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TERRY GOODKIND Der Palast des Kaisers

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TERRY GOODKIND

Der Palast des Kaisers

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Buch

Nicci, die Schwester der Finsternis in Kaiser Jagangs Diensten, hatRichard, den Herrscher des D’Haranischen Reichs, in die Alte Weltentführt, wo ihm die dortige Lebensweise vor Augen geführt werdensoll. Und sie bindet den Mann mit einem tückischen Zauber an sich:Jedes Leid, das ihr zugefügt wird, muss gleichzeitig Kahlan erleiden.Diese Reise in das Herz des Feindeslandes erweist sich als Einblick ineine zutiefst rückständige Gesellschaft – Richard erlebt das Elend unddie Resignation der Untertanen des fanatischen Fürsten. Die Brüderdes Ordens, Erfüllungsgehilfen Kaiser Jagangs, üben eine Schreckens-herrschaft aus, die das Reich der Alten Welt in Chaos und Gleichgül-tigkeit versinken lässt. Unterdessen ist Kahlan in der Neuen Welt aufsich allein gestellt. Aber wie kann es ihr ohne den charismatischenRichard gelingen, den Imperialen Truppen die Stirn zu bieten und zu

verhindern, dass Kaiser Jagang sich die Midlands unterwirft?

Autor

Mit dem »Schwert der Wahrheit« legt Terry Goodkind eine Fantasy-Saga vor, die mit Witz und Spannung, Phantasie und Wirklichkeits-nähe neue Maßstäbe setzt. Gleich der erste Roman »Das erste Gesetzder Magie« erzielte einen enormen Erfolg bei Lesern und Kritikern.Piers Anthony schrieb dazu: »Eine phänomenale Fantasy, die alles Da-gewesene in den Schatten stellt, und für Terry Goodkind der Beginneiner großen Karriere.« Tatsächlich sind alle folgenden Bände seinesZyklus »Schwert der Wahrheit« international äußerst erfolgreich.Marion Zimmer Bradley nannte ihn den »wahren Erben von J. R. R.Tolkien«. Terry Goodkind lebt in einem Haus in den Wäldern vonNeuengland und schreibt an der Fortsetzung seines Erfolgs-Epos.

Von Terry Goodkind bereits erschienen:

Das Schwert der Wahrheit: 1. Das erste Gesetz der Magie (24614),2. Der Schatten des Magiers (24658), 3. Die Schwestern des Lichts(24659), 4. Der Palast der Propheten (24660), 5. Die Günstlinge derUnterwelt (24661), 6. Die Dämonen des Gestern (24662), 7. DieNächte des roten Mondes (24773), 8. Der Tempel der vier Winde(24774), 9. Die Burg der Zauberer (35247), 10. Die Seele des Feuers(35260), 11. Schwester der Finsternis (24777), 12. Der Palast des Kai-

sers (24778)

Weitere Bände sind in Vorbereitung.

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Terry GoodkindDer Palast des

Kaisers

Das Schwert der Wahrheit 12

Aus dem Amerikanischenvon Caspar Holz

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Umwelthinweis:Alle bedruckten Materialien dieses Taschenbuches

sind chlorfrei und umweltschonend.

Blanvalet Taschenbücher erscheinen im Goldmann Verlag,einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH.

Deutsche Erstveröffentlichung 4/2002Copyright © der Originalausgabe 2000 by Terry Goodkind

All rights reservedCopyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2002 by

Wilhelm Goldmann Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Published in agreement with Baror International, Inc.,Bedford Hills, New York, USA,

in association with Scovil Chichak Galen Literary AgencyUmschlaggestaltung: Design Team München

Umschlagillustration: Agt. Schlück/BerniSatz: deutsch-türkischer fotosatz, Berlin

Druck: GGP Media, PößneckVerlagsnummer: 24778

Redaktion: Werner BauerV. B. · Herstellung: Peter Papenbrok

Printed in GermanyISBN 3-442-24778-0

www.blanvalet-verlag.de

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Die amerikanische Originalausgabe erschienunter dem Titel »Faith of the Fallen« (Chapters 34–71)

bei Tor Books, New York

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_________________________ 1. Kapitel ________________________________________________

ehutsam bog Warren den schneebeladenenFichtenzweig für sie zur Seite, und Kahlan spähte durch die Lücke.

»Dort unten«, sagte er mit leiser Stimme. »Seht Ihr?«Nickend spähte Kahlan mit zusammengekniffenen Augen hinun-

ter in das enge, tief unter ihnen liegende Tal. Das Bild einer mit wei-ßem Raureif überzogenen Landschaft bot sich ihr – weiße Bäume,weiße Felsen, weiße Wiesen. Die feindlichen, durch den weit ent-fernten Talgrund marschierenden Truppen glichen einer dunklenAmeisenkolonne, die sich ihren Weg durch Puderzucker bahnte.

