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Der Entscheid, das World Economic Forum (WEF) auch nach dem Wegzug von Davos vor seiner Haustüre mit Alternativen zu konfrontieren, bedeutete fürs Public-Eye-Team den Sprung ins kalte Wasser. Würde das, was im Bergkurort durchführbar war, auch im mächtigsten Finanzzentrum der Welt möglich sein? Ja! Und wie. Das Public Eye ist gewachsen. Wir organisierten neun Diskussionsveranstaltungen im UNO-Kirchenzentrum in New York, die alle gut besucht waren, insgesamt kamen mehr als 1500 Zuschauerinnen und Zuschauer. Und es wurde diskutiert. Nicht nur auf den Podien, für die aus allen fünf Kontinenten 40 Red- nerinnen und Redner angereist waren, sondern auch im Publikum. Das Public Eye festigte die Zusammenarbeit mit dem Weltso- zialforum in Porto Alegre. Mit Marcelo Lucca kam ein Botschaf- ter des Weltsozialforums zu uns. Einer der vielen Höhepunkte war die Schlussdiskussion. Wir freuten uns sehr, dass daran auch die neue Generalsekretä- rin von Amnesty International teilnahm und die Offenheit und die Qualität unseres Podiums lobte. «Eine solche Diskussion», sagte Irene Khan, die selbst am WEF teilgenommen hat, «wäre dort nicht denkbar.» Die kürzeste, prägnanteste und poetischste Bilanz stammte von Yash Tandon vom International South Group Network aus Zimbabwe: «Wir haben am Public Eye auf zwei unterschiedlichen Ebenen diskutiert. Auf einer technischen Ebene, beispielsweise derjenigen der WTO-Abkommen, wo wir die Details kennen und um Sätze kämpfen müssen. So können wir Schilder aufbauen, um die Menschen vor neuen Liberalisierungsrunden zu schützen. Und wir haben von den Samen der Zukunft gesprochen. Wir brau- chen viele solche Samen – Ideen und konkrete Projekte. Wir müssen heute schon eine andere Welt ausprobieren. Denn wenn die ‹Titanic› sinkt, werden viele Schiffe kommen, kleine und gros- se, um die Menschen aufzunehmen.» Ihr EvB-Public-Eye-Team Tenor am Public Eye: Schluss mit dem Spiel ohne Grenzen DONNERSTAG, 7. FEBRUAR 2002 VOL. I N. 1 EDITED AND PUBLISHED IN ZURICH WWW.EVB.CH THE PUBLIC EYE IN NEW YORK EvB-Magazin-Sonderausgabe 1b/2002 Ideen und Projekte für eine andere Welt Vier Tage lang «Public Eye on Davos» in New York. In einer Stadt, die norma- lerweise weder über «Entschleunigung» nachdenkt noch ein besonders soziales Herz hat. Big Apple NYC ist eine Stadt, künstlich, laut, gefährlich wie Kokain. Ar tikel auf Seite 5 Durchlauferhitzer Die Investmentbanken von der Wall Street machen nicht nur Geschäfte, sondern auch Politik. Ar tikel auf Seite 8 KOLUMNE Stichwort Verantwortung: In der indischen Stadt Bhopal führte 1984 Schlamperei in einer veralteten Anlage des US-Multis Union Carbide und wissentliche Missachtung von Sicher- heitsnormen zum schlimmsten Chemieunfall in der Geschichte. Sathyu Sarangi aus Bhopal berichtete am Public Eye über das Schicksal der Überlebenden. Die Katastrophe traf eine halbe Million Menschen. 8000 verloren ihr Le- ben, noch heute sterben jeden Monat 30 Men- schen an den Spätfolgen des Unfalls. Tödliche Krankheiten wie Krebs und Tuberkulose sind in Bhopal viermal häufiger als sonst in Indien. Die Unfallstelle wurde nie korrekt gesäubert, das Wasser für mehr als 20 000 Menschen ist stark mit Schwermetallen und Giften verseucht. Weder die verantwortliche Firma Union Car- bide noch die beteiligten Manager wurden für die Katastrophe zur Rechenschaft gezogen. Dow Chemical, die Firma, die Union Carbide kaufte, brachte kürzlich in Indien ein Produkt als «harmlos für Mensch und Tier» auf den Markt, nachdem dieses in den USA wegen ge- fährlicher Substanzen verboten worden war. Stichwort Transparenz: Die Bankrott ge- gangene US-Energiehandelsfirma Enron hat sich rechtsfreie Räume geschaffen. Der Re- cherchierjournalist Greg Palast zeigte am Pu- blic Eye auf, wie Enron mit grosszügigen Wahlkampfspenden mithalf, den Energiemarkt zu deregulieren. Zudem schaffte es die Firma, die Regulierungsstandards abzuschwächen, damit Enrons Machenschaften nicht kontrol- liert wurden. Enron manipulierte Umsatzzah- len und jagte so den Aktienkurs in die Höhe. Kurz bevor der Schwindel aufflog, verkauften die Topmanager – alles regelmässige WEF-Be- sucher – ihre Enron-Aktien und kassierten Millionen ab. Die ArbeiterInnen und Ange- stellten hingegen verloren alles, sogar ihre Pensionskassengelder. Enron spannte die Po- litiker auch für ihre Geschäfte in Afrika ein, wie Thelma Awori, Exdirektorin des UNO-Um- weltprogramms für Afrika, erzählte. Der US- Botschafter in Moçambique drohte, dass die USA 100 Millionen Dollar Entwicklungshilfe- gelder nicht mehr verantworten könnten, so- fern die Regierung der Firma Enron nicht er- laube, die reichen Ölfelder vor der Küste auszubeuten. Stichwort Regeln: Clare Joy von World De- velopment Movement in England stellte eine entscheidende Frage zum Verhalten der Kon- zerne im Süden: «Welche Regeln brauchen die Länder des Südens, damit Investitionen der Konzerne neue und gute Arbeitsplätze schaf- fen, damit den Kleinbauern faire Preise be- zahlt werden, damit Frauen mehr verdienen und damit die Konzerne Steuern bezahlen?» Durch die bisherigen formellen und informel- len Regeln der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Welthandels- organisation (WTO) wurden diesen Ländern alle Mittel aus der Hand genommen, um ge- staltend eingreifen zu können. Sie müssen die Mittel zurückerhalten, um das Richtige tun zu können. Für Yash Tandon, Wirtschaftsprofessor aus Zimbabwe, geht es zuallererst darum, My- then über die Investitionen der Konzerne im Süden zu beseitigen. Es ist ein Mythos, dass Investitionen den Ländern Kapital bringen. Oft geben die Regierungen viel Geld aus für Infra- struktur und verzichten auf Steuern, um die Firmen anzuziehen, wie Marcelo Lucca aus Porto Alegre am Beispiel von Ford in Rio Grande do Sul aufzeigte (ausführlicher Be- richt siehe Seite 2, Bundesrat-Besuch). Der Kapitalabfluss aus dem Süden ist bei einer In- vestition immer grösser als der Zufluss. Inves- tiert wird dort, wo mehr herauszuholen als hereinzustecken ist. Der zweite Mythos be- sagt, dass Investitionen Technologien ins Land bringen. Nehmen wir als Beispiel einen Zulieferbetrieb in der Textilindustrie; dieser braucht eine Blechhalle und Nähmaschinen. Aber auch wenn modernere Maschinen einge- setzt werden, heisst das noch lange nicht, dass die lokalen MitarbeiterInnen Zugang zu diesen Technologien haben. Autofabriken beispiels- weise bringen heutzutage ihre Zulieferfabrik mitsamt Personal gleich mit. Sie kaufen nicht eine Schraube von einer lokalen Firma. Wird eine solche Zulieferfabrik geschlossen oder verlegt, bleibt nichts zurück als ein leeres Fa- brikgelände. Der dritte und letzte Mythos ver- spricht Wachstum bei Investitionen: Es gibt zwar einen eindeutigen Zusammenhang zwi- schen Investitionen und Wachstum. Doch es ist das Wachstum, das die Investitionen an- zieht. Eine Wirtschaft wächst, wenn die Men- schen gesund und gut ausgebildet sind. Regie- rungen sollten deswegen in erster Linie darum besorgt sein, ins eigene Land und in dessen Bevölkerung zu investieren. am Transnationale Unternehmen müssen transparenter werden und Verantwortung übernehmen. Deshalb brauchen sie mehr Kontrolle und Regeln. Warum ein «Wall Street Special» «The Public Eye on Davos», die von der entwicklungspolitischen Organisation Erklä- rung von Bern (EvB) koordinierte Parallel- konferenz zum World Economic Forum (WEF), fand dieses Jahr, vom 30. Januar bis zum 3. Februar, anstatt in Davos im UNO-Kir- chenzentrum in New York statt. An der dritten Public-Eye-Konferenz stellten Frauen und Männer aus allen Kontinenten Alternativen zur Globalisierung der mächtigsten Konzerne vor. (Mehr Informationen zur Public-Eye-Kon- ferenz auf Seite 6.) Die EvB ärgert sich immer wieder darü- ber, dass die kritischen Inhalte der Public-Eye- Veranstaltungen von den Medien kaum zur Kenntnis genommen werden (mit der löb- lichen Ausnahme der zweitältesten Wochen- zeitung der Schweiz). Die «Sonntagszeitung» beispielsweise klaute der EvB zwar den Titel der Dokumentation über das WEF in New York, verlor aber kein Wort über deren kriti- schen Inhalt. Also: Grund genug für die EvB, eine eigene Zeitung zu drucken, um über die Diskussionen in New York zu berichten. Doch woher rührt der Name «Wall Street Special»? Die EvB erlaubte sich, die «Wall Street» (zu Deutsch: Wand- oder Mauer-Strasse) als Synonym für Manhattan zu verwenden, ob- wohl das Public Eye sowie das WEF einige U-Bahn-Stationen von der Wall Street entfernt tagten. Hinzu kommt, dass «The Wall Street Journal» eine der führenden Wirtschaftszei- tungen der Welt ist, die einseitig die Weltsicht der Wirtschaftsführer verbreiten. Unser «Spe- EvB-Team in New York. Von links: Christine Eberlein, Andreas Missbach, Angela Castagna Reif, Matthias Herfeldt (Koordinator der Public-Eye-Konferenz). Podiumsdiskussion Die Mainstream-Ökonomie wird herausgefordert. Ar tikel auf Seite 3 gm für EvB gm für EvB EvB-Mitarbeiter Andreas Missbach bläst zum Auftakt. Pressekonferenz des Public Eye in New York, 31. Januar 2002. cial» beleuchtet die andere Seite. Schliesslich ist die «Wall Street» auch ein Symbol für eine ganz besondere Sorte von Banken, die wir in dieser Zeitung genauer unter die Lupe nehmen. am

The Public Eye in New York - Wall Street Special

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Die Sonderausgabe zum WEF in New York

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Page 1: The Public Eye in New York - Wall Street Special

Der Entscheid, das World Economic Forum (WEF) auch nachdem Wegzug von Davos vor seiner Haustüre mit Alternativen zukonfrontieren, bedeutete fürs Public-Eye-Team den Sprung inskalte Wasser. Würde das, was im Bergkurort durchführbar war,auch im mächtigsten Finanzzentrum der Welt möglich sein?

