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S. Deger • J. Roigas • I. Türk • D. Schnorr • S. A. Loening • CharitØ-Universitätsklinikum, Medizinische Fakultät der Humboldt Universität zu Berlin, Klinik für Urologie, Campus CharitØ-Mitte, Berlin Therapie des lokal fortge- schrittenen Prostatakarzinoms Adjuvante Behandlungsmaßnahmen, Radiotherapie Zum Thema Die Therapie des lokal fortgeschrittenen Prostatakarzinoms stellt eine besondere Herausforderung dar. Die Entwicklung von Techniken wie die laparoskopische pelvine Lymphadenektomie ermöglicht ein exaktes Lymphknotenstaging. Damit kann eine bes- sere Selektion der Patienten mit lokal fort- geschrittenem Prostatakarzinom für weitere chirurgische oder radiotherapeutische The- rapiemöglichkeiten als Monotherapie oder Kombination getroffen werden kann. Ein Konsens für die Behandlung besteht nicht. D as Prostataadenokarzinom ist auch in Deutschland die häufigste maligne Erkrankung des Urogenitalsystems beim Mann nach dem Bronchialkarzi- nom. Im Jahr 1995 erkrankten 20 000 Männer, und ein Drittel dieser Männer verstarben an ihrem Tumor. Die optimale Therapie und Prognose ist jedoch vom Stadium der Erkrankung zum Zeitpunkt der Diagnose abhängig. Die Standardtherapie des lokali- sierten Tumors ohne Kapselpenetration (T1–T2) ist die radikale Prostatovesi- kulektomie. Bei der Therapie des lokal fortgeschrittenen T3-Karzinoms be- steht nach wie vor kein Konses. Es ste- hen für die Behandlung des lokal fortge- schrittenen Prostatakarzinoms ver- schiedene Therapiemöglichkeiten zur Verfügung. Radikale Prostatovesikulektomie Eine multiinstitutionale Analyse stellte 1997 Daten von 8 Zentren aus den USA und Europa zusammen. 3103 Patienten mit radikaler Prostatektomie wurden retrospektiv untersucht [5]. 345 dieser Patienten hatten klinisch einen T3-Tu- mor. In 75% der Fälle (n = 259) wurde ein retropubischer Zugang gewählt, in 9%(n = 35) erfolgte eine radikale peri- neale Prostatovesikulektomie. Bei 56 Patienten (16 %) wurde der Eingriff aufgrund von Lymphknotenmetastasen abgebrochen. Das krankheitsspezifische Überle- ben betrug 85% (77–90%) und 57% (45–68 %) nach 5 und 10 Jahren. Das metastasenfreie Überleben wurde mit 72 % (63–79 %) und 32 % (19–46 %) er- mittelt. Die 5- und 10-Jahres-Überle- bensdaten bei Samenblaseninfiltration betrugen 78% (42–93 %) und 52% (14–81) [5]. 1993 veröffentlichten Partin et al. [12] eine Analyse zum Tumorrezi- div nach 5 bzw. 10 Jahren bei 894 Män- nern. Bei Tumoren mit Kapselpenetra- tion oder höheren Stadien waren 86 % bis 42 % der Fälle rezidivfrei. Betrachtet man in der Literatur das pathologische Stadium pT3, so ist innerhalb von 5 Jah- ren mit einem PSA Anstieg in 15 % bis 40 % der Fälle zu rechnen. Bei Samen- blaseninfiltration liegt eine noch höhere Relapse-Rate von 30 % bis 66 % vor [2, 4, 14]. Strahlentherapie Die Bestrahlungstherapie wird beim Prostatakarzinom seit der Jahrhundert- wende angewandt. Die lokale Tumor- kontrolle 10 Jahre nach konventioneller perkutaner Strahlentherapie wird für das Stadium T3 mit bis zu 69 % angege- ben [7]. Mit Einführung der interstitiellen Strahlentherapie kamen verschiedene Radioisotope und Applikationstechni- ken zur Anwendung. In den 70er Jahren wurden durch Hilaris und Whitmore (Memorial Sloan Kettering Center) Jod 125-Seeds angewandt. Diese haben je- doch zunehmend an Bedeutung verlo- ren wegen der geringen Energie bzw. Eindringtiefe, so daß ein Therapieerfolg Der Urologe [B] 5·98 431 Urologe [B] 1998 · 38:431–432 Springer-Verlag 1998 Zum Thema: Uro-Onkologie S. Deger CharitØ-Universitätsklinikum, Medizinische Fakultät der Humboldt Universität zu Berlin, Klinik für Urologie, Campus CharitØ-Mitte, D-10098 Berlin

Therapie des lokal fortgeschrittenen Prostatakarzinoms

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Page 1: Therapie des lokal fortgeschrittenen Prostatakarzinoms