»Ich glaube, es ist nicht nötig, dass du flüsterst, Warren«, meinteCara hinter Kahlans anderer Schulter. »Sie können dich nicht hören,nicht auf diese Entfernung.«

Warrens blaue Augen wandten sich der Mord-Sith zu. Wäre sienicht in einen Wolfspelz gehüllt gewesen, der sie mit dem Hinter-grund aus pulverschneebestäubtem Dickicht verschmelzen ließ, ihrerote Lederkleidung wäre einem wie ein Leuchtfeuer ins Auge ge-sprungen. Kahlans Pelzüberwurf fühlte sich warm und geschmeidigan auf ihren Wangen; manchmal erinnerte das Gefühl auf ihrer Hautan Richards zarte, beschützende und wärmende Liebkosungen,schließlich hatte er ihn für sie gemacht.

»Aber wenn wir uns nicht zusammennehmen, können die mit derGabe uns hören, Cara, selbst auf diese Entfernung.«

Cara rümpfte die Nase. »Was wollt Ihr damit sagen?«»Wenn wir zu laut sind«, raunte ihr Kahlan in einer Weise zu, die

ihr nahe legte, etwas mehr Vorsicht walten zu lassen und still zu sein.Der Gedanke an Magie ließ Cara angewidert das Gesicht verzie-

hen. Ihr Gewicht auf den anderen Fuß verlagernd, widmete sie sich

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wieder der Beobachtung der langsam das Tal hinaufmarschierendenSoldatenkolonne und hielt den Mund.

Als sie genug gesehen hatte, gab Kahlan ein Handzeichen, und diedrei machten sich auf den Rückweg durch den knöcheltiefen Schnee.In dieser Höhenlage im Gebirge befanden sie sich unmittelbar un-terhalb der bedrückend grauen Wolkendecke, wodurch der Ein-druck entstand, als blickten sie aus einer anderen Welt hinunter. Wassie dort unten gesehen hatte, gefiel ihr ganz und gar nicht.

Sie stapften über den eng mit Föhren und kahlen Espen bestan-denen Hang zum dicht bewaldeten Kamm hinauf, wo der felsigeBergrücken an manchen Stellen – einem nur unvollständig verschüt-teten Gerippe gleich – die Schneedecke durchbrach. Ihre Pferde war-teten ein gutes Stück weiter unten am Hang; noch weiter den Berghinunter, dort wo Warren und Kahlan sie gegen eine Entdeckungetwa durch die Truppen der Imperialen Ordnung sichernden Perso-nen mit der Gabe gefeit glaubten, wartete eine Eskorte d’Harani-scher Gardisten, die General Meiffert zum Schutz von Kahlan undden beiden sie ebenfalls beschützenden Begleitern eigenhändig aus-gewählt hatte.

»Versteht Ihr jetzt?«, fragte Warren, nur wenig lauter als im Flüs-terton. »Sie sind immer noch dabei – sie schaffen immer mehr Trup-pen auf diesem Weg in die Berge und versuchen uns unbemerkt zuumgehen.«

Kahlan hielt sich den Wolfspelzüberwurf schützend vors Gesicht,als eine leichte Bö einen Schleier aufgewirbelten Schnees an ihnenvorüberwehte. Glücklicherweise hatte es noch nicht wieder ange-fangen zu schneien.

»Das glaube ich nicht, Warren.«Er sah sie fragend an. »Und was dann?«»Ich glaube, sie wollen, dass es so aussieht, als ob sie Truppen in

unserem Rücken aufmarschieren lassen, damit wir Soldaten abzie-hen und bis hier herauf schicken, um ihnen nachzusetzen.«

»Ein Ablenkungsmanöver?«

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»Ich glaube, ja. Es findet gerade nahe genug statt, sodass wir es al-ler Wahrscheinlichkeit nach entdecken werden, andererseits aber im-mer noch weit genug entfernt und in so unwegsamem Gelände, dasswir unsere Truppen aufteilen müssten, wenn wir in irgendeiner Wei-se darauf reagieren wollten. Außerdem sind unsere Kundschafterbis auf den letzten Mann unversehrt zurückgekommen.«

»Das ist doch gut.«»Freilich ist es das. Aber was, wenn sie, wie du vermutest, Perso-

nen mit der Gabe bei sich haben? Wie kommt es, dass alle unsereKundschafter diese massiven Truppenbewegungen melden konnten,ohne dass auch nur ein Einziger auf der Strecke geblieben ist?«

Warren ließ sich das einen Augenblick durch den Kopf gehen,während die drei vorsichtig über einen kleinen Felsgrat klettertenund anschließend die andere Seite des glatten, steil abfallenden Fel-sens auf dem Hinterteil hinunterrutschten.

