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Das Lösen mathematischer Aufgaben in gestaltpsychologischer Sicht Author(s): Kurt Aurin Source: International Review of Education / Internationale Zeitschrift für Erziehungswissenschaft / Revue Internationale de l'Education, Vol. 7, No. 2, The Teaching of Mathematics (1961), pp. 208-220 Published by: Springer Stable URL: http://www.jstor.org/stable/3441723 . Accessed: 11/06/2014 12:31 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Springer is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to International Review of Education / Internationale Zeitschrift für Erziehungswissenschaft / Revue Internationale de l'Education. http://www.jstor.org This content downloaded from 185.44.78.123 on Wed, 11 Jun 2014 12:31:55 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

The Teaching of Mathematics || Das Lösen mathematischer Aufgaben in gestaltpsychologischer Sicht

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Das Lösen mathematischer Aufgaben in gestaltpsychologischer SichtAuthor(s): Kurt AurinSource: International Review of Education / Internationale Zeitschrift fürErziehungswissenschaft / Revue Internationale de l'Education, Vol. 7, No. 2, The Teaching ofMathematics (1961), pp. 208-220Published by: SpringerStable URL: http://www.jstor.org/stable/3441723 .

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DAS LOSEN MATHEMATISCHER AUFGABEN IN GESTALTPSYCHOLOGISCHER SICHT

von KURT AURIN, KOln

Wohl kaum eine psychologische Forschungsrichtung hat auf die didak- tischen Fragen und Probleme des Lehrens und Lerens, insbesondere auf dem Gebiet der Mathematik, einen derart starken EinfluB genommen wie die Gestaltpsychologie. Die in den zwanziger Jahren in Deutschland vertretenen gestaltpsychologischen Schulen - sowohl die Leipziger als auch die Berliner Schule - haben wertvolle Ergebnisse erarbeitet, die zu einer Anderung der psychologischen Ausrichtung der Didaktik, zu ihrer ,,Neuorientierung" 1) fiihrten. Man sollte nun annehmen, daB die Verbreitung gestaltpsychologischer Erkenntnisse und Einsichten und die damit verbundene Neugestaltung der mathematischen Didaktik im Laufe der Zeit auch ihre entsprechenden positiven Auswirkungen auf das mathematische Denken der Schiiler und ihre Leistungen haben miiBte. Einige vergleichende Klassenuntersuchungen scheinen diese Annahme zu bestaitigen. Auf der anderen Seite verstummen jedoch nicht die warnenden und kritischen Stimmen, daB noch keineswegs eine den allgemeinen psychologischen und individualpsychologischen Gesichtspunkten ent- sprechende didaktische Forderung des Schiilers erreicht sei.

Einer der namhaftesten Vertreter der Gestaltpsychologie in Deutsch- land, Wolfgang Metzger, spricht in diesem Zusammenhang davon, ,,daB aufgeweckte Kinder in die Schule mit der selbstverstindlichen Einstel- lung eintreten, rechnerische Probleme denkend zu bewaltigen ... und es bedarf keines Jahres, um in ihnen diese natiirliche und gesunde Ein- stellung vollig zu verichten." 2)

Wolfgang Metzger stellte auch Studenten innerhalb einer Vorlesungs- reihe fiber das Denken die Frage: ,,Wie dividiert man Briiche?" Wahrend seiner damals 23 Jahre wahrenden Laufbahn als Hochschullehrer erhielt Metzger nur von einem einzigen Studenten eine klare und iiberzeugende Antwort fiber den Sinn der hier herrschenden Regel des Vertauschens von Zahler und Nenner im Divisor und des dann erfolgenden Multipli- zierens. Zu ihnlichen Ergebnissen gelangte Wilhelm Neuhaus in einer Untersuchung ,,Ober das L6sen angewandter mathematischer Auf-

1) Eberhardt, ,,Neuorientierung der Unterrichtslehre durch die Gestaltpsycho- logie". Schola, 1949.

2) Wolfgang Metzger, ,,Erziehung zum selbstandigen Denken". Psychologische Rundschau, VIII. Jhrg., 2. Heft, S. 81 ff. 1957. Verlag fur Psychologie, G6ttingen.

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DAS LOSEN MATHEMATISCHER AUFGABEN

gaben".1) Trotz der Anweisung, nur durch logische Gedankenentwicklung zur L6sung der Aufgabe zu gelangen, war der groBte Teil der Versuchs- personen (Studenten) durch schematische Anwendung von bekannten Regeln und Rechentricks, eine weitere Gruppe durch Probieren ... und schliel3ich nur 7% der Versuchspersonen durch eine logisch biindige Uberlegung zur richtigen L6sung gelangt. Wie steht es nun mit dem Losen mathematischer Aufgaben in den unteren Klassen, im Vorhof - oder anders gesagt - im Wurzelbereich mathematischen Denkens? Unter dem Gesichtspunkt der EinfluBnahme der Unterrichtsgestaltung auf die Leistung des Schiilers 2) bin ich dieser Frage in einer vergleichenden Untersuchung an 15 Volksschulklassen nachgegangen. Dabei habe ich (ahnlich wie Neuhaus) den Schiiler des 2. und des 3. Schuljahres metho- disch und padagogisch unterschiedlich gefiihrter Klassen vier Arten von Aufgaben vorgelegt, die sich voneinander im Grad der Abstraktion unterschieden. 1. Lebensbezogene, anschaulich bildhaft gegebene Aufgaben. (Die Zahl ist eng

an einen konkreten Gegenstand gebunden.) 2. Aufgaben mit einheitlicher Zahlstellvertretung. (Das konnten Perlen, Kegel,

Wiirfel, schwarze Punkte sein, je nachdem, was fur eine Form der einheitlichen Zahlstellvertretung von dem jeweiligen Klassenleiter bevorzugt wurde.)

