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Teilnehmer wünschen sich eine zentrale Anlaufstelle für Beschwerdemöglichkeiten und Fortbildung Am 7. und 8. April 2006 fand in Fulda der erste Workshop des Projektes „Förderstelle unabhängiger Beschwerdestellen“ der DGSP unter dem Motto „Wehrt euch – beschwert euch“ statt. Teilnehmer waren überwiegend psychiatrieerfahrene aber auch andere Vertreter unterschiedlicher Beschwerdemöglichkeiten in der Psychiatrie und Interessierte. In 4 Vorträgen wurde das Thema Beschwerde auf unterschiedliche Weise betrachtet und lebhaft diskutiert. Die anschließenden Arbeitsgruppen beschäftigten sich mit den Themen „Definition des Begriffs Beschwerde“, „gemeinsame Standards von unabhängigen Beschwerdestellen“, „Förderung für ehrenamtliche Mitarbeiter von Beschwerdemöglichkeiten“, „betriebliches Beschwerdemanagement“ und „Vernetzung“. Ergebnis war die Forderung nach einer ständigen zentralen Anlaufstelle für Beschwerdemöglichkeiten in der Psychiatrie, die Informationen zu Aufbau und Finanzierung von unabhängigen Beschwerdestellen sowie Beratung zu Beschwerden geben kann. Diese Stelle könnte auch als Kontrollinstanz für unabhängige Beschwerdestellen dienen. Außerdem wurden möglichst kostengünstige Fortbildungen für Mitarbeiter von Beschwerdemöglichkeiten gewünscht die Gesprächstechniken, Kenntnisse über Krankheitsbilder und Behandlungsmöglichkeiten oder auch Informationen über Aufbau und Form von unabhängigen Beschwerdestellen vermitteln. Daneben wünschten sich die Teilnehmer schriftliche Informationen zum Aufbau von unabhängigen Beschwerdestellen, zu Finanzierungsmöglichkeiten, Rechtshinweisen mit Fallbeispielen und ein möglichst umfassendes Werk mit Adressen aller Beschwerdemöglichkeiten. Daraus ergeben sich für das Projekt folgende Aufgaben: 1. Fortsetzung der Diskussion um die Definition des Begriffs „Beschwerde“ 2. Fortsetzung der Diskussion um allgemeingültige Standards für unabhängige Beschwerdestellen 3. Erstellung und Finanzierung eines Fortbildungsprogramms für Mitarbeiter von Beschwerdemöglichkeiten 4. Einrichtung einer zentralen unabhängigen Anlaufstelle als Dauereinrichtung Über eine eigene Homepage www.beschwerde-psychiatrie.de können bereits die Adressen der bekannten unabhängigen Beschwerdestellen abgerufen werden. Hier wird zukünftig auch ein Austauschforum zu Beschwerden und Beschwerdemöglichkeiten in der Psychiatrie installiert, an dem jeder teilhaben kann. Für weitere Nachfragen steht Ihnen die Leiterin des Projektes, Gudrun Uebele unter der Adresse der DGSP, Zeltinger Straße 9, 50969 Köln, Tel.: 0221/511002 und Email: [email protected] zur Verfügung. Programm des Workshops 1. Tag 14°°Begrüßung und Einführung in das Thema: 14³°Vortrag Ruth Fricke: „Braucht man Beschwerdemöglichkeiten? – Möglichkeiten und Grenzen von Beschwerdestellen“ 15.²°Vortrag Renate Schernus: „Warum Beschwerdewesen? – Was macht die Qualität von Beschwerdemöglichkeiten aus?“ 16³°Vorstellung verschiedener Beschwerdemöglichkeiten

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Teilnehmer wünschen sich eine zentrale Anlaufstelle für Beschwerdemöglichkeiten und Fortbildung

Am 7. und 8. April 2006 fand in Fulda der erste Workshop des Projektes „Förderstelle unabhängiger Beschwerdestellen“ der DGSP unter dem Motto „Wehrt euch – beschwert euch“ statt.Teilnehmer waren überwiegend psychiatrieerfahrene aber auch andere Vertreter unterschiedlicher Beschwerdemöglichkeiten in der Psychiatrie und Interessierte.

In 4 Vorträgen wurde das Thema Beschwerde auf unterschiedliche Weise betrachtet und lebhaft diskutiert. Die anschließenden Arbeitsgruppen beschäftigten sich mit den Themen „Definition des Begriffs Beschwerde“, „gemeinsame Standards von unabhängigen Beschwerdestellen“, „Förderung für ehrenamtliche Mitarbeiter von Beschwerdemöglichkeiten“, „betriebliches Beschwerdemanagement“ und „Vernetzung“.

Ergebnis war die Forderung nach einer ständigen zentralen Anlaufstelle für Beschwerdemöglichkeiten in der Psychiatrie, die Informationen zu Aufbau und Finanzierung von unabhängigen Beschwerdestellen sowie Beratung zu Beschwerden geben kann. Diese Stelle könnte auch als Kontrollinstanz für unabhängige Beschwerdestellen dienen.Außerdem wurden möglichst kostengünstige Fortbildungen für Mitarbeiter von Beschwerdemöglichkeiten gewünscht die Gesprächstechniken, Kenntnisse über Krankheitsbilder und Behandlungsmöglichkeiten oder auch Informationen über Aufbau und Form von unabhängigen Beschwerdestellen vermitteln.Daneben wünschten sich die Teilnehmer schriftliche Informationen zum Aufbau von unabhängigen Beschwerdestellen, zu Finanzierungsmöglichkeiten, Rechtshinweisen mit Fallbeispielen und ein möglichst umfassendes Werk mit Adressen aller Beschwerdemöglichkeiten.

Daraus ergeben sich für das Projekt folgende Aufgaben:1. Fortsetzung der Diskussion um die Definition des Begriffs „Beschwerde“2. Fortsetzung der Diskussion um allgemeingültige Standards für unabhängige

Beschwerdestellen3. Erstellung und Finanzierung eines Fortbildungsprogramms für Mitarbeiter von

Beschwerdemöglichkeiten 4. Einrichtung einer zentralen unabhängigen Anlaufstelle als Dauereinrichtung

Über eine eigene Homepage www.beschwerde-psychiatrie.de können bereits die Adressen der bekannten unabhängigen Beschwerdestellen abgerufen werden. Hier wird zukünftig auch ein Austauschforum zu Beschwerden und Beschwerdemöglichkeiten in der Psychiatrie installiert, an dem jeder teilhaben kann. Für weitere Nachfragen steht Ihnen die Leiterin des Projektes, Gudrun Uebele unter der Adresse der DGSP, Zeltinger Straße 9, 50969 Köln, Tel.: 0221/511002 und Email: [email protected] zur Verfügung.

Programm des Workshops1. Tag

• 14°°Begrüßung und Einführung in das Thema: 14³°Vortrag Ruth Fricke: „Braucht man Beschwerdemöglichkeiten? –

Möglichkeiten und Grenzen von Beschwerdestellen“ 15.²°Vortrag Renate Schernus: „Warum Beschwerdewesen? – Was macht die

Qualität von Beschwerdemöglichkeiten aus?“• 16³°Vorstellung verschiedener Beschwerdemöglichkeiten

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Patientenfürsprecher – Siegfried Bürk unabhängige Beschwerdestelle – Rainer Höflacher Betriebliche Beschwerdestelle – Hans Cordshagen Modell Patientenvertrauensperson – Peter Weinmann

2. Tag• 9°° Austausch in Arbeitsgruppen

• I. Definition des Begriffs „Beschwerde“? Strategien zum Umgang mit Beschwerde. „Beschwerdefibel“ für Betroffene – Jurand Daszkowski

• II. Standards, Grenzen und Möglichkeiten von unabhängigen Beschwerdestellen – Ruth Fricke

• III. Was benötigen Mitarbeiter im Beschwerdewesen an Unterstützung, Förderung und Schulung – Fortbildungsprogramm – Karin Haehn

• IV. Betriebliches Beschwerdemanagement innerhalb des Qualitätssystems eines Trägers – Hans Cordshagen

• V. Vernetzung von Beschwerdemöglichkeiten; Ideenbörse für Vernetzungsmöglichkeiten – Gudrun Uebele

• 13°° Ergebnispräsentation aus den Arbeitsgruppen und Diskussion über weitere Vorgehensweise

• 14°° Modelle von Beschwerdemöglichkeiten in der EU – Michael von Cranach

„Wehrt euch – beschwert euch“

Ein Tagungsbericht von Karin Haehn

Unter dem Motto „Wehrt euch – beschwert euch“ veranstaltete die DGSP in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Psychiatrie Erfahrener e.V. (BPE) und dem Bundesverband Familienselbsthilfe e.V. (BApK) vom 7. bis 8. April 2006 einen ersten Workshop im Rahmen des Projektes „Förderung unabhängiger Beschwerdestellen“. Projektleiterin Gudrun Uebele und Friedrich Walburg vom DGSP-Vorstand moderierten die gut besuchte Veranstaltung.

Wie stellt man Unabhängigkeit her?Das von Aktion Mensch auf drei Jahre geförderte Projekt zur Erfassung und Vernetzung unabhängiger Beschwerdestellen in der BRD, angesiedelt in der DGSP-Geschäftstelle, scheint mir sehr notwendig, gibt es doch noch keinerlei einheitliche Gesetze, oder besser gesagt nur sehr magere Bundesgesetze zur Unterstützung von Menschen mit Psychiatrieerfahrung in der Wahrung ihrer Rechte und ihrer Menschenwürde. Und die Ländergesetze sind zu diesem Thema sehr unterschiedlich.Dabei ist es eine unbestreitbare Tatsache: „Wo Freiheitsrechte eingeschränkt werden, oder Menschen in Abhängigkeiten leben, werden Beschwerdeinstanzen benötigt.“ Das sagte (auch) Ruth Fricke (BPE) in ihren Ausführungen über die Ergebnisse ihrer Arbeit bei der Herforder Beschwerdestelle. Sie berichtete, dass es bis heute noch keine öffentliche Förderung für Beschwerdestellen gibt und stellte die Frage: „Wie stellt man die notwendige Unabhängigkeit der Beschwerdestellen her?“ Zu bedenken gab sie auch, dass es noch keine Fachaufsicht für

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amtliche Betreuer gibt, was durchaus von einer unabhängigen Beschwerdestelle erledigt werden könnte. Die Arbeit in der Herforder Beschwerdestelle laufe deshalb so gut, weil die Handlungsmacht bei den Selbsthilfegruppen (Betroffene und Angehörige) liegt und die „Profis sich gerne mitbeteiligen“. Die Beschwerdestelle sei grundsätzlich parteilich in ihrem Einsatz für die Problemlösung der Psychiatrie-Erfahrenen. Öffentlichkeitsarbeit machen die Herforder mittels Veröffentlichung der Sprechzeiten in der örtlichen Presse und Visitenkarten.

Beispiele: Wie arbeiten Beschwerdestellen?Auch Renate Schernus (DGSP) wies in Ihrem Bericht über die Bielefelder Beschwerdestelle darauf hin, dass sie keine formale Handlungsmacht besäßen und darum auf die Zusammenarbeit der Einrichtungen angewiesen seien. Unterstützung erfahren sie durch die Mitarbeit einer Bielefelder Stadträtin, die aus taktischen Überlegungen auch zur Vorsitzenden der Beschwerdestelle gewählt wurde. Renate Schernus ist der Meinung, zeitnahe Bearbeitung der Beschwerdefälle und ausgleichende Gespräche seien von großer Wichtigkeit. Die eigentliche Qualität der Beschwerdearbeit liege in der Art, wie mit den Beschwerdeführern umgegangen wird. Immer wieder müsse geklärt werden, was eine Beschwerdestelle nicht leisten kann, nämlich z.B.: „geltende Gesetze ändern, juristische Verfahren einleiten, Einrichtungen bestrafen und anonyme Beschwerden annehmen.“ Und weiter: „Die Qualität psychiatrischer Arbeit entsteht nicht durch ängstliche Fehlervermeidung, sondern durch die Bereitschaft, alles miteinander abzusprechen“. Nach kurzer Kaffeepause folgten drei Kurzreferate. Der Sprecher der baden-württembergischen Patientenfürsprecher, Siegfried Bürk stellte seine Arbeit vor. Er arbeitet nach einem Modell, welches vom Sozialministerium erarbeitet und im Jahre 2000 im Landespsychiatrieplan beschrieben wurde. Rainer Höflacher (BPE) stellte die Stuttgarter Beschwerdestelle vor. Diese hat neben der Bearbeitung und Klärung von Beschwerden auch den Auftrag, alle sich aufzeigenden strukturellen Probleme dem Gesundheitsausschuss und dem Gemeindepsychiatrischen Verbund (GPV) weiter zu melden. Die Beschwerdearbeit führe bei den ehrenamtlichen Mitarbeitern zur Überlastung, wenn die Beschwerdestelle ihre Aufgaben nicht ganz klar abgrenzt, so Rainer Höflacher, und er wünscht sich eine Finanzierung unabhängiger Mitarbeiter. Menschen, die in der Beschwerdestelle mitarbeiten, müssen sich um einen guten Ruf bemühen und versuchen, auch die andere Seite zu sehen.Hans Cordshagen (Regionalleiter des Kreises Dithmarschen der Brücke Schleswig-Holstein) erklärte die institutionelle Beschwerdestelle der „Brücke Schleswig Holstein“. Er beschrieb, dass es die besondere Zielsetzung der institutionellen Beschwerdestelle sei, neben der Klärung der Beschwerdeproblematik auch eine Änderung des Verhaltens beim Personal der Einrichtungen herbei zu führen. Es werden gemeinsame Schulungen für Mitarbeiter und Nutzer der Angebote der Brücke angeboten.Den Abschluss des ersten Tages machte Peter Weinmann (Landesverband Saarland des BPE) mit dem Bericht über den gescheiteten Versuch einer Saarländer Beschwerdeinstitution. Sie stellte nach einem halben Jahr ihre Arbeit ein, weil die nötigen Rahmenbedingungen vom Land nicht erfüllt werden konnten. Sie ließen sich davon aber nicht entmutigen, sondern erarbeiteten ein neues Konzept für ein Modellprojekt analog des niederländischen Patientenvertrauensperson-Modells, das einerseits zwar bereits genehmigt, dessen Umsetzung aber aus finanziellen Gründen schon mehrfach verschoben wurde. Nun bleibt ihnen nur übrig, abzuwarten.