»Ich glaube, sie wollen uns damit ködern«, sagte Cara, als ihreStiefel hinter ihnen mit einem dumpfen Aufprall wieder auf festemBoden landeten. »Die kleinen Fische lassen sie durch die Maschenschlüpfen, in der Hoffnung, damit die größeren anzulocken.«

Kahlan klopfte sich den Schnee vom Hinterteil. »Genau wie wir.«Warren wirkte skeptisch. »Glaubt Ihr, das Ganze ist ein ausgetüf-

telter Trick, um Offiziere und Personen mit der Gabe in die Falle zulocken?«

»Das nicht gerade«, erwiderte Kahlan. »Das wäre für sie nur einangenehmer Nebeneffekt. Ich glaube, ihre eigentliche Absicht be-steht darin, uns als Reaktion auf diese – wie sie uns glauben machenwollen – bedrohliche Truppenbewegung zum Aufteilen unsererTruppen zu verleiten.«

Warren wühlte mit einer Hand in seinen blonden, lockigen Haa-ren. Seine blauen Augen wanderten zurück in die Richtung, aus derdie drei vom Kamm herabgestiegen waren, so als wollte er versu-chen, das, was er längst nicht mehr sehen konnte, noch einmal inAugenschein zu nehmen.

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»Aber sollte uns das nicht zu denken geben, wenn sie ein gewal-tiges Truppenkontingent nach Norden marschieren lassen – erstrecht, wenn es einen Teil unserer Truppen fortlocken soll?«

»Natürlich sollte es das«, antwortete Kahlan. »Wenn es dennstimmt.«

Warren blickte flüchtig zu ihr hinüber, während sie sich durch tie-feren Schnee kämpften, der unter die Felsklippen geweht wordenwar, unter denen sie auf ihrem Weg einen steilen, kleinen Anstieg hi-nauf hindurchstapften. Die Anstrengung ließ ihre Beine müde wer-den, deshalb reichte Warren ihr eine Hand, um ihr eine hohe Stufehinaufzuhelfen. Dann wiederholte er die Geste bei Cara, doch die-se gab ihm gebärdenreich zu verstehen, sie sei auf seine Hand nichtangewiesen, verzichtete allerdings darauf, ihn dabei böse anzufun-keln. Kahlan war froh über jedes Anzeichen dafür, dass Cara lernte,ein bescheidenes Hilfsangebot einfach als Höflichkeit und nichtzwangsläufig als einen Vorwurf der Schwäche aufzufassen.

»Jetzt bin ich aber verwirrt«, meinte Warren keuchend.Kahlan machte Halt und ließ die anderen wieder zu Atem kom-

men. Mit dem Arm deutete sie hinter sich auf die feindlichen Trup-pen jenseits des Kamms.

»Nun wenn es stimmt, dass uns Truppen in großer Zahl umge-hen, um nach Norden zu marschieren, dann sollte uns das beunru-higen. Aber ich glaube, in Wirklichkeit tun sie das gar nicht.«

Warren wischte sich eine blonde Locke aus der Stirn. »Ihr glaubtnicht, dass all diese Soldaten Richtung Norden marschieren? Aberwohin dann?«

»Nirgendwohin«, erwiderte Kahlan.»So viele Soldaten? Ihr macht wohl Scherze.«Sie musste über seinen Gesichtsausdruck lächeln. »Ich halte das

Ganze für ein Täuschungsmanöver. Ich glaube, in Wahrheit handeltes sich nur um eine sehr geringe Anzahl von Soldaten.«

»Aber die Kundschafter berichten von gewaltigen Massen vonSoldaten, die seit mittlerweile drei Tagen nach Norden marschieren!«

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»Leise«, warnte Cara, sich so mit einer Miene gespielten Tadelsrevanchierend. Als Warren merkte, dass er geradezu geschrien hat-te, schlug er sich beide Hände vor den Mund.

Sie waren wieder bei Atem, also brach Kahlan abermals auf undführte sie, ihren auf dem Hinweg erzeugten Fußstapfen folgend,über eine kleine Anhöhe in ebeneres Gelände.