Ja! Und wie. Das Public Eye ist gewachsen. Wir organisiertenneun Diskussionsveranstaltungen im UNO-Kirchenzentrum inNew York, die alle gut besucht waren, insgesamt kamen mehr als1500 Zuschauerinnen und Zuschauer. Und es wurde diskutiert.Nicht nur auf den Podien, für die aus allen fünf Kontinenten 40 Red-nerinnen und Redner angereist waren, sondern auch im Publikum.

Das Public Eye festigte die Zusammenarbeit mit dem Weltso-zialforum in Porto Alegre. Mit Marcelo Lucca kam ein Botschaf-ter des Weltsozialforums zu uns.

Einer der vielen Höhepunkte war die Schlussdiskussion. Wir freuten uns sehr, dass daran auch die neue Generalsekretä-rin von Amnesty International teilnahm und die Offenheit und dieQualität unseres Podiums lobte. «Eine solche Diskussion», sagte Irene Khan, die selbst am WEF teilgenommen hat, «wäre dortnicht denkbar.»

Die kürzeste, prägnanteste und poetischste Bilanz stammtevon Yash Tandon vom International South Group Network ausZimbabwe: «Wir haben am Public Eye auf zwei unterschiedlichenEbenen diskutiert. Auf einer technischen Ebene, beispielsweisederjenigen der WTO-Abkommen, wo wir die Details kennen undum Sätze kämpfen müssen. So können wir Schilder aufbauen, umdie Menschen vor neuen Liberalisierungsrunden zu schützen.Und wir haben von den Samen der Zukunft gesprochen. Wir brau-chen viele solche Samen – Ideen und konkrete Projekte. Wirmüssen heute schon eine andere Welt ausprobieren. Denn wenndie ‹Titanic› sinkt, werden viele Schiffe kommen, kleine und gros-se, um die Menschen aufzunehmen.»

Ihr EvB-Public-Eye-Team

Tenor am Public Eye: Schlussmit dem Spiel ohne Grenzen

DONNERSTAG, 7. FEBRUAR 2002VOL. I N. 1 EDITED AND PUBLISHED IN ZURICH WWW.EVB.CH

T H E P U B L I C E Y E I N N E W Y O R K

EvB-Magazin-Sonderausgabe 1b/2002

Ideen und Projekte für eineandere WeltVier Tage lang «Public Eye on Davos» in New York. In einer Stadt, die norma-lerweise weder über «Entschleunigung»nachdenkt noch ein besonders sozialesHerz hat.

Big AppleNYC ist eine Stadt, künstlich, laut, gefährlich wie Kokain.

Artikel auf Seite 5

DurchlauferhitzerDie Investmentbanken von der Wall Street machen nicht nurGeschäfte, sondern auch Politik.

Artikel auf Seite 8

KOLUMNE

Stichwort Verantwortung: In der indischenStadt Bhopal führte 1984 Schlamperei in einerveralteten Anlage des US-Multis Union Carbideund wissentliche Missachtung von Sicher-heitsnormen zum schlimmsten Chemieunfallin der Geschichte. Sathyu Sarangi aus Bhopalberichtete am Public Eye über das Schicksalder Überlebenden. Die Katastrophe traf einehalbe Million Menschen. 8000 verloren ihr Le-ben, noch heute sterben jeden Monat 30 Men-schen an den Spätfolgen des Unfalls. TödlicheKrankheiten wie Krebs und Tuberkulose sindin Bhopal viermal häufiger als sonst in Indien.Die Unfallstelle wurde nie korrekt gesäubert,das Wasser für mehr als 20 000 Menschen iststark mit Schwermetallen und Giften verseucht.Weder die verantwortliche Firma Union Car-bide noch die beteiligten Manager wurden fürdie Katastrophe zur Rechenschaft gezogen.Dow Chemical, die Firma, die Union Carbidekaufte, brachte kürzlich in Indien ein Produktals «harmlos für Mensch und Tier» auf denMarkt, nachdem dieses in den USA wegen ge-fährlicher Substanzen verboten worden war.

Stichwort Transparenz: Die Bankrott ge-gangene US-Energiehandelsfirma Enron hatsich rechtsfreie Räume geschaffen. Der Re-cherchierjournalist Greg Palast zeigte am Pu-blic Eye auf, wie Enron mit grosszügigenWahlkampfspenden mithalf, den Energiemarktzu deregulieren. Zudem schaffte es die Firma,die Regulierungsstandards abzuschwächen,damit Enrons Machenschaften nicht kontrol-liert wurden. Enron manipulierte Umsatzzah-len und jagte so den Aktienkurs in die Höhe.

Kurz bevor der Schwindel aufflog, verkauftendie Topmanager – alles regelmässige WEF-Be-sucher – ihre Enron-Aktien und kassiertenMillionen ab. Die ArbeiterInnen und Ange-stellten hingegen verloren alles, sogar ihrePensionskassengelder. Enron spannte die Po-litiker auch für ihre Geschäfte in Afrika ein,wie Thelma Awori, Exdirektorin des UNO-Um-weltprogramms für Afrika, erzählte. Der US-Botschafter in Moçambique drohte, dass dieUSA 100 Millionen Dollar Entwicklungshilfe-gelder nicht mehr verantworten könnten, so-fern die Regierung der Firma Enron nicht er-laube, die reichen Ölfelder vor der Küsteauszubeuten.

Stichwort Regeln: Clare Joy von World De-velopment Movement in England stellte eineentscheidende Frage zum Verhalten der Kon-zerne im Süden: «Welche Regeln brauchen dieLänder des Südens, damit Investitionen derKonzerne neue und gute Arbeitsplätze schaf-fen, damit den Kleinbauern faire Preise be-zahlt werden, damit Frauen mehr verdienenund damit die Konzerne Steuern bezahlen?»Durch die bisherigen formellen und informel-len Regeln der Weltbank, des InternationalenWährungsfonds (IWF) und der Welthandels-organisation (WTO) wurden diesen Ländernalle Mittel aus der Hand genommen, um ge-staltend eingreifen zu können. Sie müssen dieMittel zurückerhalten, um das Richtige tun zukönnen.

Für Yash Tandon, Wirtschaftsprofessoraus Zimbabwe, geht es zuallererst darum, My-then über die Investitionen der Konzerne im

Süden zu beseitigen. Es ist ein Mythos, dassInvestitionen den Ländern Kapital bringen. Oftgeben die Regierungen viel Geld aus für Infra-struktur und verzichten auf Steuern, um dieFirmen anzuziehen, wie Marcelo Lucca ausPorto Alegre am Beispiel von Ford in RioGrande do Sul aufzeigte (ausführlicher Be-richt siehe Seite 2, Bundesrat-Besuch). DerKapitalabfluss aus dem Süden ist bei einer In-vestition immer grösser als der Zufluss. Inves-tiert wird dort, wo mehr herauszuholen alshereinzustecken ist. Der zweite Mythos be-sagt, dass Investitionen Technologien insLand bringen. Nehmen wir als Beispiel einenZulieferbetrieb in der Textilindustrie; dieserbraucht eine Blechhalle und Nähmaschinen.Aber auch wenn modernere Maschinen einge-setzt werden, heisst das noch lange nicht, dassdie lokalen MitarbeiterInnen Zugang zu diesenTechnologien haben. Autofabriken beispiels-weise bringen heutzutage ihre Zulieferfabrikmitsamt Personal gleich mit. Sie kaufen nichteine Schraube von einer lokalen Firma. Wirdeine solche Zulieferfabrik geschlossen oderverlegt, bleibt nichts zurück als ein leeres Fa-brikgelände. Der dritte und letzte Mythos ver-spricht Wachstum bei Investitionen: Es gibtzwar einen eindeutigen Zusammenhang zwi-schen Investitionen und Wachstum. Doch esist das Wachstum, das die Investitionen an-zieht. Eine Wirtschaft wächst, wenn die Men-schen gesund und gut ausgebildet sind. Regie-rungen sollten deswegen in erster Liniedarum besorgt sein, ins eigene Land und indessen Bevölkerung zu investieren. am

Transnationale Unternehmen müssen transparenter werden und Verantwortung übernehmen. Deshalb brauchen sie mehrKontrolle und Regeln.

Warum ein «Wall Street Special» «The Public Eye on Davos», die von der

entwicklungspolitischen Organisation Erklä-rung von Bern (EvB) koordinierte Parallel-konferenz zum World Economic Forum(WEF), fand dieses Jahr, vom 30. Januar biszum 3. Februar, anstatt in Davos im UNO-Kir-chenzentrum in New York statt. An der drittenPublic-Eye-Konferenz stellten Frauen undMänner aus allen Kontinenten Alternativenzur Globalisierung der mächtigsten Konzernevor. (Mehr Informationen zur Public-Eye-Kon-ferenz auf Seite 6.)

Die EvB ärgert sich immer wieder darü-ber, dass die kritischen Inhalte der Public-Eye-Veranstaltungen von den Medien kaum zurKenntnis genommen werden (mit der löb-lichen Ausnahme der zweitältesten Wochen-zeitung der Schweiz). Die «Sonntagszeitung»beispielsweise klaute der EvB zwar den Titelder Dokumentation über das WEF in NewYork, verlor aber kein Wort über deren kriti-schen Inhalt.

Also: Grund genug für die EvB, eine eigeneZeitung zu drucken, um über die Diskussionenin New York zu berichten. Doch woher rührtder Name «Wall Street Special»?

Die EvB erlaubte sich, die «Wall Street»(zu Deutsch: Wand- oder Mauer-Strasse) alsSynonym für Manhattan zu verwenden, ob-wohl das Public Eye sowie das WEF einige U-Bahn-Stationen von der Wall Street entfernt

tagten. Hinzu kommt, dass «The Wall StreetJournal» eine der führenden Wirtschaftszei-tungen der Welt ist, die einseitig die Weltsichtder Wirtschaftsführer verbreiten. Unser «Spe-

EvB-Team in New York. Von links: Christine Eberlein, Andreas Missbach, Angela Castagna Reif, Matthias Her feldt (Koordinator derPublic-Eye-Konferenz).

PodiumsdiskussionDie Mainstream-Ökonomie wird herausgefordert.

