9
Med Klin Intensivmed Notfmed 2012 · 107:368–376 DOI 10.1007/s00063-012-0082-5 Eingegangen: 15. März 2012 Angenommen: 19. März 2012 Online publiziert: 13. Juni 2012 © Springer-Verlag 2012 T. Willich · M. Hammwöhner · A. Goette Medizinische Klinik II, St. Vincenz Krankenhaus Paderborn Therapie des  Vorhofflimmern beim  kritisch Kranken Vorhofflimmern (VHF) ist neben einer Sinustachykardie die häufigste Ursache einer tachykarden Rhythmusstörung bei kritisch Kranken auf der Intensivstation. Nach kardialen oder herznahen Operatio- nen ist VHF mit einer Inzidenz von 30– 50% der Fälle eine der am häufigsten auf- tretenden Komplikationen. Es tritt meist innerhalb von 2 bis 4 Tagen postopera- tiv auf. Neben dem postoperativen VHF nach kardialen Eingriffen kommen als Ursachen verschiedene pathophysiolo- gische, strukturelle und elektrophysiolo- gische Mechanismen als Begleiterschei- nung einer akuten kritischen Erkrankung zum Tragen; auf diese kann hier nicht ver- tieft eingegangen werden. Es scheint dabei aber die Region der Pulmonalvenen bei Beginn und Fortdauer insbesondere bei paroxysmalem VHF eine wesentliche Rolle zu spielen [5]. Das Auftreten von VHF ist abhängig vom Alter, der Grund- erkrankung und den weiteren Begleit- erkrankungen. Ein akuter Verlust der koordinierten atrialen Kontraktion bedeutet einen Ver- lust an „cardiac output“ von 5–15%. Die- ser Effekt wird bei Patienten mit bereits vorbestehend eingeschränkter linksven- trikulärer Funktion (LV-Funktion), ins- besondere bei diastolischer Herzinsuffi- zienz relevant, denn bei ihnen trägt die sonst normale atriale Kontraktion mehr zur ventrikulären Füllung bei. Verstärkt wird dieser Effekt durch tachykard über- geleitetes VHF, da dabei die Zeit der dia- stolischen Füllung verkürzt ist [25]. VHF ist insbesondere bei Älteren und Patienten mit eingeschränkter LV-Funk- tion mit einer erhöhten Mortalität assozi- iert. Diese ist bedingt durch ein erhöhtes Thrombembolie- und Schlaganfallrisiko, hämodynamische Instabilität, ventriku- läre Rhythmusstörungen und notwen- dige therapeutische Interventionen. Zu- dem steigen durch das VHF die Liegezei- ten und damit die Behandlungskosten an. Diagnose und Definition VHF wird mittels 12-Kanal-EKG diag- nostiziert und ist durch absolut irregulä- re RR-Intervalle ohne dem QRS-Komplex vorangehende P-Wellen gekennzeichnet. Die im EKG sichtbare atriale Aktivität ist variabel: <200 ms bzw. >300/min. Kli- nisch werden fünf verschiedene Formen des VHF unterschieden (. Tab. 1, s. auch Europäische Leitlinie VHF von 2010; [1]): Therapeutisches Vorgehen Grundsätzlich ist die Therapie der Komorbiditäten (z. B. Hypoxie) und von Elektrolytstörungen (z. B. Hypokaliämie und Hypomagnesiämie) Teil des Behand- lungskonzeptes der Therapie des VHF. Dabei geht es primär um die Verhinde- rung von thrombembolischen Ereignis- sen und um eine Limitierung der Herz- frequenz. Kritisch Kranke auf der Inten- sivstation haben einen erhöhten adrener- gen Tonus; daher kann eine adäquate Fre- quenzkontrolle schwierig zu erreichen sein. Die sofortige Behandlung des VHF mittels Kardioversion (KV) in den Sinus- rhythmus (SR) ist bei hämodynamisch instabilen Patienten indiziert und bei Pa- tienten, die eine kardiale Ischämie oder eine akute, klinisch relevante Herzinsuffi- zienz entwickeln. » Primär geht es um die Verhinderung thrombembolischer Ereignisse und eine Limitierung der Frequenz Der Stellenwert einer antiarrhyth- mischen Therapie hat sich nach den Ergebnissen der STAF-, HOT-CAFE-, AFFIRM- und RACE-Studien deutlich verändert, da sich im Vergleich einer fre- quenzkontrollierenden mit einer rhyth- muserhaltenden Therapie kein Unter- schied in der Gesamtmortalität ergeben hat. Auch haben sich die verwendeten Antiarrhythmika (AA) im Erhalt des SR Tab. 1 Einteilung des Vorhofflimmern (VHF) nach Auftreten und Dauer Erstdiagnosti- ziertes VHF Jeder Patient mit erstma- lig diagnostiziertem VHF (>30 s Dauer) Paroxysmales VHF Selbstlimitierendes VHF, gewöhnlich Konversion in Sinusrhythmus innerhalb der ersten 48 h, maximal bis zu 7 Tagen anhaltend Persistierendes VHF VHF-Episode >7 Tage anhaltend oder mit der Notwendigkeit zur Kardioversion (medika- mentös/elektrisch) Lang anhaltend persistierendes VHF Über ein Jahr anhalten- des VHF, aber mit dem Ziel einer rhythmuskont- rollierenden Therapie Permanentes VHF Akzeptiertes anhaltendes VHF (mit frequenzkont- rollierender Therapie) Redaktion H.-J. Trappe, Herne K. Heinroth, Halle (Saale) 368 | Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 5 · 2012 Leitthema

Therapie des Vorhofflimmern beim kritisch Kranken; Therapy of atrial fibrillation in the critically ill;

  • Upload
    a

  • View
    215

  • Download
    2

Embed Size (px)

Citation preview

Med Klin Intensivmed Notfmed 2012 · 107:368–376DOI 10.1007/s00063-012-0082-5Eingegangen: 15. März 2012Angenommen: 19. März 2012Online publiziert: 13. Juni 2012© Springer-Verlag 2012

T. Willich · M. Hammwöhner · A. GoetteMedizinische Klinik II, St. Vincenz Krankenhaus Paderborn

Therapie des Vorhofflimmern beim kritisch Kranken

Vorhofflimmern (VHF) ist neben einer Sinustachykardie die häufigste Ursache einer tachykarden Rhythmusstörung bei kritisch Kranken auf der Intensivstation. Nach kardialen oder herznahen Operatio-nen ist VHF mit einer Inzidenz von 30–50% der Fälle eine der am häufigsten auf-tretenden Komplikationen. Es tritt meist innerhalb von 2 bis 4 Tagen postopera-tiv auf. Neben dem postoperativen VHF nach kardialen Eingriffen kommen als Ursachen verschiedene pathophysiolo-gische, strukturelle und elektrophysiolo-gische Mechanismen als Begleiterschei-nung einer akuten kritischen Erkrankung zum Tragen; auf diese kann hier nicht ver-tieft eingegangen werden. Es scheint dabei aber die Region der Pulmonal venen bei Beginn und Fortdauer insbesondere bei paroxysmalem VHF eine wesentliche Rolle zu spielen [5]. Das Auftreten von VHF ist abhängig vom Alter, der Grund-erkrankung und den weiteren Begleit-erkrankungen.