Blick ins AuslandNach ausgiebigem Frühstück verteilten wir uns auf fünf Arbeitsgruppen und berichteten am Nachmittag darüber. Das Schlussreferat hielt Michael von Cranach, der ärztliche Direktor am Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren. Er referierte über „Modelle von Beschwerdemöglichkeiten in der EU“ und stellte einige Artikel aus der EU-Charta der Grundrechte vor. So lautet z.B. der Artikel 41: „Recht auf eine gute Verwaltung (öffentliche Dienstleistung): Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Angelegenheiten vor den Organen und Einrichtungen der Union unparteiisch, gerecht und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden.“ Von Cranach referierte noch über drei weitere Artikel der EU-Charta und verwies darauf, dass die Schwierigkeit in Deutschland, diese Charta umzusetzen, darin läge, dass in unserer Gesellschaft die Hierarchien besonders fest in den Strukturen eingewachsen seien; außerdem sei der Begriff „Beschwerde“ negativ besetzt. In der englischen und französischen Sprache wird hierfür der Begriff „Plan“

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benutzt, was soviel bedeutet, wie etwas glätten und einebnen. Von Cranach verwies außerdem auf das Petitionsrecht der EU- Bürger und auf den Bürgerbeauftragten der EU. Er forderte alle Teilnehmer auf, diese Institutionen auch zu nutzen, da EU-Recht über dem Bundesrecht stehe. Die EU hat auch eine Besuchskommission zur Wahrung der Rechte psychisch kranker Menschen eingerichtet, die man einladen kann, wenn es nötig erscheint. Die Adresse kann über den Vertreter des Wahlkreises in der EU erfragt werden. Besonders empfehlenswert ist ihm das Leitlinienbuch der WHO aus dem Jahre 2005 (WHO – Ressourcebook on Mental Health Human Rights and Legislation) worin besonders anschaulich beschrieben sei, dass das Kontrollsystem offen, unparteilich, leicht zugänglich, schnell, höflich, verlässlich, vertraulich, grundsätzlich schriftlich, in einfacher Sprache aufgebaut sein müsse.Ausführlich ging von Cranach auf das englische Beschwerdesystem ein; dort gibt es heute schon institutionalisierte Beschwerdegremien. Jeder Mensch kann in England auf Antrag eine zweite Meinung einholen. Es gibt hier sogar speziell geschulte „second-opinion-doctors“. Besonders wichtig ist das bei längerer Zwangsunterbringung und einer Psychopharmaka-Verabreichung, die länger als drei Monate ohne Einwilligung des Patienten gegeben wird. Auch bei der Entscheidung ob Elektrokrampftherapie eingesetzt werden soll, muss eine zweite ärztliche Meinung eingeholt werden. Die nicht ausdiskutierten Fragen, z. B. wer Richtlinien entwickeln und Qualitätsmerkmale für Beschwerdeinstanzen aufstellen darf, und wie es gelingen kann, dass das Beschwerdewesen – sehr notwendig - von seinem Stigma befreit wird, nahmen wir zum Nachdenken mit nach Hause.Ich freue mich auf die hoffentlich gute, fruchtbare Arbeit der drei Verbände zu diesem Thema.

Braucht man Beschwerdemöglichkeiten? Möglichkeiten und Grenzen von BeschwerdestellenVon Ruth Fricke – Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener und Beschwerdestelle Herford

Als ich den mir zugedachten Referattitel das erste Mal las, dachte ich: „Wer ist eigentlich man?“ Meine Antwort auf diese Frage ist: „Jeder und jede in der Gesellschaft braucht Beschwerdemöglichkeiten, denn es muss die Möglichkeit geben, auf Missstände aufmerksam zu machen und Wege zu finden diese Missstände zu beheben“. Was in der gesamten Gesellschaft gilt, gilt in besonderem Maße in Bereichen in denen die Freiheitsrechte der Menschen eingeschränkt sind oder wo Menschen in Abhängkeitsverhältnissen leben. Ein solcher Bereich ist die Psychiatrie. Im stationären Bereich werden Menschen u. A. gegen Ihren Willen geschlossen untergebracht, gegen ihren Willen behandelt, sie können fixiert werden usw. Wer in einem Heim für psychisch kranke Menschen lebt, ist oft vielen Reglementierungen unterworfen. Wer unter gesetzlicher Betreuung steht, ist in seiner Entscheidungsfreiheit eingeschränkt, auch wenn er zu Hause wohnt. Aber auch Menschen, die keine gesetzliche Betreuung haben, aber Einrichtungen und Dienste des ambulanten und komplementären Bereiches nutzen, befinden sich in gewissen Abhängigkeitsverhältnissen.Die eigentliche Frage um die es geht lautet: Braucht man unabhängige Beschwerdestellen Psychiatrie? Gemeint sind hier trägerunabhängige Beschwerdestellen, denn es gibt ja z.B. Beschwerdestellen und Kontrollinstrumente zumindest für einige Bereiche. In NRW z.B. sind im Krankenhausgesetz Patientenbeschwerdestellen vorgeschrieben. Dies gilt auch für psychiatrische Krankenhäuser. Für Patienten, die nach PsychKG in einer psychiatrischen Klinik untergebracht sind, gibt es eine staatliche Besuchskommission, die einmal pro Jahr in jeder Klinik stichprobenartig prüft, ob die Unterbringung und Behandlung gesetzeskonform ist und ob es sonstige Anlässe zu Beschwerden gibt. Selbstverständlich kann man auch gegen einen richterlichen Beschluss nach PsychKG Widerspruch einlegen. Man kann auch einen Betreuerwechsel beantragen oder den Antrag stellen die gesetzliche Betreuung ganz aufzuheben. Es gibt eine staatliche Heimaufsicht, die die Heime kontrolliert. Es gibt aber keine Fachaufsicht für gesetzliche Betreuer und keine gesetzlich vorgeschrieben Beschwerdestellen für ambulante und komplementäre Dienste und Einrichtungen.Dieser ambulante und komplementäre Bereich war für uns im Kreis Herford seinerzeit der eigentliche Anlass, die unabhängige Beschwerdestelle zu gründen. Der Anlass waren aber nicht etwa augenfällige Probleme, sondern die Tatsachen, dass der größte Anbieter für betreutes Wohnen, der auch eine Tagesstätte und einen Treffpunkt betreibt sich vom e.V. in eine gGmbH umgründen wollte und - beseelt von einer stark trialogisch ausgerichteten Gütersloher

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Fortbildungwoche, die kurz zuvor stattgefunden hatte – unserem Selbsthilfeverein und dem Angehörigenverein je ein Drittel der GmbH-Anteile schenken wollte, um eine trialogische GmbH zu gründen. Der Angehörigenverein war von dieser Idee zunächst sehr angetan. Wir hatten von Anfang an Bedenken, denn wir können nicht Interessenvertretung der Betroffenen und gleichzeitig Arbeitgeber der Mitarbeiter sein, gegen die sich etwaige Beschwerden richten könnten. Als Arbeitgeber würden wir für jeden Fehler, den ein Mitarbeiter macht, verantwortlich gemacht werden. Eine Interessenorganisation von Betroffenen wäre so nicht mehr möglich.Wenn es um Qualitätsverbesserungen gehen sollte, musste ein anderer Weg gegangen werden. In Bielefeld war vor einiger Zeit nach dem Vorbild der in Stuttgart und Köln bereits bestehenden Stellen, eine unabhängige Beschwerdestelle Psychiatrie gegründet worden .Unsere Selbsthilfegruppe lud Wolfgang Voelzke und Ulrike Tadday, die als Patientenvertreter in der Bielefelder Beschwerdestelle mitarbeiteten zu einem Informationsabend ein. Zu diesem Abend hatten wir auch alle Einrichtungen und Dienste, die im Kreis Herford im Bereich der Psychiatrie tätig sind, eingeladen. Der Laden war rappelvoll. Nach diesem Informationsabend haben wir das Thema in die PSAG getragen. Dort haben wir mit allen Beteiligten fast 2 Jahre an der möglichen Konzeption gearbeitet. Diese intensive Diskussionsphase war aus meiner Sicht sehr wichtig, weil sich dadurch viel in den Köpfen der verschiedenen Einrichtungen und Dienste bewegen können. Grundlage für unsere Konzeption waren die Konzepte aus Bielefeld und aus Stuttgart. Eine Verbesserung haben wir aus meiner Sicht eingeführt. Wir haben mit allen Trägern von Diensten und Einrichtungen sowie mit allen Städten und Gemeinden im Kreis Herford und auch mit dem Kreis selbst, Kooperationsvereinbarungen abgeschlossen, so dass sichergestellt ist, dass Beschwerden nicht ins Leere laufen, sondern gemeinsam mit der betroffenen Stelle einer Lösung zugeführt werden können.Unsere Beschwerdestelle ist trialogisch besetzt mit je 2 Betroffenen, Angehörigen, Psychiatern, Pflegekräften, Therapeuten und Sozialarbeitern. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass bei den Beratungen immer alle Berufsgruppen vertreten sind, da die Person, die in einer Einrichtung arbeitet , gegen die eine Beschwerde läuft, an der Abwicklung dieser Beschwerde nicht beteiligt wird. Alle beteiligen sich am Sprechstundendienst und arbeiten ehrenamtlich. Wir führen wöchentlich 2 Sprechstunden durch, eine in Herford und eine in Bünde. Es gibt Zeiten, da könnte man denken, wir brauchten eigentlich keine Beschwerdestelle. Manchmal tut sich über Monate hinweg gar nichts, dann geht es wieder Schlag auf Schlag.Aus den ambulanten und komplementären Einrichtungen und Diensten, die an der Konzeptionsentwicklung beteiligt waren, kommen so gut wie keine Beschwerden. Hier zeigt sich, dass sich die zwei Jahre intensiver Vordiskussion gelohnt haben. Offensichtlich haben sie einen Einfluss auf die innere Haltung der MitarbeiterInnen genommen, der sich in der täglichen Arbeit widerspiegelt.Was wir vorher nicht erwartet hatten, war die Tatsache, dass die meisten Beschwerden im weitesten Sinne mit gesetzlichen Betreuungen zu tun haben.Als die westfälische Klinik in Gütersloh noch unsere Pflichtversorgungsklinik war, haben wir auch Beschwerden über die westfälische Klinik abgearbeitet, obwohl hier eigentlich die Beschwerdekommission des Landschaftsverbandes zuständig ist. Wenn wir die Beschwerde bearbeitet haben, lag der Vorteil für die Betroffenen darin, dass wir zeitnah arbeiten, während die Abarbeitung von Beschwerden beim Landschaftsverband oft bis zu einem halben Jahr dauert, so dass der Patient längst wieder entlassen ist, wenn er eine Antwort erhält und die Situation, die Anlass für die Beschwerde war, aktuell nicht verändert wurde. Der Nachteil einer Beschwerdebearbeitung durch uns besteht darin, dass diese Beschwerden nicht im jährlichen Beschwerdebericht des LWL (Landschaftsverband Westfalen-Lippe) auftaucht, deren Statistik also geschönt wird. Wenn die unabhängige Beschwerdestelle die gesetzlich zuständige Stelle würde, würde sich ein weiterer Vorteil ergeben. Wir würden, im Einvernehmen mit den Betroffenen, die Beschwerden von PsychKG-Patienten an die zuständige staatliche Besuchskommission weitergeben, was bei den derzeit zuständigen Beschwerdeinstanzen nicht geschieht. Dieser Punkt ist derzeit bei allen Klinikvisiten durch die Besuchskommissionen ein Nullpunkt.Mit dem Kreisklinikum, wo jetzt auch die vollstationäre Pflichtversorgung angesiedelt ist, haben wir seit Anbeginn die Regelung, dass wir die Patientenfürsprecher des Klinikums in die Abarbeitung der Beschwerden mit einbeziehen. Beide Patientenfürsprecher sagen uns immer wieder, dass sie auf derartige Fälle nicht vorbereitet seien und dass sie ohne uns keine adäquate Lösung gefunden hätten.