3. Abstrakte, rein zahlgebundene Aufgaben. 4. Sogenannte Vorgriffsaufgaben. (Aufgaben, die bislang noch nicht durch den

Schematismus der unterrichtlichen Bearbeitung hindurchgegangen und den Kindern somit neu und relativ unbekannt waren.)

Das Ergebnis dieser Untersuchung bei den Schiilern im Anfang des 2. Schuljahres war in allen Klassen eine relativ geringe Streuung in der Losung der Aufgabengruppen 1-3. In der Bewaltigung der Vorgriffsauf- gaben zeigten sich jedoch bereits recht unterschiedliche Ergebnisse: Bei einigen Klassen, die in der Art und Weise ihres Unterrichtsgeschehens sich padagogisch und didaktisch in spezifischer Weise kennzeichnen lieBen, wurden die abstrakten Vorgriffsaufgaben besser gelost als die sachbezogenen, anschaulich bildhaften Aufgaben, deren L6sung an sich hatte leichter fallen miissen, wahrend die Schiiler einer anderen Gruppe von Klassen beide Formen von Vorgriffsaufgaben zu einem relativ hohen Prozentsatz in annahernd gleicher Weise losten.

Im 3. Schuljahr waren erhebliche Unterschiede in der Losung der ver- schiedenen Aufgabengruppen vorhanden. Es zeigte sich, daB die Schiiler einer bestimmten Gruppe von Klassen in ihrem Leistungsverhalten am

1) Wilhelm Neuhaus, ,,tber das Losen angewandter mathematischer Aufgaben". Schule und Psychologie, 2. Jhrg. 1955, Heft 10, S. 290 ff. Ernst Reinhardt Verlag Miinchen/Basel.

2) Kurt Aurin, ,,Die Bedingtheit der Schiilerleistung durch die padagogische Gestaltungsform". Berlin, Diss. 1957.

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unausgeglichensten waren, wiahrend die Schiiler der anderen Gruppe von Klassen zu einer relativ ausgeglichenen Gesamtleistung gelangten (das heiBt die hier charakterisierten Arten von Aufgaben in annihernd gleicher Weise losten). Die Schiiler dieser Gruppe von Klassen des 3. Schuljahres zeigten ferner bessere Leistungen in der Losung der Vorgriffsaufgaben als die Schiiler der anderen Klassengruppe, die in der Losung der Vor- griffsaufgaben sichtlich abfielen und sich durch einen nicht unerheblichen Mangel an selbstandigem Denken - an Funktionalitat des Leistungsver- haltens - von ihnen unterschieden.

Das Gemeinsame der hier erwahnten Aussagen und experimentellen Untersuchungen liegt darin, daB auch heute noch in weiten Bereichen der Schulpraxis den Fragen und Problemen der Selbsttitigkeit und des selbstandigen und sch6pferischen Denkens nicht geniigend Rechnung getragen wird. Die F6rderung des Funktionalen im Leistungsverhalten der Schiiler wird oftmals durch starre didaktische Techniken und Kniffe, die sie in ihrer Spontaneitat einengen, und zugunsten ganz bestimmter, meist einseitiger Bildungserfolge verringert, wenn nicht gar unterbunden. Damit erleidet die Produktivitat, das sch6pferische Denken, EinbuBe.

Angesichts dieses Tatbestandes erscheint es angebracht, auf einige Gesichtspunkte und Erkenntnisse der Gestaltpsychologie hinzuweisen, die fur die hier er6rterten Fragen und fir das pidagogische Handeln des Lehrers von Bedeutung sind. Vier Sachverhalte seien vor allem hervor- gehoben: 1. Der innere Antrieb, der zum Erfassen und L6sen einer Aufgabe er-

forderlich ist - der Mut zum Denken und die Freude am Denken! Spontaneitit und Konzentration auf die Sache hingen damit auf das engste zusammen, ja sie bedingen sich gegenseitig.

2. Die richtige Einstellung und Beziehung zur Aufgabe (hier miinden ein die Frage nach dem Eigeninteresse des Kindes und die Frage nach seiner Denkeinstellung).

3. Der sch6pferische Denkvorgang, das Hervorholen-Herausfiihren (pro-ducere), das Hervorbringen der Losung aus den gegebenen Tat- bestanden.