Ein akuter Verlust der koordinierten atrialen Kontraktion bedeutet einen Ver-lust an „cardiac output“ von 5–15%. Die-ser Effekt wird bei Patienten mit bereits vorbestehend eingeschränkter linksven-trikulärer Funktion (LV-Funktion), ins-besondere bei diastolischer Herzinsuffi-zienz relevant, denn bei ihnen trägt die sonst normale atriale Kontraktion mehr zur ventrikulären Füllung bei. Verstärkt wird dieser Effekt durch tachykard über-geleitetes VHF, da dabei die Zeit der dia-stolischen Füllung verkürzt ist [25].

VHF ist insbesondere bei Älteren und Patienten mit eingeschränkter LV-Funk-tion mit einer erhöhten Mortalität assozi-

iert. Diese ist bedingt durch ein erhöhtes Thrombembolie- und Schlaganfallrisiko, hämodynamische Instabilität, ventriku-läre Rhythmusstörungen und notwen-dige therapeutische Interventionen. Zu-dem steigen durch das VHF die Liegezei-ten und damit die Behandlungskosten an.

Diagnose und Definition

VHF wird mittels 12-Kanal-EKG diag-nostiziert und ist durch absolut irregulä-re RR-Intervalle ohne dem QRS-Komplex vorangehende P-Wellen gekennzeichnet. Die im EKG sichtbare atriale Aktivität ist variabel: <200 ms bzw. >300/min. Kli-nisch werden fünf verschiedene Formen des VHF unterschieden (. Tab. 1, s. auch Europäische Leitlinie VHF von 2010; [1]):

Therapeutisches Vorgehen

Grundsätzlich ist die Therapie der Komorbiditäten (z. B. Hypoxie) und von Elektrolytstörungen (z. B. Hypokaliämie und Hypomagnesiämie) Teil des Behand-lungskonzeptes der Therapie des VHF. Dabei geht es primär um die Verhinde-rung von thrombembolischen Ereignis-sen und um eine Limitierung der Herz-frequenz. Kritisch Kranke auf der Inten-sivstation haben einen erhöhten adrener-gen Tonus; daher kann eine adäquate Fre-quenzkontrolle schwierig zu erreichen sein. Die sofortige Behandlung des VHF mittels Kardioversion (KV) in den Sinus-rhythmus (SR) ist bei hämodynamisch instabilen Patienten indiziert und bei Pa-tienten, die eine kardiale Ischämie oder

eine akute, klinisch relevante Herzinsuffi-zienz entwickeln.

» Primär geht es um die Verhinderung thrombembolischer Ereignisse und eine Limitierung der Frequenz

Der Stellenwert einer antiarrhyth-mischen Therapie hat sich nach den Ergebnissen der STAF-, HOT-CAFE-, AFFIRM- und RACE-Studien deutlich verändert, da sich im Vergleich einer fre-quenzkontrollierenden mit einer rhyth-muserhaltenden Therapie kein Unter-schied in der Gesamtmortalität ergeben hat. Auch haben sich die verwendeten Antiarrhythmika (AA) im Erhalt des SR

Tab. 1 Einteilung des Vorhofflimmern (VHF) nach Auftreten und Dauer

Erstdiagnosti-ziertes VHF

Jeder Patient mit erstma-lig diagnostiziertem VHF (>30 s Dauer)

Paroxysmales VHF

Selbstlimitierendes VHF, gewöhnlich Konversion in Sinusrhythmus innerhalb der ersten 48 h, maximal bis zu 7 Tagen anhaltend

Persistierendes VHF

VHF-Episode >7 Tage anhaltend oder mit der Notwendigkeit zur Kardio version (medika-mentös/elektrisch)

Lang anhaltend persistierendes VHF

Über ein Jahr anhalten-des VHF, aber mit dem Ziel einer rhythmuskont-rollierenden Therapie

Permanentes VHF

Akzeptiertes anhaltendes VHF (mit frequenzkont-rollierender Therapie)

RedaktionH.-J. Trappe, Herne K. Heinroth, Halle (Saale)

368 |  Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 5 · 2012

Leitthema

als teils nicht sehr effektiv erwiesen. So waren etwa in der AFFIRM-Studie nach einem Jahr 82%, nach zwei Jahren 73% und nach drei Jahren noch 63% der Pa-tienten in der Gruppe der medikamen-tösen Rhythmuskontrolle im SR. Andere Untersuchungen zeigten noch schlechtere Ergebnisse (HOT-CAFE: 63,5% SR nach 18, RACE: 39% SR nach 28, STAF: 23% SR nach 36 Monaten; [2, 17, 23, 26]).

Daher unterscheidet man derzeit in der Behandlung: F  einerseits ein initiales von einem

langfristigen Vorgehen,F  andererseits eine antithrombotische,

frequenzkontrollierende und rhythmuserhaltende Therapie.

Zugrundeliegende kardiovaskuläre (z. B. arterieller Hypertonus, Herzinsuffizienz) und extrakardiale Erkrankungen (z. B. Hyperthyreose) sollten selbstverständlich ebenfalls behandelt werden [1].

Initiales Procedere

Patienten mit Symptomen der Herzinsuf-fizienz benötigen eine rasche frequenz-limitierende Therapie und ggf. eine KV (nach Ausschluss intrakardialer Throm-ben in einer transösophagealen Echokar-diographie). Bei hämodynamisch kom-promittierten Patienten ist eine dringende

elektrische KV indiziert, notfalls auch ohne vorherige transösophageale Echo-kardiographie (TEE) zum Ausschluss intrakardialer Thromben. Eine trans-thorakale Echokardiographie (TTE) zur Beurteilung der LV-Funktion und der Klappen ist empfehlenswert. Patienten mit erhöhtem Risiko für thrombemboli-sche Komplikationen (z. B. nach Apoplex oder transitorischer ischämischer Atta-cke) benötigen spätestens ab einer VHF-Dauer von 48 Stunden eine Antikoagula-tion.

D Nach der initialen Therapie sollten mögliche zugrunde liegende Ursachen abgeklärt und ggf. behandelt werden.

Im weiteren Verlauf ist das Ziel der Therapie, die Symptome zu reduzieren und schwere Komplikationen zu vermei-den.