»Erinnerst du dich noch, was die Kundschafter gestern berichte-ten?«, fragte sie ihn. »Dass sie versucht hätten, die Berge auf der an-deren Seite des Tales zu erklimmen, um die örtlichen Begebenheitensowie die durchmarschierenden Truppen in Augenschein zu neh-men, die Pässe jedoch zu schwer bewacht gewesen seien?«

»Ich erinnere mich.«»Ich glaube, soeben bin ich hinter den Grund dafür gekommen.«

Sie fuhr fort, mit der Hand einen Kreis beschreibend. »Ich denke,was wir hier sehen, ist eine verhältnismäßig kleine Gruppe der im-mer selben Soldaten, die einfach in einem großen Kreis herum-marschiert. Wir bekommen sie immer nur an jener Stelle zu Gesicht,wo sie durch dieses Tal hinaufmarschieren. Tagelang sehen wir Trup-pen vorüberziehen und schließen daraus, dass eine große Zahl vonSoldaten verlegt wird, ich glaube aber, es handelt sich um die im-mer selben Soldaten, die ein ums andere Mal im Kreis herumwan-dern.«

Warren blieb stehen und starrte sie an. Sein Gesicht wurde ernst,als ihm dämmerte, was das bedeutete. »Man will uns also glaubenmachen, sie verlegen eine Armee hier herauf, damit wir als Reakti-on darauf unsere Armee aufspalten und einen Teil von ihr hinter die-ser Phantomstreitmacht herschicken.«

»Zahlenmäßig sind wir ihnen jetzt schon unterlegen«, sagte Cara,bei sich nickend, »wir haben allerdings den Vorteil, ein für unsereZwecke günstiges Gelände zu verteidigen. Sollte es ihnen aber gelin-gen, unsere Zahl einfach dadurch erheblich zu verringern, dass sieuns dazu verleiten, einen großen Teil unserer Truppen vorher nochauf einen Einsatz zu schicken, würde das ihre gesamte Streitmacht

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endlich in die Lage versetzen, die geschrumpfte Zahl der zurückge-bliebenen Verteidiger glatt zu überrennen.«

»Klingt logisch.« Warren strich sich nachdenklich übers Kinn undschaute zurück zum Kamm. »Und wenn Ihr Euch täuscht?«

Kahlan drehte sich ebenfalls um und schaute zurück zum Kamm.»Nun, wenn ich mich täusche, dann …«

Stirnrunzelnd betrachtete Kahlan den keine zehn Fuß entfernten,mächtigen alten Ahornbaum und glaubte zu sehen, wie sich die Rin-de bewegte. Die feine Schicht aus Pulverschnee auf der schuppigen,grauen zerfurchten Borke begann sich aufzulösen und auf einer zu-sehends größer werdenden Fläche abzuschmelzen. Die Rinde be-wegte sich wie der Schaum auf einem brodelnden Kessel.

Kahlan japste erschrocken, als Warren sie und Cara am Kragenpackte und sie beide rücklings zu Boden riss. Kahlan hatte es denAtem verschlagen; als sie versuchte sich aufzurichten, warf Warrensich zwischen sie auf die Erde und drückte sie wieder nach unten.

Noch bevor Kahlan Gelegenheit fand, wieder zu Atem zu kom-men oder zu fragen, was denn los sei, blitzte ein blendend grellesLicht in der Stille des Waldes auf. Ein ohrenbetäubender Knall zer-riss die Luft und erschütterte den Boden unter ihr. GeborstenesHolz, von feinen Splittern bis hin zu zaunpfahldicken Bruchstü-cken, sirrte heulend wenige Zoll über ihr Gesicht hinweg. RiesigeBaumstammteile prallten mit hölzern trockenem Klacken von Fel-sen ab. Andere kreiselten, von Baumstämmen zurückgeworfen,durch die Luft. Einzelne über den Erdboden polternde Stücke wir-belten mit gefrorenen Erdpartikeln durchsetzten Schnee auf. DieLuft verfärbte sich weiß, als die Druckwelle der Explosion eineWand aus Schnee in die Höhe schleuderte.

Hätte einer von ihnen aufrecht gestanden, es hätte ihn in Stückegerissen.

Kaum waren die letzten Holzstücke mit dumpfem Poltern aufdem Boden gelandet, wälzte Warren sich hinüber zu Kahlan. »Daswaren die mit der Gabe«, flüsterte er.

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Kahlan sah ihn stirnrunzelnd an. »Was?«»Die mit der Gabe«, wiederholte er ebenso leise. »Sie richten ihre

Kraft auf einen gefrorenen Baumstamm und bringen ihn innerlichzum Kochen, bis er explodiert. Deswegen haben wir so hohe Verlus-te erlitten, als wir uns während der allerersten Schlacht, unmittelbarbevor ihr zu uns gestoßen seid, im Tal gesammelt hatten. Damit ha-ben sie uns überrascht.«

Kahlan nickte. Sie sah sich suchend um, konnte aber niemandenentdecken, schließlich schaute sie zu Cara hinüber, um zu sehen, obsie wohlauf war.