4. Die Bedingtheit des individuellen Lernvorgangs durch die jeweilige Form des padagogischen Geschehens.

Was die Voraussetzungen im Antriebsbereich betrifft, so sei generell darauf hingewiesen, daB bei den Kindern, die anlagemaBig fiber eine aus- reichende geistige und intelligenzmaBige Begabung verfiigen, das Inte- resse an Mengen- und Raumbeziehungen sich im Laufe ihrer Entwick- lung von selbst einstellt. In der konkreten Auseinandersetzung mit ihnen erwerben sie sich mathematische Begriffe und mathematisches Denken

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und bauen es handelnd auf. Die urspriingliche Aufgeschlossenheit und Ak- tivitait fur mathematische Sachverhalte der Umgebung k6nnen jedoch - wie bereits erwahnt - durch negative Formen der Schulgew6hnung ein- gediammt werden. Das Mathematische eines Sachverhaltes, einer Aufgabe wird nicht mehr gesehen und erfaBt. Letztere nach einer bestimmten Technik zu erledigen, Erster zu werden, bald fertig zu sein und sich ein Lob zu verschaffen, treten oft an seine Stelle. Haufig wird die spezifische Ansprechbarkeit (Sensitivitat) des Kindes fur einen Gegenstand seiner Umgebung iibersehen und sein ,,Engagement" (MarCel) nicht ernst genug genommen. Es ware zu wiinschen, daB die Aufgabe selbst oder die im Material (potentiell) enthaltene Aufgabe sich fur das Kind durch einen besonderen ,,Aufforderungscharakter" auszeichnen sollte. Ein Auffor- derungscharakter (Lewin) liiBt sich jedoch nicht in ein Material oder Arbeitsmittel hineinarbeiten. Ein Arbeitsmittel kann asthetisch an- sprechend, materialgerecht und solide hergestellt sein; dennoch braucht es fur das Kind noch keinen ,,Aufforderungscharakter" zu besitzen, sondern es erhilt erst einen, wenn auf Grund einer bestimmten Gerichtet- heit der innerpsychischen Verfassung des Kindes im Wahrnehmen und Erfassen des Materials zugleich ein Vorgang spontanen Tuns ausgelost wird.

In der Praxis der Montessori-Arbeit kann man immer wieder Kinder beobachten, die lange Zeit an den Arbeitsmaterialien fur Mathematik nicht interessiert sind, bis sie plotzlich eines Tages danach greifen, ihnen daran etwas zur Frage, zum Problem wird. Erst wenn jenes sponttane Interesse sich bekundet, kann erzieherische Hilfe fruchtbar werden.

Natiirlich gibt es auch das Gegenteil: ein aufgepfropftes Interesse; aber seine padagogische Unhaltbarkeit und die damit verbundene psy- chologische Unechtheit sind in ihren negativen Auswirkungen nur allzu bekannt.

Es gibt aber auch ein ,,Anbieten", ein ,,AufschlieBen" und ein ,,Inte- ressieren" fur eine Sache. Nicht alle Kinder sind von dem gleichen Grad der Aktivitat und der Spontaneitat, und es wird auch in einer aufge- lockerten Form der Unterrichtsfiihrung - wie sie in der Montessori- Praxis angestrebt wird - immer wieder erforderlich sein, der nicht ge- ringen Gruppe durchschnittlich begabter Kinder einen Ansto/3, eine An- regung zur rechten Zeit und im rechten Augenblick zu geben. Hatten wir das seelisch gesunde, negativen Umwelteinfliissen gegeniiber immune Kind vor uns, brauchten wir uns um spontane geistige Aktivitat nicht zu sorgen. So aber haben wir Kinder in unserer Schule, die in ihrer Um- welt in der VJberfiille eines Reizangebotes stehen und sowohl zur Ab- stumpfung als auch zur tberreiztheit neigen; wir begegnen in unseren

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Klassen Kindern, die bereits in hohem MaBe die Daseinstechniken und Einstellungen der unter dem Zeichen des Konsums und Verwaltet- werdens stehenden Erwachsenenwelt auf ihre Weise iibernommen haben, wie z.B. das Hinnehmen, das Verbrauchen und das Erledigen - nicht zu- letzt das Beanspruchen und Fordem. Dem recht verstandenen Anregen kommt somit heute padagogisch eine besondere Bedeutung zu. Den Mut zur eigenstandigen Auseinandersetzung zu f6rdern, die Freude am selb- standigen Denken wach zu halten, ist eine padagogische Kunst, fur die es kein Rezept gibt, well sie in der Pers6nlichkeit des Lehrers begriindet ist.

Wenn Martin Wagenschein von einer ,,nicht verspannten Aufmerk- samkeit" spricht, so ist diese nur aus innerer Freiheit m6glich und kann auch nur in einem Raum freier k6rperlicher, geistiger und seelischer Loko- motion zur vollen produktiven Auswirkung gelangen. Der Gestaltpsycho- loge und Feldtheoretiker Kurt Lewin, der den Begriff der freien Loko- motion gepragt hat, wies vor allem auf die Bedeutung der Situation und des sozialen Feldes fiir das Handeln und Verhalten des Individuums hin. Gerade die durch Lewin vollzogene fruchtbare Erweiterung der Gestalt- psychologie ist fur die Padagogik von unmittelbarer Bedeutung.l)

