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THE OLIVER WYMAN RETAIL JOURNAL AUSGABE 4

THE OLIVER WYMAN RE ATIL JOURNAL · Der direkte Draht zum Kunden ist ein entscheidender Faktor für den langfristigen Erfolg der großen europäischen Supermarktketten. Es bedarf

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THE OLIVER WYMAN

RETAIL JOURNAL AUSGABE 4

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Editorial

Sirko Siemssen

European Retail Practice [email protected]+49 89 939 49 574

Liebe Leserinnen und Leser,

die Geschichte des Einzelhandels ist vom Aufstieg und Fall verschiedener Anbieter,

Konzepte, Formate und Kanäle geprägt. Seit Jahren befindet sich die Branche wieder in

einer Phase des tief greifenden Wandels. Entsprechend steht im Mittelpunkt des neuen

Retail Journals der Blick in die Zukunft: Wie können die kommenden Jahre erfolgreich

gestaltet werden angesichts der weltweiten Expansion diskontierender Formate, des

ungebremsten Siegeszugs direkter Vertriebskanäle und einer entsprechend neuen

Dynamik rund um das Verstehen, Adressieren und Binden jedes einzelnen Kunden?

Im europäischen Lebensmitteleinzelhandel sind harte Marktanteilskämpfe, Marktaustritte

und neue Allianzen die Vorboten einer weiteren Konsolidierungswelle. An deren Ende

werden nur einige europäische Giganten sowie stark differenzierte, regional verwurzelte

Anbieter übrig bleiben und mit nochmals deutlich weiterentwickelten Kompetenzen und

Fähigkeiten um die stagnierende Nachfrage kämpfen. Die Weichen hierfür werden heute

gestellt. Die entscheidenden Erfolgsfaktoren werden strategische Weitsicht, Ertrags- und

Kapitalstärke sowie fähigkeitenbasierte Wettbewerbsvorteile sein.

Mehr noch als der Discount forcieren die Direktkanäle den Umbruch im Handel – und

zwar in allen Warenbereichen. Die Etablierten kämpfen dabei mit zwei zentralen

Herausforderungen. Zum einen stellt sich die Frage, welche Geschäftsmodelle

überhaupt nachhaltig wirtschaftlich betrieben werden können. Zum anderen zeigt

sich in der Umsetzung, dass Marktneulinge bei der digitalen Nutzererfahrung, der

Direktansprache und dem Fulfillment als zentralen Treibern der Kundenzufriedenheit

stets die Nase vorn haben.

Marktverwerfungen, Onlineplattformen und technologischer Wandel rücken den Kunden

noch mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Wer den direkten Zugang zum einzelnen

Kunden verliert, droht in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden und bestenfalls zu

einer Supply Chain degradiert zu werden, die über Marktplätze agiert. Während dabei die

klassischen, transaktionsbasierten Kundenbindungsaktivitäten rasant an Wirkungsgrad

verlieren, ergeben sich zugleich viele neue Möglichkeiten.

Ich würde mich freuen, wenn das vorliegende Retail Journal die Diskussion in Ihrem

Unternehmen bereichert und neue Denkanstöße liefert.

Sirko Siemssen

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STRATEGIEN

Inhalt Ausgabe 4

6 SHOWDOWN IM EUROPÄISCHEN LEBENSMITTELEINZELHANDEL

Bis 2025 dürfte sich die Zahl der großen Lebensmittelhändler in Europa halbieren

16 DIE ZUKUNFT DER KUNDENBINDUNG

Aufbau einer neuen Generation von Loyalitätsprogrammen

26 DIE EVOLUTION DES SUPERMARKTS

Das Lebenszyklusmodell im Handel

30 HERAUSFORDERUNGEN IN RUSSLAND UND CHINA

Russland: LEH am Scheideweg China: Die große Verlangsamung

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OPERATIONS

ONLINE

34 ABLAUFOPTIMIERUNG AM POINT OF SALE

Überwindung von Abteilungsgrenzen und Reduzierung von Komplexität

46 DIE NEUE IT IM EINZELHANDEL

Wie sich die IT von heute auf die Welt in drei Jahren einstellen muss

66 WIE MAN KUNDEN GEWINNT

Lehren aus dem deutschen Onlinehandel

74 THE WINNER TAKES IT ALL

Rentable Geschäftsmodelle für den Onlinehandel

58 STATIONÄRER EINZELHANDEL

Wie die Geschäfte im Onlinezeitalter gedeihen können

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SHOWDOWN IM EUROPÄISCHEN LEBENSMITTEL-EINZELHANDEL BIS 2025 DÜRFTE SICH DIE ZAHL DER GROSSEN LEBENSMITTELHÄNDLER IN EUROPA HALBIEREN

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Bewährte Wachstumsmodelle basierend auf einem Ausbau

des Filialnetzes, einer Konsolidierung auf nationaler Ebene

und fortschreitender Diversifizierung liefern nicht mehr das

flächenbereinigte Wachstum, um eine gute Wirtschaftlichkeit zu

gewährleisten. Zudem sind die europäischen Märkte weitgehend

gesättigt und der Wettbewerbsdruck durch Discount, aber auch

Onlinekanäle steigt. Nach Überzeugung von Oliver Wyman steht

der europäische Lebensmittelhandel daher vor grundlegenden

Veränderungen inklusive einer länderübergreifenden

Konsolidierungswelle, die bis 2025 zu einer Halbierung der Zahl der

großen Anbieter führen wird.

Die Mega-Treiber des Wandels im europäischen Lebensmittelhandel

bleiben auch in den kommenden zehn Jahren unverändert:

eine stagnierende Nachfrage, das Schwächeln traditioneller

Wachstumsmotoren sowie die überaus aggressive europaweite

Expansion spezialisierter Wettbewerber wie Discounter

(vgl. Abbildung 1). Mit dem wachsenden Wettbewerbsdruck

wird die Zahl der Schlagzeilen steigen, die sich mit Preiskriegen,

Kursrückgängen und Wettrennen um Einkaufsallianzen sowie

mitunter dem Ausscheiden von Unternehmen aus dem Markt

beschäftigen. Um die eigene Zukunft erfolgreich zu gestalten,

sollten sich Lebensmittelhändler daher mit den folgenden vier

Fragen beschäftigen:

1Wie lässt sich ein Quantensprung bei den Kosten erreichen?

Kostenführerschaft wird zur Pflichtübung.

2Wie lässt sich die Produktivität jeder Arbeitsstunde und jedes Quadratmeters erhöhen?

Nur hochproduktive Geschäftsmodelle werden überleben.

3Wie lässt sich das internationale Wachstum vorantreiben?

Größe zählt – und länderübergreifendes Wachstum gehört zu den wenigen Möglichkeiten, um Skaleneffekte zu realisieren.

4Wie lässt sich die Kundenbindung noch besser festigen und vertiefen?

Angesichts neuer Wettbewerber ist es entscheidend, Kunden enger zu binden.

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STRATEGIEN

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Abbildung 1: Das Wachstum von Aldi und Lidl in Europa von 2004 bis 2014

VERÄNDERUNG DER ANZAHL DER FILIALEN*

+1117Deutschland

+641Polen

+594Frankreich

+585VereinigtesKönigreich

+324Spanien

+298Niederlande

+288Rumänien

+276Schweiz

+266Italien

+248Ungarn

+205Österreich

+199Tschechien

+188Irland

+139Bulgarien

+138Belgien

+130Slowakei

+125Griechenland

+122Slowenien

+118Schweden

+115Portugal

+105Kroatien

+96Dänemark

+84Finnland

+16Zypern

+7Malta

-18Norwegen

+10Luxemburg

* Aldi Nord plus Aldi Süd plus Lidl

Quellen: Planet Retail und Oliver Wyman-Analyse

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1. WIE LÄSST SICH EIN QUANTENSPRUNG BEI DEN KOSTEN ERREICHEN?

Graduelle Verbesserungen der Kostenstruktur dürften in den kommenden Jahren kaum ausreichen.

Erfolgreichen Unternehmen wird ein Quantensprung gelingen. Das Nachsehen haben diejenigen,

die abwarten und lediglich reagieren.

Die Mehrzahl der Einzelhändler kennt die Bedeutung der Kosten nur zu gut und eine schrittweise

Reduzierung ist Jahr für Jahr ein Kernelement der meisten Strategien. Doch in vielen Fällen gehen

diese Anstrengungen wohl nicht weit genug. Für eine dauerhaft wettbewerbsfähige Kostenposition

bedarf es Quantensprünge vor allem in zwei Bereichen: bei Skalenvorteilen im Einkauf sowie im

schlanken, intelligenten Betrieb von Supply Chain und Verkaufsstellen.

Um die notwendige Größe zur Durchsetzung besserer Konditionen bei Lieferanten zu erreichen,

wird es mehr und stärkere Einkaufsallianzen geben. Nach Meinung von Oliver Wyman sollte

jedes Handelsunternehmen seine Optionen hinsichtlich des Beitritts oder der Gründung von

Einkaufsallianzen sorgfältig prüfen (vgl. Abbildung 2). Fällt diese Option aus, müssen die

Unternehmen selbst umso dringender sicherstellen, dass ihr Einkauf den Vergleich mit den Besten

weltweit nicht zu scheuen braucht. Beispielsweise gilt es dann, durch intelligente Nutzung von

Daten in Lieferantengesprächen einen echten Vorsprung zu erzielen. Mehr Informationen dazu

bietet der Point of View „Mehr Verhandlungserfolg dank besserer Argumente“, den wir Ihnen auf

Wunsch gerne zuschicken.

Abbildung 2: Einkaufsallianzen europäischer Lebensmittelhändler

EMD• Axfood• Groupe Casino• Markant - dm - Globus - Kaiser’s Tengelmann - Kaufland - Müller - Rossmann• Norges Gruppen• SuperGros• u. a.

ALIDIS• EDEKA• ITM Entreprises• Grupo Eroski

COOPERNIC• Coop Italia• Delhaize Group• E.Leclerc*

Seit 2014 • Groupe Auchan• Metro Group

In Frankreich• Carrefour + Dia + CORA• Groupe Auchan + Systeme U• ITM Entreprises + Groupe Casino

AMS• Ahold• Booker• Dansk Supermarked• Esselunga• Hagar• ICA• Jeronimo Martins• Kesko• Migros• Morrisons

CORE• Colruyt• Conad• Coop Switzerland• REWE Group*

Strategische Partnerschaft seit Juni 2015• REWE Group• E.Leclerc

* E.Leclerc und REWE Group gaben im Juni 2015 ihre strategische Partnerschaft bekannt.

Vermerk: Status Juni 2015

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STRATEGIEN

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Um die Konkurrenz wirklich abzuhängen, bedarf es darüber hinaus neuer Ansätze zur

Reduzierung der Kosten in anderen Unternehmensbereichen. So könnten traditionelle

Anbieter manche Sortimentsbereiche deutlich straffen und die Kosten und Komplexität in

der Lieferkette fundamental reduzieren. Denkbar ist ähnlich wie bei Onlinehändlern auch der

Einsatz automatisierter Algorithmen für einen größeren Anteil der alltäglichen Category- und

Dispositionsentscheidungen. Diese Ansätze werfen ohne Zweifel schwierige Fragen auf und

stellen den Status quo auf den Prüfstand. Doch Abbildung 3 verdeutlicht, dass die daraus

resultierenden Vorteile bei der Profitabilität ein Unternehmen in einem Maß gegen Veränderungen

und Mengenverluste schützen können, wie es dem Wettbewerb vermutlich nicht gelingt.

2. WIE LÄSST SICH DIE PRODUKTIVITÄT JEDER ARBEITSSTUNDE UND JEDES QUADRATMETERS ERHÖHEN?

Da die Margen sinken und die Zukunft unsicher erscheint, kommen schlecht laufende Filialen

unweigerlich auf den Prüfstand. In vielen Fällen verhindern indes langlaufende Mietverträge

kurzfristige Schließungen. Dessen ungeachtet gibt es innovative Möglichkeiten, die Profitabilität

dieser Standorte zu verbessern. Sie lassen sich beispielsweise als Sammel- und Abholstellen

nutzen, die auch anderen, nicht-konkurrierenden Händlern offenstehen. So können Kunden in

Großbritannien bereits seit Jahren ihre Bestellung von John Lewis-Haushaltswaren bei einem

lokalen Waitrose-Supermarkt in Empfang nehmen. Neuerdings ist es auch möglich, eBay-

Einkäufe in einer von Hunderten Argos-Filialen abzuholen.

Diese Formen der Zusammenarbeit erlauben es dem einen Partner, mit niedrigen Kosten vor

Ort präsent zu sein, und dem anderen, überflüssige Fläche zu nutzen. Genau diesen Ansatz

verfolgt auch die britische Supermarktkette Sainsbury’s mit der Eröffnung von Argos-Outlets

in ihren Läden. Und die Idee ist nicht auf Beziehungen zwischen Einzelhändlern beschränkt:

Procter & Gamble erlaubt Amazon in den USA, Bestellungen über P&G-Lager abzuwickeln,

um die Transportkosten zu reduzieren und die Auslieferung zu beschleunigen.

Abbildung 3: Wie ein Vorsprung bei der Profitabilität den Einfluss von Absatzrückgängen zum Beispiel aufgrund eines vordringenden Onlinegeschäfts mindern kann

FILIALNETZIN PROZENT

Einzelhändler AOperative Marge

zu Beginn: 8%

Einzelhändler BOperative Marge

zu Beginn: 5%

20 40 60 80 100 0

Anteil der profitablen Filialen drei Jahre nach Markteintritt der Onlinehändler

Anteil der unprofitablen Filialen drei Jahre nach Markteintritt der Onlinehändler

Quelle: Oliver Wyman-Analyse

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Eine höhere Auslastung der vorhandenen Vermögenswerte kann eine sehr wirkungsvolle

Methode sein, das eigene Geschäftsmodell zu stärken. Die bestehende Kostenbasis besser zu

nutzen, kann dabei ebenso wichtig sein, wie diese von vornherein zu reduzieren.

3. WIE LÄSST SICH DAS INTERNATIONALE WACHSTUM VORANTREIBEN?

Größe bleibt ein entscheidender Treiber für die Finanzkraft jedes Handelsunternehmens. In

vielen europäischen Märkten stößt jedoch die nationale Konsolidierung an ihre Grenzen. Einige

Regulierungsbehörden sträuben sich dagegen, weitere Übernahmen oder Zusammenschlüsse

der verbleibenden großen Handelsunternehmen zuzulassen. Die Alternative liegt in einer

Strategie, die über lange Zeit im Lebensmittelhandel verpönt war: internationale Konsolidierung.

Mit zunehmender Sättigung kommt es in den meisten Branchen zu einer Konsolidierung

(vgl. Abbildung 4). Große Unternehmen expandieren und übernehmen dabei häufig

Wettbewerber – zunächst auf nationaler Ebene, doch danach auch über Landesgrenzen

hinweg. In diesem Prozess geraten schwächere sowie langsame Anbieter ins Visier und werden

geschluckt. Oliver Wyman geht davon aus, dass diese Entwicklung auch im europäischen

Lebensmitteleinzelhandel unausweichlich ist – wie in vielen anderen, einst klar nationalen

Industrien wie Telekommunikation, Luftfahrt oder Textileinzelhandel.

Abbildung 4: Die Konsolidierung wird im Lebensmittelhandel ähnlich wie in anderen Branchen verlaufen

MARKTANTEIL DER DREI GRÖSSTEN ANBIETER IN EINER BRANCHEIN PROZENT

50

0

100

1. Stufe 2. Stufe 3. Stufe 4. Stufe

LEBENSMITTELHANDEL 2015

Aufbau undInnovation

Wachstum undKonsolidierung

FokussiertesWachstum

Finale:Mega-Allianzenund Abwehr von

neuen Wettbewerbern

RüstungTabak

Softdrinks

AutomobileChemie

Fast-Food-Restaurants

Retail-BankingTelekommunikation

Fluglinien

LEBENSMITTELHANDEL 2025

Eine kleine Zahl großer Unternehmen beherrscht Branchen wie Tabak, Softdrinks, Verteidigung und Automobilherstellung. Nach Erwartungen von Oliver Wyman beginnt sich in den kommenden zehn Jahren auch der Lebensmittelhandel entlang dieser Konsolidierungskurve zu bewegen. In anderen Handelszweigen gibt es bereits Beispiele. Dazu zählen Möbel (IKEA), Textil (Inditex und H&M) sowie Luxusgüter. Mit Blick auf dieses Modell hängt der langfristige Erfolg eines Unternehmens davon ab, wie schnell und wie erfolgreich es sich entlang der Konsolidierungskurve bewegt. Wer zu langsam ist, verschwindet vom Markt oder wird Ziel von Übernahmen. Sich dem Wettbewerb nicht zu stellen oder diesen zu ignorieren, verbessert die Chancen zu überleben auch nicht.

Quellen: Harvard Business Review und Oliver Wyman-Analyse

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STRATEGIEN

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In einer Welt maßgeschneiderter Eins-zu-eins-Interaktionen kann eine Internationalisierung

auch den Blick für neue, sehr gezielte Innovationen für einzelne Kundengruppen öffnen. Solche

Innovationen basieren häufig auf dem Einsatz moderner Technologien: Eine gut gemachte

App für die gesunde Ernährung dürfte unabhängig von Landesgrenzen auf Interesse stoßen.

Schließlich verbindet einen Kunden mit Glutenunverträglichkeit in einem Land mehr mit

einem Kunden in einem anderen Land, der ebenfalls unter Zöliakie leidet, als mit einem ganz

normalen Konsumenten. Die Bedeutung nationaler Grenzen schwindet, wenn Kunden auf solche

Dienstleistungen zugreifen können.

4. WIE LÄSST SICH DIE KUNDENBINDUNG NOCH BESSER FESTIGEN UND VERTIEFEN?

Der direkte Draht zum Kunden ist ein entscheidender Faktor für den langfristigen Erfolg

der großen europäischen Supermarktketten. Es bedarf jedoch erheblicher Anstrengungen

der traditionellen Anbieter, um die einst für selbstverständlich erachtete Kundenbeziehung

zu erhalten. Denn neue Geschäftsmodelle verändern den Markt von Grund auf, indem

sie die traditionelle Funktion des Handels in neuer Form erfüllen (AmazonFresh, Google

Shopping) oder die persönliche Schnittstelle zum Kunden am Ende der Wertschöpfungskette

übernehmen (Shutl, DPD, Uber). Der Erfolg oder Misserfolg von Lebensmittelhändlern hängt

entscheidend davon ab, inwieweit sie sich gegen neue Wettbewerber wie Onlineaggregatoren

und Lieferservices zur Wehr setzen und den so wichtigen direkten Draht zum Kunden

erhalten können.

In diesem Umfeld ist Wissen Macht. Es kommt darauf an, die vorhandenen Kundendaten richtig

auszuwerten, um die bestehenden Beziehungen auf individueller Basis weiterzuentwickeln

und durch differenzierte Kundenerlebnisse eigenständige Ökosysteme mit hoher

Bindungskraft aufzubauen.

Der Schlüssel liegt in einer intelligenten Nutzung von Daten und entsprechender Analysen.

Unternehmen können ihre Position nachhaltig stärken, indem sie bessere und relevantere Apps

sowie informationsgetriebene Dienstleistungen entwickeln, die Kunden begeistern.

DIE FINALE KONSOLIDIERUNGSWELLE

Im Verlauf der kommenden Konsolidierungswelle wird sich der Lebensmittelhandel in

Europa nach Überzeugung von Oliver Wyman letztendlich in zwei Lager spalten: in starke

paneuropäische Supermächte und flexible lokale Platzhirsche (vgl. Abbildung 5).

Abbildung 5: Wie der Lebensmittelhandel 2025 aussehen wird

SUPERMÄCHTE PLATZHIRSCHE

Regionale Abdeckung Hohe paneuropäische Präsenz National und lokal

Angebot Überwiegend Spezialisten, einige wenige Generalisten differenzieren sich durch eine bessere Kundenbindung sowie durch eine höhere Effizienz im Management und im Betrieb

Maßgeschneidert auf die jeweiligen lokalen Bedürfnisse

Überlebensvorteil Skaleneffekte Innovationen sowie kreative, schnell anpassbare Strategien

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In diesem Markt wird es weniger Lebensmittelhändler als heute geben. Derzeit existieren in

Europa 25 große Anbieter mit einem Umsatz von jeweils mehr als zehn Milliarden Euro pro Jahr.

Bis 2025 wird sich diese Zahl nach Einschätzung von Oliver Wyman halbieren und die Größe der

Überlebenden deutlich steigen.

WAS BRAUCHT ES, UM ZU DEN GEWINNERN ZU ZÄHLEN?

Wer sich frühzeitig und schnell bewegt, verschafft sich ohne Frage eine starke Position – Voraussetzung

ist, dass die Richtung stimmt. Unabhängig davon, ob sich Unternehmen zur Supermacht oder zum

Platzhirsch entwickeln, hilft ihnen eine Fokussierung auf die folgenden drei Schlüsselthemen, um zu

überleben und künftig zu prosperieren.

1. LANGFRISTIGES DENKEN UND INVESTITIONEN IN DIE STRATEGIEFINDUNG ZAHLEN SICH AUS

Einzelhändler sollten sich intensiv mit der Frage beschäftigen, wo sie in zehn Jahren stehen wollen

und müssen. Nur so können sie die Beschränkung auf kurzfristige, schrittweise Verbesserungen

überwinden und grundlegende Veränderungen über die gesamte Organisation hinweg planen.

Um zu einer realistischen Einschätzung der eigenen Position und möglicher Optionen zu

gelangen, sollten Unternehmen nicht nur ihren nationalen, sondern auch den europäischen

Lebensmitteleinzelhandelssektor in den Fokus rücken und auf dieser Basis denkbare

Verwerfungen simulieren. Die größte Bedrohung für ein Unternehmen kann in der

grenzüberschreitenden Konsolidierung, aber auch in einer lokalen Herausforderung liegen.

In jedem Fall gilt: Eine gute Vorbereitung ist die halbe Miete.

Wichtige Erkenntnisse über erfolgreiche und weniger erfolgreiche Strategien können sich auch

aus der Beschäftigung mit der Konsolidierungskurve in anderen Branchen ergeben, wie sie

Abbildung 4 zeigt. Mehr Informationen über den Nutzen eines solch branchenübergreifenden

Denkansatzes finden sich in dem Artikel „Trading Places“ aus der zweiten Ausgabe von „Ten Ideas

from Oliver Wyman“, die wir Ihnen auf Wunsch gerne zusenden.

2. WER DAS EINMALEINS DES HANDELS BESSER BEHERRSCHT, VERSCHAFFT SICH EINEN VORSPRUNG

Flächenbereinigtes Wachstum bedingt in einem gesättigten Markt eine permanente Optimierung

des bestehenden Geschäfts, um dessen Produktivität zu steigern. Aus diesem Grund konzentrieren

sich so viele Unternehmen auf eine Verbesserung des Angebots, eine Steigerung der operativen

Effizienz sowie eine Reduzierung der Kosten.

Ein überzeugendes, einzigartiges Angebot kann die Kundenfluktuation verringern und ein erster

Schritt auf dem Weg hin zu einem höheren Marktanteil sein. Online wie offline gilt es daher

herauszufinden, was Kunden wirklich wollen, und diese Bedürfnisse in einer Art und Weise zu erfüllen,

wie es dem Wettbewerb nicht gelingt. Darüber hinaus ist zu ermitteln, was Kunden nicht wollen, um

diese Bereiche aus dem Angebot streichen zu können, damit Kunden wie Unternehmen Geld sparen.

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STRATEGIEN

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Obwohl Einzelhändler mittlerweile in Daten förmlich ertrinken, haben viele die dadurch

möglichen Leistungsverbesserungen noch nicht realisieren können. Die Besten sind jedoch

bereits heute in der Lage, über maßgeschneiderte Category-Management-Systeme bessere

Entscheidungen mit weniger Zeiteinsatz und Aufwand zu treffen und schneller zu reagieren.

Das gleiche Ziel haben ausgefeilte Tools für Lieferantengespräche. Oliver Wyman hat bereits

verschiedene Lebensmittelhändler dabei unterstützt, Dutzende verschiedener Datenquellen

in ein solches Tool zu integrieren und intelligente Analysen zu fahren. Die Einkäufer erhalten so

leicht verständliche Berichte in einem für die Gespräche passenden Format.

3. DEN MARKT ANFÜHREN, ANSTATT NUR MITZULAUFEN

Üblicherweise nehmen Kunden Follower-Strategien nicht wahr und überhastete Reaktionen

auf unvorhergesehene Veränderungen führen in der Regel zu einer mangelhaften Umsetzung

und höheren Kosten. Nur wer die Initiative ergreift, kann die Zukunft nach seinen Vorstellungen

prägen. Für die meisten Unternehmen erfordert die Entscheidung, die Zukunft selbst zu

gestalten, zwingend eine Veränderung der Kultur hin zu mehr Experimentierfreude, höherer

Risikobereitschaft und Agilität. Sie werden damit „zukunftsoffen“ statt „zukunftssicher“, und

genau dies ist die beste Möglichkeit, um den Veränderungen in den kommenden zehn Jahren

begegnen zu können. Ein Unternehmen sollte einen Markt anführen und nicht nur mitlaufen.