Artikel auf Seite 3

gm für EvB

gm für EvB

EvB-Mitarbeiter Andreas Missbach bläst zum Auftakt. Pressekonferenz des Public Eye in New York, 31. Januar 2002.

cial» beleuchtet die andere Seite. Schliesslichist die «Wall Street» auch ein Symbol für eineganz besondere Sorte von Banken, die wir indieser Zeitung genauer unter die Lupe nehmen.

am

Page 2: The Public Eye in New York - Wall Street Special

EVB-MAGAZIN-SONDERAUSGABE DONNERSTAG, 7. FEBRUAR 2002

rung Wohlstand schaffe und das Gefälle zwi-schen Armen und Reichen reduziere. Auch indiesem Punkt, so vermutete er in seiner Rede,seien sich WEF- und Public-Eye-BesucherIn-nen einig.

Die der Erklärung von Bern (EvB) vorlie-genden Zahlen zeigen jedoch ein anderes Bild:Die Globalisierung hat weltweit die Wachs-tumsraten verringert. Das Pro-Kopf-Einkom-men von 116 Ländern nahm in den Jahren vorder rasanten Globalisierung, das heisst von1960 bis 1980, um 83 Prozent zu, von 1980 bis2000 dagegen nur um 33 Prozent. In mehr alsdrei Vierteln der Länder nahm das Wachstumin den letzten zwei Jahrzehnten deutlich ab,ebenso die Fortschritte bei der Lebenserwar-

tung. Die Statistiken der UNO sind eindeutig,seit 1960 nimmt der Unterschied zwischen rei-chen und armen Ländern kontinuierlich zu.Ebenso sind die Einkommensunterschiedeinnerhalb der Länder grösser geworden.

Der Bundespräsident bezeichnete die Glo-balisierung als «vom Motor des technischenWandels angetrieben» und daher «objektiv ir-reversibel». Die EvB versteht die Globalisie-rung nicht als einen aufgezwungenen Prozess,sondern als das Ergebnis einer ganz bestimm-ten Politik, die auch anders gestaltet werdenkann. In den letzten zwei Jahrzehnten krem-pelten die Wirtschaftsführer die Welt in weiten Teilen völlig um: Zölle und andereHandelsschranken wurden abgebaut, der Ka-pitalmarkt liberalisiert und die internationalen Kapitalflüsse von allen Einschränkungen be-freit. Die WEF-Teilnehmer haben diese Politiknach Kräften gefördert. Die Regierungen desSüdens mussten sich an die Vorschriften desInternationalen Währungsfonds (IWF) undder Weltbank halten. Sie schraubten die Zin-sen hoch, kürzten Staatsausgaben, privatisier-ten und strichen Subventionen. Die negativenAuswirkungen der Globalisierung sind im We-sentlichen eine Folge dieser Politik.

Natürlich gab es in den letzten zwanzigJahren auch Entwicklungserfolge, vor allem inIndien und China. Diese beiden Länder be-folgten aber die Rezepte des IWF, der Welt-bank und der Welthandelsorganisation (WTO)viel weniger strikt als die Länder Lateinameri-kas und Afrikas. China etwa verletzt eine gan-ze Reihe von Dogmen der Liberalisierer: Eshat beispielsweise eine strikte staatliche Auf-sicht über das Bankenwesen und keine freikonvertierbare Währung. China ist der WTOeben erst beigetreten, und sowohl in China als auch in Indien begann die Zunahme desWachstums, lange bevor sie sich dem Aussen-handel stärker öffneten.

Falsche strategische ErfordernisseGar nicht einverstanden ist die EvB mit

den «strategischen Erfordernissen», die HerrVilliger erwähnt hat und die teilweise aus demalten Rezeptbuch der Globalisierer stammen.Villiger forderte «die weitere Liberalisierungder Märkte» und begrüsste die Ergebnisseder WTO-Konferenz in Doha. Die Entwick-

Am Eröffnungspodium des Public Eye verlas Bundespräsident Kaspar Villigereine Grussbotschaft. Die Organisatoren der alternativen Konferenz freuten sich über dieses Zeichen, hätten aber gerne mit Herrn Villiger über gemein-same Ansichten und Meinungsverschiedenheiten debattiert. Leider hatte der Bundespräsident dafür keine Zeit. Mit folgendem Artikel wird dies teil-weise nachgeholt.

EvB-Magazin-Sonderausgabe1b/2002 Februar und Beilage der WoZ vom 7.2.02Auflage 48 000

HERAUSGEBERINErklärung von Bern (EvB) Quellenstrasse 25, Postfach 8031 ZürichTelefon 01 277 70 00, Fax 01 277 70 01 [email protected], www.evb.ch

REDAKTION Andreas Missbach (am), EvB Angela Castagna Reif (ac), EvB Urs Sekinger (us), Solifonds Constantin Seibt (cit), WoZ

SCHLUSSREDAKTION Sibylle Spengler, Marianne Hochuli

FOTOSGraham Morrison (gm), New York Urs Sekinger, Porto Alegre

GESTALTUNG/PRODUKTIONClerici Partner, Zürich

KORREKTORAT Andrea Leuthold, Zürich

DRUCKROPRESS Genossenschaft Zürich

Das EvB-Magazin sowie Dokumen-tationen zu speziellen Themen er-scheinen 5- bis 6-mal jährlich. EvB-Magazin-Abonnement: Fr. 35.– proKalenderjahr, EvB-Mitgliedschaft: Fr. 50.– pro Kalenderjahr (inkl. Abonnement EvB-Magazin und EvB-Dokumentation). PC 80-8885-4. Weitere Informationen, Abos und Mitgliedschaften unter 01 277 70 00,[email protected], www.evb.ch

IMPRESSUM

lungsländer jedoch warten nach wie vor aufdie versprochenen Vorteile früherer Liberali-sierungsrunden. Liberalisierung als einfachesRezept für das Wohl aller Menschen hält auchder fachlichen Kritik nicht stand. Die Wirt-schaftsprofessoren Francisco Rodriguez undDani Rodrik der Universitäten Maryland undHarvard überprüften die meistzitierten Stu-dien, die sich für eine liberale Handelspolitikaussprechen. Sie fanden viele methodischeFehler, aber keinen Beweis, dass eine liberaleHandelspolitik das Wirtschaftswachstum för-dert: «Wir sind tatsächlich skeptisch, ob esüberhaupt ein eindeutiges, unzweifelhaftesVerhältnis zwischen Marktöffnung und Wirt-schaftswachstum gibt.» Keine ernst zu nehmen-de Stimme in der globalisierungskritischen Be-wegung fordert nationale Abschottung. Nurzweifeln diese Stimmen daran, dass Liberali-sierung als Entwicklungsstrategie für die Län-der des Südens ausreicht.

Weiter fordert Herr Villiger ein besseresInvestitionsklima in den Entwicklungsländern.Doch wie soll das verstanden werden? Die Re-alität sieht nämlich so aus, dass die Regierun-gen der Entwicklungsländer mit ihren knap-pen Mitteln die reichsten transnationalenKonzerne finanzieren. Die damalige bürgerli-che Regierung des brasilianischen Bundes-staates Rio Grande do Sul, so berichtete Mar-celo Lucca aus Porto Alegre am Public Eye,bot dem Automulti Ford für den Bau einerAutofabrik 200 Millionen Dollar Kredit, prak-tisch zum Nulltarif. Zudem versprach die Re-gierung, für 234 Millionen Dollar Strassen,Stromanschlüsse, Abwasserleitungen und so-gar einen privaten Flusshafen zu bauen. Hinzukam eine Steuerbefreiung für fünfzehn Jahre.Die Zugeständnisse gingen so weit, dass dieRegierung des Bundesstaates den Ford-An-gestellten eine Kinderkrippe versprach, ob-wohl die brasilianische Verfassung Firmen mitmehr als hundert Angestellten verpflichtet, ei-gene Kinderkrippen zu unterhalten. Krippenfür Ford-Angestellte statt Krippen für die Kin-der in den Armenvierteln. Die bürgerliche Re-gierung wollte diesen Segen für Ford (ähnli-che Verträge gab es auch mit General Motors,Dell Computers, Goodyear und Pirelli) finan-zieren, indem sie die Wasserversorgung unddie «Kantonalbank» von Rio Grande do Sul pri-vatisierte. Zum Glück wurde die bürgerlicheRegierung abgewählt, bevor sie den Vertragmit Ford erfüllen konnte.

Solche Fälle von «Sozialpolitik für Unter-nehmen» kamen am Nachmittag des erstenPublic-Eye-Tages auch an der Podiumsdiskus-sion über Exportrisikogarantien (ERG) zurSprache. Herr Villiger hätte hier hören kön-nen, wie er als Finanzminister bei der ERGGeld sparen könnte und dafür erst noch denApplaus der NGOs erhalten würde. Doch dazukam es leider nicht. Denn Herr Villiger hatteschon im Voraus angekündigt, dass er gleichnach seiner Rede, welche übrigens grössten-teils seiner Eröffnungsansprache am WEF ent-sprach, wieder Richtung Waldorf Astoria auf-brechen müsse. Dabei hatte Kaspar Villigerdoch eben gesagt: «Dialog bedingt Rede undZuhören. Letzterem wollte ich hier besondereBeachtung schenken.»

«Zwei Drittel der Menschen sind von denChancen, wie wir sie in der industrialisiertenWelt geniessen, ausgeschlossen. Es hungernimmer noch zu viele Menschen, und an zu vie-len Orten werden die Menschenrechte mitFüssen getreten.» Dieser Abschnitt aus derRede von Kaspar Villiger könnte auch von ei-ner Rednerin des Public Eye stammen. Jedochnicht mit allen Aussagen sind die Public-Eye-Veranstalter mit ihrem Gast gleichermasseneinverstanden: Die Globalisierung, so KasparVilliger, biete viele Chancen und habe Millio-nen von Menschen von Armut und Hunger be-freit. Er ist der Meinung, dass die Globalisie-

Gleiche Ziele, unterschiedliche Rezepte: Bundespräsident Kaspar Villiger spricht am Eröf fnungspodium der Public-Eye-Konferenz.

2 THE WALL STREET SPECIAL

Bundesrat-Besuch am Public Eye

ANDREAS MISSBACH

gm für EvB

«Welcome to Horizon», hiess uns die Auto-matenstimme freundlich willkommen, «interna-tionale Anrufe nicht möglich.» Trotz angeblichUSA-tauglichen Handys sowie Versicherungenunserer Telefongesellschaften, dass unseremobilen Telefone auch in den VereinigtenStaaten funktionieren würden, war bald klar,dass es das Public-Eye-Team in New Yorknicht einfach haben würde. Die ganze Paletteautomatisierter Meldungen von «falsches Pass-wort», «Combox kann nicht abgehört werden»über «Netz überlastet, versuchen Sie es späternoch einmal» bereitete uns schon auf der Fahrtvom Flughafen ins Hotel Unbehagen.

Müde von der Reise, erwartete uns stattder wunderschön gelegenen Blaukreuz-Unter-kunft Seebühl in Davos das Habitat-Hotelzim-mer. Klein, total überheizt und trocken, mitWC/Dusche am Ende des Ganges, inmitten derdauernden Polizeisirenen New Yorks gelegen.