Auf die personale Bezogenheit des produktiven Handelns hat nicht nur Wertheimer 2) sondern hat insbesondere auch Sander 3) in seinen aktualgenetischen Untersuchungen aufmerksam gemacht. Sch6pferisches Denken und Handeln (und vor allem das Losen elementarer mathe- matischer Probleme zeichnet sich ja in hohem MaBe dadurch aus), stiitzt sich nicht nur und ausschlieBlich auf die formal-logischen Denk- operationen, sonder immer ist der gesamte Mensch, die Gesamtperson- lichkeit des Kindes beteiligt. Und zu dieser Gesamtheit geh6rt nicht nur der Intellekt oder die ratio, sondern auch der Gefiihlsbereich und die mit ihm verbundenen Strebungen und Wollungen. An dieser Stelle sei auch auf den Vorgang des Erweckens hingewiesen, der bei Maria Montessori 4) zur personalen ErschlieBung des Kindes, das noch nicht zu sich selbst

1) Friedrich Winnefeld, ,,Psychologische Analyse des padagogischen Lernvor- gangs". Padagogische Psychologie. 10. Bd. d. Handbuches fur Psychologie, S. 93/94 Gottingen: Verlag fur Psychologie. 1959.

2) Max Wertheimer. Produktives Denken. Frankfurt/Main: Waldemar Kramer, 1957.

3) Friedrich Sander, ,,Experimentelle Ergebnisse der Gestaltpsychologie". Be- richt fiber den 10. KongreB fur experimentelle Psychologie, Bonn 1927; ,,Funktio- nale Struktur, Erlebnisganzheit und Gestalt". Archiv f. d. gesamte Psychologie 1932, Bd. 85.

4) Maria Montessori, Selbsttdtige Erziehung im fruhen Kindesalter. Stuttgart: Julius Hoffmann, 1913, S. 34 ff.

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DAS LOSEN MATHEMATISCHER AUFGABEN

gefunden hat, das noch unerschlossen ist, seine zentrale pidagogische - mit Bollnow 1) gesprochen - seine existenzielle Bedeutung hat.

Den Beweis fiir die Beteiligung des Gefiihls, der vorbewuBten und un- bewuBten Vorgange geben uns die Kinder im lebendigen Geschehen der Schul- und Kindergartenpraxis tiglich. Sie k6nnen es nicht erkliren und sprachlich nicht ausdriicken, warum sie gerade jetzt und dort dieses be- stimmte Arbeitsmittel, eine bestimmte Frage interessiert. Ihr Interesse selbst ist Ausdruck ihres mathematischen Suchens. Beim Aufkommen einer Frage, oder auch bei den Vorstufen, die zur Losung eines Problems fiihren, sind es oftmals Gefiihle der Unstimmigkeit und des Gespannten, die anzeigen, daB irgendetwas nicht ,,in Ordnung" ist. Mit ihnen gehen vage Ahnungen einher, Verschwommenheiten, in denen sich aber doch bereits irgendwie Konturen neuer Gestalten abzeichnen und die als Vor- gestalten bezeichnet werden.

So geben die Gefiihle des Unstimmigen meist den Bereich und auch die Richtung an, wo die Liicke ist, wo der Fehler sitzt, wo etwas wieder stimmig gemacht werden und in seine alte - bzw. in eine andere, bessere, h6here Ordnung gebracht werden muB. Es sind die Gefiihle des Unge- ordnetseins, aus denen das Bestreben entspringt, dem Ganzen, noch Unvollkommenen, die richtige "passende" Ordnung, die gegliederte, stimmige, in sich abgeschlossene und zum Ganzen sich fiigende und rundende Gestalt zu geben.

Diesen Passens- und Ganzheitsqualitdten kommt fur die L6sungsfindung eine erh6hte psychologische Bedeutung zu. In dem von Maria Montessori ersonnenen Material finden wir sie in besonderer Weise beriicksichtigt. Wir erleben ihre Wirksamkeit allerdings erst, indem wir konkret am Material die Losung einer Aufgabe versuchen und dabei in den ProzeB des Verganzens, bzw. des Stimmig- und Passend-Machens hineinge- langen.2)

Die Wirksamkeit der gestaltpsychologischen Faktoren im engeren Sinne sei an einem kleinen, sehr einfachen Beispiel demonstriert, das dem Verfasser einmal in einer Montessori-Klasse von einem Kinde gegeben wurde:

1. Ein 7jahriges Kind hatte im konkreten Umgang mit dem Montes- sori-Material die verschiedensten Erfahrungen fiber die Aufteilung eines Quadrates in Rechtecke, Quadrate und Dreiecke gemacht.

Es hatte die verschiedenen Teile miteinander verglichen, dabei ge- wisse Beziehungen festgestellt sowohl hinsichtlich der Lange, der H6he,

1) Otto Friedrich Bollnow, Existenzphilosophie und Pddagogik. Stuttgart: Kohl- hammer, 1955, S. 52 ff.

2) Siehe Karl Gerhards, Zur Beurteilung der Montessori-Pddagogik. Leipzig: Johann Ambrosius Barth, 1928.