Antithrombotische Therapie

Die Antikoagulation sollte zunächst par-enteral mittels unfraktioniertem (UFH) oder niedermolekularem Heparin er-folgen. Im Fall einer relevanten Nieren-insuffizienz sollte die parenterale Anti-koagulation mit UFH intravenös erfol-gen, da niedermolekulare Heparine bei

eingeschränkter Nierenfunktion kumu-lieren und damit das Blutungsrisiko er-höhen. Die intravenöse Heparintherapie sollte nach partieller Thromboplastinzeit (PTT) mit einer Ziel-PTT von 60–80 Se-kunden gesteuert werden. Niedermoleku-lare Heparine sollten subkutan in thera-peutischer gewichtsadaptierter Dosierung gegeben werden.

Die Entscheidung für oder gegen eine antithrombotische Therapie ist im weite-ren Verlauf F  abhängig vom Risiko für die

Entwicklung eines thromb-embolischen Ereignisses,

F  aber unabhängig von Form, Dauer und Häufigkeit des VHF [3].

Die Risikoabschätzung bei Patienten ohne Herzklappenvitien erfolgt entsprechend der aktuellen europäischen Leit linien für die Behandlung von VHF (2010) am ein-fachsten über den CHADS2- Score [4]. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dieser Score nicht alle relevanten Risiken abbil-det und nur eine grobe Abschätzung er-möglicht. Dem Akronym entsprechend wird jeweils ein Risikopunkt für F  Herzinsuffizienz („cardiac failure“), F  arterielle Hypertonie (Hypertension),F  Alter ≥75 („age“) sowieF  Diabetes mellitus

vergeben, zwei Risikopunkte für F  einen vorherigen Schlaganfall [1, 9].

Bei Patienten mit mehr als zwei Risiko-punkten (hohes Risiko) wird eine dauerhafte orale Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten (Vit-K-A) mit einem Ziel-INR („international normal-ized ratio“) von 2,5 (2,0–3,0) empfohlen [10]. Es besteht eine enge Beziehung zwi-schen dem Score und der Schlaganfall rate. Für Patienten mit einer CHADS2-Score ≤1 empfiehlt die aktuelle Leitlinie eine ge-nauere Risikoanalyse mit dem CHA2DS2-VASc-Score, der zusätzliche vaskulä-re Erkrankungen (1 Punkt), Geschlecht (1 Punkt für weibliches Geschlecht) und Alter (65–75: 1 Punkt, ≥75 Jahre: 2 Punkte) berücksichtigt. Danach soll F  bei ≥2 Punkten eine Therapie mit

Vit-K-A,

CHADS2 Score ≥ 2†

nein

nein

nein

nein

ja

ja

ja

ja

Nichts (oder ASS)

OAK (oder ASS)

OAK

Prüfe andere Risikofaktoren *

Alter ≥ 75 Jahre

≥ 2 andere Risikofaktoren *

1 anderer Risikofaktor *

† Herzinsu�zienz,Hypertonus,Alter >= 75 Jahre,Diabetes,Schlaganfall/TIA/ThromboembolischesEreignis (doppelt)

* Andere klinischrelevante untergeordneteRisikofaktoren:Alter 65-75 Jahre,weibliches Geschlecht,Gefäßerkrankung

Abb. 1 8 Orale Antikoagulation (OAK) zur Prävention zerebraler thrombembolischer Ereignisse bei Vorhofflimmern (VHF): klinischer Entscheidungsweg für die Indikation. (Adaptiert nach [1])

369Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 5 · 2012  | 

F  bei 1 Punkt eine Therapie mit Acetyl-salicylsäure (ASS) oder Vit-K-A (eher Vit-K-A) und

F  bei fehlendem Risiko eine Therapie mit ASS oder keine Therapie (eher keine Therapie)

durchgeführt werden ([1, 10], s. auch . Abb. 1).

D Bei VHF und Mitralklappenvitium/Mitralklappensstenose oder Klappen-ersatz sollte unabhängig vom CHADS2-Score eine dauerhafte orale Antikoagulation erfolgen.

Mit Ausnahme von älteren Patienten ist das intrazerebrale Blutungsrisiko unter oraler Antikoagulation (INR 2,0–3,0) in Studien niedrig (0,1–0,6%). Allerdings steigt es ab einem INR >3,5 deutlich an. Dabei ist das Blutungsrisiko, insbesondere bei älteren Patienten, unter oraler Anti-koagulation im Zielbereich (INR 2,0–3,0) ähnlich hoch wie unter thrombozyten-aggregationshemmender Medikation mit ASS 100 mg/Tag [14]. Das Risiko einer intrazerebralen Blutung als Sturzfolge wird bei älteren Patienten überbewer-tet; ein Patient muss etwa 250-mal stür-zen, um den Vorteil einer Schlaganfall-prävention mit einer oralen Antikoagu-lation aufzuwiegen. Das Blutungsrisiko unter oraler Antikoagulation abzuschät-zen kann mit dem HASBLED („hyper-tension, abnormal renal/liver function, stroke, bleeding history or predisposition, labile INRs, elderly >65 years, drugs or alcohol“)- Score abgeschätzt werden [19].

Frequenzkontrolle

Kritisch kranke Patienten mit tachykar-der ventrikulärer Überleitung benöti-gen initial eine Kontrolle ihrer Kammer-frequenz mit einer Zielfrequenz von 80–100/min. Kurzwirksame β-Blocker sind dabei die Medikamente der ersten Wahl, insbesondere bei bekannter koronarer Herz erkrankung oder ischämischer Kar-diomyopathie. Vorsicht ist bei Herzinsuf-fizienz und bekanntem atrioventrikulä-ren Block geboten. Alternativ können Kal-ziumantagonisten vom Nicht-Dihydro-pyridin-Typ (Verapamil-Typ) verwendet werden. Digitalisglykoside sind bei kri-

Zusammenfassung · Abstract

tisch kranken Patienten durch deren er-höhten adrenergen Tonus weniger effek-tiv [6]. Die Medikamente werden in Ab-hängigkeit von der Dringlichkeit oral oder intravenös verabreicht. Falls die Monothe-rapie nicht zu einer ausreichenden Kont-rolle der Herzfrequenz führt, können die Substanzen auch kombiniert werden. Bei Kombinationstherapien, z. B. β-Blocker mit Diltiazem, sollte ein EKG-Monitoring erfolgen, um iatrogene Bradykardien zu vermeiden. Eine gleichzeitige Medikation von Verapamil mit einem β-Blocker soll-te eher nicht erfolgen, da diese Kombina-tion synergistisch ausgeprägt negativ ino- und dromotrope Wirkung entfalten kann.