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Zu Beginn unserer Arbeit im Jahr 2000 hatten wir es überwiegend mit traumatischen Erfahrungen durch Zwangseinweisungen und Zwangsbehandlung zu tun, die Jahre zurück lagen, aber mit den Betroffenen nie besprochen, geschweige denn therapeutisch aufgearbeitet worden waren. Hier konnten wir in einigen Fällen wenigstens noch ein klärendes Gespräch mit den seinerzeit behandelnden Ärzten vermitteln.Um die Möglichkeiten und Grenzen unserer unabhängigen Beschwerdestelle aufzuzeigen, möchte ich nun einige Fälle beschreiben, die an uns herangetragen wurden.• Beschwerde eines Betroffenen über seinen gesetzlichen Berufsbetreuer, weil dieser zu wenig

Kontakt zu ihm hielt und weil der Betroffene keinen Überblick über seine Finanzen und kein Bargeld in die Hände bekam. In dem klärenden Gespräch, an dem neben dem Betroffenen, dem gesetzlichen Betreuer und zwei Mitgliedern der Beschwerdestelle auch der Wohnbetreuer teilnahm, wurden folgende Vereinbarungen erzielt: Um einen häufigeren Kontakt zum gesetzlichen Betreuer herzustellen, fährt der Wohnbetreuer von Zeit zu Zeit mit dem Betreuten in das Betreuungsbüro in Vlotho. Damit der Betroffene einen Überblick über seine Finanzen erhält, bekommt er künftig eine Kopie der Kontoauszüge. Bargeld wird ihm weiterhin nicht ausgezahlt, da immer noch ein Rückfall bei seinem Alkoholproblem befürchtet wurde. Der Wohnbetreuer, der mit ihm gemeinsam die Einkäufe erledigt, versicherte aber, dass der Betroffene ansonsten über seine Ausgaben frei verfügen könne.

• Beschwerde über die Herforder Tagesklinik, weil der Patient sich „rausgeschmissen“ fühlte. Der Patient hatte im Vorgespräch zur Aufnahme in die Tagesklinik, wegen Missbrauchserfahrungen mit einem Mann, um eine weibliche Therapeutin gebeten. Dies war ihm auch zugesagt worden. Nach Aufnahme stellte sich dann heraus, dass gegenwärtig keine Frau als Therapeutin zur Verfügung stand. Die Klinik bat ihn deshalb Therapiegespräche mit einem männlichen Therapeuten zu versuchen. Nach ein paar Tagen hatte der Patient erneut darum gebeten zu einer Frau als Therapeutin wechseln zu dürfen. Daraufhin hatte man ihm gesagt, es stünde derzeit keine Frau zur Verfügung, dann müsse er die Therapie eben abbrechen und die Klinik verlassen. Dies hatte der Patient als „Rausschmiss“ auf immer und ewig verstanden. In dem klärenden Gespräch stellt sich dann heraus, dass gemeint war, er müsse die Therapie abbrechen, bis eine Therapeutin frei wäre. Es wurde auch sofort ein Termin für ein erneutes Aufnahmegespräch vereinbart. Desweiteren konnte unsere Beschwerdestelle dem Betroffenen den Kontakt zu einer Beratungsstelle und einer Selbsthilfegruppe für männliche Missbauchsopfer vermitteln.

• Beschwerde einer gesetzlichen Betreuerin über die WKPPN Gütersloh, weil ihr Betreuter von dort entlassen worden war, ohne sie, wie vereinbart worden war, zu benachrichtigen. Hintergrund dieser Absprache war die Tatsache, dass der Betreute in einem von Schimmelpilz befallenen Asylbewerberheim wohnte und dies für sein Asthmaleiden nicht zuträglich war. Die Betreuerin hatte inzwischen für den Betreuten eine schimmelpilzfreie Unterkunft besorgt, aber die Klinik hatte ihn in seine alte Wohnung entlassen. Da die Entlassung während des Urlaubs der Betreuerin erfolgt war, gab es zunächst eine Kontroverse darüber, ob Ihr Stellvertreter auf mehrere Anrufe der Klinik nicht reagiert hatte, oder ob er gar nicht verständigt worden sei. Am Ende wurde eine grundsätzliche Vereinbarung getroffen, wie künftig in vergleichbaren Fällen zu verfahren ist.

• Beschwerde über die Tagesklinik Herford über die Diagnose und weitere Formulierungen im Entlassungsbericht. Der Patientin war es wichtig, dass der Schwerpunkt des Berichtes auf Ihr Messieproblem gelegt wurde, welches bis dahin überhaupt nicht erwähnt wurde. Diese Änderung des Entlassungsberichtes konnte erreicht werden.

• Ein Konfliktfall zwischen einem Geschwisterpaar wurde von uns über ca. ein Jahr hinweg bearbeitet. Der Bruder war nach einem Ehekonflikt seiner Frau nach Griechenland hinterher gereist. Dort war er in die Psychiatrie gekommen. Die Schwester hatte ihm einen Platz in der Psychiatrie in Lübbecke besorgt, damit er nach Deutschland zurückkommen konnte. Nun machte der Bruder die Schwester für seine geschlossene Unterbringung in der Psychiatrie verantwortlich und dafür, dass sein Handwerksbetrieb in der Zwischenzeit in Konkurs gegangen war. Andererseits bettelte er die Schwester ständig um Geld an. Die Schwester kam regelmäßig zu mir in die Sprechstunde, der Bruder kam regelmäßig zu einem Kollegen in die Beschwerdestelle. Inzwischen wird der Versuch, zwischen den Geschwistern zu vermitteln, durch die Beratungsstelle der Caritas weitergeführt.

• Beschwerde über eine Klinik im lippischen Nachbarkreis, die eine Patientin nachts ohne ausreichend warme Bekleidung, Geld und Gepäck auf die Straße gesetzt hatte. In diesem

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Fall ist ein Mitglied unserer Beschwerdestelle sofort vor Ort gefahren. Es wurde zunächst erreicht, dass die Patientin wieder ins Haus gelassen wurde und dort auf Ihren Vater warten konnte, der sie dann mit Ihrem gesamten Gepäck dort abgeholt hat. Dieser Fall konnte nicht zu Ende bearbeitet werden, weil die Patientin noch einen längeren Bericht über den Gesamtzusammenhang schreiben wollte, diesen Bericht aber trotz mehrerer Nachfragen bis heute nicht eingereicht hat.

• Beschwerde übe die gleiche Klinik, weil der behandelnde Arzt eine gesetzliche Betreuung angeregt hatte und dann den Wunsch der Patientin, dass diese Betreuung durch Ihre Tochter wahrgenommen werden sollte, hintertrieben hatte. In Zusammenarbeit mit dem sozialpsychiatrischen Dienst des Kreises Herford konnte erreicht werden, dass die Tochter, so wie es die Mutter gewünscht hatte, als Betreuerin eingesetzt wurde.

• Beschwerde einer gesetzlichen Betreuerin über den Chef der Tagesklinik Bünde, weil dieser bezüglich der Diagnose und Therapie anderer Meinung war als der niedergelassene Psychiater Ihres Betreuten und vor allem, weil er diese abweichende Meinung dem Patienten im Aufnahmegespräch auch mitgeteilt hatte. Die Betreuerin hatte sich mit Ihrer Beschwerde nicht nur an uns, sondern auch an die Betriebsleitung des Kreisklinikums und an das Amtsgericht Bünde gewandt. Bis es zum klärenden Gespräch zwischen der Betreuerin, dem Tagesklinikchef und uns kam, hatte sich die Betreuerin mit den Worten, sie lehne jede weitere Verantwortung in der Gesundheitssorge für Ihren Betreuten ab, mit einer weiteren Beschwerde an die Betriebsleitung und das Amtsgericht Bünde gewandt, nachdem die Tagesklinik sämtliche Psychopharmaka abgesetzt hatte. Dem Patienten ging es zum Zeitpunkt des Gespräches schon merklich besser. Die Betreuerin musste einräumen, dass der therapeutische Ansatz der Tagesklinik, doch wohl richtig gewesen war. Wir konnten ihr auch vermitteln, dass der Patient selbst und nicht nur sie, Anspruch darauf hat, verschiedene Arztmeinungen zu hören.

• Beschwerde gegen das Kreisklinikum wegen Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht. Die behandelnde Ärztin hatte dem Ehemann der Patientin Einzelheiten aus Therapiegesprächen berichtet. Diesen Fall konnten wir leider nicht mehr zu Ende führen, weil sich die Patientin in der Zwischenzeit suizidiert hatte.

• Beschwerde gegen die psychiatrische Klinik im Nachbarkreis Minden-Lübbecke, weil aufgrund der Falschaussage der Schwester der Betroffenen durch die Klinik ein richterlicher Beschluss nach PsychKG erwirkt wurde und sofort bei Aufnahme eine Fixierung angeordnet worden war. Die Schwester hatte u. A. behauptet, dass die Betroffene ihre Mutter zu Hause geschlagen habe. Um zu beweisen, dass die Beschwerdeführerin nie gewalttätig geworden war, waren sowohl die Mutter als auch eine andere Schwester der Betroffenen mit zu dem Klärungsgespräch in die Klinik Lübbecke gekommen. Es wurde erreicht, dass als erstes Blatt in der Patientenakte ein Vermerk gemacht wurde, dass die Patientin nie gewalttätig gewesen sei. Außerdem wurde mit der Klinik vereinbart, dass Fixierungen immer zeitnah zu besprechen und therapeutisch aufzuarbeiten sind. Auf einen Widerspruch gegen das PsychKG bei Gericht verzichtete die Beschwerdeführerin, da dies ja mittlerweile wieder aufgehoben worden war.

• Beschwerde gegen die psychiatrische Klinik Herford durch eine Wohnbetreuerin, weil eine Patientin, zum Auffüllen ihres tragbaren Sauerstoffgerätes immer wieder nach Hause geschickt worden war. Die Krankenkasse weigerte sich nun, die dadurch entstandenen Fahrtkosten zu erstatten, weil bei einem stationären Aufenthalt die Sauerstoffversorgung durch die Klinik sicher zu stellen sei. Es wurde erreicht, dass die Klinik zum einen die Fahrtkosten erstattete, zum anderen wurden in mehreren Mitarbeiterversammlungen, die verschiedenen Berufsgruppen darauf hingewiesen, dass die Sauerstoffversorgung in derartigen Fällen durch die Klinik zu erfolgen hat und notfalls eine Sauerstoffflasche aus dem Haupthaus zu besorgen ist.

• Beschwerde gegen die Leiterin eines Nichtraucherkurses der AOK, weil sie eine Betroffene wegen ihrer manisch- depressiven Erkrankung nicht zum Nichtraucherkurs zulassen wollte. In dem klärenden Gespräch stellte sich heraus, dass bei einem vorherigen Kurs ein Mann mit derselben Diagnose unter Nikotinentzug manisch geworden war. Dies hatte die Kursleiterin zum Anlass genommen, sich beim Krebsforschungszentrum in Heidelberg zu erkundigen. Es stellte sich heraus, dass dort bekannt war, dass bei Menschen mit psychiatrischen Diagnosen die Veränderung des Hirnstoffwechsels durch Nikotinentzug zu erneuten Krisen führen kann. Es wurde von dort empfohlen, Betroffenen die Teilnahme an Nichtraucherkursen nur zu

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gewähren, wenn eine engmaschige Zusammenarbeit mit einem niedergelassenen Psychiater stattfindet, um notfalls medikamentös gegensteuern zu können. Eine derartige Vereinbarung wurde mit der Beschwerdeführerin getroffen. Weiterhin wurde mit der Kursleiterin vereinbart in vergleichbaren fällen ebenso zu verfahren. Darüber hinaus nahmen wir diese Angelegenheit zum Anlass, bei der psychiatrischen Klinik am Herforder Klinikum anzuregen, spezielle Nichtraucherkurse für PsychiatriepatientInnen anzubieten. Ein Konzept hierfür wird derzeit erarbeitet.

• Beschwerde gegen das Straßenverkehrsamt des Kreises Herford, wegen Entzugs der Fahrerlaubnis. Diese Beschwerde, konnte durch ein Gutachten von Dr. Müller im Sinne des Beschwerdeführers gelöst werden.

• Es gibt aber auch lustige Beschwerden oder Beschwerden, die völlig anders enden als man je geglaubt hat. Als lustig empfand ich zumindest die Beschwerde, dass der Putzdienst nun zweimal pro Woche kommt und nicht mehr wie bisher einmal pro Woche. Da die Beschwerdeführerin zunächst einen falschen Leistungserbringer angegeben hatte, mussten wir noch einmal bei ihr nachfragen, wie die Reinigungsfrau und deren Dienstvorgesetzter denn nun wirklich heißen. Als wir sie schließlich nach mehreren Versuchen telefonisch erreichten, sagte sie, sie würde uns wieder anrufen, um die Namen mitzuteilen, aber eigentlich sei das auch gar nicht mehr so wichtig. Sie hat sich nie wieder gemeldet.

• Völlig anders als erwartet ging eine Beschwerde über eine längere Fixierung in der Herforder Psychiatrie aus, die nach Aussage des Beschwerdeführers zu ständigen Schmerzen im Bein geführt hatte. In dem klärenden Gespräch, das drei Tage später stattfand, ging es dann plötzlich nicht mehr um die Fixierung, sondern um Entlassung oder die Verlegung in eine Reha-Klinik. Die Reha-Klinik hatte den Patienten aber gerade zurück überwiesen, weil dieser noch nicht rehafähig sei. So sahen wir uns in der merkwürdigen Lage, den Ärzten bei ihrer Überzeugungsarbeit zu helfen, damit der Patient erst einmal seine stationäre Behandlung abschloss, um überhaupt rehafähig zu werden.

