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Langenbecks Arch. Chir. 331,265---274 (1972) © by Springer-Verlag 1972 Therapie groBer Defekte der behaarten Kopfhaut* J. Meh]er und H. E. KShnlein Chirurgisehe Universit~tsklinik Freiburg i. Br. (Direktor: Prof. Dr. M. Schwaiger) Eingegangen am 2. Juni 1972 Treatment of Extensive Tears in the Scalp Summary. The possible methods of treating tears in the scalp are discussed. The method to be adopted depends not so much on the extent of the tears as on whether avulsion is partial or complete and whether the periosteum is seriously involved. Based flaps of scalp must be sewn on at once. ]n cases of total avulsion of scalp, unless the periosteum is quite seriously involved it is advisable to replace the avulsed scalp, which acts as a physiological dressing until split-skin grafts are supplied. In rare cases the total avulsed scalp heals. If the pericranium is not injured, the tear can be covered with free splitskin grafts. When the periosteum is affected the combination of a rotating flap and a split-skin graft is recommended. If this is not possible, or if the area of periosteum involved is too large, the outer table of the boues of the skull should be multiperforated with a drill and then covered with free grafts on to the granulating tissue which has grown under the protection of antibiotics. A report on one of the author's own cases follows. Key words: Scalp -- Tears in -- Split -- Skin Grafts. Bei Kopfhautdefekten mu[~ man zwischen iatrogen dureh Operationen und traumatisch verursachten unterseheidem Bei den infolge einer Tu- morresektion gesetzten Substanzverlusten liegt gegenfiber den unfall- bedingten insofern eine fiir die Therapie giinstigere Situation vor, als die Defekte im allgemeinen wesentlieh kleiner sind und bessere Wundver- h~ltnisse vorweisen. 1. Entstehung Die Skalpierungsverletzungen kommen bei Frauen weitaus h~ufiger vor, als bei Miinnern ; so finden sieh in dem ~bersiehtsreferat von Jacoby u. Hernandez-Richter [5], in welehem 69 F~lle zusammengetragen sind, nur zwei M~nner. Beim typischen Unfallmechanismus geraten Frauen oder Kinder mit langen Haaren in rotierende Maschinenteile. Auch wenn nur ein Teil der rund 80 000 Kopfhaare erfaSt wird, kann bei der Zug- festigkeit eines einzelnen Haares yon 60 g auf diese Weise ein starker Zug auf die Kopfhaut ausgeiibt werden. Da die Gewalteinwirkung fiber- * Herrn Prof. Dr. M. Schwaiger zum 60. Geburtstag gewidmet. 18 Langenbecks Arch. Chir., Bd. 331

Therapie großer Defekte der behaarten Kopfhaut

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Langenbecks Arch. Chir. 331,265---274 (1972) © by Springer-Verlag 1972

Therapie groBer Defekte der behaarten Kopfhaut*

J . Meh]er und H. E. KShnlein

Chirurgisehe Universit~tsklinik Freiburg i. Br. (Direktor: Prof. Dr. M. Schwaiger)

Eingegangen am 2. Juni 1972

Trea tmen t of Ex tens ive Tears in the Scalp

Summary. The possible methods of treating tears in the scalp are discussed. The method to be adopted depends not so much on the extent of the tears as on whether avulsion is partial or complete and whether the periosteum is seriously involved. Based flaps of scalp must be sewn on at once. ]n cases of total avulsion of scalp, unless the periosteum is quite seriously involved it is advisable to replace the avulsed scalp, which acts as a physiological dressing until split-skin grafts are supplied. In rare cases the total avulsed scalp heals. If the pericranium is n o t injured, the tear can be covered with free splitskin grafts. When the periosteum is affected the combination of a rotating flap and a split-skin graft is recommended. If this is not possible, or if the area of periosteum involved is too large, the outer table of the boues of the skull should be multiperforated with a drill and then covered with free grafts on to the granulating tissue which has grown under the protection of antibiotics.

A report on one of the author's own cases follows.

Key words: Scalp - - Tears in - - Split - - Skin Grafts.