Ja nu, schliesslich waren wir ja zum Arbei-ten nach New York gekommen! Die zwei Qua-

Ein Blick hinter die KulissenAngela Castagna Reif – EvB-Projektmanagerin, Computer-spezialistin, graue Eminenz, die immer an alles denkt, was sonstvergessen geht – über die Arbeitsverhältnisse in New York.

dratmeter des improvisierten Arbeitsplatzes ineiner Bürogemeinschaft bei einer uns freund-lich gesinnten Nichtregierungsorganisationteilten wir zeitweise mit acht weiteren Perso-nen. Es war mehr ein Übereinander als einMiteinander oder, milde ausgedrückt, einDurcheinander. Doch der versprochene High-speed-Internetanschluss liess Hoffnung aufeine schnelle und einfache Kommunikationmit dem Sekretariat Zürich aufkommen. DieHoffnungen waren bald zunichte, als das He-runterladen des ersten von 118 E-Mails bereitsdrei Minuten dauerte ... Nur nebenbei er-wähnt sei der eineinhalbtägige Zusammen-bruch unseres Webservers in Zürich und diedeswegen angestauten 268 E-Mails. Auswei-chen aufs Telefon? «Welcome to Horizon ...»!

Das willkürlich funktionierende oder nichtfunktionierende Festnetz-Telefon der privatenUS-Telefongesellschaft, der totale Netzwerk-zusammenbruch, als die Medien- und Pro-grammunterlagen am Vorabend der Konfe-renzeröffnung gedruckt werden sollten, liessendie Erkenntnis aufkommen, dass die Tücken

der Technik nur mit einer gesunden PortionGalgenhumor zu überstehen seien.

Selbstverständlich hatten wir uns nicht nurmit technischen Hürden herumzuschlagen,sondern auch mit drei gebrochenen Rippen ei-ner EvB-Mitarbeiterin zwei Tage vor ihrer Ab-reise. Mit diversen grippeverseuchten Team-und zurückgelassenen Familienmitgliedern.Mit den Sicherheitskräften, die uns kurzfristigden gemieteten Raum für die Medienkonfe-renz verweigerten. Mit den Strassenkontrol-len der rund 4000 Polizisten. Mit dem absolu-ten Verkehrschaos aufgrund der grosszügigenAbsperrung für ein sicheres Waldorf Astoria.Und auch mit dem Wetterumschwung vonfrühlingshaften zu eisig kalten Temperaturen.Doch wir haben – trotz allem – wunderbareMenschen kennen gelernt, viel gelacht, eini-ges gelernt, erstaunlich wohlwollende undunterstützende Medienberichterstattung er-fahren. «The Public Eye on Davos» in NewYork: Wir hoffen, einer besseren Welt einSchrittchen näher gekommen zu sein.

ANGELA CASTAGNA REIF

Page 3: The Public Eye in New York - Wall Street Special

EVB-MAGAZIN-SONDERAUSGABE DONNERSTAG, 7. FEBRUAR 20024 THE WALL STREET SPECIAL

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*‹:-) :-.)

lachen laut lachen zwinkern skeptisch ernst traurig sehr traurig

zornig elend weinen schreien Kuss dicker Kuss ratlos

überrascht Zunge raus Vampir blaues Auge Papst Teufel

Krawattenträger eine Rose Brille auf der Stirn Boarder Brett vor dem Kopf

Nikolaus Cindy Crawford

Page 4: The Public Eye in New York - Wall Street Special

(Un-)OrdentlicheNotizen zu New York City

1. New York City ist eine Stadt, künstlich,laut, gefährlich wie Kokain. In ihren Adernkreist flüssiges Geld: Hier sind alle Banken,alle Marken, alle Waren der Welt – alles, wasauch nur ein paar Cent wert ist, wird gehan-delt. Nirgends sonst dachte ich je so viel anGeld: Gut, wenn du es hast, die Hölle, wenn esfehlt. Der Luxus und der Siff leben hier wieLaborraten, gedopt und Zentimeter an Zenti-meter: Beide eine Mahnung, so hart wie mög-lich zu arbeiten.

2. Das Einzige, was es in New York nichtgibt, ist Ruhe. Kokain speedet dich hoch oderwirft dich in schlaflose Depressionen. DieFussgängerInnen sind hier schneller als dieAutos und überqueren die Strasse mit derSelbstsicherheit von Panzern. Die Ausnahmesind die, die es nicht geschafft haben: Por-tiers, Bettler, Obdachlose, Strassenverkäufe-rinnen lungern herum: schlecht bewegt,schlecht bezahlt, schlecht angezogen. Keepmoving! Was in anderen Städten nur für Kapi-tal und Ideen gilt, gilt hier für den Körper.Keep moving, body!

3. Übermüdet und hellwach – das sinddie meisten Menschen hier, was immer siedenken: ob Passanten, WEF-Teilnehmerinnenoder Anarchisten – man bekommt immer nurein Fünf-Minuten-Interview. Sogar die tausendHippies sind nervös. Man kann ganze Inter-viewblöcke mit «Hello – Bye!» -Interviews fül-len. Die Einzigen, mit denen man länger redet,sind Asiatinnen, Südamerikaner, Europäerin-nen.

4. Keine Interviews gibt es mit den Poli-zisten, die in der Nacht auf Mittwoch die Stadtfüllen: An jeder Ecke, in jedem Laden stehensie dunkelblau, einzeln, in Gruppen, in Horden– pure, materialisierte dicke Luft. Es sind Ge-schöpfe der Macht, die die Umgebung gestal-ten: In Davos war es eine Stacheldraht-Heli-kopter-Militär-Invasion, in New York – neben

der Polizeinvasion – ein Verkehrschaos rundum das abgesperrte Waldorf Astoria, einenmit Zinnen versehenen Art-déco-Riesen, deraussieht wie der Wohnort eines bösen Zaube-rers in einem Disney-Film.

5. Das Problem des World Economic Fo-rum ist sein Erfolg. Im Grunde ist es ein Hoch-leistungs-Networking-Center. Der Trick Pro-fessor Schwabs war, den Eintrittspreis immerhöher zu schrauben: Er liegt nun bei 25 000Dollar und dem Anspruch, «Global Leader» zu sein. Im Moment sind das 3000 Manager,Wissenschaftler, Presseleute – falls möglich,würden sich sicher weitere 3000 Machthaberund Schwätzer einschreiben. So weit, so per-fekt: Das WEF-Networking funktioniert sogarfür die Nichteingeladenen, die WEF-Gegner-Innen. Nur, der Marketing-Trick, die Teilneh-mer zur globalen Elite zu erklären und über-dies ernsthaft zu behaupten, das Forumverbessere die Welt, hat einen Nebeneffekt:Das WEF und seine Teilnehmer kann (zuRecht und zu Unrecht) auch für die Ver-schlechterung der Welt eingeklagt werden –und damit ist das WEF zum grössten Rekla-mationsbüro der Welt geworden.

6. An diesem drängeln sich: die DritteWelt, die alte Linke, grosse Teile der Presseund eine breite Bewegung, die ebenso erfolg-reich wie diffus ist – die Opfer der Globali-sierung sind so zahlreich, dass, mit etwasGrosszügigkeit gesehen, sogar ihre Gewinnerdazugehören, die globale Managerkaste. DerDruck von Kurs, Analysten, Quartalsabschlüs-sen wirkt oben fast so mörderisch wie unten:Das Perfide an dem Druck zu dauerndem Pro-fit ist, dass man keine anständige Arbeit mehrleisten kann: Nicht als Arbeiterin in der Mas-senproduktion, aber auch nicht als Manager,der – falls er langfristig denkt – gefeuert wird.

7. Das Problem des vom Wirtschaftssys-tem zur monotheistischen Religion geworde-nen Neoliberalismus besteht darin, dass er –mehr Idealismus als Realismus – immer mehr

Crash und immer weniger Profit macht. Wirt-schaft beruht wie alle sozialen Interaktionenauf Vertrauen. Die Investitionen in New Eco-nomy und die Millenniumsbörsenblase beruh-ten in noch mehr: in Glauben. Und zwar in ei-nem umso stärkeren, fanatischeren, je mehr ergegen die Fakten sprach – das Schicksal einesFanatikers ist Märtyrertod, nicht Pragmatis-mus.

8. Den Märtyrertod stirbt der Neolibera-lismus in spektakulären Skandalen wie Swiss-air oder Enron: Hier entpuppt sich scheinbareökonomische Rationalität als purer Glaube, ge-koppelt mit ein wenig Kriminalität und einerfetten Portion noch kriminellerer Dummheit.

9. Wie sehr das jetzige Wirtschaftssys-tem als diskussionsunfähige Sekte begriffenwird, zeigt sich unter anderem in seiner Gegnerschaft. Das Gros der Globalisierungs-kritikerInnen an der Demo in New York argu-mentierte nicht, sondern äusserte Gefühle:«Stop War», «Piss of, Corporate Fat Cats», «Li-

berty!», «We wan’t another World». Grössten-teils waren es sehr junge sowie einige ältereLeute. Alles war bunt, viele Männer bärtig.Der Look war eindeutig: ein Revival der Sech-zigerjahre. Amerika hat nie den Punk gekanntund verstanden: Die Demonstrierenden sehenaus wie wiederauferstande Janis Joplin, JohnLennons, Kurt Cobains, modernstenfalls.

10. So weit zur Demo. Es war nicht Seat-tle II, es war zu friedlich, aber auch zu harm-los. Die berechtigte Angst der Wirtschaftselitewar diesmal vor allem in Form des giganti-schen Aufgebots an Uniformen sichtbar: DerShow des WEF antwortete die Show der Demonstration, der elitären Cocktailparty dieCocktailparty ohne Cocktails. Somit war die-ses Mal das Public Eye für das WEF gefähr-licher als der Schwarze Block, denn das Mittelgegen den wirtschaftstheoretischen Konser-vativismus des WEF im ideologischen Vaku-um sind Statistiken und kopfwehtreibendeDiskussionen, nicht Steine.

CONSTANTIN SEIBT

Die erste grosse und lautstarke Demonstration nach dem 11. September in New York, 2. Februar 2002.

DONNERSTAG, 7. FEBRUAR 2002 EVB-MAGAZIN-SONDERAUSGABE THE WALL STREET SPECIAL 5

Der Erfolg der Postkartenaktion: Triumph International stoppt ihre Geschäftemit den burmesischen Foltergenerälen. Die Verantwortung der Firma geht aberweiter: Allen Entlassenen muss eine angemessene Abgangsentschädigung be-zahlt werden. Zudem fordern wir von Triumph einen vollständigen Sozialkodex.

Brot für alle, Erklärung von Bern und Fastenopfer danken für Ihre Unterstützung. Weitere Informationen unter www.cleanclothes.ch.