• Den dicksten Fall, mit dem wir uns ganz zu Beginn unserer Arbeit konfrontiert sahen, habe ich mir bis zum Schluss aufgehoben, weil er sehr gut die Möglichkeit und Grenzen unserer Arbeit aufzeigt. D.h. in diesem Fall wo unsere Arbeit aufhört und an andere Stellen weitergegeben werden kann und muss. Es handelt sich um einen Fall, wo der Betroffene durch die Untätigkeit seines gesetzlichen Betreuers sein gesamtes Hab und Gut verloren hat und auch gesundheitlich schwer geschädigt wurde. Weil der Betroffene seit längerem psychotisch war und seine Angelegenheiten nicht mehr geregelt bekam, war eine umfassende gesetzliche Betreuung eingerichtet worden. Bei Einrichtung der Betreuung stand bereits eine Räumungsklage wegen Nichtzahlung von Mietschulden an. Dies wurde dem Betreuer, ausweislich der Unterlagen, auch bei Einrichtung der Betreuung mitgeteilt. Der Betreuer hat sich aber weder um die Mietangelegenheit noch um die gesundheitlichen Belange des Betroffenen gekümmert. Weder bei der Räumungsklage noch bei der Räumung der Wohnung waren der Betreuer oder der Betroffene anwesend. Der Betroffene hat nach der Räumung unter den Brücken Herfords genächtigt und sich aus Mülleimern ernährt. Er wurde schließlich durch die Polizei in die westfälische Klinik gebracht. Diese hat ihn dann nach ein paar Wochen, in Unkenntnis der Umstände, im wahrsten Sinne des Wortes auf die Straße entlassen. Ein paar Wochen später traf ich auf dem Weg zur Abteilungsbeitratssitzung den Betroffenen wieder in der westfälischen Klinik. Weil er starr durch mich hindurch gesehen und auch auf meinen Gruß nicht reagiert hatte, fragte ich den abteilungsleitenden Arzt, in der Beiratssitzung, warum er Herrn X denn so mit Medikamenten zugeschüttet habe, dass er niemanden mehr erkenne. Als der Arzt eine übermäßige Medikation bestritt, sagte ich „Dann schämt er sich wohl. Wissen Sie eigentlich, dass er seit Monaten wohnungslos ist?“ Dieser Tatbestand war in der Klinik nicht bekannt. Die Klinik hat dann dafür gesorgt, dass der Betroffene einen Heimplatz bekam. Auch bei diesem zweiten Klinikaufenthalt war der Betroffene durch die Polizei eingeliefert worden. Der Betreuer, der ja auch für die Gesundheitssorge zuständig war, hatte sich in keiner Weise gekümmert. Bei dem ersten Gespräch mit Vertretern unserer Beschwerdestelle, stritt der Betreuer jede Verantwortung für den Verlust der Wohnung und der Einrichtungsgegenstände ab und schob alles auf die Wohnungsgesellschaft. Es wurde mit dem Betreuer vereinbart, dass er einen Termin mit der Wohnungsgesellschaft organisieren solle, in der wir den Sachverhalt klären wollten. Als sich der Betreuer eine Woche nach dem vereinbarten Termin nicht wieder gemeldet hatte, fragten wir nach. Als wir eine Woche später immer noch keine Antwort hatten, recherchierten wir

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selbst bei der Wohnungsgesellschaft. Diese stellte uns sämtliche Dokumente aus dem Räumungsverfahren zur Verfügung. Ausweislich der Akten hatte sich der Betreuer erstmals im September bei der Wohnungsgesellschaft gemeldet. Im März war er bestellt worden. Zu dem Zeitpunkt, als sich der Betreuer erstmals bei der Wohnungsgesellschaft gemeldet hatte, war die Wohnungseinrichtung incl. wichtiger Dokumente, Versicherungsunterlagen, Erinnerungsfotos etc. mit Genehmigung des zuständigen Gerichtsvollziehers bereits vernichtet worden. Zu den Mietschulden waren noch die Kosten für die Lagerung der Einrichtung hinzugekommen. Bei dieser ersten Kontaktaufnahme mit der Wohnungsgesellschaft hatte sich der Betreuer verpflichtet, die Mietschulden und die Kosten für die Lagerung ratenweise abzuzahlen, um auf diese Weise das Konto des Betroffenen völlig zu entleeren und dann nach ein paar Monaten mitzuteilen, da sein Betreuter sozialhilfeabhängig geworden sei, könne er die restlichen Raten nicht mehr zahlen. Hätte der Betreuer, an dem Tag an dem die Betreuung eingerichtet wurde, nur einmal den Telefonhörer in die Hand genommen und der Wohnungsgesellschaft mitgeteilt, dass er zum gesetzlichen Betreuer von Herrn X bestellt worden sei, die Wohnungsgesellschaft hätte sofort die Räumungsklage zurückgenommen und alles was dann folgte - von der Räumung über die Vernichtung der Möbel bis zur Heimeinweisung - hätte vermieden werden können. Der Betroffene hat dann auf unseren Rat hin einen Betreuerwechsel beantragt. Mit Hilfe der Beweismittel, die wir zusammengetragen hatten, konnte die neue Betreuerin bei Gericht Schadensersatz für den Betroffenen einklagen, so dass wenigstens der materielle Schaden ersetzt wurde. Die immateriellen Werte und die gesundheitlichen Schäden konnte ihm niemand mehr ersetzen.

Resümee: Ich meine, dass die dargestellten Fälle deutlich gemacht haben, wie wichtig eine derartige Beschwerdeinstanz ist, die versucht, unabhängig von Trägerinteressen, zunächst einmal den Sachverhalt zu klären und dann einer einvernehmlichen Lösung zuzuführen. Dass eine einvernehmliche Lösung nicht immer möglich ist und der Betroffene dann auf den Rechtsweg verwiesen werden muss, hat u. A. der letzte Fall gezeigt. Aber auch in derartigen Fällen, kann die Beschwerdestelle Vorklärungen vornehmen, auf deren Grundlage abgeschätzt werden kann, ob der Rechtsweg aussichtsreich ist oder nicht. Der letzte Fall hat aber auch Gesetzeslücken zutage gefördert. Während einem Ausbildungsbetrieb die Ausbildungs-Eignung entzogen werden kann, wenn entweder Mängel in der persönlichen Eignung des Ausbilders oder in der sächlichen Ausstattung des Betriebes zutage treten, besteht keinerlei Möglichkeit, einem gesetzlichen Betreuer die Eignung zum Betreuer zu entziehen. Es gibt auch keinerlei Fachaufsicht, die von sich aus tätig würde, um Mängel in der Betreuung aufzudecken etc.. Aber abgesehen von diesem Bereich, an den wir bei Einrichtung der Beschwerdestelle am wenigsten gedacht haben, kann man eines feststellen: Allein die Tatsache, dass eine derartige trägerunabhängige Beschwerdestelle gibt, wirkt sich positiv auf die Qualitätsentwicklung der psychiatrischen Versorgung aus.Wichtig scheint mir aber vor allem zu sein, dass eine Beschwerdestelle wirklich trägerunabhängig ist. Nur so ist garantiert, dass die Betroffenen erst einmal ihr Problem in Ruhe besprechen können, bevor sie sich entscheiden, wirklich Beschwerde zu erheben.Bei trägerinternen Stellen erfolgt häufig keine Beschwerde, weil die Betroffenen aufgrund der vorhandenen Abhängigkeitsverhältnisse befürchten, dass sich ihre Lage nach einer Beschwerde nur noch verschlimmert.Ich halte es für erstrebenswert, dass trialogisch arbeitende unabhängige Beschwerdestellen die gesetzlich zuständigen Stellen für den gesamten psychiatrischen Bereich (stationär, teilstationär, ambulant und komplementär) werden sollten. Das heißt auch, dass sie die vorhandenen Beschwerdeinstanzen ablösen und deren Kompetenzen übernehmen sollten.

Was macht die Qualität von Beschwerdemöglichkeiten aus?Von Renate Schernus – DGSP und Beschwerdestelle Bielefeld

Verehrte Damen und Herren,

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in den nächsten dreißig Minuten werde ich versuchen, auf der Grundlage der Erfahrungen, die ich im Rahmen der unabhängigen Bielefelder Beschwerdestelle sammeln konnte, einige Qualitätsmerkmale von Beschwerdearbeit aufzuzeigen, bzw. zu beschreiben. Dabei werde ich zwischen dem Verallgemeinerbaren und dem Bielefelder Speziellen hin und her springen in der Hoffnung, dass ich damit Ihre Aufmerksamkeit fesseln kann. Bei allen Namen und Beispielen handelt es sich natürlich um Anonymisierungen und Verfremdungen.Ich beginne mit folgender Überlegung: Wenn ein Sozialer Dienst bei denen, die ihn nutzen oder mit ihm zu tun haben, beliebt ist, gehen wir gewöhnlich von der Annahme aus, dass dieser Dienst recht gute Arbeit leistet. Was Beschwerdestellen betrifft, stoßen wir hier schon auf das erste Problem. Wäre eine Beschwerdestelle bei allen Institutionen, mit denen sie Beschwerde halber zu tun bekommt, ausschließlich beliebt, müsste sie sich vermutlich die Frage gefallen lassen, ob sie wirklich im Sinne der Beschwerdeführenden arbeitet. Ist sie hingegen bei allen Institutionen unbeliebt und nur bei den Beschwerdeführenden beliebt, kann sie voraussichtlich bald einpacken, denn sie ist auf die freiwillige Zusammenarbeit der Institutionen angewiesen, da sie keine formale Macht besitzt. Damit kommen wir gleich zu einem ersten Qualitätsmerkmal.

1. Einbettung in einen kooperativen GesamtkontextSehr wichtig für ein gutes Funktionieren der Arbeit von Beschwerdestellen ist die Einbettung in einen Gesamtkontext kooperationsgeübter und kooperationswilliger Dienste und Einrichtungen. Diese können in den verschiedenen Regionen natürlich unterschiedlich aussehen und unterschiedliche Strukturen können genutzt werden. Wenn es in einer Region solche Gremien, runden Tische, Verbünde, Arbeitsgemeinschaften usw. zur Kooperation zwischen den klinischen und komplementären Diensten unter Beteiligung der Betroffeneninitiativen nicht gibt, scheint es mir sinnvoll, zunächst mit Eifer und Vehemenz an der Errichtung solcher Strukturen zu arbeiten und erst im zweiten Schritt eine Beschwerdestelle einzurichten. Die Bielefelder Beschwerdestelle, die seit Januar 1998 arbeitet, wurde als eines von zahlreichen Projekten des so genannten “Bielefelder Trialogs“ gegründet. Darunter ist ein regelmäßiges Kooperationsgespräch zwischen Psychiatrie-Erfahrenen, Angehörigen und Professionellen zu verstehen, das seit 1993 regelmäßig ca. vier Mal im Jahre stattfindet. An diesem nehmen zwischen 30 bis 40 Personen teil. Was die Professionellen betrifft, gibt es Teilnehmende aus allen hierarchischen Ebenen. Das Kooperationsgespräch wird abwechselnd von Psychiatrieerfahrenen, Angehörigen oder Professionellen vorbereitet und moderiert und nimmt sich verschiedener Themen an, deren Bearbeitung geeignet scheint, die Situation von Betroffenen generell zu verbessern oder strukturelle Möglichkeiten der Konfliktlösung zwischen den beteiligten Partnern zu finden. Zum Teil geschieht dies während der Sitzungen, zum Teil werden aber auch Projekte ausgeheckt, die dann an kleine, auch immer „trialogisch“ besetzte, Arbeitsgruppen zur weiteren Bearbeitung delegiert werden. Auf diese Weise sind in Bielefeld u. a. die Psychoseseminare an der Volkshochschule, die jährlich unter einem anderen Thema stehenden Psychiatrieseminare im Bielefelder Rathaus, die inzwischen bundesweit bekannte Behandlungsvereinbarung, Absprachen zum Umgang mit Gewalt, ein Gedenkstein für die Opfer der Zwangssterilisierungen unter dem NS-Regime und eben auch die Beschwerdestelle entstanden. Anstöße für Ideen und Projekte kamen mal von der einen, mal von der anderen Seite der drei beteiligten Gruppen. Der Anstoß für die Beschwerdestelle kam in Bielefeld von den Psychiatrieerfahrenen und wurde dann unter Beteiligung von Angehörigen und Professionellen weiter entwickelt. Wolfgang Völzke, damals im Vorstand des Vereins Psychiatrieerfahrener Bielefeld, hat sich seiner Zeit für die Gründung der Beschwerdesetelle am meisten ins Zeug gelegt und auch den Arbeitsstil von Anfang an in einem an Lösungen und nicht an Eskalation interessierten Sinne mit geprägt. Dazu nähere Ausführungen später.