FAZIT

Der Lebensmittelhandelssektor in Europa wird im Jahr 2025 nicht wesentlich größer

sein als heute. Doch seine Struktur wird sich verändert haben. Getrieben durch eine

grenzüberschreitende Konsolidierungswelle wird die Zahl der großen Handelsunternehmen

zurückgehen, wobei jedes einzelne einen größeren Anteil des europäischen Markts

kontrolliert. Unternehmen, die diese Richtung nicht einschlagen, können sich zu einem

weniger großen, aber dennoch profitablen Platzhirsch entwickeln, der die Bedürfnisse einer

kleineren Kundengruppe schnell und effizient erfüllt, oder drohen ins Hintertreffen zu geraten.

In jedem Fall müssen Unternehmen heute handeln, um zu den Gewinnern im künftigen

Marktumfeld zu zählen. Die Zukunft wird diejenigen Unternehmen belohnen, die sich

schon heute mit der nötigen Entschlossenheit bewegen – die Zeit der kleinen, schrittweisen

Veränderungen ist vorbei. Glänzende Zukunftsperspektiven haben Lebensmittelhändler, die

wissen, wo sie 2025 stehen wollen, und schon heute die richtigen Weichen stellen.

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Die Zukunft wird diejenigen Unternehmen belohnen, die sich schon heute mit der nötigen Entschlossenheit bewegen – die Zeit der kleinen, schrittweisen Veränderungen ist vorbei.

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STRATEGIEN

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Was herkömmliche, transaktionsbasierte Kundenbindungsprogramme wirklich sind, wird in einer

Welt voller neuer Technologien und hoher Kundenerwartungen schnell deutlich: undifferenzierte,

unzureichend genutzte Verlustbringer.

In der Regel rechtfertigen Einzelhändler die Kosten ihrer Kundenbindungsprogramme mit den

gewonnenen Daten. Diese können als Entscheidungsgrundlage und Basis für zielgerichtete

Kampagnen dienen oder an Lieferanten verkauft werden. Doch bei genauerer Betrachtung lässt

sich dieser Mehrwert häufig weder realisieren noch als Begründung für die Investitionen in das

Programm heranziehen. Vielmehr kann ein transaktionsbasiertes Kundenbindungsprogramm,

das Kunden im Schnitt ein bis zwei Prozent ihrer Einkäufe gutschreibt, nach Analysen von

Oliver Wyman den Gewinn eines Einzelhändlers mit einem Jahresumsatz von 10 Milliarden

US-Dollar um 30 bis 60 Millionen schmälern. Werden noch die erheblichen Kosten für den Betrieb

des Programms hinzuaddiert, wird deutlich, dass die Gewinne aus der Nutzung der Daten

vermutlich niemals die Gesamtkosten ausgleichen werden.

Nicht jedes Kundenbindungsprogramm entspricht dem Schema in Abbildung 1. Doch unabhängig

davon gibt es selbst bei den derzeit besten Programmen noch Raum für Verbesserungen.

DIE ZUKUNFT DER KUNDENBINDUNGAUFBAU EINER NEUEN GENERATION VON LOYALITÄTSPROGRAMMEN

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Und diese gilt es schnell umzusetzen! Die vorliegende Analyse begründet im ersten Abschnitt

die Notwendigkeit für Veränderungen und zeigt im zweiten Teil, mit welchen Themen sich

Einzelhändler für eine neue Generation von Kundenbindungsprogrammen beschäftigen müssen.

• Teil1: Warum Veränderungen erforderlich sind

1. Neue Wettbewerber revolutionieren den Markt und stellen den Status quo infrage.

2. Die Kundenerwartungen verändern sich und damit auch die Erwartungen an die Leistungen von Kundenbindungsprogrammen.

3. Neue Technologien eröffnen neue Möglichkeiten. Wer sie richtig nutzt, kann die Bedürfnisse der Kunden auf andere, innovative Weise erfüllen.

• Teil 2: Was über den Erfolg der neuen Programme entscheidet

1. Ein zukunftsoffener Technologieansatz erlaubt es Einzelhändlern, das Gesamtsystem ihres Programms weiter zu steuern, ohne notwendigerweise sämtliche Komponenten selbst betreiben zu müssen.

2. Eine Start-up-Mentalität ermöglicht langfristige Investitionen in das Programm.

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TEIL 1 | WARUM VERÄNDERUNGEN ERFORDERLICH SIND

1. NEUE WETTBEWERBER REVOLUTIONIEREN DEN MARKT

Einzelhändler müssen neue Wege finden, um den direkten Draht zu den Verbrauchern zu

erhalten und zu stärken, da Marktneulinge ihnen die lange als selbstverständlich erachtete

Kundenbeziehung – die so wichtige direkte Kundenschnittstelle – streitig machen. In Zeiten

von Suchmaschinen, Marktplätzen und Bewertungsportalen „gehört“ der Kunde dem

traditionellen Handel schon lange nicht mehr. Zu dieser Gruppe an Marktteilnehmern gesellen

sich reine Onlinehändler, Hersteller mit einem direkten Vertriebskanal oder Finanzdienstleister

(„E-Wallets“). Sie alle versuchen selbst, eine direkte Beziehung zu ihren Kunden aufzubauen.

Wenn die Einzelhändler nicht reagieren, nimmt die Loyalität der Konsumenten zu ihrem

Unternehmen aufgrund einer fehlenden direkten Interaktion über die Zeit ab.

Bei der hier diskutierten neuen Generation von Kundenbindungsprogrammen handelt es

sich damit nicht um eine weitere, vorübergehende Modeerscheinung. Sie ist vielmehr ein

entscheidender Faktor für das Überleben und die erfolgreiche Zukunft von Einzelhändlern.

2. DIE KUNDENERWARTUNGEN VERÄNDERN SICH

Kunden erwarten nicht nur attraktivere Prämien, sondern auch eine andere Form der

Beziehung mit den Unternehmen, mit denen sie interagieren wollen. Damit verändert

sich die Rolle der Kundenbindungsprogramme: An die Stelle eines transaktionsbasierten

Tauschverhältnisses zwischen Händler und Verbraucher tritt eine dauerhafte kundenzentrierte

Beziehung (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 1: Die Wirtschaftlichkeit eines typischen Kundenbindungsprogramms

Die Zahlungsströme bei einem Kundenbindungsprogramm eines Einzelhändlers mit einem Jahresumsatz von 10 Mrd. US$. Die Kunden erhalten 1% ihres Einkaufswerts in Form von Punkten.

WACHSTUM DES ABSATZES AUFGRUND DES PROGRAMMS IN PROZENT

ANTEIL DER NICHT-VERWENDETEN PUNKTE IN PROZENT

0,5

1,0

1,5

2,0

2,5

3,0

-60 Mio. US$

-51 Mio. US$

-42 Mio. US$

-32 Mio. US$

-23 Mio. US$

-53 Mio. US$ -46 Mio. US$ -39 Mio. US$ -33 Mio. US$ -25 Mio. US$

-44 Mio. US$ -37 Mio. US$ -30 Mio. US$ -23 Mio. US$ -15 Mio. US$

-34 Mio. US$ -27 Mio. US$ -20 Mio. US$ -13 Mio. US$ -6 Mio. US$

-25 Mio. US$ -18 Mio. US$ -10 Mio. US$ -3 Mio. US$ 4 Mio. US$

-15 Mio. US$ -8 Mio. US$ -1 Mio. US$ 7 Mio. US$ 14 Mio. US$

-6 Mio. US$ 2 Mio. US$ 23 Mio. US$16 Mio. US$9 Mio. US$

0 10 20 30 40 50

Das wahrscheinlichste Ergebnis ist ein Verlustvon 27 bis 60 Mio. US$

-13 Mio. US$

Quelle: Oliver Wyman-Analyse

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Der Design- und Markenspezialist Lippincott, eine Schwesterfirma von Oliver Wyman, hat

diese Trends eingehend in der Studie „Welcome to the Human Era: The new model for building

trusted connections, and what brands need to do about it” untersucht, die wir Ihnen auf Wunsch

gerne zusenden.

Viele Unternehmen beschäftigen sich bereits mit der Frage, wie sich ihre Kundenbindungs-

programme zum beiderseitigen Vorteil weiterentwickeln lassen. Zu den wichtigsten Trends zählen:

• Eine wachsende Zahl exklusiver Aktionen: Punkte treten in den Hintergrund.

• Nicht-monetäre Prämien und Gesten gewinnen an Bedeutung: Der kostenlose Kaffee beim britischen Lebensmittelhändler Waitrose zählt ebenso dazu wie die Kinderbetreuung und der Frozen Yoghurt bei IKEA.

• Mit Charity-Prämien und -Punkten können Verbraucher bei jedem Einkauf wohltätige Organisationen unterstützen. Beispiele sind das „Community Rewards“-Programm der US-Supermarktkette Kroger sowie das „Animal Charity Scheme“ des britischen Händlers Pets at Home.

• Ein verbessertes Einkaufserlebnis dank zusätzlicher Services: Die App der US-Kaufhauskette Neiman Marcus umfasst beispielsweise neben dem Shop auch einen Blog sowie eine Übersicht über Events und ein Tool zur Verwaltung des Punktekontos.

• Weitgefächerte Lifestyle-Anwendungen: Das Walgreens-Steps-Programm vergibt beispielsweise Punkte bei einer gesunden Lebensführung.

In all diesen Beispielen gestatten Kunden den Händlern den Zugriff auf ihre Daten nicht, weil sie

dafür Prämien erhalten, sondern weil sie in anderer Weise belohnt oder unterstützt werden.

Der Erfolg solcher Ansätze kann sich über die Zeit verstärken: Die Kunden erlauben so lange

eine detaillierte Nutzung ihrer Daten und eine genaue Analyse ihrer Verhaltensweisen, wie

sie im Gegenzug nützliche Produkte und Services erhalten. Der Einzelhändler profitiert

unmittelbar von einer höheren Kundenloyalität dank vermehrter Wahrnehmung seiner

Marke und einer wachsenden Zahl von Kontakten. Über die Zeit hinweg lässt sich die höhere

Loyalität weiter monetarisieren, da sich aus der vertieften Beziehung zum Kunden zusätzliche

Geschäftschancen ergeben. Interessanterweise gehören viele traditionelle Einzelhändler in

ihrem Heimatmarkt zu den Marken, denen Verbraucher am meisten vertrauen. Sie haben daher

wesentlich mehr Chancen als viele andere Unternehmen, beispielsweise Finanzdienstleister oder

Internetkonzerne, aus eigener Kraft die Kundenbindung zu vertiefen.

Abbildung 2: Charakteristika traditioneller und moderner Kundenbindungsprogramme

DIE ALTE PRÄMIENWELT DIE NEUE BEZIEHUNGSWELT

Grundlage Starre Einteilung in Kundengruppen Individuelle Beziehung und Zugehörigkeitsgefühl

Prämienberechnung Transparente Kriterien ohne Ausnahmen oder individuelle Spielräume

Kriterien bieten Ermessensspielraum und erlauben Überraschungen

Betrachtungszeitraum Gegenwart und Zukunft Einbeziehung der Vergangenheit

Kommunikationsmittel Punkte, Kontoauszüge, Allgemeine Geschäftsbedingungen

Symbole und Gesten der Zugehörigkeit (ohne zu übertreiben)

Identifizierung Plastikkarte Kanal- und plattformübergreifende Medien

Kundennutzen Wirtschaftlicher Mehrwert Weit mehr als Prämien (z. B. Zugehörigkeit)

Geisteshaltung Anspruchsdenken Wertschätzung

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STRATEGIEN

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3. NEUE TECHNOLOGIEN ERÖFFNEN NEUE MÖGLICHKEITEN

Der technische Fortschritt verändert die Möglichkeiten rund um das Thema Kundenbindung mit

hoher Geschwindigkeit. Traditionell besaßen Kunden in der Regel eine Plastikkarte, die an der Kasse

gescannt wurde, um Prämien in Form von Coupons oder besonderen Angeboten per Post oder

E-Mail zu erhalten. In jüngster Zeit haben Smartphones und andere neue Technologien ganz neue

Möglichkeiten geschaffen. Die Verbraucher sind nun ständig online. Die Online- und Offlinewelten

wachsen zusammen, wobei Kunden eine nahtlose, kanalübergreifende Integration erwarten.

In der Folge gibt es nun häufiger gezielte Angebote zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt oder für

einen begrenzten Zeitraum. Der Schuhhändler Meat Pack integrierte in Guatemala beispielsweise

eine GPS-Funktion in seine App und wusste daher, wann Nutzer Filialen der Konkurrenz

betraten. Zu bestimmten Zeiten löste dies im Rahmen der sogenannten „Hijack“-Kampagne eine

Rabattaktion aus. Der Rabatt begann bei 99 Prozent und sank Sekunde für Sekunde, bis der Kunde

eine Meat Pack-Filiale betrat. Der nachfolgende Kauf wurde samt Rabatt automatisch bei Facebook

geteilt – der virale Effekt war garantiert.

Neue Technologien führen auch zu einem verstärkten Austausch zwischen Verbrauchern

und Händlern. Soziale Netzwerke sind mittlerweile ein zentrales Medium für Beschwerden.

Kunden erwarten hierbei, dass Unternehmen ihr Problem über den gleichen Kanal auch

lösen. Zudem steuern die Konsumenten zunehmend Art und Umfang ihrer Interaktionen mit

Kundenbindungsprogrammen. Sie entscheiden selbst, ob sie ihre Facebook-Daten teilen wollen,

um einen Rabatt zu erhalten oder an einem Wettbewerb teilzunehmen.

Onlinedienste erobern darüber hinaus auch den stationären Handel. So erleichtern Apps

Verbrauchern, sich in einem Laden zu orientieren und bestimmte Produkte zu finden. Smartphones

können auch beim Self-Scanning zum Einsatz kommen oder den Bezahlvorgang beschleunigen.

Der Einsatz dieser neuen Technologien wird durch immer intelligentere Analysemethoden der

rasant wachsenden Datenbestände untermauert. Die IT-Abteilungen im Handel müssen hierfür

ebenso Kapazitäten aufbauen wie für die schnelle, iterative Entwicklung von Apps.

TEIL 2 | WAS ÜBER DEN ERFOLG DER NEUEN PROGRAMME ENTSCHEIDET

Natürlich ist es viel einfacher, ein einzigartiges, unverwechselbares und effektives Kunden-

bindungsprogramm zu beschreiben als zu betreiben. Aber es kann gelingen. Ein gutes Beispiel

ist das „Balance Rewards“-Programm der US-Drogerie- und Apothekenkette Walgreens.

Hier dreht sich alles um vom Einkauf unabhängige Prämien und die Generierung eines

Mehrwerts für Verbraucher und Unternehmen. Abbildung 3 fasst zusammen, wie solch ein

Kundenbindungsprogramm funktioniert.

Derzeit verändern einige Einzelhändler ihre Kundenbindungsprogramme recht erfolgreich,

andere dagegen nicht. Auch wenn sich kein Fall mit dem anderen vergleichen lässt, gibt es zwei

Themen, bei denen sich die Vorreiter von den Nachzüglern unterscheiden:

• Ein zukunftsoffener Technologieansatz erlaubt es Einzelhändlern, das Gesamtsystem ihres Kundenbindungsprogramms zu steuern, ohne notwendigerweise sämtliche Komponenten selbst betreiben zu müssen.

• Eine Start-up-Mentalität (und oft auch eine entsprechende Organisationsstruktur) ermöglicht langfristige Investitionen in das Programm.

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1. EIN ZUKUNFTSOFFENER TECHNOLOGIEANSATZ

Die ersten, im Betrieb sehr inflexiblen Kundenbindungsprogramme basierten vor 20 Jahren auf

kostspieligen Inhouse-Systemen und -Technologien. Die einzige Alternative bestand damals in

einer Zusammenarbeit mit Drittanbietern wie Aimia in Kanada oder Payback in Deutschland.

Doch damit gaben die Einzelhändler einen Großteil der Kontrolle über ihre Programme und

Daten auf.

Heute ist Flexibilität das Gebot der Stunde. Die Kosten für den technischen Betrieb eines

Kundenbindungsprogramms sind erheblich niedriger, und es gibt eine Fülle von spezialisierten

Anbietern für jeden Bestandteil des Gesamtsystems. Einzelhändler verfügen daher über

zahlreiche Möglichkeiten für den Aufbau ihres Programms – entweder intern, mit Outsourcing-

Partnern oder eine Mischung von beiden, wobei jeder Partner einen anderen Aspekt abdeckt.

Abbildung 3: Kundenbindungsprogramme aus Kundensicht

KUNDENSICHT

WIE SICH DIESE KUNDENBEDÜRFNISSEERFÜLLEN LASSEN

… personalisierte Prämien

… Prämien, wo und wann immer eine Interaktion stattfindet

… eine einfache Möglichkeit, den Status zu überprüfen und Prämien einzulösen

… Angebote, wenn ich gerade einkaufe

… Austausch mit dem Unternehmen

• Ersatz von herkömmlichen Plastikkarten durch Apps

• Information der Kunden über Produktneuheiten

• Versendung von Coupons und anderen Prämien direkt an mobile Endgeräte

• Adaption neuer Technologien (Telefone, Tablets, Brillen, Uhren etc.)

• Angebot einer Auswahl für den Kunden passender Prämien

• Big-Data-Analysen verschiedener Datenquellen ermöglichen es, Prämien auf Basis des tatsächlichen Kundenverhaltens und seines Lebenszyklus bereitzustellen; der Fokus liegt auf Cross-Selling und der Vertiefung der Kundenbeziehung

• Kanalübergreifende Kundenbindung dank entsprechender Einblicke in das Kundenverhalten und eines Programms, das sich über alle Kanäle (Filialen, Marken und Onlineshops) erstreckt

• Prämienmanagement aus einer Hand; dazu dient unter anderem die Bündelung sämtlicher Meilen, Punkte oder Prämien in einer App oder einer Website

… die Kontrolle über meine Interaktionen und Daten

ICH WILL ...

• Belohnung von Kunden, die mehr Informationen über sich selbst teilen, z. B. im Zusammenhang mit Interaktionen in sozialen Medien

• Angebote basierend auf Ortungsdiensten („Geolocation“) und Kundenaktivitäten bzw. dem jeweiligen Mikrosegment

• Stärker personalisierte Angebote für Kunden, die ihre Vorlieben und Abneigungen teilen

• Einführung einer nutzerfreundlichen Plattform, um Kontaktinformationen, Präferenzen etc. leicht einrichten und verwalten zu können

… Prämien auch unabhängig von Einkäufen

… mobile Interaktion

Mio. US$

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STRATEGIEN

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EINZELHÄNDLER MÜSSEN DAS GESAMTSYSTEM UND NICHT JEDE KOMPONENTE KONTROLLIEREN

Nach Überzeugung von Oliver Wyman ist dem Interesse von Einzelhändlern am besten

gedient, wenn sie selbst das Gesamtsystem steuern, anstatt ihr Kundenbindungsprogramm

an einen Partner auszulagern. Zugleich können sie mit einer ganzen Reihe von Spezialisten

zusammenarbeiten, die über besonders wirkungsvolle oder differenzierende Instrumente

verfügen. In Anlehnung an das Beispiel Apple und den Ansatz „Designed in California“ behalten

Einzelhändler so die Kontrolle über ihr Kundenbindungsprogramm, ohne intern für jeden

Bestandteil Kapazitäten vorhalten zu müssen.

PROGRAMME SOLLTEN ZUKUNFTSOFFEN, NICHT ZUKUNFTSSICHER SEIN

Da sich Kundenerwartungen und Technologien mit enormer Geschwindigkeit verändern, ist der

Gedanke attraktiv, das gesamte Kundenbindungsprogramm zukunftssicher zu gestalten und für

jede denkbare Entwicklung vorab eine Lösung zu erarbeiten. Doch es ist wenig wahrscheinlich,

dass sich so unbekannte Herausforderungen und Möglichkeiten wirklich adressieren lassen. Es

ist daher erheblich besser, ein flexibles, zukunftsoffenes System aufzubauen, das die Integration

neuer Komponenten in eine modulare Architektur ermöglicht. Nur dadurch kann beispielsweise

dem immer dynamischeren Mediennutzungsverhalten der Konsumenten, vor allem im Hinblick

auf die sozialen Medien, Rechnung getragen werden.

HERAUSRAGENDE LEISTUNGEN IN DER DATENANALYSE UND ITERATIVEN ENTWICKLUNG SIND NOTWENDIG

Eine langfristige Differenzierung im Wettbewerb beruht künftig auf einer besseren Analyse

von Kundendaten und in der Folge auf innovativeren Produkten und Services sowie einer

verbesserten Entscheidungsfindung im Kerngeschäft. Damit verbunden ist die Notwendigkeit,

schnell und kontinuierlich weitere Serviceleistungen und Apps entwickeln zu können. Kunden

erwarten hier ständige Verbesserungen.

2. EINE START-UP-MENTALITÄT

Der Aufbau eines effektiven Kundenbindungsprogramms und der entsprechenden IT erfordert

Investitionen. Die meisten Einzelhändler kontrollieren solche Ausgaben sehr genau und fordern

eine Rechtfertigung über einen entsprechenden Business Case.

Dieser Ansatz kann beim Thema Kundenbindung hinderlich sein, wie das folgende Beispiel

verdeutlicht: Angenommen, die Entwicklung und Markteinführung einer App mit Rezepten

und Einkaufsvorschlägen kostet fünf Millionen US-Dollar. Obwohl eine solche App die Loyalität

der Kunden aller Wahrscheinlichkeit nach über die Zeit vertieft, lassen sich ihre direkten

Auswirkungen auf den Absatz wohl nur grob quantifizieren. Unterstützer für die anfängliche

Investition sind so nur schwer zu gewinnen.

Wenn man sich die Mentalität eines Start-ups zu eigen macht, ändert sich der Blick auf

das Kosten-Nutzen-Verhältnis. Ein greifbarer Nutzen entsteht, wenn beispielsweise jedem

Verbraucher, der die App herunterlädt, ein Wert von 50 US-Dollar beigemessen wird. In diesem

Fall sind 100.000 Downloads notwendig, um die Entwicklungskosten der App abzudecken

(eine geringe Zahl verglichen mit den Millionen von Kunden großer Supermarktketten). Der

entsprechende Business Case sähe wesentlich attraktiver aus.

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Nach Auffassung von Oliver Wyman sollten Einzelhändler vermehrt wie ein Start-up über

neue Methoden der Kundenbindung nachdenken und entsprechende KPIs entwickeln. Damit

lassen sich die notwendigen Investitionen für den Erfolg ihres Kundenbindungsprogramms

tätigen – und rechtfertigen.

FAZIT

Die Vorreiter in Sachen Kundenbindungsprogramme bewegen sich weg von transaktionsbasierten

und hin zu variantenreicheren, flexiblen Modellen, die den Kunden erheblich stärker einbinden

(vgl. Abbildung 4). Im Zentrum dieses Wandels steht der verstärkte Einsatz neuer Technologien.

Einzelhandelsunternehmen müssen sicherstellen, dass ihre Systeme die Einbindung und

Unterstützung von technischen Innovationen erlauben, die eine neue Generation von

Kundenbindungsprogrammen ausmachen. Sie benötigen zudem neue Kennzahlen, um die Erträge

ihrer Programme einschätzen und langfristige Investitionen begründen zu können.

Erfolgreiche Einzelhändler vertiefen und stärken mit einer neuen Generation von Programmen die

Kundenbindung. Ihre Initiativen können zugleich der Abwehr von neuen Wettbewerbern dienen,

die sich zwischen Händler und Kunden zu drängen versuchen.

Abbildung 4: Die Zukunft der Kundenbindung unterscheidet sich grundlegend von herkömmlichen Ansätzen

VOR 15–20 JAHREN HEUTE IN ZUKUNFT

Was die Programme Kunden bieten

• Punkte honorieren Preisgabe von Daten

• Prämien in Form von Vouchers

• Punkte

• Punkte sowie maßgeschneiderte Prämien und Angebote (z. B. ein kostenloser Kaffee für Karteninhaber beim Besuch einer Waitrose-Filiale)

• Größere Bandbreite von Möglichkeiten, Kundentreue zu honorieren

• Stärker auf die persönlichen Bedürfnisse zugeschnittene Inhalte

Welche Ziele die Unternehmen verfolgen

• Einblicke in das Kundenverhalten aus der Distanz

• Gewinn und Segmentierung von Daten

• Möglichkeit, gelegentlich etwas versenden zu können

• Gewinn eines tief greifenden Verständnisses des Verhaltens und der Einstellungen von Kunden

• Aufbau einer 1:1-Beziehung

• Regelmäßiger Dialog

• Individuellerer Zuschnitt

• Regelmäßigerer Kontakt

• Größerer unmittelbarer Nutzen für den einzelnen Kunden

Welche Unternehmen Programme einsetzen

• Nur wenige bzw. die größten Einzelhändler

• Viele Einzelhändler jeder Größenordnung und Branche

• Nahezu jeder Einzelhändler

Wie die Interaktion funktioniert

• Präsentation der Karte an der Kasse

• Versand von Kontoauszügen auf Papier

• Vielfältige Möglichkeiten zu interagieren und Daten zu sammeln

• Zunehmender Onlineanteil (z. B. E-Mail-Updates)

• An jedem Ort, zu jeder Zeit, über jede Plattform

Wie das Gesamtsystem aufgebaut ist

• Entwicklung und Aufbau vorwiegend im Unternehmen

• Auslagerung an Dritte, die alle Leistungen aus einer Hand anbieten

• Etablierte Anbieter von Kunden-bindungsprogrammen

• Vielzahl spezialisierter Anbieter einzelner Komponenten

• Niedrigere Kosten für Entwicklung und Markteinführung

• Einzelhändler steuern System unter Einbindung von Spezialisten

• Flexible, sich ständig verändernde Architektur

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STRATEGIEN

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Der diesjährige Retail Leadership Circle von Oliver Wyman in Hamburg nahm Customer Relationship Management (CRM) als das bestimmende Thema der nächsten Jahre in den Fokus. Unter dem Titel „The Imperative of Loyalty: Leveraging Cross-Channel CRM in Retail” diskutierten 30 Führungskräfte aus dem Handel die Herausforderungen von Kundenbindungsprogrammen. Mit Impulsvorträgen beleuchteten die Experten die unterschiedlichen Blickwinkel der gegenwärtigen Entwicklungen und drängenden Fragen wie die Rolle der sozialen Medien, die Vorstöße durch Konsumgüterhersteller sowie die Argumentation für oder gegen offene Loyalitätsprogramme.