S. Deger · J. Roigas · I. Türk · D. Schnorr · S. A. Loening · CharitØ-Universitätsklinikum,Medizinische Fakultät der Humboldt Universität zu Berlin, Klinik für Urologie,Campus CharitØ-Mitte, Berlin

Therapie des lokal fortge-schrittenen ProstatakarzinomsAdjuvante Behandlungsmaûnahmen,Radiotherapie

Zum Thema

Die Therapie des lokal fortgeschrittenenProstatakarzinoms stellt eine besondereHerausforderung dar. Die Entwicklung vonTechniken wie die laparoskopische pelvineLymphadenektomie ermöglicht ein exaktesLymphknotenstaging. Damit kann eine bes-sere Selektion der Patienten mit lokal fort-geschrittenem Prostatakarzinom für weiterechirurgische oder radiotherapeutische The-rapiemöglichkeiten als Monotherapie oderKombination getroffen werden kann. EinKonsens für die Behandlung besteht nicht.

Das Prostataadenokarzinom ist auchin Deutschland die häufigste maligneErkrankung des Urogenitalsystemsbeim Mann nach dem Bronchialkarzi-nom. Im Jahr 1995 erkrankten20 000 Männer, und ein Drittel dieserMänner verstarben an ihrem Tumor.Die optimale Therapie und Prognoseist jedoch vom Stadium der Erkrankungzum Zeitpunkt der Diagnose abhängig.

Die Standardtherapie des lokali-sierten Tumors ohne Kapselpenetration(T1±T2) ist die radikale Prostatovesi-kulektomie. Bei der Therapie des lokalfortgeschrittenen T3-Karzinoms be-steht nach wie vor kein Konses. Es ste-hen für die Behandlung des lokal fortge-schrittenen Prostatakarzinoms ver-schiedene Therapiemöglichkeiten zurVerfügung.

RadikaleProstatovesikulektomie

Eine multiinstitutionale Analyse stellte1997 Daten von 8 Zentren aus den USAund Europa zusammen. 3103 Patientenmit radikaler Prostatektomie wurdenretrospektiv untersucht [5]. 345 dieserPatienten hatten klinisch einen T3-Tu-mor. In 75 % der Fälle (n = 259) wurdeein retropubischer Zugang gewählt, in9 % (n = 35) erfolgte eine radikale peri-neale Prostatovesikulektomie. Bei56 Patienten (16 %) wurde der Eingriffaufgrund von Lymphknotenmetastasenabgebrochen.

Das krankheitsspezifische Überle-ben betrug 85 % (77±90 %) und 57 %(45±68 %) nach 5 und 10 Jahren. Dasmetastasenfreie Überleben wurde mit72 % (63±79 %) und 32% (19±46 %) er-

mittelt. Die 5- und 10-Jahres-Überle-bensdaten bei Samenblaseninfiltrationbetrugen 78 % (42±93 %) und 52 %(14±81) [5]. 1993 veröffentlichten Partinet al. [12] eine Analyse zum Tumorrezi-div nach 5 bzw. 10 Jahren bei 894 Män-nern. Bei Tumoren mit Kapselpenetra-tion oder höheren Stadien waren 86 %bis 42 % der Fälle rezidivfrei. Betrachtetman in der Literatur das pathologischeStadium pT3, so ist innerhalb von 5 Jah-ren mit einem PSA Anstieg in 15 % bis40 % der Fälle zu rechnen. Bei Samen-blaseninfiltration liegt eine noch höhereRelapse-Rate von 30 % bis 66 % vor [2, 4,14].

Strahlentherapie

Die Bestrahlungstherapie wird beimProstatakarzinom seit der Jahrhundert-wende angewandt. Die lokale Tumor-kontrolle 10 Jahre nach konventionellerperkutaner Strahlentherapie wird fürdas Stadium T3 mit bis zu 69 % angege-ben [7].

Mit Einführung der interstitiellenStrahlentherapie kamen verschiedeneRadioisotope und Applikationstechni-ken zur Anwendung. In den 70er Jahrenwurden durch Hilaris und Whitmore(Memorial Sloan Kettering Center) Jod125-Seeds angewandt. Diese haben je-doch zunehmend an Bedeutung verlo-ren wegen der geringen Energie bzw.Eindringtiefe, so daû ein Therapieerfolg

Der Urologe [B] 5´98 431

Urologe [B]1998 ´ 38:431±432 � Springer-Verlag 1998 Zum Thema: Uro-Onkologie

S. DegerCharitØ-Universitätsklinikum, MedizinischeFakultät der Humboldt Universität zu Berlin,Klinik für Urologie, Campus CharitØ-Mitte,D-10098 Berlin

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nur bei Patienten der Stadien T1 bis T2mit einem Differenzierungsgrad G1±2erreicht werden konnte. Bei T3- undG3-Tumoren und groûvolumiger Pro-stata ( > 45 cm3) erwiesen sich Jod 125-Implantationen hinsichtlich der lokalenTumorkontrolle als unzureichend [9].