2. Perspektivenvielfalt der ehrenamtlichen MitarbeiterInnenIn Bielefeld wurde eine „trialogische“ Zusammensetzung der ehrenamtlich Mitarbeitenden bereits bei den ersten Planungsgesprächen entsprechend der bestehenden Gesprächskultur als Qualitätsmerkmal angesehen. Mir scheint, dies lässt sich verallgemeinern. Alle drei der beteiligten Gruppenvertreter haben ihre Verbindungen und Möglichkeiten und können die Beschwerdearbeit in ihren Gremien bekannt machen und ggf. auch dafür werben. Und dass die unterschiedlichen Sichtweisen auf Probleme den Horizont der Beteiligten erweitern, liegt ja auf der Hand. Mitarbeiter in (höheren) Leitungsfunktionen allerdings sollten wegen etwaiger Interessenkollisionen nicht mitarbeiten. Ferner kann eine gute Beschwerdearbeit dadurch

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unterstützt werden, dass sie mit der kommunalen Sozialpolitik verzahnt wird. Aus diesem Grund hat man sich in Bielefeld darum bemüht – und bisher ist dies auch immer gelungen – eine Person aus der politischen Szene um den Vorsitz zu bitten.

3. Angemessener Ort als Sitz der BeschwerdestelleWichtig ist es ferner einen angemessenen Ort zu finden, der symbolisch für die Unabhängigkeit der Beschwerdestelle steht.In Bielefeld sind dies die Räume der Patientenstelle, bekannt unter dem Namen „Gesundheitsladen“. Sehr gut wäre es natürlich, wenn an dem gewählten Sitz der Beschwerdestelle die Beratungen möglichst ungestört stattfinden könnten. Dies kann man von unserer Bielefelder Lösung eigentlich nicht sagen. Der erstgenannte Grund für diesen Ort ist uns aber so wichtig, dass wir ein gewisses Chaos dafür in Kauf nehmen.

4. Ausreichende Häufigkeit von Sprechstunden, Niedrigschwelligkeit, SelbstkontrolleEine 2-stündige wöchentliche Anwesenheit zur Entgegennahme von Beschwerden ist auf Grund unserer Erfahrungen ausreichend, muss aber regelmäßig wahrgenommen werden.Im Sinne der Niedrigschwelligkeit, sollten Mitarbeiter der Beschwerdestelle für den Fall, dass Betroffene eine Station nicht verlassen können, auch bereit sein, sie vor Ort aufzusuchen. Die Selbstkontrolle einer Beschwerdestelle kann über eine Beratungsgruppe erfolgen, die so etwas wie einen Beschwerdebeirat darstellt. In Bielefeld gehören dieser Gruppe sowohl die Mitarbeiter, die konkret Beschwerden bearbeiten als auch Mitarbeiter, die ausschließlich einmal im Monat zur allgemeinen Beratung zur Verfügung stehen, an. Vielleicht wäre es optimal, wenn vor jeder Beschwerdebearbeitung die jeweilige Strategie in dieser Gruppe abgestimmt und beraten werden könnte. Dafür wäre jedoch eine arbeitsmäßig nicht zu bewältigende Sitzungsfrequenz notwendig. Die Beratungsgruppe tagt lediglich monatlich. Unserer Erfahrung nach ist dem Qualitätsmerkmal „rasche Beschwerdebearbeitung“ vor dem Merkmal „Kontrolle durch Beratung“ der Vorrang zu geben. Beschwerden sollten so zeitnah wie möglich bearbeitet werden. Nach Möglichkeit und bei Einverständnis des Beschwerdeführers wird zu Mediationsgesprächen ein zweites Mitglied der Beschwerdestelle telefonisch hinzu gebeten. Mit Mediationsgespräch bezeichne ich im Folgenden durch die Beschwerdestelle moderierte Gespräche zwischen Beschwerdeführer und Beschwerdegegner. Beschwerdesachverhalte, die ein besonderes Fachwissen oder aus sonstigen Gründen eine genauere Beratung erfordern, sollen in den Beirat, bzw. die Beratungsgruppe eingebracht und dort diskutiert werden. In diesem Fall muss eine zeitliche Verzögerung in Kauf genommen werden. In dem Beirat - bei uns heißt er einfach „Beschwerdegruppe“ – sollten sämtliche Beschwerdebearbeitungen, sei es, dass sie schon statt gefunden haben, sei es, dass sie noch anstehen, besprochen werden. Dies ist eine Form von Selbstkontrolle und auch gegenseitiger Supervision, die unbedingt nötig ist. Eine bessere Form haben wir jedenfalls bisher nicht gefunden. Diese Beratungsgruppe stellt auch so etwas wie einen gewissen Rückhalt und Schutz dar für den Fall, dass Mitarbeiter der Beschwerdestelle wegen ihrer Arbeit angegriffen werden. Alle über die Fallarbeit hinausgehenden, die Beschwerdestelle als Ganzes betreffenden Fragen werden natürlich ebenfalls in der Beschwerdegruppe entschieden.

5. Empfehlenswerte FormaliaWas weitere formalen Rahmenbedingungen betrifft, fasse ich mich kurz. Auf Grund unserer Bielefelder Erfahrungen sind folgende Formalia zu empfehlen:Geschäftsordnung JahresberichteBeschwerdeformulareÜbersichtliche AktenführungProtokolleFormular SchweigepflichtserklärungInformationsblätter, heutzutage genannt Flyer

Die Geschäftsordnung sollte ab und zu an die sich aus der laufenden Arbeit ergebenden Erfordernisse angepasst werden. Wichtig bei solchen Formalien ist, dass sie ausschließlich der reibungslosen Arbeitsabwicklung dienen und nicht etwa zum Selbstzweck werden. So habe ich

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am Anfang meiner Mitarbeit z. B., in vollem Respekt vor dem Bestehenden, die damals noch etwas komplizierteren Beschwerdeformulare in allen Fällen zu benutzen versucht, bis ich merkte, dass dieses Vorgehen für manche Klienten absolut abschreckend wirkte. Inzwischen haben wir erstens diese Formulare vereinfacht und benutzen sie zweitens je nach Situation und Mensch sehr flexibel bis schon mal gar nicht, bzw. füllen sie erst nach einem Gespräch aus. Die Jahresberichte geben uns einen gewissen Überblick über etwaige Veränderungen in der Inanspruchnahme der Beschwerdestelle und werden auch in der immer noch latent vorhandenen Hoffnung erstellt, vielleicht irgendwann einmal von irgendwoher Zuschüsse zu bekommen. Die eigentliche Qualität der Beschwerdearbeit liegt nicht in diesen Dingen, obgleich sie als Rahmenbedingungen notwendig sind.

6. Das Wichtigste: Klima, Stil, Umgangsweise, wohlverstandene ParteilichkeitDie eigentliche Qualität liegt in der Art wie mit den Beschwerdeführenden und den Beschwerdegegnern umgegangen wird und in welchem Klima die Mediationsgespräche stattfinden. Zunächst etwas, was vielleicht banal klingt. Ich halte es für wichtig, den Beschwerdeführern zu einem möglichst frühen Zeitpunkt klar zu machen, was die Beschwerdestelle leisten kann, aber auch, was sie nicht leisten kann. Auch dadurch, dass man falschen Erwartungen Vorschub leistet, kann man den Betroffenen Unrecht tun. Ich habe Beschwerdeführende erlebt, die möchten, dass 10 Institutionen gleichzeitig eins auf den Deckel bekommen und endlich mal ordentlich von der Beschwerdestelle bestraft werden oder Beschwerdeführer, die anonym bleiben möchten und dabei ebenfalls wünschen, dass dem Beschwerdegegner ohne ihre eigene Beteiligung die Leviten gelesen werden. Aus solchen Erfahrungen heraus und um solche Erwartungen möglichst von Anfang an zu begrenzen haben wir z. B unseren Flyer geändert und auch aufgeschrieben, was die Beschwerdestelle nicht kann. (Folie) Die Hinzufügung lautet:

Damit keiner enttäuscht ist, folgendes können wir nicht:- geltende Gesetze ändern- juristische Verfahren einleiten- Menschen oder Einrichtungen bestrafen- mehrer Beschwerden auf einmal bearbeiten- anonyme Beschwerden entgegennehmen-

Ferner habe ich es mir angewöhnt, frühzeitig einfließen zu lassen, dass wir zwar bereits manche Probleme zur Zufriedenheit der Beteiligten regeln konnten, dass wir aber eine Stelle sind, die keine Macht hat. Meinem Eindruck nach ist dieser Hinweis für manche Beschwerdeführer sogar erleichternd, da sie mit Institutionen, die formale Macht ausüben können, nicht immer die besten Erfahrungen gemacht haben.Wichtig scheint es mir ferner, dass den Betroffenen der Unterschied zu therapeutischen Gesprächen deutlich bleibt. Das Gespräch sollte eindeutig auf die Beschwerde, und wie damit umzugehen ist, begrenzt werden. Dazu gehört natürlich auch unbedingt die Frage, was jemand bereits unternommen hat, um das Problem zu lösen. Erst dann kann abgeschätzt werden, wo der Auftrag für die Beschwerdestelle liegen könnte. Vor kurzem hatte ich mit einer Klientin zu tun, die parallel zu uns noch mit einer anderen Beschwerdestelle verhandelte und bereits sämtliche Hierarchieebenen mit ihrer Beschwerde gegen einen Mitarbeiter befasst hatte. So etwas muss man zumindest wissen, um zu überlegen mit welcher Strategie eine positive Wendung erreicht werden könnte. Gelingt es, eine freundliche Atmosphäre herzustellen, kann das manchmal auch ganz lustige Blüten treiben. So haben wir z. B. eine Anruferin, die sich in regelmäßigen Abständen wechselnd über Nachbarn, Mitpatienten oder Mitarbeiter beschwert, und die durchblicken lässt, dass sie einfach gerne mit uns telefoniert. Genauso regelmäßig wie sie uns anruft, lässt sie sich mit völlig nahe liegenden Ratschlägen oder Rückfragen zufrieden stellen, Z. B.: „Haben Sie denn schon mal versucht mit diesem oder jenem zu reden?“ Oder jemand sagt im Beisein des Bezugsmitarbeiters eines ambulanten Dienstes, gegen den er Beschwerde erhoben hatte: „Es war so nett mit Ihnen allen zu reden „– wobei er den Mitarbeiter durchaus mit meint und er fügt dann hin zu: “Kann ich mich nicht bald mal wieder beschweren?“ Wenn ein Beschwerdeführer mit der Behandlung der Beschwerde zufrieden war, bin ich bisweilen schon mal mit dem Wunsch konfrontiert worden, ihn oder sie in Psychotherapie zu übernehmen. Das habe ich bisher immer abgelehnt, weil mir eine Vermischung der Ebenen nicht günstig zu sein scheint. Die Vermeidung solcher Vermischung muss nicht erst bei dem Wunsch nach

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Psychotherapie in den Blick genommen werden, sondern auch bei sonstigen Wünschen nach dauerhaften Kontakten.Es liegt eine gewisse Kunst darin, einerseits deutlich parteilich für die Beschwerdeführenden zu sein und andererseits auch zu den Beschwerdegegnern, einen guten Kontakt herzustellen. In den meisten Fällen ist dies allerdings auch wiederum nicht so schwierig, wie es sich anhört, da viele Beschwerdeführer von sich aus eher Angst haben durch eine Beschwerde zukünftige Beziehungen zu gefährden, auf die sie sich weiter angewiesen fühlen. Zur Vorbereitung eines Mediationsgespräches gehört es, solche Ängste anzusprechen und Wege zu finden, sie möglichst gering zu halten und nicht womöglich durch falsche Parteilichkeit regelbare Konflikte zu nicht mehr beherrschbaren hoch zu putschen. Ich habe mir angewöhnt die meisten Konfliktgespräche mit Sätzen beginnen zu lassen wie: „ Was soll ihrer Meinung nach am Ende dieses Gespräches besser sein als vorher?“ Oder: „Wir sitzen hier zusammen, damit die Situation am Ende des Gespräches besser ist und nicht schlechter.“Was heißt überhaupt Parteilichkeit? Bin ich im richtigen Sinne parteilich, wenn ich einem 55-jährigen, alkoholabhängigen, zucker- und herzkranken, gleichzeitig deutlich intelligenzgeminderten Herrn, der unbedingt in eine eigene Wohnung ziehen möchte, darin unterstütze? Obwohl ich weiß, dass Versuche in diese Richtung nach kürzester Zeit in Obdachlosigkeit und lebensgefährlichen Zuständen endeten, teils bedingt durch seine zahlreichen Krankheiten, teils durch Erfrierungen. Bin ich im richtigen Sinne parteilich, wenn ein junger Mann, der die Beendigung der Therapie bei seinem Psychotherapeuten nicht akzeptiert, nun meint eine Fortsetzung mit nächtlichem Telefonterror erzwingen zu können? In solchen Fällen empfiehlt es sich, die Parteilichkeit zum Thema zu machen. Z. B.: „Gerade weil mir daran liegt, dass diese Sache für Sie einen guten Ausgang nimmt, bitte ich Sie noch mal zu bedenken, welche anderen Möglichkeiten Sie hätten, um zu dem für Sie wichtigen Ziel zu kommen.“ Nicht in allen, aber in erstaunlich vielen Fällen, lassen sich tragfähige Kompromisse finden. Gerade, um in konstruktiver Weise parteilich arbeiten zu können, ist es m. E. wichtig, auch der Gegenseite, solange dies realistisch ist, nicht schlechte, sondern positive Motive zu unterstellen. Meiner Erfahrung nach bringen Mediationsgespräche dann die konstruktivsten Ergebnisse, wenn es gelingt, eine Lösung in der Weise zu finden, dass beide Seiten ihr Gesicht wahren können. Besonders wichtig ist dies in solchen Grenzbereichen wie Anwendung von Zwang.