Bei ausgewählten Patienten (insbeson-dere mit eingeschränkter LV-Funktion) kann Amiodaron verwendet werden; bei intravenöser Bolusgabe ist die zum Teil deutliche blutdrucksenkende Wirkung zu beachten (s. auch . Tab. 2). Bei Patienten mit symptomatischer bradykarder Über-leitung kann die Gabe von Atropin oder die (passagere) Implantation eines Schritt-machers notwendig sein. Bei kritisch in-stabilen Patienten muss eine unmittelbare KV unter einer parenteralen Antikoagula-tion mit UFH auch ohne vorherigen Aus-schluss eines VHF-bedingten Thrombus im linken Vorhofsohr erfolgen.Langfri-stig sollte bei einer Frequenzkontrolle in

Med Klin Intensivmed Notfmed 2012 · 107:368–376 DOI 10.1007/s00063-012-0082-5© Springer-Verlag 2012

T. Willich · M. Hammwöhner · A. Goette

Therapie des Vorhofflimmern beim kritisch Kranken

ZusammenfassungVorhofflimmern (VHF) ist die häufigste Rhythmusstörung auf der Intensivstation und ist mit einer erhöhten Mortalität assoziiert. Es werden fünf verschiedene Formen des VHF unterteilt: erstdiagnostiziertes, paroxysma-les, persistierendes, lang-anhaltend persis-tierendes und permanentes VHF. Neben der Initialtherapie unterscheidet man in der Be-handlung eine antithrombotische, frequenz-kontrollierende und rhythmuserhaltende Therapie. Die Behandlung von Komorbiditä-ten ist Teil des Therapiekonzeptes. Bei erhöh-tem Risiko für thrombembolische Komplika-tionen ist eine Antikoagulation notwendig. Eine Risikoabschätzung erfolgt dabei am ein-fachsten über den CHADS2-Score. Initial steht

in der Behandlung die Frequenzkontrolle im Vordergrund. Bei hämodynamischer Instabi-lität wird eine dringende elektrische Kardio-version empfohlen, ebenso bei VHF und Prä-exzitation bei Wolff-Parkinson-White-Syn-drom. Bei hämodynamischer Stabilität kann auch eine pharmakologische Kardioversion durchgeführt werden. Für kritisch Kranke kommt als Antiarrhythmikum aufgrund der jeweiligen Kontraindikationen bis auf Aus-nahmen nur Amiodaron in Betracht.

SchlüsselwörterAntikoagulation · Kardioversion · Antiarrhythmika · Amiodaron · Herzfrequenzkontrolle

Therapy of atrial fibrillation in the critically ill

AbstractAtrial fibrillation (AF) is the most common form of arrhythmia in the intensive care unit (ICU) and is associated with increased mor-tality. A total of five types of AF can be distin-guished: initially diagnosed, paroxysmal, per-sistent, long-standing persistent and perma-nent AF. In addition to the initial treatment, antithrombotic therapy, rate and rhythm management can be used. The treatment of comorbidities is part of the patient manage-ment and for patients with increased risk of thromboembolic events anticoagulation is recommended. The simplest risk assessment scheme is the CHADS score. In the acute set-ting rate control is important. Direct current cardioversion is urgently recommended for

patients with AF when hemodynamic insta-bility is present even in patients with AF and pre-excitation in Wolff-Parkinson-White syn-drome. Pharmacological cardioversion may be considered in patients with AF when he-modynamic stability is present. When choos-ing the antiarrhythmic agent for critically ill patients only amiodarone can be considered with some exceptions due to the specific con-traindications.

KeywordsAnticoagulation · Cardioversion · Antiarrhythmia agents · Amiodarone · Heart rate control

370 |  Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 5 · 2012

Leitthema

Anlehnung an die RACE-II-Studie eine mittlere Herzfrequenz von 110/min nicht überschritten werden [22].

Rhythmuskontrolle – elektrische Kardioversion

Bis zu 60% der VHF-Episoden endet spontan innerhalb der ersten 48 Stun-den. Bei weiterhin symptomatischen Pa-tienten unter adäquater frequenzlimitie-

render Therapie und bei Patienten mit dem Ziel Rhythmuskontrolle sollte eine pharmakologische oder elektrische KV durchgeführt werden. Die Konversion mit einem AA ist weniger effektiv (Aus-nahme: Flecainid in einzelnen Studien bis zu 95%) als die elektrische KV (Erfolgs-rate nach primärer Schockabgabe von 60–90%, kumulativ nahezu 100% bei bipha-sischer Schockform), benötigt aber keine begleitende Anästhesie, s. . Abb. 2, [16, 24].

Eine dringende Indikation zur sofor-tigen elektrischen KV bei VHF besteht mit schneller atrioventrikulärer Über-leitung und unzureichendem Anspre-chen auf medikamentöse Frequenzlimi-tierung und akutem Koronarsyndrom oder Angina pectoris sowie hämody-namischer Instabilität mit symptomati-scher Hypotension oder akuter Herzin-suffizienz. In solchen Fällen sollte unmit-telbar vor KV eine parenterale Antiko-agulation mit niedermolekularem oder,

bei Niereninsuffizienz, unfraktioniertem Heparin erfolgen.

Ebenso besteht eine dringende Indi-kation zur sofortigen elektrischen KV bei VHF mit Präexzitation bei Wolff- Parkinson-White(WPW)-Syndrom. Das WPW-Syndrom führt durch eine akzes-sorische atrioventrikuläre Leitungsbahn zu einer Präexzitation des Ventrikelmyo-kards, dadurch kann es zu atrioventrikulä-ren Reentrytachykardien kommen. Kom-plizierend ist es häufig mit paroxysmalem Vorhofflimmern assoziiert. In diesem Fall kann VHF sehr tachykard über die akzes-sorische Leitungsbahn auf die Kammern überleiten und zu sehr hohen Kammer-frequenzen führen (s. . Abb. 3). Durch diese Besonderheit sind Substanzen, wel-che die reguläre Leitung über den AV-Knoten blockieren oder die Leitung der akzessorischen Leitungsbahn beschleu-nigen, strikt kontraindiziert. Zu diesen gehören Adenosin, β-Blocker, Kalzium-antagonisten vom Verapamil-Typ und Digitalisglykoside. Bei Einsatz dieser Me-dikamente besteht die Gefahr der Er-höhung der Überleitungsfrequenz der akzessorischen Leitungsbahn mit Induk-tion von Kammerflimmern. Erlaubt sind Klasse-IA-, IC- und -III-Substanzen der Vaughan-Williams-Klassifikation (z. B. Flecainid, Propafenon oder Amiodaron).

Bei vorbestehender Hypokaliämie oder Digitalisintoxikation sollte wegen des erhöhten Risikos für maligne Rhyth-musstörungen eine elektrische KV nicht durchgeführt werden (Kontraindikation). Rasche Wiederholungen von elektrischen KV werden bei Patienten mit kurzen Epi-soden von SR zwischen rezidivierendem VHF ohne prophylaktische Therapie mit einem AA bzw. Änderung der AA-Thera-pie nicht empfohlen.

Bei nicht auszuschließendem Throm-bus im linken Vorhoff bzw. Vorhofohr bzw. VHF-Dauer >48 Stunden ohne suf-fiziente Antikoagulation sollte eine nicht dringende elektrische KV bis zum siche-ren Vorhofthrombenausschluss mittels TEE verschoben werden [1].