Triumph der Verantwortung

gm für EvB

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EVB-MAGAZIN-SONDERAUSGABE DONNERSTAG, 7. FEBRUAR 2002

«Bindende globale Regeln für transnationale Konzerne sind notwendig»

Victoria Tauli-Corpuz ist WEF- und Public-Eye-Kennerin. Sie sieht im Public Eye das richtige Gegengewicht zum Weltwirtschaftsforum.

PUBLIC EYE Sie haben letztes und vorletztesJahr am World Economic Forum (WEF) teil-genommen, warum gehen Sie dieses Jahrnicht hin?

V. TAULI -CORPUZ Weil mich das WEF nichtmehr eingeladen hat. Wir von der Tebtebba-Stiftung* haben das eigentlich erwartet,denn letztes Jahr machten wir eine Presse-konferenz und schrieben einen Protestbriefan die Adresse des WEF, um gegen die ab-surde Polizeipräsenz und die Zurückwei-sung eines Referenten des Public Eye zuprotestieren. Die Dialogfähigkeit des WEFhat offensichtlich enge Grenzen. Wenn siewirklich an unserer Meinung interessiertwären, dann müsste das WEF auch offensein für Kritik.

PUBLIC EYE Hat man an den Veranstaltungendes WEF Ihre Stimme gehört?

V. TAULI -CORPUZ Das war nicht einfach,denn man hat die NGO-Leute kleinen Arbeitsgruppen zugeteilt, und die WEF-Teilnehmenden konnten freiwillig an die-sen Anlässen teilnehmen – oder eben nicht. Martin Khor vom Third World Networkhatte die Möglichkeit, vor versammeltemPlenum zu sprechen, wenn auch nur fürzehn Minuten. Selbst wenn es auch nur wenige WEF-Teilnehmende sind, die unse-re Stimmen hören wollen, es lohnt sich, amWEF teilzunehmen, wenn die Gelegenheitdazu geboten wird.

PUBLIC EYE Nahmen an den kleinen Diskus-sionsgruppen die FirmenvertreterInnen teil,denen Sie ins Gewissen reden wollten?

V. TAULI -CORPUZ Vor zwei Jahren, als ich daserste Mal am WEF teilnahm, gab es eine Diskussion mit Vertretern der Minenindus-trie. Sie luden mich sogar zum Nachtessenein. Da waren wirklich diejenigen Firmendabei, die ihre Minen in unseren Gemein-schaften betreiben. Sie schienen an unse-ren Problemen interessiert zu sein.

PUBLIC EYE Haben Sie nach diesen Gesprä-chen eine Verhaltensänderung der Minenbe-treiber festgestellt?

V. TAULI -CORPUZ Ich teilte den Herren nach-träglich mit, dass sich die Firmen bei unszu Hause nach wie vor die übelsten Dingeerlauben würden. Es ist wohl idealistisch,zu glauben, dass eine Unterredung mit denKonzernchefs der Minenindustrie das Ver-halten der Firmen in unserer Region verän-dern würde.

PUBLIC EYE Frau Tauli-Corpuz, Sie sind einetreue Teilnehmerin des Public Eye, Sie warenvon Anfang an dabei. Was ist die Bedeutungdes Public Eye, das verglichen mit dem WEFja recht klein ist?

V. TAULI -CORPUZ Das Public Eye ist sehrwichtig. Es ist die einzige Veranstaltung, ander die Zivilgesellschaft die Fragen, die einWEF aufwirft, frei diskutieren kann. DieGrösse der Konferenz spielt dabei keineRolle. Wichtig ist, dass das Public Eye die

Medien anzieht, die – wenn sie es auch nurbescheiden tun – über den Inhalt der Kon-ferenz berichten. Das Public Eye ist derrichtige Weg, um eine Balance und einGegengewicht zum WEF herzustellen.

PUBLIC EYE Das Hauptthema der diesjähri-gen Konferenz sind bindende globale Regelnfür transnationale Unternehmen. Würdensolche Regeln für die Menschen in Ihren Dör-fern etwas ändern?

V. TAULI -CORPUZ Ja, globale Standards wür-den einen Unterschied machen, wenn sierechtlich bindend und für Konzerne ver-pflichtend wären. Es stellt sich jedoch dieFrage, ob diese Forderungen in der UNOdurchgehen würden. Es wurde bereits frü-her versucht, einen Verhaltenskodex fürtransnationale Konzerne zu entwerfen. DieUSA und die anderen mächtigen Länder,aus denen diese Konzerne herkommen, ha-ben alles daran gesetzt, jegliche Regeln zuverhindern. Anfang der Neunzigerjahre ge-lang ihnen schliesslich auch die Auflösungder UNO-Kommission zu transnationalenKonzernen. Die Forderung nach binden-den Regeln ist absolut zentral. Angesichtsdes Widerstands mächtiger Länder undUnternehmen wird es jedoch nicht einfachsein, bei der UNO damit durchzukommen.Die Unternehmen haben am Vorberei-tungstreffen zur Weltkonferenz über Um-welt und Entwicklung in New York ganzklar gesagt, dass ihnen freiwillige Stan-dards mehr zusagen.

PUBLIC EYE Auch wenn wir unser Ziel nichtvon heute auf morgen erreichen können, sosagen Sie doch, dass die Forderung nach bin-denden globalen Regeln richtig ist?

V. TAULI -CORPUZ Natürlich! Es ist absolutrichtig, jetzt auf dieser Forderung zu beste-hen. Wir erleben ja täglich, wie sich immermehr Macht und Vermögen bei nur weni-gen Unternehmen anhäuft. Wenn wir nichtauf solchen Massnahmen bestehen, wirddas einfach so weitergehen.

PUBLIC EYE Die Unternehmen wollen freiwil-lige Standards; welche Erfahrungen habenSie mit solchen Zugeständnissen gemacht?

V. TAULI -CORPUZ Das bekannteste freiwilli-ge Abkommen ist der Global Compact. EinPakt, den Unternehmen mit der UNO ge-schlossen haben und der nicht funktioniert.Selbst die wachsweichen Regeln des GlobalCompact wurden noch verletzt. So hat DaimlerChrysler entgegen einer klaren Abmachung einfach das UNO-Logo für eineeigene Publikation verwendet. Dann ma-chen Unternehmen wie Shell am Compactmit, obwohl sie in Nigeria und in anderenLändern in katastrophaler Weise weiter-wirtschaften wie bisher. Oder die FirmaSyngenta macht Druck für Feldversuchemit gentechnisch veränderten Pflanzen, ob-wohl die Menschen weltweit dagegen pro-testieren. Der Global Compact ist nichttransparent. Bei der Lancierung des GlobalCampact beispielsweise wurde eine Web-seite angekündigt, wo das Verhalten derteilnehmenden Unternehmen dargestelltwerde sollte. Nichts davon ist verwirklichtworden, obwohl seit dem Versprechen be-reits ein Jahr zurückliegt. Dabei ist Trans-parenz gerade eines der zentralen Ziele, diewir mit bindenden globalen Regeln errei-chen wollen. Der Global Compact ist eineFarce, und er wird vollständig von denUnternehmen kontrolliert.

PUBLIC EYE Victoria Tauli-Corpuz, vielenDank für dieses Gespräch.

*Victoria Tauli-Corpuzarbeitet für die Tebteb-ba-Stiftung auf den Philippinen. Tebtebbaheisst Debatte auf Igo-rot, Frau Tauli-Corpuz’Muttersprache. DieStiftung setzt sich fürdie Rechte der indige-nen Völker in der Cordillera-Region imNorden der Philippinenein.

The Public Eye – die Alternative der EvB zum WEF

Seit drei Jahren gibt es es eine Kampagne, die hält,was das World Economic Forum (WEF) verspricht:offene Debatten für eine bessere Welt.

Das Public Eye in New York war schon diedritte internationale Konferenz der Erklärungvon Bern (EvB) und ihrer Partnerorganisatio-nen. Im Herbst 1999 wurde die Kampagne«The Public Eye on Davos» lanciert, um dasWeltwirtschaftsforum kritisch zu begleitenund Alternativen aufzuzeigen. Initiantin undKoordinatorin des Projekts ist die Erklärungvon Bern (EvB), eine entwicklungspolitischeNichtregierungsorganisation (NGO) mit Sitzin Zürich und Lausanne (Schweiz). Getragenwird «The Public Eye on Davos» von einerinternationalen Trägerschaft von heute zehnNGOs aus allen fünf Kontinenten.

Im ersten Jahr des Projekts, parallel zumJahrestreffen des WEF in Davos Ende Januar2000, suchte das Public Eye den direkten Kon-takt mit dem WEF. Wir informierten das Welt-wirtschaftsforum über unser Projekt und kon-frontierten es mit Forderungen der NGOs.Dabei ging es zunächst um zwei Aspekte:

Mehr Transparenz: Unter dem unbeschei-denen Slogan «Der Verbesserung des Zustan-des der Welt verpflichtet» werden am WEFFragen von globaler Tragweite diskutiert. DieMitglieder des WEF sind aber ein elitärerKreis von Wirtschaftsführern, die mit hoch-rangigen Politikern unter Ausschluss der Öf-fentlichkeit ihre Weltsicht diskutieren. DieVorschläge des Weltwirtschaftsforums sinddeshalb nicht objektiv, sondern zutiefst inte-ressengeleitet. Kein Dienstleistungsunterneh-men hat beispielsweise eine neutrale, sachlichfundierte Meinung zur Rolle des Service pu-blic. Einige Fragen, die am WEF diskutiertwerden, sind sehr wichtig, die Diskussionengehören aber in einen demokratischen Rah-men. Deshalb forderte das Public Eye auchden freien Zugang für alle Medien zu allen Ver-anstaltungen des WEF.

Stärkere Beteiligung kritischer Stimmen amWEF: Das Public Eye regte die Einladung vonPersonen an, die für eine soziale und ökolo-gisch nachhaltige Wirtschaft einstehen, undüberreichte dem WEF eine Liste mit einerReihe von Namen. Das WEF wählte für seineJahresversammlung 2000 fünf der vorgeschla-genen NGO-Vertreterinnen und -Vertreter ausund lud sie ein. Eine der geladenen, Victoria

Tauli-Corpuz von der philippinischen Organi-sation Tebtebba, zog eine skeptische Bilanzüber ihre Wirkung: «Die Jahrestagung in Da-vos wird von den Vertretern der weltweitmächtigsten Konzerne dazu benutzt, die domi-nante ökonomische Denkweise und Praxis zubefestigen. Das Treffen hat in erster Linie dasZiel, neue und innovative Ideen zum Ausbaudes globalen Marktes zu entwerfen und zu verteidigen. Daher ist auch der Platz und dieToleranz für abweichende Meinungen so ge-ring.»