Insbesondere drei zentrale Hypothesen wurden erörtert:

1. Heutige Loyalitätsprogramme sind teuer und erfüllen nicht (mehr) den gewünschten Zweck.

2. Bereits heute findet ein zunehmend starker Wettbewerb um die Kundenschnittstelle statt. Ein leistungsstarker CRM-Ansatz ist eines der zentralen Instrumente für Händler in diesem Wettbewerb.

3. Eine sich sehr dynamisch entwickelnde Mediennutzung stellt eine weitere Herausforderung für jedes CRM-System dar. Flexibilität in mehreren Dimensionen muss frühzeitig berücksichtigt werden.

LOYALITÄTSPROGRAMME AUF DEM PRÜFSTAND

Durch die immer komplexeren Kundenerlebnisse sowohl bei der Informationssuche als auch beim Kaufprozess werden ein tiefes Verständnis und eine zielgerichtete Ansprache über die „richtigen“ Kanäle erfolgskritisch. Zudem wird der direkte Kundenzugang mehr und mehr zum Wettbewerbsschauplatz zahlreicher Marktteilnehmer. In einem Umfeld, in dem Suchmaschinen, Preisvergleichsportale, Marktplätze, soziale Medien und zunehmend auch die Hersteller um den direkten Kundenzugang konkurrieren, laufen Händler ohne ein gut funktionierendes CRM-System Gefahr, in immer mehr

EINBLICK

RETAIL LEADERSHIP CIRCLE

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Abhängigkeiten zu geraten. Das Wettbewerbsniveau steigt infolge einer immer größer werdenden Anzahl vergleichbarer Loyalitätsprogramme, wodurch die besondere Attraktivität des jeweiligen Programms sinkt. Nur die individuellen, leistungsfähigen Programme können aus der Masse an Angeboten herausstechen.

Trotz der hohen Relevanz von CRM ist das Leistungsgefälle im deutschen Handel enorm. Zahlreiche Händler besitzen entweder kein Kundenbindungsprogramm oder nutzen vorhandene Daten nur unzureichend. Die effektive Nutzung von Kundendaten kann oft zu signifikanten und profitablen Mehrumsätzen führen. CRM ist ein sehr effektives Tool, um die Marktdurchdringung zu maximieren, die Kundenbindung sicherzustellen, sich gegen neue Marktteilnehmer zu schützen und Sortimente zu lokalisieren.

Der weitaus größte Anteil der deutschen Händler unterhält eine Art von Kartenprogramm, das oft recht einfach als „Earn-Burn“-Mechanismus aufgesetzt ist. Dabei können die Kunden in der Regel Punkte sammeln, die einem indirekten Discount von zumeist ein bis drei Prozent entsprechen. Häufig ist in diesem Prozess jedoch nicht vorgesehen, dass auch eine Interaktion mit dem Konsumenten stattfindet. Dies hat zur Folge, dass Einzelhandelsunternehmen zwar das Einkaufsverhalten ihrer Kunden kennen, nicht aber den Konsumenten dahinter – eine individuelle, kundenspezifische Ansprache findet in den seltensten Fällen statt. Auch differenzierte Optionen, um Punkte zu sammeln oder einzulösen, wie es beispielsweise in Hotels möglich ist, werden kaum angeboten. Angloamerikanische Händler wie Walgreens oder Asos gehen hier bereits den nächsten Schritt. So wird beispielsweise das Mitteilen persönlicher Leistungsdaten oder – im Fall von Asos – das Teilen von persönlichen Looks über soziale Medien inzentiviert.

Vor diesem Hintergrund zeigt sich, dass trotz eines fortgeschrittenen Multikanalverhaltens vieler Kunden die Händler hierzulande nur vereinzelt in der Lage sind, Konsumenten individuell zu erfassen. Nicht selten existieren mehrere, unabhängig voneinander operierende Enterprise-Resource-Planning-(ERP-)Systeme, die beispielsweise nach unterschiedlichen Kanälen getrennt werden. An dieser Stelle treten immer häufiger die Hersteller selbst als Wettbewerber zu den Händlern in Erscheinung – und damit in Interaktion mit dem Endkunden. Inspirierende Einsichten bot hierzu der Vertreter eines Sportartikelherstellers, der über die detaillierte Nutzung von Daten zu den Laufwegen von Wearables berichtete. Der Reichtum an Daten aus sozialen Medien, Transaktionen oder der Nutzung digitaler Produkte wird von führenden Herstellern zunehmend aktiv genutzt. Die daraus resultierenden Einsichten ermöglichen eine spezifische, individuelle Ansprache der Konsumenten.

Zuletzt wurde das immer dynamischer werdende Medienverhalten der Konsumenten erörtert, das eine zunehmende Herausforderung darstellt. Der Konsument verfolgt bereits heute ein aktives Multikanalverhalten entlang des Einkaufsprozesses. Nicht selten werden erste Kaufrecherchen am heimischen Computer oder Tablet gestartet und auf dem Weg zur Arbeit mit dem Mobiltelefon fortgeführt. Der letztendliche Einkauf kann im stationären Handel oder über zahlreiche weitere Wege erfolgen. Vor allem die Nutzung sozialer Medien stellt Herausforderungen an die Wahl des richtigen strukturellen Aufbaus eines CRM-Programms. Wichtig ist dabei, die Programme mit der notwendigen Flexibilität auszustatten, um dynamische Entwicklungen abbilden zu können.

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Händler sind zum Wachstum verdammt. Steigende Fixkosten bei einem

besonders in Deutschland konstant hohen Preis- und Margendruck

müssen kompensiert werden. Daher setzen Lebensmittelhändler bis

zur absoluten Marktsättigung konsequent auf Flächenexpansion – bis

die zusätzliche Fläche schließlich nur noch weit unterdurchschnittliche

Erträge abwirft und ökonomisch nicht mehr sinnvoll ist. Der

Wachstumsdruck allerdings bleibt. Wie aber sieht die Lösung aus?

Fest steht: Erfolgreiche Vollsortimenter werden den Discountern

noch stärker Paroli bieten müssen, indem sie das Niveau ihrer

Frischeabteilungen weiter anheben und ihren Kunden an einzelnen

Standorten das „lokal perfekte Sortiment” anbieten.

Nach dem Lebenszyklusmodell befinden wir uns gerade im

Übergang von der Wachstums- zur Reifephase. Während das eher

makroökonomische Modell einen fließenden Übergang zwischen den

Phasen beschreibt, ist die Veränderung für Handelsunternehmen

in der Realität dramatisch. Plötzlich sind völlig neue Ansätze und

Mitarbeiterfähigkeiten gefragt, um auf gleicher Fläche weiter zu

wachsen. Standort für Standort und Quadratmeter für Quadratmeter

müssen effizienter bewirtschaftet und besser „ausgeschöpft” werden.

Diese Weiterentwicklung birgt viele Herausforderungen für Einkauf,

Category Management, Vertrieb und IT. Müssen Umsatzsteigerungen

auf der gleichen Fläche realisiert werden, ist der natürliche Reflex ein

„Trading-up”. Zum einen sollen Bestandskunden zu höherpreisigen

Käufen animiert, zum anderen Neukunden von höherwertig

positionierten Händlern abgeworben werden.

DIE EVOLUTION DES SUPERMARKTSDAS LEBENSZYKLUSMODELL IM HANDEL

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STRATEGIEN

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MEHR FRISCHE, MEHR QUALITÄT

Beispiele sind die aktuelle Strategie von Aldi mit Markenlistungen sowie die deutliche

Aufwertung des Frischeangebots und die Qualitätskampagne bei Lidl. Haben die Harddiscounter

diese „neue DNA” angenommen, werden sie ihre Flächenproduktivität wieder steigern und dem

in Deutschland zuletzt starken Vollsortiment perspektivisch Marktanteile abnehmen. Doch wie

lässt sich gegensteuern? Vollsortimenter können sich auf einen wesentlichen Wettbewerbsvorteil

gegenüber Discountern besinnen: die Beherrschung von Komplexität. Während die Discounter

mit nationalen Standardmodellen maximale Skaleneffekte realisieren, haben die Vollsortimenter

schon immer eine stärkere Differenzierung gepflegt – über unabhängige Kaufleute ebenso

wie über eine ausgeklügelte Steuerung des eigenen Filialnetzes. So haben sie in den letzten

Jahren Sortimente zunehmend regional differenziert, indem sie Sortimentsmodule eingeführt,

Regionalfenster geschaffen und Filialcluster gebildet haben.

LÄNDLICH, STÄDTISCH, ERFOLGREICH

Gerade die Bildung von Filialclustern, etwa „ländlich”, „vorstädtisch” und „städtisch”, sowie die

entsprechend differenzierte Sortimentsgestaltung hat vielen Händlern bereits erste Erfolge

gebracht. Zugleich war die daraus resultierende Komplexität gerade noch mit den gängigen

Category-Management-Tools und Prozessen beherrschbar. Doch der schöne Schein trügt. Die

Lebensmittelnachfrage ist lokal erheblich komplizierter als angenommen. In der Projektarbeit

von Oliver Wyman zeigt sich immer wieder, wie sehr sich das Abverkaufsranking nach Marken

und Artikeln auf Filialebene unterscheidet.

Solche Unterschiede in der lokalen Nachfrage können je nach Warengruppe etwa von einem

größeren Kundenanteil an Senioren oder Familien getrieben sein. Oder sie entstehen durch eine

benachbarte Schule, das Fehlen eines Bäckers in unmittelbarer Nähe oder eine Bushaltestelle

direkt vor der Tür. Lokale Nachfragemuster bieten eine erhebliche Umsatzchance. lnsbesondere

Filialen mit weniger als 1.500 Quadratmetern Verkaufsfläche können mit einer intelligenten,

datenbasierten, filialindividuellen Sortimentsgestaltung ein Umsatzwachstum von bis zu zehn

Prozent realisieren – und zwar bei gleicher Fläche! Bei diesem Potenzial ist es nach Überzeugung

von Oliver Wyman nur eine Frage der Zeit, bis Voll sortimenter diesen Weg gehen. Auch für

die Großfläche bietet ein lokal differenziertes Vorgehen große Chancen. Hier können die

Flächenanteile der einzelnen Warengruppen noch besser austariert werden, um den Kunden

genau in den Warengruppen eine große Auswahl anbieten zu können, mit denen sie den Markt

zur Einkaufs destination machen.

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Eine lokale Sortimentsgestaltung ist aber nicht mit lokalen Artikeln

aus der Region zu verwechseln. Diese übernehmen häufig eher eine

Marketingrolle und sind ein Zugeständnis an das Filialteam vor Ort, als

dass sich ihre Listung über entsprechende Drehzahlen rechtfertigt. Die

lokale Sortimentsgestaltung bezieht sich vielmehr auf eine individuelle

Teilmenge des national gelisteten Sortiments, von Grundnahrungs -

mitteln über Drogerie- und Tierbedarf bis hin zu einer individuellen

Auswahl an Frische artikeln. Dabei wird die Zentrale in Zeiten von Big

Data zunehmend bessere Erkenntnisse über die lokale Nachfrage

haben als der Kaufmann vor Ort. Er überblickt die Vielfalt und Dynamik

des verfügbaren Sortiments häufig nicht mehr und reagiert stärker

auf einzelne Kundenwünsche als auf rentable Nachfragemuster. Um

dies zu erreichen, müssen Händler neue Kompetenzen aufbauen.

Während die Logistik in der Regel bereits auf eine sehr feine

Differenzierung ausgelegt ist – solange das national gelistete Sortiment

nicht umfangreicher wird –, ist das Category Management heute

noch weit davon entfernt. Von der Sortimentsdefinition über die

Layouterstellung bis hin zu den Ein- und Auslistungsprozessen sind

die meisten Händler noch nicht wirklich fit für eine deutlich feinere

Differenzierung. Aber genau dies wird mittelfristig ein Faktor sein, der

die Marktanteilsgewinner von den Verlierern unterscheidet.

Abbildung 1: Die Evolution eines Einzelhändlers

LEBENSZYKLUSPHASE 2

Expansion

LEBENSZYKLUSPHASE 3

Reife

LEBENSZYKLUSPHASE 4

Neuerfindung

LEBENSZYKLUSPHASE 1

Konzeption und Innovation

Schnelle Expansion führt zum Aufbau von Kapazitäten

Verbesserte Umsetzung und Kundenleistung

stärken die Produktivität

Neue Kanäle und Formate erhöhen

die Kapazität

Fläche („Kapazität“)

Umsatz pro Quadratmeter („Produktivität“)

Produktivität steigt durch die Einführung des

Erfolgskonzepts

Quelle: Oliver Wyman

„Erfolgreiche Vollsortimenter

werden den Discountern

noch stärker Paroli

bieten müssen, indem

sie das Niveau ihrer

Frischeabteilungen weiter

anheben und ihren Kunden

an einzelnen Standorten

das ‚lokal perfekte

Sortiment’ anbieten.”

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STRATEGIEN

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HERAUS-FORDERUNGEN IN RUSSLAND UND CHINA

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STRATEGIEN

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RUSSLAND: LEH AM SCHEIDEWEG

Russland war in den letzten Jahren ein Wachstumsmotor für lokale und westliche

Lebensmitteleinzelhändler. Doch die Zeiten der grenzenlosen Expansion rund um die Metropolen

Moskau und St. Petersburg sind vorbei. Ging es in der Vergangenheit darum, ein erfolgreiches

Format zu finden und damit möglichst schnell zu expandieren, wird nun der Kampf um

Wachstum auf bestehender Fläche in den Vordergrund rücken.

Zugleich mischt die Wirtschaftskrise die Karten neu. Bei einem realen Einkommensverlust von

über zehn Prozent im Jahr 2015 orientieren sich russische Konsumenten um: Der Preis spielt

plötzlich eine viel stärkere Rolle. Diese Zeit der Unsicherheit nutzen lokale Händler geschickt, um

sich gegen die Konkurrenz und inflationär bedingte Preiserhöhungen zu positionieren – durch

verstärkte Aktionsaktivitäten, mehr Angebot im Preiseinstieg und eine stärkere Rolle

der Eigenmarken.

Grundlage für diese Initiativen sind operative Effizienz in den Märkten, der Logistik und Zentrale

sowie neue Fähigkeiten im Einkauf. Hier besteht viel Nachholbedarf und Zeitdruck, um die Basis

für ein attraktiveres Angebot zu legen und eine bessere Preispositionierung zu finanzieren.

Mit der russischen Customer Perception Map von Oliver Wyman lässt sich diese Entwicklung

im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) genau verfolgen. Haben die Konsumenten 2014 noch

einen geringen Differenzierungsgrad zurückgespielt, sind bei der nächsten Befragung bereits

deutliche Tendenzen hin zu klaren Gewinnern und Verlierern zu erwarten. Die Chancen für

westliche und lokale Händler sind groß. Aber die Weichen für künftigen Erfolg müssen bereits

heute gestellt werden.

Abbildung 1: Die Customer Perception Map (CPM) für Russland

Discounter

Supermärkte

RUSSISCHER LEBENSMITTELEINZELHANDEL 2014, 2.000 BEFRAGTE KONSUMENTEN

Großflächen

Auchan

Lenta

Atak

Nash

Karusel

Okey

Magnolia

Magnit

SPAR

Perekrestok

Metro Cash&Carry

Azbuka Vkusa

Dixy

Pyaterochka

Narodnaya Semia

Victoria

Billa

Monetka

7th Continent

Schwach

Stark

StarkSchwach

AN

GEB

OT

PREIS-LEISTUNGS-VERHÄLTNIS

Quelle: Oliver Wyman-Analyse

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CHINA: DIE GROSSE VERLANGSAMUNG

Über Jahrzehnte hinweg galt China als Garant für zweistelliges Wachstum. Insbesondere im

letzten Jahr hat sich diese Dynamik drastisch verändert. Während multinationale Händler

mit Fokus auf stationärem Geschäft in den bekannten Metropolen teilweise sogar like-for-like

Umsatzeinbußen hinnehmen müssen, wachsen ihre nationalen Wettbewerber vor allem dank

des Onlinegeschäfts und des Booms in den weniger bekannten Städten. Für die multinationalen

Player gilt es daher, sich auf eine neue Realität einzustellen.

China ist nicht mehr das Land des grenzenlosen Wachstums. Wer dies akzeptiert, das

Marktwachstum in seinem Segment versteht und entsprechend korrekt für die Zukunft

plant, stellt sein Geschäft auf ein stabiles Fundament. Diejenigen, die sich mit Fokus auf den

stationären Handel in den großen Metropolen positionieren, werden analog zum Markt nicht

mehr wachsen und relativ verlieren. Der Schwerpunkt vieler Multis aufseiten der internationalen

Händler und Hersteller ist nach wie vor der stationäre Handel. Dieser wird auch weiterhin der

größte Vertriebskanal bleiben. Andererseits sind Onlinekanäle in China schon heute wesentlich

bedeutsamer als in Westeuropa und müssen über dediziertes Personal mit GuV-Verantwortung

konsequent adressiert werden. Ein zu starker Fokus auf Filialen und Einkaufszentren verkennt

diese Realität und lenkt von dem dramatisch an Bedeutung gewinnenden Onlinegeschäft ab.

Weniger bekannte Städte sind als Quelle des Wachstums in China attraktiver denn je. Wer

wachsen möchte, sollte den Zugang zu diesen Konsumenten sicherstellen. Das Potenzial

unterscheidet sich je nach Unternehmen stark. Der richtige Ansatz sollte daher mit Bedacht

gewählt werden. Selbstverständlich für alle Anbieter ist eine Bedienung dieser Städte über

Onlinekanäle. Sofern es das Geschäftsmodell hergibt, sollten Unternehmen zudem eine

fundierte stationäre Strategie entwickeln, die das Beste aus dieser Gelegenheit macht.

Abbildung 2: Händler mit deutlich reduzierten Wachstumsperspektiven

Marktdurchschnitt 2012

Inflation

Reale Verlangsamungdes Wachstums

Marktdurchschnitt 2014

Überdurchschnittliche Präsenzin bekannten Metropolen

UnterdurchschnittlichePräsenz online

Wachstum für Unternehmen, dieauf das Rezept der Vorjahre setzen

Weitere Verlangsamungdes Markts 2015

Wachstumsperspektive 2015 ff. ~5%

1–2%

~7%

2–3%

2–3%

~12%

1–2%

~1%

~14%

~2% Rückgang desMarktwachstums in China

~5% Rückgang wegenstarker Präsenz offlineund in bekannten Metropolen

~2% zusätzlicherRückgang im Folgejahr

UMSATZWACHSTUM UND URSACHEN FÜR WACHSTUMSRÜCKGANG

Anmerkung: Beispielunternehmen mit Umsatzsplit online zu offline von 5% zu 95% und Tier-1-und-2-Städte zu anderen Städten von 80% zu 20%

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STRATEGIEN

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ABLAUF- OPTIMIERUNG AM POINT OF SALEÜBERWINDUNG VON ABTEILUNGSGRENZEN UND REDUZIERUNG VON KOMPLEXITÄT

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Einzelhandelsunternehmen in allen Branchen haben ihre Märkte mit

Optimierungsprogrammen bereits an ihre Leistungsgrenzen getrieben.

Was aber nach Überzeugung von Oliver Wyman viele von ihnen

nicht erkannt haben, ist die unterstützende Rolle, die die Zentrale bei

Effizienzsteigerungen am Point of Sale (POS) übernehmen kann. Eine

der Hauptaufgaben der Zentrale besteht darin, den Routinebetrieb

prinzipiell zu vereinfachen und zu beschleunigen. Das führt zu

höherer Effizienz in den Läden, einem besseren Kundenerlebnis und

zur Stärkung der Mitarbeitermoral. Dieser Artikel fokussiert den

Handlungsbedarf und zeigt Best Practices anhand von Fallstudien auf.

Angesichts des hohen Wettbewerbsdrucks durch Internetanbieter

und Discounter, der auf die eine oder andere Weise die meisten

Handelssektoren und Märkte betrifft, sind kosteneffiziente

Betriebsabläufe im Einzelhandel heute so wichtig wie nie zuvor.

Bei der Senkung ihrer Kosten betrachten Einzelhandelsunternehmen

häufig Einkauf, Category Management, Logistik und IT getrennt

voneinander. Die Zentrale kürzt zudem die Personalbudgets für die

Märkte in der Hoffnung, dass die Marktleiter Lösungen vor Ort finden,

um ihre Vorgaben weiterhin zu erfüllen. Die Folge ist häufig nicht

nur ein schlechterer Kundenservice, sondern auch ein gestresstes

und demotiviertes Personal. Oder es wird eine aufgabenspezifische

Arbeitseinteilung und Budgetierung eingeführt, die den Unterschieden

in den Märkten und der Belegschaft oft nicht gerecht wird.

Nach Überzeugung von Oliver Wyman gibt es einen besseren

Weg, um Einsparungen zu erzielen: durch das Überwinden von

Abteilungsgrenzen sowie einen Ansatz zur Aufgabenvereinfachung

und Kostenreduktion, der die einzelne Filiale in den Fokus rückt. Kern

dieses Ansatzes ist, die Perspektive der Kunden und Mitarbeiter am

POS einzunehmen und zu hinterfragen, was die Zentrale und andere

Abteilungen tun können, um Vereinfachungen einzuführen und letztlich

Betriebskosten zu sparen. Erfahrungen zeigen: Ein Einzelhandels-

unternehmen mit einem Umsatz von 10 Milliarden Euro kann damit in

einem Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten 100 Millionen Euro durch

Effizienzsteigerungen realisieren. Ein weiterer Vorteil dieses Konzepts

ist, dass damit oft auch das Kundenerlebnis und die Mitarbeitermoral

verbessert werden.

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KOSTENEINSPARUNGEN AN DEN BEDÜRFNISSEN DER MÄRKTE AUSRICHTEN

Bei der Planung und Umsetzung von Kosteneinsparungen, bei denen der einzelne Markt im

Mittelpunkt steht, müssen die Abteilungen in der Zentrale die Perspektive der Märkte einnehmen

und analysieren, was den Kunden und Mitarbeitern Probleme bereitet, um diese auf direktem

Weg auszuräumen.

Im ersten Schritt geht es in der Regel darum, einen genauen Überblick über die tatsächliche

Verteilung der Arbeitszeiten in den Läden zu gewinnen (vgl. Abbildung 1). Dabei ist Transparenz

unter Umständen schwierig herzustellen. Ausgangspunkt ist deshalb eine genaue Beobachtung

der Abläufe vor Ort und die direkte Auseinandersetzung mit den Herausforderungen

im Laden. Dieser Prozess sollte auch die Entwicklung grundlegender Hypothesen zu

Verbesserungspotenzialen einschließen. Mögliche Fragen sind:

• Was sind die ärgerlichsten Zeitfresser?

• Wie viele Stunden sind für bestimmte Prozesse in einer Abteilung vorgesehen?

• Welche weiteren Optimierungsmaßnahmen sind durchführbar?

Abbildung 1: Mitarbeitertätigkeiten nach Abteilungen

Kasse

Lebensmittel

Service undTheken

Verwaltungund

Ladenpflege

Handlingvon Standardware

Waren-annahme

Bestellungen

Regalpflege

Handlingvon Aktionsware

In-Store-Produktion

Check-outund Kundenservice

97%

25%

96%

5%

85% 96%

8%

86%

84%

18%

16%

100%

25%

14%

6%

15%

5%

36%

51%

13%

8%

Quelle: Oliver Wyman-Analyse

37

OPERATIONS

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Abbildung 2: Störfaktoren beim Einkaufserlebnis vermeiden

STÖRFAKTOR ERKLÄRUNG LÖSUNG

Weite Laufwege für Mitarbeiter Die Wege, die die Mitarbeiter in den Läden beispielsweise beim Auffüllen oder Anbringen neuer Preisschilder am Regal zurücklegen müssen, sind oft unnötig lang.

