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90 Frank Heinrich Theoretische Analysen und empirische Erkundungen über das Wechseln von Lösungsanläufen beim Lösen mathemati scher Probleme Habilitationsschrift zur Erlangung der Lehrbefähigungfor das Gebiet Didaktik der Mathematik an der Friedrich - Schiller - Universität Jena Gutachter: Prof Dr. Bernd Zimmermann (Universität Jena) Prof Dr. Werner Krause (Universität Jena) Prof Dr. Dietrich Dörner (Universität Bamberg) Aus der weiteren Erforschung von (mathematischen) Problemlösungsprozessen können neuartige oder zumindest ergänzende Ansatzpunkte zur Förderung der Problemlösefa- higkeit, einem wichtigen Ziel von Mathematikunterricht, resultieren. Vor diesem Hintergrund geht es dem Autor (zunächst) darum, Vorgänge zu identifizie- ren und detailliert zu beschreiben, die für den Verlauf und das Ergebnis von Problemlö- seprozessen bestimmend sind. Dazu wird auf der Grundlage von Literaturquellen und ei- genen Erfahrungen ein Steuerungs schritt - Arbeitsschritt - Modell vom Lösen mathe- matischer Probleme entwickelt, welches drei bedeutsame Vorgänge in den Mittelpunkt rückt: das Wechseln von Lösungsanläufen, das Fortentwickeln einer Lösungsidee und das Ausführen einer Lösungsidee (bzw. eines Ideenteils). Das Wechseln von Lösungsanläufen wird anschließend als zentraler Untersuchungsge- genstand ausgewiesen. Diese Begrifflichkeit bezeichnet einen vom Problemlöser vollzo- genen Übergang von einem nicht zum Ziel führenden oder geführten Lösungsanlauf zu einem anderen, davon verschiedenen Lösungsanlauf. Derartige Übergänge werden vor allem dann bedeutsam, wenn Problemlöser in Situationen geraten, wo sie erkennen oder zumindest zu wissen glauben, dass sie auf dem gewählten Wege nicht oder nicht so recht weiter kommen und deshalb den aktuellen Lösungsanlauf abbrechen bzw. be enden. Nachdem in der Arbeit die Fähigkeit zum (geeigneten) Wechseln eines (subjektiv erfah- renen) unergiebigen Lösungsanlaufes als eine wesentliche Komponente der (mathemati- schen) Problemlösefahigkeit ausgewiesen wurde, wird der Frage nachgegangen, in wel- cher Weise diese Wechselthematik in der wissenschaftlichen Literatur bislang Berück- sichtigung fand. Die breit angelegte Literaturanalyse führt zu dem Ergebnis, dass die Bedeutung derartiger Wechsel nicht in Frage gestellt wird, dieser Aspekt in mathematik- didaktischen Unternehmungen zum Problemlösen und insbesondere in Konzepten zur Förderung der Problemlösefähigkeit gegenüber anderen Aspekten bislang aber eher ver- nachlässigt wurde. Das mag maßgeblich darin begründet sein, dass unser Wissen über derartige Wechselsituation und -vorgänge noch recht lückenhaft ausfällt. Es war daher die Absicht leitend, mittels einer empirischen Erkundungsstudie diese Wis- senslücke zu verringern und mehr Details über das Wechseln von Lösungsanläufen ans Tageslicht zu fordern, insbesondere solchen, die möglicherweise (spezifische) Anregun- gen geben können für das Verständnis und für die Förderung der Problemlösefahigkeit. (JMD 26 (2005) H. 1,8.90-91)

Theoretische Analysen und empirische Erkundungen über das Wechseln von Lösungsanläufen beim Lösen mathematischer Probleme

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Page 1: Theoretische Analysen und empirische Erkundungen über das Wechseln von Lösungsanläufen beim Lösen mathematischer Probleme

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Frank Heinrich

Theoretische Analysen und empirische Erkundungen über das Wechseln von Lösungsanläufen beim Lösen mathemati­scher Probleme

Habilitationsschrift zur Erlangung der Lehrbefähigungfor das Gebiet Didaktik der Mathematik an der Friedrich - Schiller - Universität Jena

Gutachter: Prof Dr. Bernd Zimmermann (Universität Jena) Prof Dr. Werner Krause (Universität Jena) Prof Dr. Dietrich Dörner (Universität Bamberg)

Aus der weiteren Erforschung von (mathematischen) Problemlösungsprozessen können neuartige oder zumindest ergänzende Ansatzpunkte zur Förderung der Problemlösefa­higkeit, einem wichtigen Ziel von Mathematikunterricht, resultieren.

Vor diesem Hintergrund geht es dem Autor (zunächst) darum, Vorgänge zu identifizie­ren und detailliert zu beschreiben, die für den Verlauf und das Ergebnis von Problemlö­seprozessen bestimmend sind. Dazu wird auf der Grundlage von Literaturquellen und ei­genen Erfahrungen ein Steuerungs schritt - Arbeitsschritt - Modell vom Lösen mathe­matischer Probleme entwickelt, welches drei bedeutsame Vorgänge in den Mittelpunkt rückt: das Wechseln von Lösungsanläufen, das Fortentwickeln einer Lösungsidee und das Ausführen einer Lösungsidee (bzw. eines Ideenteils).