»Wo ist Cara?«, fragte sie in dringlichem Flüsterton.Warren spähte vorsichtig nach vorn und ließ den Blick suchend

über den Schauplatz der Explosion wandern. Als Kahlan, auf dieEllbogen gestützt, leicht den Kopf hob, sah sie dort, wo eben nochCara gelegen hatte, nichts als aufgewühlten Schnee.

»Gütiger Schöpfer«, entfuhr es Warren. »Ihr glaubt doch nichtetwa, sie ist entführt worden, oder?«

Kahlan entdeckte Fußspuren, die vorher noch nicht dagewesenwaren und sich zur Seite hin entfernten. »Ich glaube …«

Ein Schrei, der selbst einem unerschrockenen Mann die Farbe ausdem Gesicht getrieben hätte, hallte durch die Bäume.

»Cara?«, rief Warren zögernd.»Das glaube ich nicht.«Sich vorsichtig aufrichtend sah Kahlan, dass in das dichte Blätter-

dach des Waldes ein Loch gerissen worden war, sodass grelles Lichtin den schattigen, geschützten Wald darunter fiel. Der Boden rings-um war mit zersplittertem Holz, abgeknickten Ästen, umgestürztenRiesenstämmen und von anderen Bäumen abgerissenen Zweigenübersät. Ausgehend von einer trichterförmigen Mulde, wo ebennoch der Baum gestanden hatte, reichten rillenförmige Vertiefun-gen im Schnee strahlenförmig in den dunklen Wald hinein. Überalllagen Bruchstücke von Stämmen und Wurzeln umher, einige warensogar in den umstehenden Bäumen hängen geblieben.

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Warren legte ihr eine Hand auf die Schulter und drängte sie liegenzu bleiben, während er mit einer Körperdrehung in die Hocke ging.Sie wälzte sich auf den Bauch und stemmte sich vorsichtig mit Hän-den und Knien hoch.

Plötzlich sprang Kahlan auf und zeigte zum Wald. »Dort!«Sie sah Cara zwischen den Bäumen hindurch zurückkommen.

Die Mord-Sith scheuchte einen offensichtlich unter Schmerzen lei-denden winzigen Mann vor sich her. Jedesmal wenn er stolperte undhinfiel, trat sie ihm in die Rippen und trieb ihn weiter. Er schrie, sei-ne Worte waren ein weinerliches Wimmern, das Kahlan wegen dergroßen Entfernung nicht verstehen konnte. Allerdings war es nichtübermäßig schwer, sich vorzustellen, was er sagte.

Cara hatte einen mit der Gabe Gesegneten gefangen genommen.Die Mord-Sith waren für Aufgaben wie diese erschaffen worden; füreinen mit der Gabe Gesegneten war der Versuch, Magie gegen eineMord-Sith einzusetzen, ein schwerer Fehler, der ihn der Kontrolleüber seine eigenen Fähigkeiten beraubte.

Sich den Schnee abklopfend, stand Kahlan auf. Warren, dessenviolettes Gewand mit Schnee überkrustet war, erhob sich ebenfalls,von dem Anblick wie gebannt. Das also war einer jener Zauberer, diefür den Tod so vieler Soldaten verantwortlich waren, als die D’Hara-ner sich – nach dem Beginn des Vorrückens der Imperialen OrdnungRichtung Norden – im Tal gesammelt hatten; das also war eine jenerbösartigen Bestien, die auf Geheiß Jagangs handelten. Jetzt jedoch,da er flennend und flehend vor seiner unerbittlichen, ihn vor sichherscheuchenden Häscherin lag, wirkte er ganz und gar nicht wieeine bösartige Bestie.

Er war nichts weiter als ein um sich schlagendes Lumpenbündel,als ihn ein letzter mächtiger Fußtritt vor die Füße von Kahlan undWarren beförderte. Dort blieb er wie ein kleines Kind wimmerndmit dem Gesicht nach unten liegen.

Cara bückte sich, griff ihm in das verfilzte, dunkle Haar und rissihn auf die Beine.

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Es war ein Kind.»Lyle?« Warren starrte ihn ungläubig an. »Lyle? Du warst das?«Tränen strömten aus seinen freudlos kalten Augen. Sich mit der

Rückseite seines zerlumpten Ärmels die Nase abwischend, funkel-te der Junge Warren wütend an. Der kleine Lyle schien ein Jungevon vielleicht zehn oder zwölf Jahren zu sein, doch da Warren ihnkannte, vermutete Kahlan, dass er ebenfalls aus dem Palast der Pro-pheten stammte. Lyle war ein junger Zauberer.