Um den wachsenden Einfluss der Privat-wirtschaft auf die internationale Politik aufzu-zeigen, veranstaltete das Public Eye in Züricheine Podiumsdiskussion zur Frage «Wer re-giert die Welt?». Eine zweite Veranstaltungfand in Davos statt, wo in einem StreitgesprächManuel Chiriboga und Vandana Shiva als NGO-VertreterInnen dem WEF-Direktor KlausSchwab und dem damaligen ABB-Chef GöranLindahl gegenüberstanden. Klaus Schwab be-nutzte die Diskussion, um sich als Vorkämpferfür Menschenrechte und Umweltschutz darzu-stellen. Eine echte Auseinandersetzung mitden Kritisierenden fand auf diesem Podiumnicht statt. Das WEF versuchte vielmehr, die-sen Anlass als Beweis für seine «Dialogfähig-keit» zu präsentieren, um sein angekratztesImage aufzupolieren.

Die Umweltorganisation Greenpeace mach-te dieselben Erfahrungen in Gesprächen mitder Automobilindustrie. Trotz vollmundigenDialogversprechen in Davos wurde die Initia-tive vonseiten der Industrie sabotiert. Nachzwei Jahren Teilnahme am WEF beschlossGreenpeace deshalb, dieses Jahr nicht mehram WEF, sondern am Public Eye sowie amWeltsozialforum in Porto Alegre teilzunehmen.

Das Public Eye fand im Jahr 2001 zur heu-tigen Form, als die Erklärung von Bern be-schloss, eine unabhängige und im Gegensatzzum WEF öffentlich zugängliche internationa-le Konferenz zu veranstalten, zeitgleich zumWEF und ebenfalls in Davos. Der vom WEFpropagierten neoliberalen Globalisierungspo-litik setzte das Public Eye 2001 Alternativen einer sozial und ökologisch orientierten Wirt-schaft entgegen. am

No licence to rule the world. Keine Legitimation für das WEF, die Welt zu regieren. Pressekonferenz am 31. Januar 2002 in New York mit Marcelo Lucca, ehemaligem Wirtschaftsminister von Rio Grande do Sul,Brasilien, Carol Welch, Friends of the Earth US, Miriam Behrens, Pro Natura, Matthias Her feldt, EvB, Victoria Tauli-Corpuz,Tebtebba Foundation, Philippinen.

INTERVIEW MIT V ICTORIA TAULI -CORPUZ SPRACH ANDREAS MISSBACH

6 THE WALL STREET SPECIAL

gm für EvB

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DONNERSTAG, 7. FEBRUAR 2002 EVB-MAGAZIN-SONDERAUSGABE

Die Stimmung für die Eröffnung des zwei-ten Weltsozialforums hier in Porto Alegre amvergangenen 31. Januar hätte schöner nichtsein können. In der offenen Arena am Ufer desJacui-Flusses versammelten sich im warmenAbendlicht der untergehenden Sonne tausen-de von Menschen; 40 000 sagen die einen, fürandere waren es 60 000. In einer farbenfrohen,friedlichen Demonstration waren sie zuvordurch Porto Alegre gezogen. Begleitet vonbrasilianischen Sambaklängen und dem rhyth-mischen Pfannenklappern der argentinischenGruppen, forderten sie die Abkehr von derneoliberalen Globalisierung. «Wir sind daran,eine neue, eine gerechte Welt aufzubauen –eine realisierbare Utopie», sagte der Gouver-neur des Bundesstaates Rio Grande do Sul Olí-vio Dutra in seiner Eröffnungsansprache.

Wie anders sehen die Medienbilder ausNew York aus: Polizei, Absperrungen, Aus-schluss, Gewalt. Es scheint, als herrsche dortKrieg, während hier in Porto Alegre Friede undLebensfreude dominieren. Sie sind Motor fürdie politische Entschlossenheit, mit der hier ander Realisierung der Utopie gearbeitet wird.

Das Weltsozialforum ist ein Megaunter-nehmen: 15 000 Delegierte haben sich einge-funden und zwei- bis dreimal so viele Besucher-Innen. Sie vertreten Organisationen aus derganzen Welt, wobei lateinamerikanische undeuropäische eine Mehrheit bilden. Leider nurin kleiner Zahl anwesend sind BesucherInnenaus Afrika und Asien. Der wirtschaftliche Gra-ben zeigt sich auch am Weltsozialforum.

Für Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit weltweit

In den vier Arbeitstagen werden 27 Konfe-renzen, 150 Seminare und 700 Workshops an-geboten. Trotz deren inhaltlicher Vielfalt gibtes einige zentrale Leitthemen. Dazu gehörendie Kritik der WTO als Hauptpfeiler der «in-fernalen Globalisierung». Sie höhlt demokrati-sche Strukturen von den Gemeinden bis zurUNO aus und bedroht akut den Weltfrieden.Präsent ist in diesem Zusammenhang der 11. September. Der massive Widerstand derMenschen in Seattle stoppte damals die globa-le neoliberale Offensive. Seit dem 11. Septem-ber findet nun mit dem «Krieg gegen den Ter-rorismus» eine verdeckte Wiederbelebungdieser Offensive statt. Aufgrund ihrer Erfah-rungen mit dem «Krieg gegen den Drogen-handel» befürchten viele hier anwesende Ge-werkschaften, Nichtregierungs- (NGO) undBasisorganisationen, dass die Repression ih-nen gegenüber zunimmt und dass die Men-schenrechte in Zukunft noch stärker missach-tet werden.

Die Globalisierung hat sozial keine Fort-schritte gebracht. Gemäss Juan Somavía, Di-rektor der Internationalen Arbeitsorganisation,hat sich in den Neunzigerjahren die offizielleArbeitslosigkeit weltweit auf 200 MillionenMenschen verdoppelt. Frauen und Kinder zah-len den höchsten Preis dieser Fehlentwicklung.Das nahe Argentinien ist aktuelles Beispiel fürdas totale Scheitern der Globalisierung. Wenndemgegenüber hier am Weltsozialforum dieMenschenrechte und soziale Gerechtigkeiteingefordert werden, so ist das keine ferneUtopie. In internationalen Konventionen undVerträgen sind die wesentlichen Grundrechteder Menschen von den meisten Staaten derWelt ratifiziert worden. Es geht darum, siedurchzusetzen.

Das amerikanische FreihandelsabkommenFTAA/ALCA ist verständlicherweise ein wich-tiges Thema. Mit ihm wird die US-Ökonomiein ganz Lateinamerika dominierend werden.ALCA wird aber auch globale Auswirkungenhaben, denn es integriert das MAI (Multilate-ral Agreement on Investment, MultilateralesInvestitionsabkommen), das 1999 durch welt-weiten Widerstand hatte verhindert werdenkönnen. Der einseitige Investorenschutz, derdie Reichen schützt und die Armen zerstört(Martin Khor vom Third World Network),kommt wieder auf die politische Agenda undsoll letztlich in einer neuen Runde der Welthan-delsorganisation (WTO) definitiv festgeschrie-ben werden. Khor schätzt deshalb die WTOheute als viel gefährlicher ein als den Interna-tionalen Währungsfonds (IWF). Der Kampf ge-gen eine neue WTO-Runde in den nächsten bei-den Jahren werde für die weitere globaleEntwicklung entscheidend sein, meinte er.

Um outro mundo é possível – Eine andere Weltist möglich

Gewerkschaften, soziale Bewegungenund NGO

Diese Entwicklung muss die Menschen unddie Umwelt ins Zentrum stellen, ein Grundkon-sens des Weltsozialforums. Sie in diesem Sinnezu beeinflussen, ist das Anliegen von Gewerk-schaften, sozialen Bewegungen und NGOs.Ihre Zusammenarbeit ist denn auch Themaverschiedener Veranstaltungen; ein nicht ganzleichtes Unterfangen, wie die Diskussionenzeigen. Es gilt Vorurteile abzubauen und dasBlockdenken zu überwinden. Es gibt nicht dieGewerkschaften, wie auch die sozialen Bewe-gungen und NGOs nicht eine Einheit sind.Werfen wir einen Blick auf die Gewerkschaf-ten. In den Diskussionen waren vor allem euro-päische und lateinamerikanische vertreten,und dabei wurde frappant klar, dass sie mitzwei unterschiedlichen Geschwindigkeitenlaufen. Da sind die europäischen, geprägt vonden Errungenschaften des Sozialstaates, starkinstitutionalisiert, mit einem Hang zur helfen-den Solidarität, und dort die lateinamerikani-schen, die aufgrund der wirtschaftlichen Ent-wicklung in ihren Ländern gezwungen waren,ständig offen zu bleiben, die Arbeit über denengen gewerkschaftlichen Rahmen hinausauszudehnen, kurz, soziale Bewegung zu blei-ben. Gewerkschaftsvertreter ihrerseits wiesenauf problematische Punkte der NGO-Arbeithin, etwa Abschlüsse von Verhaltensregeln(«codes of conduct») mit multinationalenUnternehmen. Nur in 15 Prozent der bisher ab-geschlossenen Verträge sei die Vereinigungs-freiheit der Arbeitenden festgeschrieben wor-den. Verhaltensregeln können sich so zumBoomerang für die Gewerkschaftsarbeit aus-wirken, denn es sei immer noch das Beste,wenn sich die Betroffenen selbst für ihreRechte einsetzen könnten. Rafael Freire vonder Gewerkschaft CUT meinte, dass die gegen-seitigen Vorwürfe in eine Sackgasse führten.Die Differenzen existierten und müsstengegenseitig respektiert werden. Pragmatischsei es, einen grossen, gemeinsamen Nenner inder Sache zu suchen. Darauf aufbauend könneein gemeinsames Vorgehen bestimmt werden.Dies wird für die europäischen Gewerkschaftendann eine Möglichkeit sein, wenn sie bereitsind, von den lateinamerikanischen Kollegenund Kolleginnen zu lernen, und ihre eurozen-trische Sichtweise zugunsten einer internatio-nalistischen zurückstecken. Das Weltsozialfo-rum ist ein idealer Ort dazu.

Porto Alegre ist ein riesiges Forum fürDiskussionen und Kontakte. Porto Alegre istein farbiger Markt der Ideen, Projekte und Ak-tionen. Porto Alegre ist Lebensfreude und einwenig gelebte Utopie: um outro mundo é pos-sivel se a gente quizer.

Urs Sekinger koordinier t in Porto Alegre eine Delegationvon Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern aus der Schweiz. Er arbeitet als Koordinator des Solifonds,ist Präsident des VPOD-NGO und Mitglied der Redaktion«Widerspruch».