Kürzen Sie die Wege für die Regalbefüllung, indem die Ware im Lager entsprechend ihrer Position im Layout der Filiale kommissioniert wird. Räumen Sie den Läden Flexibilität ein, um spezifische Laufwege für verschiedene Aufgaben wie die Aktualisierung von Preisauszeichnungen zu schaffen. Siehe Fallstudie 1.

Wartezeiten an den Kassen Der Check-out-Prozess ist ineffizient aufgrund von Systemfehlern oder Produkten mit Barcodes, die Probleme beim Einscannen verursachen. Zudem müssen häufig Systemvorgänge (z. B. Storno) von der Filialleitung genehmigt werden. Das führt zu Wartezeiten und unzufriedenen Kunden.

Kontrollieren Sie die Qualität und Platzierung von Barcodes und prüfen Sie die Kassen auf Effizienz: Vorschriften, technische Infrastruktur und Qualifikation der Kassierer. Siehe Fallstudie 2.

Unzureichende Regalverfügbarkeit Regallücken werden häufig dadurch verursacht, dass die automatischen beziehungsweise halbautomatischen Bestellsysteme zu komplex und die Bestelltools für die Mitarbeiter keine wirkliche Hilfe sind. Dadurch kann es vorkommen, dass der Verkauf nicht ausreichend mit Nachschub versorgt wird.

Ermitteln Sie die häufigsten Ursachen für Out-of-Stocks und prüfen Sie die Prognosesysteme und Bestandstools auf Schwächen. Passen Sie nach Möglichkeit die Systemparameter an und vereinfachen Sie die Tools. Siehe Fallstudie 3.

Komplexe Sonderaktionen Die Durchführung wöchentlicher Sonderaktionen ist oft eine Hauptursache für Komplexität. Aktionsware wird häufig Wochen im Voraus bestellt und die Prognosesysteme (wenn sie überhaupt für Sonderaktionen auf Ladenebene vorhanden sind) sind alles andere als perfekt.

Erstellen Sie Vorhersagen für Sonderaktionen mithilfe anspruchsvoller Algorithmen zentral, um den einzelnen Läden exakte Prognosen für Aktionsware zu liefern.

Redundantes Berichtswesen Berichte und KPIs sind nicht aussagekräftig, unübersichtlich und werden selten oder gar nicht genutzt, um Verbesserungen voranzutreiben. Häufig sind sie auch redundant.

Sorgen Sie für eine einfache, bereichsübergreifende Perspektive Ihrer Berichtsstruktur. Siehe Fallstudie 4.

Mangelhafte Logistik Die Lieferung erfolgt nicht im angekündigten Zeitraum oder es fehlen Artikel. Häufig ist auch die Verpackung in den Containern mangelhaft.

Führen Sie strenge Servicevereinbarungen ein, die den Läden mehr Planungssicherheit und höhere Lieferstandards bieten. Damit erhöhen sich zwar unter Umständen die Kosten in der Lieferkette, doch die Einsparungen im Laden gleichen das mehr als aus.

Manuelle Arbeitsplanung Filialleiter greifen beim Personaleinsatz auf Grobplanungen zurück. Arbeitsplanungstools sind häufig nicht nutzerfreundlich oder zu praxisfern.

Erfassen Sie Best Practices aus den Läden und entwickeln Sie ein praktisches, nutzerfreundliches Arbeitsplanungstool, das die individuellen Anforderungen der Läden und die Erfordernisse aufgabenbezogener Arbeitsmodelle berücksichtigt.

Schulungsprogramme verfehlen ihren Zweck

In Schulungsprogrammen für Ladenmitarbeiter sind viele Einheiten für Theorie und Richtlinien vorgesehen. Praxistraining und die Vermittlung von Best Practices sowie Tipps und Tricks kommen dabei zu kurz.

Binden Sie das Ladenpersonal in die Gestaltung der Schulungsprogramme ein. Am besten findet die Schulung direkt im Laden statt und basiert auf realen Beispielen und Best Practices. Sorgen Sie dafür, dass die Personalabteilung und zentralen Vertriebsbereiche regelmäßig mit den Läden zusammenarbeiten, um aktuelle Best Practices und Tipps und Tricks einzubringen.

38

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Abbildung 2 zeigt einige Beispiele für typische Schwierigkeiten und Lösungen, die dieser Prozess

häufig zutage bringt.

Entscheidend ist ein detaillierter und systematischer Prozess zur Identifizierung, Priorisierung,

Entwicklung und Umsetzung von Potenzialen (vgl. Abbildung 3).

In der Regel sind die Ergebnisse innerhalb von sechs bis zwölf Monaten nach Einführung dieses

Prozesses sichtbar und messbar. Typische Erfolge sind:

• 10 bis 20 Prozent weniger Arbeitszeit aufgrund höherer Mitarbeitereffizienz und weniger Zeitverschwendung in den Läden

• Höhere Regalverfügbarkeit und Umsatzsteigerungen von bis zu fünf Prozent

• Verbessertes Kundenerlebnis

• Geringere Gesamtkosten entlang der Lieferkette

• Stärkere Einbindung der Mitarbeiter in das Unternehmen und höhere Zufriedenheit

FAZIT

Nach Überzeugung von Oliver Wyman können Einzelhandelsunternehmen erhebliche

Kosteneinsparungen realisieren, wenn sie die Effizienzhindernisse in den Läden identifizieren

und beseitigen, die auf zentraler Ebene oder durch einen Mangel an abteilungsübergreifender

Zusammenarbeit geschaffen werden. Diese Vorgehensweise kann innerhalb von sechs bis

zwölf Monaten beeindruckende Ergebnisse liefern. 10 bis 20 Prozent der Arbeitszeit des

Ladenpersonals lassen sich damit einsparen beziehungsweise für andere Tätigkeiten wie die

Verbesserung des Kundenservice nutzen. Die Regalverfügbarkeit kann um bis zu fünf Prozent

gesteigert, die Höhe der Umsatzausfälle deutlich reduziert werden. Wenn ein Händler zudem ein

offenes Ohr für Ladenpersonal und Kunden hat und Stressfaktoren für Mitarbeiter beseitigt, folgt

daraus auch eine spürbare Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit. Im Laufe der Zeit werden

dadurch weitere Verbesserungen im Unternehmen vorangetrieben.

Abbildung 3: Fünf Schritte zur Effizienzsteigerung in den Läden

Ermitteln Sie den Status quo und erfassen beziehungsweise prüfen Sie eine umfassende Liste von Verbesserungsvorschlägen für die Läden.

Messen Sie den Erfolg jeder Verbesserungsinitiative.

Priorisieren Sie die Liste mit Blick auf ein Gesamtoptimum. Nehmen Sie beispielsweise eine sorgfältige Gewichtung von Problemen vor, die höhere Kosten in bestimmten Abteilungen verursachen, aber geringere Kosten für das Gesamtunternehmen bedeuten.

Institutionalisieren Sie die team- und bereichsübergreifende Zusammenarbeit.

Beginnen Sie mit der Implementierung der Verbesserungen und führen Sie Kontrollen ein: Etablieren Sie KPIs und klare Zuständigkeiten.

1

2

3

4

5

39

OPERATIONS

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ZEIT UND ARBEITSAUFWAND FÜR DIE REGALPFLEGE REDUZIEREN

DIE HERAUSFORDERUNG

Ein Einzelhandelsunternehmen analysierte die Zeit und die Entfernung zwischen den Regalen, die bei

jeder Anlieferung der Ware im Markt aufgefüllt werden mussten. Es stellte fest, dass die Mitarbeiter bis zu

25 Prozent ihrer Zeit mit Auffüllarbeiten verbrachten.

DIE LÖSUNG

Das Logistikteam und die Filialleiter erarbeiteten gemeinsam die beste Möglichkeit zur Optimierung des

Kommissionieraufwands im Lager und der Laufwege, die bei der Regalauffüllung im Markt zurückgelegt

werden mussten (vgl. Abbildung 4). Das Unternehmen restrukturierte seine Lager, indem die Ware einem

typischen Ladenplan entsprechend platziert wurde. Dazu definierte es Warengruppen, die sich in den

Läden nebeneinander befanden, und sorgte dafür, dass diese im selben Kommissionierbereich im Lager

positioniert wurden.

DER ERFOLG

Unter anderem wurde dadurch erreicht, dass die Wege, die das Personal bei der Regalbefüllung

zurücklegen musste, um 20 Prozent verkürzt wurden. Zudem konnte der Zeitaufwand für

Befüllungsarbeiten um knapp zehn Prozent pro Woche und Laden reduziert werden. Die laufende Erfassung

von Warengruppen sorgte dafür, dass Neulistungen und saisonale Sortimentsänderungen problemlos

berücksichtigt werden konnten.

Abbildung 4: Reduzierung der Laufwege beim Auffüllen der Regale

ENTFERNUNG FÜR DIE BEFÜLLUNG

20% KÜRZERE LAUFWEGE10% WENIGER ZEIT FÜR REGALBEFÜLLUNG

VORHER NACHHER

Quelle: Oliver Wyman-Analyse

40

FALLSTUDIE 1

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WARTEZEITEN AN DEN KASSEN REDUZIEREN

DIE HERAUSFORDERUNG

Die meisten Einzelhändler haben Check-out-Systeme mit Sicherheitsvorkehrungen zur Bekämpfung von

Missbrauch und Diebstahl. Diese Systeme erfordern unter Umständen häufige Genehmigungen durch die

Marktleitung, was die Wartezeiten an den Kassen für die Kunden zusätzlich verlängert.

DIE LÖSUNG

Nach Empfehlung von Oliver Wyman wurden alle Check-out-Aktivitäten, bei denen eine Genehmigung

des Marktleiters erforderlich ist, aufgelistet und ihre Häufigkeit sowie der dafür erforderliche Zeitaufwand

erfasst. Die Kassenrichtlinien der Zentrale wurden daraufhin aktualisiert, wobei nur die wirklich

notwendigen beibehalten wurden. Einige genehmigungspflichtige Warnungen entfielen damit vollkommen

und die Richtlinien der Zentrale in Bezug auf die Mindestbestände an Wechselgeld in jeder Kasse

wurden revidiert.

DER ERFOLG

Wie Abbildung 5 verdeutlicht, konnten mit der Anpassung dieser Richtlinien 90 Prozent weniger Rufe des

Filialleiters zur Kasse erreicht werden, während gleichzeitig das Risiko von Missbrauch niedrig gehalten

wurde. Bei diesem Einzelhandelsunternehmen entsprach das fünf bis zehn Stunden der Marktleiter- und

Kassiererzeit pro Woche und vor allem entsprechend kürzeren Wartezeiten für die Kunden.

Abbildung 5: Änderungen der zentralen Regelungen reduzieren Ineffizienzen beim Check-out

15–20Rufe pro

Tag/Laden

1–2Rufe pro

Tag/Laden

Vor der Maßnahme Nach der Maßnahme

-90%

Quelle: Oliver Wyman-Analyse

OPERATIONS

41

FALLSTUDIE 2

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REGALLÜCKEN VERRINGERN

DIE HERAUSFORDERUNG

Hohe Produktverfügbarkeit ist ein Schlüsselfaktor für Kundenzufriedenheit und verhindert Umsatzausfälle

(vgl. Abbildung 6). Für Regallücken gibt es viele verschiedene Gründe. Das Beispiel eines Einzelhändlers

zeigt, dass circa 60 Prozent der Out-of-Stocks in den Läden selbst verursacht wurden (beispielsweise durch

Probleme beim Auffüllen, beim manuellen Bestellmanagement oder bei der Regalpflege), während etwa

40 Prozent aller Regallücken auf Prozesse in der Zentrale zurückzuführen waren (vgl. Abbildung 7).

DIE LÖSUNG

Die Zentrale modifizierte die Systeme zur Prognose des Warenbedarfs, optimierte die Lieferhäufigkeit

und stellte bessere Tools für die Bestandsverwaltung bereit. In Ergänzung zu den Verbesserungen wurden

In-Store-Schulungen durchgeführt, bei denen alle Mitarbeiter mit Einfluss auf die Produktverfügbarkeit die

kritischsten Szenarien durchspielen konnten und neue Tipps und Tricks zur Vermeidung von Out-of-Stocks

vermittelt bekamen.

DER ERFOLG

Die Regalverfügbarkeit stieg um mehrere Prozentpunkte, insbesondere in kritischen Zeiten wie vor

gesetzlichen Feiertagen oder Großereignissen. Dank der Verbesserungen an den automatischen

Prognosesystemen waren weniger manuelle Eingriffe erforderlich. Insgesamt wurde der Prozess für die

Bestands- und Regalauffüllung verschlankt.

Abbildung 6: Wie Kunden auf Out-of-Stocks reagieren

Gänzlicher Verzicht

Kauf bei Konkurrenz

Ersatz (teurer)

Ersatz (gleicher Preis)

Ersatz (günstiger)

Beim nächsten Einkauf

ANTEIL AM GESAMTWERT

32%

32%

12%

5%

12%

7%

Entgangener Umsatz= 44%

Quelle: Oliver Wyman-Analyse

Abbildung 7: Warum sind Waren nicht vorrätig?

FEHLER IM LADEN 60%

FEHLER IM LAGER 15%

FEHLER INDER ZENTRALE

15%

FEHLER DESLIEFERANTEN

10%

Quelle: Oliver Wyman-Analyse

42

FALLSTUDIE 3

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BESSERE ENTSCHEIDUNGEN DURCH NUTZUNG VON DATEN

DIE HERAUSFORDERUNG

Die meisten Einzelhandelsunternehmen können große Datenmengen nutzen, um viele verschiedene

Auswertungen zu generieren. Oft aber können sie nicht die richtigen Schlüsse daraus ziehen. In vielen

Fällen befinden sich KPIs und Auswertungen innerhalb von Silos. Erfahrungen zeigen, dass beispielsweise in

Berichten zweier Abteilungen der gleiche KPI ausgewiesen werden sollte, sich dann aber herausstellte, dass

jeder Indikator auf einer anderen Berechnungsgrundlage ermittelt wurde. In isolierten Auswertungen bleibt

die Wirkung von Entscheidungen auf andere Abteilungen unberücksichtigt, zum Beispiel Entscheidungen

des Vertriebs, die sich auf die Logistik auswirken. Ein Unternehmen kann so keine bereichsübergreifenden

Verbesserungen vorantreiben. Bei einem Einzelhandelsunternehmen (vgl. Abbildung 8) änderte etwa das

Category Management die Ladenplanogramme, ohne den Aufwand für die Reorganisation aller Regale in

den Märkten zu berücksichtigen.

DIE LÖSUNG

Wir prüften ein radikal neues Verbesserungskonzept: die Abschaffung aller bestehenden Auswertungen

und einen kompletten Neuanfang. Ziel war die Vereinfachung und Harmonisierung der Berichte. In

Bezug auf die Planogrammänderungen führten wir einen KPI ein, der den Category Managern in der

Zentrale die wahren Kosten von Category-Veränderungen im Laden vor Augen führte. Bei der Hälfte aller

Planogrammänderungen wurden 50 Prozent der Artikel neu positioniert, wobei aber nur knapp 10 Prozent

neue Produkte enthalten waren.

DER ERFOLG

Das Ergebnis war ein großer Schritt in Richtung einer erhöhten Transparenz der Entscheidungsprozesse.

Den Category Managern half der KPI bei der Änderung ihrer Vorgehensweisen. Nur noch wenige

Neulistungen beziehungsweise Auslistungen verursachten umfangreiche Regalplatzwechsel von

Artikeln, und alle Modifikationen, die erforderlich waren, wurden zusammengefasst, um ineffiziente

Reorganisationen in den Läden zu minimieren.

Abbildung 8: Identifizierung ineffizienter Category-Modifikationen, die in einem Dreimonatszeitraum vorgenommen wurden

15

10

5

25

20

ANTEIL VON ARTIKELN, DIE IHRE POSITION WECHSELTENIN PROZENT

0

30

ANTEIL NEUER ARTIKELIN PROZENT

10080 90706050403020

Quelle: Oliver Wyman-Analyse Hinweis: Jeder Punkt = 1 Planogrammänderung

OPERATIONS

43

FALLSTUDIE 4

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Nachhaltigkeit und Lebensmittelverschwendung sind heutzutage allgegenwärtig in politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Diskussionen. Speziell im Handel sind diese Diskussionen sehr real, da für Händler Lebensmittelabfälle neben einem negativen gesellschaftlichen Effekt auch direkte Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit haben. Tatsächlich entsteht der größte Anteil an Verlusten jedoch nicht beim Händler oder in der Supply Chain, sondern direkt beim Konsumenten. Dennoch hat der Händler auf dem Weg „vom Feld auf die Gabel“ eine Schlüsselposition, um Lebensmittelverschwendung entlang der Wertschöpfungskette nachhaltig zu reduzieren und dabei auch die eigene Wirtschaftlichkeit zu verbessern. Mehr Informationen dazu bietet der Point of View „Schluss mit der Lebensmittelverschwendung“, den wir Ihnen auf Wunsche gerne zusenden.

Händler stehen dabei oftmals vor der Herausforderung, den Zielkonflikt zwischen möglichst niedrigen Abschriften und guter Regalverfügbarkeit zu meistern. Ein zu starker Fokus auf eine der Dimensionen kann schnell zu einer gefährlichen Abwärtsspirale führen: Entweder drohen Einbußen durch hohe Abschriften oder es kommt zu Umsatzverlusten durch Lücken und unattraktive Optik am POS. Die gute Nachricht ist, dass auf der anderen Seite sorgfältig geplante Programme mit den richtigen Maßnahmen beide Dimensionen gleichzeitig verbessern können.

Die am 20. Oktober 2015 von der ECR Europe Shrinkage & On‑shelf Availability Group veranstaltete Konferenz zum Thema „Sell More, Waste Less“ in London adressierte genau diese Herausforderungen. Führende europäische Einzelhändler und Lebensmittelproduzenten tauschten sich im Rahmen von Vorträgen, Round‑Table‑Diskussionen und Workshops über Fallstudien und Erfolgsbeispiele aus. Stefan Winter, Partner und Handelsexperte bei Oliver Wyman, stellte dabei internationale Best Practices zur Eindämmung von Lebensmittelverschwendung vor und sprach unter anderem über die wachsende Bedeutung einer stärkeren Zusammenarbeit zwischen Händlern und Produzenten.

EINBLICK

ECR-KOOPERATION ZU „SELL MORE, WASTE LESS“

The ECR Europe Shrinkage & On-shelf Availability Group

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Die Frische insgesamt und die Abschriften sind zusammen die wahrscheinlich am wenigsten beachteten und ausgereizten Hebel im Lebensmittelhandel. Bei gemeinsamer Optimierung von Frische und Abschriften können auf einer Umsatzbasis von 10 Milliarden Euro bis zu 60 Millionen Euro Zusatzertrag generiert werden – bei gleichzeitig steigenden Umsätzen und einer verbesserten Marktpositionierung.

Ein weiterer wesentlicher Bestandteil der Konferenz war zudem die Vorstellung der neuesten Ergebnisse der Forschungsgruppe Retail Operations der Technischen Universität Eindhoven. Auf Basis realer Abverkaufs- und Abschriftdaten führender europäischer Händler konnte im Rahmen dieser Studie erstmalig ein aussagekräftiger Ansatz für das optimale Zusammenspiel zwischen Abschriften und Verfügbarkeit hergeleitet werden. Auf Basis dieser Erkenntnisse können Händler eine Einordnung ihres eigenen Verfügbarkeits- und Verlustniveaus vornehmen und entlang eines Maßnahmenkatalogs erste Ansatzpunkte definieren.

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DIE NEUE IT IM EINZELHANDELWIE SICH DIE IT VON HEUTE AUF DIE WELT IN DREI JAHREN EINSTELLEN MUSS

46

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Innovationen aus der IT-Abteilung werden künftig einen wesentlichen Beitrag zum Erfolg jedes

Einzelhändlers leisten. Bei einigen Unternehmen hat die Zukunft bereits begonnen. Mithilfe

der IT können sie sich mit der gleichen Geschwindigkeit wie ihre Onlinekunden bewegen.

Damit verändert sich auch die Rolle der IT: Sie übernimmt eine geschäftstreibende statt eine

unterstützende Funktion. Wann ein CIO seine Abteilung als Innovationsmotor positionieren

kann, hängt weitgehend von der Nachfrage nach digital gestützten Einkaufserlebnissen ab.

Mittlerweile ist der Wandel im Verbraucherverhalten weit fortgeschritten. Die Frage lautet dann

nicht mehr wann, sondern wie sich ein Unternehmen neu aufstellen muss. Davon sind auch

CIOs im Einzelhandel überzeugt. Viele sind aber nach wie vor unsicher, wie sie den Übergang

gestalten sollen, ohne das operative Geschäft oder ihre Organisation zu gefährden.

Das Aufkommen digitaler Unternehmen hat die Rolle der IT grundsätzlich verändert. In den

meisten Fällen unterstützt die IT dort nicht mehr den Betrieb, sondern gestaltet ihn und ist

das Herzstück des Geschäftsmodells von Einzelhändlern wie Amazon oder Instacart sowie von

Onlineanbietern wie Uber oder Airbnb.

47

OPERATIONS

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Die folgende Checkliste zeigt die vier wichtigsten Ziele für CIOs im Einzelhandel, um den

anstehenden Transformationsprozess zum Erfolg zu führen. Dieser Artikel erläutert, wie diese

Ziele erreicht werden können.

DIE VIER WICHTIGSTEN ZIELE FÜR DEN CIO

Werte schaffen statt

Aufträge abarbeiten

Das Betriebsmodell

der Zukunft festlegen

Eine neue Generation

von „Technologie-

Fünfkämpfern“

heranziehen

Sich auf den Ziel- und

nicht auf den Ist-

Zustand fokussieren

1. WERTE SCHAFFEN STATT AUFTRÄGE ABARBEITEN

CHECKLISTE FÜR DEN CIO

Identifizieren Sie mögliche geschäftstreibende Aufgaben der IT und befreien Sie die

Abteilung aus ihrer bisher ausführenden Funktion

Zeigen Sie Möglichkeiten auf, um den Unternehmenswert zu steigern. Die IT kann:

neue Kunden gewinnen

das operative Geschäft effizienter betreiben

Innovationen voranbringen

NEUE KUNDEN GEWINNEN

In digitalen Unternehmen konzentrieren sich spezielle Teams von IT-Experten darauf, zusätzliche

Angebote für Kunden zu erarbeiten. Regelmäßig entwickeln sie neue Produkte wie Apps für eine

gesunde Ernährung oder Portale für personalisierte Produktentwürfe. Genauso wichtig ist ihre

fortlaufende Suche nach neuen Möglichkeiten der Informationsnutzung, um das Kundenerlebnis

einfacher, ansprechender und über alle Kanäle hinweg konsistenter zu machen.

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Längst gehen nicht mehr nur Start-ups im Silicon Valley so vor. Auch in Supermärkten

sind „Augmented Reality“-Apps mittlerweile weit verbreitet. Sie liefern Konsumenten

zusätzliche Informationen über Produkte sowie Aktionen und lassen sich für Teilnehmer von

Kundenbindungsprogrammen leicht personalisieren. In jüngster Zeit haben auch Non-Food-

Anbieter wie Shiseido, De Beers, Topshop, American Apparel und IKEA neue Möglichkeiten für

den digitalen Zugriff auf ihre Produkte geschaffen und das Einkaufserlebnis zugleich vereinfacht

und erweitert.

So wie Amazon sämtliche Informationen über das Suchverhalten der Nutzer für Up- und Cross-

Selling nutzt, können auch stationäre Einzelhändler Konsumenten an der Ladentür identifizieren,

auf Kundendaten zu Vorlieben und digitalen Warenkörben zugreifen und so personalisierte

Angebote erzeugen.

Vorreiter in Sachen moderner IT im Einzelhandel können solche kundennahen Entwicklungen

zügig in einen iterativen Prozess bis hin zu einer brauchbaren Betaversion bringen. Ein solches

Vorgehen widerspricht allerdings in vielerlei Hinsicht der gewohnten Arbeitsweise traditioneller

IT-Abteilungen. Zudem muss die IT-Landschaft flexibel genug sein, um die kontinuierlichen

Neuentwicklungen auch integrieren zu können. Wer beispielsweise SAP HANA für CRM- und

Business-Intelligence-Anwendungen nutzt, kann eine bislang unbekannte Datenmenge in

kürzester Zeit verarbeiten und damit weitere IT-Anwendungen speisen, die diese Informationen

nutzen. Das Schlagwort lautet „Realtime-Retail“.

DAS OPERATIVE GESCHÄFT EFFIZIENTER BETREIBEN

Etablierte Einzelhändler sollten von digitalen Wettbewerbern lernen, wie sich das eigene

Angebot gestalten und ein ansprechendes sowie zuverlässiges Multikanaleinkaufserlebnis

schaffen lässt. Doch mit dem Einsatz moderner Technologie können diese Unternehmen

noch erheblich mehr erreichen. Jede noch so kleine Effizienzsteigerung ist wertvoll, wenn

man bedenkt, dass die meisten Handelszweige durch niedrige Margen und große Filialnetze

charakterisiert sind. Die IT kann Einzelhändler gleich auf dreifache Weise unterstützen: durch

einen höheren Automatisierungsgrad, verfeinerte Algorithmen und eine verstärkte Nutzung

von Business-Intelligence-Lösungen.