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der Breite und der Gr6oe der verschiedenen Teilfiguren als auch hinsicht- lich der zahlenmBiigen Verhiltnisse der Teilfiguren im Ganzen der

I l 1' I I J N

einzelnen Quadrate. Damit beschiftigte es sich eine Woche lang. Es ge- schah dann fir 2 bis 3 Wochen nichts mehr. Am Ende der 3. Woche aber holte sich das Kind wieder die Metalleinsitze mit den verschiedenen Auf- teilungen des Quadrates und begann mit ihnen - ohne anscheinend irgendetwas Besonderes vorzuhaben - zu spielen. Das heiBt: es holte sich aus den verschiedenen Quadraten Einzelteile heraus und schob sie in spielerischer, probierender Manier vor sich auf der Tischplatte hin und her. SchlieBlich hielt es an, stutzte und nahm sich von den verschiedenen Einzelteilen der Quadrate, die vor ihm auf dem Tisch lagen, zwei heraus und schob alle anderen zur Seite.

Im Folgenden versuche ich die Gedankensprache des Kindes, die man auf Grund der Ausdrucksbewegungen und des Hantierens, sowie des Gesamtverhaltens in- direkt erschlieBen konnte, zum VerstAndnis der nun einsetzenden Vorgange wieder-

zugeben:

2. ,,Das | | ist eine Hilfte" - so wird sich das Kind gedacht

haben - ,,und das ist auch eine Hilfte / .

,,Komisch, das hier / ist doch viel groiler als das hier

[ J !" ,,Sind beide wirklich dasselbe - wie Frau Krause, unsere

Lehrerin, es uns erklart hat - namlich zwei Hilften? Ich kann das nicht glauben."

3. ,,Das miiBte dann doch zusammen auch ein Quadrat geben?" ,,Vielleicht versuche ich es einmal!" Das Kind hantierte mit den beiden

figural verschiedenen Hiilften und schob sie vor sich auf der Tischplatte hin und her, darum bemiiht, beide zu einem Quadrat zusammenzusetzen.

,,So hier - nein das geht nicht!" ,,Hier steht etwas fiber, / \ ~ dort steht etwas iber, dort und dort auch, zu dumm - und

| | nach einem Quadrat sieht es auch nicht aus - eher wie ein Haus ! ,,Aber man miiBte es doch zusammensetzen k6nnen !"

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DAS LOSEN MATHEMATISCHER AUFGABEN

,,Vielleicht so hier - oder so hier - oder so ... aber immer steht etwas uiber ... ?"

SchlieBlich hatte es folgende Figur vor sich liegen und schien ange- strengt zu iiberlegen.

-"?' , 4. ,,Hier muB etwas sein - hier fehlt etwas - ja dort ist ' _,, etwas zu viel ... das miilte man da wegschneiden k6nnen

"["'~' V und dorthin legen." - Pause! - ,,Ob das geht? Aber diese

,*ie. Figur kenne ich doch, wo habe ich sie denn schon gesehen?" ,,Ach hier ist es - hier sind ja lauter solche Dreiecke!" ^. ,,Ja, das ist genau das gleiche Dreieck und hier fehlt

genau dasselbe Dreieck. Es liegt bloB etwas anders." Es setzt das Dreieck wiederholt hin und her.

5. ,,Jetzt hier weg - jetzt dorthin ... jetzt hier weg - jetzt dorthin." Ja, es ist wirklich ein Quadrat ... und das Dreieck ist eine Halfte und das Rechteck ist eine Halfte ... beide sind gleich groB! Das muB ich

unbedingt Frau Krause sagen, die wird das gar nicht glauben, daB das

1 I gleich dem / ist."

So weit der mathematische konkret operative Vorgang, der von dem Kind durchgefiihrt wurde. Die gestaltpsychologisch wesentlichen Schritte hierbei sind folgende:

Zu I). Die 1. Stufe liegt noch vor der Entdeckung des Problems. An einem didaktischen Material wird die Bekanntschaft mit einer prignanten Gestalt - dem Quadrat - gemacht. Sie wird in verschiedenen Variationen der Aufgliederung erfahren. Das vollzieht sich durch konkretes Han- tieren mit dem Material: Durch Auseinandersetzen, Zusammensetzen, Einsetzen, durch Vergleichen, Aufteilen und Verteilen. Folgende mathe- matische Grunderfahrungen werden dabei gestaltlich gewonnen: Die Auf- teilung der Einheit in in sich gleiche, aber entsprechend der Variationen doch voneinander unterschiedliche Teile; Gleichheit der innerhalb des Ganzen gegebenen Teile; Zusammengeh6rigkeit der Teile zum Ganzen; Unterschiedlichkeit der verschiedenen Teile der einzelnen Quadrate und

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ihrer verschiedenen Beziehungen zueinander. Damit findet eine An- reicherung und Verdichtung konkreter Erfahrungen iiber die Gestalt des Quadrates statt.

Zu 2) Auf der 2. Stufe erfolgt auf gestaltlicher Basis die Entdeckung des Problems. Genau so wie seine Losung stellt sie einen schopferischen Akt dar, denn der dem Kind zur Frage gewordene Sachverhalt enthalt bereits eine gedankliche Vorwegnahme, eine neue Einsicht, die es konkret bislang noch nicht erfahren hatte. Die Gestalt des Quadrats ist von nun an als Zielvorstellung - im Sinne der Vereinigung gestaltlich unterschied- licher Halften zu einem Ganzen - wirksam. Mit dieser Intention setzt eine Dynamik ein, die auf den folgenden Stufen bis zur L6sungfindung hin sich noch verstarkt.