Bei Kopfhau tde fek t en mu[~ man zwischen iatrogen dureh Operat ionen

und t r aumat i sch verursachten unterseheidem Bei den infolge einer Tu- morresekt ion gesetzten Subs tanzver lus ten liegt gegenfiber den unfall-

bedingten insofern eine fiir die Therapie giinstigere Si tuat ion vor, als die

Defekte im al lgemeinen wesentlieh kleiner sind und bessere Wundver -

h~ltnisse vorweisen.

1. Ents tehung

Die Skalpierungsver le tzungen kommen bei Frauen weitaus h~ufiger

vor, als bei Miinnern ; so finden sieh in dem ~bers ieh ts re fe ra t von J a c o b y

u. Hernandez -Rich te r [5], in welehem 69 F~lle zusammenget ragen sind,

nur zwei M~nner. Beim typischen Unfa l lmechanismus geraten F rauen

oder Kinder mi t langen Haaren in rot ierende Maschinenteile. Auch wenn

nur ein Teil der rund 80 000 Kopfhaare erfaSt wird, kann bei der Zug-

fest igkeit eines einzelnen Haares yon 60 g auf diese Weise ein s tarker Zug auf die K o p f h a u t ausgeiibt werden. Da die Gewal te inwirkung fiber-

* Herrn Prof. Dr. M. Schwaiger zum 60. Geburtstag gewidmet.

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266 J. Mehler und H. E. KShnlein:

dies meist ruckartig einsetzt, kommt es unmittelbar zum AbreiGen des Skalp in der loekeren Bindegewebschicht der Lamina subaponeurotica, welehe die Verschiebung der Galen aponeurotica gegen das Pericranium ermSglicht. Es werden jedoch auch Fglle beschrieben, bei welchen die durch Masehinenteile erfaGten Personen mehrmals um eine rotierende Achse gesehleudert wurden, bis schlieGlich die Skalpierung durch die Zentrifugalkraft des KSrpers erfolgte [5]. Durch die bei der mgnnlichen Jugend in Mode gekommene lange Haartracht ist in jtingster Zeit eine Verschiebung der Gesehlechterrelation zuungunsten der M~nner fest- zustellen [4, 9].

2. Terminologie

Der Begriff der totalen Skalpavulsion sollte zur deutlichen Unter- scheidung yon partiellen und gestielten SkalpabreiGungen unseres Erachtens im Gegensatz zur Meinung von Dohmen u. Kaufer [4] nur solchen Verwundungen vorbehalten sein, bei welchen die gesamte oder nahezu die gesamte behaarte Kopfhaut vollst~ndig abgelSst ist. AuGer- dem sol]re man auf Periostdefekte mit freiliegender Sch~delkalotte und vorhandene Seh£delfrakturen gesondert hinweisen. Aus dieser Forderung erg£be sieh die folgende Terminologie (naeh Schwere der Unfallgolge):

I. Partielle und gestielte Avulsion mit und ohne 2. Partielle Skalpierung PeriostlKsion 3. Gestielte Avulsion der gesamten Kopfschwarte oder Schgdel- 4. Totale Skalpierungsverletzung fraktur Der Begriff der Skalpierung entsprgehe dabei der vollst~ndigen Ab-

h~utung eines mehr oder weniger groGen Skalpteiles. Bei der totalen Skalpierung in typischer Form finder man nicht nur eine AbreiGung der behaarten Kopfhaut bis auf einen schmalen Streifen im Nacken, sondern ebenfalls der Stirnhaut und h~ufig auch yon Teilen der Ohrmuschel [4, 5, 9, i~, i2].

3. Prognose

]~ber die ernste Prognose ausgedehnter Slakpierungsverletzungen t/~uscht hgufig der erstaunlich gute Allgemeinzustand des Patienten nach dem Unfall hinweg. Die Schmerzen werden als relativ gering ange- geben, Sehocksymptome infolge des Blutverlustes liegen zwar 5fter vor, lassen sieh jedoeh therapeutiseh leicht beherrsehen [l, 5, i i ] . Trotz des nieht unmittelbar bedrohliehen Kr~nkheitsbildes und der generell sehr guten Heilungstendenz der Kopfschwarte, darf man keinesfalls die zahlreichen sparer mSglichen Komplikationen auger Aeht lassen. Die Prognose wird bei ausgedehnten Skalpierungsverletzungen und insbe- sondere bei Periostdefekten oder Schgdelfrakturen erheblieh verschleeh- tert. Die geffirehtesten Komplikationen sind Seh~deldachosteomyelitis mit Sequestrierung, Meningoencephalitis, Sinusthrombose, Sepsis und

Therapie groller Defekte der behaarten Kopfhaut 267

Tetanusinfektion. Auch an m6gliche Sp/itkomplikationen, wie chronische Hautulcera mit maligner Entartung, Narbenbildung mit Ektropionie- rung der Augenlider und schlechte kosmetische Ergebnisse sollte bereits im Anfangsstadium gedacht werden, um so evtl. n6tige Korrekturein- griffe zu vermeiden.