Als Warren sich anschickte, das blutverschmierte Kinn des Jungenin die Hand zu nehmen, hielt Kahlan Warren am Handgelenk zu-rück. Der Junge warf sich nach vorn, um Warren in die Hand zu bei-ßen, doch Cara war schneller; ihn an den Haaren zurückreißend,rammte sie ihm ihren Strafer in den Rücken.

Vor Schmerzen kreischend, sackte er in sich zusammen. Sie tratdem schwer verletzten Knaben in die Rippen.

Warren breitete flehentlich die Hände aus. »Cara, nicht …«Sie sah ihn aus ihren eiskalten blauen Augen herausfordernd an.

»Er hat versucht, uns umzubringen. Er hat versucht, die MutterKonfessor zu töten.«

Die Zähne zusammengebissen und Warrens Augen noch immerfest im Blick, versetzte sie dem wimmernden Jungen einen weiterenTritt.

Warren benetzte sich die Lippen. »Ich weiß … aber …«»Was aber?«»Er ist doch noch so klein. Das ist nicht richtig.«»Und deswegen wäre es besser, wir ließen einfach zu, dass er uns

umbringt? Würde es in deinen Augen dadurch vielleicht richtigerwerden?«

Kahlan wusste, dass Cara Recht hatte. So schwer es war, es mit-ansehen zu müssen, Cara hatte Recht. Wenn sie starben, wie vieleMänner, Frauen und Kinder würde die Imperiale Ordnung noch da-hinmetzeln? Obwohl noch ein Kind, war er bereits ein Handlangerder Imperialen Ordnung.

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Nichtsdestoweniger gab Kahlan Cara zu verstehen, dass es reich-te. Auf Kahlans Zeichen hin krallte Cara ihre Faust in Lyles verfilz-ten Schopf aus schmutzigen Haaren und hievte ihn auf die Beine.Caras Schenkel im Rücken, stand er zitternd da, während ihm dasBlut über das Gesicht strömte und sein Atem in kurzen, ungleich-mäßigen Stößen ging.

Kahlan blickte hinunter in die verängstigten, tränengefüllten Au-gen und setzte ihr Mutter-Konfessorgesicht auf, jenes Gesicht, dasihre Mutter ihr beigebracht hatte, als sie noch ein kleines Mädchengewesen war, jenes Gesicht, hinter dem sich ihre ganze innere Erre-gung verbarg.

»Ich weiß, dass Ihr da seid, Jagang«, sagte sie mit leiser Stimme,die jede innere Anteilnahme vermissen ließ.

Der blutverschmierte Mund des Jungen verzog sich zu einem Fei-xen, das nicht ihm gehörte.

»Euch ist ein Fehler unterlaufen, Jagang. Wir werden in Kürzeeine Armee ausgesandt haben, die Eure Truppen aufhalten wird.«

Der Junge lächelte ein ausdrucksloses Lächeln, erwiderte abernichts.

»Lyle«, versuchte es Warren mit schmerzgequälter, spröder Stim-me, »du kannst dich vom Traumwandler befreien. Du brauchst nurRichard die Treue zu schwören, und schon bist du frei. Glaube mir,Lyle. Versuche es. Ich weiß, wie du dich fühlst. Versuche es, Lyle,und ich schwöre, ich werde dir helfen.«

Kahlan dachte, dass er sich in Anwesenheit Warrens, eines Man-nes, den er kannte, vielleicht auf das unerwartet durch die offene Türseines Verlieses fallende Licht stürzen würde. Der Junge hinter demLächeln, das nicht sein eigenes war, sah Warren mit einer Sehnsuchtan, die langsam zu Abscheu gerann. Dieses Kind hatte mitansehenmüssen, dass der Kampf um die Freiheit den Menschen nichts alsGrauen und Tod brachte, und hatte gelernt, dass knechtischer Ge-horsam Lohn und Überleben bedeutete. Er war noch zu jung, um zubegreifen, dass es um weit mehr ging.

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Mit sanftem Druck ihrer Finger drängte Kahlan Warren zurück.Er gehorchte, wenn auch widerstrebend.

»Dies ist nicht der erste Zauberer Jagangs, den wir gefangen ge-nommen haben«, sagte sie ganz beiläufig zu Warren. Ihre Worte gal-ten jedoch nicht ihm.

Kahlan hob den Blick, sah Cara in ihre ernsten, blauen Augen unddann kurz zur Seite, in der Hoffnung, die Mord-Sith würde denWink verstehen.