Dazu ein Beispiel:Herr Urban, ein sehr scheuer junger Mann, der als Kind erheblichen Missbrauchserfarungen ausgesetzt war, und der in einer ambulant betreuten Wohnung lebt, beschwert sich über seine letzte Einweisung per PsychKG folgendermaßen. Dass er eingewiesen worden sei, sei für ihn jetzt im Nachhinein nicht der Kritikpunkt. Was ihn extrem gekränkt habe, sei das Wie gewesen. Arzt und Sozialarbeiter des Gesundheitsamtes hätten robust und laut seine Türschwelle übertreten. Polizei und Rettungswagen standen vor der Tür, was natürlich zur Folge hatte, dass die Nachbarn an allen Fenstern hingen. Seine Schwester sei nicht informiert worden. Es sei ihm verboten worden vor Verlassen seiner Wohnung wenigstens noch sein Radio auszustellen und er sei daran gehindert worden, der neben ihm wohnenden Frau Bescheid zu sagen. Kurz und gut den ganzen Vorgang hat er als so massive Kränkung erlebt, dass er auch nach Entlassung damit nicht fertig wird und bei der Beschwerdestelle nachfragt, was er tun könne. Auf ein klärendes Gespräch mit dem einweisenden Arzt kann er sich einlassen und dieser erfreulicher Weise auch. Es stellt sich heraus, dass der Arzt den Patienten für akut suizidal gehalten hat. Er hat ihn das Radio nicht ausstellen lassen, weil es neben einem offenen Fenster stand und er den Sprung hinaus fürchtete. Mit der Nachbarin hat er ihn nicht reden lassen, weil er deren Wichtigkeit für den Patienten nicht einschätzen konnte. Die Schwester wurde nicht informiert, weil der Arzt nicht wusste, dass eine Behandlungsvereinbarung besteht, in der dies vorgesehen ist. Herr Urban ist über die Art, wie der Psychiater ihn wahr genommen hat, und über dessen Informationsstand höchst erstaunt und kann ihm u.a. glaubhaft deutlich machen, dass er zwar unter extremer Angst vor Vergiftung gelitten habe, aber keineswegs vorgehabt hatte, sich das Leben zu nehmen. Er kann dem Arzt vermitteln, dass die laute energische Art des Eindringens in seinen privaten Rückzugsraum, seine Ängste bis zur Panik gesteigert habe, da er dieses Überrolltwerden von männlich-väterlicher Macht wie eine Reinszenierung seiner frühen traumatischen Erfahrungen erlebte.Seine anfängliche Wut: „Wenn ich noch mal eingewiesen werden muss, dann nie wieder von diesem Unmenschen“, weicht der nachdenklichen Bemerkung, „Falls ich wieder eingewiesen

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werden muss, dann vielleicht doch besser von Ihnen, da Sie jetzt mehr davon wissen, was für mich wichtig ist, als ein mir unbekannter Arzt.“ Möglicherweise hätte der Kollege die Einweisung nicht in dieser Art vornehmen müssen, andererseits bin ich mir auch ziemlich sicher, dass es, wenn unterschiedliche Wirklichkeitswahrnehmungen aufeinanderprallen, ganz ohne Missverständnisse und Kränkungen nie abgehen wird. Betroffene, Angehörige und natürlich auch wir Professionellen dürfen Fehler machen. Qualität entsteht nicht durch zwanghafte und ängstliche Fehlervermeidung, sondern dadurch, dass alle Seiten für Nachbesprechung, Auswertung und Hinzulernen durch Einbeziehung der Gegenperspektive offen sind. An solchen Verständigungsprozessen mitzuwirken macht m. E. die eigentliche Qualität der Beschwerdearbeit aus.Obgleich ich mich im Prinzip zu jenen Modernitätsmuffeln zähle, die das Wort Qualität und vor allem das endlose Qualitätsmanagement- , Qualitätssicherungs- und ich weiß nicht Was-Noch-Qualitätsgerede drum herum nicht mehr hören können, benutze ich dieses Zauberwort listiger Weise manchmal selbst, und zwar insbesondere dann, wenn ich mit Beschwerdegegnern zu tun habe, die mit den Absprachen im „Trialog“ nicht vertraut sind. Schließlich weiß ich ja, dass heutzutage alle auf Qualitätssicherung abfahren.Wenn ich also im Auftrag eines Beschwerdeführers schriftlich um ein Gespräch bitte, formuliere ich hochgestochen manchmal so: „Wie Sie vielleicht wissen, arbeitet die paritätisch besetzte (Psychiatrieerfahrene, Angehörige Professionelle) Beschwerdestelle Psychiatrie schon seit mehreren Jahren konstruktiv mit fast allen psychiatrischen Institutionen Bielefelds zusammen und wird im Rahmen des Bielefelder Trialogs als Element einer lebensweltorientierten und klientenbezogenen Qualtätssicherung verstanden. Die Beschwerdestelle nimmt bei Beschwerden die Aufgabe der Mediation war. Usw. usw. … “ Das hat bis jetzt immer gezogen. Wer lässt sich schon in unserer qualitätsbeflissenen Zeit vorhalten, dass er bei „lebensweltorientierter und klientenbezogener“ Qualitätssicherung - man könnte noch „prozessorientiert“ hinzufügen - nicht mitmacht.An dieser Stelle ist erwähnenswert, dass Vermittlungsgespräche, die zu keinen zufrieden stellenden Vereinbarungen führten, meistens solche waren, die mit Beschwerdegegnern statt fanden, denen der Kontext der „trialogischen“ Kooperation nicht vertraut war. Das zeigt nochmals, wie grundlegend wichtig die „Kontextpflege“, bzw. „Umfeldpflege“ ist.Zu Umgang und Klima bei der Beschwerdearbeit, gehört neben dem bisher Erwähnten unbedingt auch die Verbindlichkeit. Ich meine nicht nur die Verbindlichkeit hinsichtlich Erreichbarkeit und zügiger Bearbeitung. Die sollte sowieso selbstverständlich sein, sondern auch hinsichtlich der Einhaltung der in den Mediationgesprächen getroffenen Absprachen. Hier hilft das Festlegen von Zeiträumen innerhalb derer dies und jenes geändert oder veranlasst werden soll sowie das Aufschreiben solcher Absprachen in schlichten Ergebnisprotokollen. Also z. B. hatte sich Frau Müller beschwert, dass sie bei ihren Auszugswünschen aus einem Heim nicht genügend unterstützt worden sei. Oder Herr Meier beschwerte sich darüber, dass der Vertrag, den er mit einem Verein des Betreuten Wohnens geschlossen hatte, nicht eingehalten worden sei. In den entsprechenden Protokollen wurde nicht nur festgelegt was, sondern auch bis wann und wie welche Schritte erfolgen sollten. Die Beschwerdeführenden können sich dann unter Berufung auf diese Absprachen ggf. wieder bei der Beschwerdestelle melden, was auch geschieht.

7. Strukturelle Sichtweise und ÖffentlichkeitsarbeitManchmal werden bei der Beschwerdearbeit strukturelle Probleme deutlich. Z. B. gab es in letzter Zeit ca. vier Beschwerden hinsichtlich der Vertragseinhaltung beim Betreuten Wohnen. M. E ist das kein Zufall. In den entsprechenden Diensten werden Stellen gestrichen und erhebliche Umstrukturierungen in der Arbeit werden nötig. Herr Meier sagte z. B.: „Es kann doch nicht sein, dass ich immer nur die Probleme der Mitarbeiter verstehen muss. Schließlich steht in meinem Vertrag ‚Aufbau einer kontinuierlichen Vertrauensbeziehung’. Das geht aber nicht bei sieben verschiedenen Betreuungspersonen innerhalb weniger Wochen, die außerdem noch gehetzt und zu Zeiten, die mit meinem Terminplan überhaupt nicht zusammenpassen, erscheinen.“ Da Beschwerden zu diesem Problemkreis aus unterschiedlichen Gründen wieder zurückgezogen wurden, hat sich die Beschwerdestelle dazu öffentlich bisher nicht geäußert.An einer anderen Stelle war ein struktureller Ansatz, der auch Öffentlichkeit zeitigte, möglich. Dieser wurde angestoßen durch zwei Beschwerden über den Umgang bei Begutachtungen, der als sehr diskriminierend erlebt worden ist. Hier konnten wir zwar bei den Einzelfällen wenig unternehmen, da die Beschwerdeführerinnen anonym bleiben wollten. Sie hatten aber ein deutliches Interesse daran, dass das was ihnen passiert war, sich nicht bei anderen wiederholt.

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In Zusammenarbeit mit der Ärztekammer Westfalen-Lippe und der Vorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe wurden mehrere Gespräche geführt und eine Vorlage erarbeitet, die zu einer Empfehlung des Präsidenten der Landesärztekammer zum Thema Begutachtungen führte. Diese wurde letztendlich in ein einfach lesbares Informationsblatt für Betroffene umgearbeitet und an die Betroffenen und die entsprechenden Arztpraxen weitergeleitet.Die Presse für die Arbeit von Beschwerdestellen zu interessieren, dürfte auch zu einer guten Öffentlichkeitsarbeit gehören. Dies ist uns in Bielfeld trotz einiger Anläufe bisher nicht gut gelungen. Vielleicht haben wir es aber auch nicht energisch genug betrieben. Unsere Öffentlichkeitsarbeit besteht vor allem in der regelmäßigen Verteilung des Flyers, der alljährlichen Versendung des Jahresberichts an alle für uns erreichbaren Institutionen sowie - von Zeit zu Zeit - in einer Berichterstattung im Rahmen des „Bielefelder Trialogs.“ Wahrscheinlich kann man bezüglich Öffentlichkeitsarbeit von anderen Beschwerdestellen mehr lernen als von uns.

8. FortbildungEine angemessene Fortbildung der Beschwerdestellenmitarbeiter könnte man auch zu den qualitätsfördernden Maßnahmen für Beschwerdestellen zählen. Auf diesem Gebiet haben wir in Bielefeld bisher nichts unternommen und nur auf Naturbegabungen und gegenseitige Unterstützung, gegenseitige Supervision und Beratung gesetzt. Vielleicht waren wir in unserer Fantasie auch blockiert durch den Gedanken an nicht vorhandene finanzielle Mittel. Im Zusammenhang mit dem neuen Projekt der DGSP und durch interessierte Fragen von Gudrun Uebele ist uns deutlich geworden, dass man hier durchaus noch mehr machen könnte, z. B. Fortbildungen in systemischen Lösungsstrategien, in Mediationstechniken, mit Rollenspielen. Kaum hatten wir uns gestattet in diese Richtung zu denken, entdeckten wir sage und schreibe auch noch einen unausgenutzten Geldtopf. Allerdings, für den Aufbau und den Beginn von Beschwerdestellenarbeit ist es vielleicht ganz gut, nicht zu große Hürden zu setzen, sondern einfach anzufangen und zu erleben, dass diese Arbeit Spaß machen kann.Verehrte Damen und Herren, leider ist es mir nicht gelungen, das Bielefelder Lokalkolorit ganz zu unterdrücken. Ich hoffe auf Ihre Nachsicht, und dass Sie deswegen beim Veranstalter keine Beschwerde gegen mich einreichen werden.

Das Modell der psychiatrischen Vertrauensperson (pVP) im SaarlandVon Peter Weinmann, Diplom-Biologe, Studium der ev. Theologie und Sozialpädagogik, Gesamtvorstandsmitglied beim Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener und Landesverband Psychiatrie-Erfahrener SaarLVPE Saar e.V.

Mein Interesse am Thema 'Beschwerdestellen Psychiatrie' hängt mit meinen eigenen Erfahrungen als Psychiatrie-Patient in den 90er Jahren zusammen. Das Erleben von Ohnmacht gegenüber psychiatrischen Einrichtungen, von psychiatrischem Zwang und "therapeutischer Gewalt" hatten mich persönlich leider lange und stark von der Auseinandersetzung mit meiner Ursprungsproblematik abgelenkt. Dazu möchte ich von dem unerfreulichsten meiner über 10 Aufenthalte in der Psychiatrie berichten.

Im Juni 1997 wurde ich vom Amtsgericht Saarbrücken nach dem saarländischen Unterbringungsgesetz zwangsuntergebracht, weil ein schadenstiftendes Ereignis bevorstünde. Die Psychiater der Klinik in Völklingen/Saar hatten in der Folge beschlossen, mich jeden Tag vorbeugend dreimal für je 2,5 Stunden zu fixieren. Ich erhielt währenddessen- an Beinen und Armen festgebunden- dreimal täglich Neuroleptika über einen zentralen Herzvenenkatheder. Nach Beendigung dieser Infusionen war ich weitere 2 Stunden ans Bett gefesselt. Zum Ausscheiden von Kot und Urin wurde eine Hand losgebunden und mir wurden Bettpfanne und Urinflasche gereicht, auch in Anwesenheit von Besuchern. Ich wurde genötigt, einzunässen, wenn das Personal keine Zeit hatte, mir eine leere Urinflasche zu bringen.