Gold 198 wurde 1952 durch Flocks(Iowa) in die Behandlung des Prostata-karzinoms eingeführt. Die ursprünglichintraoperativ vorgenommenen kolloi-dalen Gold-Injektionen sind mit derZeit aus ökonomischen und techni-schen Gründen den Seed-Implantatio-nen gewichen. Die Iowa-Gruppe konntemit ihren Daten nachweisen, daû durchdie hohe Photonenenergie der genutz-ten Gammastrahlung von Gold 198, ih-rer Reichweite im Gewebe und einer Op-timierung der Seed-Positionierung imVergleich zu Jod 125 insbesondere beiT3-Karzinomen eine Therapieverbesse-rung erreicht werden konnte (76 % und50 % nach 5 und 9 Jahren im StadiumT3) [11].

Iridium 192 ist ein ähnlich potentesRadionuklid wie Gold 198. Im Vergleichzu Jod 125 und Gold 198 kam es inDeutschland nach 1980 zu einer Anwen-dung im Rahmen der Brachytherapie.Mit Einführung der Computer-gesteuer-ten High-dose-rate-Applikation wurdeder Strahlenschutz für Patient und Per-sonal optimiert. Iridium 192-Afterloa-ding-Therapie wird seit 1992 in unsererEinrichtung für lokal fortgeschritteneProstatakarzinome angewandt. Die er-sten Ergebnisse zeigten eine lokale Tu-morkontrolle um 86,86 % [3].

Adjuvante Therapieformen

Zur Behandlung des T3-Karzinomswurden verschiedene Optionen kombi-niert. Im pathologischen Stadium pT3wurde adjuvant die perkutane Strahlen-therapie seit Jahren angewandt.

Die lokale Rezidivrate nach adju-vanter externer Radiotherapie schwanktzwischen 0 % und 23 %, die Rate des sy-stemischen Progresses beträgt 10 bis30 %. Das 5-Jahres-krankheitsfreie-Überleben wird in der Literatur zwi-schen 57 % und 86 % [10±13], und das10-Jahres-krankheitsfreie-Überlebenum 10 % angegeben [1, 13].

Als adjuvante radiotherapeutischeMaûnahmen wurden auch intraopera-tive Implantationen von Gold198-Seedswährend der radikalen Prostatovesi-

kulektomie durchgeführt. Beim pT3-Tumor konnte ein 5- sowie 10-Jahres-krankheitsfreies-Überleben von 85,7 %bzw. 79,1 % ermittelt werden [10].

Betrachtet man die adjuvante hor-monelle Therapie nach radikaler Pro-statektomie oder Strahlentherapie, soliegen derzeit keine aussagekräftige Stu-dien vor, bei denen der Lymphknoten-status pathomorphologisch berück-sichtigt wurde.

Hormonelle Therapie

Die hormonelle Therapie bei lokal fort-geschrittenem Prostatakarzinom hatnach wie vor einen palliativen Charak-ter. Bei Patienten mit fortgeschrittenemProstatakarzinom ohne Nachweis einerMetastasierung ist die alleinige hormo-nelle Therapie aufgrund des zeitlich li-mitierten Ansprechens nicht gerecht-fertigt.

Patienten mit lokal fortgeschritte-nem Prostatakarzinom stellen eine Pa-tientengruppe mit einem erhöhtemRisiko dar. Die Therapiealternativensollten individuell vom allgemeinen Zu-stand des Patienten, Alter und Tumor-grading abhängig entschieden werden.Patienten mit einem kurativen Thera-pieansatz sollten vor der endgültigen in-dividuellen Therapieentscheidung einexaktes Lymphknotenstaging erhalten.

Fazit für die Praxis

Das lokal fortgeschrittene Prostatakarzinombedarf hinsichtlich der N- und M-Kategorie ei-ner exakten Ausbreitungsdiagnostik, um wei-tere Therapiestrategien zu erarbeiten. Es sindmehrere Therapieansätze vorhanden. Thera-piestrategien, die in Frage kommen, müssenindividuell in Abhängigkeit des Alters, des Tu-morgradings und Risikofaktoren des Patien-ten entschieden werden. Um eine optimaleTherapie für diese Risikogruppe zu erarbeiten,sind multizentrische randomisierte klinischeStudien notwendig, die die heute möglichentherapeutischen Optionen mit ihren Kombi-nationsmöglichkeiten vergleichen.

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13. Ray GR, Bagshaw MA, Freiha F (1984) Externalbeam radiation salvage for residual or re-current local tumor following radicalprostatectomy. J Urol 132: 926

14. Stamey TA, Villers AA, McNeal JE, Link JC, FreihaFS (1990) Positive margins at radical pros-tatectomy; importance of the apical re-sektion. J Urol 143: 1166±1173

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