»Marlin Pickard«, sagte Kahlan, so als wollte sie Warren den Na-men ins Gedächtnis rufen, obwohl ihre Worte noch immer an Caragerichtet waren. »Er war erwachsen, und obwohl er auf Geheiß sei-nes aufgeblasenen Kaisers handelte, war er nicht im Stande, uns grö-ßere Schwierigkeiten zu bereiten.«

In Wirklichkeit hatte Marlin ihnen eine Menge Schwierigkeitenbeschert; um ein Haar hätte er sowohl Cara als auch Kahlan getötet.Kahlan hoffte, Cara würde sich erinnern, wie dürftig ihre Kontrol-le über einen vom Traumwandler besessenen Menschen war.

Im lautlosen Wald herrschte eine Stimmung angespannter Stille,als der Junge Kahlan wütend anfunkelte.

»Wir haben Eure Machenschaften rechtzeitig durchschaut, Ja-gang. Es war ein Fehler, zu glauben, Ihr könntet unsere Späher un-bemerkt passieren; ich hoffe nur, Ihr befindet Euch bei diesen Män-nern, damit wir Euch die Kehle durchschneiden können, wenn wirsie vernichten.«

Das Feixen wurde breiter. »Auf Seiten der Schwachen steht eineFrau wie Ihr am falschen Platz«, erwiderte der Junge im drohendenTonfall eines erwachsenen Mannes. »In den Diensten der Starkenund der Imperialen Ordnung hättet Ihr viel mehr Spaß.«

»Ich fürchte, meinem Gemahl gefällt es, wo ich jetzt stehe.«»Und wo befindet sich Euer Gemahl derzeit, Schätzchen? Ich

hatte gehofft, ihn begrüßen zu können.«»Er ist hier«, antwortete Kahlan im selben leidenschaftslosen

Tonfall.

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Sie sah Warren auf ihre Bemerkung hin eine Bewegung machen,die seine Überraschung allzu deutlich verriet.

»Ist er das?« Die Augen des Jungen wanderten von Warren zu-rück zu Kahlan. »Wie kommt es, dass ich Euch nicht glaube?«

Als sie sein grausames Grinsen sah, hätte sie dem Jungen amliebsten die Zähne eingetreten. Kahlans Gedanken überschlugensich, während sie sich auszurechnen versuchte, was Jagang womög-lich bereits wusste, und was er in Erfahrung zu bringen versuchte.

»Ihr werdet Ihn noch früh genug zu sehen bekommen, wenn wirdiesen armen Jungen zurück ins Lager bringen. Ich bin sicher, Ri-chard Rahl wird Euch in Eure feige Visage lachen wollen, wenn ichihm erzähle, wie wir den Plan des großen Kaisers durchschaut ha-ben, heimlich Truppen nach Norden zu verlegen. Ich nehme an, erwird Euch ins Gesicht sagen wollen, was für ein Narr Ihr seid.«

Der Junge versuchte, einen Schritt auf sie zuzumachen, doch Ca-ras Hand in seinem Haar hielt ihn zurück. Er benahm sich wie einangeleinter Puma, der noch immer an seinen Ketten zerrte. Dasblutverschmierte Grinsen verharrte auf seinem Gesicht, war abernicht mehr ganz so selbstgefällig wie zuvor. Kahlan glaubte in sei-nen braunen Augen ein leichtes Zögern zu erkennen.

»Ach was, ich glaube Euch kein Wort«, sagte er, als verlöre er be-reits das Interesse. »Wir wissen beide, dass er keineswegs dort ist.Nicht wahr, Schätzchen?«

Kahlan beschloss, ein Wagnis einzugehen. »Ihr werdet ihn schonbald mit eigenen Augen sehen.« Sie tat, als wollte sie sich abwenden,drehte sich stattdessen aber noch einmal zu ihm um.

Kahlan ließ ein sarkastisches Lächeln um ihre Lippen spielen.»Ach – Ihr denkt dabei an Nicci?«

Das Lächeln im Gesicht des Jungen erlosch. Seine Brauen zogensich zusammen, trotzdem gelang es ihm, sich die Verärgerung in sei-ner Stimme nicht anmerken zu lassen.

»Nicci? Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wovon Ihr sprecht,Schätzchen.«

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»Eine Schwester der Finsternis? Gute Figur, blonde Haare, blaueAugen, schwarzes Kleid? An eine so betörend schöne Frau würdetIhr Euch doch gewiss erinnern? Oder seid Ihr, neben all Euren an-deren Unzulänglichkeiten, auch noch Eunuch?«

Die Augen starrten sie an, und in ihnen konnte Kahlan deutlichsehen, wie jedes ihrer Worte sorgsam abgewogen wurde. Es warenjedoch Niccis Bemerkungen über Jagang, an die sie sich erinnerte.