HÖHERER AUTOMATISIERUNGSGRAD

Die IT kann die Selbstbedienung von Kunden fördern sowie wiederkehrende Aufgaben

automatisieren und so die Personalkosten im Handel deutlich senken. Obwohl bereits positive

Beispiele in Filialen existieren – im klassischen Verkauf ebenso wie bei digitalen Werbedisplays

und automatisierten Kassensystemen –, gibt es noch Potenzial.

Durch eine Automatisierung individueller Serviceleistungen wie Rückerstattungen oder der

Hilfe bei der Orientierung in den Läden lassen sich ganze Elemente des Einkaufsprozesses neu

erfinden und damit die Effizienz steigern. So rationalisieren beispielsweise Einzelhändler den

Check-out-Prozess durch den Einsatz von Self-Scanning- und POS-Systemen. In Zukunft ist auch

der Ersatz menschlicher Arbeitskräfte durch kostengünstigere Roboter bei der Regalauffüllung

denkbar. Schon heute experimentieren Anbieter wie Nespresso, Best Buy und The Body Shop mit

der Automatisierung ganzer Filialen.

49

OPERATIONS

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ABBILDUNG 1

WIE DIE IT DAS AKTIONSPROGRAMM EINES UNTERNEHMENS VERBESSERTE UND EINEN MEHRWERT IN MILLIONENHÖHE SCHUF

HINTERGRUND

Ein Einzelhändler drohte in eineKrise zu geraten, da seine Preise25 Prozent über dem Niveau der Onlinekonkurrenz lagen.

Ein Aktionsprogramm war nötig,um eine nachhaltige Finanzierung für Preissenkungen zu erreichen.

ROLLE DER IT

Unter Einsatz agiler Technologien entwickelte Oliver Wyman eine nutzerfreundliche Anwendung,die sämtliche Informationen füreine verbesserte Entscheidungsfindung über Aktionen und wettbewerbsfähige Preise anschaulich zusammenfasste.

Mit der Anwendung gelang es, Branchenwissen und eigene Analyseergebnisse sowie darauf basierende Modelle in bestehende Geschäftsprozesse zu integrieren.

ERFOLG

• Qualitativ hochwertige, analytisch basierte Entscheidungen

• Kontrolle und Ergebnisverantwortung bei den Einkäufern

• Zeitersparnis

• Lernfähiges System, das die Strategie mit Informationen versorgen konnte

• Durch IT generierte Liquidität

FoodNavigation ◄

Filter Promotions

Add Promotions

Reports

Create a New Promo ►

Saved Promos ►

Ad Planning Report ►

Perf. Management ►

Change Report ►

Economics Deep Dive ►

Summary Report ►

Financial Tracker ►

Pasta & Rice Pasta Sauce

Category | Pasta Sauce

All Suppliers

Today Week Period Quarter Year

In-Store

W37 FY14

4 Promos

Forecast

$120,168

Markdown

Sales

1.22 SE 0.14 ME

+3

543,075

2Y2G

W38 FY14

Sep 29 – Oct 5

4 Promos

Forecast

$134,904

Markdown

Sales

0.98 SE 0.04 ME

+4

547,507

2Y2G

W39 FY14

7 Promos

Forecast

$120,168

Markdown

Sales

1.07 SE

+5

543,075

5Y2G

-0.01 ME

Sep 22 – Sep 28 Oct 6 – Oct 12

3 3 4

50

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VERFEINERTE ALGORITHMEN

Einzelhändler nutzen bereits die enorme Menge an gesammelten Daten für

Effizienzverbesserungen in Echtzeit. Sie erarbeiten dazu Algorithmen, die detaillierte

Entscheidungen ohne Einschaltung eines Managers ermöglichen. Die folgenden Beispiele

verdeutlichen dies:

• Die Anzahl der Arbeitskräfte an den Kassen lässt sich automatisch über Infrarotsensoren steuern. Sie erfassen die Besucherzahl am Eingang eines Ladens.

• Aufforderungen zur Regalauffüllung lassen sich automatisch erzeugen, wenn die Verkaufszahlen einen niedrigen Warenbestand signalisieren.

Dessen ungeachtet bestehen weitere Optimierungsmöglichkeiten. Ein britischer Einzelhändler

berichtet beispielsweise für das Jahr 2014 über Einsparungen entlang der Lieferkette in Höhe

von 150 Millionen US-Dollar. Der Einsatz von Big Data ist auch bei anderen Themen wie der

wetterabhängigen Nachfrage oder der Prognose von Retouren interessant.

VERSTÄRKTE NUTZUNG VON BUSINESS-INTELLIGENCE-LÖSUNGEN

In vielerlei Hinsicht liegt das größte Potenzial der IT im Einsatz moderner Business-Intelligence-

Lösungen: Es geht um Managementinformationssysteme, die Führungskräften im Einkauf

und im Ladenbetrieb schnellere sowie bessere Entscheidungen ermöglichen. Jede Woche

fallen Hunderte wichtige Entscheidungen. Angesichts des bestehenden Zeitdrucks kann

es einen großen Unterschied machen, ob die Manager die richtigen Informationen per

Knopfdruck in einem nutzerfreundlichen, leicht zugänglichen Format abrufen können. Das

Beispiel in Abbildung 1 zeigt, wie der Einsatz moderner Business-Intelligence-Lösungen die

Entscheidungen im Einkauf verändern kann.

INNOVATIONEN VORANBRINGEN

Mit der wachsenden Bedeutung der IT für die Prozesse im Kerngeschäft und die Entwicklung des

Angebots verändert sich auch ihre Position im gesamten Unternehmen. Angesichts des rasanten

Wandels fällt ihr eine zentrale Rolle bei Innovationen, der Strategie und der Weiterentwicklung

des bestehenden Geschäfts zu. Dies zieht eine grundlegende Veränderung der bisherigen Rolle

vieler IT-Abteilungen im Einzelhandel nach sich. Sie konzentrierten sich in der Vergangenheit auf

einen reibungslosen Betrieb oder arbeiteten an einer schrittweisen Optimierung bestehender

technischer Prozesse, um diese zehn Prozent besser, schneller oder günstiger zu machen.

Mehr als alles andere beeinflussen die anstehenden Veränderungen die Rolle des CIO selbst. Es

kann daher Sinn machen, den Job in zwei Positionen aufzuteilen: einen Chief Technology Officer

und einen Chief Innovation Officer. Unabhängig davon sollten CIOs auf jeden Fall strategische

Partner für die Geschäftsführung und den CEO werden und ihnen die Vorteile digitaler Ansätze

näherbringen. Dazu bedarf es eines weitreichenden Verständnisses für die Dynamik des Markts,

die Wünsche der Verbraucher, die Wettbewerbslandschaft sowie Risiken und Chancen. Darüber

hinaus müssen CIOs in der Lage sein, Umbrüche vorab zu erkennen und die Organisation

entsprechend vorzubereiten sowie diese später sicher durch Turbulenzen zu steuern.

51

OPERATIONS

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Insgesamt dürfen sich die IT und der CIO nicht mehr länger als Enabler, als ausführendes Organ,

verstehen: Sie treiben nunmehr direkt das Geschäft. Auch wenn operative Effizienz und ein

reibungsloser Geschäftsbetrieb unverändert wichtig sind, sind sie isoliert betrachtet irrelevant. In

der neuen Welt des Multikanaleinzelhandels ist es für einen CIO genauso wichtig, Innovationen

und kreative Lösungen zu entwickeln, die in einen echten Wettbewerbsvorteil münden.

Der Wandel von einem ausführenden zu einem geschäftstreibenden Organ revolutioniert

den Arbeitsalltag vieler IT-Abteilungen. Glücklicherweise schafft die Evolution der IT-Branche

selbst neue Möglichkeiten der Bereitstellung von IT. Zusammengenommen führen beide

Entwicklungen dazu, dass die IT-Abteilungen im Handel künftig deutlich anders aussehen

werden als heute.

2. DAS BETRIEBSMODELL DER ZUKUNFT FESTLEGEN

CHECKLISTE FÜR DEN CIO

Definieren Sie den Weg hin zu einer kleineren, schlankeren und besseren IT-Abteilung:

Entwickeln Sie eine klare Vision für das künftige Betriebsmodell

Identifizieren Sie, welche Leistungen austauschbar sind und welche Technologien das

Geschäft künftig differenzieren werden

Erkennen Sie, welche Prozesse weiter intern betrieben werden sollten und was sich

outsourcen lässt

Analysieren Sie, wo die Intelligenz in der IT tatsächlich liegt

Investieren Sie, um die Konkurrenz bei differenzierenden Faktoren auszustechen, und

reduzieren Sie die Kosten für nicht-differenzierende Elemente um mindestens 20 Prozent

Entwickeln Sie im Team einen Plan für die notwendige Transformation, damit die IT ihre

langfristigen, geschäftstreibenden, strategischen Ziele auch wirklich erreichen kann

Im digitalen Zeitalter müssen Unternehmen die IT nicht mehr selbst bereitstellen und betreiben.

Sie können diese stattdessen als Dienstleistung einkaufen. Auch der Besitz von Servern ist

nicht mehr notwendig. Der Browser ist nun die universelle Schnittstelle. Daher entkoppeln

sich Infrastruktur und Anwendungen immer weiter. Mit einer einzigen Transaktion lassen sich

Entwicklungsumgebungen, entsprechende Backup- und Recovery-Lösungen, das Datenbank-

Setup und die webbasierte Programmierung in einer Cloud-Umgebung einkaufen. Produktions-

umgebungen können durch Platform-as-a-Service-(PaaS-) oder Hosting-Lösungen ersetzt

werden, und selbst die Softwareentwicklung lässt sich als Dienstleistung einkaufen. Die

Notwendigkeit, in nicht-differenzierenden Bereichen Experten zu rekrutieren und zu schulen,

sinkt daher.

Das Outsourcing von Routineanwendungen sowie nicht-strategischen und unterstützenden

Anwendungen in Bereichen wie Flächenmanagement, Warenauswahl, Kassensystemen und

Lieferservice an Serviceprovider ist nahezu immer möglich. Die meisten Anwendungen werden

über die Cloud verfügbar sein. Auch im Einzelhandel wird sich das Software-as-a-Service-(SaaS-)

Modell durchsetzen.

52

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Es ist bereits möglich, ganze Prozesse als Dienstleistungen einzukaufen – sei es „vom Einkauf

bis hin zur Bezahlung (procure-to-pay)“ oder „von der Einstellung bis hin zur Pensionierung

(hire-to-retire)“ – und dieser Markt dürfte in Zukunft weiter wachsen. Damit sind niedrigere

Aufwendungen verbunden, da die notwendigen Investitionen und operativen Kosten auf mehrere

Schultern verteilt sind und der Nutzungsgrad von Hard- und Software dank dynamischem

Kapazitätsmanagement steigt. Damit ist auch eine erheblich höhere, schon für sich genommen

erfolgsentscheidende Flexibilität verbunden. Nur durch den Einsatz von PaaS- und SaaS-Modellen

kann die IT die notwendige Flexibilität erreichen, um eine uneingeschränkte Mobilität und eine

durchgängige End-to-End-Konnektivität zu gewährleisten oder verschiedene Bausteine wie neue

Anwendungen für Kunden in die bestehende Infrastruktur zu integrieren, um so die Kapazität wie

erforderlich hochzuskalieren.

Dessen ungeachtet dürften sich Einzelhändler selbst in sogenannten nicht-strategischen Bereichen

entscheiden, die Schlüsselprozesse im erfolgskritischen „Intelligence-Layer“ weiterzubetreiben.

Dort befinden sich sämtliche Informationen, sich daraus ergebende Erkenntnisse und Steuerhebel.

Je stärker der Einkauf bei Dritten an die Stelle des eigenen Betriebs rückt, desto stärker entwickelt

sich die IT-Abteilung zu einem Spezifizierer und Beschaffer von IT-Services. Die Entwicklung

von Mechanismen zur Risiko-Nutzen-Teilung wird dadurch zu einem erfolgskritischen Faktor.

Selbst betreibt die IT danach nur noch strategisch wichtige, das Unternehmen differenzierende

Anwendungen.

Entwicklung, Betrieb und Wartung einiger dieser Anwendungen – beispielsweise

für das Kundenmanagement, Pricing, Aktionen und die Weiterentwicklung des

Abbildung 2: Die drei Entwicklungsstufen der IT im Einzelhandel

Support Support

BusinessIntelligence

Marketing

Betrieb

Einkauf

Planung

Intel. Layer

Intelligence Layer

Intelligence Layer

Intelligence Layer

Intelligence Layer

Business Intelligence

Marketing

Betrieb

Einkauf

Planung

SCHRITT 1TRADITIONELL

SCHRITT 3KÜNFTIGE AUFSTELLUNG

Support

BusinessIntelligence

Marketing

Betrieb

Intel. Layer

Einkauf

Planung

BusinessIntelligence

Marketing

Betrieb

Einkauf

Planung

SCHRITT 2ÜBERGANGSPHASE

STORE STORE STORE

Strategisch (eigener Betrieb dauerhaft ratsam)

Nicht-strategisch (eigener Betrieb für den Übergang ratsam)

Austauschbar (eigener Betrieb nicht unbedingt erforderlich)

53

OPERATIONS

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Leistungsspektrums – sollten sich Einzelhändler wie bislang vorbehalten. Das gilt vor allem

für die übergeordneten Prozesse. Unterstützende Teilprozesse beziehungsweise Tools für

Markttests, Sortimentsplanung oder Kundenanalysen lassen sich durchaus zukaufen. Damit sinkt

insgesamt der Anteil der Eigenentwicklungen im IT-Modell der Zukunft.

Die Herausforderung für CIOs liegt darin zu entscheiden, wo sie die knappen internen

Ressourcen bestmöglich differenzierend und geschäftstreibend einsetzen und was sich gefahrlos

und kostensparend outsourcen lässt. Sie müssen dazu vor allem die relative Bedeutung von

Innovationen, Kosten und Elastizitäten der verschiedenen Bereiche ihres Unternehmens kennen.

Abbildung 2 zeigt beispielhaft die Entwicklung bis hin zum gewünschten Endstadium.

In diesem Fall plante ein stationärer Einzelhändler binnen zwei bis drei Jahren zu einem

Omnichannelanbieter zu migrieren. Bislang hatte die interne IT-Abteilung proprietäre Systeme

zur Unterstützung sämtlicher Bereiche betrieben. Der CIO verstand aber die Notwendigkeit,

künftig zwischen strategischen Themen und solchen zu differenzieren, die sich outsourcen

lassen. Die internen Ressourcen konnten sich so auf die strategischen Themen konzentrieren.

Es bedurfte einiger Zeit und einer entsprechenden Lernkurve für die Entwicklung zukunftsfähiger

Prozesse und Systeme für die Onlinewelt. Doch nach und nach gelang mithilfe eines

Portfolioansatzes der Aufbau eines kanalübergreifenden Systems, das viele Standardelemente

nutzte und zugleich differenzierende und proprietäre Intelligence-Layer enthielt.

3. EINE NEUE GENERATION VON „TECHNOLOGIE-FÜNFKÄMPFERN“ FÖRDERN

CHECKLISTE FÜR DEN CIO

Verstehen Sie, was in der neuen IT-Welt nicht länger gebraucht wird

Stellen Sie sicher, dass das IT-Team über mehrere unterschiedliche Fähigkeiten verfügt, um sich

in der neuen Welt auszuzeichnen:

Bereitstellung von Architektur und Technologie

Know-how über Abläufe im operativen Geschäft

Kaufmännisches Gespür

Management von Partnern

Strategisches Denken

Der Portfolioansatz bei der IT-Strategie verändert die Arbeit der IT-Abteilung. Einige Aufgaben

verschwinden, während andere an Bedeutung gewinnen. Im Ergebnis wandeln sich Umfang

und Zusammensetzung der IT-Abteilung. In der Vergangenheit machten routinemäßige

Wartungsarbeiten und Reparaturen einen großen Teil der Arbeit aus. Diese Aufgaben

verlieren an Bedeutung, wenn Systeme ausgelagert werden und sich PaaS- und SaaS-

Ansätze durchsetzen. Der Fokus liegt künftig auf der Entwicklung und Steuerung kritischer

Anwendungen, der Integration von IT-Services einer ganzen Reihe von Dienstleistern sowie der

Steuerung der Zusammenarbeit mit Lieferanten.

54

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Bei strategischen Kernanwendungen müssen die IT-Abteilungen ähnlich wie interne Demand

Manager handeln und über umfassende betriebswirtschaftliche und funktionale Kenntnisse

verfügen. Da zahlreiche externe Dienstleister zu koordinieren sind, bleibt auch die IT-Architektur

eine interne Aufgabe. Dabei sind zunehmend Geschäftssinn sowie Pragmatismus in Sachen

Technik und Umsetzung bei den internen Enterprise-Architekten gefordert.

Bei nicht-strategischen und unterstützenden Anwendungen agiert die IT-Abteilung dagegen

als eigenständige Servicemanagementorganisation. Sie überwacht die Arbeit der externen

Lieferanten, um sicherzustellen, dass die eigene Organisation letztendlich die Kontrolle über

die IT-Services behält und die Kosten nicht aus dem Ruder laufen.

Während einige Aufgaben verschwinden, entstehen auch neue. Da die IT immer stärker

gefordert ist, strategische Initiativen voranzubringen, die das gesamte Unternehmen

verändern, muss sie ein vollwertiger Partner in Entscheidungsprozessen werden sowie

betriebswirtschaftlich denken und kommunizieren. Dazu bedarf es neuer Positionsprofile, die

technikgetriebene Geschäftsideen ebenso aufspüren wie Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung

durch verstärkten IT-Einsatz.

Abbildung 3: „As-a-Service“-Betriebsmodelle und veränderte interne Funktionen ermöglichen eine Reduzierung der IT-Kosten

40

20

60

80

100

0

15–25% 20–30%

35–45%

Kosten für Infrastruktur über Lebensdauer

Kosten für Software über Lebensdauer

Mitarbeiterzahl Betrieb

Mitarbeiterzahl Entwicklung

Ausgangslage Nach einem traditionellen Programm zur Kosten-

reduzierung

Schrittweiser Übergang zu einem

„As-a-Service“-Modell

• Nachfragereduzierung

• Konsolidierungder Lieferanten

• Neuverhandlungvon Verträgen

• Reduzierung von Service Level Agreements

• As-a-Service

– Infrastruktur

– Software

– Entwicklung

Niedrig/Mittel

Niedrig/Mittel

Niedrig/Mittel

Mittel

Mittel

Niedrig

Hoch

Hoch

NORMALISIERTES IT-BUDGET IM VERGLEICH ZUR AUSGANGSLAGEIN PROZENT

Quelle: Oliver Wyman-Analyse

55

OPERATIONS

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Unterdessen ändert sich der Arbeitsalltag der Softwareentwicklung vom Wasserfallmodell

hin zu agilen Ansätzen, bei denen man das Ergebnis nicht unbedingt bereits vor Beginn der

Arbeit kennt. Flexibles Denken und flexible Werkzeuge sind daher unverzichtbar.

Dies alles führt zu einem radikalen Wandel der Stellenbeschreibungen für die internen IT-Kräfte.

In Zukunft brauchen Einzelhändler eine Truppe von „IT-Fünfkämpfern“, die über eine breite

Spanne von Dienstleistern hinweg IT-Services auswählen, einkaufen und integrieren können.

Damit entsteht eine noch höher qualifizierte, doch dafür kleinere IT-Abteilung.

Die Veränderungen bei der Bereitstellung von IT-Services verändern auch die IT-Kostenstruktur

von Einzelhändlern. Heute bewegen sich die Kosten in diesem Sektor üblicherweise auf

einem Niveau von 0,7 bis 1 Prozent des Umsatzes, in Einzelfällen oder während großer

Transformationsprogramme deutlich darüber. Werden traditionelle Methoden der

Kostenreduzierung und zugleich „As-a-Service“-Ansätze genutzt, lassen sich diese Kosten, wie

Abbildung 3 zeigt, um bis zu 50 Prozent senken.

4. VOM ZIEL- UND NICHT VOM IST-ZUSTAND HER DENKEN

CHECKLISTE FÜR DEN CIO

Bringen Sie das IT-Team und die Geschäftsleitung dazu, über die übliche Dreimonatsfrist

hinauszudenken, und beginnen Sie, von dem angestrebten Ziel in drei Jahren an rückwärts

zu planen

Entwerfen Sie einen Plan, der Strategie und Innovationskraft des gesamten Unternehmens

wirklich voranbringt

Verstehen Sie den Charakter der Organisation (ist sie zum Beispiel offen für Veränderungen

oder eher ablehnend) und richten Sie den Plan entsprechend aus

Die bisher beschriebenen Veränderungen sind eine große Herausforderung für etablierte

Einzelhändler. Es ist alles andere als einfach, die heute gültigen Ansätze, Fähigkeiten

und Infrastrukturen in der IT so weiterzuentwickeln, dass sie den Ansprüchen des

Multikanalgeschäfts von morgen genügen.

Nach der Erfahrung von Oliver Wyman verweigern sich CIOs und ihre Organisationen

manchmal den notwendigen Veränderungen, beschränken sich auf ihre bisherige Rolle als

ausführendes Organ und stellen sich nicht der erforderlichen Neuerfindung. Einige denken,

dass sich die Transformation im laufenden Betrieb bewältigen lässt, und vertrauen auf den

erprobten Ansatz einer schrittweisen, taktisch geprägten Optimierung, um Verbesserungen

zu erreichen.

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Und selbst dort, wo das Verständnis für den erforderlichen radikalen Wandel vorhanden ist, gibt es

nur in seltenen Fällen CIOs, die diesen für machbar halten. Angesichts des Tagesgeschäfts sowie

eines ständigen Drucks auf die operativen Kosten und Investitionen ist dies auch verständlich.

Eines der größten Probleme liegt in der „Evolutionsfalle“ und damit in dem Glauben, dass sich

eine effektive IT-Architektur durch eine Abfolge kleiner Schritte erarbeiten lässt. Der Einzelhandel

ist generell besonders gut darin, kleinteilige Fortschritte zu erzielen und endlose Schleifen

geringfügiger Optimierungen zu durchlaufen. Bis vor Kurzem lag hier auch der Schlüssel zum Erfolg

in einer hart umkämpften Branche, die den technologischen Wandel tendenziell nur begrenzt

spürte. Doch angesichts der Bedrohung durch den Onlinehandel reichen solche schrittweisen

Veränderungen nicht mehr aus, um das Überleben zu gewährleisten.

Die Lösung ist eine Fokussierung der IT auf ihre künftigen Aufgaben sowie die Einbindung von

Erfahrungen aus anderen Branchen. Am Anfang eines solchen Ansatzes steht die Beschreibung der

Position, in der sich ein Einzelhändler in drei bis fünf Jahren befinden muss, um wettbewerbsfähig

zu bleiben. Danach lassen sich Schritt für Schritt Veränderungen festlegen, um dieses Ziel zu

erreichen. Dieser verblüffend einfache Ansatz kann sich als erstaunlich effektiv erweisen, um

einem Unternehmen – und dem CIO – das Ausmaß der anstehenden Herausforderungen vor

Augen zu führen und aufzuzeigen, dass noch so gut gemachte schrittweise Verbesserungen

letztendlich dazu führen, dass ein Unternehmen sich auf eine Zukunft vorbereitet, die bereits der

Vergangenheit angehört.

FAZIT

Der Einfluss des aktuellen Wandels im Einzelhandel auf dessen IT-Abteilungen kann nicht hoch

genug eingeschätzt werden. Die Aufgabe des CIO verändert sich von Grund auf. Er leistet mit

einem Fokus auf Innovation und Wertschöpfung künftig wesentliche Beiträge zur Gestaltung der

Strategie des Gesamtunternehmens, anstatt sich auf eine unterstützende, ausführende Funktion

zu beschränken. Die IT-Architekturen werden in Kürze völlig anders aussehen als noch vor zehn

Jahren und beziehen unterschiedliche Ansätze bei Aufbau und Betrieb ein. Die IT-Abteilungen

benötigen daher ganz andere Fähigkeiten, als sie heute besitzen oder gerade aufbauen.

Der Erfolg im Multikanalhandel basiert auf einer komplett veränderten IT-Architektur und

einer vollständig anderen Rolle des CIO. Er erfordert nicht weniger als die Neuerfindung

der IT. Inkrementelle Verbesserungen werden niemals in der Lage sein, den notwendigen

Wandel herbeizuführen.

57

OPERATIONS

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E-Commerce spielt heute überall im Einzelhandel eine Rolle. In einigen Branchen,

etwa Buchhandel und Unterhaltungselektronik, kam es bereits zu massiven

Verwerfungen und dem Rückzug traditioneller Anbieter vom Markt. In anderen

Bereichen, so bei Lebensmitteln und beim Heimwerkerbedarf, hielten sich die

Auswirkungen dagegen bislang in Grenzen. Doch dies wird sich ändern.