Wie grol3 die Gefi~hrdung nach Skalpierungsverletzungen ist, geht daraus hervor, dal~ vor fiber 100 Jahren Totalskalpierte fast ~usnahms- los verlorert waren. Auch unter /~rztlicher Behandlung konnte die Mor- talit/itsrate vor Einffihrung der Hauttransplantation nicht unter 50 % gesenkt werden. Dem steht heute bei regelrechter Behandlung eine Mor- talit/it yon ca. 2 % gegeniiber (5).

4. Verwendbarkeit abgetrennter Skalpteile Wie bereits oben angeffihrt wurde, droht dem Skalpierten die Haupt-

gefahr durch das Eindringen yon pathogenen Erregern tiber die groB- fl/~chige Wunde. Am sichersten vermeidet man diese schweren Kompli- kationen, wenn die Wunde prim/~r gedeckt wird. Die naheliegendste BehandlungsmaBnahme bei groBfl/i, chigen Skalpierungsverletzungen erscheint daher dem erstbehandelnden Arzt meist, den h/iufig yon dem Patienten oder Begleitpersonen mitgebrachten Skalp in der Hoffnung auf die Wunde zu reponieren, dab die abgerissene Kopfschwarte trotz aller Bedenkea noch AnschluI] an die Gef/~Bversorgung findet. Die Chance, dab dies tats/~chlich geschieht, ist allerdings bei dem mehrere Millimeter dicken Tr~nsplantat sehr gering, so dab yon vielen Autoren diese Methode als vSllig unbrauchbar abgelehnt wird [2, l i , 17]. Dem steht gegenfiber, dab in der Literatur doch immer wieder fiber vereinzelte F/~lle berichtet wurde, in denen solche Versuche g~nz oder teilweise er- folgreich verliefen, wobei die Aussichten bei partieller Skalpierung wesentlich besser zu sein scheinen [5, 7, 8]. Uns ist aus der von uns ge- lesenen Literatur mit Sicherheit ein derartiger Fall bei einer ausgedehn- ten Skalpierung bekannt, bei dem exakte Terminologie und Dokumenta- tion durch Abbildungen keinen Zweifel zulieBen [6].

Ein solcher Erfolg bietet ffir den Patienten den unsch/~tzbaren Vorteil, dab er seine Kopfbehaarung beh/~lt, was mit keiner anderen Methode zu erreichen ist. Wie gering allerdings die Aussichten auf ein Gelingen sind, geht aus den zahlreichen Versuchen hervor, durch Modifizierung dieser Methode bessere Ergebnisse zu erzielen. So haben die Bemfihungen, streifenf6rmige Skalpteile auf der Wundfl/iche zur Anheilung zu bringen, unseres Wissens nur zu Mil~erfolgen geffihrt. Besser sind die Vorausset- zungen, wean der rasierte Skalp replantiert wird, nachdem er yon seiner Unterseite her als Wolfe-Krause-Lappen pr/~pariert wurde. Hier sind Erfolge bekannt [5, 6]. Die besten Ergebnisse werden jedoch mit der voa Skalphaut gewonnenen Spalthauttransplaataten erzielt [t, 5, 6, 8, 11]

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Freilich daft bei der Verwendung von Cutis- oder Spalthauttransplan- taten vom Skalp nicht mit Wiedereintreten des Haarwuchses gerechnet werden, da die Haarzwiebeln in der Subcutis liegen. - - Auch alle Be- mtihungen, zu einem spi~teren Zeitpunkt einen, wenn auch nur spiirliehen Haarwuchs in diesen Bereichen durch Pfropfung mit behaarten Skalpan- teilen aus noch unverletzten Gebieten zu erreichen, haben zu keinen fiber- zeugenden Ergebnissen geffihrt [3, 12]. Voraussetzungen ffir die Wieder- verwendung der abgerissenen Kopfhaut zur Deckung der Skalpierungs- wunde ist, da~ die 6 Std-Grenze nicht iiberschritten ist und der Skalp nieht zu sehr verschmutzt, ausgetrocknet oder traumatisch geschi~digt ist [4, 11].