Bei Patienten mit VHF unter manifes-ter Hyperthyreose, Alkoholintoxikation, akuter Infektion, systemischer inflam-matorischer Reaktion (SIRS) oder Sepsis, insbesondere unter Katecholaminthera-pie, steht zunächst die Behandlung der

Tab. 2 Gebräuchliche Medikamente und Dosierungen zur Frequenzkontrolle. (Adaptiert nach [1])

  Intravenöse Gabe Üblich orale Erhaltungsdosis pro Tag

β-Blocker

Metoprolol 2,5–5 mg i.v. über 2 min 1×100–200 mg

Bisoprolol Nicht verfügbar 1×2,5–10 mg

Atenolol Nicht verfügbar 1×25–100 mg

Esmolol 50–200 µg/kg/min i.v. Keine Angaben

Propranolol 0,15 mg/kg i.v. über 1 min 3×10–40 mg

Carvedilol Nicht verfügbar 2×3,125×25 mg

Kalziumantagonisten vom Nicht-Dihydropyridin-Typ

Verapamil 0,0375–0,15 mg/kg i.v. 3×40–2×240 mg

Diltiazem Nicht verfügbar 3×60–2×180 mg

Digitalisglykoside

Digoxin 0,5–1 mg 1×0,125–0,5 mg

Digitoxin 0,4–0,6 mg 1×0,05–0,1 mg

Andere

Amiodaron 5 mg/kg für 1 h, 50 mg/h 1×100–200 mg

Tab. 3 Pharmakologische Kardioversion. (Adaptiert nach [1])

Medika-ment

Dosie-rung

Folgedosis

Amiodaron 5 mg/kg i.v. über 1 h

50 mg/h über 5–7 Tage

Flecainid 2 mg/kg über 10 min i.v.

200–400 mg p.o.

Propafenon 2 mg/kg über 10–20 min i.v.

450–600 mg p.o.

Vernakalant 3 mg/kg über 10 min i.v.

2 mg/kg über 10 min nach 15 min Wartezeit bei weiterhin VHF

Tab. 4 Langfristige Rhythmuskontrolle. (Adaptiert nach [1])

Medikament Dosierung

Flecainid 100–200 mg p.o. 2× täglich

Propafenon 150–300 mg p.o. 3× täglich

Sotalol 80–160 mg p.o. 2× täglich

Amiodaron 400–600 mg p.o. für 4 Wo-chen, anschließend 200 mg p.o. 1× täglich

Dronedaron 400 mg p.o. 2× täglich

371Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 5 · 2012  | 

Grunderkrankung im Vordergrund. Bei Entwicklung einer hämodynamischen Instabilität gelten dann aber die oben genannten Voraussetzungen.

Bei der Durchführung einer elektri-schen KV sollte die Energiemenge pri-mär ausreichend hoch gewählt werden. So besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, mit einem Einzelschock das VHF erfolg-reich zu konvertieren, zumal wiederholte Schocks eine verlängerte Kurznarkose notwendig machen und damit zusätzlich das Risiko von Komplikationen im Rah-men der elektrischen KV ansteigt. Eine potenzielle Myokardschädigung durch die elektrischen KV hängt von der abge-gebenen Energie des Einzelschocks ab, vor allem von der kumulativ abgegebe-nen Energie, also von der Anzahl der ab-gegebenen Schocks. Eine Myokardschädi-gung ist aber bei klinisch üblichen Ener-giedosen von Einzelschocks vernachläs-sigbar. Bei VHF von weniger als zwei Ta-gen Dauer werden daher 100 Joule (J) für die biphasische und 200 J für die mono-phasische elektrischen KV empfohlen, bei VHF von mehr als zwei Tagen Dau-er 150 J für die biphasische und 300 J für die monophasische elektrische KV [20]. Bei regelmäßigen atrialen Arrhythmien, wie Vorhofflattern oder ektop atrialer Tachykardie (im Gegensatz zur unregel-mäßigen atrialen Arrhythmie des VHF), ist eine deutlich geringere Energiemenge notwendig. So konnte in drei Studien bei zwischen jeweils etwa 50 bis 100 Patienten gezeigt werden, dass mit 50 J in der ante-rior-lateralen Elektrodenposition bei 73–85% die Arrhythmie effektiv terminiert werden konnte (s. auch . Abb. 4).

Bei einer elektrischen KV ist die bipha-sische Schockform zu bevorzugen, da sich erwiesen hat, dass durch eine biphasische

Stromform die Defibrillationsreizschwelle gesenkt werden konnte. Zudem hängt die Effektivität im Vergleich zur monophasi-schen Stromform weniger von der trans-thorakale Impedanz ab [11]. Insgesamt zei-gen die Ergebnisse eine höhere Effektivität der biphasischen im Vergleich zur mono-phasichen Schockform bzw. sind für den Kardioversionserfolg geringere Energie-dosen notwendig [18], s. auch . Abb. 5. Ferner scheinen Skelettmuskelschäden und Hautverbrennungen bei der bipha-sischen Schockform seltener aufzutreten.

Bei der biphasischen Schockform scheint aufgrund der insgesamt höheren Effektivität die Elektrodenposition nur einen geringen Einfluss auf den Kardio-versionserfolg zu haben. In einer multi-zentrischen Studie aus dem Jahr 2005 mit 307 Patienten konnte ein Trend in Rich-tung eines Vorteils der anterior-apikalen vor der anterior-posterioren Position fest-gestellt werden (95 vs. 88%, p=0,05) mit einer Gesamterfolgsrate von 95% nach Cross-over. Eine neuere Studie aus dem Jahr 2010 konnte ebenso einen Vorteil der anterior-apikalen/lateralen vor der ante-rior-posterioren Position zeigen. In dieser wurden bei insgesamt 91 Patienten in der anterior-apikalen/lateralen Position im Vergleich zur anterior-posterioren Posi-tion weniger Schocks (1 vs. 2 Schocks, p=0,003) und weniger Energie (150 vs. 300 J, p=0,017) zur KV benötigt [24]. Für die monophasische Energieformen ist die anterior-posteriore Elektrodenposi-tion dagegen effektiver als die anterior- laterale, nicht zuletzt aufgrund der gerin-geren transthorakalen Impedanz. Bei der monophasischen Schockform in anterior-apikaler Position ist darauf zu achten, dass die apikale Schockelektrode der negative Pol sein sollte. In einer Untersuchung zur

Bestimmung der optimalen Elektroden-position an detaillierten Finiten-Elemen-ten-Modellen des Ober- und Gesamtkör-pers zeigte sich in der anterior-posterio-ren Position eine optimalere Stromdich-teverteilung innerhalb des Herzens im Vergleich zu der infraklavikulär-lateralen Position. Die parasternal-apikale Posi-tion war der anterior-posterioren Posi-tion gleichwertig.