Zu 3) Die 3. Stufe stellt fur das Kind die Phase des Suchens und des Probierens dar. Zunachst werden hinsichtlich der Ziel- und Endgestalt noch recht unprignante Vorgestalten gelegt. Das geschieht vorerst mehr spielerisch, vorwiegend gefiihlsmaBig und auch relativ ,,unmethodisch". Das Erfahren der ,,unsch6nen", unsymmetrischen Gestalten (die unter- schiedlichen Teilganzen wollen sich noch nicht zur ausgezeichneten Ge- stalt des Quadrats zusammenfiigen lassen), ist mit Gefiihlen des Un- stimmigen verbunden, die anzeigen, daB die gesuchte gestaltliche Ord- nung einer bestimmten figiirlichen Harmonie noch nicht erreicht ist. Von einem miBgliickten Versuch zum anderen wird die Spannung qualender und driickender, sie verdichtet sich unmerklich, als das Kind durch Zu- sammenlegen eine Gestalt herausgefunden hat, die an die Zielgestalt ,,Quadrat" am starksten herankommt.

Zu 4) Bei dem nun verstirkt einsetzenden Bestreben des Kindes, die volle Ganzheit, die gute und pragnante Gestalt herzustellen, beide Halften zum Ganzen passend zu machen, konzentriert sich seine Auf- merksamkeit einmal auf die noch offene Stelle der noch nicht geschlosse- nen Gestalt des Quadrats, zum anderen auf jene Unterteile des Quadrats, die sich miteinander iiberdecken. Das Problem wird damit gestaltlich immer stiirker durch strukturelle Aufgliederung der ,,noch nicht geschlos- senen Quadratgestalt" eingegrenzt. Beim Vergleichen des Unterteils, das ,,zu viel" ist, mit der Liicke, die noch geschlossen werden muB, wird zu- nichst gestaltliche Ahnlichkeit, schlieBlich aber Gleichheit festgestellt (dies geschieht unter Bezugnahme auf die Aufgliederung des Quadrats in 8 gleichseitige, rechtwinklige Dreiecke). Damit wird das Transponieren des Unterteils, das ,,zu viel" ist, in die ,,Gestaltliicke" m6glich. Die Spannung hat ihren H6hepunkt erreicht; mit der Entdeckung, daB durch Wegnahme eines Unterteils der Dreieckshilfte und durch seine Ein-

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DAS LOSEN MATHEMATISCHER AUFGABEN

fiigung in die bestehende Liicke die Gestalt des Quadrats hergestellt ist, lost sie sich.

Zu 5) Es finden noch einmal gestaltliche Durchgliederung, Umstruk- turierung und erneutes Erfassen der Einzelbeziehungen der Unterteile des erstellten Quadrates statt. Das Quadrat erreicht sowohl als Ganzes wie auch in seiner fur die Losung spezifischen Aufgliederung gestaltlich einen hohen Pragnanzgrad. Die Losungsoperation wird nun mehrfach wiederholt. Dieses konkrete Tun geht mit dem Gefiihl des Stimmigen, vor allem aber auch mit dem Gefiihl der Befriedigung, der Freude und der Lust an dem gegliickten Versuch einher. Das Erlebnis der Ent- deckung hat das Kind personal verandert; es hat sich selber einen neuen geistigen Zugang zu einem mathematischen Sachverhalt seiner Um- gebung erschlossen und damit zugleich innere Bereicherung erfahren.

Mathematisch ist damit auf der Basis konkreter Gestaltlichkeit der Nachweis erbracht worden, daB die beiden figural unterschiedlichen Unterganzen inhaltlich gleich sind und zusammen ein geschlossenes Ganzes, das Quadrat, ergeben. Ferer wurde innerhalb des damit ver- bundenen operativen Vorgangs die Transponierbarkeit eines bestimmten Teiles des Unterganzen an eine bestimmte Stelle desselben und damit das Gesetz der Kommutativitit erfahren. AuBerdem findet eine Vorbereitung fiir die Berechnung des Dreieckinhaltes (hier der Dreieckshalfte) statt:

h b2 I = b. -, wobei in diesem Sonderfall h = b ist, also I = -. Der Schwer-

2' 2

punkt des operativen Vorganges liegt innerhalb der 4. Stufe, in der Losung des Problems. Durch Umgliederung des gegebenen Feldes wird die Losung gefunden, werden neue Beziehungen entdeckt und wird eine Vermutung bewiesen.

Es sei darauf hingewiesen, daB sich an dem hier dargestellten Beispiel die ehe- mals klassische Definition des Intelligenzbegriffes, so wie sie uns Kohler, Koffka und Wertheimer in den zwanziger Jahren gegeben haben, ableiten laBt. Der heute recht weit definierte Intelligenzbegriff - Anpassung an neue Situationen - sagt nichts oder kaum etwas fiber die Spontaneitat und Produktivitat, noch iiber die dem intelligenten Verhalten eigene Funktionalitat aus.