Vor der Replantation sollte der Skalp vor Austrocknen gesehfitzt und (z. B. bei der Rasur) so sehonend, wie m6glich vorbehandelt werden. Zu den Fragen, ob der Skalp bis zur Verwendung k/ihl gehalten werden soll, ob er grfindlich mechanisch gereinigt, mit Kochsalzl6sung abge- spfilt, gebadet und gar mit Antibiotieis vorbehandelt werden soll, gehen die Meinungen der verschiedenen Autoren auseinander [4, 5, 6, 7]. Milton [6] hat bei dem yon ihm erfolgreich behandelten Fall den Skalp lediglich yon groben Schmutzpartikeln ges£ubert und mit verdfinnter Plasmal6sung berieselt.

Manche Verfasser empfehlen, wenn eine Prim~rversorgung nicht infrage kommt, den abgerissenen Skalp in einer Tiefkfihltruhe aufzube- wahren, um Slo~ter yon ihm Spalthautlappen gewinnen zu k6nnen [5, ~ 1 ]. Inwieweit sich die Heilungsergebnisse durch Reanastomosierung der durchtrennten Gef~13e mit mikrochirurgischen MaBnahmen verbes- sern lassen, wie E. B. Sehlesinger dies vorschl~gt [13], bleibt abzuwarten.

Selbst wenn ein Einheilen des abgerissenen Skalp nicht wahrschein- lieh ist, gibt es doch einen zweiten Gesichtspunkt, die Kopfschwarte naeh Wundreinigung an ihre ursprfingliehe Stelle zu reponieren: Sic dient zumindest vorfibergehend bis zur Ausbildung eines widerstands- f~higen Granulationsgewebes, das sich dann zur sekund~ren Haut- transplantation anbietet [4, 5], als physiologischer Verband, der opti- mal gegen das Eindringen yon Keimen abschirmt. Man sollte diesen Vorteil jedoch nicht dadurch in Frage stellen, da[3 man diese Barriere mit multiplen Inzisionen durchl6chert, sondern lieber, wenn n6tig, Sekretverhaltungen abpunktieren. Nach ca. ~4 Tagen wird im Falle der Nekrotisierung der avitale Slakp entfernt.

Wir sind daher der Ansicht, dal3 man bei vollst~ndiger Abrei~ung des Skalpes ohne gr613ere Periostdefekte den Versuch unternehmen sollte, den Skalp wieder zur Anheilung zu bringen, bzw., wenn dies nieht gelingt, ihn his zur sekund~ren Versorgung als Schutzverband zu belassen.

Bei gestielten Abreil3ungen sollte der Skalp unbedingt relooniert werden, da bier selbst bei ungfinstigem Verh~ltnis yon L£nge zu Breite

Therapie groBer Defekte der behaarten Kopfhaut 269

des Laploens beste Heilungsaussicht besteht [10]. Es ist in einem solchen Fall auBerdem mSglich, Bezirke, die sich bei einer Vitalf~rbung (z. B. mit Disulfin-Blau) nieht anfi~rben, zu entfernen und die hierdurch ver- bleibenden Defekte mit freien Transplantaten zu decken [11].

5. Yerschiebeplastik

Bei partiellen Skalpierungen und Defekten nach Tumorexzision kann man versuchen, die Wundritnder durch Verschiebeplastiken wieder zu vereinigen. Dabei kSnnen unter Umst~nden die gestielten Lappen dadurch merklich verlitngert werden, dab man v o n d e r Unter- seite mehrfache Entlastungsschnitte in die Galea aponeurotica legt [2].