Bei ausbleibendem Primärerfolg soll-ten vor einer weiteren elektrischen KV die Schockenergie und der Anpress-druck (empfohlen sind 10 kg) erhöht wer-den, ggf. sollte die Elektrodenposition ge-wechselt werden. Eine Vorbehandlung mit einem AA ist zu diskutieren. Für die elektrischen KV ergibt sich daraus der in . Abb. 6 dargestellte Algorithmus.

Rhythmuskontrolle – medikamentöse Kardioversion

Bei Patienten mit einer VHF-Dauer <48 Stunden kann bei hämodynamischer Sta-bilität auch eine pharmakologische KV (. Tab. 3) durchgeführt werden. Diese Patienten benötigen eine kontinuierliche medizinische Überwachung und EKG-Monitoring während der Medikamenten-gabe und über eine anschließende Zeit-periode (etwa der Hälfte der Medikamen-tenhalbwertszeit entsprechend), um pro-arrhythmische Ereignisse ( ventrikuläre Arrhythmien, Sinusknotenarrest, AV-Blö-cke) zu erfassen.

Bei Patienten ohne strukturelle Herz-erkrankung sollte zur pharmakologi-schen KV Flecainid, Propafenon oder Vernakalant intravenös gegeben werden. Patienten mit struktureller Herzerkran-kung (vorhandene Herzerkrankung wie Hypertrophie, koronare Herzerkrankung, Herzinsuffizienz) sollten zur pharma-kologische KV Amiodaron intravenös er-halten. Vernakalant ist dabei für Patienten mit deutlicher Hypotonie (<100 mmHg systolisch), ausgeprägter Herzinsuffizienz (NYHA III−IV) oder schwerer Aorten-klappenstenose kontraindiziert.

Für kritisch kranke Patienten kommt aufgrund der jeweiligen Kontraindikatio-nen bis auf Ausnahmen daher nur Amio-daron in Betracht [6, 7].Für Patienten mit VHF und Präexzita-tionssyndrom können neben den oben ge-

Kürzlicher Beginn von VHF (<48 h)

Hämodynamisch instabil

ja

ja

nein

nein

Elektrische Kardioversion Strukturelle Herzerkrankung

Flecainid i.v.Propafenon i.v.

Ibutilid i.v.

Amiodaron i.v.

Abb. 2 9 Elektrische und pharmakologische Kardioversion bei VHF <48 Stunden. (Adap-tiert nach [1])

372 |  Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 5 · 2012

Leitthema

nannten kontraindizierten Medikamen-ten Klasse-I-AA, wie Ajmalin, Flecainid oder Propafenon, zur Behandlung des VHF eingesetzt werden, wobei auch hier beim kritisch kranken Patienten primär die elektrischen KV in Betracht kommt.

Flecainid wird bei Patienten mit kur-zer VHF-Dauer (<24 h) empfohlen und hat dort einen etablierten kardiovertieren-den Effekt (67–92% nach sechs Stunden). Intravenös werden 2 mg/kg über 10 Mi-nuten, oral 200–400 mg/Tag verabreicht.

Propafenon ist ebenfalls effektiv zur medikamentösen Konversion von kurz anhaltendem VHF, die Konversionsrate beträgt zwischen 41 und 91% nach intra-venöser Verabreichung (2 mg/kg über 10–20 Minuten i.v. oder oral 450–600 mg).

Beide Medikamente sind für Vorhof-flattern oder bei persistierendem VHF ungeeignet und sollten bei Patienten mit struktureller Herzerkrankung vermieden werden, insbesondere bei eingeschränkter Herzfunktion oder koronarer Ischämie.

Eine medikamentöse KV mit Amio­daron (5 mg/kg über eine Stunde i.v., ge-folgt von 50 mg/Stunde über 5 bis 7 Tage) dauert deutlich länger als mit Flecainid oder Propafenon (40–60% Kardio-versionsrate nach 24 Stunden, s. auch . Abb. 7), ist aber nach nachfolgender Amiodaronaufsättigung deutlich höher (80–90%).

Vernakalant (3 mg/kg über 10 Minu-ten i.v., ggf. nach 15 Minuten bei ausblei-bender KV weitere 2 mg/kg über 10 Mi-nuten) ist eine neue vorhofselektive Subs-tanz mit einer im Vergleich zu Amiodaron deutlich höheren Konversionsrate inner-halb der ersten 90 Minuten (s. . Abb. 8, 9). Es ist geeignet für Patienten mit VHF <48 Stunden Dauer und kann auch bei Patienten mit stabiler koronarer Herz-krankheit und geringer Herzinsuffizienz gegeben werden (nicht bei höhergradiger Herzinsuffizienz oder schwerer Aorten-klappenstenose). So konnte in der AVRO-Studie mit 254 Patienten nach einer Gabe von Vernakalant in der oben genannten Dosierung im Vergleich zu Amiodaron (5 mg/kg über 60 Minuten) eine deutlich höhere Konversionsrate innerhalb der ers-ten 90 Minuten (51,7 vs. 5,2%) erzielt wer-den. Vernakalant ist dabei gut verträglich und sicher in der Anwendung, ohne ven-trikuläre Herzrhythmusstörungen zu in-duzieren [8].

Andere Medikamente wie Sotalol, β­Blocker, Verapamil und Digitoxin sind bezüglich einer medikamentösen KV weniger gut untersucht bzw. wenig effek-tiv im Vergleich zu Placebo oder den oben genannten Medikamenten und sollten zu diesem Zweck nicht eingesetzt werden.

AFL/ATAF ≤ 2 TageAF > 2 bis ≤ 30 TageAF > 30 bis ≤ 90 TageAF > 90 Tage

100

80

60

40

20

050 100 150 200 250 300 360

Patie

nten

in S

R (%

)

Abb. 4 8 Wahrscheinlichkeit der Konversion in den Sinusrhythmus (SR) bei verschiedenen Energiestärken (biphasisch) in Abhängigkeit der Art und Dauer (in Tagen) der Vorhoftachykardie. (AFL Vorhofflattern, AT atriale Tachykardie, AF VHF). (Adaptiert nach [20])

100%

80%

60%

40%

20%

0%0 100 200 300 400

monophasischenbiphasischen

Abb. 5 8 Kumulative Erfolgsrate der elektrischen KV von VHF mit mono- (●) und biphasischen (■) Schocks. (Adaptiert nach [11])

Abb. 3 9 EKG eines Patien-ten mit Vorhofflimmern (VHF) und WPW(Wolff- Parkinson-White)-Syndrom

373Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 5 · 2012  | 

Rhythmuskontrolle – medikamentöse Rezidivprophylaxe

β­Blocker haben nur eine geringe Wirk-samkeit in der Rezidivprophylaxe des VHF, außer im Zusammenhang mit der manifesten Hyperthyreose und dem be-lastungsinduzierten VHF [7].