Das Wechseln von Lösungsanläufen wird anschließend als zentraler Untersuchungsge­genstand ausgewiesen. Diese Begrifflichkeit bezeichnet einen vom Problemlöser vollzo­genen Übergang von einem nicht zum Ziel führenden oder geführten Lösungsanlauf zu einem anderen, davon verschiedenen Lösungsanlauf. Derartige Übergänge werden vor allem dann bedeutsam, wenn Problemlöser in Situationen geraten, wo sie erkennen oder zumindest zu wissen glauben, dass sie auf dem gewählten Wege nicht oder nicht so recht weiter kommen und deshalb den aktuellen Lösungsanlauf abbrechen bzw. be enden.

Nachdem in der Arbeit die Fähigkeit zum (geeigneten) Wechseln eines (subjektiv erfah­renen) unergiebigen Lösungsanlaufes als eine wesentliche Komponente der (mathemati­schen) Problemlösefahigkeit ausgewiesen wurde, wird der Frage nachgegangen, in wel­cher Weise diese Wechselthematik in der wissenschaftlichen Literatur bislang Berück­sichtigung fand. Die breit angelegte Literaturanalyse führt zu dem Ergebnis, dass die Bedeutung derartiger Wechsel nicht in Frage gestellt wird, dieser Aspekt in mathematik­didaktischen Unternehmungen zum Problemlösen und insbesondere in Konzepten zur Förderung der Problemlösefähigkeit gegenüber anderen Aspekten bislang aber eher ver­nachlässigt wurde. Das mag maßgeblich darin begründet sein, dass unser Wissen über derartige Wechselsituation und -vorgänge noch recht lückenhaft ausfällt.

Es war daher die Absicht leitend, mittels einer empirischen Erkundungsstudie diese Wis­senslücke zu verringern und mehr Details über das Wechseln von Lösungsanläufen ans Tageslicht zu fordern, insbesondere solchen, die möglicherweise (spezifische) Anregun­gen geben können für das Verständnis und für die Förderung der Problemlösefahigkeit.

(JMD 26 (2005) H. 1,8.90-91)

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Dissertationen / Habilitationen 91

Ausgehend von den festgestellten Wissensdefiziten ging es in der Erkundungsstudie vor allem darum, (weitere) Antworten auf die folgenden (hier verkürzt wiedergegebenen) Fragen zu erhalten: Warum werden Lösungsanläufe gewechselt? Welche Aspekte des Problemlösungsprozesses werden beim Wechseln verändert? Wie erfolgen die Wechsel? Wie "gut oder schlecht" wird gewechselt?

Mit der Entwicklung und Begründung des methodologischen Vorgehens zur Beantwor­tung der aufgeworfenen Fragen wird dann zum empirischen Teil der Arbeit übergeleitet. Als Probleme wurden "anspruchsvollere" mathematische Probleme verwendet, die überwiegend aus der Geometrie stammen. Probanden waren in Partnerarbeit agierende ältere Schüler und Lehramtstudierende, die selbständig - gemeinsam nach einer Lösung suchten. Von jeder der durchgeführten Problemlösesitzungen wurde eine Videoauf­zeichnung (von ca. 45 Minuten Dauer) angefertigt. Retrospektive Äußerungen der ein­zelnen Personen zum Bearbeitungsverlauf während des Betrachtens der Videoaufzeich­nung unmittelbar nach Beendigung der Problemlösesitzung ergänzten das Analysemate­rial. Die in mehreren Bearbeitungsstufen durchgeführte Analyse (Rekonstruktion des Problemlöseganges, Identifizieren von Wechselvorgängen und -situationen, Charakteri­sierung derselben, Bewertung von Verhaltensweisen der Problemlöser beim Wechseln) erfolgte in einem kleinen Team in Anlehnung an die Methode der konsensuellen Validie­mng.

In der Schrift werden sodann 13 ausführlich aufbereitete Fallbeispiele vorgestellt, in de­nen der jeweilige Problemlösegang nachgezeichnet und vor dem Hintergrund der oben aufgeworfenen Fragen diskutiert wird. Dabei werden je nach Fragestellung und Erkun­dungsabsicht verschiedene Sichtweisen eingenommen, unter denen sich Problemlösen in Partnerarbeit betrachten und analysieren lässt (Problemlöseverhalten eines Individuums, Handeln des Lösungspaares als ein Ganzes, Lösungspaar als interaktives System).

In der dann folgenden Zusammenfassung erwartet den Leser eine Fülle möglicher Ant­worten zu den oben formulierten Fragen.

Abschließend erfolgt eine Diskussion der empirischen Befunde. Unter der Vorausset­zung, dass sich diese in größerem Stil bestätigen lassen, werden erste und vorläufige Überlegungen zu ihrer möglichen praktischen Verwertbarkeit in Lehrerausbildung und Unterricht angestellt. Mögliche Ansatzpunkte zur Förderung der Problemlösefähigkeit scheinen vor allem in folgenden Bereichen gegeben: aus der vorgenommenen Charakte­risiemng von konstituierenden Elementen der Wechsel von Lösungsanläufen, aus der Bewertung von Verhaltensweisen beim Wechseln und aus Erfahrungen mit dem Design der durchgeführten Erkundungsstudie.

Die Habilitationsschrift ist 2004 im Verlag Dr. Kovac (Hamburg) unter dem Titel "Strategische Flexibilität beim Lösen mathematischer Probleme" (ISBN 3 - 8300 - 1291 - 8) erschienen ..

Habilitationsvortrag: Zum Wechselspiel zwischen Geometrie und Arithmetik / Algebra als ein heu­ristisches Leitprinzip im (bzw. von) Mathematikunterricht

Erlangung der Lehrbefähigung am 22.10. 2003

Frank Heinrich Universität Bamberg, Didaktik der Mathematik, Markusplatz 3,96045 Bamberg (dstl.) [email protected]