Wo die Lage des Defektes schlechte kosmetische Ergebnisse erwarten liiBt (z. B. in der vorderen Haargrenze), sollte unbedingt versucht werden, ihn durch einen Schwenklappen in die behaarte Zone hineinzuverlegen, wo er Sl0~ter durch die eigenen Haare oder ein Teiltoupet besser verdeckt werden kann. Der so an anderer Stelle durch Mobilisierung des Lal0pens eatstandene Defekt muB dann durch ein freies Spalthautlappentransplan- tat gedeckt werden [12, 17]. Dasselbe Verfahren ist auch dann empfeh- lenswert, wenn bei einer 10artiellen Skalpierungsverletzung oder nach Tumorexzision ein Periostdefekt die prim~re Versorgung der Wunde mit einem Spalthautlappen nicht erlauben wfirde. Wi~hrend das freie Trans- plantar sich fiber dem Knochen fiblicherweise abstSBt, heilt der Schwenk- lappen ohne weiteres ein.

6. Das freie Spalthauttransplantat

Die Anwendung der freien Spalthauttransplantation ist heute in allen Fi~llen die Therapie der Wahl, in denenes nicht gelingt, eine Dek- kung durch Verschiebeplastiken oder den abgerissenen Skalp zu errei- chen. Seit der Einffihrung der Spalthauttransl01antation konnte die Mortalitiit der Totalskalpierungen yon ca. 50 % auf die heutige Rate yon 2% gesenkt werden, nachdem bis dahin die Ausbildung yon Granu]a- tionen und Spontanepithelisierung Ziele der Behandlung waren. Es kommt sowohl die prim~re Deckung als auch in Fallen, wo diese aus- sichtslos erscheint (z. B. bei groBen Periostdefekten oder nach erfolg- losem Versuch, den abgerissenen Skallo wieder zur Anheilung zu bringen), die sekund~re Deckung durch freie Transplantate infrage. Die Pfropfung mit Reverdintransplantaten ist wegen der schlechten kosmetischen und funktionellen Ergebnisse abzulehnen [12, 16]. Die l~bertragung yon Vollhautlappen ffihrt zwar zu sehr guten Ergebnissen, sie ist in der An- wenduug jedoch bekanntermaBen weniger sicher und hinterl~Bt an den Entnahmestellen Defekte, die ihrerseits geschlossen oder gedeckt werden mfissen.

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Die fiblicherweise vom Oberschenkel entfernten Transplanta~e sollten m6glichst groBfl/ichig (z. B. mit dem Padget-Dermatom) entnommen und fibertragen werden, um die narbigen Ver/~nderungen mit ihren spi~te- ren Komplikationsm6glichkeiten m6glichst klein zu halten. Zur Fixie- rung wird Gittertfill mit Schlauchverb/£nden [6] oder elastischen Gummi- binden [4] angedrfickt oder festes Gittergewebe fiber die Transplanta~e gelegt und unmittelbar an die verbliebene Galea unter Spannung ange- n/~ht [4].

Zur postoperativen Nachbehandlung geh6rt die antibiotische Infek- tionsprophylaxe und regelm/£Biger Verbandswechsel mit lokaler Anwen- dung yon desinfizierenden oder antibiotikahaltigen Pudern an den Trans- plantaten. Stellen, die nekrotisch werden, mfissen abgetragen werden, und bei Verwendung des Skalpes zur Deckung der Wunde mfissen evtl. auftretende Sekretansammlungen abpunktiert werden.

7. Endversorgung

Eine besondere Stellung unter den Skalpierungsverletzungen nehmen die F/ille ein, bei welchen, wie in dem yon uns geschilderten Fall bei Periostdefekten die Tabula externa frei zu Tage liegt. Nach unserer An- sicht, die auch in den meisten anderen Ver6ffentlichungen [2, 4, 5, 11, t7] vertreten wird, ist bier eine prim/~re Transplantatdeckung ohne weitere Vorbereitung nicht erfolgversprechend. Wenn es nicht gelingt, den Defekt durch einen Schwenklappen zu deckea, dessert Entnahmestelle ihrerseits durch Transplantate prim/~r versorgt wird, muB eine sekund/~re Ver- sorgung erfolgen. Um einen geeigneten Boden ffir ein Transplantat vor- zubereiten, erfolgt die Anfrischung des Sch/idelknochens bis auf die gut durchblutete Diploe, indem man entweder die Tabula externa im Bereich des gesamten Defektes abfr/£st, -schleift oder -meiBelt oder sie durch zahlreiche dicht gelegte Bohrl6cher perforiert. Hierauf besteht ent- weder die M6glichkeit einer sofortigen [2, l i , 17] oder die der sekund/£ren Deckung mit Spalthauttransplantaten nach Ausbildung eines Granula- tionsrasens [1, 2, 5 ].