»Ich weiß sehr wohl, wer Nicci ist. Ich kenne jeden Zoll ihresKörpers, bis hin zu den intimsten Stellen. Eines schönen Tages wer-de ich Euch ebenso gut kennen wie sie.«

Irgendwie klang eine solch obszöne Drohung aus dem Mund ei-nes kleinen Jungen noch erschreckender. Ihr wurde speiübel, als siehörte, wie ein Kind Jagangs abstoßende Gedanken aussprach.

Der Arm des Jungen gestikulierte anstelle seines Herrn und Meis-ters. »Sie ist eine meiner Schönheiten, und eine überaus tödlichenoch dazu.« Kahlan glaubte aus Jagangs kehligem Geknurre einenHauch der aufgesetzten Prahlerei eines Mannes herauszuhören, derblufft. Fast so, als wäre es ihm erst nachträglich eingefallen, setzte ernoch hinzu: »In Wirklichkeit habt Ihr sie gar nicht gesehen.«

Kahlan hörte in dieser Feststellung den leisen Anklang einer Fra-ge, die er nicht zu stellen wagte, was ihr verriet, dass mehr dahintersteckte. Sie hätte nur zu gerne gewusst, was.

Sie zuckte abermals mit den Achseln. »Tödlich? Davon ist mirnichts bekannt.«

Er leckte das Blut von seinen Lippen. »Das dachte ich mir.«»Und zwar deswegen, weil sie ganz und gar nicht so auf mich ge-

wirkt hat. Sie hat keinem einzigen von uns Schaden zufügen kön-nen.«

Das Grinsen kehrte zurück. »Ihr lügt, Schätzchen. Wärt Ihr Nic-ci tatsächlich begegnet, hätte sie, wenn schon nicht alle, so doch we-nigstens ein paar von euch getötet. Diese Frau lässt sich nicht unter-kriegen, ohne vorher noch jemandem die Augen auszukratzen.«

»Ach wirklich? Sind wir uns da so sicher?«

Page 22: TERRY GOODKIND Der Palast des Kaisers - bilder.buecher.de · Kahlan war froh über jedes Anzeichen dafür, dass Cara lernte, ein bescheidenes Hilfsangebot einfach als Höflichkeit

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Der Junge brach in dröhnendes Gelächter aus. »Ich kenne Nicciganz genau, Schätzchen.«

Kahlan sah dem Jungen verächtlich lächelnd in seine braunen Au-gen. »Ihr wisst, dass ich die Wahrheit sage.«

»Ach, ja?«, erwiderte er, immer noch amüsiert in sich hineinla-chend. »Und woher?«

»Weil sie eine Eurer Sklavinnen ist und es Euch eigentlich mög-lich sein sollte, in ihren Verstand einzudringen. Aber das könnt Ihrnicht, und ich weiß auch, warum. Ihr seid zwar nicht sonderlich hel-le, trotzdem werdet Ihr vermutlich nicht allzu lange überlegen müs-sen, um auf den Grund zu kommen.«

Blinder Zorn blitzte in den Augen des Jungen auf. »Ich glaubeEuch kein Wort.«

Kahlan zuckte mit den Achseln. »Ganz, wie Ihr wollt.«»Wenn Ihr sie gesehen habt, wo ist sie dann jetzt?« Ihm den Rü-

cken zukehrend, sagte sie ihm die brutale, bittere Wahrheit undüberließ es ihm, seine eigenen Schlüsse daraus zu ziehen. »Als ich siedas letzte Mal sah, war sie auf dem Weg in die Vergessenheit.«

Kahlan vernahm das Brüllen hinter ihrem Rücken. Sie wirbelteherum und sah, wie Cara ihn mit ihrem Strafer zurückzuhalten ver-suchte, hörte, wie der Knochen seines Armes brach. Der Junge hieltnicht einmal inne, sondern stürzte sich, die Hände zu Krallen gebo-gen und die Zähne gebleckt, völlig außer sich vor Wut auf Kahlan.

Ihm halb zugewandt, hob Kahlan eine Hand, um den Jungen ab-zuwehren, der ihr mit seinem ganzen Gewicht an den Hals zu sprin-gen versuchte. Seine schmächtige Brust streifte ihre Hand. Es fühl-te sich nicht so an, als stürzte er sich auf sie, eher glich es dem Flaumeiner Pusteblume, den ihr ein zarter Lufthauch entgegenwehte.

Ihr Augenblick war gekommen.Kahlan brauchte nicht einmal ihr Geburtsrecht zu Hilfe zu neh-

men, sie musste lediglich ihre diesbezügliche Zurückhaltung aufge-ben. Auf Gefühle konnte sie sich jetzt nicht verlassen, allein dieWahrheit konnte ihr noch weiterhelfen.