Auch wenn E-Commerce für jeden Einzelhändler früher oder später eine Rolle

spielen wird, wird dies nicht jeden Händler im gleichen Ausmaß treffen. Der

Onlinehandel verstärkt selbst geringfügige Vorteile bei der Wettbewerbsfähigkeit

und der Finanzkraft. Und wenn ertragsschwache Filialen schließen müssen,

können die verbleibenden Standorte ihren Absatz eventuell sogar steigern. Das

dynamische, von massiven Veränderungen geprägte Umfeld bildet damit nicht nur

eine Bedrohung, sondern bietet auch neue Chancen und Perspektiven.

DIE BEDROHUNG ALLE HANDELSSEGMENTE SIND BETROFFEN, MANCHE MEHR, ALS ES ZUNÄCHST SCHEINT

Es ist keine Überraschung, dass der Onlinehandel in den Branchen am schnellsten

wächst, in denen die Produkte hochpreisig, gut vergleichbar und leicht per Post

zu versenden sind. Obwohl verderbliche, sperrige oder schwer auszuliefernde

Produkte weniger für den Onlineeinkauf geeignet scheinen, sehen sich auch

die stationären Einzelhändler in diesen Bereichen einer ernsthaften Bedrohung

ausgesetzt. In vielen Fällen stehen sie bereits auf Messers Schneide: Nachfrage und

Umsatz wachsen allenfalls langsam und die gesamte Verkaufsfläche im Markt ist zu

groß. Schon eine leichte Verschiebung des Absatzes in Richtung Onlinehandel wird

unweigerlich zu Filialschließungen führen und letztendlich einige Unternehmen

zum Rückzug vom Markt zwingen.

STATIONÄRER EINZELHANDELWIE DIE GESCHÄFTE IM ONLINE-ZEITALTER GEDEIHEN KÖNNEN

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Da der Einzelhandel durch hohe Fixkosten und niedrige operative Ergebnisse geprägt

ist, können selbst kleine Absatzverluste den gesamten Gewinn eines Händlers kosten.

Besonders gefährdet sind Branchen mit niedrigen Margen. Verglichen mit einem Supermarkt

erwirtschaftet ein typischer Baumarkt zwar etwas höhere operative Renditen, aber mit den

typischerweise auch höheren Deckungsbeiträgen (in der Regel 30 bis 40 Prozent) kann ein

Verlust von zehn Prozent der Umsätze an Onlineanbieter bereits den gesamten operativen

Gewinn eliminieren. Baumärkte sind damit gegenüber einem Vordringen des Onlinehandels

sehr verwundbar, obwohl sich viele ihrer Produkte nicht notwendigerweise für das

E-Commerce-Geschäft eignen.

Auf der anderen Seite erweisen sich Branchen mit höheren operativen Gewinnen als

widerstandsfähiger. Gute Beispiele sind die Märkte für Gesundheit und Kosmetik, Brillen und

Schmuck. Aus Sicht eines einzelnen Händlers dürfte diese Tatsache mehr Bedeutung haben

als die prinzipiell gute Eignung ihrer Märkte für das Onlinegeschäft.

Abbildung 1 verdeutlicht diesen Punkt am Beispiel des deutschen Einzelhandels. Die

Verwundbarkeit leicht zu versendender Produkte mit hohen Margen ist offensichtlich.

Doch zugleich zeigt sich das Risiko für Teilmärkte mit Produkten mit niedrigen Margen wie

Lebensmittelhandel und Baumärkte. Angesichts einer strukturbedingt besonders niedrigen

Profitabilität reagieren sie selbst auf geringe Mengenverluste sehr empfindlich.

Trotz der unterschiedlichen Bedeutung des E-Commerce-Wachstums für die einzelnen

Handelsbranchen ist Oliver Wyman überzeugt, dass es letztendlich in nahezu allen Märkten

zu einer Konsolidierung kommen wird.

Abbildung 1: Die Verwundbarkeit von einzelnen Handelsbranchen in Deutschland durch den wachsenden E-Commerce-Anteil

10

5

15

E-COMMERCE-ANTEIL AM GESAMTMARKTIN PROZENT

20

5025 302015105

DURCHSCHNITTLICHE MARGE IN PROZENT

Halbwegs geschützt Risiko von Filialschließungenbei weiter steigendem Onlineanteil

Filialschließungenfinden bereits statt

Spielwaren und Babybedarf

Bürobedarf

Möbel

Lebensmittel

Gesundheit und Kosmetik

Haushalts-waren

BrillenSchmuck und Uhren

Baumärkte

Bücher

Unterhaltungsmedien

Konsumelektronik

Sport und Freizeit

Kleidung und Schuhe

0

0

RelativeBranchengröße

Quellen: Branchenberichte und Oliver Wyman-Analyse

60

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DIE CHANCE IN JEDER BRANCHE WERDEN SICH DIE ANBIETER UNTERSCHIEDLICH ENTWICKELN

Die Unterschiede in der Bedrohung durch einen zunehmenden Onlinehandel betreffen nicht

nur den Einzelhandel als Ganzes, sondern auch die einzelnen Unternehmen innerhalb eines

Segments – sei es Kleidung, seien es Lebensmittel oder Möbel. Einige Geschäftsmodelle

sind besser vor dem Onlinewettbewerb geschützt als andere und Unternehmen mit höheren

operativen Ergebnissen sind widerstandsfähiger. Wichtig ist: Die Ertrags- und Finanzkraft

eines Unternehmens und seine künftige Entwicklung hängen innerhalb einer Branche

(zum Beispiel Lebensmittel versus Lebensmittel) erheblich stärker zusammen als über die

verschiedenen Branchen hinweg (etwa Lebensmittel versus Kleidung).

Eine häufige Erklärung: Ein hoher Anteil kaum profitabler Filialen spiegelt sich heute nur in relativ

geringen Differenzen bei der Profitabilität wider. Aber gerade ein hoher Anteil solcher Filialen

kann eine massive Auswirkung auf den Händler haben, wenn die Umsätze der Filialen durch die

Bank unter Druck geraten. Ein Vergleich von Händlern auf Basis von Finanzkennzahlen für die

Gesamtunternehmen unterschätzt daher tendenziell die Unterschiede in den Erfolgsaussichten

für die betrachteten Händler.

In dem Beispiel in Abbildung 2 hat der Onlinehandel bereits einen Marktanteil von 15 Prozent

erreicht. Eine Verlagerung von analogen hin zu digitalen Produkten belastet die Umsätze

zusätzlich. In den kommenden drei Jahren erwartet Oliver Wyman vor diesem Hintergrund in

den Filialen Umsatzverluste von drei bis sechs Prozent pro Jahr. Branchenweit dürfte dies zu einer

Schließung von rund 30 Prozent der Filialen führen. Abbildung 3 macht deutlich, dass diese

Schließungen die Wettbewerber in höchst unterschiedlichem Ausmaß treffen könnten.

Abbildung 2: Der Zusammenhang zwischen Filialumsätzen und Margen in einem Non-Food-Segment

10

-10

20

UMSATZ PRO FILIALEIN MILLIONEN EURO

0

30

108 9765432

OPERATIVE MARGEIN PROZENT

Filialen sind fastnie profitabel

Deutlich steigende Profitabilität bei wachsenden Umsätzen

Langsamer steigende Profitabilität bei wachsenden Umsätzen

Quelle: Oliver Wyman-Analyse

61

ONLINE

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Händler A weist in diesem Beispiel geringfügig höhere Gewinne als Händler B aus und betreibt

zugleich deutlich weniger Filialen, die gerade so eine schwarze Null erwirtschaften. Händler A

ist damit in einer besseren Ausgangslage, um Absatzverluste zu verkraften. Während bei ihm

voraussichtlich etwa 20 Prozent der Filialen in die roten Zahlen rutschen, sind bei Händler B

45 Prozent der Filialen betroffen. Ohne eine deutliche Verbesserung der Ertragslage stehen viele

dieser unprofitablen Filialen vor der Schließung.

Bei tief greifenden Veränderungen in einem Markt führen bereits kleine Unterschiede in der

heutigen Ertragskraft zu großen Unterschieden bei den Erfolgsaussichten eines Händlers.

Sekundäreffekte verstärken den Vorteil für Händler A. Da die beiden Unternehmen bislang an

vielen Standorten einen Wettbewerb auf Augenhöhe geführt haben, profitiert der eine deutlich

von den Filialschließungen des anderen. Zudem schwächt die Schließung einer erheblichen

Anzahl von Filialen mittelfristig die Verhandlungsposition im Einkauf und die Effizienz der

Lieferkette. Je nach der genauen Zusammensetzung der Fixkosten eines Einzelhändlers (manche

sind über einen längeren Zeitraum hinweg unflexibler als andere) kann sich ein Dominoeffekt

ergeben, bei dem eine Runde von Filialschließungen die nächste nach sich zieht.

All diese Faktoren spielen Händler A in die Hände und können letztlich dazu führen, dass er von

dem Vordringen des E-Commerce sogar profitiert. Wenn in einem Markt rund 20 Prozent der

Umsätze auf den Onlinehandel entfallen, wird es für die erfolgreichsten stationären Anbieter

leichter, die restlichen 80 Prozent zu gewinnen.

Abbildung 3: Im Wettbewerbsvergleich können bereits kleine Vorteile bei der Profitabilität die Folgen von Kanalverschiebungen hin zum Onlinehandel mildern

FILIALNETZIN PROZENT

Einzelhändler AOperative Marge

zu Beginn: 8%

Einzelhändler BOperative Marge

zu Beginn: 5%

20 40 60 80 100 0

Anteil der profitablen Filialen drei Jahre nach Markteintritt der Onlinehändler

Anteil der unprofitablen Filialen drei Jahre nach Markteintritt der Onlinehändler

Quelle: Oliver Wyman-Analyse

62

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ÜBERLEBEN UND WACHSEN STRATEGIEN FÜR ETABLIERTE ANBIETER

Wie zuvor dargestellt reagieren die meisten stationären

Geschäftsmodelle selbst auf geringe Absatzrückgänge sehr empfindlich.

Auch wenn der Marktanteil des Onlinehandels nicht sprunghaft wächst,

kann sein Wachstum daher große Auswirkungen haben, zumal er

bestehende Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit etablierter

Anbieter verstärkt. Kein Einzelhändler kann es sich vor diesem

Hintergrund leisten, das Thema E-Commerce zu ignorieren. Und wer

sich heute einen Wettbewerbsvorteil erarbeitet – sei er noch so klein –, ist

besser gewappnet, die anstehenden Herausforderungen zu meistern.

In nahezu allen Fällen bildet der Aufbau eines tragfähigen

Onlinegeschäfts einen Teil der Strategie. Damit einher geht in der

Regel eine mehr oder weniger ausgeprägte Kannibalisierung der

eigenen Filialumsätze. Kunden, die die Kanalwahl voranstellen,

würden in den Filialen aber ohnehin „verloren“ – und ohne eigenes

Onlineangebot zur Konkurrenz abwandern. Darüber hinaus verfügt

ein etablierter stationärer Einzelhändler über einige Vorteile, die ein

neuer Onlinehändler nicht ohne Weiteres egalisieren kann. Dazu zählt

beispielsweise ein umfassendes Logistiknetzwerk. Der Artikel „The Winner

takes it all. Rentable Geschäftsmodelle für den Onlinehandel“ auf Seite 74

beschäftigt sich detailliert mit den strategischen Herausforderungen rund

um den Aufbau des E-Commerce-Geschäfts.

Mit Blick auf das stationäre Geschäft können Einzelhändler durch die

Konzentration auf die folgenden drei Themen ihre Chancen maximieren,

künftig zu den Gewinnern am Markt zu zählen.

1. MIT ALLER KRAFT DEN EIGENEN WETTBEWERBSVORTEIL AUSBAUEN

Nie war dieses Thema wichtiger als heute. Bei rückläufigen Absatzmengen

ist der Stärkste im Wettbewerb im Vorteil. Es gilt das Prinzip „The

Winner takes it all“. Unternehmen sollten daher noch kritischer ihre

Kosten prüfen und ihre Anstrengungen mit Blick auf die entscheidenden

Profitabilitätshebel ihres Geschäftsmodells forcieren, seien es

Lieferantenverhandlungen, die Sortimentsgestaltung, die Preispolitik

oder Aktionen. Die Wirkung selbst kleiner Unterschiede verstärkt sich

über die Zeit. Wer sich jetzt einen Vorsprung erarbeitet, liegt auch künftig

mit hoher Wahrscheinlichkeit vorn.

„Wer sich jetzt einen Vorsprung erarbeitet, liegt

auch künftig mit hoher Wahrscheinlichkeit vorn.“

63

ONLINE

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2. EINE PROAKTIVE STRATEGIE FÜR DIE „SCHWÄCHSTEN FILIALEN“ ENTWICKELN

Das Überleben der schwächsten Standorte in einem Filialnetz ist schon bei geringen

Absatzrückgängen in Gefahr. Daher ist es besonders wichtig, solche Filialen im Vorfeld zu

identifizieren und deren künftige Chancen am Markt zu analysieren. Einige Niederlassungen

werden sich bei rückläufigen Umsätzen nicht retten lassen, andere dagegen wären schon bei

einer geringfügig höheren Ertragskraft überlebensfähig. Wer die einzelnen lokalen Märkte für

diese ertragsschwachen Filialen genau versteht, kann sich im Marketing und bei Investitionen

auf Standorte konzentrieren, an denen ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Konkurrenten herrscht, die

ebenfalls ums Überleben kämpfen.

3. DIE BESTEHENDE FIXKOSTENBASIS ZÜGIG ANPASSEN

Zur Verteidigungsstrategie gehört in jedem Fall auch eine konsequente Reduzierung der Fixkosten,

um den Anteil der überlebensfähigen Filialen bei leicht rückläufigem Absatz zu maximieren. Trotz

aller Anstrengungen und Erfolge wird es aber kaum ein Einzelhändler vermeiden können, zumindest

einige Filialen zu schließen und die mit einer Straffung des Filialnetzes verbundenen Schwierigkeiten

zu bewältigen. Es ist nie einfach, aus Effizienzgründen Standorte zu schließen, aus Mietverträgen

herauszukommen und die Lieferkette neu zu organisieren. Doch es ist noch viel schwieriger, dies zu

tun, wenn die Gewinne bereits unter Druck geraten sind.

FAZIT

Die Umsetzung der hier skizzierten Strategien stellt in der Praxis eine echte Herausforderung dar.

Sie verlangt, trotz einer eventuell bereits bestehenden Ertragsschwäche der langfristigen Ertrags-

und Finanzkraft eines Unternehmens Vorrang vor kurzfristigen Erfolgen einzuräumen. Zudem sind

organisatorische Veränderungen für große, traditionsreiche Einzelhandelsunternehmen immer

alles andere als einfach zu bewerkstelligen. Sie müssen erhebliche Hürden überwinden. Doch die

Erarbeitung eines kleinen Wettbewerbsvorsprungs gegenüber traditionellen Konkurrenten kann

schon heute einen großen Unterschied ausmachen. Selbstverständlich wird es die Umsetzung

ehrgeiziger Wachstumspläne erfordern, sich aktiv an dem fundamentalen Wandel des Markts in

Richtung Onlinehandel zu beteiligen.

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Wenn in einem Markt rund 20 Prozent der Umsätze auf den Onlinehandel entfallen, wird es für die erfolgreichsten stationären Anbieter leichter, die restlichen 80 Prozent zu gewinnen.

ONLINE

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Gewinnen ist im Onlinehandel alles. Die Fixkosten mögen zwar niedrig(er) sein, doch der harte

Preiswettbewerb drückt die Margen, sodass sich nur mit hohen Mengen profitabel arbeiten

lässt. Da sich Kunden im Internet einfach nach gewünschten Produkten umschauen und das

günstigste Angebot herausfiltern können, bringt es kaum einen Vorteil, ihre zweite Wahl zu sein.

Aber wer sind die derzeitigen Gewinner und wie kann ein Unternehmen sicherstellen, dass es

künftig zu den Gewinnern zählt? Wie zufrieden sind Kunden mit dem Angebot der einzelnen

Wettbewerber? Und wie schneiden in ihren Augen Multikanalanbieter im Vergleich zu reinen

Onlinehändlern ab?

Dieser Artikel erläutert, wie sich mithilfe der Customer Perception Map von Oliver Wyman

Gewinner und Verlierer identifizieren lassen und wie auf dieser Basis ein „Gewinnermodell“ für

das Onlinegeschäft entwickelt werden kann.

VERSTEHEN, WIE KUNDEN WIRKLICH DENKEN

Wer Kunden nur nach ihrer Zufriedenheit fragt, erfährt nicht, warum sie in bestimmten Läden

einkaufen. Zudem kennt jeder Kunde einige Einzelhändler besser als andere, sodass ein wirklich

aussagekräftiger Vergleich zwischen allen Wettbewerbern auf Basis dieser Antworten nicht

möglich ist.

Oliver Wyman hat daher eine eigene Methodik entwickelt, um einen solchen Vergleich zu

ermöglichen: die Customer Perception Map. Dabei werden Tausende von Kunden gebeten,

verschiedene Einzelhändler anhand zahlreicher Attribute detailliert zu vergleichen. Da es

WIE MAN KUNDEN GEWINNTLEHREN AUS DEM DEUTSCHEN ONLINEHANDEL

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die Methodik erlaubt, Aussagen der Verbraucher zu den verschiedenen Anbietern mit ihrem

aktuellen Einkaufsverhalten abzugleichen, kann man mit einem hohen Maß an Objektivität

feststellen, wie gut jedes Unternehmen in den Augen der Kunden abschneidet.

Die Aussagen lassen sich in zwei zentrale, voneinander unabhängige Faktoren der

Kundenzufriedenheit verdichten: die Angebotswahrnehmung sowie das wahrgenommene

Preis-Leistungs-Verhältnis. Oder anders gesagt erfolgt eine Zusammenfassung des gesamten

Leistungsspektrums eines Unternehmens unter zwei Fragestellungen: Was bekommt ein Kunde?

Und was kostet es? Für jedes Handelssegment lassen sich die Antworten in einer aggregierten

Customer Perception Map darstellen und so die Meinung der Kunden über jeden Anbieter in

diesem Segment übersichtlich präsentieren (vgl. Abbildung 1).

In den vergangenen zehn Jahren hat sich diese Oliver Wyman-Methodik in vielen internationalen

Einzelhandelsmärkten vielfach bewährt. Die Ergebnisse erwiesen sich dabei stets als ein

maßgeblicher Indikator für die künftige wirtschaftliche Entwicklung der einzelnen Anbieter.

EINEN WETTBEWERBSVORTEIL MITHILFE DER CUSTOMER PERCEPTION MAP ERARBEITEN

Die in Abbildung 2 dargestellten Customer Perception Maps zeigen – stark verdichtet – die

Lage des Onlinehandels in Deutschland. Sie identifizieren sowohl erfolgreiche Anbieter als auch

solche, denen der Verlust von Marktanteilen droht. Aus einer weiterführenden Auswertung der

Antworten der Kunden lassen sich drei strategische Lehren ziehen, die auch über Deutschland

hinaus ihre Gültigkeit behalten.

Abbildung 1: Die Interpretation einer Customer Perception Map

Schwach

Stark

StarkSchwach

LEISTUNGSFÜHRER Breites Sortiment, Benutzerfreundlichkeit und Empfehlungen, ausgezeichnete Check-out-Prozesse und Unterstützung nach einem Einkauf

KUNDENLIEBLINGE Ideale Ausgangslage,um Marktanteile vomWettbewerb zu gewinnen

RISIKOKANDIDATEN Diesen Unternehmen gelingtes nicht, Kunden imWettbewerbsvergleich zuüberzeugen

PREISFÜHRER Eine Preisführerschaft schütztsehr e�ektiv vor etabliertenKonkurrenten

zeigt, wie Angebot und Preis-Leistungs-Verhältnis in einem bestimmten Markt die Kundenzufriedenheit relativ gesehen beeinflussen.

AN

GEB

OT

PREIS-LEISTUNGS-VERHÄLTNIS

Fair-Trade-Linie

Der Wettbewerb um das beste Einkaufserlebnis ist offen.

Das Onlineangebot führender stationärer Händler ist verbesserungswürdig.

Auch Amazon hat Schwächen – dies eröffnet Chancen für Konkurrenten.1

2

3

68

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Abbildung 2: Customer Perception Maps für verschiedene Einzelhandelsmärkte in Deutschland

ELEKTRONIK

MÖBEL UND WOHNACCESSOIRES

SHOPPING-CLUBS

BABY- UND KINDERBEDARF

LEBENSMITTEL

TIERNAHRUNG

BÜCHER

KLEIDUNG UND SCHUHE

GESUNDHEIT UND KOSMETIK

BAUMÄRKTE

MOBILFUNK

Onlinehändler Multikanalhändler Amazon

eBay

Amazon

Zalando

H&MTausenkind

Baby-Markt

windeln.de

myToysBaby-walz

Toys ‘R‘ Us

Amazon

OttoEsprit GörtzAsos Deichmann

Bonprix

TchiboC&A

H&MNeckermann

MirapodoHeine

3Suisses

ZalandoPeek & Cloppenburg

eBay

Amazon

myTime

AllyouneedEDEKA24

REWE Rossmann

Bringmeister.de

Lebensmittel.de

eBay

Amazon

Otto

Amazon

OttoHome24

ButlersFab Tchibo

Fashion for HomeConnox eBay

IKEA

BitibaZooplus.de

ZooRoyal.deAmazon

eBay

Fressnapf

Amazon

BaumarktDirektOBI

Hornbach

HagebauWestfalia

eBay

eBay

Amazon

Douglas

Yves RocherFlaconi

Amazon

Cyberport

Redcoon

Conrad

OttoApple

Media MarktSaturn

eBay

Alternate

Notebooks-billiger.de

Amazon

eBay

ThaliaApple/iTunes

Buch.de

Buecher.de

HugendubelWeltbild

Amazon

AppleBase

VodafoneO2

mobilcom-debitel

Yourfone.deCongstar

Fonic

Telekom

SimyoLimango

Brands4friends

Westwing.de

Pauldirekt.de

Amazon BuyVIP

Vente-privéeZalando Lounge

SORTIMENTSÜBERGREIFENDEVERSAND- UND ONLINEHÄNDLER

Quelle: Oliver Wyman-Analyse

69

ONLINE

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LEKTION 1 | AUCH AMAZON HAT SCHWÄCHEN – DIES ERÖFFNET CHANCEN FÜR KONKURRENTEN

In jedem der zwölf in Abbildung 2 dargestellten Märkte gehört Amazon zu den führenden

Anbietern und in zehn Märkten ist das Unternehmen der Favorit der Kunden. Nur bei Kleidung

und Schuhen sowie bei Tiernahrung zeigt sich ein anderes Bild: Amazon hinkt den jeweils

führenden Unternehmen hinterher und schafft es weder beim Angebot noch beim Preis-

Leistungs-Verhältnis auf mehr als einen dritten Rang. Doch auch wenn Amazon ansonsten

überlegen erscheint, lassen sich vier Themen identifizieren, in denen das Unternehmen

verwundbar ist. Abbildung 3 gibt mehr Aufschluss.

LEKTION 2 | DER WETTBEWERB UM DAS BESTE EINKAUFSERLEBNIS IST OFFEN

Standorte sind im Onlinegeschäft irrelevant. Dafür herrscht eine nahezu vollständige

Preistransparenz und jeder Händler kann eine hohe Sortimentsvielfalt anbieten. Genau diese,

in Zeiten des stationären Einzelhandels noch unbedeutenden Charakteristika verschaffen

Onlineanbietern nun Vorteile. Gleiches gilt für die nachfolgend genannten drei Charakteristika.

Sie spielen online eine erheblich größere Rolle für die Zufriedenheit der Kunden als im

stationären Geschäft:

• Benutzerfreundlichkeit

• Produktempfehlungen

• Check-out-Erfahrung

Abbildung 3: Vier Bereiche, in denen sich Onlinehändler gegen Amazon durchsetzen können

PREIS-LEISTUNGS-VERHÄLTNIS PRODUKTSUCHEUND -AUSWAHL

KAUFABWICKLUNGUND KUNDENSERVICE

1 2

3 4

Die größte Schwäche von Amazon liegt in der geringen Aktionsintensität, was die nachlassende Aggressivität bei Preisen und Sonderangeboten widerspiegelt. Amazon schneidet in allen Handelssegmenten bei diesem Thema vergleichsweise schwach ab – selbst in den Bereichen, in denen Amazons Preis-Leistungs-Verhältnis die Kunden ansonsten überzeugt. Es gibt kaum Zweifel, dass die Kunden den veränderten Umgang mit Aktionen bemerkt haben, doch noch ist o�en, ob sich daraus letztendlich nennenswerte Nachteile ergeben.

Spezialisten in einzelnen Warengruppen scheint es häufig zu gelingen, Amazon bei Themen wie fachkundige

Beratung, intelligentes Filtern für die Produktsuche sowie zweckdienliche Fotos und Videos hinter sich zu lassen. Dies

gilt insbesondere bei Warengruppen, bei denen Einkäufe eher emotionalen oder subjektiven Faktoren unterliegen.

Dazu zählen Kleidung und Schuhe, Möbel und Wohnaccessoires, Baby- und Kleinkindbedarf sowie

eingeschränkt auch Kosmetika und Tiernahrung. In diesem Fall erweist sich das breite Angebot von Amazon als

Nachteil. Spezialisierte Onlineshops können in Segmenten punkten, in denen die Produktsuche selbst aufwendig ist.