Flecainid und Propafenon erhöhen die Wahrscheinlichkeit des Erhalte von SR um etwa das Doppelte und können bei Patienten ohne strukturelle Herzerkran-kung sicher angewendet werden. Patien-ten mit KHK oder eingeschränkter links-ventrikulärer Pumpfunktion sollten sie nicht gegeben werden. Bei intraventriku-lären Leitungsverzögerungen, insbeson-dere Linksschenkelblock, sollten sie nur unter Kontrolle verabreicht werden. Zu Beginn der Therapie ist eine regelmäßige EKG-Überwachung notwendig. Bei einer QRS-Verbreiterung um >25% im Ver-gleich zum Ausgangs-QRS-Intervall soll-te die Dosis reduziert oder das Medika-ment ganz abgesetzt werden. Eine beglei-tende AV-blockierende Medikation (z. B. mit einem β-Blocker) wird empfohlen, da es unter Flecainid zu einer Konversion des VHF zu Vorhofflattern kommen kann, das schnell ventrikulär übergeleitet wer-den kann. Eine interventionelle Therapie durch Ablation ist dann empfehlenswert.

Sotalol ist in seiner Wirksamkeit zur Verhinderung von VHF-Episoden etwa weniger wirksam. Es kann in bis zu 5% der Fälle zu relevanten proarrhythmischen Ereignisse durch eine starke Verlänge-rung des QT-Intervalls und Bradykardie kommen, weshalb eine sorgfältige Über-wachung des QT-Intervalls unter Thera-pie erfolgen sollte. Bei Verlängerung des QT-Intervalls >500 ms sollte Sotalol abge-setzt oder in der Dosierung reduziert wer-den. Frauen und Patienten mit linksven-trikulärer Hypertrophie, höhergradiger Bradykardie, ventrikulären Rhythmus-störungen, Niereninsuffizienz oder Hypo-kaliämie/-magnesiämie haben ein erhöh-tes Risiko für schwerwiegende Herzrhyth-musstörungen. Eine Behandlung von Pa-tienten mit koronarer Herzkrankheit ist im Gegensatz zu Klasse-IC-AA möglich.

Amiodaron ist das effektivste AA zur Rezidivprophylaxe bei Patienten mit pa-roxysmalem VHF und verhindert VHF-

MonitoringEKG

BlutdruckSättigung

Kurznarkose Midazolam (1-5mg)Etomidate (0,1-0,2 mg/kg)

Elektrodenposition Anterior-lateral

Stromstärkebiphas. 150 J

monoph. 200 J

Elektr. KV

ja Erfolg? neinErneute

elektr. KVAnpressdruck

erhöhen

Vorbehandlung mit AA- Therapie- Dronedaron- Amiodaron- Flecainid- Propafenon

Änderung dertherapeutischen Strategie

(Frequenzkontrolle)

- Erneute elektr. KV- Umstellung der AA- Therapie- Pulmonalvenenisolation

Rezidiv

Anterior-posterior

Erhöhung um50-100 J

biphas. <250Jmonoph. <300J

biphas. >250Jmonoph. >300J

Abb. 6 8 Algorithmus elektrische Kardioversion (KV). (Adaptiert nach [24])

100

80

60

40

20

00 120 240 360 480 600 720

Patie

nten

mit

Konv

ersi

on in

SR

(%)

Zeit nach Beginn der i.v. Gabe des Antiarrhythmikums (min)

Flecainid Propafenon Amiodaron

Abb. 7 9 Kinetik der Akutkardioversionen in den Sinusrhythmus (SR) nach intravenöser Gabe von Flecainid, Propafenon und Amio-daron. (Adaptiert nach [15])

374 |  Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 5 · 2012

Leitthema

Episoden besser als Flecainid, Propafenon und Sotalol. So trat in einer Untersuchung mit einer mittleren Beobachtungszeit von 16 Monaten lediglich bei 35% der Patien-ten ein VHF-Rezidiv auf [21]. Die NNT („number needed to treat“) im Vergleich der Substanzen ist für Amiodaron 3, für Flecainid 4, für Propafenon 5 und für Sotalol 8 [12].

D Im Gegensatz zu anderen AA kann Amiodaron auch Patienten mit struktureller Herzerkrankung einschließlich Herzinsuffizienz gegeben werden.

Es können aber auch hier proaarhythmi-sche Effekte auftreten. Unter der Therapie sollte das QT-Intervall überwacht werden. Nachteilig an Amiodaron sind die zahlrei-chen, ubiquitär auftretenden Nebenwir-

kungen (Schilddrüse, Haut, Nervensys-tem, Augen, Lunge, Leber).

Dronedaron ist ein neueres, dem Amiodaron chemisch ähnliches AA. Im Vergleich zu Amiodaron hat es eine deut-lich geringere Toxizität und Nebenwir-kungsrate, aber auch eine bis zu 30% ge-ringere Wirksamkeit [13]. Es ist eher ein Medikament zur Rezidivprophylaxe von VHF denn ein Medikament zur Akut-behandlung: Eine intravenöse Applika-tionsform ist nicht verfügbar, und die Potenz zur akuten Konversion von VHF ist gering. Die Langzeittherapie (. Tab. 4) senkt die kardiovaskuläre Mortalität. Eine Behandlung von Patienten mit relevanter Herzinsuffizienz oder eine Komedikation mit Digitalisglykosiden sollte nicht erfol-gen. Wie bei Amiodaron sollten während einer Dauertherapie die Leberwerte kon-trolliert werden.

Auch bei der medikamentösen Rezi-divprophylaxe kommt aufgrund der je-weiligen Komorbiditäten für den kritisch Kranken bis auf Ausnahmen nur Amio-daron in Betracht. Im weiteren Verlauf kann dann nach Stabilisierung des Pa-tienten eine alternative antiarrhythmische Therapiestrategie gewählt werden.

Fazit

F  Vorhofflimmern (VHF) ist neben einer Sinustachykardie die  häufigste  Ursache einer tachykarden Rhyth-musstörung auf der Intensivstation.

F  Die Inzidenz des VHF ist bei kritisch Kranken erhöht, da bei diesen ver-schiedene pathologische Mecha-nismen (z. B. erhöhter myokardia-ler Stretch durch Volumenbelas-tung im Bereich der Pulmonalvenen)  vorliegen.

0.6

0.4

0.2

0

0 5 10 15 20 25 35 50 70 90Zeit (min)

5.2%

P<0.0001

51.7%

Ant

eil d

er P

atie

nten

mit

Konv

ersi

on in

SR

Vernakalant (n=116)Amiodaron (n=116)

Abb. 8 9 Kardiover-sionsrate von Verna-kalant im Vergleich zu Amiodaron. (Adaptiert nach [8])

Abb. 9 9 Kardioversion (KV) mit Vernakalant sechs Minuten nach Infusionsbe-ginn (3 mg/kg). (Adaptiert nach [6])

375Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 5 · 2012  | 

F  Die sofortige Behandlung des VHF mittels Kardioversion (KV) in den SR ist indiziert 

1 bei hämodynamisch instabilen  Patienten und 

1 bei Patienten, die eine  kardiale  Ischämie oder eine akute,  klinisch relevante Herzinsuffizienz  entwickeln.

