst und for-dern sie ein. Das bezieht sich auf alle Lebensbereiche (Beispiele: alltägliche Situationen, politischeMitwirkung, Mobilität). Um entscheiden zu können, brauchen wir Informationen, die wir verstehen.

4. Alle Menschen haben das Recht, eine Schule mit individueller Förderung zu besuchen und einen angemesse-nen Beruf zu erlernen. Jeder Mensch hat sein eigenes Lerntempo. Deshalb müssen Wünsche und Leistungs-fähigkeit berücksichtigt werden. Ein Leben lang müssen Lernen und der Zugang zu Bildung für alle ohneSchwierigkeiten möglich sein.

5. Wir wollen überall in Europa die Möglichkeit haben, eine sinnvolle Arbeit zu tun. Wer arbeitet, erfährtBestätigung durch die Arbeit und Anerkennung bei Kollegen und Kolleginnen und durch die Öffentlichkeit.Dazu gehört ein angemessener Lohn.

6. Alle Menschen haben auch im Alter Anspruch auf ein würdevolles Leben. Dazu gehören Kontakte,Zuwendung, selbstbestimmtes Wohnen und individuelle Tagesgestaltung sowie wirtschaftliche Sicherheitund gesundheitliche Versorgung.

7. Wir wollen an allen Sport-, Kultur- und Freizeitmöglichkeiten teilhaben können. Sie müssen für jeden undjede zugänglich und bezahlbar sein.

8. Wir sind in den Augen Gottes alle gleich. Alle Menschen müssen ihren Glauben frei leben können.

9. Wir wollen in Politik und Gesellschaft mitwirken. Nichts soll ohne uns über uns geplant und entschiedenwerden.

10. Selbstbestimmtes Leben erfordert viele gute Ideen, aber eben auch Geld. Deswegen muss jedes Land inEuropa ausreichend Geld zur Verfügung stellen.

Diese Erklärung wurde am 4. 10. 2003 Frau Ursula Schmidt, Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung (vertre-ten durch den parlamentarischen Staatssekretär Herrn Franz Thönnes), sowie Herrn Harald Schartau, Landesminister NRWfür Wirtschaft und Arbeit, stellvertretend für alle Regierungen und Entscheidungsgremien in der EU im Rahmen der Ab-schlussveranstaltung der Betheler Aktionstage überreicht. Wir erwarten, dass diese Betheler Erklärung einfließt in weitere(gesundheits-)politische und gesellschaftliche Entscheidungsprozesse sowie gesetzgeberische Maßnahmen zur Gleichstellungvon Menschen mit Behinderung in allen Staaten der Europäischen Union.

Bielefeld-Bethel, 4. Oktober 2003