Wir behandelten unsere Patienten mit multiplen Bohrungen und warteten vor der Transplantation unter Antibiotikaschutz und Lokal- behandlung mit feuchten Gentamycinkochsalzl6sungskompressen die Ausbildung yon Granulationsgewebe ab. Andere Autoren ziehen der feuchten Lokalbehandlung die mit Salben vor, in der Meinung, hierdurch sicherer die Austrocknung und Infektion zu bek/~mpfen [5].

Deckt man die Skalpierungsverletzung mit dem abgel6s~en Skalp, so k6nnen dabei kleinere Periostdefekte unberficksichtigt bleiben. Ver- f/~llt der Skalp an dieser Stelle oder insgesamt der Nekrose, so kommt es hier unter seiner schfitzenden Decke zum Zugrarmlieren der freiliegender~ Knochenteile [4]. Bei groBen Periostdefekten ist diese Methode nicht

Therapie groBer Defekte der behaarten Kopfhaut 271

Abb. 1. SkMpierungsverletzung 12 Tage nach Unfall, Zustand nach Entfernung des nekrotisch gewordenen replantierten Skalpes

anwendbar, da dann bis zur notwendigen Entfernung des nekrotisehen Skalpes keine Deckung dureh Granulationen zu erwarten ist.

Dal~ bei dieser besonderen Form der Skalpierungsverletzung mit ihrer Gefahr, der intracraniellea Infektion Antibiotikagaben unerl/~$1ieh sind, bedarf keiner weiteren Erw/ihnung.

Schliel~lich sei noch auf eine niitzliche Mal3nahme hingewiesen, die anfangs h/~ufig iibersehen wird. Die vom abgerissenen oder exzidierten Skalp und bei der Rasur des Kopfes anfallenden Haare sollten nicht unbe- sehen weggeworfen werden, da sie sp/~ter ntitzliche Dienste leisten, wenn der Pat ient mit einer Periieke versorgt werden muG. Au$erdem sei er- w/ihnt, dal~ der Knorpel eines abgerissenen Ohrmuschelteiles unter Um- st/inden naeh subkutaner Implantat ion sp/~ter bei rekonstruktiven Opera- tionen wieder verwendet werden kann [1 ].

8. Fallbericht

J.K., m/innlich, 42 Jahre. Bei der Arbeit mit dem Traktor stiirzte dieser an einer BSschung um und trermte den Skalp des Patienten mit dem Schutzblech ab. Der Verletzte bekam schlieBlich den losgerissenen und unter dem Schlepper eingeklemm-

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Abb. 2. t2. Tag, Zustand nach Anfrischen der Sch/idelkalotte mit multiplen Bohr- 15chern

Abb. 3. Zustand bei der Entlassung 2 Monate nach dem Unfall

ten Skalp frei und begab sich mit diesem aus eigener Kraf t zum n/ichsten Kranken- haus, yon wo er sofort zu uns weitertransportiert wurde.

Au/nahmebe/und: Skalpierungsgrenze frontal 2 cm hinter der Haargrenze, occipital bis tief in den Nacken, knapp unterhalb die Eminentia occipitalis rei-

Therapie groBer Defekte der behaarten Kopfhaut 273

ehend, seitlich etwa in der Haargrenze, wobei links ein ca. t0 × 7 cm groller gestielter Lappen fiber der Sehl~fe zur Stirn hin abgehoben war. Die Schadelkalotte war in einer Ausdehnung yon ca. 25 × 15 em vom Pericranium entblSflt, randstKndig land sieh ein 2 bis 10 cm breiter Saum yon verbliebenem Periost. Keine Sch/idelfraktur, keine Schocksymptome.

Der kleinere gestielte Lappen wurde sofort wieder angen~ht, der abgerissene Skalp wurde rasiert und in NebacetinkoehsalzlSsung gebadet, danach Reposition und Annahen am Rande mit Seideneinzelknopfn~hten und Fixierung mit Schlauch- verband. Nach einer Woche Entfernung des inzwischen vSllig nekrotischen Skalp- replantates.