BewuBt sind wir auf die Gestaltungsfaktoren im engeren Sinne erst am Ende unserer Darlegungen naher eingegangen. Die mit ihnen ver- bundenen Vorginge selbsttatigen, schopferischen Handelns iiben auf uns oft eine faszinierende Wirkung aus. Allzu leicht konnen dariiber jene psychologischen Grundsachverhalte vergessen werden, die von der Ge- staltpsychologie und ihren verschiedenen Richtungen ebenfalls erarbeitet und herausgestellt worden sind: die personale Bezogenheit schopferischen Handelns, die Bedeutung der Situation und des jeweiligen sozialen Feldes

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fur den Vollzug eigenstandigen, produktiven Tatigseins und damit ver- bunden die Wirkungsweise der jeweiligen Kontaktform des Erziehers.

Die konkrete Bedeutung und Funktion, die ihnen im einzelnen hin- sichtlich des Leistungsverhaltens der Schiiler in einer Klasse zukommen kann, habe ich in der bereits erwahnten Untersuchung nachzuweisen versucht. So stellte es sich u.a. heraus, daB die vorhin erwahnte Gruppe von Schulklassen, die bessere Leistungen in der Losung der verschiedenen mathematisch-rechnerischen Aufgaben zeigten, ganz bestimmte Ganz- heits- und Montessori-Klassen waren.

Einige der Montessori-Klassen traten gegeniiber den Ganzheitsklassen in der Losung der Vorgriffsaufgaben noch besonders hervor. Damit wird eindeutig die intensive Forderung des funktionalen Momentes im mathe- matisch-rechnerischen Leistungsverhalten ihrer Schiiler herausgestellt. Innerhalb des konkreten padagogischen Geschehens dieser Klassen konnte nicht nur die Verwirklichung einer nach der Ganzheits- und Ge- staltpsychologie orientierten Didaktik festgestellt werden, sondern das in diesen Klassen vorgefiihrte Geschehen zeichnete sich vor allem durch eine auf dem Wege der freien Einzel- und Gruppenarbeit sich vollziehende individuelle Forderung der Kinder aus. Ferner war mit der gr6Beren Stabilitat des sozialen Ordnungsgefiiges in diesen Klassen zugleich auch ein grl3erer Raum ,,freier Lokomotion" gegeben, wie auch die Kontakt- form des Lehrers in diesen Klassen zur Weckung und Erm6glichung der Eigenaktivitat und Spontaneitat der Schiiler in starkerem MaBe beitrug als in den iibrigen Klassen. Die konkrete pidagogische Situation in diesen Klassen und die in ihnen vorhandene ,,vorbereitete Umgebung" 1) waren giinstige Bedingungen fur eigenstandiges, produktives Handeln der Kinder und fur ungezwungenes Probieren und ,,spielerisches" Ent- decken, wie es der Schweizer Padagoge Guyer fur diese Altersstufe fur charakteristisch und padagogisch zu f6rdern fur notwendig halt.

Die von der Gestaltpsychologie aufgefundenen GesetzmaBigkeiten diirfen nicht an sich (isoliert) betrachtet werden, sondern sie miissen in ihrer Einbettung und Verflochtenheit im konkreten padagogischen Ge- schehen einer Klasse, das heiBt in der Funktionalitat der Beziehungen innerhalb eines komplexen Wirkungszusammenhanges unterschiedlich- ster Faktoren, gesehen und erfaBt werden. So erweist sich eine Erfor- schung des padagogischen Feldes, wie sie Oswald Kroh (in der von ihm konzipierten pidagogischen Psychologie) und Georg Muller (innerhalb einer empirischen Padagogik als pddagogische Tatsachenforschung) for- dern, fur unerlaBlich. Ohne gesichertes Wissen iiber die padagogische

1) Zum Begriff der ,,vorbereiteten Umgebung" siehe E. M. Standing, Maria Montessori, Leben und Werk. Stuttgart: Ernst Klett, 1959, S. 240 ff.

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DAS LOSEN MATHEMATISCHER AUFGABEN

Situation, ohne Kenntnis der sie bedingenden Faktoren und der Besonder- heit der Funktionalitit ihrer Beziehungen kann das Bemiihen des Er- ziehers, mag es auch von noch so gutem Willen getragen sein, leicht fehlgehen.

Die einer padagogisch orientierten Psychologie gegebenen Moglich- keiten k6nnen - wie hier nur fragmentarisch und andeutungsweise ge- zeigt werden konnte - nicht nur zu einer Intensivierung und gr6oeren Wirksamkeit des pidagogischen Geschehens, sondern auch zur Einheit padagogischer Geschehensgestaltung konstruktiv beitragen.1)

LA SOLUTION DES PROBLEMES MATHEMATIQUES DANS LA PERSPECTIVE DE LA PSYCHOLOGIE GESTALTISTE

par KURT AURIN, Cologne

Les d6couvertes et les r6sultats apport6s par la psychologie Gestaltiste ont con- duit a une orientation nouvelle de la didactique. L'examen des niveaux d'instruction des 61eves, tant dans l'enseignement sup6rieur qu'inferieur, indique cependant, que dans la solution des problemes math6matiques, la d6marche cognitive des sujets testes reste fort d6pendante et peu fonctionnelle. Une recherche compara- tive, menee en 26me et en 3eme ann6es de l'6cole primaire a r6v6el que, dans cer- taines classes, les performances math6matiques des 61eves 6taient particuli6rement bonnes. L'analyse des conditions scolaires concretes et de l'activit6 p6dagogique r6gnant dans ces classes a montre que, par comparaison aux autres classes, ce ne sont pas tellement les origines sociales ou les dons des 61eves qui different, mais bien les conditions p6dagogiques memes qui permettent et stimulent une plus grande activite individuelle et une ind6pendance plus large. L'ampleur du champ de "free locomotion" (Lewin), la stabilit6 relative de la structure d'une classe, l'atmosphere g6n6rale et la nature du contact pedagogique 6tabli par le maitre jouent ici un r61e determinant.