Diese und weitere Forderungen des NGO-Statements zum World Economic Forum(WEF) werden von vielen Organisationen ausnördlichen und südlichen Ländern unterstützt.Nachfolgend ein Auszug aus dem Statement:

«Konzerne haben in den letzten Jahrenmassiv an wirtschaftlicher Macht und an poli-tischem Einfluss gewonnen. Doch durch sozi-al verantwortliche Geschäftsführung habensie sich kaum hervorgetan: Umweltkatastro-phen und Menschenrechtsverletzungen bele-gen das Gegenteil. Eine sozial gerechte undökologisch nachhaltige Entwicklung ist nachwie vor ein fernes Ziel. Der wichtigste Grundfür das offensichtliche Versagen von Konzer-nen liegt im Fehlen von politischen Regeln füreine nachhaltige und sozial gerechte Entwick-lung.»

Viele transnationale Unternehmen behaup-ten zwar, heute schon sozial verantwortlich zuhandeln und nachhaltige Entwicklung ernst zunehmen. Den Bekenntnissen der Konzernekönnte nur Glauben geschenkt werden, wennsie entsprechende rechtliche Rahmenbedin-gungen und demokratische Kontrollen ihrerAktivitäten befürworten würden, statt sich fürKostenminimierung und gegen verbindlicheStandards stark zu machen. Deshalb rufen dieUnterzeichnenden des Statements die Regie-rungen der Welt auf, internationale Verträgeauszuhandeln, welche Firmen mit rechtlichbindenden Regeln hohe Standards in Bezugauf Transparenz sowie soziale und ökologi-sche Verantwortung auferlegen.

Firmen haben soziale und ökologische Ver-pflichtungen. Sie sollen Informationen überihre wirtschaftlichen Aktivitäten offen legen.Alle gesellschaftlichen Gruppen, auch die lo-kale Bevölkerung, sollten das Recht haben, ge-gen Firmen vorzugehen, die ihre Interessengefährden. Der lokalen Bevölkerung muss dasRecht gewährt werden, über die Nutzung ih-rer (natürlichen) Ressourcen selbst zu ent-scheiden, um gesund und in Würde leben zukönnen. Verhaltensnormen für Konzerne müs-sen griffiger werden. KriminelleVerstösse vonFirmen müssen von nationalen und internatio-nalen Gerichten geahndet und mit wirkungs-vollen Sanktionen belegt werden.

Das NGO-Statementdes Public Eye 02Die Konzerne sollen ihre Verantwortung wahr-nehmen. Das ist die Hauptforderung der Erklärungvon Bern (EvB) und der Trägerorganisationen des Public Eye.

Das WEF präsentiert sich als eine Institu-tion, welche den Grundsätzen und Zielen derunternehmerischen Verantwortung, nachhalti-ger Entwicklung und Armutsbekämpfung ver-pflichtet ist. Hinter den Kulissen hintertreibenallerdings zahlreiche seiner Mitglieder dieseZiele.

Die Regierungen müssten sicherstellen,dass Konzerne sich an demokratisch verein-barte Ziele halten und ihren Beitrag zu Nach-haltigkeit und sozialer Gerechtigkeit leisten.

Am Erdgipfel der Vereinten Nationen fürnachhaltige Entwicklung 2002 sollen die Poli-tiker und Politikerinnen die Gelegenheit er-greifen, dem Ruf der Zivilgesellschaft zu fol-gen, und die Konzerne in die Pflicht nehmen.Sie müssen ihr wortreich vorgetragenes Enga-gement für nachhaltige Entwicklung in die Re-alität umsetzen.

Globales RegierenAlle Regierungsstrukturen auf nationaler

und internationaler Ebene müssen auf trans-parenten, kontrollierbaren und demokrati-schen Prinzipien beruhen. Alle Debatten undEntscheide müssen diesen Prinzipien Rech-nung tragen. Dazu muss die UNO gestärktwerden. Sie ist die einzige bestehende interna-tionale Organisation, die allen Mitgliedstaateneine Stimme gibt. Eine Reform der UNO imHinblick auf demokratischere, fairere und ef-fektivere Strukturen und Entscheidungspro-zesse ist längst fällig. Insbesondere muss derEinfluss der Konzerne auf die UNO in Schran-ken gehalten werden:

Die UNO muss ihre Partnerschaft mit glo-balen Konzernen, die im «Global Compact»verankert ist, auflösen.

Die UNO muss in der Lage sein, die trans-nationalen Konzerne zu kontrollieren und dieEinhaltung vereinbarter Regeln zu überwa-chen und Verletzungen zu sanktionieren.

Die Konsultation und Mitsprache der Zivil-gesellschaft in der UNO soll ausgebaut werden,damit die UNO die Ziele der globalen Gerech-tigkeit, des Friedens und der Nachhaltigkeitwirksam verfolgen kann. am

Cacerolazas, Frauen aus Argentinien, die durch das Kochtöpfeschlagen ihren Protest kundtun. Demo vom 31. Januar in Porto Alegre.

THE WALL STREET SPECIAL 7

us für EvB

Das WEF verstecktsich hinterm Busch.Die Alternative bleibt: ABS.

( Wir sind mit «The Public Eye on Davos» solidarisch.

Die Bank für eineandere Schweiz.

Wir investieren in die reale Wirtschaft.Ich möchte mich an der zukunftsorientierten Geschäfts-politik der ABS beteiligen. Bitte senden Sie mir:

InformationsmaterialKontoeröffnungsantragUnterlagen zum Zeichnen von KassenobligationenUnterlagen zum Zeichnen von Aktien

Name

Adresse

PLZ/Ort

Talon an: Alternative Bank ABS, Leberngasse 17, Postfach, 4601 Olten, Tel. 062 206 16 16, E-Mail: [email protected], Website: www.abs.ch

EvB

c.p.

a.

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URS SEKINGER

Page 7: The Public Eye in New York - Wall Street Special

EVB-MAGAZIN-SONDERAUSGABE DONNERSTAG, 7. FEBRUAR 2002

Investmentbanken: Die Durchlauferhitzer vonder Wall Street

Die Wall Street ist neben dem Broadwaynicht nur die zweitbekannteste Strasse vonNew York, sie ist auch ein Symbol für einen be-stimmten Bankentypus. Auch wenn immermehr Finanzinstitute in andere Teile der Stadtoder ins Umland ziehen, hat die «Wall Street»an Symbolkraft nichts verloren.

Die Investmentbanken an der Wall Streetunterscheiden sich vom traditionellen Banken-geschäft, bei dem die Banken «überschüssi-ge» Ersparnisse einsammeln und Kredite anPersonen und Unternehmen mit Kapitalbedarfgeben. Die Sparenden, die ihr Geld deponie-ren, erhalten dafür Zinsen, die Kreditnehmer-Innen bezahlen Zinsen an die Bank. Der Ge-winn ist die Differenz zwischen den beidenZinssätzen. Die Banken schaffen auf dieseWeise Geld. Da nie alle Sparenden gleichzeitigihr Geld zurückhaben wollen (ausser bei ei-nem vollständigen Zusammenbruch des Ban-kensystems), geben die Banken mehr Kreditaus, als sie eigentlich Geld in der Kasse haben.Die KreditnehmerInnen wiederum können da-mit Investitionen vornehmen, die sie sich auseigener Kraft nicht leisten könnten. In der«Geldvermehrung» und der Kreditvergabeliegt die eigentliche gesellschaftliche Bedeu-tung der Banken.

Diese Art von Bankgeschäft gibt es zwarnoch, doch es ist für grosse und spezialisierteBanken weder der wichtigste noch der lukra-tivste Teil. Das ganze Bankensystem ist heutevon einer anderen Logik geprägt: Heutzutagesind lukrative Anlagemöglichkeiten knapp, imGegensatz zum früher reichlich vorhandenenKapital. Am deutlichsten sind die Unterschie-de zum traditionellen Bankgeschäft bei den Investmentbanken. Während normale Ge-schäftsbanken sehr viele Kundinnen allerGrössenordnungen haben, beschränken sichdie Investmentbanken auf einen kleinen Kreissehr reicher Kunden: Grossunternehmen, Re-gierungen und superreiche Einzelpersonen.Investmentbanken geben keine Kredite, son-dern sie beraten und unterstützen ihre Kun-den bei der Geldbeschaffung auf den Wert-papiermärkten, durch die Herausgabe vonAktien oder Anleihen (Obligationen). Sie be-schränken sich auf eine Vermittlung zwischendem renditesuchenden Kapital und ihren Kun-dinnen mit Kapitalbedarf, daneben handeln sieselbst mit Wertpapieren. Der Ertrag aus demInvestmentgeschäft besteht nicht aus der Zins-differenz, sondern aus Gebühren und Provi-sionen sowie dem Gewinn (oder Verlust) imAktien- und Obligationenhandel.

Vormachtstellung der Wall StreetUS-Investmentbanken sind weltweit füh-

rend. Das liegt an ihrer Spezialisierung, die ih-nen von der US-Gesetzgebung aufgezwungenwurde. Nach dem Börsencrash von 1928 undder Weltwirtschaftskrise betrachtete man dieVermischung von Kredit- und Wertpapierge-

schäft als gefährlich für die Stabilität desBankensystems. Die Investmentbanken muss-ten sich auf das Wertpapiergeschäft und dieBörse konzentrieren. In den letzten Jahrenwurde diese strikte Trennung allerdings auf-gehoben.

Drei Faktoren begünstigten das rasanteWachstum der Investmentbanken (oder In-vestmentbank-Abteilungen grösserer Univer-salbanken) seit den Achtzigerjahren:

Die Staatsverschuldung und der Boom beiUnternehmensanleihen: Die Investmentban-ken organisieren die Ausgestaltung und Ver-marktung von öffentlichen Anleihen sowieUnternehmensanleihen, und sie handeln mitdiesen.

Die Durchführung von Privatisierungen:Die Investmentbanken beraten Regierungenbei der Übertragung von ehemaligen Staats-betrieben an private Aktionäre, oder sie brin-gen ehemalige Staatsbetriebe an die Börse.

Die Zunahme von Fusionen und Übernah-men: Investmentbanken beraten die Unterneh-men bei einer geplanten Fusion. Oft suchen sieaber selbst Übernahmekandidatinnen und ent-wickeln eine Strategie, die sie dann einem an-deren Unternehmen schmackhaft machen.

Doch auch im Investmentbanking wach-sen die Bäume nicht in den Himmel: DieStaatsverschuldung ging in den letzten Jahrenin vielen Ländern zurück. Die Privatisierun-gen hören spätestens dann auf, wenn keinStaatsbesitz mehr zu privatisieren ist. Und obdie Fusionswelle gleich weitergeht wie bis an-hin, ist unklar. Besonders aber hat das Endeder Börseneuphorie, welche die Aktien vonHigh-Tech-, Internet- und Telefonfirmen hochfliegen liess, die Investmentbanken schwer ge-troffen. Die Banken hatten die Stimmung kräf-tig angeheizt und gut daran verdient. Das bes-te Geschäft bestand eine Zeit lang darin,Firmen an die Börse zu bringen, die aus kaummehr als einem Namen und einer vagen Ge-schäftsidee bestanden. Trotzdem gingen de-ren Aktien weg wie warme Semmeln, und dieEinnahmen sprudelten.