Lediglich links parieto-oceipital, wo ein breiter Periostsaum bestand, zeigte sich eine beginnende Einheilung der irmersten Schicht. Der gestielte Lappen heilte komplikationslos an. Nach wciteren 5 Tagen unter Lokalbhandlung mit Gentamycin-KochsalzlSsungskompressen saubere Wundverh~ltnisse (Abb. 1). Multiple Bohrungen (150 bis 200) dureh die Tabula externa bis auf die Diploe mit dem Trepanationsbohrer (Abb. 2). Unter Fortfiihrung der obengenannten Lokal- behandlung Ausbildung eines dichten Granulationsrasens parietal und occipital, wo noch Periost zurfiekgeblieben war und allm~hliches Aufffillen der BohrlScher mit Granulationen. Am 12. Tage naeh der Anfrischung des Knochens Thiersch- transplantation in erster Sitzung beiderseits parietal und occipital. Die Transplan- tate heilten komplikationslos ein. Nach Abtragen mehrerer zwischen den Bohr- 15chem stehengebliebener, die Heilung verzSgcrnder Knochenstege mit tier Luer- schen Zange Ausbildung eines lfickenlosen Granulationsrasens, auf welchem am 32. Tag nach Anlegen tier BohrlScher in einer zweiten Sitzung Spalthauttransplan- tare fibertragen wurden, so da$ der Defekt vSllig geschlossen war. Die Spalthaut- transplantate wurden in beiden F/illen mit dem Padget-Dermatom vom Ober- schenkel entnommen, sie wurden an den Wundriindern und untereinander durch fortlaufende Catgutn~hte fixiert. Skarifizierung verhinderte Sekretansammlungen. t3ber den Transplantaten wurde ein Druckverband angelegt, indem wir rund um die Verletzung in der verbliebenen Kopfschwarte mehrere kr/iftige Mersilenebalte- f/iden eilm/ihten und diese fiber einem Verband yon Tullegras und Kompressen ver- knoteten. Ab 5. postoperativen Tag t/iglicher Verbandswechsel unter Verwendung von Gentamycin und Nitrofurazonpuder zur Lokalbehandlung der Tra.nsplantate. Der Patient erhielt bis kurz vor der zweiten Transplantation Abschirmung durch Antibiotika. Nachdem auch die Spalthauttransplantate von der zweiten Sitzung an- gegangen waren, Entlassung des Patienten genau 2 Monate nach dem Unfall (Abb. 3). Zu Hause Versorgung mit einer Perficke.

Zusammenfassung Es werdert die Behandlungsm6gl ichkei ten bei Skalpdefekten bespro-

chen. Das therapeut ische Vorgehen h/~ngt weniger yon der GrSl3e der Defekte ab, als vielmehr von der Tatsache, ob die abgerissenen Skalpteile gestielt sind, oder ob eine Skalpierung d. h. vol]st/indige A b t r e n n u n g vor- liegt, sowie ob grSl3ere Periostdefekte bestehen. Gestielte Skalplappen sind sofort wiedec einzun~hen, bei Skalpierungen wird, abgesehen bei gleichzeitig vorl iegenden grSl~eren Periostdefekten, die Repositiort des abgerissenen Skalpes empfohlen, der d a n n bis zur sekund~ren Versor- gung durch Spa l thau t t r ansp lan ta t e als physiologischer Verband dient. I n seltenen F/£11en k a n n mit einem Anheilen des vSllig abgerissenen

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Skalpes gerechnet werden. Bet i n t ak tem Periost empfihlt sich die Dek- kung des Defektes mi t freien Spa l thau t t ransp lan tu ten . Liegen Periost- defekte vor, empfiehlt sich die Kombina t i on eines Schwenklappens mit einer Spa l thau t l appen t ransp lan ta t ion . W e n n dies nicht mSglich ist, oder der Periostdefekt zu groB ist, erfolgt Anfrischen der Schi~delkalotte und sekund~re Deckung durch freie Transp lan ta te auf den unte r Ant ibiot ika- schutz en t s t andenen Granulat ionsrasen. Es folgt ein Bericht fiber einen eigenen Fall.

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Dr. Jiirgen Mehler Prof. Dr. H. E. KShnlein Diakonissenkrankenhaus Chirurg. Univ.-Klinik D-7800 Freiburg i. Br. D-7800 Freiburg i. Br. Hauptstral3e 8 Hugstetter Stral3e 55 Bundcsrepublik Deutschland Bundesrepublik Deutschland