SORTIMENT

Das Sortiment ist segmentübergreifend die große Stärke von Amazon, doch in einigen Warengruppen gelingt es zumindest einem Wettbewerber, mit einer größeren Auswahl an Premiumprodukten vorbeizuziehen. Der Abstand ist zwar gering, doch wie bei der Produktsuche und -auswahl kann sich ein Category Killer mit einem fokussierten, maßgeschneiderten Angebot einen Vorteil verscha�en.

Tendenziell handelt es sich hierbei um eine von Amazons Stärken, wie man auch mit Blick auf die Services für

Prime-Mitglieder und die hohe Fokussierung auf eine reibungslose Logistikabwicklung vermuten würde. Dennoch

zeigt Amazon beispielsweise bei der Einfachheit von Warenabholung und Retouren sowie im Kundenservice

einige Schwächen.

70

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Es ist nicht dasselbe, ob man sich durch eine App oder Website navigiert

oder an Regalen im Laden vorbeischlendert. Kunden suchen daher

online häufig nach mehr Orientierung und Unterstützung. Für den

Erfolg im Onlinegeschäft sind damit nicht allein niedrigere Preise und

eine größere Auswahl entscheidend – viele Unternehmen wären dazu

auch gar nicht in der Lage. Vielmehr können sich Handelsunternehmen,

allen voran Multikanalanbieter, im Wettbewerb auch mit anderen

Faktoren Vorteile verschaffen. Der nachfolgende Artikel „The Winner

takes it all. Rentable Geschäftsmodelle für den Onlinehandel“ erläutert

dies näher.

LEKTION 3 | DAS ONLINEANGEBOT FÜHRENDER STATIONÄRER HÄNDLER IST VERBESSERUNGSWÜRDIG

Über alle Märkte hinweg ist der Großteil stationärer Anbieter in den

Augen der Kunden ihren Onlinewettbewerbern unterlegen. Der

Rückstand variiert je nach Unternehmen und Markt. Doch generell gibt

es drei Gründe für die fehlende Wettbewerbsfähigkeit:

• Fehlende Größe: Dies betrifft typischerweise die Sortimentsauswahl, Rezensionen und technologiegestützte Empfehlungen.

• Fehlende Aggressivität: Diese zeigt sich bei den Liefergebühren, der Retourenpolitik sowie der Preisgestaltung.

• Fehlendes Einkaufserlebnis: Unternehmen hinken dem digitalen Fortschritt hinterher, was sich in der Produktpräsentation, der Benutzerfreundlichkeit des Shops und den Filtermöglichkeiten zeigt.

Traditionelle Einzelhändler sollten vor diesem Hintergrund die

Attraktivität ihres Onlineangebots zügig verbessern. Sie riskieren

ansonsten, von den jeweiligen Marktführern verdrängt zu werden,

die dank Skaleneffekten nicht nur mit geringeren Kosten operieren,

sondern auch ein besseres Angebot schaffen können. Skalenvorteile

gibt es im Onlinehandel in vielen Formen, was auch der Natur des

Markts geschuldet ist, die den führenden Anbieter begünstigt:

• Mit zunehmender Größe steigen die Renditen von Investitionen in einen Ausbau des digitalen Angebots.

• Die Nutzung von Big Data spielt eine entscheidende Rolle, um Kunden bei der Suche und Auswahl von Produkten besser zu unterstützen.

• Netzwerkeffekte kommen bei Ratings, Rezensionen und Empfehlungen zum Tragen.

71

ONLINE

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FAZIT

In Sachen Kundenwahrnehmung verfügt Amazon in Deutschland

über einen deutlichen Vorsprung gegenüber nahezu allen anderen

Wettbewerbern in fast allen Handelsbranchen, und wahrscheinlich ist

dies auch in vielen anderen Ländern der Fall. Die einzig offensichtliche

Schwäche zeigt sich in komplexeren Einkaufssituationen. Dort können

spezialisierte Händler mit einem maßgeschneiderten Einkaufserlebnis

und einem umfangreicheren, hochwertigen Sortiment ein

attraktiveres Angebot schaffen. Da neben Größe und Dominanz auch

Empfehlungen, Benutzerfreundlichkeit und Services im Wettbewerb

eine zunehmend stärkere Rolle spielen, dürfte es sowohl für reine

Online- als auch für Multikanalanbieter steigende Chancen in der

Nische geben. Daraus könnten erhebliche Wachstumsmöglichkeiten

entstehen.

Darüber hinaus ergeben sich aus der unterschiedlichen Beurteilung

der einzelnen Onlineangebote erhebliche Konsequenzen für

den stationären Handel. Noch hat dieser im Vergleich zu reinen

E-Commerce-Anbietern das Nachsehen. Um erfolgreich konkurrieren

zu können, muss er daher erheblich zulegen. Und das beschränkt sich

nicht nur auf ein aggressiveres Vorgehen in „traditionellen“ Bereichen

wie Preise und Sortimentspolitik. Die Benutzerfreundlichkeit und das

Einkaufserlebnis als Ganzes beeinflussen ebenfalls in hohem Maß die

Entscheidung von Onlinekunden für einen bestimmten Anbieter.

Einige der Schwächen etablierter Einzelhändler beruhen auf

bewussten Entscheidungen. Sie hatten auf Investitionen in das

Onlinegeschäft verzichtet, um ihre Margen zu schützen, und dafür

einen Wettbewerbsnachteil in Kauf genommen. Auf kurzfristige

Sicht mag dies nachvollziehbar erscheinen. In manchen Fällen wäre

jede andere Entscheidung möglicherweise auch nicht finanzierbar

gewesen. Mittel- und langfristig untergraben solche Entscheidungen

aber die Wettbewerbsfähigkeit im Onlinehandel – und das kann

schwerwiegende Folgen haben.

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Page 73: THE OLIVER WYMAN RE ATIL JOURNAL · Der direkte Draht zum Kunden ist ein entscheidender Faktor für den langfristigen Erfolg der großen europäischen Supermarktketten. Es bedarf

Amazon ist in mehr als 80 Prozent der Handelsbranchen der Favorit der Kunden – und dennoch verwundbar. Clevere Einzelhändler können sich das zunutze machen.

ONLINE

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THE WINNER TAKES IT ALL

RENTABLE GESCHÄFTSMODELLE FÜR DEN ONLINEHANDEL

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Angesichts der anhaltenden Verlagerung von Einkäufen ins Internet und

stagnierenden Filialumsätzen sehen viele etablierte Handelsunternehmen ihr

Onlinegeschäft als wesentliche Quelle künftigen Wachstums. Doch Gewinne wollen

sich trotz zumeist veritabler Onlinepräsenz nicht so recht einstellen. So groß der

Nutzen von E-Commerce für die Kunden bereits ist, so gering ist bisher dessen

Einfluss auf die Profitabilität der Anbieter. Es ist ohne Frage schwierig, zukunftsfähige

und damit rentable Geschäftsmodelle für den Onlinehandel zu entwickeln. Aber es ist

nicht unmöglich, wie der nachfolgende Artikel zeigt.

Das Aufkommen des E-Commerce hat die Spielregeln im Einzelhandel an gleich zwei

Stellen von Grund auf verändert. Der Stärkste dominiert nun seine Branche, es gilt das

„The Winner takes it all“-Prinzip. Und die Margen stehen noch stärker unter Druck.

75

ONLINE

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DER STÄRKSTE DOMINIERT NUN AUCH IM HANDEL

Im digitalen Zeitalter sind Märkte nicht mehr länger lokal, sondern national und in vielen Fällen

international. Als Entfernungen noch eine Rolle spielten, wohnte jedem Laden ein natürlicher

Wettbewerbsvorteil bei Kunden inne, die in der Nähe lebten oder arbeiteten. Ein Vergleich von

Einzelhändlern war ebenso mühsam wie ein Wechsel. Jeder Laden konkurrierte daher effektiv

nur mit einer kleinen Zahl lokaler Wettbewerber. An einem günstigen Standort konnte eine Filiale

auch florieren, ohne die niedrigsten Preise, die besten Produkte oder den kundenfreundlichsten

Service zu bieten. Man musste nicht überall der Beste sein, solange man gut genug und in der

Nähe der Kunden war.

Das Aufkommen des Onlinehandels hat diesen Gewissheiten ein Ende gesetzt. In den meisten

Branchen ist der Standort nun irrelevant und ein Preisvergleich sehr einfach möglich. Kunden

können sich online schnell einen Überblick über das beste Angebot verschaffen. Die Konsequenz:

Im Onlinewettbewerb geht es allein darum, Kunden das attraktivste Angebot zu machen. Kunden

denken nicht daran, bei einem Anbieter einzukaufen, der in ihren Augen nicht die beste Wahl ist.

Unternehmen müssen zwar nicht überall die Besten sein – in einem Punkt aber schon.

E-COMMERCE SETZT MARGEN WEITER UNTER DRUCK

Die neuen Rahmenbedingungen im Onlinezeitalter machen es Einzelhändlern erheblich

schwerer, Gewinne zu erzielen. Der stärkere Wettbewerb erhöht die Preiselastizität und drückt

auf die Margen, während E-Commerce auf der anderen Seite mit weniger Investitionen und

normalerweise geringeren Fixkosten als der stationäre Handel verbunden ist. Entscheidend

ist aber ein anderer Faktor: Viele Onlineanbieter geben sich derzeit mit einer niedrigen

Profitabilität zufrieden, da für ihre Bewertung künftige Ertragspotenziale und nicht heutige

Gewinne entscheidend sind. Einige Onlinehändler operieren aktuell sogar bewusst in den

roten Zahlen in der Hoffnung, eine Kundenbasis aufzubauen, die in einigen Jahren zu einer

lukrativen Positionierung führt. In einem Markt, der von einer „The Winner takes it all“-Mentalität

geprägt ist, schmälern aber Wettbewerber mit einer geringen oder keiner Gewinnerwartung die

Profitabilität aller.

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VIER MODELLE FÜR DEN ERFOLG IM ONLINEZEITALTER

Beide Veränderungen zusammen erklären die enormen

Schwierigkeiten bei der Entwicklung rentabler Modelle für das

Onlinegeschäft. Unternehmen müssen auf der einen Seite Faktoren

identifizieren, bei denen sie besser als sämtliche Konkurrenten sind,

und auf der anderen Seite auf ihre Profitabilität achten. Ähnlich

wie im stationären Handel, wo sich unter anderem Category Killer,

Verbrauchermärkte und Discounter durchgesetzt haben, gibt es

auch im Onlinegeschäft nur eine geringe Anzahl nachhaltiger und

wertschaffender Geschäftsmodelle.

Kein Onlineanbieter kann mit mehr als einem der vier hier vorgestellten

Modelle Erfolg haben. Anders als im stationären Handel gibt es

keinen Raum für Generalisten mit einer vernünftigen Leistung über

alle Dimensionen hinweg. Um online Erfolg zu haben, muss ein

Unternehmen der bevorzugte Einkaufsort bei einer bestimmten

Kundengruppe für bestimmte Kaufanlässe werden. Nachfolgend

werden die sich hieraus ergebenden Konsequenzen für die Praxis

aufgezeigt. Zugleich wird erläutert, wie jedes der vier Modelle als

Vorlage für ein erfolgreiches Geschäftsmodell dienen kann.

Rentable Modelle im Onlinegeschäft besitzen eines der folgenden

vier Alleinstellungsmerkmale:

1. Die absolut günstigsten Preise am Markt

2. Die beste Auswahl und der beste Service

3. Die erste Anlaufstelle für Kunden

4. Ein von A bis Z perfekter Einkauf

77

ONLINE

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MODELL 1 | DER PREISFÜHRER: „DER BILLIGSTE“

Der Preisführer ist das unkomplizierteste Geschäftsmodell

im Onlinehandel (vgl. Abbildung 1). Die Preistransparenz im

Internet erweist sich für das Unternehmen mit den niedrigsten

Preisen als enormer Vorteil. Wenn es über besonders günstige

Einkaufskonditionen, extrem niedrige Kosten oder sogar beides verfügt,

werden keine üppigen Warenpräsentationen, keine Heerscharen

von Mitarbeitern und nicht einmal eine Marke benötigt – abgesehen

davon, dass ein Anbieter als einigermaßen vertrauenswürdig gelten

muss. Bei üblicherweise allein gekauften Produkten und einfachen

Einkaufsvorgängen reicht es oft aus, mit dem niedrigsten Preis in

Suchmaschinen zu erscheinen.

In diesem Umfeld konkurrieren drei Unternehmenstypen:

1. Internetgiganten: Sie sind in vielen Sortimentsbereichen aktiv und verfügen dank der bestehenden Logistik und ihrer schieren Größe über Kostenvorteile.

2. Off-Price-Händler: Sie verkaufen Graumarktware, in zu großen Stückzahlen hergestellte oder aus anderen Kanälen stammende Markenware. Es gibt sie insbesondere in den Bereichen Kleidung, Schmuck und anderen „modischen“ Sortimenten, wo die Stückzahlen pro Artikel begrenzt sind.

3. Einzelunternehmer: Sie prägen eBay und Amazons Marketplace.

Es ist aber alles andere als einfach, sich mit einem nachhaltigen

Geschäftsmodell von nennenswerter Größe als Preisführer am Markt zu

etablieren. Denn dafür bedarf es wie bereits erwähnt entweder enormer

Skalenvorteile oder besonders günstiger Lieferkonditionen. Ohne

einen dieser oder idealerweise beide Faktoren führt das systematische

Angebot der niedrigsten Preise in den finanziellen Ruin. Das gilt

insbesondere für stationäre Einzelhändler. Da niedrigere Preise im

Onlinegeschäft tendenziell auch auf die Preise in den Läden drücken,

haben sie keine Chance mehr, ihre Fixkosten zu decken.

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Wo das Modell funktioniert

Bei Produkten, die online gesucht und einzeln gekauft werden, und deren Kauf einfachen

Regeln unterliegt

Wie das Modell Kunden gewinnt

Bei jeder Suche bietet es den besten Preis

Wie sich Gewinne erzielen lassen

Durch besonders günstige Lieferkonditionen und niedrige Kostenstrukturen

Abbildung 1: Beispiele von Einzelhändlern, die sich als Preisführer etabliert haben

ETABLIERT: VENTE PRIVÉE NEWCOMER: MADE.COM

Tätigkeitsfeld • Designermarken zu Discountpreisen • Designermöbel auf Bestellung

Eckdaten • Gründungsjahr: 2001

• Umsatz 2014: 1,7 Mrd. € (+ 6% zum Vorjahr)

• 3 Mio. Unique Visitors pro Tag bei 24 Mio. Mitgliedern in Europa

• Expansion in weitere Länder läuft

• Zahlreiche Copycats

• Gründungsjahr: 2010

• Umsatz 2014: 42,8 Mio. £ (+ 63% zum Vorjahr)

• Teil des „Future Fifty“-Programms der britischen Regierung

• Aktuell in 7 europäischen Ländern tätig, u. a. in Deutschland

Angebot • Auf 3-5 Tage begrenzte „Eventverkäufe“ im Internet mit 24 Stunden Vorlauf

• Designermöbel, 70 Prozent günstiger als im Handel

• Kunden stimmen über ihre favorisierten Designs ab; nur die populärsten werden gefertigt

Ertragsmodell • Bevorzugter Partner für Designermarken, um überschüssige Lagerbestände abzustoßen

• Die „Secret Sales“ finden sich nicht bei Preisvergleichen im Internet, die Lieferanten fürchten daher weniger als sonst eine Beschädigung ihrer Marke oder eine Kannibalisierung

• Neuer Ansatz der Wertschöpfung im Möbelhandel – von Made.com zu den Herstellern und dann zu den Kunden

• Die Möbel werden erst nach Bestellung in Auftrag gegeben, dies ermöglicht niedrige Lagerbestände und ein negatives Working Capital

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ONLINE

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MODELL 2 | DER SORTIMENTSSPEZIALIST: „DIE BESTE AUSWAHL UND DER BESTE SERVICE“

Category Killer dominierten den Wettbewerb über viele Jahre

mit einem einzigartigen Angebot. Eine ähnliche Rolle können

Sortimentsspezialisten nun online einnehmen. Dabei erfüllen die

meisten Onlineeinkäufe ein einziges, klar definierbares Bedürfnis: „Ich

möchte einen neuen Fernseher“ oder „Ich brauche einen Autositz“.

Dazu passt auch die überwiegend praktizierte Art und Weise des

Einkaufens über Suchanfragen.

Doch bei komplexeren Vorgängen stoßen die meisten Websites

schnell an ihre Grenzen. Bei schwerer einzugrenzenden

Bedürfnissen – „Ich brauche neue Schuhe“ oder „Ich suche ein neues

Soundsystem“ – funktioniert die Suche nicht so gut und die unendliche,

sonst so wirksame Auflistung von Treffern verwirrt eher. Einige

Websites versuchen, das Problem mit Kundenrezensionen zu lösen.

Einen echten Wettbewerbsvorteil können sich jedoch Einzelhändler

erarbeiten, die den Anlass eines Einkaufs wirklich verstehen und ein

darauf zugeschnittenes Erlebnis bieten. In den Bereichen, in denen

der Bedarf regelmäßig wiederkehrt, lässt sich ein solch überlegenes

Kundenerlebnis in langfristige Loyalität verwandeln.

Nicht jedes Sortiment eignet sich für das Modell des

Sortimentsspezialisten, und das Sortiment der erfolgreichsten

stationären Category Killer entspricht nicht unbedingt dem

erfolgreicher Sortimentsspezialisten im Onlinegeschäft. Dessen

ungeachtet gibt es Kaufanlässe mit besonderen (und in vielen Fällen

besonders anspruchsvollen) Serviceanforderungen, die sich am besten

von speziell hierfür entwickelten Geschäftsmodellen bedienen lassen

(vgl. Abbildung 2).

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Wo das Modell funktioniert

Bei komplexen Kaufanlässen mit mittlerer Einkaufsfrequenz, bei eigenständigen

Sortimentsbereichen, die nicht mit anderen Produkten zusammen gekauft werden sowie bei

zahlreichen Interdependenzen zwischen einzelnen Artikeln

Wie das Modell Kunden gewinnt

Die Kunden wissen, wo sie die Produkte finden, die am besten ihren

Bedürfnissen entsprechen

Wie sich Gewinne erzielen lassen

Eine natürliche Marge ergibt sich durch die Differenzierung des Angebots

und die langfristige Loyalität der Kunden, sie basiert auf einem nur schwer

nachahmbaren Kundenerlebnis

Abbildung 2: Beispiele von Einzelhändlern, die sich als Sortimentsspezialisten etabliert haben

ETABLIERT: ZAPPOS.COM NEWCOMER: WIGGLE.COM

Tätigkeitsfeld • Textil- und Schuhhändler für den Massenmarkt

• Größter Onlineschuhladen der Welt

• Auf Sportartikel spezialisierter Händler

• Seit 2011 im Besitz der Private Equity-Firma Bridgepoint Capital; Kaufpreis: 180 Mio. £

Bisherige Erfolge • Übernahme durch Amazon im Jahr 2009 • Umsatzwachstum von 168 Mio. £ im Jahr 2014 (2013: ca. 141 Mio. £)

Angebot • Sortimentsvielfalt:

− 50.000 Schuhmodelle

− Große Auswahl an Nischenprodukten

− Nicht-vorrätige Ware lässt sich vorbestellen

• Kundendienst im Fokus:

− Callcenter sind 24/7 erreichbar; keine vorgegebenen Skripts; Marke profitiert von dem besonderen Einsatz der Mitarbeiter

• Sortimentsvielfalt:

− Große Auswahl an Radfahr-, Lauf- und Schwimmausrüstung

− Einkauf nach Marke oder Produktkategorie möglich

• Rat von Experten:

− Einkaufsführer für jeden Sortimentsbereich

− Onlineberater stehen für Livechats bereit

• Niedriges Risiko:

− 12-monatiges Rückgaberecht

− 30-tägige Testphase bei Fahrrädern

Ertragsmodell • Treiber sind Wiederholungskäufer • Treiber ist das ausdifferenzierte Angebot des Spezialisten

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ONLINE

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MODELL 3 | DAS STANDARDZIEL: „DIE ERSTE ANLAUFSTELLE FÜR KUNDEN“

Das Standardziel entspricht im Onlinezeitalter dem althergebrachten

Warenhaus – dem „One-Stop-Shop“. Kunden wissen, dass sie

dort im Großen und Ganzen immer alles zu einem fairen Preis

bekommen können. In der Onlinewelt hat sich hierfür auch der Begriff

„Convenience“ etabliert. Diese Internethändler bieten alles, was

Verbraucher wahrscheinlich benötigen, sowie eine solide Website,

ein einfaches Einkaufserlebnis und wettbewerbsfähige, wenn auch

nicht immer die günstigsten Preise. Sie wollen sich auf diesem Weg

eine Kundenbasis aufbauen, die sie als Standardziel für sämtliche

Bedürfnisse abspeichert.

Genau diesen Ansatz verfolgt Amazon (vgl. Abbildung 3). Mit der

ständigen Erweiterung des Sortiments deckt das Unternehmen

mehr und mehr die typischen Bedürfnisse privater Haushalte ab und

macht es so immer naheliegender, direkt und damit ohne Prüfung

von Alternativen auf die Amazon-Website zu gehen. Währenddessen

schafft das Amazon-Prime-Modell eine langfristige Kundenbindung.

In der Folge ist Amazon heute in vielen Fällen das Unternehmen, an

das Kunden als Erstes denken, und zugleich der führende Anbieter in

Sachen Sortimentsbreite und -tiefe sowie positiver Preiswahrnehmung.

Vor diesem Hintergrund erscheint es schwer vorstellbar, dass

etwas anderes als ein komplexer Zusammenschluss verschiedener

Einzelhändler mit Amazon auf gleichem Niveau konkurrieren könnte.

Es gibt aber noch andere Kundensegmente, beispielsweise kleine

Unternehmen, Schulen, junge Familien oder „Best Ager“, für die

sich vergleichbare Standardzielgeschäftsmodelle nach wie vor

entwickeln lassen.

Die Herausforderung besteht darin, die Zielgruppe genau zu definieren

und danach alles daranzusetzen, sie über die Zeit immer besser zu

bedienen. Ein halbherziger Ansatz ist zum Scheitern verurteilt. Wer zum

Beispiel im Bereich Bürobedarf die Zielgruppe der Kleinunternehmer

adressieren will, muss sämtliche Bedürfnisse und nicht nur einen

Teil abdecken. Ziel ist es, sich als das Standardziel für Bürobedarf zu

etablieren, sodass die Besteller keinen Grund mehr haben, woanders

einzukaufen. Dafür bedarf es maßgeschneiderter Regelungen für

den Versand und die Abrechnung ebenso wie ein Angebot von

Dienstleistungen entlang des Sortiments. Ein solches Geschäftsmodell

unterscheidet sich fundamental von traditionellen Modellen, bei denen

die Produkte im Mittelpunkt standen.

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Wo das Modell funktioniert

In Kundensegmenten mit breit gefächerten und doch identifizierbaren Bedürfnissen

Wie das Modell Kunden gewinnt

Mit einer bequemen Abdeckung sämtlicher Kundenbedürfnisse zu verlässlich

niedrigen Preisen

Wie sich Gewinne erzielen lassen

Durch Etablierung als Standardziel für Einkäufe

Abbildung 3: Beispiele von Einzelhändlern, die sich als Standardziel etabliert haben

AMAZON STAPLES

Ursprüngliches Angebot

• Beginn als Sortimentsspezialist für Bücher; Verkauf des ersten Buchs im Jahr 1995

• Angebot eines Vielfachen der im stationären Buchhandel vorrätigen Titel

• Beginn als Großmarkt für Bürobedarf im Jahr 1986

• Über viele Jahre danach der Category Killer in diesem Segment

Entwicklung • Etablierung als breit aufgestellter Preisführer, der Produkte nahezu überall unterhalb der unverbindlichen Preisempfehlungen anbietet und hierzu die eigene Logistik oder den Marketplace nutzt

• Rasche Expansion in andere Sortimentsbereiche; Konzentration auf Beherrschung des direkten Kundenkontakts

• Starke Kundenorientierung; Abo-Modelle und Prime-Mitgliedschaft vertiefen Kundenbindung

• Entwicklung zum Standardziel für viele private Haushalte

• Expansion in Services sowie verwandte Sortimentsbereiche wie Büromöbel und die Ausstattung von Pausenräumen, um sich als Standardziel für den B2B-Bürobedarf zu etablieren

• Konzentration auf den Ausbau der Kundenbeziehung beispielsweise durch Übernahme eines auf die Personalisierung von E-Commerce spezialisierten Unternehmens

• Derzeit Neugestaltung der Strategie in Richtung weniger Filialen und mehr Onlinegeschäft

83

ONLINE

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MODELL 4 | DER ERLEBNISGESTALTER: „EIN VON A BIS Z PERFEKTER EINKAUF“

Das Multikanalkonzept macht mehr aus dem bestehenden Filialnetz und könnte sich daher

für viele der größten stationären Einzelhändler als das interessanteste Modell erweisen. Es ist

allerdings auch am schwierigsten zu erklären, da es bislang noch kein einziges Unternehmen in

vollem Umfang umgesetzt hat.