La psychologie de la Gestalt a donn6 l'impulsion vers une plus grande consid6-

1) Die hier an Volksschulklassen festgestellten Unterschiede im Leistungsver- halten der Schiller finden in gewisser Weise Bestatigung durch Unterrichtsversuche, iiber die Maria Tortorici (Consiglio Nazionale delle Ricerche, Rom) berichtet. Es handelt sich um den Versuch, mit Schulern der ersten Klassen einer staatlichen Mittelschule Italiens arithmetische und geometrische Probleme zu erarbeiten, die uber das durchschnittliche Klassenpensum hinausreichen. In zwei Klassen, die zum groBten Teil aus Schiilern der Montessori-Volksschule (Elementarschule) be- standen, hatte ihr Versuch positive Ergebnisse gezeitigt, wahrend in einer dritten Klasse, deren Schuler nicht die Montessori-Elementarschule durchlaufen hatten, die Ergebnisse ihres Versuches unzureichend waren und dieser nach einigen Mona- ten aufgegeben werden muBte.

Auf Grund ihrer Versuche gelangte Dr. Tortorici zu der Folgerung, daB ,,die praktische Anwendung und stoffliche Behandlung der erworbenen Kenntnisse die natiirlichen psychischen Bediirfnisse der auf die Montessori-Elementarschule ge- gangenen Kinder befriedige und sie zugleich dazu befahige, ohne gr6olere Schwierig- keiten zum Vorgang der Abstraktion iiberzugehen und zu klarer und genauer Er- fassung der mathematisch entscheidenden Beziehungen zu gelangen". - Wesent- lich fur die Durchfiihrung ihrer Versuche war gegeniiber anderen Mittelschulklassen das groBere MaB an Freiheit in der Aufstellung des Stunden- und Lehrplanes.

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ration de la situation et du champ social particulier; d6passer le cadre de la de- couverte des facteurs gestaltistes (au sens 6troit), cette psychologie a conduit & l'6tude des facteurs individuels et personnels qui participent a l'activit6 et a la pens6e creatrices dans l'elaboration de la Gestalt. De meme, et comme Max Wert- heimer l'a d6montr6 de fa9on convaincante, la solution des problemes math6- matiques ne s'opere pas seulement sur une base purement intellectuelle et logique, mais le sentiment et l'imagination jouent aussi un r61e d6cicif dans la recherche et la d6couverte.

Les diff6rents stades de la d6marche spontan6e qui conduit a la solution d'un probleme sont d6montr6s par l'analyse du processus suivi par un enfant de 7 ans qui s'attaque a un probleme qu'il a formul6.

Si l'on veut rendre les performances math6matiques des eleves plus fonction- nelles, il ne faut pas seulement se tourner vers une didactique inspir6e de la psy- chologie de la Gestalt, mais il faat aussi r6aliser une activit6 p6dagogique plus efficace et plus intense en tenant compte des facteurs psychiques individuels et sociaux d6terminants dans le complexe total de chaque situation p6dagogique.

THE SOLUTION OF MATHEMATICAL PROBLEMS FROM THE POINT OF VIEW OF GESTALT PSYCHOLOGY

by KURT AURIN, Cologne

A new trend has been introduced into teaching by the insights and discoveries produced by Gestalt psychology. Tests of mathematical performance, in students as well as in schoolchildren, have revealed a very limited degree of independent and functional thinking in the majority of those examined, when set to solve mathe- matical problems. During a comparative study of the second and third year prima- ry school classes, pupils in one or two classes achieved especially good results in mathematics. When the actual conditions and mode of teaching in these classes were subjected to analysis it became apparent that, in comparison with other classes, the causes were to be found less in social origin and the individual aptitudes of the children than in the way they were encouraged to work in an independent and original manner. The field of "free locomotion" (Lewin), the relative stability of the class structure, the "atmosphere" of the class and the nature of the teacher's manner and relationship towards the children he teaches, all these were shown to play a determining role in the educational situation.

The impetus towards taking greater account of the educational situation and the social environment was given by Gestalt psychology, which followed the dis- covery of Gestalt factors (in the narrower sense) by ascertaining individual and personal factors. In the same way the solution of mathematical problems, as Max Wertheimer has proved, is not simply a matter of intellect and logic, but feeling and imagination also have a decisive role to play in the act of discovering a solution.

The author demonstrates the various stages of the child's spontaneous or natural manner of setting about the solution of problems, using as an example a problem which a 7-year-old set himself.

If we wish to foster the functional element in children's performances in mathe- matics, it is necessary not only to bear in mind the results of Gestalt psychology in planning our teaching, but also to achieve greater effectiveness and intensi- fication of the educational process by taking into account the individual and social factors which are of decisive psychological importance in the whole complex of a given educational situation.

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