Die Interessen hinter der GlobalisierungVerschuldung, Privatisierung und Fusio-

nen sind alles Phänomene, die mit der Globali-sierung zu tun haben. Die Globalisierung pas-siert aber nicht einfach, sie wurde und wirdgemacht, vorangetrieben von den transnatio-nalen Unternehmen, den Mitgliedern desWorld Economic Forum (WEF). Die Invest-mentbanken stehen dabei nicht zurück, sielobbyieren hinter den Kulissen für einen«freien Kapitalverkehr» und die Privatisierungaller staatlichen Aufgaben. In den USA warendie Verbindungen zwischen dem Finanzsektorund der Regierung in den Neunzigerjahren soeng, dass der Ökonomieprofessor JagdishBhagwati von einem «Komplex Wall Street–Fi-nanzministerium» sprach. «Die Finanzunter-nehmen der Wall Street haben ein offensichtli-ches Eigeninteresse an einer Welt, in der freie

Mobilität für Kapital herrscht. Es ist also we-nig erstaunlich, dass sich die Wall Streetmächtig eingemischt hat und in Washingtonpolitisch für diese Entwicklung Druck mach-te.» Jobwechsel von einer Investmentbank insFinanzministerium und zurück sind nichtaussergewöhnlich. Auch der neue Bürger-meister von New York, Michael Bloomberg,gehört zum Wall-Street-Komplex. Er ist Besit-zer eines auf Finanzinformationen spezialisier-ten Medienkonzerns.

Der Wirtschaftsnobelpreisträger JosephStiglitz berichtet von einem besonders miss-ratenen Fall einer Privatisierung, die unterBankeneinfluss durchgezogen wurde: Die USEnrichment Corporation, die Kernelementefür Atombomben und Atomkraftwerke her-stellt, wurde 1997 privatisiert. Nach der Priva-tisierung wollte das Unternehmen Kosten spa-ren und verzichtete deshalb darauf, Materialaus russischen Sprengköpfen zu kaufen undso das gefährliche, waffenfähige Uran aus demVerkehr zu ziehen. Seither bleibt das Materialin Russland, und das Risiko, dass es zur Bom-benproduktion verkauft wird, ist gross. Stiglitzerklärt diese absurde Privatisierung, vor derer ausdrücklich gewarnt hatte, so: «Die Ideo-logie hinter der Privatisierung mag eine Rollegespielt haben, finanzielle Interessen taten dasihre. Das für die Abwicklung der Privatisie-rung zuständige Unternehmen an der WallStreet hat viel Überzeugungsarbeit geleistetund saftige Gewinne eingestrichen.» Die Ei-geninteressen der Investmentbanken dürftenauch mitverantwortlich dafür sein, dass etwadie Hälfte aller Firmenfusionen nicht das er-wünschte Ergebnis bringt. Die Banker habenein handfestes finanzielles Interesse am Gelin-gen eines Deals, weil sie dann hohe Kommis-sionen einstreichen können. Im Zweifelsfalldrängen sie ihre Kunden auch dann zur Über-nahme, wenn der Preis dafür viel zu hoch ist.Je höher der Preis, desto grösser auch dieKommissionen.

Schweizer Banken made in USAAuf dem Höhepunkt der Swissair-Krise im

Herbst 2001 versuchte Finanzminister KasparVilliger einen Tag lang erfolglos, den UBS-Chef Marcel Ospel zu erreichen. Ospel war imPrivatjet und später in New York für denBundesrat nicht zu sprechen. Diese Episodezeigt überdeutlich, dass die Schweizer Gross-banken nur noch bedingt Schweizer Bankensind. Auch für die Abkehr vom traditionellenKreditgeschäft ist das Beispiel Swissair illus-trativ. So schreibt die Wirtschaftszeitung«Cash»: «Jetzt zeigt sich für die breite Öffent-lichkeit, dass die Banken die Swissair gar niefinanziert haben. Bei 12 Milliarden Schuldensteckt die ‹Hausbank› der Swissair, die CS, ge-rade mal mit 240 Millionen ungesicherten Gut-haben drin. Das sind mickrige zwei Prozent!Stattdessen haben die Banken die finanzielleVerantwortung (gut vier Milliarden) mit Obli-gationenanleihen und Aktienemissionen andie Pensionskassen und Kleinanleger dele-giert und dabei gut verdient.»

Die beiden Schweizer Grossbanken sindauch die beiden führenden europäischen In-vestmentbanken. Sie können als einzige ausEuropa in der von US-Banken dominiertenTopliga mithalten. UBS und CS erreichtenihre Stellung, indem sie sich spezialisierte In-vestmentbanken einverleibten. 1995 erwarbdie Bankgesellschaft, die später mit demBankverein zur UBS fusionierte, die führendeeuropäische Investmentbank Warburg, zweiJahre später kam die US-Firma Dillon Readhinzu. Die CS hatte schon seit den Achtziger-jahren eine Beteiligung an der US-Bank FirstBoston, die sie später ganz übernahm.

Auf der Rangliste im Organisieren von Fu-sionen lag die Credit Suisse First Boston imJahr 2001 weltweit auf Rang drei, UBS War-burg auf Rang sechs. Das Investmentbankingist der zweitwichtigste Geschäftszweig derbeiden Grossbanken, nach der Vermögensver-waltung für sehr reiche Privatpersonen (Pri-vate Banking, für Kunden mit einer halben biseiner Million US-Dollar frei anlegbarem Ver-mögen). Im Geschäft mit Normalsparern undKlein- und Mittelbetrieben in der Schweiz da-gegen machen die Grossbanken teilweise so-gar Verluste.

Investmentbanken heizen die Globalisierung an. Dabei machen sie nicht nur Geschäfte, sondern auch Politik.

ANDREAS MISSBACH

An die Freunde vom Public EyeDie Regierung des Bundesstaates Rio Grande do Sul unddas lokale Komitee des Weltsozialforums in Porto Alegrefreuen sich, der wichtigen Veranstaltung Public Eye Grüs-se zu übermitteln. Wir sind überzeugt, dass das Engage-ment für ein anderes Entwicklungsmodell, das wirtschaft-lich erfolgreich ist sowie die Natur und die Würde derMenschen respektiert, eine andere Welt ermöglicht. Sei esam Weltsozialforum in Porto Alegre, sei es am Public Eyein New York. Nichts verhindert die Solidarität zwischenden Männern und Frauen, die die Welt zu einer besserenfür alle machen möchten.

Miguel Rossetto, Vice-Gouverneur, Rio Grande do Sul; Chico Vicente, Gaucho Committee of the World Social Forum (vorgelesen am Public Eye)

POST AUS PORTO ALEGRE

POST VON BONO

AUSGESCHLOSSENE 1

8 THE WALL STREET SPECIAL

Erklärung von Bern, Quellenstrasse 25, Postfach,8031 Zürich, Telefon 01 277 70 00, Fax 01 277 70 [email protected], www.evb.ch

Die Entschuldungskampagne «Jubilee 2000» hat gezeigt,was möglich ist, wenn gewaltlose Aktivisten, Popstars, Päpste und Politiker zusammenarbeiten. Es gibt Resultate.Aber unser wirkliches Ziel ist eine Welt mit einem gerech-teren Wirtschaftssystem. Ich war eben in Uganda, wo dieEntschuldung funktioniert – also müssen die Gläubigermehr Schulden erlassen. Doch auch wenn alle Schulden er-lassen würden, hätte Uganda nicht genug Geld, um dieGrundversorgung zu gewährleisten. Das gilt für die meis-ten verarmten und marginalisierten Länder Afrikas. Wennwir diesen Krieg gegen Ungerechtigkeit und Armut gewin-nen wollen, müssen wir mehr Entschuldung erreichen,aber auch effektivere Hilfe und faireren Handel. Sorry, unser Flugzeug war verspätet.

Bono, Sänger von U2, in einer Botschaft ans Public Eye

Während sich die TeilnehmerInnen des World EconomicForum (WEF) im Nobelhotel Waldorf Astoria in der Weltder Reichen bewegten, zeigte das Public-Eye-Team keineBerührungsängste mit den Ausgeschlossenen New Yorks.Im Habitat Hotel, in dem das Team untergebracht war, mie-tet die New Yorker Stadtverwaltung Zimmer für Obdach-lose. Wie symbolhaft: Das Public Eye residiert Tür an Türmit den Ausgeschlossenen der Gesellschaft, das WEF ein-gebunkert im Luxustempel.

AUSGESCHLOSSENE 2

Sich aus Solidarität gleich aus dem Hotelzimmer auszu-sperren, ist auf jeden Fall etwas übertrieben. Nach demDuschen stand EvB-Mitarbeiter Andreas am Morgen frühmit nassen Haaren und im Pyjama vor verschlossener Zim-mertür. Bald schon mühte sich ein halbes Dutzend Securi-ty-, Reinigungs- und Hotelpersonal mit der Türe ab, welchejedoch keinen Wank tat. Es gab ein Hin und Her, ob es jetztan der Elektronik des Schliesssystems oder doch am me-chanischen Teil des Schlosses lag. Alle Männer trugenfussballgrosse Schlüsselbunde mit sich herum – ob einSchlüssel wohl helfen würde? Derweil klingelten hinterverschlossener Türe Telefon und Handy zugleich, und derTermin der Pressekonferenz rückte immer näher ...

DANKESCHÖN

Ein grosses und herzliches Dankeschön an nachfol-gende Personen, die zum Gelingen der Public-Eye-Konferenz in New York beigetragen haben:

Graham Morrison (Bild links), nicest,most helpful photographer; Troy Davis,Elsässer und Weltbürger (siehe www.worldcitizen.org); Marcelo Lucca, Bot-schafter des Weltsozialforums; Urs Se-kinger, Constantin Seibt, Miriam Beh-rens, Martin Boesch, Sarah Pounders,

Colleen Freeman, Carol Welch, David Waskow, ChristineCobb, Craig Bennett, Helen Burley, Matt Philipps, AdamMa’anit, Victoria Tauli-Corpuz, Thelma Awori, John Passa-cantando, Kenny Bruno, Aaron Goldzimer, Mara Vander-slice, Neil Watkins, Marta Benavides, Johari Abdul-Malik,Donna Katzin, Dessima Williams, Peter Laarman, SharonAltendorf, Jason Cainglet, Marilyn Clement, Toni Juniper,Peter Madden, Sathyu Sarangi, Greg Palast, Yash Tandon,Clare Joy, Danny Schechter, Karen Nussbaum, Maria Riley,Sylvia Crystal, Graham Dunkley, Andrew Simms, Alexan-dra Wandel, Steve Keen, Bill Hartung, Adotei Akwei,Emmy Hafild, Tom Reifer, Jonathan Schell, Irene Khan,Goh Chien Yen, Ying Shao Loong