In der Vergangenheit kamen Kunden, von der Werbung und einigen Mailings abgesehen,

nur in den Läden, am Point of Sale, in Kontakt mit einem Händler. Heute dagegen beginnt ein

Einkaufserlebnis, schon lange bevor ein Kunde einen Fuß in einen Laden setzt, und es endet erst

lange danach. Unternehmen können entlang dieses Wegs dank moderner Technik an vielen

Punkten Unterstützung anbieten. Es geht darum, mit technischer Hilfe häufiger mit den Kunden

zu interagieren und diese Interaktionen nahtlos und wertschaffend in das Einkaufserlebnis

vor Ort einfließen zu lassen. So können traditionelle Einzelhändler von A bis Z überzeugende

Kundenerlebnisse schaffen und sich vom Online- und Offlinewettbewerb abheben.

Unternehmen müssen dafür zunächst verstehen, wie subtil oder implizit sich Kunden

entlang eines Einkaufserlebnisses häufig entscheiden. Wie Abbildung 4 zeigt, gibt es je nach

Sortiment und Kaufanlass Unterschiede. Im Prinzip zeigen sich aber bei jedem Einkauf vier

erkennbare, sich manchmal überschneidende oder wiederholende Schritte. Zu Beginn müssen

Einzelhändler Möglichkeiten identifizieren, Kunden bei jedem Schritt zu unterstützen. Zudem

gilt es, Antworten auf existenzielle Fragen zu finden: Was will der Kunde und über welchen

Kanal lässt sich dieses Bedürfnis wie befriedigen (vgl. Abbildung 5)? Es handelt sich hierbei

fraglos um konzeptionelle Überlegungen weit jenseits des Alltagsgeschäfts. Wer sich Zeit für

die Beantwortung nimmt, macht aber einen entscheidenden ersten Schritt auf dem Weg hin zu

einem echten Multikanalanbieter.

Abbildung 4: Die Beantwortung der folgenden Fragen und entsprechendes Handeln entlang der vier Schritte eines Einkaufserlebnisses ermöglichen es, sich komplett auf Kundenbedürfnisse einzustellen

• Wann, warum und wie beginnen Kunden, über einen Einkauf nachzudenken?

• Wie kann ein Unternehmen ihnen in dieser Phase helfen, ohne sie mit Informationen zu „überfluten“?

• An welche Unternehmen denken verschiedene Kundengruppen überhaupt?

• Wie erfolgt die Auswahl?

• Wie lassen sich Kunden motivieren, sich für das eigene Unternehmen zu entscheiden?

• Wie stark zählt das Einkaufserlebnis selbst für verschiedene Kundengruppen?

• Wonach suchen die Kunden?

• Wie lässt sich das bestmögliche Einkaufserlebnis scha�en?

• Was geschieht nach einem Einkauf?

• Wie lassen sich Kundenerwartungen in dieser Phase übertre�en?

Auslöser

Suche

Einkauf

Nach dem Einkauf

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Aber wie sieht ein echter Multikanalanbieter eigentlich aus? Über die reine Fähigkeit hinaus,

Produkte über verschiedene Kanäle verkaufen zu können, bedarf es einer kanalübergreifenden

Preisstrategie, einer Integration der Logistik sowie professioneller Apps und Websites samt

Rezensionen, Empfehlungen und Ratschlägen. Dies alles ist notwendig, aber nicht ausreichend.

Damit das Geschäftsmodell als Multikanalanbieter funktioniert, braucht es ein so weitreichendes

Verständnis über das Einkaufs- und Auswahlverhalten der Konsumenten auf Basis von

Kundendaten wie noch nie. Dabei geht es nicht mehr nur um den Einkauf im Laden selbst,

sondern um das gesamte Einkaufserlebnis. Ein solcher Ansatz erfordert auch die Identifizierung

von Kaufanlässen, die in der Vergangenheit gar nicht bestanden oder nicht gut abgedeckt

wurden. Erforderlich ist, den Umgang mit sozialen Netzwerken und anderen Kanälen zu

beherrschen, um sich bei Kunden als erste Einkaufsadresse zu etablieren. Es gilt darüber hinaus

zu erkennen, dass verschiedene Kundengruppen in unterschiedlicher Weise einkaufen. Ein

erfolgreiches Unternehmen bietet jeder Gruppe den für sie passenden Grad an Service und

Unterstützung, ohne aufdringlich zu erscheinen.

Im Idealfall tragen bei einem Multikanalgeschäftsmodell On- und Offlineangebote dazu bei,

das Kundenerlebnis in den anderen Kanälen zu verbessern. Derzeit sind einige Dienstleister

bei diesem Thema weiter vorangeschritten als der Einzelhandel. Fluglinien beispielsweise

können durch die Auswertung mobiler Umfragen in Echtzeit erkennen, wenn sich Ärger bei

Kunden aufstaut, und bereits in der Lounge oder am Gate gegensteuern. Hotelketten sind in

der Lage vorherzusagen, wohin ein Gast wann als Nächstes reisen möchte. Für den stationären

Handel heißt das: Die Bedeutung der Filialen könnte sich zwar reduzieren, doch sie bleiben ein

entscheidender Faktor, um durchweg das bestmögliche Kundenerlebnis bieten zu können.

Abbildung 5: Beispiele, wie sich Einzelhändler entlang des Einkaufserlebnisses auf innovative Weise auf ihre Kunden einstellen können

Ein Spielzeugladen informiert Familienangehörige über anstehende Geburtstageund macht Vorschläge, unter anderem auf Basis früherer Einkäufe,bestehenden Feedbacks und aktueller Trends.

Ein Baumarkt erkennt, dass sich ein Kunde über eine Vielzahl von Produkten informiert. Er bietet dem Kunden daher eine Beratung durch einen Experten in der Filiale sowie einen Gutschein an, bei dem der Rabatt mit dem Einkaufswert wächst.

Auslöser

Suche

Einkauf

Nach dem Einkauf

Ein Elektronikhändler bietet seinen Kunden drei Optionen, wenn sie einen Laden betreten:

1. Einen Fast Track, wobei die Kunden bereits zahlen, während ein Mitarbeiter das Produkt holt2. Persönliche Beratung durch einen Experten3. Einen „normalen“ Einkauf

Ein Lebensmittelhändler schickt Kunden E-Mails mit Rezepten auf Basis ihrer jüngsten Einkäufe und erinnert sie auf gleichem Weg, wenn die Mindesthaltbarkeitsdaten dieser Produkte erreicht sind.

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Genau das bedeutet der perfekte Einkauf von A bis Z: Es geht um ein

authentisches Angebot entlang des gesamten Einkaufserlebnisses, bei

dem jede Interaktion einen Mehrwert schafft. Vielen Einzelhändlern

gelingt dies heute bereits in einigen Bereichen, doch keiner schafft

bislang ein von A bis Z überzeugendes Erlebnis.

Die vielleicht größte Herausforderung liegt in dem geforderten neuen

Denkansatz. Es geht darum, Kunden zu helfen und ihnen nicht nur

Produkte zu verkaufen, sondern ihnen vielmehr das Leben besser,

einfacher und angenehmer zu machen. Noch erfüllt kein Einzelhändler

diesen Anspruch in vollem Umfang. Die Beispiele in Abbildung 6

zeigen aber, welche Möglichkeiten sich eröffnen und wie Einzelhändler

profitieren können.

Wo das Modell funktioniert

Nahezu überall; am offensichtlichsten sind die Möglichkeiten bei

komplexen Einkaufsvorgängen, bei denen weder rein stationäre

noch rein internetbasierte Modelle das bestmögliche Erlebnis

bieten können; hinzu kommen Sortimentsbereiche, bei denen

die Auswahl in hohem Maß subjektiven Kriterien unterliegt (zum

Beispiel Kleidung, Möbel, Luxusgüter und Geschenke)

Wie das Modell Kunden gewinnt

Indem es ihr Leben einfacher und besser macht

Wie sich Gewinne erzielen lassen

Es entsteht eine völlig neue Art von Einzelhändlern, die sich

durch ein einzigartiges Angebot und zugleich ein Filialnetz in der

richtigen Größe differenzieren

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Abbildung 6: Beispiele von Einzelhändlern, die sich als Erlebnisgestalter etabliert haben

JOHN LEWIS SEPHORA

Tätigkeitsfeld • Britisches Warenhaus • Parfüm und Kosmetik

Bisherige Erfolge • Eine der wenigen stationären Einzelhändler in Innenstadtlagen mit stetigem Wachstum trotz jüngster Konjunkturschwächen

• Im Besitz von LVMH

• Aggressive Expansion in bestehenden und neuen Märkten, Eröffnung von jährlich 100 neuen Filialen über die nächsten fünf Jahre geplant

Angebot • In den Läden:

− Möglichkeit, sämtliche Artikel anzusehen und anzufassen; bemerkenswert vor allem bei höherpreisigen Sortimentsbereichen wie Möbel und Elektronik

− Kooperativer Ansatz; das Unternehmen befindet sich im Besitz der Mitarbeiter, was zu einem qualitativ hochwertigen Service vor Ort führt

− Große Auswahl an Dienstleistungen wie Einbau und Installation sowie persönliche Typberatung

• Komplett integrierte Website erweitert und vertieft das Einkaufserlebnis in den Läden:

− Terminals in den Filialen erlauben die Suche, die Prüfung von Verfügbarkeiten sowie Onlinebestellungen

− Kostenloses „Click and Collect“ mit landesweiter Abdeckung dank Zusammenarbeit mit der Schwesterfirma Waitrose, einer Supermarktkette

− Zusammenstellung und Präsentation von Geschenkelisten in den Läden; Ansicht und Bestellung auch online möglich

• Die Läden sind unverzichtbar, um Produkte auszuprobieren oder auch um an Events und Kursen teilzunehmen

• Der Onlineauftritt enthält Rezensionen sowie Ratings und umfasst sämtliche Produkte

• Effektive Integration der beiden Kanäle, sodass Kunden:

− Kurse und Events per App buchen können

− Produkte in den Läden mit ihrem Smartphone scannen können, um Ratings und Rezensionen zu sehen

− auf Downloads von Musik, Magazinen und Büchern mit der „Sephora Shares“-App zugreifen können; diese App erhöhte die Akzeptanz der Technologie enorm

Ertragsmodell • Das Onlinegeschäft treibt das Wachstum: Im Weihnachtsgeschäft 2014 entfiel hierauf mehr als ein Drittel der Umsätze; einem Onlinewachstum von 19,2 Prozent stand ein Anstieg der Umsätze in den Filialen um 3,3 Prozent gegenüber

• Entwicklung neuer, kleinerer Filialen mit einem abgestimmten Sortiment ergänzt um Terminals für Onlinebestellungen

• Die Integration stützt das zugrunde liegende Modell eines Sortimentsspezialisten; das Unternehmen profitiert von der weitergehenden Differenzierung und einer höheren Loyalität

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ONLINE

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Abbildung 7: Überblick über die vier rentablen Modelle im Onlinehandel

MODELL 1: PREISFÜHRER

MODELL 2: SORTIMENTSSPEZIALIST

MODELL 3: STANDARDZIEL

MODELL 4: ERLEBNISGESTALTER

Wo das Modell funktioniert

Bei Produkten, die online gesucht und einzeln gekauft werden, und deren Kauf einfachen Regeln unterliegt

Bei komplexen Kaufanlässen mit mittlerer Einkaufsfrequenz, bei eigenständigen Sortimentsbereichen, die nicht mit anderen Produkten zusammen gekauft werden sowie bei zahlreichen Interdependenzen zwischen einzelnen Artikeln

In Kundensegmenten mit breit gefächerten, aber identifizierbaren Bedürfnissen

Bei komplexen Einkaufsvorgängen, wo weder rein stationäre noch rein internetbasierte Modelle das bestmögliche Erlebnis bieten können; hinzu kommen Sortimentsbereiche, bei denen die Auswahl in hohem Maß subjektiven Kriterien unterliegt

Wie das Modell Kunden gewinnt

Bei jeder Suche bietet es den besten Preis

Die Kunden wissen, wo sie die Produkte finden, die am besten ihren Bedürfnissen entsprechen

Mit einer bequemen Abdeckung sämtlicher Kundenbedürfnisse zu verlässlich niedrigen Preisen

Indem es ihr Leben einfacher und besser macht

Wie sich Gewinne erzielen lassen

Durch besonders günstige Lieferkonditionen und niedrige Kostenstrukturen

Eine natürliche Marge ergibt sich durch die Differenzierung des Angebots und die langfristige Loyalität der Kunden; sie basiert auf einem nur schwer nachahmbaren Kundenerlebnis

Durch Etablierung als Standardziel für Einkäufe

Es entsteht eine völlig neue Art von Einzelhändlern, die sich durch ein einzigartiges Angebot und zugleich ein Filialnetz in der richtigen Größe differenzieren

Heute In fünf Jahren

Reine Onlinepräsenz

Starke stationäre Präsenz

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SITI

ON

IER

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G

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FAZIT

Ein Artikel auf dieser Abstraktionsebene kommt ohne

Vereinfachungen nicht aus. Aber gerade diese helfen, die

entscheidenden Möglichkeiten einer langfristigen Wertsteigerung zu

erkennen. Ohne Frage ist E-Commerce eine besonders anspruchsvolle

Disziplin des Einzelhandels. Folgerichtig ist allen in Abbildung 7

zusammengefassten Geschäftsmodellen ein Thema gemein: Für

den Erfolg bedarf es bahnbrechender Innovationen und nicht nur

schrittweiser Verbesserungen. Ein hohes Maß echter Kreativität

und Durchsetzungskraft ist nötig, um einem Geschäftsmodell zum

Durchbruch zu verhelfen, das auf einem der vier hier vorgestellten

Ansätze beruht – zumal sich der technische Fortschritt beschleunigt und

sich der Wettbewerb ständig verschärft. Ein behutsames Vorgehen wird

nicht ausreichen, um langfristig die Gewinne zu sichern.

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ONLINE

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PUBLIKATIONENVON OLIVER WYMAN

www.oliverwyman.de www.oliverwyman.com

PERSPECTIVES ON MANUFACTURING INDUSTRIESDas jährliche Branchenmagazin für Entscheider im Maschinen- und Anlagenbau enthält zahlreiche Beiträge zu den Chancen und Handlungsoptionen von Industrieunternehmen.

TEN IDEAS FROM OLIVER WYMAN, AUSGABE 2Die zweite Ausgabe beschreibt, wie Unternehmen unterschiedlicher Branchen auf die Herausforderungen sich verändernder Kundenbedürfnisse reagieren und den steigenden Erwartungen gerecht werden können.

THE OLIVER WYMAN AUTOMOTIVE MANAGERDie jährliche Publikation für die Entscheider der Automobilindustrie bietet Herstellern, Zulieferern und dem Handel tiefe Einblicke in Themen entlang der gesamten Wertschöpfungskette.

OLIVER WYMAN ENERGY JOURNAL, AUSGABE 1Diese erste Ausgabe der Publikation liefert Einblicke in aktuelle Trends und Herausforderungen der Energiebranche und zeigt auf, wie Unternehmen auf diese Veränderungen reagieren können.

INCUMBENTS IN THE DIGITAL WORLDDie Publikation erläutert, wie etablierte Organisationen in einem durch digitale Disruptoren geprägten Markt letztlich gewinnen können.

THE INTERNET OF THINGSDas Internet der Dinge beeinflusst etablierte Anbieter in den Bereichen Versicherung, Fertigung, Dienstleistung, Telekommunikation, Einzelhandel, Vertrieb und Energieversorgung.

THE OLIVER WYMAN AND MORGAN STANLEY WHOLESALE INVESTMENT BANKING OUTLOOK 2015Die Studie untersucht die Herausforderungen des globalen Wertpapiergeschäfts mit einem Gesamtwert von 750 Milliarden US-Dollar Jahresumsatz.

OLIVER WYMAN CMT JOURNAL, AUSGABE 2Die zweite Ausgabe der jährlich erscheinenden Publikation veranschaulicht, wie zunehmend umkämpfte und digitalisierte Märkte erfolgreich navigiert werden können.

LAGGARDS WILL BE LOSERS

INCUMBENTS IN THE

DIGITAL WORLD

THE INTERNET OF THINGS DISRUPTING TRADITIONAL BUSINESS MODELS

VOLUME 2

FROM OLIVER WYMANTEN IDEAS

March 19, 2015

Morgan Stanley does and seeks to do business with companies covered in Morgan Stanley Research. As a result, investors should be aware that the firm may have a conflict of interest that could affect the objectivity of Morgan Stanley Research. Investors should consider Morgan Stanley Research as only a single factor in making their investment decision.For analyst certification and other important disclosures, refer to the Disclosure Section, located a t the end of this report.* = This Research Report has been partially prepared by analysts employed by non -U.S. affiliates of the member. += Analysts employed by non-U.S. affiliates are not registered with FINRA, may not be associated persons of the member and may not be subject to NASD/NYSE restrictions on communications with a subject company, public appearances and trading securities held by a research analyst a ccount.

B L U E P A P E R

Wholesale & Investment Banking OutlookLiquidity Conundrum: Shifting risks, what it meansFinancial regulation and QE are at the heart of a huge shift in liquidity risk from banks to the buy-side, which is increasingly a concern for policy makers. This shiftis far from over: we expect liquidity in sell-side markets to deteriorate further, as regulation shrinks banks’ capacity another 10-15% over the next two years. Our interviews with asset managers highlighted their concerns over scarcer secondary market liquidity, particularly in credit and in Europe.

Regulatory risks are rising for asset managers, as policy makers worry about the risks to financial stability from US QE exit and market structure changes. Our base case is the initial set of reforms follow an incremental approach that involves stress testing of select funds and a range of micro reforms. This could add an extra cost of 1-5%to asset managers, albeit the largest firms are already well placed on this.

To calibrate possible stress tests, we’ve analysed the periods of worst fund redemptions in the last 35 years. For instance, fixed income mutual fund outflows in 1994 were on average ~5% in the worst 3 months vs 4-7% fund cash holdings today, which gives us some reassurance. However regulators may wish to test for an even tougher scenario at a fund level. Our bear case is for a more profound longer-term change in regulation that would hit profits and investment flexibility.

For the banks, diminishing returns on capital from market making demand even greater efficiency, dexterity and scale to achieve 10-12% returns. More firms will trim this business, ultimately leaving a potentially attractive prize for those able to endure.

M O R G A N S T A N L E Y R E S E A R C HG l o b a l

Huw van Steenis1

+44 (0)20 7425 9747

Betsy Graseck2

+1 212 761 8473

Bruce Hamilton1

+44 (0)20 7425 7597

Vishwanath Tirupattur 2

+1 212 761 1043

Tom Whitehead2

+1 212 761 5672

Canset Eroglu1

+44 (0)20 7425 0477

Christian Edelmann+1 212 345 3589

Ted Moynihan+44 (0)20 7852 7555

James Davis+44 (0)20 7852 7631

Michael Turner+44 (0)20 7852 7845

Robert Rogers+44 (0)20 7852 7642

Maxim Olliver+44 (0)20 7852 7605

Oliver Wyman is a global leader in management consulting. For more information, visit www.oliverwyman.com.

Oliver Wyman is not authorized or regulated by the PRA or the FCA and is not providing investment advice. Oliver Wyman authors are not research analysts and are neither FCA nor FINRA registered. Oliver Wyman authors have only contributed their expertise on business strategy within the report. Oliver Wyman’s views are clearly delineated. The securities and valuation sections of report are the work of Morgan Stanley only and not Oliver Wyman.

For disclosures specifically pertaining to Oliver Wyman please see the Disclosure Section located at the end of this report.

1Morgan Stanley & Co. International plc+2Morgan Stanley & Co. Incorporated

Morgan Stanley Blue Papers focus on criticalinvestment themes that require coordinatedperspectives across industry sectors, regions,or asset classes.

AUTOMOTIVEMANAGERTRENDS, OPPORTUNITIES, AND SOLUTIONS ALONG THE ENTIRE VALUE CHAINCOVER STORY: THE TRUE VALUE OF AUTONOMOUS DRIVING

2015

THE OLIVER WYMAN

TMC JOURNALVOLUME 2

NAMYW REVILO EHT

ENERGY JOURNAL

VOLUME 1 | 2014

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THE OLIVER WYMAN ONLINE RETAIL REPORTDie Artikel erklären, wie stationäre Einzelhändler Umsatzverluste durch in den Markt drängende Onlineanbieter vermeiden und selbst ein erfolgreiches Onlineangebot aufbauen können.

THE OLIVER WYMAN TRANSPORT & LOGISTICS JOURNALDie Publikation gibt Einblicke in aktuelle Themen und Trends der globalen Transport- und Logistikbranche und beleuchtet Herausforderungen in den Bereichen Transformation, Marketing, Finanzen und Operations.

THE PROCUREMENT PLAYBOOKDie Publikation beschreibt Strategien und Best Practices von 100 Chief Procurement Officers.

WELCOME TO THE HUMAN ERADer Report definiert, was es bedeutet, ein Unternehmen der „Human Era“ zu sein, und beschreibt ein neues Modell für den Aufbau verlässlicher, authentischer Beziehungen.

THE OLIVER WYMAN RISK JOURNAL, AUSGABE 4Die vierte Ausgabe der branchenübergreifenden Publikation beschreibt aus unterschiedlichen Perspektiven komplexe Risiken, die die Zukunft vieler Unternehmen bestimmen werden.

THE PATIENT-TO-CONSUMER REVOLUTIONDer Report zeigt, wie Hightech, transparente Märkte und die Verbrauchernachfrage das Gesundheitswesen der USA grundlegend verändern und zu wesentlichen Verbesserungen bei der Qualität, den Kosten und beim Zugang zu medizinischer Versorgung führen.

THE STATE OF FINANCIAL SERVICES 2015Diese 18. Ausgabe erklärt, dass die zunehmende Komplexität der Finanzbranche einer der wichtigsten Treiber der sinkenden Profitabilität von Banken und Versicherungen ist, und gibt Aufschluss, wie Unternehmen damit umgehen können.

WOMEN IN FINANCIAL SERVICESDie Studie untersucht die Frage, was Frauen daran hindert, an die Spitze von Finanzinstituten vorzustoßen, und wie die Branche Hindernisse beseitigen kann.

THE OLIVER WYMAN

ONLINE RETAILREPORTTHE GAME IS CHANGING

FALL 2014

TRANSPORT & LOGISTICS

TRANSFORMATION | Disruptive Logistics, Aviation Biofuels MARKETING | Mobility 2020, Customer Innovation FINANCE | HSR Funding, 3PL Profitability OPERATIONS | Manager Excellence, MRO Survey And more…

Health & Life Sciences

HOW HIGH TECH, TRANSPARENT MARKETPLACES, AND CONSUMER POWER ARE TRANSFORMING U.S. HEALTHCARE

Tom Main • Adrian Slywotzky

THE

CONSUMER REVOLUTION

VOLUME 4 | 2014

THE OLIVER WYMAN

PERSPECTIVES ON THE RISKS THAT WILL DETERMINE YOUR COMPANY’S FUTURE

RISK JOURNAL

EHT

TNEMERUCORP KOOBYALP

OPC 001 MORF SYALP DNA SEIGETARTS

MANAGING COMPLEXITYTHE STATE OF THE FINANCIAL SERVICES INDUSTRY 2015

Welcome to the Human EraThe new model for building trusted connections, and what brands need to do about it

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JAMES BACOS

Global Retail Practice [email protected]

+49 89 939 49 441

CHRIS BAKER

North American Retail Practice [email protected]

+1 312 345 2965

WAI-CHAN CHAN

Asian Retail Practice [email protected]

+852 2201 1700

BERNARD DEMEURE

French Retail Practice [email protected]

+33 1 4502 3209

NICK HARRISON

European Retail Practice [email protected]

+44 20 7852 7773

RICHARD McKENZIE

Asian Retail Practice [email protected]

+852 2201 1700

MARÍA MIRALLES CORTÉS

Iberian Retail Practice [email protected]

+34 615 036 406

SIRKO SIEMSSEN

European Retail Practice [email protected]

+49 89 939 49 574

FREDERIC THOMAS-DUPUIS

North American Retail Practice [email protected]

+1 514 350 7208

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ÜBER OLIVER WYMAN

Oliver Wyman ist eine international führende Managementberatung mit weltweit 3.700 Mitarbeitern in mehr als 50 Büros in 26 Ländern. Das Unternehmen verbindet ausgeprägte Branchenspezialisierung mit hoher Methodenkompetenz bei Strategieentwicklung, Prozessdesign, Risikomanagement und Organisationsberatung. Gemeinsam mit Kunden entwirft und realisiert Oliver Wyman nachhaltige Wachstumsstrategien. Wir unterstützen Unternehmen dabei, ihre Geschäftsmodelle, Prozesse, IT, Risikostrukturen und Organisationen zu verbessern, Abläufe zu beschleunigen und Marktchancen optimal zu nutzen. Oliver Wyman ist eine hundertprozentige Tochter von Marsh & McLennan Companies (NYSE: MMC).

Weitere Informationen finden Sie unter www.oliverwyman.de.