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Dieser "Therapie" konnte ich mich durch Flucht entziehen. Polizei wurde eingeschaltet, um nach mir zu fahnden. Auf die telefonische Zusage der Stationsärztin, dass auf diese Art der Behandlung in Zukunft verzichtet würde, begab ich mich aus einem sicheren Versteck heraus freiwillig in diese Klinik. Sofort nachdem ich die Station betreten hatte, wurde ich gezwungen, mich ans Bett fesseln zu lassen und die gleiche "Therapie" ging weiter. Nach Tagen gelang mir wieder die Flucht. Am folgenden Tag wurde ich im Behandlungszimmer eines Saarbrücker Psychiaters, den ich um Hilfe ersuchte, festgenommen und wiederum nach Völklingen zurückgebracht. Damals intervenierte für mich erfolgreich ein befreundeter Rechtsanwalt, den ich während meiner Flucht bevollmächtigen konnte, und der Strafanzeige wegen Körperverletzung erstattete. Aufgrund seines Engagements wurde der Unterbringungsbeschluss aufgehoben, und ich konnte die Klinik verlassen. Ob eine Beschwerdestelle oder eine Patientenvertrauensperson mir damals hätten helfen können, sei dahin gestellt. Sicher wäre es solchen Institutionen möglich, Adressen von Rechtsanwälten vor Ort zu führen und weiterzugeben, die die Rechte Psychiatrie-Erfahrener ernst nehmen und diese engagiert vertreten.

Niederlande:In den Niederlanden wurde bereits im Laufe der 1970er Jahre deutlich, dass die Rechtspositionen so genannter psychisch Kranker insbesondere auch gegenüber psychiatrischen Kliniken sehr zu wünschen übrig lassen. Von Seiten der Betroffenen wurden dort Missstände und Erniedrigungen, die im Verlauf psychiatrischer Behandlungen erlebt wurden, in die Öffentlichkeit gebracht. Selbsthilfebewegungen organisierten sich, um die Lage von Menschen mit Psychiatrie-Erfahrungen zu verbessern. Durch diesen öffentlichen Druck sah sich die Politik in den Niederlanden Anfang der 80er Jahre veranlasst, Ombudsleute, später Patientenvertrauenspersonen (PVPs) genannt, zu installieren, die Menschen, die in einem psychiatrischen Krankenhaus in Behandlung sind, Rat und Hilfe bieten bei der Verteidigung ihrer Rechte. Eine Kommission aus psychiatrischen Kliniken, Selbsthilfeorganisationen und der Inspektion für die geistige Gesundheitspflege erarbeitete Funktion und Aufgaben der PVPs, nämlich die Begleitung und Vermittlung bei Beschwerden, Information der Patienten über ihre Rechte und die Wege der Durchsetzung dieser, Aufzeigen struktureller Mängel gegenüber Klinikmitarbeitern, Klinikverwaltung und Gesundheitsverwaltung sowie allgemeine Aufgaben wie Begleitung von Patienten bei Gesprächen mit Arzt, Rechtsanwalt, Richter auf deren Wunsch.Die holländischen PVPs transportieren parteiisch die Positionen des Patienten, sie haben nicht die Befugnis, die Lösung eines Konflikts zu erzwingen. Die PVPs haben das Recht, zu allen Zeiten alle Stationen eines psychiatrischen Krankenhauses zu besuchen, mit allen Patienten zu sprechen, das Recht auf alle Informationen, die sie zur Ausführung ihrer Arbeit brauchen und das Recht auf Einsicht in die Krankenakten, wenn der Patient ausdrücklich zustimmt.Beschwerdeinhalte aus einer Statistik des Jahres 1990 waren bei insgesamt 11.115 Beschwerden die medizinische Behandlung (16%), Zwangsunterbringung (14%), Umgangsformen des Personals (9%), Zwangsbehandlungen (8%), Freiheitsbeschränkungen (8%), Essen, Atmosphäre usw. (7 %). In der Hälfte der erfassten Fälle kam es zu Vermittlungsversuchen durch die PVPs, die Resultate waren folgende: 48 % der Ursachen für die Beschwerden wurden von den betroffenen Patienten als gelöst beurteilt, 20 % als teilweise gelöst, 16 % als nicht gelöst, und 16 % der Beschwerden wurden von den Patienten zurückgenommen.Nach Auskunft der unabhängigen Stiftung P.V.P., die die Arbeit der PVPs organisiert und koordiniert, ist die Anzahl der Beschwerden über den langen Zeitraum der Arbeit der PVPs zurückgegangen, was darauf zurückzuführen sei, dass - durch die Tätigkeit der PVPs - strukturelle Mängel in den psychiatrischen Krankenhäusern aufgezeigt und von den Verantwortlichen beseitigt wurden, und sich Klima und Atmosphäre in den Kliniken verbessert haben.

Die Verhältnisse in der saarländischen Psychiatrie sind nur bedingt mit den holländischen zu vergleichen. In Holland gibt es teilweise noch alte psychiatrische Landeskrankenhäuser mit hoher Bettenzahl und langer Verweildauer der Patienten. Seit der saarländischen Psychiatriereform der 1990er Jahre wurden in jedem Landkreis kleinere klinische Einrichtungen zur Behandlung so genannter psychisch Kranker geschaffen. Als chronisch psychisch krank bezeichneten Menschen

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werden nach und seit der Auflösung des alten Landeskrankenhauses Merzig/Saar in verschiedenen Wohn- und Pflegeheimen im Saarland untergebracht.

Die rechtliche Situation hat sich kaum verändert. Menschen, bei denen eine psychische Krankheit diagnostiziert wird, können, ohne dass sie straffällig geworden sind, gegen ihren Willen untergebracht und mit psychiatrischen Psychopharmaka behandelt werden. Auch abseits von Zwangsbehandlung und -unterbringung kommt es immer wieder zu Problemen für Psychiatrie-Erfahrene: das eigene Wohlbefinden wird durch psychiatrisch Tätige bewertet, notwendige Hilfen durch diese bestimmt, oft ohne Rücksicht auf die Wünsche und Bedürfnisse des Betroffenen, und die Durchsetzung dieser Hilfen erfolgt vielfach unter Druck.

Beim LVPE Saar e.V. gehen monatlich mehrfach Anrufe ein, die Probleme und Beschwerden aus dem gesamten Bereich der psychiatrischen Versorgung zum Inhalt haben, also aus dem stationären Bereich, dem ambulanten Bereich und dem komplementären Bereich (Heime, WfBs u.a.). Inhalte sind z.B. Ausübung von Druck und Zwang durch gesetzlich bestellte Betreuer, Zwangsunterbringungen und -behandlungen (zum Teil über Monate), Umgangsformen von psychiatrisch Tätigen und Betreuern, Beschwerden über einseitig pharmakotherapeutische psychiatrische Behandlungen, Beschwerden über Arbeitsbedingungen in der WfB. Auch ist bekannt, dass jährlich eine nicht unerhebliche Zahl von solchen Beschwerden z.B. beim Gesundheitsministerium und beim Petitionsausschuss des saarländischen Landtags eingeht.

Chronologie des Themas im Saarland:Die Chronologie des Themas "Vertrauenspersonen für psychisch Kranke" im Saarland ist die Folgende:Viel Wut und Enttäuschung über die Erfahrungen in der Psychiatrie wie das Gefühl der völligen Ohnmacht gegenüber psychiatrischen Einrichtungen haben dazu geführt, dass 1993 von Psychiatrie-Patient/inn/en im Saarland der LVPE Saar gegründet wurde. Ein Ziel des Verbands ist der Einsatz für eine gewaltfreie, humanere Psychiatrie, in der die Würde und die Rechte der Menschen geachtet werden und Zwangsmaßnahmen gegenüber Patient/inn/en der Geschichte angehören.

In diesem Zusammenhang steht 1998 die LVPE-Initiative zum so genannten Fliedner-Trialog in der psychiatrischen Abteilung des Fliedner Krankenhauses, das die Versorgungspflicht für den saarländischen Landkreis Neunkirchen hat. 2 Psychiatrieerfahrene, 2 Angehörige und 2 Mitarbeiter der Klinik versuchen in diesem klinikinternen Modell das gegenseitige Vertrauen zu fördern, die berechtigten Wünsche und Bedürfnisse der Betroffenen, die krankheitsbedingt nicht zum Tragen kommen, wahrzunehmen sowie bei auftretenden Schwierigkeiten klärend und vermittelnd einzugreifen. Die Grenzen, die insbesondere die LVPE-Mitglieder im Fliedner-Trialog erleben, werden gesetzt durch die Rahmenbedingungen, die von der Ärzteschaft vorgegeben sind, die Mitglieder des Trialog sind in ihren Vermittlungsversuchen bei Beschwerden auf den guten Willen insbesondere der beteiligten Ärzte angewiesen. Die Mitglieder des Trialog-AKs haben keinerlei durchsetzbare Befugnisse. Seit dem Jahr 2004 arbeiten keine LVPE Saar-Mitglieder mehr im Fliedner-Trialog mit.

Im August 2000 wurde ich halbtags Angestellter des LVPE Saar, im Rahmen einer ABM, später Strukturanpassungsmaßnahme (SAM). Im Dezember 2000 konnte der LVPE Saar dadurch eine Selbsthilfe-Anlaufstelle in Saarbrücken eröffnen. Im September 2001 führte der LVPE Saar eine Tagung durch zum Thema "Das Saarland braucht eine Beschwerdestelle für Psychiatrie-Betroffene und deren Angehörige", auf der u.a. Regina Kucharski vom BPE das Konzept "Patientenvertrauenspersonen in Holland" und das Konzept "Patientenanwalt und Beschwerdestelle" der Wiesbadener Psychiatrie-Erfahrenengruppe vorstellte. In einer Modellphase der Arbeit 3er Patientenanwälte in Wiesbaden 1998 wurde deutlich, dass ein hoher Bedarf bezüglich der Arbeit von Patientenanwälten für psychisch Kranke besteht, dass aber eine klare Akzeptanz der Arbeit durch die psychiatrischen Institutionen, besser eine gesetzliche Legitimation, mindestens bezahlte Halbtagsstellen, ein eigenes ausgestattetes Büro und Supervision für die erfolgreiche Arbeit nötig sind. Da die genannten Voraussetzungen in Wiesbaden nicht gegeben waren, stellten die Patientenanwälte Ende 1998 nach einem halben Jahr ihre Arbeit ein.

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Während die Notwendigkeit von Beschwerdeinstitutionen auf dieser Tagung auch von Seiten referierender leitender Mitarbeiter der Psychiatrie betont wurde, signalisierte der ebenfalls eingeladene Psychiatriereferent des Gesundheitsministerium Ingwardt Tauchert seine Unterstützung für ein Modell "Vertrauenspersonen für psychisch Kranke", angelehnt an das holländische Modell.

Nachdem die Psychiatrie-Beiräte der saarländischen Landkreise grundsätzlich die LVPE-Forderungen nach einer solchen Beschwerdeinstanz unterstützten, beschloss der saarländische Landespsychiatriebeirat im November 2002 die Bildung einer Arbeitsgruppe, in der alle Funktionsgruppen (Landkreise, Land, LIGA der Wohlfahrtspflege, LVPE, LVApK, Kliniken, etc.) vertreten waren, um dort die inhaltlich-konzeptionellen Rahmenbedingungen für die PVP/Beschwerdeinstanz auszuarbeiten.

Positionen des LVPE Saar in der Arbeitsgruppe waren u.a.., • dass - im Gegensatz zu dem holländischen Modell der PVPs an psychiatrischen

Krankenhäusern - die Zuständigkeit der saarländischen "Vertrauenspersonen" den ambulanten und komplementären Bereich mit abdeckt.

• dass in jedem saarländischen Landkreis eine solche Vertrauensperson arbeiten müsse.• dass mindestens ein Drittel der Vertrauensleute Psychiatrie-erfahren sein sollte. • dass die Organisation und Koordination der Vertrauenspersonen über einen Verein oder eine

Stiftung laufen könnte. • dass von allen psychiatrisch und psychosozial arbeitenden Institutionen in den Landkreisen

2,5 pro Mille des klientenbezogenen Umsatzes in einen Fond abgeführt werden könnten, um das Modell zu finanzieren. Aber auch eine Anschubfinanzierung durch das Land und die Kreise, wie 1980 in Holland, bis eine andere Regelung gefunden wird, ist für den LVPE Saar denkbar.

• dass die Aufgaben, Rechte und Pflichten der Vertrauenspersonen in einer Landesverordnung, später einem Landesgesetz, festgeschrieben werden könnten.