F  Bei stabilen Patienten mit VHF geht es primär um die Verhinde-rung thrombo embolischer Ereig-nisse und um eine Limitierung der  Herzfrequenz. 

F  Bei VHF <48 Stunden Dauer kann oh-ne vorherigen Thrombussausschluss durch TEE Amiodaron intravenös zur Frequenzlimitierung und zum medi-kamentösen Kardioversionsversuch eingesetzt werden. 

F  Bei Patienten mit manifester Hyper-thyreose, Alkoholintoxikation, sys-temischer inflammatorischer Reak-tion (SIRS) oder Sepsis,  insbesondere unter Katecholamintherapie, steht zu-nächst die Behandlung der Grund-erkrankung im Vordergrund.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. A. GoetteMedizinische Klinik II, St. Vincenz Krankenhaus PaderbornAm Busdorf 2, 33098 [email protected]

Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor gibt für sich und seine Koautoren an, dass kein Interes-senkonflikt besteht.

Literatur

1. Camm AJ, Kirchhof P, Lip GY et al (2010) Guidelines for the management of atrial fibrillation: the task force for the management of atrial fibrillation of the European Society of Cardiology (ESC). Eur He-art J 31:2369–2429

2. Carlsson J, Miketic S, Windeler J et al (2003) Rando-mized trial of rate-control versus rhythm-control in persistent atrial fibrillation: the Strategies of Treat-ment of Atrial Fibrillation (STAF) study. J Am Coll Cardiol 41:1690–1696

3. Friberg L, Hammar N, Rosenqvist M (2010) Stro-ke in paroxysmal atrial fibrillation: report from the Stockholm Cohort of Atrial Fibrillation. Eur Heart J 31:967–975

4. Gage BF, Waterman AD, Shannon W et al (2001) Va-lidation of clinical classification schemes for pre-dicting stroke: results from the National Registry of Atrial Fibrillation. JAMA 285:2864–2870

5. Haissaguerre M, Jais P, Shah DC et al (1998) Spon-taneous initiation of atrial fibrillation by ectopic beats originating in the pulmonary veins. N Engl J Med 339:659–666

6. Hammwöhner M (2011) Medikamentöse Kardio-version. In: Goette A (Hrsg) Kardioversion von Vor-hofflimmern. UNI-MED, Bremen, S 50–69

7. Hammwohner M, Goette A (2010) Heart rhythm disturbances and their treatment according to re-cent recommendations. Dtsch Med Wochenschr 135:2461–2476

8. Hirt MN, Eschenhagen T (2010) Vernakalant: a no-vel antiarrhythmic drug for the rapid conversion of atrial fibrillation to sinus rhythm. Dtsch Med Wo-chenschr 135:971–976

9. Hughes M, Lip GY (2008) Stroke and thromboem-bolism in atrial fibrillation: a systematic review of stroke risk factors, risk stratification schema and cost effectiveness data. Thromb Haemost 99:295–304

10. Hylek EM, Go AS, Chang Y et al (2003) Effect of in-tensity of oral anticoagulation on stroke sever-ity and mortality in atrial fibrillation. N Engl J Med 349:1019–1026

11. Koster RW, Dorian P, Chapman FW et al (2004) A randomized trial comparing monophasic and bi-phasic waveform shocks for external cardioversion of atrial fibrillation. Am Heart J 147:e20

12. Lafuente-Lafuente C, Mouly S, Longas-Tejero MA et al (2007) Antiarrhythmics for maintaining si-nus rhythm after cardioversion of atrial fibrillation. Cochrane Database Syst Rev:CD005049

13. Le Heuzey JY, De Ferrari GM, Radzik D et al (2010) A short-term, randomized, double-blind, parallel-group study to evaluate the efficacy and safety of dronedarone versus amiodarone in patients with persistent atrial fibrillation: the DIONYSOS study. J Cardiovasc Electrophysiol 21:597–605

14. Mant J, Hobbs FD, Fletcher K et al (2007) Warfarin versus aspirin for stroke prevention in an elderly community population with atrial fibrillation (the Birmingham Atrial Fibrillation Treatment of the Aged Study, BAFTA): a randomised controlled trial. Lancet 370:493–503

15. Martinez-Marcos FJ, Garcia-Garmendia JL, Ortega-Carpio A et al (2000) Comparison of intravenous flecainide, propafenone, and amiodarone for con-version of acute atrial fibrillation to sinus rhythm. Am J Cardiol 86:950–953

16. McNamara RL, Tamariz LJ, Segal JB et al (2003) Management of atrial fibrillation: review of the evi-dence for the role of pharmacologic therapy, elect-rical cardioversion, and echocardiography. Ann In-tern Med 139:1018–1033

17. Opolski G, Torbicki A, Kosior DA et al (2004) Rate control vs rhythm control in patients with nonval-vular persistent atrial fibrillation: the results of the Polish How to Treat Chronic Atrial Fibrillation (HOT CAFE) Study. Chest 126:476–486

18. Page RL, Kerber RE, Russell JK et al (2002) Biphasic versus monophasic shock waveform for conversi-on of atrial fibrillation: the results of an internatio-nal randomized, double-blind multicenter trial. J Am Coll Cardiol 39:1956–1963

19. Pisters R, Lane DA, Nieuwlaat R et al (2010) A novel user-friendly score (HAS-BLED) to assess 1-year risk of major bleeding in patients with atrial fibrillati-on: the Euro Heart Survey. Chest 138:1093–1100

20. Reisinger J, Gstrein C, Winter T et al (2010) Opti-mization of initial energy for cardioversion of at-rial tachyarrhythmias with biphasic shocks. Am J Emerg Med 28:159–165

21. Roy D, Talajic M, Dorian P et al (2000) Amiodarone to prevent recurrence of atrial fibrillation. Canadi-an Trial of Atrial Fibrillation Investigators. N Engl J Med 342:913–920

22. Van Gelder IC, Groenveld HF, Crijns HJ et al (2010) Lenient versus strict rate control in patients with atrial fibrillation. N Engl J Med 362:1363–1373

23. Van Gelder IC, Hagens VE, Bosker HA et al (2002) A comparison of rate control and rhythm control in patients with recurrent persistent atrial fibrillation. N Engl J Med 347:1834–1840

24. Willich T (2011) Elektrische Kardioversion. In: Goette A (Hrsg) Kardioversion von Vorhofflim-mern. UNI-MED, Bremen, S 70–89

25. Willich T (2012) Therapie des Vorhofflimmerns: Medikamentöse Rhythmuskontrolle. Internist Prax 52:1–16

26. Wyse DG, Waldo AL, DiMarco JP et al (2002) A comparison of rate control and rhythm cont-rol in patients with atrial fibrillation. N Engl J Med 347:1825–1833

376 |  Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 5 · 2012

Leitthema