Die Arbeitsgruppe hatte zwischen Mai und Oktober 2003 dreimal getagt.Im November 2003 stellte die AG dem Landespsychiatriebeirat ihr Ergebnis vor. Sie hatte ein Konzept für ein Modellprojekt "psychiatrische Vertrauensperson (pVP)" in 2 Landkreisen erarbeitet. Inhaltlich definiert ist die pVP dort als eine unabhängige Anlaufstelle für Probleme und Beschwerden von Klienten innerhalb des außerklinischen und klinischen Versorgungssystems. Ihr Aufgabenprofil beinhaltet u.a. die Parteinahme für die Interessen der Klienten und deren Unterstützung bei der Wahrnehmung und Durchsetzung ihrer Rechte. Sie soll auch auf strukturelle Probleme aufmerksam machen und bei deren Lösung mit helfen. Die pVP kann für den Klienten informierend, beratend und vermittelnd tätig werden und ihn zur Interessenwahrnehmung oder -vertretung begleiten. Ihre Befugnisse finden ihre Grenzen in den Vorschriften des Rechtsberatungsgesetzes. Die pVP soll mit Anbietern der psychiatrischen Versorgung Vereinbarungen über weitergehende Befugnisse abschließen. Sie wird im Einzelfall erst tätig, nachdem sich ein Klient an sie gewandt hat. Sie strebt keine Lösungen oder Kompromisse an, die nicht den Wünschen des Klienten entsprechen. Persönliche Voraussetzungen, um als pVP zu arbeiten, sind Erfahrungen im psychiatrischen Bereich, eine angemessene Lebenserfahrung, soziale Kompetenzen, eine abgeschlossene Berufsausbildung. Die pVP darf nicht gleichzeitig als Behandler bzw. Betreuer tätig sein. Vertreter der Psychiatrieerfahrenen sind zu den Bewerbungsgesprächen einzuladen. Über deren Empfehlungen sind die für die Einstellung verantwortlichen Stellen zu informieren.

Der Beginn des Modellprojekts ist derzeit weiter unklar. Auf Nachfrage im März 2006 bestätigte das Psychiatriereferat des saarländischen Ministeriums für Justiz, Soziales und Gesundheit, dass die Hausspitze an dem Konzept festhält. Die Arbeitsgruppe habe auch die Notwendigkeit einer konstanten "Beschwerdestelle" verdeutlicht. Die Umsetzung des Konzepts kostet laut Psychiatriereferat 110.000 Euro per Anno. Auf Grund der schwierigen Haushaltslage des Saarlandes ist die Umsetzung des Konzepts bis dato nicht erfolgt. Weitere Informationen zu dem Konzept für das Modellprojekt pVP können beim saarländischen Ministerium für Justiz, Soziales und Gesundheit, Franz-Josef-Röder-Straße 23, 66119 Saarbrücken erfragt werden.

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Arbeitsgruppen:

AG 1

Was ist überhaupt eine Beschwerde? Strategien zum Umgang mit Beschwerde; Beschwerde als Prozess

Die Leitung hatte Jurand Daszkowski, assistiert von Regine Müller

1. Was ist eine Beschwerde?- bezieht sich auf Vergangenheit oder Gegenwart- Inhalt: Klage/Anliegen: Veränderung- Hat ein Ziel (Wiedergutmachung, Entschuldigung, Verbesserung in der Zukunft)

2. Was braucht eine Beschwerde?- Thema: Würde beachten des Beschwerdeführers- Stets als etwas Positives annehmen- Ernst nehmen, auch bei scheinbarer „Geringfügigkeit“- Jemandem zuhören, ihm das Gefühl vermitteln, dass er ernst genommen wird, auch

wenn er in einer akuten Phase zu sein scheint- Lernen, neue Wege und Strategien zu erkennen (Beschwerdestellen, Beschwerdeführer,

Beschwerdegegner)- Zeitintensiv in der Bearbeitung

3. Strategien- Parteilichkeit- Seelsorgerische Arbeit- Unrealistische Erwartungen verhindern- Keine therapeutische Arbeit- Hilfe bei der Beschwerdeführung, z.B. Formulierungshilfen

4. mangelnde Häufigkeit von Beschwerden- Angst vor Sanktionen (obwohl das selten vorkommt. Ausnahme: Forensik)- Mangelnder Bekanntheitsgrad der Beschwerdestellen

5. Problem der Parteilichkeit- Würde des Beschwerdegegners achten- Nie die eigene Version, immer die Version des Beschwerdeführers (in angemessener

Form) vertreten

6. Was braucht eine Beschwerdestelle?- Legitimation

Da das Thema der Arbeitsgruppe sehr breit gefasst war, wird eine weitere, abschließende Beschäftigung mit dem Thema für nötig gehalten.

AG 2

Standards, Grenzen und Möglichkeiten von unabhängigen Beschwerdestellen

Die Leitung hatte Ruth Fricke, assistiert von Klaus Laupichler

Standards:

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- vor Gründung Zeit lassen für Diskussion mit allen möglichen Beteiligten- unabhängige Beschwerdestellen sind trialogisch und multiprofessionell besetzt- sie arbeiten parteilich aus Sicht der Nutzer- möglichst Sprechstunden an neutralem Ort- Leitung möglichst durch Betroffene oder Angehörige- Kooperationsverträge mit den Leistungserbringern am Ort- Schweigepflichtserklärung der Mitarbeiter der Beschwerdestelle- Plakate/Aushänge in allen Einrichtungen und Praxen, Ankündigung der Sprechstunden

in der Lokalpresse- Beschwerdeformular schriftlich incl. Verlauf und Ergebnis- Beschwerden werden nur mit Zustimmung des Betroffenen und mit ihm gemeinsam (bzw.

einer von ihm benannten Vertrauensperson) gelöst- Beschwerden werden immer mit den Dienstvorgesetzten abgehandelt- Berichterstattung im Gemeindepsychiatrischen Verbund, Sozialausschuss etc.- Beschwerdeinstanz über Arbeit der Beschwerdestellen sollte eingerichtet werden

(Beschwerdebeirat DGSP)- Nebenziel: Versorgungslücken aufzeigen- Diskussion: Erreichbarkeit rund um die Uhr? Forderung nach Einbeziehung der

unabhängigen Beschwerdestelle bei Unterbringungen/Zwangsmaßnahmen

Unterstützung zur Bildung von Beschwerdestellen:

- Öffentlichkeitsarbeit über lokale Presse- Arbeitskreis Psychiatrie (entstanden aus Selbsthilfegruppen) über Psychosoziale

Arbeitsgemeinschaften (PSAG) der Kommune führt zur Gründung der Beschwerdestelle- Unterstützergremien von existierenden Beschwerdestellen: Baden-

Württemberg – Landesverband Gemeindepsychiatrie Solingen – Psychosozialer Trägerverein (Frage der Unabhängigkeit) Bielefeld – aus Trialog entstanden Bayern – durch einen eingetragenen Verein; kooperative Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt, Förderung von Miete

Unabhängigkeit:

- garantiert bei: finanzieller Unabhängigkeit, trialogischer Zusammensetzung des Gremiums, neutraler Treffpunkt außerhalb der Psychiatrie, freiwilliger Dokumentation für kommunale Gremien

- gefährdet bei: zu dichter Zusammenarbeit mit Profi-Gremien/Einrichtungen, Dokumentationszwang z.B. vor Geldgebern, Bürgermeister u.ä.

Finanzielle Unterstützung mit gleichzeitiger Wahrung der Unabhängigkeit:

- Kommune ist in der Pflicht- Private Spender (aber keine Pharmaspenden)- Sparkasse oder andere lokale Banken- (eigene) Selbsthilfevereine- örtliche Krankenkasse(n)- Wohlfahrtsverbände- Verwandtschaft/Bekanntschaftskreis- Bußgelder (Staatsanwaltschaft, Amtsgericht)- Aktion Mensch- Stiftungen

AG 3

Was benötigen Mitarbeiter im Beschwerdewesen an Unterstützung, Förderung und Schulung?

Wir waren elf Teilnehmer, davon zwei Angehörige, drei Profis und sechs Psychiatrie – Erfahrene.

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Die Leitung hatte Karin Haehn, assistiert von Michaela Hoffmann.

Zu Beginn verteilte ich meine zu Hause formulierten Gedanken: Was benötigen Mitarbeiter des Beschwerdewesens an

a) Unterstützungb) Förderungc) Schulung

Unterstützung muss von der Kommune, in der die Beschwerdeinstanz angesiedelt ist, kommen.Vorstellen kann ich mir einen kostenfreien Raum mit Infrastruktur (Telefon, PC Fax.)

Förderung sollte die Regierung des zuständigen Landes gewähren.Wir sollten hinterfragen, ob es besser ist, Zuschüsse direkt von den Regierungen zu beantragen. Der Umweg über die Bezirke hat sich als nicht praktikabel herausgestellt.

Schulung sollte zum Inhalt haben:

1.) Was ist das politisch Machbare in der psychiatrischen Landschaft.2.) Wie unterscheiden sich somatische Erkrankungen von Krankheiten der Seele.3.) Wie unterscheiden sich psychisch kranke, alte Menschen von denen, die an einer

Demenz erkrankt sind.4.) Welche Erscheinungen, die zu Krisen führen, haben ihre Ursachen in den

Familienstrukturen.5.) Welche Gewalteskalationen haben ihre Ursachen in den Strukturen der Einrichtungen.6.) Wie gehe ich mit Datenschutz um?

Die Gruppe arbeitete sehr lebendig und zügig und kam zu folgenden Ergebnissen:

Fortbildungen sollen zum Inhalt haben:RechtskundeMediationGrundwissen psychiatrische ErkrankungenWirkungsweise von MedikamentenKenntnisse psychiatrischer StrukturenKonzepterstellung einer Beschwerdeinstanz ( Ziele, Leitbilder)ÖffentlichkeitsarbeitDatenschutzVereinsgründung – SponsoringUmgang mit Gewalt und GewaltstrukturenFamilienverquickungen

Die Grundform soll Erfahrungsaustausch sein und wenn möglich sollte ein Supervisor anwesend sein.

Weiterhin machten wir uns Gedanken darüber, Wie – wo – und wie lange Fortbildungen sein sollen. Dazu kamen Vorschläge:

- regional- nicht zu lange (ein Tag)- z.B. Nordhessen- Fortbildungszyklus- reisende Fortbildung (rotierend wie ein Zirkus)- Preiswert halten (nicht unbedingt im Sterne Hotel)

Bei allen Überlegungen stellte sich heraus, dass das Hauptproblem das Geld sei. Nur einige konnten die Unterstützung ihres Vereins zusagen, über die Hälfte müsste die Finanzierung aus eigener Tasche leisten, was natürlich meistens nicht möglich ist.

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AG 4

Betriebliches Beschwerdemanagement innerhalb des Qualitätssystems eines Trägers

Die Leitung hatte Hans Cordshagen, assistiert von Friedel Walburg

Die Teilnehmer der Arbeitsgruppe informierten sich eingehend über das betriebliche Beschwerdemanagement. Hans Cordshagen verteilte an Interessierte auch die Konzeption der Brücke Schleswig-Holstein auf CD-Rom.Konsequenz aus der Diskussion war: Betriebliches Beschwerdemanagement ist kein unabhängiges Beschwerdesystem. Daneben muss es eine unabhängige Beschwerdestelle in der Gemeinde geben, um Missstände wirklich offen zu legen und abstellen zu können.

AG 5

Vernetzung von BeschwerdemöglichkeitenDie Leitung hatte Gudrun Uebele.

Ergebnisse:

- eine Vernetzung aller Beschwerdemöglichkeiten geschieht am besten durch eine ständige zentrale Anlaufstelle für alle Beschwerdemöglichkeiten. Diese liefert Informationen und Hilfestellung zum Aufbau von Beschwerdestellen. Gleichzeitig sorgt sie für eine Politisierung der zentralen behandelten Themen und öffentliche Einflussnahme.

- Ein Prüfsiegel „unabhängige Beschwerdestelle“ sollte eingeführt werden, um Missverständnisse auszuschließen.

- Eine zentrale Anlaufstelle für unabhängige Beschwerdestellen könnte auch als Kontrollgremium für die lokalen Stellen dienen.

- Beschwerdestelle muss auch mit anderen Kontrollinstanzen vernetzt sein.- Schriftliche Anleitungen zum Aufbau von Beschwerdestellen oder auch zur Beantragung

von öffentlichen Fördermitteln für Beschwerdestellen sollten erstellt und verbreitet werden.

Auswertung des Workshops 2006 in Fulda:

1. Themen, die weiterbearbeitet werden sollen- rechtliche Grundlagen- Empowerment- Öffentlichkeitsarbeit - Anleitung zum Aufbau von Beschwerdestellen- Finanzierung von unabhängigen Beschwerdestellen und Fördermöglichkeiten- Wegweiser in schriftlicher Form- Lösungsmodelle vorstellen- Vernetzung der Beschwerdemöglichkeiten- Weitere Austauschmöglichkeiten- Kenntnisse psychiatrischer Strukturen- Konzepterstellung (Ziel, Geschäftsordnung….)

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- Innerbetriebliche Fortbildung für Mitarbeiter im institutionellen Rahmen (was benötigen Mitarbeiter)

- Hinzuziehung von Beschwerdestellen/Patientenfürsprechern bei Zwangsmaßnahmen- Zwang und Gewalt

2. Anregungen für den zweiten Workshop- Entwicklungen und Veränderungen- Heimbeirat und Beschwerdewesen- Rolle des Patientenfürsprechers im Rahmen des Beschwerdewesens- Sprache einfacher machen!- Unabhängigkeit der Beschwerdestelle- Standards- Vernetzung- Dachverband unabhängiger Beschwerdestellen

3. DGSP-Kurzfortbildungen zum Thema - Mediation- Systemische Konfliktlösungen- Aufbau einer Beschwerdestelle- Vereinsrecht, Vereinsführung- Spendensammlung, Sponsoring u. andere Finanzierungsmöglichkeiten

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